Schwarzwald-Baar Jahrbuch Almanach 2016 He­raus­geber:­ Land­rats­amt Schwarz­wald-Baar-Kreis www.schwarz­wald-baar-kreis.de ­land­rats­amt@schwarz­wald-baar-kreis.de

Re­dak­ti­on: ­Sven Hinterseh, Land­rat Wil­fried ­Dold, Re­dak­teur Kristina Diffring, Referentin des Landrats Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Susanne Bucher, Leiterin Informations- und Kulturamt Stadt Hüfingen Dr. Joa­chim ­Sturm, Kreis­ar­chi­var

­ Für ­den In­halt ­der Bei­trä­ge ­sind ­die je­wei­li­gen Au­to­ren ver­ant­wort­lich. Nach­dru­cke ­und Ver­viel­fäl­ti­gun­gen je­der ­Art wer­den ­nur ­mit Ein­wil­li­gung ­der Re­dak­ti­on ­und un­ter An­ga­be ­der Fund­stel­le ge­stat­tet.

Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag

Verlag: dold­.ver­lag, Vöh­ren­bach 2015 www.dold­ver­lag.de

Druck: Todt Druck + Medien ­GmbH + Co. KG Vil­lin­gen-Schwen­nin­gen

ISBN: 978-3-927677-86-9

Foto rechte Seite: An der jungen Donau – beim Wehr in Neudingen 3 Die 40. Ausgabe ist erschienen Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Daheim im Almanach: eine nicht ersetzbare Schwarzwald und auf Chronik des Landkreises der Baar

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Auf dem zweithöchsten Punkt ­einen wertvollen Beitrag Auf die Frage, was und wo Hei- des Schwarzwald-Baar-Kreises, zum Zusammenwachsen der mat ist, folgt nicht selten mehr dem 1.164 Meter hohen Rohr­ früheren Landkreise ­Villingen als eine Ant­wort. Eines aber gilt hardsberg bei Schonach, zeigen und leisten für alle Frauen und Männer, die sich die früheren Landräte konnte und noch immer leistet. im Rahmen unserer Portrait­ Dr. Rainer Gutknecht (1973 - Ihr Fazit mit Blick auf serie „Daheim im Schwarzwald 1996) und Karl Heim (1996 - 2012) das 40-jährige Bestehen des und auf der Baar“ vorgestellt sowie Landrat Sven Hinterseh Almanach: Das Schwarzwald- werden: Sie fühlen sich auch im (Amtsantritt am 1. Juni 2012) Baar-Jahrbuch ist eine nicht Schwarzwald-Baar-Kreis daheim. in einer Gesprächsrunde im ersetzbare Chronik des Das schließt nicht aus, dass sie Gasthaus „Schwedenschanze“ Landkreises, es prägt das Bild, überall auf der Welt unterwegs überzeugt, dass das Schwarz­ das wir von unserer Heimat sind – hier aber ihre Heimat, wald-Baar-Jahrbuch Almanach haben, vielfach mit. sprich Wurzeln haben.

­4 Inhaltsverzeichnis

2 Impressum 8 40 Jahre Almanach – ein identitätsstiftender Beitrag für den Schwarzwald-Baar-Kreis / Sven Hinterseh Wirtschaft 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Von der 10 Ein Willkommen und seine Herausforderungen / Schwarzwalduhr Sven Hinterseh nach Tschuri 2. Kapitel / 40 Jahre Almanach 20 Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch feiert Jubiläum / Wilfried Dold 24 Heimat Schwarzwald-Baar – Im Dialog mit drei Landräten / Wilfried Dold

3. Kapitel / Städte und Gemeinden 38 „Aus vielen, eines“ – Blumberg, eine außergewöhnliche Stadt / Doris Rothweiler

4. Kapitel / Da leben wir – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar 46 Dr. med. Lioba Kühne / Elke Schön 52 Matthias Wiehle / Gabi Lendle 56 Ute Grießhaber / Madlen Falke 62 Laurent Lebas / Barbara Dickmann 66 Ingrid Schyle / Barbara Dickmann 70 Albrecht Benzing / Daniela Schneider 76 Anke Jentzsch / Madlen Falke 82 Bärbel Brüderle / Dieter Wacker

5. Kapitel / Wirtschaft 86 Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri / Jürgen Hönig 86 98 Die Uhrenfirma Hanhart in Gütenbach / Matthias Winter 106 WELLSTAR-Packaging GmbH / Gabi Lendle Erfindungen sind seit jeher 112 Hahn-Schickard: Intelligente Lösungen mit ein Motor unserer Wirtschaft. Mikrosystemtechnik Beim Blick auf diese stete Fort- 120 Ein Leben voller Wohlklang – Dual / Hans-Jürgen Kommert entwicklung über zwei Jahr- 126 Perpetuum Ebner – Modern verpackter Spitzenklang / hunderte hinweg fällt einem Roland Sprich als zentraler Bestandteil das 132 Alles aus einem Guss – Aluminium Werke GmbH Zahnrad auf. Letztlich auf Basis Villingen / Christina Nack der Feinmechanik entwickelte sich im Schwarzwald-Baar-Kreis 6. Kapitel / A 81 eine technologische Welt­elite, 140 Unterwegs auf dem Spätzle-Highway / Daniela Schneider die uns von der mechanischen Schwarzwalduhr bis auf die Rei- 7. Kapitel / Geschichte se zum Kometen Tschuri führt. 160 Der letzte Weg / Rolf Ebnet

­5 Schwerpunkt A 81 Geschichte Schwerpunkt Berge Unterwegs auf dem Der letzte Weg Berge im Spätzle-Highway Schwarzwald und auf der Baar

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Es war ein ziemlich kalter, unge- Wer auf dem Kirchweg zwischen Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist mütlicher Tag. Und passend zum Schollach und Urach wandert, der höchstgelegene Landkreis in Wetter geriet dann auch die Ver- entdeckt auf dem obersten Punkt Ba­­den-Würt­tem­berg – bezogen kehrsfreigabe des ersten Auto- im Wald, an der Ortsgrenze von auf die durchschnittliche Mee- bahnabschnittes im Schwarz­ Schollach und Urach, ein gut zwei reshöhe. Und dennoch ist er kein wald-Baar-Kreis zu einem recht Meter großes, geschnitztes Holz- Landkreis, den man unmittelbar sachlichen Ereignis. Damals, vor marterl. Gäbe es das Marterl des mit Bergen in Verbindung bringt. 40 Jahren, wurde der vierstreifi- Bildhauers Wolfgang Kleiser Die Dörfer Herzogenweiler und ge, 22,5 Kilometer lange Teilab- nicht – würde an diesem Ort Mistelbrunn liegen auf fast schnitt der Autobahn 81 zwi- nichts auf die heimtückische Er- 900 Meter Meereshöhe – und es schen den An­schluss­stellen mordung von fünf amerikani- gibt keine Berge dort. Der höchs- Villingen-Schwen­ningen und schen Soldaten im Jahr 1944 te Punkt befindet sich mit 1.164 m ­Geisingen freigegeben. durch die Nazis hinweisen. am Farnberg/Martinskapellen.

­6 Inhalt 172 Kloster St. Ursula ist geschlossen / Marga Schubert 180 Der Neudinger Klosterbrand 1852 / Rüdiger Schell 190 Das Bruderkirchle an der Steig / Wilfried Dold

8. Kapitel / Kunst Freizeit 202 elfi schmidt – Dem Himmel, der Erde so nah / Ursula Köhler Fliegenfischen an der 9. Kapitel / Zeitgeschehen 210 Grenzenlose Hilfe / Bernhard Lutz Breg bei Vöhrenbach 216 Donaueschingen – Historische Donauquelle ist grundlegend saniert / Andreas Beck

10. Kapitel / Berge 220 Berge im Schwarzwald und auf der Baar / Martin Fetscher

11. Kapitel / Die Brigachquelle 242 Wo die Donau zur Hälfte herkommt / Roland Sprich

12. Kapitel / Natur und Umwelt 248 Wildobstbäume – Baumserie Teil 10 / Wolf Hockenjos 252 Baar-Schnaps aus alten Obstsorten / Stephanie Jakober 258 Naturschutzgroßprojekt Baar / Thomas Kring 270 Am Rohrbacher Stöcklewaldturm: Fernsicht bis zum Montblanc / Wolf Hockenjos

13. Kapitel / Freizeit 278 Fliegenfischen an der Breg bei Vöhrenbach / Christian Kuchelmeister 286 Salinenwelt Bad Dürrheim / Günther Baumann

14. Kapitel / Gastlichkeit 293 Das Landhotel Thälerhäusle/Ochsen in Neukirch / Elke Schön 298 Die Waldau-Schänke: Einkehren am Fuß 278 der Burgruine / Stephanie Wetzig 15. Kapitel / Musik Die Breg bei Vöhrenbach ist bei 302 Die Dörr-Brüder: Zwei Gitarren und zwei Stimmen / Fliegenfischern begehrt. Der Nils Fabisch Hauptquellfluss der Donau weist in diesem Bereich ­eine Breite 16. Kapitel / Sport von drei bis acht Metern auf. Der 306 Schonach feiert 50 Jahre Schwarzwaldpokal / Peter Hettich reiche Bestand an Bach- und Regenbogen­forellen kommt in Anhang allen Altersstufen vor. Die Stre- 314 Almanach-Magazin cke gilt als sehr abwechslungs- 317 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis, reich, denn ruhige Staube­reiche Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen wechseln sich mit flotten Ab- 318 Bildnachweis schnitten – es finden sich flache 319 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Rieselstrecken und tiefe Rinnen. ­ 320 Ehrenliste der Freunde und Förderer

­7 „Schwarzwald-Baar“ – Identität in aller Welt

Heimat Schwarzwald-

Baar Dr. Rainer Gutknecht Landrat von 1973 - 1996 ­24 Im Dialog mit drei Landräten über das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Almanach und das, was Heimat ausmacht!

Sven Hinterseh Karl Heim Amtsantritt am 1. Juni 2012 Landrat von 1996 - 2012 ­25 Im Gespräch über „40 Jahre Almanach“ und das Thema „Heimat“, der erste Landrat des Schwarzwald-Baar-­ Kreises Dr. Rainer Gutknecht (links), sein Nachfolger Karl Heim (rechts) und der amtierende Landrat und Vorsit- zende der Almanach-Redaktion Sven Hinterseh.

uf dem höchsten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises, dem 1.164 Meter hohen bei Schonach, zeigen sich die früheren Landräte ADr. Rainer Gutknecht (1973 - 1996) und Karl Heim (1996 - 2012) sowie Landrat Sven Hinterseh (Amtsantritt am 1. Juni 2012) in einer Gesprächsrunde im Gasthaus „Schwedenschanze“ überzeugt, dass das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Alma- nach ­einen wertvollen Beitrag zum Zusammenwachsen der früheren Landkreise ­Villingen und Donaueschingen leisten konnte. Ihr Fazit mit Blick auf das 40-jährige Bestehen des Almanachs: Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch ist eine nicht ersetzbare Chronik des Landkreises, es prägt das Bild, das wir von unserer Heimat haben, viel- fach mit. Überhaupt „Heimat“ – was ist das? Die Gesprächspartner der Almanach- Redak­tion sind sich einig: Daheim fühlt man sich dort, wo einem die Menschen in ihre Gemeinschaft aufnehmen – Heimat ist somit entschieden mehr als eine Land- schaft oder die eigenen vier Wände. Und egal, wo man sich auf der Welt befindet: An „Daheim“ erinnert fühlen sich Menschen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis auch immer dann, wenn sie ein Kfz-Kennzeichen entdecken, das mit „VS“ beginnt.

­26 40 Jahre Almanach Zur Person Heimat ist, wo man sich wohlfühlt. Wo fühlen Sie sich wohl, wo sind Sie daheim? Dr. Rainer Gutknecht, 84 Jahre alt, ist mit drei Geschwistern in Rottweil aufgewachsen, wo sein Dr. Rainer Gutknecht: So schön fremde Län- Vater Bürgermeister war. Als die beiden Altkreise der auch sind – zu Hause fühle ich mich im Donaueschingen und Villingen zueinandergefunden Schwarzwald-Baar-Kreis. Ich reise meist mit hatten, wurde der Jurist zum ersten Landrat des der Bahn, das letzte Stück des Heimweges neuen Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt. Zu seinen somit auf der Schwarzwaldbahn. Wenn bei Verdiensten zählen neben der Begründung des Jahr- Triberg die Tunnelstrecken beginnen, wenn buches Almanach zahlreiche, grundlegende Verbes- Bauernhöfe, Wälder und Berge vorbeifliegen serungen bei der Infrastruktur im Landkreis, gerade – wenn ich all das sehe, dann fühle ich mich auch im Schulwesen. Aber besonders der Bau des wieder daheim. neuen Landrats­amtes am Villinger Hoptbühl, das als Heimat kennt natürlich viele Facetten, eine vorbildlich gilt. Dr. Gutknecht war von 1973 bis 1996 besonders wichtige ist die Kindheit. Als ich und damit 23 Jahre lang im Amt (s. Almanach 1997). zwei Jahre alt war, ist meine Familie von Stutt- gart nach Rottweil umgezogen – erst kürzlich war ich anlässlich eines Klassentreffens wieder Karl Heim, 65 Jahre alt, amtierte vom 1. Juni 1996 bis dort. Es war ein intensives, vertrautes Gefühl zum 31. Mai 2012 als Landrat des Schwarzwald­-Baar- durch die Stadt zu streifen und meine alten Kreises. Der Dipl.-Verwaltungswirt (FH) studierte Wege durch die Gassen aufzunehmen. Ich fühl- Verwaltungswissenschaften in Konstanz. Vor seiner te mich als junger Bub. Wahl fungierte er als Erster Landesbeamter und Doch besonders eng ist das „Daheimsein“ Stellvertreter des Landrates im Zollernalbkreis. mit Menschen verbunden. Erst wenn man das Als Höhepunkte der 16-jährigen Amtszeit gelten Gefühl hat, man wird in ihre Gemeinschaft u. a. die Optimierung der Verwaltungsstrukturen aufgenommen, fühlt man sich wirklich zu Hau- im Landratsamt, die Schaffung des Ringzugs und se, das habe ich so selbst erlebt. die maßgebliche Beteiligung am Bau des Schwarz- wald-Baar-Klinikums. Bei seiner Verabschiedung Karl Heim: Ich schließe mich dem an, wobei wird zudem die ausgleichende und sehr menschli- Heimat für mich die Region Schwarzwald-­ che Art seiner Kreispolitik mehrfach betont (s. dazu Baar-Heuberg ist. Besonders mein Geburtsort ­Almanach 2013). Boch­ingen, mit ihm sind meine Kindheitserin- nerungen verbunden. Wann habe ich mich im Schwarzwald-Baar- Sven Hinterseh, 43 Jahre alt, wurde am 26. März 2012 Kreis das erste Mal so richtig daheim gefühlt? zum dritten Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises Ich würde sagen, als wir in unser neues Haus in gewählt. In den Jahren 2001 bis 2003 war der Jurist Obereschach eingezogen sind. Als wir nach län- und Verwaltungswissenschaftler als Rechts- und gerer Suche ein Grundstück gefunden und ein Ordnungsdezernent bereits im Landratsamt in Villin- Haus gebaut hatten. Das war der Punkt, an dem gen-Schwenningen tätig. Danach folgten von 2003 ich mir sagte: „Jetzt hast du eine neue Heimat“. bis 2005 Stationen in Berlin bei der baden-würt- Obereschach ist eine überschaubare Ge- tembergischen Landesvertretung und von 2005 bis meinde mit funktionierendem Gemeinwesen 2010 bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bis ihn und herzlichen Menschen. Und das macht den sein Weg 2010 wieder zurück nach Baden-Württem- Heimatgedanken besonders aus, die Menschen berg ins Staatsministerium nach Stuttgart führte. um einen herum. Denn Heimat ist vor allem Dort leitete er die Grundsatzabteilung. Schließ- auch dort, wo man sich aufgenommen fühlt lich wechselte Sven Hinterseh ins ­Ministerium und sein soziales Umfeld hat. Nur dann schlägt Ländlicher Raum und Verbraucherschutz, stand als man Wurzeln – in Obereschach ist das bei uns Ministerialdirigent der Abteilung Naturschutz und der Fall. Tourismus vor.

Im Gespräch mit drei Landräten ­27 Wie sehr der Schwarzwald-Baar- Kreis bereits unsere Heimat ist, zeigt uns die Heimkehr von Reisen: Wir freuen uns auf unser Zuhau- se: die Baar und den Schwarzwald – auf Pfaffenweiler.

Sven Hinterseh Landrat seit 2012

Landrat Sven Hinterseh: Ich bin Südbadener, in wald-Baar-Kreis aus den Altkreisen Donau­ Oberrotweil aufgewachsen, das ist ein Ortsteil eschingen und Villingen begründet wurde. Vor der Stadt Vogtsburg im Kaiserstuhl. Wir hatten allem im jetzigen Südteil des Kreises waren die einen Wein- und Obstbaubetrieb – so fühlte ich Vorbehalte gegen das neue Gebilde spürbar. So mich schon früh auch in der Natur daheim. Ich suchte ich nach Möglichkeiten, das Verschmel- erinnere mich besonders gerne an die Gerüche. zen zu fördern. Ein Jahrbuch erschien mir als Im Juni ernteten wir die Kirschen und verarbei- ideal, darin konnte man über viele Aspekte teten sie – ihr Aroma durchströmte das ganze informieren – und regionale Bücher waren Haus. Im Oktober hing der frisch-würzige Duft damals eine Seltenheit. Die Förderung des Hei- der Äpfel in der Luft. Im Winterhalbjahr brannten matgefühls war ein weiterer Aspekt – das hat wir Schnaps. Ich habe ihn meist nicht getrunken, sich überschnitten. sondern gerochen – das ist ein wirklicher Genuss. Die Gelegenheit, die Anregung zum Alma- Seit über drei Jahren trage ich Verantwor- nach zu geben, bot sich in einem illustren Kreis: tung im Schwarzwald-Baar-Kreis und wohne bei einem „Literarischen Abend“ am Dreikönigs- mit meiner Familie in Pfaffenweiler. In diesem fest 1975 in Donaueschingen. Der Dichter und Teilort von Villingen-Schwenningen fühlten wir Reiseschriftsteller Max Rieple sollte die Aus- uns sofort Zuhause. Wie sehr der Ort schon Hei- gestaltung des Jahrbuches übernehmen, doch mat ist, zeigt uns die Heimkehr von Reisen: Wir seine Gesundheit ließ dies nicht mehr zu. freuen uns auf unser zuhause, an den Übergang von Schwarzwald und Baar – auf Pfaffenweiler. Wie darf man sich die Anfänge der Buchproduk- tion vorstellen? Sie haben den Almanach damals Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Almanach von Hand produziert, noch mit Druckfahnen hat dem neuen Landkreis zu mehr Identität ver­ gearbeitet. holfen, ihm ein Gesicht gegeben. Wie ist der ­Almanach entstanden? Dr. Rainer Gutknecht: Allein konnte ich diese Arbeit nicht bewältigen und es gelang mir, den Dr. Rainer Gutknecht: Da muss ich an die Schulamtsdirektor Helmut Heinrich für die Idee ­Anfänge im Jahr 1973 erinnern, als der Schwarz- zu gewinnen. Er saß im Kreistag und vertrat in

­28 40 Jahre Almanach Vor allem im jetzigen Südteil des Kreises waren die Vorbehal- te gegen den neuen Landkreis spürbar. So suchte ich nach Mög- lichkeiten, das Ver- schmelzen zu fördern. Ein Jahrbuch erschien mir als ideal.

Dr. Rainer Gutknecht Landrat von 1973 - 1996

der Redaktion die nördliche Kreishälfte. Zweiter Buch komme höchstens zweimal raus... Und Mitstreiter war Dr. Lorenz Honold, Redakteur in der Tat war die Geburt des Almanach eine bei der Badischen Zeitung in Donaueschingen. schwierige, denn die Finanzierung war langfris- Honold war gebürtiger Riedböhringer, ein sehr tig nicht gesichert. gebildeter Mann. Die Herstellungskosten konnte man nicht Der Almanach 1977 hatte 74 Seiten und allesamt auf den Preis umschlagen, der muss einen Pappkarton als Umschlag. Die nächsten attraktiv sein. So hielt ich meine Verfügungs- Ausgaben wurden bereits umfangreicher – der mittel gut zusammen und konnte zudem Erfolg war von Anfang an groß. Sponsoren für das Projekt gewinnen. Meinem Die Arbeit am Almanach beschäftigte mich Nachfolger Landrat Karl Heim gelang es schließ- das gesamte Jahr über. Es galt, Themen zu sam- lich, eine Haushaltsstelle für das Jahrbuch zu meln, Autoren und Fotografen zu finden. Der ei- etablieren – ein großer Erfolg. gentliche Umbruch in meinem Büro dauerte ein- einhalb Tage. Es war eine faszinierende Aufgabe, Karl Heim: Ich glaube, gerade wenn man so jedes Jahr ein neues Buch zu gestalten. Stets wa- etwas beginnt, hat man ordentlich Gegenwind, ren wir darauf bedacht, die Kreisregionen gleich- deshalb bewundere ich Sie, dass Sie es über gewichtig zu behandeln. In der Rückschau kann Jahrzehnte durchgehalten haben, den Alma- ich sagen: Insgesamt ist uns das gut geglückt. nach auf diese Art und Weise zu produzieren. Aus Altersgründen schieden Dr. Lorenz Sie haben es geschafft, den Almanach so zu Honold (1987) und Helmut Heinrich (1990) aus. verinner­lichen, in der Bevölkerung und auch im Neu in das Team wurde 1988 Karl Volk, Grem- Kreistag, dass ich als frisch gewählter Landrat melsbach, berufen, 1990 wurde kraft Amtes 1996 fast bittend gefragt worden bin: „Herr Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm Mitglied und Heim, wie ist es mit dem ­Almanach, werden 1996 Wilfried Dold, Vöhrenbach. Sie ihn weiterführen?“ So kam es, dass wir den Wenn ich sehe, was aus dem Almanach ge- Almanach durch eine eigene Haushaltsstelle fi- worden ist, dann muss ich meinen Nachfolgern nanzierten. Als ich damals eingestiegen bin, war ein großes Dankeschön sagen – ich hätte nicht das auch der Zeitpunkt eines technologischen gedacht, dass es so gut weiter geht. Am Anfang Sprungs, die drucktechnischen Möglichkeiten gab es sicher Leute, die geglaubt haben, dieses hatten sich grundlegend verändert.

Im Gespräch mit drei Landräten ­29 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Lioba Kühne Matthias Wiehle

66 70

Ingrid Schyle Albrecht Benzing

44 4. Kapitel – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar uf die Frage, was und wo Heimat ist, folgt nicht selten mehr als eine Ant­wort. AEines aber gilt für alle Frauen und Männer, die im Rahmen unserer Portrait­serie „Daheim im Schwarzwald und auf der Baar“ vorgestellt werden: Sie fühlen sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis daheim. Das schließt nicht aus, dass sie überall auf der Welt unterwegs sind wie der Hüfinger Pilot Matthias Wiehle – oder an einem Ort ganz besonders hängen wie Ingrid Schyle am Skidorf Schonach. Die Landärztin Dr. med. Lioba Kühne praktiziert dort mit Herz und Seele, wo sie glücklich aufge- wachsen ist: in Furtwangen. Kunsttherapeutin Anke Jentzsch fühlt sich in Marbach bei ihren Bienen daheim, Geschäftsführer Laurent Lebas als gebürtiger Franzose in Villingen. Wie Bärbel Brüderle, die sich dem Erhalt der Muttersprache verschrieben hat. Und die Unternehmerin Ute Grießhaber hat als Kind der Doppelstadt heute in Obereschach ihr Zuhause. Albrecht Benzing indes ist Schwenninger – er hilft Flücht- lingen, bei uns eine neue Heimat zu finden. Heimat kennt viele Facetten.

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Ute Grießhaber Laurent Lebas

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Anke Jentzsch Bärbel Brüderle

­45 Aus dem einstigen Flücht- lingsmädchen Senayt ist eine junge Frau geworden, die mitten im Leben steht. Albrecht Benzing freut sich, dass sein Schützling nun so- gar als Werbeträgerin ihres Arbeitgebers fungiert. Albrecht Benzing vom Landesarbeitskreis Asyl zeigt en unter unterschiedlichen Nationalitäten seien einer Flüchtlingsfamilie das neue Zuhause. Die Auf- da zum Beispiel vorgekommen, hin und wieder nahme stammt aus dem Jahr 1989. seien auch Leute mit krimineller Energie unter den Neuankömmlingen gewesen. Und dann waren da noch kulturelle Differenzen. Sozialbe- Zu der Zeit war er bereits seit einigen Jahren treuung heißt in diesem Fall das Zauberwort – in der Flüchtlingsarbeit tätig. Vorausgegangen und da kann man schon mit ganz wenigen Klei- war ein Hilferuf aus Donaueschingen. Dort war nigkeiten oft große Wirkung erzielen, berichtet 1983 eine Asylbewerberunterkunft eingerichtet der Fachmann. Immer wieder – das beobachtet worden. Konflikte mit der Bevölkerung tauch- er auch heute noch – ließen manche der Flücht- ten auf und die Caritas-Sozialbetreuung wandte linge die Türen im Asylbewerberheim tempera- sich auf der Suche nach Unterstützung auch an mentvoll, lautstark ins Schloss fallen, wenn sie die Friedensgruppe der evangelischen Kirchen- einen Raum verließen. Der Schwenninger nahm gemeinde Villingen-Schwenningen. Albrecht und nimmt die Leute zur Seite, zeigt ihnen, wie Benzing, selbst schon länger in der kirchlichen man eine Tür auch leise zumachen kann und, Friedensarbeit tätig, half mit, Vorurteile ab- und dass das hierzulande einfach einen besseren einen Dialog zwischen Behörden, Flüchtlingen Eindruck macht und durchaus als respektvolle und den Einheimischen aufzubauen. Gegensei- Geste durchgeht. Dankbarkeit war und ist in tig Achtung haben und Toleranz wahren, das den allermeisten Fällen die spontane Reaktion, waren dabei die Leitlinien. die meisten hatten das schlicht und ergreifend einfach nicht gewusst und sich darüber auch noch nie Gedanken gemacht. Neue Hoffnung für Familien Pragmatisch muss Flüchtlingsarbeit sein, da ist sich Albrecht Benzing sicher. In Villin- „Schwierigkeiten gab es und gibt es natürlich“, gen-Schwenningen wurde 1985 in der Gewer- beschönigt Albrecht Benzing nichts. Schlägerei- bestraße 20 eine Gemeinschaftsunterkunft

­72 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar eingerichtet. Ein ökumenischer Arbeitskreis der Johanneskirche und der Mariä-Himmelfahrts- Die Eltern leisten mutige Kirche wurde gegründet, der auch gegen Hetze Hilfe für Juden und Angstmache vorging und das Schüren von Vorurteilen bekämpfte. Benzing betreute im ilfe für andere – ein Familienerbe, Men- Auftrag der evangelischen Kirchengemeinde Hschen in Not zu helfen, das war in der bis zu 150 Personen, zunächst hauptsächlich Familie Benzing schon immer eine Selbst- Flüchtlinge aus Bangladesch, Tamilen aus Sri verständlichkeit, sogar in Zeiten, in denen Lanka, Eritreer oder aramäische Christen aus man sich damit selbst gefährdete. Albrecht der Südosttürkei. Er bot Beratung und materi- Benzings Eltern Lydia und Eberhard Benzing elle Hilfe an, unterstützte die Menschen bei der haben sich bereits für Flüchtlinge und Ver- Wohnungs- und Arbeitssuche und bei Familien- folgte eingesetzt; im Kreis um Margarete zusammenführungen und er half als Beistand Hoffer halfen die Schwenninger während der bei Behörden und Institutionen. Nazizeit mehreren jüdischen Personen, die Immer wieder erwies sich auch die Woh- so über Schwenningen in die Schweiz fliehen nungssuche für jene oft kinderreichen Familien, konnten, 50, vielleicht 60 Menschen wurden deren Asylantrag bereits bewilligt wurde, als auf diese Weise unterstützt. äußerst schwierig bis tatsächlich unmöglich. Die Flucht gelang versteckt im Lkw, der in Albrecht Benzing suchte nach einer pragmati- Schwenningen produzierte Schuhe in die Eid- schen Lösung – und fand sie. Die Stiftung „Neue genossenschaft brachte; Vater Benzing war Hoffnung“ wurde gegründet und mit Unterstüt- Betriebsleiter in der Schuhfabrik. Der kleine zung von Förderern und Helfern wurden meh- Albrecht, Jahrgang 1935, wurde damals als rere Häuser gekauft, in denen die Familien zur unverdächtiger Botengänger eingesetzt. 1945 Miete in die Wohnungen einziehen konnten. war bei Benzings außerdem über ein Jahr lang eine Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen ein- quartiert. Ähnliches war bekanntlich auch bei Hilfe für Tausende von Menschen anderen Einheimischen der Fall, die Besonder- heit hier war allerdings, dass Mutter Benzing Zahlreiche Menschen wurden derweil auch kur- keine Sekunde zögerte, freiwillig Wohnraum zerhand im Hause Benzing untergebracht. Die anzubieten, nachdem sie das Elend der Eritreerin Josief Kibra und ihre fünf Kinder waren ankommenden Menschen und die schiere oft da; der Nachwuchs wurde im Winter im Notwendigkeit erkannt hatte, hier spontan zu Schlitten durch den Schwenninger Schnee ge- helfen. zogen und plantschte im Sommer im Benzing­ schen Garten im Wasserkübel herum, eben so, als wären es die eigenen Kinder, ein ganz normales, glückliches Leben führend. Wenn Albrecht Benzing im Familienalbum blättert, die Aufnahmen zeigt und davon erzählt, sagt er auch: „Das war ein Segen.“ Kurz und knapp bringt er so auf den Punkt, wie sehr es ihn und seine Frau freute, anderen ein Stück weit Normalität und Geborgenheit zu vermitteln. Heute sind die Kinder von damals längst er-

Kinder aus Eritrea erleben als Gäste der Familie Benzing in Schwenningen erstmals einen Winter.

Albrecht Benzing ­73 In vielen Arbeitskreisen aktiv

n vielen Arbeitskreisen und an runden Ti- Ischen ist Albrecht Benzing aktiv: 1989 war er Gründungs- und Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Asyl Baden-Württemberg, der als Koordinierungsstelle zwischen den Basis- gruppen und der Landesregierung ins Leben gerufen wurde und heute als Flüchtlingsrat Baden-Württemberg firmiert. Seit 1985 ist Benzing Vertreter der Evangelischen Kirchen- gemeinde Schwenningen als Flüchtlingsbe- Freude über den Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung. auftragter; er arbeitet außerdem seit 1996 als Bezirksbeauftragter des Evangelischen wachsen,haben ihre Schulausbildung beendet, Dekanats Tuttlingen für Flüchtlingsarbeit Berufe erlernt und sind nun gut integriert in die und Migration und ist ebenfalls seit den früher für sie fremde Gesellschaft; das gilt für 1990ern Beauftragter der Landeskirche; er diese Familie und sehr viele weitere auch. engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft Da wäre etwa die junge Senayt, auf die christlicher Kirchen Villingen-Schwenningen Benzings besonders stolz sind; sie wuchs bei mit dem Arbeitskreis Asyl; dieser besteht seit ihnen auf, machte ihren Realschulabschluss, 2014 und hat zirka 30 Mitglieder; aktuell soll lernte Arzthelferin, bildete sich in der Altenhilfe eine Schreibstube aufgebaut werden, um weiter, wo sie nun mit großem Einsatz tätig ist. zum Beispiel Anträge auszufüllen. Mittlerweile hat sie eine eigene Familie mit drei Kindern. Erfolgsgeschichten sind das, ebenso wie jene eines Tamilen – Albrecht Benzing nennt ihn ziemlich stolz „mein Udaykumar“ ist er dort tätig; etwa zur gleichen Zeit flatterte –, der allein und einsam einst hier ankam, zur dann auch noch die deutsche Staatsbürger- Schwenninger Firma Hechinger vermittelt, dort schaft ins Haus – ein Moment großer Freude schnell Vorarbeiter wurde, eine Familie gründen auch für die Familie Benzing. konnte und heute als vereidigter Dolmetscher Diese zählt die Menschen nicht, denen sie selbst hilft, wann immer es nötig ist. Vor zwei hilft. Tausende dürften es im Laufe der Jahre Jahren hat der ehemalige Asylbewerber bei He- gewesen sein, um die sich Albrecht Benzing chinger sein Dienstjubiläum gefeiert, 25 Jahre mit Unterstützung seiner Frau im ganzen Land gekümmert hat, sie kamen aus sicher über 300 Staaten aus aller Welt. Natürlich erlebt er auch Enttäuschungen, wenn mühsam vermittelte Arbeitsstellen zum Beispiel einfach nicht an- getreten werden. Da wird der Schwenninger zornig und wütend, dafür hat er kein Verständ- nis. In den allermeisten Fällen aber erlebt er Dankbarkeit und den Willen der Leute, selbst aktiv zu werden, um ein besseres Leben führen zu können. Hilfe zur Selbsthilfe will er leisten, Vertrauen aufbauen und dabei aber niemanden in Watte Karin Benzing mit Gästen aus Eritrea. packen, vor allem nicht die Erwachsenen, mit

­74 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar denen man „durchaus Tacheles reden kann.“ Besser könnte hingegen seiner Ansicht nach die Zusammenarbeit zwischen Ämtern und Behör- den und der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit sein, dann ginge manches auch leichter; oft sei die Auseinandersetzung da zermürbend und aufreibend. Wie es trotzdem klappt? „Mit Ge- sprächen, Schreiben und viel Hartnäckigkeit.“ Mit der Zeit wurde er Fachmann in Einwande- rungsfragen und im Aufenthaltsrecht, in seinem Büro stehen aberhunderte Akten mit vielen Einzelfalldokumentationen und vielen Daten zur Gesetzeslage. Immer wieder versuchte er auch, vor dem Verwaltungsgericht etwas zu erreichen und zum Beispiel Härtefallregelungen zur Anwendung zu bringen. Und: Er ist bestens vernetzt, kennt viele Akteure, darunter auch po- litisch Verantwortliche.

Albrecht Benzing (rechts) nutzt seine Ehrung beim Der 80-jährige Albrecht Benzing: „Ich mache Internationalen Tag der Migranten durch Staatsmi- weiter, solange die Kraft reicht“ nisterin Aydan Özoğuz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, zu einem Plausch mit Benzings Einsatz für die soziale Integration Außenminister Frank-Walter Steinmeier. von Flüchtlingen wurde schon oft gewürdigt. Das Kronenkreuz der Diakonie wurde ihm vor 15 Jahren verliehen, diese Auszeichnung nahm Jahre alt geworden – unglaublich, wenn man er ausdrücklich im Namen aller Engagierten ihn in seiner ganzen Agilität erlebt. Die Energie, entgegen; das Bundesverdienstkreuz und an- mit der er sich Tag für Tag neu ans Werk macht, dere Ehrungen schlug er unterdessen aus. Im anderen Menschen zu helfen, ist offenbar Dezember 2014 dann reiste er doch mal nach ungebrochen. „Ich mache weiter, solange die Berlin, um anlässlich des Internationalen Tags Kraft reicht“, sagt Albrecht Benzing äußerst der Migranten eine Ehrung von Staatsministe- entschlossen und meint damit auch ein ent- rin Aydan Özoğuz im Auswärtigen Amt entge- schiedenes Eintreten gegen Fremdenhass und genzunehmen, die ihm diese anerkennenden rassistische Hetze. Worte mit zurück in die süddeutsche Heimat Wichtig ist ihm zudem, den Unterstützer- gab: „Sie schaffen Begegnungen, bauen Ängste kreis zusammenzuhalten, damit die Arbeit, die ab und erleichtern das Ankommen in Deutsch- er so außergewöhnlich begonnen und jahrzehn- land.“ Das hat ihm gefallen, ebenso wie der kurze telang praktiziert hat, auch erfolgreich weiter- Plausch mit Außenminister Frank-Walter Stein- geführt werden kann, gerade auch jetzt, wo meier, der bei der Feier neben ihm stand und ihm wieder viele Flüchtlinge ins Land kommen. ebenfalls Hochachtung für seine Arbeit zollte. Dass es ein Engagement wie seines wohl Im September 2015 ist der drahtige, sport- so nicht noch einmal geben wird, das weiß er liche Mann, der „zum Ausgleich und weil es selbst, auch wenn er das nie so sagen würde. Spaß macht“ gerne aufs Fahrrad steigt, zwei Für ihn war jedenfalls alles folgerichtig und ein- Mal pro Woche im Schwimmbad seine Runden fach nur konsequent. dreht und sich zudem gerne mit seiner Frau Rückblickend sagt er: „Ich würde es genau zusammen um die Enkelkinder kümmert, 80 so wieder machen.“

Albrecht Benzing ­75 Unterwegs auf dem Spätzle-Highway

­140 Autobahn 81 Avon Daniela81 Schneider

Der Spätzle-Highway ­141 Es war ein ziemlich kalter, ungemütlicher Tag, jener 10. Dezember 1975. Und passend zum Wetter geriet dann auch die Verkehrsfreigabe des ersten Auto­ bahnabschnittes im Schwarzwald-Baar-Kreis zu einem recht sachlichen und wenig festlichen Ereignis. Damals, vor 40 Jahren, wurde der vierstreifige, 22,5 Kilometer lange Teilabschnitt der Autobahn 81 zwischen den Anschluss­ Estellen Villingen-Schwenningen und Geisingen freigegeben.

Sollte es da nicht ein großes Brimborium, Volks­ feststimmung und Freudentänze geben? Fehl­ anzeige! Wie wenig feierlich es zuging, zeigt eine Aktennotiz der Stadtverwaltung Villin­ gen-Schwenningen: „Eine offizielle Feier findet nicht statt... Bei der Inbetriebnahme der Au­ tobahn wird lediglich die Schranke beiseitege­ schoben und die Strecke abgefahren“, hieß es damals. Und tatsächlich: Der Schwarzwälder Bote zum Beispiel präsentierte anderntags ein Foto mit Landrat Dr. Rainer Gutknecht, Staatsse­ kretär Ernst Haar (SPD) vom Bundesverkehrsmi­ nisterium und Villingen-Schwenningens Ober­ bürgermeister Dr. Gerhard Gebauer samt dicker Fellmütze im kalten Winter. Drunter stand: „Die bescheidene Form der Übergabe des Autobahn­ teilstücks... hatte zur Folge, dass auch nur wenig Prominenz das Ereignis verfolgte.“ Kurz und schmerzlos: die Verkehrsfreigabe des Und in der Stuttgarter Zeitung war zu lesen, Schwarzwald-Baar-Abschnitts im Dezember 1975 dass die neue Strecke, obwohl im Badischen lie­ Vorne v. links: Landrat Dr. Rainer Gutknecht, Staats­ gend, dennoch „mit schwäbischer Sparsamkeit sekretär Ernst Haar und OB Dr. Gerhard Gebauer dem Verkehr übergeben“ wurde, ganz „ohne ­(historischer Zeitungsausschnitt). Reden und Festschmaus“, so habe es Landes- Wirtschaftsminister Eberle durchgesetzt. Weiter heißt es: „Im Bonner Verkehrsministerium wäre Rechte Seite: Verlauf der A 81, aus: Bundesautobahn man nicht abgeneigt gewesen, ein wenig zu fei­ A 81 Singen-Stuttgart, herausgegeben vom Bundes- ern“, doch stattdessen würden „nur die Sperren minister für Verkehr und vom Minister für Wirtschaft, zur Seite geräumt und die Hüllen von den Weg­ Mittelstand und Verkehr Baden-Württemberg, 1978. weisern gezogen“. S. H. Stegmaier, Stuttgart.

­142 6. Kapitel – Autobahn 81 Der Spätzle-Highway ­143 Die A 81 in Höhe von Weigheim, östlichster der elf Stadtbezirke von Villingen-Schwenningen. Die als „Kleeblatt“ ausgeführte Anschlussstelle Villingen-Schwenningen. Die als Stahlbeton-Bogenbrücke mit 154 Meter Spannweite bei einer Gesamtlänge von 365 Metern ausgeführte Neckartalbrücke.

Die Unvollendete Gärtringen und dem Autobahnkreuz Leonberg, das für 1984 oder 1985 terminiert war, bis heute Der Bau der Autobahn sollte im Süden eigentlich noch nicht gebaut ist. Der Verkehr weicht statt­ ans Schweizer Fernstraßennetz bei Schaffhau­ dessen ein Stückweit auf die A 831 bis Vaihin­ sen anschließen; daraus wurde aber bis heute gen und von dort auf die A 8 aus (die weiter nichts, die Autobahn endet im Singener Ortsteil Richtung Westen bis zur A 5 führt), um dann in Gottmadingen. Dabei hatten es die Politiker Richtung Norden wieder auf die A 81 zu treffen. in den 1970er-Jahren doch eigentlich anders Angedacht war auch einmal, den Zubringer vorausgesagt: Der baden-württembergische Donaueschingen als A 86 nach Neustadt und Wirtschafts- und Verkehrsminister Dr. Rudolf Freiburg weiterzuführen. Und: Von Singen aus Eberle erklärte zum Beispiel im Jahr 1978: „Die war der Bau der A 881 in Richtung Konstanz und A 81 ist Teil einer Nord-Süd-Traversalen, ...die in der A 98 in Richtung Überlingen und Lindau wenigen Jahren über die schon in Bauvorberei­ angedacht – in allen Fällen blieb es bis heute tung befindliche Fortsetzung von Singen nach beim Wunsch, realisiert wurde davon bekannt­ Bietingen Anschluss an das Schweizer National­ lich nichts. Und dann wäre da noch ein einst­ straßennetz finden wird.“ Das war ein Irrtum, malig bei Öfingen geplanter Tunnel, denn nach wie man heute nun also weiß. Osten hätte die Autobahn weiter gen Tuttlingen Hinzu kommt, dass das ebenfalls ursprüng­ führen sollen in Verlängerung des Zubringers lich geplante zirka 19 Kilometer lange Teilstück Donaueschingen (heute A 864), auch daraus zwischen dem Autobahnkreuz Herrenberg bei wurde letztlich nichts.

Autobahn 81 ­157 Die A 81 in Zahlen

Kosten Höhe Für die Bodenseeautobahn wurden laut Bun­ Die Strecke steigt gemächlich von 450 Me­ desverkehrsministerium für Bau und Grund­ tern südlich des Schönbuchs auf 700 Meter stückserwerb Kosten in Höhe von insgesamt am Rande der Baar bis zum Scheitelpunkt auf 917 Millionen DM fällig. Der Zubringer Donau­ 782 Meter auf der Alb an; beim raschen Abstieg eschingen kostete zudem zusätzliche 43 Millio­ in den Hegau werden 535 Meter und bei Singen nen DM. 445 Meter erreicht.

Länge Baugeschichte Die A 81 ist insgesamt von Würzburg bis Singen Planungsbeginn einer Autobahn zwischen 276 Kilometer lang; die sogenannte Bodensee­ Stuttgart und dem Bodensee war schon vor autobahn – also die Strecke vom Gärtringer Kreuz dem Zweiten Weltkrieg; 1938 wurde der erste bis Singen-Gottmadingen – umfasst 119 Kilome­ Abschnitt zwischen Ludwigsburg und Leonberg ter; hinzu kommt noch der 6,9 Kilometer lange als Reichsautobahnstrecke 39 fertiggestellt. In Zubringer Donaueschingen, also die A 864. den Netzplänen der Nationalsozialisten war

­158 Autobahn 81 dann auch eine Verbindung Stuttgart-Donau­ eschingen-Schaffhausenorgesehen. v Diese Planung wurde während des Krieges einge­ stellt; 1961 wurde sie wieder aufgenommen. Am 2. Juni 1969 erfolgte mit dem „ersten Ramm­ schlag“ für die Donautalbrücke bei Geisingen der offizielle Beginn der Bauarbeiten an der Strecke Stuttgart- Singen. 1973 wurde die Stre­ cke zwischen den Anschlussstellen Geisingen und Engen freigegeben, 1975 im Dezember zwi­ schen Villingen-Schwenningen und Geisingen und zwischen Engen und Singen. 1977 rollte der Verkehr dann auch zwischen Rottweil-Villingen­ dorf und Villingen-Schwenningen. 1978 folgten die Freigaben der Strecken zwischen dem Auto­ bahnkreuz Herrenberg bis zur Anschlussstelle Herrenberg und zwischen Herrenberg und Rot­ tenburg. Im Dezember 1977 wurden das letzte Stück zwischen Rottenburg und Rottweil-Villin­ gendorf und der Zubringer Donaueschingen für den Verkehr freigegeben. Es gab 13 Planfeststellungsverfahren, 32 Flurbereinigungsverfahren und 1.150 Hektar Grunderwerb durch den Bund. Beim Bau der A 81 verunglückten insgesamt sieben Männer tödlich.

Bauwerke Bestimmt durch die abwechslungsreiche Topo­ graphie (Schönbuch, Neckartal und Donautal und Hegau) und wechselhafte geologische Verhältnisse wurden 180 Bauwerke zwischen Stuttgart und Singen und auf dem Zubringer Donaueschingen erstellt, darunter 18 Talbrü­ cken, 113 Unterführungen, 53 Überführungen und der Schönbuchtunnel bei Herrenberg. Es gibt 27 Rastplätze und beidseitige Tank­ stellen mit Raststätten bei Herrenberg (Schön­ buch Ost und West) und bei Rottweil (Neckar­ burg Ost und West) und die Raststätten Hegau Ost und West bei Engen.

Impressionen entlang der A 81 – oben links in Höhe des Unterhölzer Waldes, unten links kurz vor dem Kreuz Bad Dürrheim und rechts Parkplatz unterhalb der Blatthalde. Täglich sind hier ca. 50.000 Fahrzeuge unterwegs.

Der Spätzle-Highway ­159 160 7. Kapitel – Geschichte Der letzte Weg

Ein Marterl am Kirchweg von Urach nach Schollach erinnert an fünf heimtückische Morde

von Rolf Ebnet

­161 Wer auf dem idyllischen Kirchweg zwischen Schollach und Urach wandert, wird auf dem obersten Punkt im Wald, genau auf der Schollacher/Uracher Ortsgrenze ein gut zwei Meter großes, geschnitztes Holzmarterl entdecken.­ Den meisten Bürgern aus der näheren Umgebung ist es seit der Einwei­ hung am 19. Juli 2014 bekannt und viele von ihnen zieht es immer wieder an den Ort, an dem heute – gäbe es das Marterl des Hammereisenbacher Bildhauers Wolfgang Kleiser nicht – so gar nichts auf ein heimtückisches ­Verbrechen während der Naziherrschaft im Jahr 1944 hindeutet.

Leonhard A. Kornblau Bernhard A. Radomski Charles E. Woolf

Meredith M. Mills Jr. Frank L. Misiak

Die fünf am 21. Juli 1944 im Bereich des Uracher Kirchweges an der ­Gemarkungsgrenze zu Schollach und auf dem Schollacher Treibenweg ­ermordeten amerikanischen Soldaten.

­162 Geschichte Einweihung des Gedenkkreuzes auf der Höhe zwischen Urach und Schollach am 19. Juli 2014. Das Foto zeigt Initiator Wolf Hockenjos (von links), Pfarrer Martin Schäuble, Bildhauer Wolfgang Kleiser und Buchautor Rolf Ebnet. Die Morde an den fünf amerikanischen Soldaten geschahen am 21. Juli 1944.

Fünf Namen und ein kurzer Satz zum Schick- derbolt“ in England und Italien. Diese konnten sal der jungen Männer sind in das Marterl ab Mai 1944 mit Zusatztanks jeden Ort des Drit- geschnitzt: „Am 21.07.1944 wurden hier drei, ten Reiches erreichen und die Bomberarmada unweit von hier zwei weitere amerikanische bis tief ins Deutsche Reich vor Angriffen deut- Flieger auf Anordnung der NS-Kreisleitung er- scher Jagdflieger schützen. mordet.“ Die Bombardierungen gegen Hitlerdeutsch- Wie kam es zu der Ermordung der fünf land erfolgten durch England vornehmlich in amerikanischen Soldaten? Schon zu Beginn des der Nacht und durch Amerika am Tag. Angegrif- Jahres 1943 hatte das Kriegsgeschehen mit dem fen wurden hauptsächlich militärische Ziele, Fall von Stalingrad eine deutliche Wende zu Verkehrsanlagen und die deutsche Rüstungsin- Ungunsten des Deutschen Reiches genommen. dustrie. Italien war im Sommer 1943 aus dem Achsen- Die in England und Italien stationierten bündnis ausgeschieden. Die Armeen des Dritten amerikanischen Luftflotten waren zwischen- Reiches befanden sich auf dem Rückzug. Am zeitlich in der Lage, von beiden Standorten aus 6. Juni 1944 landeten die Alliierten unter großen bis zu 1.200 Bomber und ebenso viele Begleitjä- Anstrengungen in der Normandie. Bereits im ger an einem Tag in die Luft zu bringen, sodass Frühjahr 1944 besaßen die Alliierten, insbeson- eine gewaltige Luftmacht Deutschland aus der dere die Amerikaner, große Bomberflotten in Luft bekämpfte. Die deutschen Abwehrjäger Süditalien und England. waren zu der Zeit schon hoffnungslos unter- Anfang 1944 erschienen die ersten Begleit­ legen. Die deutsche Luftwaffe war bereits zur jäger vom Typ P-51D „Mustang“ und P-47 „Thun- reinen Reichsverteidigung übergegangen. Am

Der letzte Weg ­163 Das Bruder­kirchle an der Steig

Geheimnisvoll, heimelig und verwunschen – Wo der Sage nach sieben Jungfrauen den Flammentod starben von Wilfried Dold

­190

Opferkerzen beim Marienaltar und Blick in die Brunnenstube vor der Kapelle mit der Jahreszahl 1742.

Es ist still im Bruderkirchle, einzig Kerzenlichter Schrift: „Ich bitte ­darum, dass es meiner Mama flackern im Luftzug – man ist mit seinen Ge- bald wieder besser geht.“ Ein Jakobswanderer danken allein. Die brennenden Opferkerzen auf schreibt: „Auf dem Weg nach Santiago, bleib bei dem gusseisernen Ständer vor dem Marienaltar mir!“ und zwei Einträge ins Sorgenbuch am rechten Seiten­altar bezeugen: Auch heute herrscht ein reges Kommen und Gehen. Das Kirchlein an der Prozessionen zum Bruderkirchle alten Straße nach Villingen, am Gewann Steig abseits der Stadt gelegen, erfreut sich großer Das Bruderkirchle ist zugleich die Michaels-­ Beliebtheit: ­Einen Tag ohne Besucher, den gibt kapelle. Mit seiner ungewöhnlichen Geschichte es hier nicht. Schon im Mittelalter glaubten und der reichen Sagenwelt haben sich seit jeher die Menschen, dass vom Bruderkirchle eine ge- viele Historiker befasst. Einer der besten Kenner heimnisvolle Kraft ausgeht. Von einem Ort, an des Bruderkirchles war der Donau­eschinger dem der Sage nach entweder die Hunnen sieben Stadtpfarrer Monsignore Dr. Heinrich Feurstein fromme Frauen verbrannten oder diese sieben (1877 - 1942). Er erforschte zur Zeit des Ersten Frauen als Engel in den Himmel entschwebten, Weltkriegs als wohl erster die Geschichte des als sie von den Hunnen geraubt werden sollten. Kirchleins auf wissenschaftlicher Basis – auch Die Zeit der Wallfahrten zum Bruderkirchle vor Ort in Vöhrenbach. ist lange vorbei – mit ihren Anliegen aber Heinrich Feurstein starb später im KZ, wurde kommen die Menschen noch immer hierher. nach seiner Neujahrspredigt am 7. Januar 1942 Wer sich Gesundheit für Angehörige, Freunde von der Gestapo festgenommen und am 5. Juni oder sich selbst wünscht; wer eine Prüfung zu 1942 nach Dachau verbracht. Dort erlag der bestehen hat, eine lange Reise antritt oder um Geistliche im Juli den Folgen der Haft. Lebenshilfe bittet, fühlt sich in der Stille des Die ältesten Spuren einer Verehrung der Bruderkirchles geborgen und gehört. Etliche der sieben Frauen finden sich um 1600 im Jahrzeit- Anliegen finden sich im Sorgenbuch: „Lieber buch der Pfarrei Vöhrenbach. In diesem Anni- Gott, mach, dass meine Enkel bald ganz gesund versarbuch entdeckte Dr. Heinrich Feurstein sind“, steht darin zu lesen. Oder: „Stehe meiner den Eintrag von der Hand eines Kalligraphen: Tochter bei, dass sie bald einen neuen Arbeits- „Dominica proxima post Festum S. Trinitatis platz findet.“ Ein Kind wünscht sich in zierlicher est vera Dedicatio apud Septem mulieres auf

­192 Geschichte Blick ins Bruderkirchle, die Decken- und Wandgemälde stammen vom Vöhrenbacher Kunstmaler Johann Dorer (1883 - 1915). Er hat sie in den Jahren 1909/10 geschaffen.

der Staig“, d. h. am Sonntag nach Dreifaltigkeit geweiht. Die erste Nennung einer Kirchpflege ist der eigentliche Kirchweihtag bei den sieben zum hl. Michael geschieht in einem Kaufbrief Frauen auf der Steig. des Jahres 1563. Im Jahre 1596 ist in der Mesner­ Diese kirchliche Feier scheint bald eine Aus- dienstordnung von Opfergaben „gleich hie (in gestaltung erfahren zu haben, denn ein Nach- der Pfarrkirche) oder auf der Steig „die Rede“. trag von der Hand des Pfarrers Johann Brugger Irgend eine andere schriftliche Bezeugung aus aus der Zeit um 1640 meldet: „Man zog in Pro- älterer Zeit liegt nicht vor.“ zession nach der Steig und veranstaltete dort Einen weiteren wertvollen Hinweis fand der einen Opfergang.“ Vöhrenbacher Chronist Prof. Dr. Karl S. Bader Die Ergebnisse seiner Forschungen ver- in den Kirchenakten des Fürstlichen Archivs in öffentlicht Dr. Heinrich Feurstein 1933 in den Donaueschingen. In einem Bericht zum Vöhren- Mitteilungen des Vereins für Geschichte und bacher Stadtbrand von 1639 heißt es, dass die Naturgeschichte der Baar: „Das Kirchlein selbst Gottesdienste übergangsweise „in dem Kirch- war und ist heute dem hl. Erzengel Michael lin an der Steig gen Villingen, gemeinhin das

Das Bruderkirchle in Vöhrenbach ­193 Broder Kirchlin genannt“ abgehalten „Das durch seinen Die Verwünschungen der sieben werden. Schon zu dieser Zeit gab es Silberbergbau Jungfrauen somit Wallfahrten und lebte im Bru- reich gewordene derkirchle ein Mönch. Um 1580 woll- Die zweite Sage ist wesentlich ten die Fürstenberger dort auch den Vöhrenbach ergibt prägnanter und mit tatsächli- Friedhof anlegen, um einer weiteren sich dem Wohlle­ chen, örtlichen Ereignissen aus- Verseuchung des Trinkwassers durch geschmückt. Pfarrer Roth hat sie ben, lässt auch am die bei der Kirche mitten in der Stadt 1891 in einem Wallfahrtsbüchlein begrabenen Toten zu unterbinden. Sonntag im Berg­ festgehalten, er will sie in alten Doch die Vöhrenbacher lehnten das werk arbeiten und Schriften gefunden haben. Diese mit Blick auf die Entfernung zur Stadt vergisst seine Chri­ Schriften wurden allerdings bis entschieden ab. heute nicht entdeckt. Dass es stenpflichten. Die aber diese Sage schon lange gibt Strafe folgt auf dem und sie somit keine Erfindung Die Bruderkirchle-Sage – die älteste Fuße: Heidnische des Pfarrers sein kann, belegt Fassung Hunnen, die allent­ das Tagebuch von Abt Gaiser, der im Visitationsbericht von 1651 Das wahre Alter des Bruderkirchles halben Deutschland schreibt: „Man sagt, dass diese lässt sich nicht mehr feststellen – gut verwüsten, fallen sieben Jungfrauen die Märtyrer- vorstellbar, dass es in die Zeit der brandschatzend im krone tragen, doch ist das nicht Stadtgründung von 1244 zurückreicht. urkundlich bezeugt. Der Altar der Bregtal ein.“ Für Spekulationen bleibt so viel Kapelle ist profaniert (d.h. dem Raum, zumal zwei Sagen bezeugen, kirchlichen Gebrauch entzogen). dass es in der Tat sehr alt sein muss. Die Es gibt Leute, die sagen, das Kirchlein Sagen sind in unzähligen Büchern zu finden – sei ehedem ein Klösterlein gewesen.“ selbst in Österreich. Es gibt drei Varia­tionen. Die Wallfahrt zum Bruderkirchle war zu die- Die nachstehend wiedergegebene Fassung gilt ser Zeit bereits in vollem Gang. Abt Gaiser: „Bis als die älteste der drei Jungfrauen-­Sagen und heute ist ein lebhaftes Wandern und Wallfahren ist u.a. in Schnetzlers „Badischem Sagenbuch“ zu der Kapelle.“ Ohne die Bruderkirchlesagen von 1846 veröffentlicht. Sie lautet in der Kurz- wären diese Wallfahrten jedenfalls nur schwer darstellung: „Eines Tages fallen die Hunnen vorstellbar, sie lieferten den Menschen den unter Attila ein, brechen die Burg und fallen die Grund dafür, mit ihren Anliegen zu den sieben Schloßjungfrauen an, die auf ihr heißes Gebet Frauen zu pilgern. in Engel verwandelt, ungefährdet durch die Im Wallfahrtsbüchlein veröffentlicht Pfarrer staunenden Reihen der Feinde zum Kirchlein Roth die Sage wie folgt: Das durch seinen Sil- hinüberschweben, das sie aufnimmt und sich berbergbau reichgewordene Vöhrenbach ergibt sofort wieder schließt.“ Bei den sieben Frauen sich dem Wohlleben, lässt auch am Sonntag im handelte es sich um die sieben schönen Töchter Bergwerk arbeiten und vergisst seine Christen- des Burgherren, heißt es weiter. pflichten. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Heid- Diese Sage steht im Zusammenhang mit nische Hunnen, die allenthalben Deutschland einer anderen, ebenfalls nicht belegbaren An- verwüsten, fallen brandschatzend im Bregtal nahme: der alten Stadt! Bis heute hält sich in ein. Die Stadt wird belagert und zur Übergabe Vöhrenbach die Mutmaßung, dass auf der Höhe aufgefordert: „Ergebt euch und zahlt das Lö- über dem Bruderkirchle die „alte Stadt“, das segeld, das wir verlangen. Weigert ihr euch, so Ur-Vöhrenbach, gelegen habe. Dies auch, weil werden wir mit Feuer und Schwert euch und eu- dieses Gewann seit jeher mit „Burg“ bezeichnet re Häuser vernichten. Eure Freiheit könnt ihr nur ist. Dort soll somit jene Burg gestanden haben, dadurch erkaufen, dass ihr eurem Christengott von der die Sage erzählt. abschwört und unseren Baal anbetet.“

­194 Geschichte Ausschnitt aus dem Ölgemälde von 1727 (geschützt durch starkes, spiegelndes Glas), das im Vorraum zum ­Bruderkirchle hängt und die Sage der Verbrennung von ­sieben Jungfrauen durch die Hunnen darstellt.

Die sieben Vorsteher der Stadt beschließen prophetischer Geist über die Blutzeuginnen und nach kurzem Besinnen: „Wir fallen ab“. Die gan- jede tat einen merkwürdigen Ausspruch: ze Bürgergemeinde stimmt ein – mit Ausnahme der sieben Frauen der Vorsteher, die, ihre Kinder Die erste sprach: Eure Reben werden verdor- an der Hand, die Bürger beschwören, ihrem ren und eure Obstbäume absterben, denn ihr Glauben treu zu bleiben. Ihre Mahnung wird in habt die Labung versagt den Dürstenden. den Wind geschlagen. Die Frauen verbergen sich Die zweite sprach: Eure Silbergruben werden nun mit ihren Kindern in den Kellern ihrer Häu- einstürzen und unergiebig bleiben, denn aus ih- ser. Inzwischen werden Kreuze und heilige Bil- nen kam euer Frevel und Übermut, der uns alle der umgeworfen, die Tore dem Feinde geöffnet verdorben hat. und die Kirche zum Baalstempel entweiht. Die dritte sprach: Dreimal wird eure Stadt in Die sieben Frauen werden von ihren eigenen Flammen aufgehen, denn der Zorn des Herrn ist Männern ausgeliefert und auf dem Scheiterhau- über euch. fen der Stadt verbrannt. Zuvor hatte man ihnen, Die vierte sprach: Und wenn ihr die Stadt obwohl die Sonne heiß brannte, einen letzten wieder aufbaut, so wird ihre Mauer nie vollen- kühlenden Trunk verwehrt: Siehe, da sprang aus det werden und immer dem Feinde offen ste- dem dürren Boden plötzlich eine Quelle zu den hen, weil ihr so feige euch ergeben habt. Füßen der Weiber, die Bande fielen von ihren Die fünfte sprach: Euer Regiment und Rat Händen und sie tranken. Als die Flammen be- wird niemals vollzählig sein und der beste Mann reits begannen ihre Füße zu lecken und das Volk immer darin fehlen, denn ihr habt eure Pflicht in wilder Lust um das Feuermal tanzte, kam ein gegen Gott und die Heimat verraten.

Das Bruderkirchle in Vöhrenbach ­195 Berge im Schwarzwald und auf der Baar Von Martin Fetscher mit Fotografien von Wilfried Dold

­220 10. Kapitel – Berge im Schwarzwald und auf der Baar er Schwarzwald-Baar-Kreis ist der höchstgelegene Landkreis in Ba­­den-Würt­tem­ Dberg – bezogen auf die durchschnittliche Meereshöhe. Das Landratsamt liegt mit 712 m ü. NN höher als jedes andere Landratsamt in Baden-Württemberg. Deutsch- landweit ist nur ein Landratsamt höher: das in Sonthofen im Oberallgäu. Und den- noch ist der Schwarzwald-Baar-Kreis kein Landkreis, den man unmittelbar mit Bergen in Verbindung bringt. „Schwarzwald“ steht immerhin für das höchste Mittelgebirge Deutschlands, und die Baar für die fruchtbare, sanft-hügelige Hoch­ebene zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald, ist Quellregion zahlreicher Flüsse. In den feuchten Niederungen im Schwenninger Moos kann man sich kaum vorstellen, dass man höher steht als auf dem gar nicht so weit entfernten Hohentwiel, von dem aus man nach allen Seiten in die Tiefe blicken kann. Die Dörfer Herzogenweiler und Mistelbrunn liegen auf fast 900 Meter Meereshöhe – und es gibt keine Berge dort.

Der Schwarzwald bei Triberg, im Vordergrund der Hohnen.­221 Der Schwarzwald bei Neukirch – Blick zum Kohlplatzhof. Besucher aus Holland oder 222 Norddeutschland wähnen sich angesichts solcher Bergidyllen fast in den Alpen. Villingen mit Blick über den zunächst sanft ansteigenden Schwarzwald. Das Landratsamt auf dem Villinger Hoptbühl (unten rechts) ist das höchstgelegene Landratsamt von ­Baden-Württemberg.

Ob man nun unsere Heimat als bergig oder Damit Berge entstehen, braucht es immer flach bezeichnet, ist ohnehin relativ. Nach ei- besondere Umstände in der Erdgeschichte. nem Aufenthalt im Berner Oberland kommen Einerseits braucht es die Entstehung beson- uns die Berge hier vor wie sanfte Bodenwellen. ders harter und widerstandsfähiger Gesteine, Besucher aus den Niederlanden oder aus der andererseits müssen diese erst einmal empor- norddeutschen Tiefebene hingegen erlangen gehoben werden und herauswittern, damit ein den Eindruck, sich bereits in den Voralpen zu Berg entsteht. Dabei genügt es nicht, dass eine befinden, zumal man die Alpen an vielen klaren Region einer Hebung ausgesetzt ist. Voraus- Tagen im Jahr von hier aus sehen kann. setzung für die Entstehung eines Gebirges ist, dass die Hebung größer ist als die gleichzeitige, fortlaufend stattfindende Abtragung. Beides Eine Besonderheit ist die wiederum kann Schwankungen unterliegen, so Vielfalt der Landschaft dass ein Gebirge zeitweise wächst und zeitwei- se schrumpft. Auch wenn es im Schwarzwald-Baar-Kreis keine Diese Vorgänge sind sehr kompliziert: So Bergspitzen mit Gipfelkreuz und 360°-Panora- kann man nicht pauschal sagen, dass beispiels- men gibt, so kommen Bergwanderer dennoch weise die Alpen immer noch wachsen. Insge- auf ihre Kosten und die Berge hier bieten einige samt heben sich die Alpen noch, doch das ist Besonderheiten. Eine Besonderheit liegt in der nicht gleichbedeutend damit, dass die Gipfel Vielfalt der Landschaft zwischen Schwarzwald immer höher werden, denn je höher die Gipfel, und Schwäbischer Alb begründet. Hier finden desto stärker sind sie in der Regel der Erosion sich ausgehend vom kristallinen Urgestein im ausgesetzt. Dazu kommt, dass sich nie alle Par- Schwarzwald alle Deckschichten vom Bunt­ tien eines Gebirges gleich stark heben. Gebirge sandstein, dem Muschelkalk und dem Keuper sind in der Regel durch Bruchzonen in einzelne bis hin zum Jura-Schichtstufenland der Schwä- Schollen getrennt, von denen die einen durch bischen Alb. Die unterschiedlichen Gesteine die Kräfte der Gravitation in die Tiefe abgleiten, bilden verschiedene Landschaftsformen und während andere sich durch den Gebirgsdruck Vegetationen aus. heben.

Berge im Schwarzwald und auf der Baar ­223 Der höchste Berg im Landkreis ist der 1.152 Meter hohe Rohrhardsberg

Der Schwarzwald und auch die Schwäbische Alb sind als Mittelgebirge nicht unbedingt älter als die Alpen. Ihre Entstehung hängt stark mit der Alpenbildung sowie der Bildung des Ober­ rheingrabens zusammen. Die Gesteine sind zwar meist älter als in den Alpen, jedoch war der Bereich des Schwarzwaldes in der Kreidezeit weitgehend eingeebnet, und begann sich vor ca. 70 Millionen Jahren zu heben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich zumindest Teile des Schwarzwaldes bis heute noch heben, auch wenn die Haupthebungsphase – wie in den Alpen – bereits abgeschlossen ist. Die Hebungs- raten sind allerdings mit weniger als 0,1 mm pro Jahr sehr gering. Höchster Berg im Landkreis ist mit 1.152 Me- ter der Rohrhardsberg. Der höchste Punkt be- Der höchste Punkt im Landkreis liegt bei findet sich auf einer Hochebene am Farnberg/ 1.164 m ü. NN. im Bereich Martinskapel- Martinskapellen mit 1.164 m ü. NN. Nach neuen len/Farnberg (1, ungefähre Näherung). ­Vermessungen liegt dieser um einen Meter hö- Vorne der Furtwänglehof in Furtwangen. her als angenommen. Dies ist zwar absolut der

Die höchsten Berge und Punkte im Landkreis

1200 m

1150 m

1100 m

1050 m

1000 m Hüfingen Hüfingen Blumberg Blumberg Fürstenberg Länge Hoher Randen 950 m Blumberg Eichberg 918 m 923 m 930 m 912 m Buchberg 900 m Donaueschingen 880 m

850 m Schellenberg 821 m

800 m

­224 Berge im Schwarzwald und auf der Baar 1

Landkreis Landkreis Emmendingen Schonach Emmendingen Schonach Furtwangen Farnberg Martinskapellen Farnberg Griesbacher Eck Rohrhardsberg 1.177 m Brend 1.164 m 1.171 m 1.149 m 1.152 m

Öfingen Himmelberg 941 m

Berge im Schwarzwald und auf der Baar ­225 2 4 3

1

Vom tiefsten Punkt im Schwarzwald-Baar-Kreis, 470 Meter über dem Meer beim Steinbis-Tunnel an der B33 auf Gemarkung ­Triberg (1), bis zum höchsten Punkt auf 1.164 Meter im Bereich Farn- berg/Martinskapellen (2, ungefähre Näherung) sind es 694 Meter Differenz. Rechts der 1.152 Meter hohe Rohrhardsberg (3). Als Orientierung kann die ­226 Sprung­schanze von Schonach (4) dienen. Von Achdorf aus kann man in mehrere Richtungen alpines Gelände ersteigen, links der Eichbergstutz rechts der Buchberg.

höchste Punkt im Schwarzwald-Baar-Kreis, und Von Achdorf aus kann man gleich mehrere wenn man die etwa 12 Kilometer vom tiefsten Anhöhen und Berge besteigen Punkt im Landkreis, der Himmelreichkurve bei Gremmelsbach, von 470 m ü. NN erwandert, Hier gilt vor allem: Der Weg ist das Ziel. Achdorf merkt man schon, dass es ziemlich stark hoch- ist in dieser Hinsicht ein „Bergsteigerdorf“, von geht. Jedoch, steht man oben, bemerkt man wo aus man gleich in mehrere Richtungen über kaum, wie hoch man sich befindet. Die flache alpines Gelände Berge oder Anhöhen ersteigen Bergkuppe ist weitläufig bewaldet und unweit kann. Die Walenhalde zum Buchberg hoch gilt davon befinden sich noch etwas höhere Punkte als der höchste Steilhang der gesamten Schwä- wie das Griesbacher Eck oder das Obereck mit bischen Alb. Der Wellblechweg quert diesen 1.177 m. Steilhang in einem fast abenteuerlichen Auf Immerhin ist in dieser Höhe die Luft schon und Ab. Flussabwärts unterhalb von Achdorf be- um einiges dünner: Luftdruck und Sauerstoff- finden sich die höchsten Felswände im Schwarz- partialdruck sind bereits etwa ein Sechstel wald-Baar-Kreis: die bis zu 85 Meter hohen ge­ringer als auf Meereshöhe. Davon wird man Wutachflühen. zwar noch nicht höhenkrank, aber für ein Hö- Besonders in solchem Gelände ereignen sich hentraining ist das schon tauglich. Der ambiti- immer wieder Unfälle, zu denen nicht einfach onierte Bergwanderer kommt am meisten auf ein Krankenwagen hinfahren kann, sondern wo seine Kosten im vielfach alpinen Steilgelände eine professionelle Bergrettung benötigt wird, der Wutachschlucht, der Gauchachschlucht und um Personen überhaupt erst einmal an einen den Wutachflühen oder aber in den schluchtar- anfahrbaren Ort zu bringen. In solchen Fällen tig eingeschnittenen Tälern im Katzensteig und hilft die Bergwacht mit ihren Ortsgruppen Furt- um Triberg herum. wangen und Wutach.

Berge im Schwarzwald und auf der Baar ­227