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SWR2 Musikstunde Unbekannte Komponisten der Romantik (1-5)

Folge 2: Von Dorn bis Gottschalk

Von Christian Möller

Sendung vom: 08. Juni 2021 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2021

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Tag zwei einer Musikstunden-Woche mit dem Alphabet der unbekannten Romantiker. Klingt fast wie ein kitschiger Romantitel, oder? Ich bin Christian Möller, guten Morgen!

Diese Woche hier also Komponisten, die man eigentlich selten zu hören bekommt. Und zwar alphabetisch sortiert. Und weil das Ganze hier für Sie und für mich möglichst viel Anregung zum später selbst Weiterhören bringen soll, gibt es von jedem hier nur jeweils eine und ausnahmsweise auch mal zwei Kompositionen, dann geht’s weiter zum nächsten Komponisten. Oder zur nächsten Komponistin.

Gestern sind im Alphabet von A bis C gekommen, heute geht’s also weiter mit D. D wie Dorn. Heinrich Dorn. Den Namen kann man schon mal gelesen oder gehört haben. Er hat sich nämlich im Leben einiger berühmter Leute herumgetrieben. Er ist der Kontrapunktlehrer von und Clara Wieck, führt eine Ouvertüre des ganz jungen Wagner auf. Und als er selbst noch ganz jung ist und mit 19 zum Jura-Studium nach Berlin zieht, da geht er im Hause Mendelssohn ein und aus, denn, so schreibt Dorn in seinen Lebenserinnerungen:

„Für musikbedürftige Gesellschaften war ich nämlich à deux mains zu brauchen. Einen Clavierspieler und Accompagnateur wie mich hätte man wohl leicht ersetzt und vielleicht ebenso bald einen tactfesten Solosänger; aber beide in Einer Person, das gehörte schon zu den nicht alltäglichen Erscheinungen, die sich hübsch ausnutzen ließen.“

Humor scheint er außerdem auch noch gehabt zu haben.

Musik 1 (3:54) Heinrich Dorn: Bedenklichkeiten Victor von Halem, Bass Horst Göbel, Klavier SWR M0673531 023

Na, dann prost. Victor von Halem, Bass, und Horst Göbel, Klavier, mit dem humoristischen Lied „Bedenklichkeiten“ von Heinrich Dorn.

Die SWR2 Musikstunde mit unbekannten Komponistinnen und Komponisten der Romantik. Eine Sache, die das deutsche Musikleben des 19. Jahrhunderts prägt, ist der Streit zwischen Konservativen und Progressiven. Zwischen der Partei von Schumann und Brahms und der Zukunftsmusiker um Liszt und Wagner. Einer, der mitten im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht, ist Felix Draeseke.

Als junger Student hört er Wagners „Lohengrin“ in der Oper, geleitet von , und da ist es um ihn geschehen. Draeseke begeistert sich für die Musik der sogenannten „Neudeutschen Schule“. Bei seinen eher konservativen Professoren lässt er sich nur noch selten blicken: „Herr Draeseke hat sich selbst dispensiert; über seine Fortschritte weiß ich daher nichts zu sagen“, so notiert beispielsweise sein Klavierprofessor Ignaz Moscheles recht verschnupft. Draeseke komponiert in jungen Jahren im Geiste der Neudeutschen. Und als Kritiker ergreift er in scharfen Tönen Partei. Er gilt bald als „ultraradikaler“ Neudeutscher. Und als ein Germania-Marsch von ihm beim Tonkünstler- Fest Weimar aufgeführt wird, setzt es heftige Verrisse. Draeseke schreibt: „Durch dieses Stück wurde ich als Schrecken der Menschheit hingestellt, und zwar in ganz Deutschland, indem alle Zeitungen sich beeilten, über die Schule en bloc ein Verdammungsurteil zu fällen, mich aber als die besonders gefährliche Bestie zu kennzeichnen.“

Vielleicht ist es diese Ablehnung, die Draeseke später skeptisch werden lässt gegenüber der eigenen Kompromisslosigkeit. Vielleicht hat es auch persönliche Gründe: Draeseke nimmt nämlich zeitlebens übel, dass der seinem Freund Hans von Bülow die Frau ausgespannt hat. Wie auch immer: Felix Draeseke wird vom Löwen zum Kaninchen - so die Sichtweise Franz Liszts. In Draesekes eigener Sichtweise klingt das so:

„Als Kind meiner Zeit und ausgerüstet mit ihren Mitteln, wollte ich ihren Inhalt musikalisch aussprechen, aber in pietätvoller Anlehnung an die großen früheren Meister. Ihre großen Errungenschaften sollten hoch und wert gehalten werden und neben ihnen die der sogenannten Zukunftsmusik. Was diese uns an neuem Stoff und neuen Mitteln zugeführt hatte, wollte ich versuchen, der Musikwelt in klassischer Form darzubieten.“

Musik 2 (5:40) Felix Draeseke: Streichquintett F-Dur op. 77, II. Scherzo. Sehr schnell und prickelnd Breuninger Quartett Andreas Grunkorn, Violoncello CPO 5892047

Sehr schnell und prickelnd, so die anschauliche Spielanweisung des Scherzos aus dem Streichquintett F-Dur von Felix Draeseke, hier mit dem Breuninger Quartett und Andreas Grunkorn, Violoncello.

Dass Felix Draeseke lange Zeit so gut wie gar nicht auf den Konzertprogrammen gestanden hat, das hat sicher auch damit zu tun, dass die Nazis ihn zu einem germanischen Vorzeige-Komponisten gemacht haben. Inzwischen wird er wiederentdeckt, vor allem beim Label CPO setzt man sich für Draeseke ein, nach seinem sinfonischen Werken jetzt auch für die sehr lohnende Kammermusik.

Wir gehen einen Buchstaben weiter im Alphabet der unbekannten Romantiker, zum E. Und kommen zu einem Komponisten, von dem hatte ich vor der Vorbereitung zu dieser Sendung hier nicht mal den Namen gehört.

August Enna heißt er. Und bei meiner Internetrecherche hab‘ ich gelernt, dass sein Nachname zumindest Kreuzworträtselfreunden immer noch geläufig sein soll, nämlich als „Dänischer Komponist mit vier Buchstaben“. E-N-N-A.

Typisch dänisch klingt der Name nicht, kein Wunder: Großelterlicherseits stammt seine Familie nämlich zu einer Hälfte aus Italien, und da aus dem Städtchen Enna in Sizilien. Ennas Vater arbeitet als Schumacher, und auch August macht eine Lehre in diesem Beruf. Aber zugleich bekommt er Musikunterricht. Er tritt als Violinvirtuose auf. Und schreibt sich natürlich sein eigenes Konzert. Und das lässt in feinen Dosen durchaus folkloristische Anklänge durchscheinen.

Musik 3 (4’40) August Enna: Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, I. Allegro moderato Kathrin Rabus, Violine NDR-Radiophilharmonie Leitung: Hermann Bäumer NDR K001481 001

Kathrin Rabus, Violine und die NDR-Radiophilharmonie unter Hermann Bäumer mit dem ersten Satz, Allegro moderato, aus dem Violinkonzert von August Enna.

Er ist einer dieser sehr späten Romantiker, die uns diese Woche häufiger begegnen in der SWR2 Musikstunde. Von 1859 bis 1939 hat er gelebt, als er stirbt, da ist seine Musik nicht nur hoffnungslos veraltet, sondern auch so gut wie vergessen. Gerade wird sie auf CD wiederentdeckt. Und ich finde,

August Enna ist eine Bereicherung fürs Repertoire. Zu Lebzeiten wurde von ihm vor allem ein Opern- Einakter sehr viel gespielt. „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nach dem Märchen des dänischen Nationaldichters H.C. Andersen. Hier kommt die ganz wundervoll schwelgerische Ouvertüre.

Musik 4 (4:50) August Enna: Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Ouvertüre Dänisches Nationales Radiosinfonieorchester Leitung: Thomas Dausgaard SWR M0072712 001

Die Dänische Radiosinfonietta unter Roman Zeilinger mit der Ouvertüre zu „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von August Enna.

Für mich eine absolute Entdeckung, dieser Komponist. Schon zu den etwas bekannteren der Unbekannten dagegen gehört Louise Farrenc. Dass diese französische Komponistin in den letzten Jahren immer mal wieder gespielt wird, verdanken wir übrigens auch Impulsen aus Deutschland. Die Musikforscherin Freia Hoffmann hat eine wissenschaftliche Gesamtausgabe ihrer Werke initiiert. So dass nun ihr Gesamtwerk verfügbar ist. Und dementsprechend erscheinen immer mehr Aufnahmen. Ich mag besonders ihre Kammermusik. Die lässt auch den Einfluss der Wiener Klassik erkennen. Was sicher auch damit zu tun hat, dass Farrenc Schülerin von Anton Reicha ist, einem guten Freund Beethovens und einflussreichem Kompositionslehrer seiner Zeit. Und wie bei ihm kommen auch bei Louise Farrenc besonders häufig die Holzbläser zum Einsatz, kein Wunder ihr Mann war Flötist und Verleger. Er hat ihre künstlerische Arbeit sehr unterstützt.

Musik 5 (5:05) Louise Farrenc: Nonett für Streicher und Bläser Es-Dur op. 38, III. Scherzo Vivace Consortium Classicum SWR M0453134 001

Kammermusik von Louise Farrenc. Das Scherzo aus ihrem Nonett für Streicher und Bläser haben wir gehört, gespielt von Consortium Classicum.

Farrenc ist zu ihren Lebzeiten vor allem als Pianistin und Klavierpädagogin erfolgreich. Ähnlich ist das auch beim nächsten Komponisten, bei John Field.

Field ist gebürtiger Ire aus Dublin, aber da ist er nicht geblieben. Als Klaviervirtuose feiert er in ganz Europa Triumphe. Vor allem in Russland. Er ist Schüler von Muzio Clementi, geht mit ihm nach St. Petersburgs und als Clementi stirbt, übernimmt er dessen Schülerinnen und Schüler. Auch Michail Glinka gehört dazu. Er schreibt:

„Nach meiner Ankunft in Petersburg nahm ich Klavierstunden bei dem berühmten Field. Obwohl ich ihn nur wenige Male gehört habe, erinnere ich mich immer noch seines kräftigen und zugleich weichen Anschlages und des präzisen Spiels. Es klang, als schlügen große Regentropfen auf die Tasten und die Töne glichen Perlen, die auf weichen Samt fallen.“

Musik 6 (2:36) John Field: Nocturne Nr. 5 in B-Dur Anna Gourari (Klavier) SWR M0336717 001

Anna Gourari, Klavier mit dem Nocturne Nr. 5 B-Dur von John Field.

Field gilt als Erfinder der Nocturne, dieser typisch romantischen Gattung der Klaviermusik, mit der Frédéric Chopin dann später so erfolgreich wird, ganz klar unter dem Einfluss Fields, den er in Warschau im Konzert gehört hat.

Field ist damit eine Art Vorläufer der Romantik. Der nächste Komponist hier in der SWR2 Musikstunde ist eher ihr Nachfahre. Josef Bohuslav Foerster wird in Prag geboren, sein Vater ist schon Komponist und Lehrer am Konservatorium, Franz Léhar gehört zu seinen Schülern, außerdem war Vater Foerster Organist am St.-Veits-Dom. Auch Josef Bohuslav Foerster verdient sich zu Beginn seiner Karriere als Organist seine Sporen, an der St.-Severi-Kirche, dort ist übrigens Antonin Dvorak sein Vorgänger, mit dem ist Foerster auch befreundet. Und der Einfluss Dvoraks auf den Jüngeren ist nicht zu überhören.

Musik 7 (4:26) Joseph Bohuslav Foerster: In den Bergen, op. 7, II. Sonniger Tag: Allegro gioccoso Sinfonieorchester Osnabrück Leitung: Hermann Bäumer SWR M0250602 002

Könnte doch auch aus einer unbekannten Dvořák-Sinfonie sein, oder? Der zweite Satz, Sonniger Tag. Allegro gioccoso, aus Josef Bohuslav Foersters programmatischer Sinfonie „In den Bergen“ mit dem Sinfonieorchester Osnabrück unter Hermann Bäumer. Beim Label Musikproduktion Dabringhaus & Grimm liegen in dieser Kombination eine Reihe von Foersters Orchesterwerken vor, die kann ich Ihnen nur sehr ans Herz legen. Für mich persönlich eine der Entdeckungen bei den Recherchen zu dieser SWR2 Musikstunde.

Eine Zeit lang lebt Foerster in . Dahin zieht er mit seiner Frau, der Opernsängerin Bertha Lauberer. Sie wird an der Hamburger Staatsoper engagiert - von Gustav Mahler. Mit dem ist Foerster auch befreundet.

Foerster verkörpert die Zeit des Wandels um die Jahrhundertwende, wo man mit einem Bein schon in der Moderne steht, mit dem anderen noch in der Romantik. Als Musikkritiker schreibt er einmal:

„Wer von unseren Lesern jemals ein Konzert Liszts, Rubinsteins, Klara Schumanns beiwohnte, wird sich jenes eigenen Gefühls zu erinnern wissen, dass sich seiner beim bloßen Erscheinen dieser Künstler bemächtigte. Wir Kinder des praktischen Jahrhunderts sind den täglich wechselnden Devisen der Evolution vom Realismus zum Neoidealismus, die sich vor unseren Augen abspielte, zum Trotze im Grunde genommen die alten Romantiker geblieben.“

Musik 8 (5:39) Joseph Bohuslav Foerster: Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 54, I. Molto sostenuto Sinfonieorchester Osnabrück Leitung: Hermann Bäumer MDG 632 1492-2

Noch einmal das Sinfonieorchester Osnabrück unter Hermann Bäumer mit dem Beginn der vierten Sinfonie c-Moll von Josef Bohuslav Foerster.

Wir nähern uns dem Ende des zweiten Teils im Alphabet der unbekannten Romantiker in der SWR2 Musikstunde. Und zwar mit dem Buchstaben G. Louis Moreau Gottschalk ist sicher eine der interessantesten Figuren der Musik des 19. Jahrhunderts. Er wird geboren in New Orleans als Sohn eines sephardischen Juden aus London und einer französisch-stämmigen Mutter. Schon in den Straßen von New Orleans lernt er die kreolische und afroamerikanische Musik kennen und schätzen. Ausgebildet wird er dann ganz klassisch in Paris als Schüler von Halévy und Berlioz, mit Bizet und

Saint-Säens ist er befreundet. Was folgt ist erstmal eine abenteuerliche Karriere als gefeierter Klaviervirtuose in den USA. Gottschalk spielt in vom Bürgerkrieg umkämpften Städten, er tritt vor Goldgräbern auf. Auf seinen Konzertreisen hat er immer zwei Flügel, einen Klavierstimmer und seinen Impresario dabei. Und wenn er sich mal verspätet, schickt er den Konzertbesuchern ein Telegramm.

Bald kann man Gottschalk in den USA gar nicht mehr hören. Wegen einer skandalösen Affäre verlässt er das Land, lebt seitdem in Lateinamerika. Da stirbt er dann 1869 an Malaria. Wenn man das nicht wüsste, dann würde man beim folgenden Stück ohne Zweifel eher auf das zwanzigste Jahrhundert tippen - auf Copland oder Bernstein zum Beispiel. Die Sinfonie mit dem Titel „La nuit des tropiques“ - „Eine Nacht in den Tropen“, entstanden bei Aufenthalten auf Kuba, Guadeloupe und Martinique, ist stark von lateinamerikanischer Musik wie der Rumba beeinflusst. Und es ist auch die erste klassische Komposition, bei der eine große Gruppe afrokubanischer Perkussionsinstrumente zum Einsatz kommt. Dass Gottschalk dann im Verlauf des Stücks eine Fuge einbaut, ist natürlich eine Verbeugung vor seiner Ausbildung in Europa.

Musik 9 (6:15) ca. 3’00 Louis Moreau Gottschalk: Sinfonie Nr. 1 „La nuit des tropiques“ Utah Symphony Orchestra, Salt Lake City Leitung: Maurice Abravanel SWR M0059258 015

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