Wege Und Geschichte Les Chemins Et L'histoire Strade E Storia
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2013/1 Wege und Geschichte Les chemins et l’histoire Strade e storia Essen und Trinken unterwegs Boire et manger en chemin Mangiare e bere viaggiando E s s e n u n d T r i n k e n u n t e r w e g s 33 1 1 Zermatt um 1840. Das erste Gasthaus bei Wundarzt Lauber ist als traditioneller Holzbau, im Gegensatz zu den späteren Steinbauten, im Siedlungsbild nicht zu erkennen. (Archiv R. Flückiger-Seiler) Unterkunft und Verpflegung im Mattertal vor 1900 Das auf über 1600 Meter gelegene Zermatt ist heute der südlichste Ort im geschlossenen deutschen Sprachraum Europas und umgeben von einem Kranz aus mehr als dreissig Viertausendergipfeln. Die abgelegene Berggegend war in früheren Zeiten aber nicht etwa von der Geschichte ausgeschlossen, wie zahlreiche archäologische Funde und Dokumente belegen. Der Zugang war aber beschwerlich und die Verpflegung meistens schwierig. Roland Flückiger-Seiler Literaten oder Künstler auf der Erkundung einer ihnen noch völlig unbekannten Alpenwelt. Es mag deshalb nicht erstaunen, dass ihnen vorerst urchterregende Zugangswege ein grosser Argwohn der Einheimischen entgegen Der einzige Weg ohne Passüberquerung schlug. So berichtet der Waadtländer Förster und Fführt von der Ortschaft Visp im Rhonetal Botaniker Abraham Thomas (1740 –1824), der in durch das langgezogene Tal der Mattervispa. Der den Alpen Kräuter sammelte, über seinen ersten anstrengende Weg durch tiefe Schluchten und Besuch in Zermatt um 1760: «Die Bevölkerung über teilweise furchterregende Passagen war entsetzte sich über die mit Messern, Pickeln und entscheidend, dass sich die Bewohnerinnen und mächtigen Büchsen bewaffneten Fremden, wie Bewohner dieses Hochtales seit jeher als Selbst- man sie dort noch nie gesehen hatte. Es bildeten versorger organisierten. Der schwierige Zugang sich Gruppen, man beriet sich und flüsterte, jeder war auch verantwortlich für den zögernden Be- berichtete über seine Beobachtungen und Ver- ginn des Fremdenverkehrs am Fusse des Matter- dächtigungen, bis schliesslich ganz Zermatt über- horns. Die ersten Besucher in dieser autarken zeugt war, dass diese fremden Leute eigentlich Zweckgemeinschaft waren neugierige Forscher, Spione seien, welche die Wege ausspionieren 2013 | 1 Wege und Geschichte 34 Boire et manger en chemin | Mangiare e bere viaggiando 2 Zum Hotelimperium 2 des Zermatter Hotel- königs Alexander Seiler gehörten um 1890 drei eigene, (Monte Rosa, Mont Cervin, Riffelalp), und drei gepachtete Betriebe (Riffelberg, Zermatterhof, Schwarz- see). (Archiv R. Flückiger- Seiler) 3 Der Speisesaal des 1899 eröffneten Hotels Victoria. (Archiv R. Flückiger-Seiler) wollten, um diese auf dem Rückweg mit den auf pach bis zum Riffelhaus vertheilen sich zweck- den Alpen gestohlenen Schafen zu benützen. mässig auf 2 Tage, wenn man in St. Niklaus über- Die Menge begab sich daher zum Haus des Pfar- nachtet.» Auch der Reiseführer von Berlepsch rers, dem einzigen, in dem man damals im gan- ermahnte die Wanderer noch 1862: «Feste Fuss- zen Dorf eine Unterkunft fand. Sie forderten den gänger können in einem Tage [nach Zermatt] Geistlichen auf, die Spione auszuliefern, die er hinauf kommen. Minder tüchtige Fussgänger müs- aufgenommen hätte. Der gute Seelsorger hatte sen in St. Niklaus übernachten, weil weiter im alle Mühe, seine Pfarrkinder zu beruhigen. Er Thal drin, bis Zermatt kein erträglicher Gasthof musste sich persönlich für seine Gäste einsetzen; sich findet.»4 um sie den Beschimpfungen zu entziehen be- gleitete er sie auf ihren Streifzügen.»1 Erste Übernachtungsgelegenheiten Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wa- Wurden die ersten Fremden von den Einheimi- ren die Saumwege durch das Mattertal oft nur schen mit grossem Argwohn empfangen, so fan- mit grosser Mühe begehbar. So beschreibt der den sie, wie der Bericht von Abraham Thomas genannte Abraham Thomas den Weg nach Zer- zeigt, in den Pfarrhäusern gute Unterkunft. Die matt kurz vor 1800: «Le sentier par où l’on est Geistlichen hatten bemerkt, dass die neuen Besu- obligé de passer est vraiment affreux; des ravins cher eine willkommene Gelegenheit boten, etwas et des rochers suspendus sur la tête des voya- aus der weiten Welt zu erfahren und ein geistrei- geurs, menacent à tout moment de les écraser.»2 ches Gespräch zu führen. Zudem konnten sie da- 1849 steht im Reisebericht einer englischen durch erst noch ihre Sprachkenntnisse auffri- Gruppe zu lesen: «A bridle road indeed existed, schen. Bis zur Eröffnung der ersten Gasthäuser but in many parts it had been washed away, lea- boten deshalb die Pfarrherren in Stalden, St. Nik- ving no secure footing, so that it was rather an laus, Randa und Zermatt – wie beispielsweise anxious thing to ride over such places on the auch in Lauterbrunnen und Grindelwald – Unter- steep slope of a mountain […].»3 kunft und Verpflegung an. Wohl auch wegen dieser schwierigen Erreichbar- So übernachtete die erste bekannte englische keit fanden die Vispertäler mit Zermatt und Saas Reisegruppe im Mattertal 1800 beim Pfarrer in kaum Erwähnung in den frühen Reiseführern. St. Niklaus, wo sie Käse und Brot erhielt und von Dem ersten Baedeker 1844 war diese Gegend diesem erfuhr, dass er vorher in seinem Leben völlig unbekannt, und bis in die 1870er-Jahre noch nie Engländer gesehen hatte.5 Kurz danach riet er den Touristen: «Die 13 Stunden von Vis- erwähnte Laurent Joseph Murith (1742–1816), Les chemins et l’histoire | Strade e storia 2013 | 1 E s s e n u n d T r i n k e n u n t e r w e g s 35 3 Prior in Martigny, eine gute Unterkunft beim von Hrn. Bühner, Präsident (Maire) der Gemeinde, Pfarrer in St. Niklaus.6 Hans Caspar Hirzel-Escher errichtete, zum Stern, wird, durch beständigen (1792–1851), einer der ersten bekannten Deutsch- Wetteifer, St. Nicolas, dieser bequemen Mittelsta- schweizer Besucher im Mattertal, erhielt bei sei- tion, durch gute Unterkunft, immer mehr Zu- ner Wanderung rund um das Monte-Rosa-Massiv spruch zu versichern helfen.»10 im Sommer 1822 ein angenehmes Nachtquartier In Zermatt wurde das erste Gasthaus bereits kurz in den Pfarrhäusern von Stalden und St. Niklaus. vor 1840 eröffnet, nachdem die Obrigkeit den Bei seinen frühen Reisen nach Zermatt über- Pfarrherren das Beherbergen von Fremden an nachtete Christian Moritz Engelhardt aus Strass- Orten mit einem Gasthaus untersagt hatte.11 burg (1775–1858), der erste Stammgast am Fusse Weltgewandt, aber in leicht unbeholfenem Fran- des Matterhorns, mehrmals bei Pfarrer Johann zösisch bezeichnete der Zermatter Wundarzt Jo- Josef Imseng in Randa, dem späteren Touris- sef Lauber (1787–1868) sein neues Gasthaus mit muspionier im Saastal, und lobte diesen in den einer Tafel über der Eingangstüre: «HOTEL. CER- höchsten Tönen.7 Noch in seiner Ausgabe von VIE. BON LOGE A PIES ET CHWALL 1839»12 1852 pries der Baedeker-Reiseführer in Randa Geheimnisvoll bleibt das Erscheinungsbild von nur das Pfarrhaus als Gasthaus an, in dem man Laubers Herberge, das aus keiner Abbildung auch guten Wein und Honig erhielt: «A Randa on bekannt ist. Gemäss den zeitgenössischen Schil- est amicalement accueilli par le curé qui a derungen handelte es sich um ein typisches Wal- d’excellent vin et du miel exquis.»8 liser Holzhaus, das in den Dorfansichten, im In den 1840er-Jahren entstanden im Mattertal Gegensatz zu den späteren steinernen Hotelbau- die ersten Gasthäuser. So nennt der französische ten, nicht speziell in Erscheinung trat. 1 Reiseführer von Adolphe Joanne 1841 in Stalden bereits eine Herberge, während man in St. Nik- Schwierige Verpflegung laus noch beim Pfarrer übernachten musste.9 Klagen über eine mangelhafte Verpflegung im Zehn Jahre später berichtet der genannte Chris- Mattertal sind bereits von den frühen Besuchern tian Moritz Engelhardt erfreut über bauliche bekannt. So notierte der Naturwissenschaftler Verbesserungen bei den Gasthäusern von St. Nik- Carl Vogt (1817–1895) bei seinem Aufenthalt laus: «In der schon längst vorhandenen 1835: «Die Dörfler leben von Brot, Käse und Kalbermatt’schen Herberge fanden wir den Fleisch, das, in Streifen geschnitten, getrocknet freundlichsten Empfang, genügenden Tisch und wurde. Die Wohlhabenderen haben auch Butter, reinliche Betten. Die jetzt gegenüber befindliche, aber was für Butter! Man wird in einen Stadel 2013 | 1 Wege und Geschichte 36 Boire et manger en chemin | Mangiare e bere viaggiando 4 Britische Bergsteiger- 4 gruppe mit dem Matter- horn-Erstbesteiger Edward Whymper vor dem Hotel Monte Rosa. (Archiv R. Flückiger- Seiler) geführt, und der Besitzer zeigt mit Stolz auf ei- ben die Zimmer tagelang leer. Dies verunmög- nen verschimmelten Klumpen, der auf einem lichte den Gastgebern die Anlage eines auf frem- Brett ruht; es ist zehnjährige Butter. Seiner Ver- de Besucher ausgerichteten grösseren Vorrates sicherung zufolge wird sie wie der Wein mit je- an Lebensmitteln. 1842 beschreibt der Genfer dem Jahr besser; wenn sie recht mit Schimmel Pädagoge und Weltenbummler Rodolphe Toepf- durchzogen und bröckelig ist wie alter Roque- fer (1799–1846) die Verpflegung anlässlich sei- fortkäse, bildet sie auf Hochzeits- und Kindstauf- nes Besuches im Gasthaus von Lauber wie folgt: schmäusen die geschätzteste Zierde der Tafel.»13 «Ce sont des pâtes d’abord, et puis des pâtes en- Eindrückliche Schilderungen über die Anreise suite, après quoi viennent des pâtes encore, en nach Zermatt und die Verpflegung auf der Reise sorte que si l’on y mange mal, on s’y empâte à hinterliess ebenfalls Christian Moritz Engelhardt. merveille.»15 Acht Jahre später berichtet eine Im Weissen Pferd in Visp, dem Gasthof der Fami- englische Alpinistin über ihren Aufenthalt im lie des späteren Staatsrats Josef Anton Clemenz, «little wooden inn belonging to the village doctor, der 1852 auch in Zermatt zum Hotelier werden Herr Lauber», wie aus einem einzigen Schaf eine sollte, schaltete er jeweils einen Aufenthalt ein, mehrgängige Mahlzeit entstand: «We were sup- bei dem er sich ausreichend verpflegte. Für die plied, however, with a very fair supper of several Reise von Visp nach Zermatt empfahl er Maultie- dishes, but all of one material, obtained no doubt re und Pferde aus Visp, denn im Mattertal waren from the same poor sheep.