Römisches Handwerk: Leder Und Bein
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Römisches Handwerk: Leder und Bein Sabine Deschler-Erb Leder- und Beinhandwerk gehören zu den antiken Handwerkszweigen, die organische Rohmaterialien verarbeiteten: Auszählung nach Petrikovitz 1991, 133ff. in Deschler-Erb 2008 Nach schriftlichen Quellen die wichtigste Gruppe! Klimatische Voraussetzungen für organische Rohstoffe nördlich der Alpen W W W K K K Gletscherrückzug! Gletschervorstösse hoch Waldgrenze tiefer Seespiegel niedrig höher SPMV, S. 31 Römerzeit relativ mild Begünstigt Intensivierung des Landbaus und Haustierzucht sowie Import neuer Pflanzen wie Weinrebe, Walnuss, Kastanie, diverse Gemüse Verkohlte Knoblauchzehen aus einem Brandgrab (Beigabe) aus Augst Topographie: Einfluss auf Angebot an organischen Rohstoffen Starke Nutzung bis Übernutzung der natürlichen Ressourcen Hecken Äcker / Brachen Kräutergarten Gemüsegarten Wiesen / Weiden Obstgärten n=525 n=465 Deschler-Erb 2008 Der archäologische Ausgrabungsalltag: „Knochentrocken“ Organisches Handwerk nur indirekt nachweisbar aufgrund: • Befund (z.B. Öfen, Feuerstellen, Gruben) • Werkzeug Häufig ungelöste Frage: Was wurde verarbeitet und hergestellt? Grabung Kaiseraugst TOP-Haus 2001 Feuchtbodenerhaltung: Seltener Glücksfall in römischen Siedlungen, in der Schweiz aber relativ häufig Eschenz Oberwinterthur Vindonissa Cham SolothurnSursee Messen Yverdon Avenches Pomy Genf Archäobiologische Untersuchungen zu römischen Siedlungen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz Botanische Analysen Tierknochenanalysen SPMV 2002 Vergleich schriftliche Quellen – röm. Fundstellen der Schweiz n=525 n=922 Deschler-Erb 2008 Fazit • Biologische Rohstoffe waren für die römischen Handwerker die wichtigste Materialgruppe • Die Verfügbarkeit von archäobiologischen Daten hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist in den einzelnen Fundstellen und Regionen sehr unterschiedlich. Weitere Forschung ist angesagt. • Nur unter der Berücksichtigung aller verfügbaren archäologischen und archäobiologischen Quellen kommen wir einigermassen an die römische Realität heran. Gerben: Verschiedene Methoden Sämisch- oder Fettgerberei Loh- oder Rotgerberei Alaun- oder Weissgerberei Pergamentgerberei Das Fettgerben Ötzis Kleider: fettgegerbt Römische Rotgerberei Hauptsächlich Rinder- und Ziegenhäute Geschichte der Gerbmethoden cured= fettgegerbt tanned = vegetabil gegerbt Van Driel-Murray 2001 Nachweismöglichkeiten von Gerbereien und Lederverarbeitung Werkzeug (z.B. Gerbermesser) Leder Befund ( Werkstätten) (z.B.Abfälle) Hilfsstoffe (z.B. Urin, Alaun) Tierknochenfunde Befund: Gerberbottich aus Vitudurum Befund: Gerbergruben von Augusta Raurica Rezente Gerbgruben aus Ouezzan, Marokko (nach Schmid 1974) Gerberei in Fes, Marokko (Wikipedia) Befund: Gerberei Pompei, Insula 5 Leguilloux 2004, 45 Lederfunde Vindonissa: Meilenstein der römischen Lederforschung Hilfsstoffe: Amphoren als Nachweis der Alaungerberei? Richborough 527 = Liparische Amphoren Alaungerberei in Dijon-Sainte Anne? Borgard et al. 2002 Knochenabfälle von Gerbereien in Augusta Raurica Legionslager Vindonissa Grosser Bedarf an Leder, bislang aber kaum Produktionsnachweis: Forschungslücke, die durch laufende Untersuchungen zur Zivilsiedlung West gefüllt werden kann Beispiel: Grube 8.29, neronisch- frühflavisch Grube 8.29 Untere Verfüllung (Nutzungsschicht?) Bedeutung von Schaf/Ziege in verschiedenen Siedlungstypen (1.Jh.v.-1.Jh.n.Chr.) n % 2 SLT Militär 1.Jh.n.Chr. Zivil 1.Jh.n.Chr. Vindonissa Legionslager 13. Legion (n=5842) 21.Legion (n=3267) 11.Legion (n=1844) Bos Bos Bos Sus Sus Sus O/C O/C O/C Zivilsiedlung West Vision-Mitte G 8.29 (n=1816) Sus Bos O/C Jungtiere hauptsächlich zwischen 3 und 12 Mo Auffallende Skelettteilverteilung Mindestindividuen in unterer Verfüllschicht von Grube 8.29 Weniger Fell/Haare = dickere Haut dichtes Fell = dünne Haut ? Tragen von Fellen = verpönt, unrömisch, Ausnahme z.B. Signifer Was sonst? Teppiche? Stuhlüberzüge? Bettzeugs? Sehr ähnlicher Befund in Studen- Petinesca Grube V-5049, Mitte 1.Jh. n.Chr. (Hüster Plogmann/Grundbacher/Stopp 2007) Wollproduktion in Villa von Biberist aufgrund Tierknochen und «Waschhäuschen»/Walkerei Produktionsstätten für Vindonissa? (1.Jh.n.Chr.) nachgewiesen (Schucany, Deschler-Erb 2006) Anzahl und Art der Gerbereinachweise in den einzelnen Fundstellen der römischen Schweiz Fundstellen Befund Leder Werkzeug Tierknochen Augst, Ins.23 Augst, Ins.15/16 Augst, Ins. 30 Augst, Ins. 31 Augst, Ins. 51/53 Augst, Venusstrasse Ost Augst, Westtorstrasse Vitudurum, Römerstrasse 229 Vitudurum, Haus 2B Vitudurum, Haus 11 nur Hornzapfen Vitudurum, Parz.0 Vitudurum Baden, Du Parc Baden, Grabung ABB Vindonissa, Feuerwehrmagazin Vindonissa Zurzach, Kastell Zurzach, Kastell-Vicus Bern, Engehalbinsel Petinesca Chur-Markthallenplatz Amrein et al. 2012 Minusio Wichtig, dass alle Quellengattungen berücksichtigt werden! Vindonissa Beinverarbeitung Beinartefakte: Bevor die Römer kamen... Ab Metallzeiten geht die Häufigkeit der Beinartefakte drastisch zurück Kokabi et al. 1996 Neu mit den Römern: Typologie: • Beinindustrie viel wichtiger als in Eisenzeit • Enorme Typenvielfalt Rohmaterial: • Anderes Konzept hinter der Rohmaterialverarbeitung. Natürliche Form des Rohmaterials ist nicht mehr so wichtig, sondern das Endprodukt (z.B. Löffel). • Standardisierte Nutzung der Rohmaterialien, daneben aber experimentieren mit lokalen Rohstoffangeboten in den Provinzen • Exotische Rohmaterialien häufiger (z.B. Elfenbein, Damhirschgeweih), aber kaum lokal verarbeitet Neu mit den Römern: Handwerk: • Neue Verarbeitungstechniken (z.B. Drechseln, Verzierungen, Färben), Massenproduktion gleichartiger Typen • Professionelle Beinhandwerker, Zusammenarbeit mit anderen Berufszweigen, die tierische Rohmaterialien verarbeiten • Verstärkter Import neben lokaler Produktion Rohmaterialien Total untersucht: 5902 Anteile der verschiedenen Rohmaterialien unter den Beinartefakten von Augusta Raurica Deschler-Erb 1998 Knochen Rinderknochen am häufigsten verarbeitet • Rinder sehr wichtig für Landwirtschaft und Transport, aber auch Ernährung • Rinderknochen relativ gross und dickwandig Schibler/Furger 1988 Augusta Raurica (Augst, Kaiseraugst) Verhältnis Rind:Pferd unter Speiseabfällen und Artefakten 30 25 20 bovidés 15 équidés proportion 10 5 0 n artéfacts n faune non travaillé Augst (Deschler-Erb 1998, 2010) Nyon (Anderes 2009) Avenches (Schenk 2008) Geweih Geweihträger in der Römischen Schweiz Geweih ist nicht Horn! Schaufelgeweih Stangengeweih Wichtige Faktoren bei der Nutzung von Geweih • stammt vom lebenden Tier: wieder nachwachsender Rohstoff • Biegsamkeit • Grösse • Biotop • Kultureller Einfluss • Symbolische Bedeutung Biegsamkeit Werkstatt für Geweiharmbänder (4.Jh.n.Chr. Beispiel: Pfyn antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler antler ivory antler ivory ivory antler Grabungen Kastell Pfyn 1976-1992 Biotop: Saalburg: Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen Im Depot extrem viel Geweih von sehr grossen Hirschen: Gutes Biotop für Wildtiere Kultureller Einfluss: Werkstattabfälle eines Geweihschnitzers aus dem Wachtturm von Rheinau/ZH (4.Jh.n.Chr.) Hedinger 2000 12 10 8 Knochenverarbeitung n% 6 Gew eihverarbeitung 4 2 0 Stadt Vicus Villa Militär (n=247) (n=256) (n=293) (n=105) Deschler-Erb 2005 Runder Berg von Urach (schwäbische Alb): Alemannische Siedlung (4.-8.Jh.) Koch 1994 Symbolische Bedeutung von Geweih Augusta Raurica Vindonissa Pfyn Thun-Allmendingen Zahn Begleittier keltischer Kelten: Totentier Fruchtbarkeitsgottheiten Plinius: Gegen Zahnschmerzen Begleiter von keltischen Muttergottheiten Bei Kelten Toten- und Kriegstier Cerberos, Wächter der Unterwelt Schmuck/Amulette Neolithisch (Arbon-Bleiche 3) Römisch (Augusta Raurica) Elfenbein: Luxus pur Alles Import! fossil Import! Yverdon Knochenschnitzer und -drechsler Standardisierte Technologie Deschler-Erb 1998 Drechseln Deschler-Erb 1998 Sägen Feilen Bohren Drehen Gefärbte Beinartefakte Deschler-Erb 1998 Gebleichte Knochen Grüngefärbte Knochen Deschler-Erb 1998 Herstellung von Knochenartefakten in Augusta Raurica Ins.31 5G Ins.50 7C Ins.31: Nadeln Region 7C: Nadeln Region 5G: Nadeln , Löffel Ins.50: Reparatur Militaria Zusammenarbeit der einzelnen Handwerkszweige war in der Mittelkaiserzeit weit fortgeschritten. Beispiel: Augusta Raurica, Insula 31 Ins.23 Ins.24 Ins. 25 Schlachtbank Metzgereiabfälle Metzgerei SchlachtbankGerbereiabfälle Hornschnitzer Knochenschnitzer Gerberei Keller mit Hornzapfen Insula 23, 24, 25: Räucheröfen Knochenschnitzabfälle Spezialisiertes Zentrum für Rinderprodukte (Deschler-Erb 2005) Methodische Take home message • Handwerk mit organischen Rohstoffen von grosser Bedeutung • Geringer Nachweis hängt in erster Linie mit Erhaltungs- bedingungen und Forschungsstand zusammen • Erforschung sollte aufgrund aller verfügbaren Quellen, also interdisziplinär, erfolgen • Nur so können kulturhistorisch relevante Schlüsse gezogen werden. Literatur H. Amrein, E. Carlevaro, E. Deschler-Erb, S. Deschler-Erb, A. Duvauchelle, L. Pernet, Das römerzeitliche Handwerk in der Schweiz. Bestandsaufnahme und erste Synthesen /L'artisanat en Suisse à l'époque romaine. Recensement et premières synthèses. Monographies instrumentum 40. Montagnac 2012. C. Anderes, La collection de tabletterie du Musée romain de Nyon. Jahrbuch Archäologie Schweiz 92, 2009, 201-237. F. Audoin-Rouzeau et S. Beyries, Le travail du cuir de la préhistoire à nos jours. XXIIe rencontres internationales d’archéologie et d’histoire d’Antibes. Antibes 2002. I.Bertrand (éd.), Le travail de l’os, du bois de cerf et de la corne à l’époque romaine : un artisanat