Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Handout Referat Vicus Vitudurum

Geschichte

Abb. 1: Lage von Vitudurm http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Historische_Karte_CH_Fokus_Vitudurum.png&filetim estamp=20070718104024 (01.11.12, 11:55) Der Vicus Vitudurum (Oberwinterthur) liegt an einem schon mindestens seit der Jungsteinzeit benutzten Durchgang vom westlichen zum östlichen Alpenvorland. Die ansonsten schwierig zu überquerende Töss bietet hier einen Übergang, über den auch die Römer ihre Strasse von nach Ad Fines (), Arbor Felix (Arbon) und Brigantium (Bregenz) führten. Diese Strasse „war die Pulsader, die Vitudurum im 1. Jahrhundert seine grösste Blüte brachte“1

Erste römische Bebauungsspuren lassen sich für das Jahr 4 v.Chr. fassen.2 Befunde von Vorgängersiedlungen gibt es keine, allerdings brachten Grabungen der Jahre 2006-2009 bronzezeitliche Funde zutage und ein spätlatènezeitliches Grab ist bekannt.3 Sowohl Funde als auch Befunde belegen eine Besiedlung des Vicus im Bereich des Unteren Bühls (sog. „Westquartier“) bis ins 3. und 4. Jahrhundert, allerdings fehlt für das 4. Jahrhundert grösstenteils eine Stratigraphie.4 Die Krise des 3. Jahrhunderts ging auch an Vitudurum nicht spurlos vorbei. Eine Inschrift aus dem Jahre 294 n.Chr. berichtet von der Errichtung der Kastellmauer unter Diocletian, die bis anhin nur teilweise ausgegraben wurde.5 Auf dem Kirchhügel konnten bisher nur Nutzungsschichten bis ins 3. Jahrhundert belegt werden.6 Allerdings zeugen Funde von menschlicher Präsenz über die Spätantike hinaus bis ins Frühmittelalter.7

1 Zürcher u. a. 1985, 173 2 Jauch/Zollinger 2010, 2 3 Jauch/Zollinger 2010, 2 und Hedinger 2000, 294 4 Gisler 2001, 25 5 Gisler 2001, 23 6 Gisler 2001, 20 7 Gisler 2001, 26; vgl. auch Jauch/Zollinger 2010, 2 1 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Siedlung

Abb. 2: Vitudurum im späten 1. / frühen 2. Jahrhundert n.Chr. Jauch/Zollinger 2010, 2 Der Vicus war ein Strassendorf, dessen genaue Ausdehnung nur in etwa bekannt ist. Die gefundenen Gräber begrenzen das Dorf im Westen und Osten. Das Zentrum des Vicus befindet sich auf dem heutigen Kirchhügel, wo sich sowohl ein Tempel als auch grössere Bauwerke mit wohl öffentlichem Charakter befanden.8 „Nach wie vor fehlen (...) Nachweise für verschiedene allgemein in Vici belegte Typen von öffentlichen Gebäuden bzw. Anlagen.“9 So ist nicht bekannt, ob Vitudurum Gebäude wie eine Basilika, ein Theater oder ein Amphitheater besass. Über den Standort eines wahrscheinlich vorhandenen Forums kann nur spekuliert werden. Ebenso wahrscheinlich ist das Vorhandensein von Thermenanlagen (Indizien sprechen für ein Gebäude auf dem Kirchhügel) sowie weiterer Tempel.10

Eine Winterthurer Besonderheit bildet die Tatsache, dass die Holzbauweise nicht wie in anderen Vici im Verlauf des 1. Jahrhunderts durch die massivere Steinbauweise ersetzt wurde.11

Die sehr feuchte Umgebung in Oberwinterthur bietet hervorragende Erhaltungsbedingungen für Holz und andere organische Materialien, wie sie sonst für die römische Epoche nur selten (z.B. in Avenches) in der Schweiz vorhanden sind.12

8 Gisler 2001, 34; vgl. auch Zürcher u. a. 1985, 182 9 Gisler 2001, 22 10 Gisler 2001, 22 11 Jauch/Zollinger 2010, 5 12 Jauch/Zollinger 2010, 4 2 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Westquartier

Abb. 3: Frühste Phase des Westquartiers. Pauli-Gabi u. a. 2002, 14 Anhand der Dendrodaten lässt sich ableiten, „dass man zwischen 7 und 8 n.Chr. beidseitig einer Strasse ein ganzes Quartier von Grund auf und in einem Zuge neu errichtet hat.“13 Die Bauphase von mehreren Monaten hinterliess gut fassbare Spuren. Das in mindestens 16 Parzellen aufgeteilte Quartier durchtrennte ein 12 Meter breiter „Verkehrsstreifen“ von West nach Ost. Die Streifenhäuser aus Holz bildeten zur befestigten Strasse hin eine bündige Front mit einem durchgehend begehbaren Portikus, der von der Strasse noch mit einem Vorplatz getrennt wurde. Die Strasse selbst knickte im Westen wegen eines Quellaufstosses, der ab 19 n.Chr. in eine Brunnenstube gefasst wurde, leicht nach Norden ab und begrenzte so die nördlichen Parzellen im Westen. Die Parzellengrenzen blieben bis ins 2. Jh. n. Chr. trotz mehrfacher Zerstörung beinahe unverändert, was einerseits eine Planmässige Bebauung des Quartiers und andererseits die Existenz einer Art Grundbuch nahe legt. Im Norden könnten 24 Parzellen zu einer rundum mit einem Portikus umgebenen Insula mit Innenhof zusammengeschlossen worden sein, im Süden bildeten die Häuserreihen einen „eckigen Baukomplex mit grossem (Innen-)Hof.“14 Die Häuser wurden in „Pfostenbauweise errichtet und soweit bekannt mit Wandflächen aus horizontal gestapelten Bohlen ausgestattet.“15 Die Innenfläche der Streifenhäuser betrug zwischen 68m2 und 140m2. Sie alle hatten eine zentral gelegene Herdstelle aus Lehm und einige gegen die Strasse abgetrennte Räume. Aufgrund der Innengliederung werden die Gebäude in 3 Typen unterteilt: Hauptsächlich einschiffige Gebäude, ein mehrschiffiges und das komplexere

13 Pauli-Gabi u. a. 2002, 15 14 ebd. 15 ebd. 3 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Gebäude auf der Parzelle 22, welches in 3 Zonen unterteilt wurde. Vermutlich existierten in Obergeschossen noch weitere Räumlichkeiten. Fast ausnahmslos wurden in den vorderen Bereichen der Häuser gegen die Portikus kleinere Gewerbebetriebe eingerichtet. In den Anfangsjahren war vor allem das Eisenhandwerk vorherrschend, auf den Parzellen 11 und 12 wurden Tücher oder Leder hergestell, wovon grosse Wasserbecken zeugen.16 Die Häuser mussten um 70 n.Chr. alle wieder neu errichtet werden, als ein Grossbrand das Quartier zerstörten und wohl alles bis auf die Schwellbalken niederbrannte. Beim Wiederaufbau wurde bis auf wenige Ausnahmen auch hier die alte Parzellierung respektiert17. Um das Holz vom feuchten Untergrund zu entfernen und somit eine längere Haltbarkeit des Materials zu erreichen und um den Boden zu stabilisieren, legte man Fundamente aus Bollensteinen, Ziegelbruch und Sandstein an, worauf man dann die Schwellbalken legte. Wie das Quartier im 3. und 4. Jh. n.Chr. ausgesehen hat, kann wegen fehlender Stratigraphie nicht gesagt werden. Münzen belegen aber weiterhin die Besiedlung des Gebiets in dieser Zeit.18

Kirchhügel In Oberwinterthur konzentrierte sich die Forschung die längste Zeit hauptsächlich auf den Kirchhügel, was dazu führte, dass kaum noch ein Fleck unberührt ist. Allerdings ist die Dokumentation meist schlecht.19 Grund für dieses lange auf diesen kleinen Geländesporn beschränkte Interesse sind wohl die noch bis ins 16. Jahrhundert sichtbaren Reste der römischen Befestigungsmauern aus dem späten 3. Jahrhundert.20

Bis zum Grossbrand um 70 n.Chr. war der südliche Sporn des Kirchhügels bewohnt. Der Brand machte Platz für ein öffentliches Zentrum des Vicus, wo ein gallo- römischer Tempel und ein grösseres Steingebäude, bei dem es sich wohl um ein Badegebäude handelt, entstanden. 294 n.Chr. wurde auf dem Kirchhügel ein Kastell mit Wehrtürmen errichtet.21 Der sogenannte Bau III ist ein noch unvollständig ausgegrabenes Steingebäude aus dem letzten Drittel des 1. Jh. n.Chr.22, dessen Funktion noch nicht vollends geklärt ist. Einige Indizien sprechen für eine Nutzung als Bad, so zum Beispiel Reste von Fensterglas, welches oft, aber eben nicht immer, in Badehäusern verwendet wurde, des Weiteren die einzige in Oberwinterthur nachgewiesene Hypokaustanlage, eine Wasserleitung, die Lage und die Bauweise. Trotzdem ist man sich noch nicht einig, ob es sich tatsächlich um ein Bad handelt.23

Der gallo-römische Tempel, der sich auf dem Gebiet der heutigen Kirche befindet, ist der bisher einzige bekannte Tempel im Vicus. Er entstand etwa zeitgleich wie Gebäude III24. Welcher Gottheit er geweiht war, ist unbekannt, es wird auch eine

16 ebd. 17 Pauli-Gabi u. a. 2002, 21 18 ebd. 19 Gisler 2001, 19 20 Gisler 2001, 14 21 Jauch/Zollinger 2010, 2 22 ebd. 23 Gisler 2001, 22 24 Jauch/Zollinger 2010, 2 4 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Verehrung mehrerer Götter in Erwägung gezogen. Hinweise auf verehrte Gottheiten geben einige Bronzefragmente, die in der näheren Umgebung des Tempels gefunden wurden: Ein Fragment einer rechten Hand wird mit dem Kult um Jupiter Dolichenus zugesprochen und ein Bruchstück eines Caduceus, eines Merkurstabes, welches dem entsprechenden Gott zugeordnet wird. Merkur war in den nordwestlichen Provinzen eine sehr beliebte Gottheit.25

Abb. 4: Inschrift, die von der Errichtung der Befestigungsmauern berichtet. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1a/Vitudurum_- _Oberwinterthur%2C_römischer_Vicus_in_Winterthur_- _Gründungsstein_des_Kastells_im_Rathaus_2011-09-09_15-30-10_01.JPG. (01.11.2012, 13:24) Die Befestigungsmauern datieren inschriftlich belegt in das Jahr 294 n.Chr. und wurden vom Statthalter Aurelius Proculus unter Diocletian im Namen des Augustus (Kaiser) und Caesares (Vizekaisern) errichtet, was die Bedeutung des Vicus hervorhebt.26 Der genaue Verlauf und das Aussehen der Mauern, die an verschiedenen Stellen von Wasserkanälen durchstochen wurde, kann anhand nur weniger Grabungsbefunde nur teilweise rekonstruiert werden.27 Sie umfasste die für die Siedlung wichtigen Gebäude wie den Tempel, das postulierte Badehaus und ein weiteres öffentliches Gebäude und wird eher als Fluchtburg denn als Fortifikation interpretiert.28 Zum grössten Teil ist die Mauer abgetragen, so bleiben ihre ursprüngliche Höhe sowie das Aussehen der Mauerkrone Spekulation, allerdings können über die Bauweise doch Aussagen gemacht werden. „Sie entspricht der bei spätrömischen Befestigungsanlagen üblichen Technik des zweischaligen

25 Gisler 2001, 22 26 Gisler 2001, 66 27 Gisler 2001, 22 28 Gisler 2001, 66 5 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Mauerwerks mit eingefülltem Mörtelguss.“29 Bei der Kirche kann die Dicke der Mauer auf 3 Meter beziffert werden. Das einzige bisher bekannte Tor lag unter den Fundamenten des heutigen Kirchturmes, was man anhand einer gefundenen Torwange belegen kann. Da aber die zweite Torwange bis anhin noch nicht gefasst worden ist, bleibt die Breite des Tores eine Spekulation; sie betrug allerdings maximal 3.5 Meter.30

Nordostquartier Die Besiedelung des Nordostens des Vicus beginnt wie an anderen Stellen etwa um die Zeitenwende und die gut fassbaren Spuren verschwinden gegen das 2. Jh. hin wegen späterer Bautätigkeiten immer mehr. Eine Ausnahme bilden Funde und einige Strukturen ganz im Osten des Vicus, der lange Zeit ausserhalb der neuzeitlichen Siedlung lag und die Schichten entsprechend ungestört blieben.31 Der Strassenverlauf im Osten des Vicus ist nur weit östlich der eigentlichen Siedlungsfläche bekannt und kann deshalb nur vermutet werden. Da aber bei allen Grabungen keine direkten Spuren eines Strassenkoffers aufgetaucht sind, vermutet man die antike Strasse unter der modernen Römerstrasse.32

Nur bei zwei Häusern im Nordostquartier kam ein vollständiger Grundriss zutage, so dass viel rekonstruiert werden musste.33 Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Häuser ähnlich gebaut wurden wie im Westquartier, nämlich in Pfosten-, Ständer- oder Mischbauweise. Die Innenaufteilung ist hier allerdings schwierig zu rekonstruieren, weil entsprechende Befunde grösstenteils fehlen.34 Die Parzellengrenzen wurden anders als im Westquartier im Verlaufe der Zeit mehrfach zum Teil drastisch verändert.35 Wie im Westquartier sind auch im Osten ebenfalls in der Frühphase viele Metallwerkstätten nachweisbar und später Tuch- oder Ledergerber. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass viele Handwerke keine dauerhaften Spuren hinterlassen und somit für uns nicht mehr fassbar sind.36

Bibliographie

Jauch/Zollinger 2010 V. Jauch/B. Zollinger, Holz aus Vitudurum – Neue Entdeckungen in Oberwinterthur. AS 33, 2010, 2- 13.

Gisler 2001 J. Gisler, Ausgrabungen auf dem Kirchhügel und im Nordosten des Vicus 1988-1998. Beiträge zum römischen Oberwinterthur - Vitudurum 9 (Zürich 2001).

29 Gisler 2001, 23 30 Gisler 2001, 22, 23 31 Gisler 2001, 75 32 Gisler 2001, 82 33 Gisler 2001, 76 34 Gisler 2001, 80 35 Gisler 2001, 82, 83 36 Gisler 2001, 85

6 Übung Archäologie römischer Provinzen Referat Juha Fankhauser Dozent: Hannes Flück HS 2012 Zürcher 1985 A. Zürcher, Vitudurum. Geschichte einer römischen Siedlung in der Ostschweiz. In: , Vitudurum, Iuliomagus: drei Vici in der Ostschweiz [Festschr. für Verleger Dr. Otto Coninx zu seinem 70. Geburtstag]. (Zürich 1985) 169-233.

Pauli-Gabi u. a. 2002 T. Pauli-Gabi/C. Ebnöther/P. Albertin, Ausgrabungen im Unteren Bühl. Die Baubefunde im Westquartier. Ein Beitrag zum kleinstädtischen Bauen und Leben im römischen Nordwesten. Beiträge zum römischen Oberwinterthur – Vitudurum 6. Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 34. (Zürich, Egg 2002).

Weiterführende Literatur V.Jauch, Das römische . In: Archäologie im Kanton Zürich 2003-2005. Berichte der Kantonsarchäologie Zürich 18 (Zürich, Egg 2006).

B. Hedinger, Zur römischen Epoche im Kanton Zürich. In: Archäologie im Kanton Zürich 1997-1998. Berichte der Kantonsarchäologie Zürich 15 (Zürich, Egg 2000) 293-332.

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