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Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung

Heft F 83

Berichte der

Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Bundesanstalt für Straßenwesen Fahrzeugtechnik Heft F 83

ISSN 0943-9307 ISBN 978-3-86918-189-9 Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung

Gemeinsamer Schlussbericht der Projektgruppe

von

Tom M. Gasser (Projektgruppenleitung) Clemens Arzt Mihiar Ayoubi Arne Bartels Lutz Bürkle Jana Eier Frank Flemisch Dirk Häcker Tobias Hesse Werner Huber Christine Lotz Markus Maurer Simone Ruth-Schumacher Jürgen Schwarz Wolfgang Vogt

Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Fahrzeugtechnik Heft F 83 F 83

Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs- ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe besteht aus folgenden Unterreihen:

A -Allgemeines B -Brücken- und Ingenieurbau F -Fahrzeugtechnik M-Mensch und Sicherheit S -Straßenbau V -Verkehrstechnik

Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichten Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des Herausgebers wiedergeben.

Nachdruck und photomechanische Wieder- gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi- gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen können direkt beim Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bgm.-Smidt-Str. 74-76, D-27568 Bremerhaven, Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0, bezogen werden.

Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in Kurzform im Informationsdienst Forschung kompakt berichtet. Dieser Dienst wird kostenlos abgegeben; Interessenten wenden sich bitte an die Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt F 1100.5409013.01 des Arbeitsprogramms der Bundesanstalt für Straßenwesen: Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung

Herausgeber Bundesanstalt für Straßenwesen Brüderstraße 53, D-51427 Telefon: (0 22 04) 43 - 0 Telefax: (0 22 04) 43 - 674

Redaktion Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit

Druck und Verlag Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH Postfach 10 11 10, D-27511 Bremerhaven Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0 Telefax: (04 71) 9 45 44 77 Email: [email protected] Internet: www.nw-verlag.de

ISSN 0943-9307 ISBN 978-3-86918-189-9

Bergisch Gladbach, Januar 2012 3

Kurzfassung – Abstract

Gemeinsamer Schlussbericht der Projekt- In Bezug auf die Produkthaftung zeigt sich im Fall gruppe: Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeug- der vollständig fahrerüberwachten Teilautomatisie- automatisierung rung die Bedeutung der Systemgrenzen. Produkt- Die BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmen- haftungsrechtlich gewinnt hier die Einordnung des der Fahrzeugautomatisierung“ hat über die heute bestimmungsgemäßen Gebrauchs wesentlich an verfügbaren Fahrerassistenzsysteme hinaus drei Bedeutung. Zur Absicherung dieses bestimmungs- verschiedene Automatisierungsgrade identifiziert gemäßen Gebrauchs ist die nachhaltige Beeinflus- und begrifflich definiert: Teil-, Hoch- und Vollauto- sung der Verkehrserwartung beim Benutzerkreis matisierung. entscheidend, soweit nicht primär konstruktive Möglichkeiten nach dem Stand von Wissenschaft Aus verhaltensrechtlicher Sicht haben sich als und Technik zur Verfügung stehen, um unberech- wesentliche Unterscheidungsmerkmale verschie- tigtes Systemvertrauen auszuschließen. Bei den dener Automatisierungsgrade die auf das Verkehrs- höheren Automatisierungsgraden, die nicht mehr geschehen fokussierte Aufmerksamkeit des Fah- der Fahrerüberwachung bedürfen (unter der An- rers und seine ständige Möglichkeit zur Fahrzeug- nahme, ihre Nutzung wäre verhaltensrechtlich steuerung herausgestellt. Im Fall der „Teilautomati- möglich), wäre jeder Schaden, der nicht auf ein sierung“ ist die Aufmerksamkeit des Fahrers stän- Fehlverhalten Dritter oder eine Übersteuerung des dig auf das Verkehrsgeschehen gerichtet und er hat Fahrers zurückzuführen ist, geeignet, Herstellerhaf- aufgrund der permanent von ihm durchzuführenden tung auszulösen. Diesbezüglich spielt die Darle- Systemüberwachung die Möglichkeit zur Fahrzeug- gungs- und Beweislast eine wesentliche Rolle. steuerung, sodass dieser Automatisierungsgrad den aktuellen verhaltensrechtlichen Anforderungen Sowohl aufgrund der offenen Fragen in der rechtli- entspricht. Die verhaltensrechtlich geforderte Auf- chen Bewertung als auch übergreifend zur Verbes- merksamkeitskonzentration auf das Verkehrsge- serung technischer Ausgangsbedingungen sowie schehen und die möglicherweise fehlende Möglich- der Gebrauchssicherheit wird von der Projektgrup- keit zur Fahrzeugsteuerung stehen jedoch der Nut- pe weiterer Forschungsbedarf zur Fahrzeugauto- zung höherer Automatisierungsgrade (Hoch- und matisierung formuliert. Vollautomatisierung) derzeit entgegen. Ihre Nut- zung ist gegenwärtig nicht mit dem Verhaltensrecht vereinbar, da der menschliche Fahrzeugführer gegen seine Pflichten verstieße, wenn er sich voll- Consolidated final report of the project group: Legal consequences of an increase in vehicle ständig auf das System verlassen würde. Soweit automation ein Automatisierungsgrad zugleich eine freihändige Fahrzeugsteuerung vorsieht, bedürfte es der ver- The BASt-project group “Legal consequences of an haltenspsychologischen Untersuchung, inwieweit increase in vehicle automation” has identified, dies den Fahrer in der Ausübung ständiger Vorsicht defined and consequently compiled different im Sinne von § 1 Abs. 1 StVO zu beeinträchtigen automation degrees beyond Driver Assistance vermag. Systems. These are partial-, high- and full automation. Hinsichtlich der Haftung nach dem Straßenver- kehrsgesetz erscheint die Beweislastverteilung im According to German regulatory law, i.e. the Rahmen von § 18 Abs. 1 S. 2 StVG in den Fällen German Road Traffic Code, it has been identified höherer Automatisierungsgrade (Hoch- und Vollau- that the distinctive feature of different degrees of tomatisierung) nicht mehr sachgerecht, soweit dem automation is the permanent attention of the driver Fahrer in verhaltensrechtlicher Hinsicht die Ausrich- to the task of driving as well as the constant tung seiner Aufmerksamkeit auf andere Tätigkeiten availability of control over the vehicle. Partial als die konventionelle Fahraufgabe ermöglicht wird. automation meets these requirements. The Die Regelungen zur Haftung des Fahrzeughalters absence of the driver’s concentration to the traffic bleiben bei allen Automatisierungsgraden weiterhin situation and to execute control is in conflict with the anwendbar. use of higher degrees of vehicle automation (i.e. 4

high and full automation). Their use is therefore presently not compatible with German law, as the human driver would violate his obligations stipulated in the Road Traffic Code when fully relying on the degree of automation these systems would offer. As far as higher degrees of automation imply hands-free driving, further research in terms of behavioural psychology is required to determine whether this hinders the driver in the execution of permanent caution as required by sec. 1 para. 1 StVO (German Road Traffic Code).

As far as liabilities according to the StVG (German Road Traffic Act) are concerned, the presently reversed burden of proof on the driver within sec. 18 para. 1 S. 2 StVG might no longer be considered adequate in case of higher degrees of automation that allow the driver to draw attention from the task of driving (in case making such use of a system would be permitted by the German Road Traffic Code). The liability of the vehicle “keeper”, according to the German Road Traffic Act, would remain applicable to all defined degrees of automation.

In case of partial automation, the use of systems according to their limits is accentuated. The range of use that remains within the intended must be defined closely and unmistakeably. Affecting user expectations properly can immensely help to maintain safe use, in case design-measures that exclude overreliance are not available according to the current state of the art (otherwise such measures would have to be applied primarily). In case of the higher degrees of automation that no longer require the driver’s permanent attention (under the presupposition their use would be permitted by the German Road Traffic Code), every accident potentially bears the risk to cause product liability on the side of the manufacturer. Liability of the manufacturer might only be excluded in case of a breach of traffic rules by a third party or in case of overriding/oversteering by the driver. In so far aspects of German procedural law and the burden of proof are of great importance.

The project group has identified the need for further continuative research not only to advance legal assessment but also to improve basic technical conditions for vehicle automation as well as product reliability. 5

Hinweise zum Aufbau der vorliegenden 6.1.1 Teilautomatisierung ...... 14 Veröffentlichung 6.1.2 Hoch- und Vollautomatisierung . . . . 14 Im Dokumentteil 1 ist die gemeinsame Auffassung 6.1.2.1 Hochautomatisierung ...... 15 der BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmen- 6.1.2.2 Vollautomatisierung ...... 16 der Fahrzeugautomatisierung“ wiedergegeben. 6.1.3 Sonderfall: Nothalteassistent ...... 16 Die in den Dokumentteilen 2, 3 und 4 dargestellten 6.2 Verhaltensrechtliche Verpflichtung Inhalte stellen ausschließlich die Meinung ihrer Ver- des Fahrzeugführers zu beid- fasser und nicht notwendigerweise die der übrigen händiger Lenkung ...... 17 Mitglieder der Projektgruppe „Rechtsfolgen zuneh- mender Fahrzeugautomatisierung“ dar. Es handelt sich dabei im Dokumentteil 2 um den Forschungs- 7 Rechtliche Bewertung am bericht zu „Grundlagen, technische Ausgestaltung Maßstab des Haftungsrechtes . . . 18 und Anforderungen“ (BASt-Forschungsbericht: 7.1 Halterhaftung ...... 18 FE 88.0006/2009), im Dokumentteil 3 um den For- schungsbericht „Rechtliche Bewertung: Ordnungs- 7.2 Haftung des Fahrzeugführers ...... 19 recht und Zulassungsrecht“ (BASt-Forschungsbe- 7.2.1 Teilautomatisierung ...... 19 richt: FE 88.0008/2009) und im Dokumentteil 4 7.2.2 Hoch- und Vollautomatisierung . . . . 19 um den Forschungsbericht „Produkt- und Straßen- verkehrshaftungsrecht“ (BASt-Forschungsbericht: 7.3 Kraftfahrzeug-Haftpflicht- FE 88.0009/2009). versicherung ...... 20 7.4 Produkthaftung des Herstellers . . . . 20 7.4.1 Abgrenzung von vernünftiger- Inhalt weise voraussehbarem Fehl- gebrauch zum Missbrauch des 1 Einleitung ...... 7 Produktes (im Fall der Teilautomatisierung) ...... 21 2 Nomenklatur und Beschreibung 7.4.2 Produkthaftung bei hoch- und der Fahrzeugautomatisierung ...... 8 vollautomatisierten Systemen ...... 22 7.4.3 Sonderfall: Nothalteassistent ...... 23 3 Szenarienbetrachtung ...... 10

8 Forschungsbedarf ...... 24 4 Theoretische Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung 8.1 Teilautomatisierung ...... 24 auf die Unfallsituation ...... 11 8.2 Teil- und Hochautomatisierung . . . . . 25 4.1 Teilautomatisierung ...... 11 8.3 Hochautomatisierung ...... 25 4.2 Hochautomatisierung ...... 12 8.4 Vollautomatisierung und 4.3 Vollautomatisierung ...... 12 Nothalteassistent ...... 25 8.5 Übergreifender 5 Realisierbarkeit einer Fahrzeug- Forschungsbedarf ...... 25 automatisierung und Motivation . . . . 12

Dokumentteil 2 (Projekt 1) ...... 27 6 Rechtliche Bewertung am Maßstab des öffentlich-rechtlichen Verhaltensrechtes (StVO) ...... 13 Dokumentteil 3 (Projekt 2) ...... 45 6.1 Verhaltensrechtliche Verpflichtung des Fahrzeugführers zu Fahrzeugbe- Dokumentteil 4 (Projekt 3) ...... 95 herrschung und aufmerksamer Fahr- bahn- und Verkehrsbeobachtung . . . . . 13 6

Danksagung

Sowohl die Arbeit als auch die hiermit vorliegenden Ergebnisse der Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ wären nicht möglich gewesen ohne das engagierte Zusammenwirken, den Einsatz und die Expertise Projektgruppenmitglieder.

Zu danken ist vor allem den Bearbeitern der drei Teilprojekte, deren jeweiliges Arbeitsergebnis sich nachfolgend jeweils in den Dokumentteilen 2, 3 und 4 der vorliegenden Veröffentlichung abgedruckt fin- det. Basis der Diskussionen in der Projektgruppe war die Aufarbeitung von Grundlagen, der techni- schen Ausgestaltung und der Anforderungen an eine Fahrzeugautomatisierung. Diese Diskussion führte zur Veranschaulichung möglicher Automati- sierungsgrade und wurde damit zum Ausgangs- punkt für die weitere Arbeit. Für diese umfassende Aufarbeitung ist Herrn Dr. Arne Bartels zu danken. Für die Bearbeitung der beiden darauf aufbauen- den rechtlichen Bewertungsprojekte ist für den Bereich des Ordnungs- und des Zulassungsrechtes Herrn Prof. Dr. Clemens Arzt sowie Frau Jana Eier und Frau Simone Ruth-Schumacher (LL. M.) sowie für den Bereich des Produkt- und des Straßenver- kehrshaftungsrechtes Herrn Rechtsanwalt Wolf- gang Vogt zu danken.

Neben den vorstehend genannten Autoren derjeni- gen Ausführungen, die als Teil 2 bzw. 3 bzw. 4 des vorliegenden Dokumentes gekennzeichnet sind, gilt besonderer Dank allen weiteren Mitwirkenden der Projektgruppe, die insbesondere für die vier Präsenztreffen viel Zeit aufgewendet und mit eige- nen Beiträgen bzw. bei der Erstellung dieses Doku- mentes Unterstützung geleistet haben. Alle haben mit großem Engagement zu den unterschiedlichen Gesichtspunkten mit ihrem Fachwissen und ihrer Einschätzung in lebhaften Diskussionen beigetra- gen, die auch durch – den Gedankenaustausch stets befruchtende – Meinungsverschiedenheiten geprägt waren. Zu nennen sind insoweit Herr Dr. Mihiar Ayoubi, Herr Dr. Lutz Bürkle, Herr Dr. Frank Flemisch, Herr Dirk Häcker, Herr Tobias Hesse, Herr Dr. Werner Huber, Frau Dr. Christine Lotz, Herr Prof. Dr. Markus Maurer und Herr Dr. Jürgen Schwarz.

Für die Bundesanstalt für Straßenwesen

Tom Michael Gasser Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 7

1 Einleitung betreibt. Im Jahr 2010, während der Laufzeit der hier dargestellten Projektgruppe, sind insbesonde- Ziel der BASt-Projektgruppe war eine – soweit re Veröffentlichungen zu automatisch fahrenden ersichtlich – erstmalige Einschätzung der rechtli- Fahrzeugen des Internet-Unternehmens „Google“ chen Situation bei zunehmender Fahrzeugautoma- in Kalifornien und den nahezu zeitgleich vorgestell- tisierung im öffentlichen Straßenverkehr. Die recht- ten Ergebnissen des Projektes „Stadtpilot“ (For- liche Bewertung erfolgt nach deutschem Recht. schungsfahrzeug „Leonie“ der TU ) Gegenstand der Betrachtung war die Vereinbarkeit von wesentlicher Bedeutung. Das Fahrzeug „Leo- von Fahrzeugautomatisierung mit geltendem Recht nie“ fährt auf dem Braunschweiger Stadtring ganz sowohl unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten (Pro- ohne Fahrereingriff (jedoch mit einem im Notfall dukthaftung, Halterhaftung, Fahrzeugführerhaf- jederzeit zum Eingriff bereiten Sicherheitsfahrer). tung, Haftung der Versicherung) als auch öffentlich- Erforscht werden der Nutzen und die zukünftig rechtlich im Hinblick auf das Verhaltensrecht. mögliche Anwendung verschiedener Automatisie- rungsgrade im straßengebundenen Individualver- Als Grundlage für die rechtliche Bewertung wurde kehr jedoch bereits seit einigen Jahren sowohl auf eine ins Einzelne gehende technische Beschrei- nationaler als auch europäischer Ebene. Projekte bung angefertigt, die mögliche Anwendungsfälle sind und waren bspw. H-Mode, HAVE-it, Citymobil, verschiedener Automatisierungsgrade beispiel- SARTRE, Conduct-by-Wire, CyberCars etc. Die haft, jedoch fiktiv beschreibt. Diese fiktive System- Automatisierungsgrade, die in diesen Projekten beschreibung unterschiedlicher Automatisierungs- Gegenstand waren und sind, unterscheiden sich grade erlaubt die vertiefte rechtliche Bewertung z. T. erheblich von den prototypischen Umsetzun- (wobei erst die Setzung verschiedener Annahmen gen einer Vollautomatisierung (Projekt „Stadtpilot“ hier zur erforderlichen Veranschaulichung führt, etc.). dies trägt jedoch umgekehrt die Einschränkung in sich, dass es sich zwangsläufig um eine nur hypo- Ein Szenario der vollständigen Automatisierung von thetische Betrachtung handelt). Die konkrete Fahrzeugen mit einer Eignung für den öffentlichen rechtliche Bewertung ist daher zunächst allein auf Straßenverkehr ist derzeit nicht abzusehen.2 die entsprechende Systembeschreibung, das Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sich die „Szenario“, bezogen, wobei jedoch von einer vollständig vom Fahrer überwachte und korrigierte Übertragbarkeit der Ergebnisse – unter der weit- Teilautomatisierung bereits heute aus technischer ergehenden Berücksichtigung systemspezifi- Sicht in Serienfahrzeugen realisieren lässt, sofern scher Ausgestaltung – auszugehen ist. In den der Anwendungsbereich auf Fahrsituationen mit Szenarien werden zugleich die Aufgaben des geringer Komplexität beschränkt wird.3 Zumeist Fahrzeugführers bei unterschiedlichen Automa- wird die Einführung innerhalb eines geschlossenen tisierungsgraden beschrieben. Im Bereich Szenarios genannt, wie z. B. Fahrsituation auf der menschlicher Überwachung von System, Fahr- zeug- und damit Verkehrsumgebung als auch bei der erforderlichen Übersteuerung wie allgemein bei der (Rück-)Übertragung der Fahrzeugsteue- 1 Vgl. zur technischen Umsetzung des zweitplatzierten Teams: rung zwischen Mensch und System zeichnen sich Montemerlo, Becker, Bhat, Dahlkamp, Dolgov, Ettinger, wichtige Forschungsfragen ab (vgl. Forschungs- Haehnel, Hilden, Hoffmann, Huhnke, Johnston, Klumpp, bedarf, Kapitel 8). Langer, Levandowski, Levinson, Marcil, Orenstein, Paefgen, Penny, Petrovskaya, Pflueger, Stanek, Stavens, Vogt, Thrun: „Junior The Stanford Entry in the Urban Challenge“, Journal Die Realisierbarkeit einer umfassenden Automati- of Field Robotics – Special Issue on the 2007 DARPA Urban sierung von Fahrzeugen spielt in der öffentlichen Challenge, Part II, archive Volume 25 Issue 9 (Sept. 2008), Wahrnehmung durch die Medien erst mit der zwei- John Wiley and Sons Ltd. Chichester UK S. 569-597. ten durch das amerikanische Verteidigungsministe- 2 Von einer Umsetzung einer – offenbar vollständigen – rium ausgerichteten „DARPA Grand Challenge“ im Automatisierung wird teilweise sogar nicht vor dem Jahr 2050 ausgegangen, vgl. Präsentation von Wolfgang Jahr 2005 und durch die „DARPA Urban Challenge“ Reinhardt beim eSafety Forum Workshop zu „New Priorities im Jahr 20071 eine Rolle. DARPA ist dabei die ame- for deploying safe, smart and clean road mobility“ am rikanische Abkürzung für „Defense Advanced 25.11.2010, Folie 29. 3 Research Projects Agency“, die eine schnelle Wei- Bartels: „Roadmap Automatisches Fahren“, Tagungsband der AAET 2008, S. 350-364, der die Komplexität terentwicklung automatisch gesteuerter Landfahr- verschiedener Fahrsituationen in einer Matrix näher zeuge im Interesse militärischer Anwendungen beschreibt. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 8

Autobahn4 oder in einem Parkhaus. Zugleich sei wurde gewählt, wobei die Anforderungen an den jedoch auf die im Weiteren dargestellte Geschwin- Fahrer bei Nutzung des Systems beschrieben sind. digkeitsabhängigkeit einer Realisierbarkeit von Für die bessere Übersicht der möglichen Fahrzu- Fahrzeugautomatisierung verwiesen, wonach hö- stände erschien es dabei sinnvoll, auch herkömmli- here Automatisierungsgrade sich insbesondere im ches manuelles Fahren („driver only“) und die heute unteren Geschwindigkeitsbereich besser absichern in Fahrzeugen verfügbare Fahrerassistenz („assis- lassen und damit als technisch eher realisierbar tiert“) mit zu berücksichtigen. Inwieweit hierbei der gelten dürfen (automatische Einparksysteme etc.). Fahrerassistenz rechtlich eine Sonderrolle zu- kommt, ist indes infrage zu stellen: Hinsichtlich des Die Relevanz der im Folgenden aufgeworfenen Automatisierungsgrades ergibt sich ein Unter- rechtlichen Fragestellungen einer Fahrzeugauto- schied zur Teilautomatisierung insoweit, als die matisierung darf nicht unterschätzt werden: automatisierte Aufgabe durch ein Fahrerassistenz- Wesentliches Hemmnis bzw. die (mit-)entscheiden- system nur „in gewissen Grenzen“ ausgeführt wird. de Unsicherheit bei der Einführung dieser Systeme Assistiertes Fahren geht zudem nicht über die Auto- wird in den rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer matisierung einer Fahraufgabe des Fahrers, also 5 Umsetzung gesehen, die derzeit nicht nur für der Längs- oder Querführung des Fahrzeuges, hi- 6 Deutschland oder Europa unklar sind. Dieser naus. Ein qualitativer Unterschied zur Teilautomati- rechtlichen Fragestellung nachzugehen war Aufga- sierung liegt deshalb darin, dass bei assistiertem be der vorliegenden BASt-Projektgruppe. Von vorn- Fahren stets eine Regelungsaufgabe weiterhin vom herein war keine umfassende Beantwortung der Fahrzeugführer auszuführen ist. Diese technische rechtlichen Situation zu erwarten, vielmehr wurde Entwicklung rechtlich zu untersuchen war ein eine Zusammenstellung der rechtlich relevanten Schwerpunkt der vorliegenden Projektgruppe Gesichtspunkte und Handlungsfelder angestrebt. (siehe Tabelle 2-1). Die Ergebnisse werden weiterhin limitiert durch den der Projektgruppe zugänglichen Erkenntnisstand Eine weitere Dimension des automatischen Fah- anderer Wissenschaften: Erhebliche Bedeutung rens liegt in dem vorgesehenen Geschwindigkeits- kommt demnach der Leistungsfähigkeit des Men- bereich (siehe Bild 2-1). Dieser ist grundsätzlich schen bei Überwachung und Korrektur maschinel- rechtlich zunächst nicht ausschlaggebend, kann ler Steuerung zu, die für alle hier betrachteten Auto- jedoch durch spezielle Kodifizierung wie vorliegend matisierungsstufen (wie bereits heute im Fall der in einer technischen Norm (vgl. Exkurs im vorlie- Fahrerassistenz) von Bedeutung ist. Dies zeigt sich genden Kapitel zur ECE-R 79 hinsichtlich automati- deutlich in dem von der Projektgruppe identifizier- scher Lenkfunktionen) eine Rolle spielen. Bedeu- ten Forschungsbedarf. Eine weitergehende Bewer- tung hat der Geschwindigkeitsbereich jedoch in tung der rechtlichen Situation hängt auch ganz zweierlei Hinsicht: Einerseits ist es im unteren wesentlich von der Beantwortung dieser For- Geschwindigkeitsbereich nur im Ausnahmefall schungsfragen ab. denkbar, dass dem Fahrzeugführer nicht ausrei- chend Zeit für eine Übersteuerungshandlung ver- bleibt. Andererseits ist die Geschwindigkeit aus technischen Gründen für die Realisierbarkeit von 2 Nomenklatur und Beschrei- Bedeutung. Dies liegt u. a. an der größeren Nähe bung der Fahrzeugauto- des Stillstandes als „sicherem bzw. risikominima- matisierung lem Systemzustand“: Je geringer die Einsatzge-

Ziel der Projektgruppe war es, eine rechtliche Bewertung bezogen auf den jeweiligen Automati- 4 So auch: Bartels: „Roadmap Automatisches Fahren“, sierungsgrad zu erhalten. Um die rechtliche Bewer- Tagungsband der AAET 2008, S. 350-364. tung vorzunehmen, sind zunächst zum besseren 5 Hakuli, Bruder, Flemisch, Löper, Rausch, Schreiber, Winner Verständnis Szenarien geschaffen worden. „Kooperative Automation“, in: Winner, Hakuli, Wolf (Hrsg.), „Handbuch Fahrerassistenzsysteme“, S. 647 (651); Weilkes, Bei der Definition verschiedener Automatisierungs- Bürkle, Rentschler, Scherl in Automatisierungstechnik (at) 53 grade für eine rechtliche Bewertung war die Aufga- (2005), S. 4-10. 6 benteilung zwischen Mensch und Automatisie- Beiker, Calo: „Legal Aspects of Autonomous Driving“, Annual Meeting of the Association of Defense Counsel of Northern rungssystem von wesentlicher Bedeutung. Eine California and Nevada, S. 227-234 (227), San Francisco, Einteilung nach maschineller Leistungsfähigkeit 9./10. Dez. 2010. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 9

Tab. 2-1: Definition verschiedener Automatisierungsgrade

Bild 2-1: Geschwindigkeitsabhängigkeit der Fahrzeugautomatisierung Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 10

schwindigkeit automatischer Steuerung gewählt Änderung. Eine vergleichbare Änderung der Vor- wird, desto schneller lässt sich der Stillstand errei- schrift war schon bei der Einführung von selbsttätig chen, der schon aus physikalischen Gründen – lenkenden Einparksystemen erforderlich. abhängig von der Fahrzeugumgebung – bei relati- ver Betrachtung als „sicher“ einzuordnen ist. Für die ausgewählten Szenarien ist diesbezüglich festzu- stellen, dass sie alle im höchsten denkbaren 3 Szenarienbetrachtung Geschwindigkeitsbereich (Autobahnen) angesie- delt sind und somit vergleichsweise hohe Anforde- Die gewählten Szenarien, die in Dokumentteil 1 rungen an eine technische Realisierung stellen, vertieft beschrieben sind, dienen einerseits als Dis- wobei die Komplexität, bspw. im urbanen Raum, kussionsgrundlage und zur Veranschaulichung. noch höher einzustufen wäre. Zugleich erlauben sie die notwendige Konkretisie- rung für eine Bewertung nach geltendem Recht. Obgleich die Szenarien fiktiv sind, ist eine erste Exkurs: ECE-R 79: Bedingungen zur Einführung von Automatisierungssystemen für die Genehmigung der Lenkanlage Verwendung auf der nicht unwahrschein- lich – trotz der bereits dargestellten Geschwindig- Die im Rahmen der Fahrzeug-Typgenehmigung keitsabhängigkeit der Automatisierung. Grund hier- (sog. „Typzulassung“) anzuwendende ECE-Rege- für sind einige besondere Randbedingungen auf lung Nr. 79 definiert die „automatische Lenkfunk- Autobahnen, die eine Automatisierung erleichtern. tion“ – insoweit spezieller als die vorliegende Pro- Zu nennen ist ein homogener Ausbau mit wenigen jektgruppe – als eine „Funktion in einem komplexen Störeinflüssen, Abwesenheit von Fußgängern und elektronischen Steuersystem, bei der die Betäti- Radfahrern, § 18 Abs. 1 S. 1 StVO, etc. Im Interes- gung der Lenkanlage aufgrund der automatischen se einer nachhaltigen Bewertung wurde bewusst Auswertung von Signalen erfolgen kann, […] um auf eine Überschneidung der Szenarien verzichtet. eine stetige Steuerung zu erreichen, durch die der Dies geht notwendig mit einem Verlust an Rea- Fahrzeugführer bei dem Folgen einer bestimmten litätsnähe einher, da einzelne Szenarien erst durch Fahrspur, beim Rangieren bei niedriger Geschwin- eine Kombination verschiedener Automatisierungs- digkeit oder beim Einparken unterstützt wird“7. Die grade und/oder Funktionen die realistisch zu erwar- vorliegend zugrunde gelegte teilautomatische Fahr- tende Systemsicherheit aufweisen. Insoweit sind zeugsteuerung setzt eine solche Lenkfunktion vo- die fiktiven Szenarien in erster Linie Mittel zum raus. Nach der geltenden ECE-Regelung 79 muss Zweck und keine Beschreibung einer realistischen die Steuerung „automatisch ausgeschaltet werden, Systemgestaltung. wenn die Fahrzeuggeschwindigkeit den eingestell- ten Grenzwert von 10 km/h um mehr als 20 % über- Alle drei beschriebenen Automatisierungsgrade/ schreitet“8. Somit wäre nach dieser Norm die nach Szenarien (für die Teilautomatisierung: Auto- den Definitionen der Projektgruppe als teilautoma- bahnassistent, für die Hochautomatisierung: Auto- tisch zu qualifizierende Funktion im Szenario „Auto- bahnchauffeur und für die Vollautomatisierung: bahnassistent“ gemäß ECE-R 79 eine „automati- Autobahnpilot) beschreiben einen Einsatz in dem- sche Lenkfunktion“ und als solche im Geschwindig- selben Geschwindigkeitsbereich, um die spezifi- keitsbereich von Autobahnen gegenwärtig nicht schen Unterschiede nach dem jeweiligen Automati- zulässig. Vor einer Einführung automatischer sierungsgrad in den Vordergrund zu stellen. Das Systeme bedürfte diese Vorschrift deshalb der Szenario „Nothalteassistent“ kommt ebenfalls in demselben Geschwindigkeitsbereich zur Anwen- dung, stellt insoweit aber einen Sonderfall dar, als seine Funktion nur auslöst, wenn der Fahrzeugfüh- 7 FEE Fahrzeugtechnik EWG/ECE, Regelungen der Economic Commission for Europe für Kraftfahrzeuge und ihre rer während der Fahrt aus medizinischen Gründen Anhänger (ECE-Regelungen), Loseblatt-Textsammlung mit seine Handlungsfähigkeit verliert. Es wurde von der 70. Erg. Lfg, Stand: ECE 01. Oktober 2008, ECE-R 79, Ziff. Projektgruppe beschlossen, dieses Szenario eben- 2.3.4.1 falls der rechtlichen Bewertung zu unterziehen. 8 FEE Fahrzeugtechnik EWG/ECE, Regelungen der Economic Commission for Europe für Kraftfahrzeuge und ihre Anzumerken bleibt, dass zahlreiche weitere Anhänger (ECE-Regelungen), Loseblatt-Textsammlung mit 70. Erg. Lfg, Stand: ECE 01. Oktober 2008, ECE-R 79, Ziff. Anwendungsfälle einer Fahrzeugautomatisierung 5.1.6.1 denkbar sind, die jeweils technische und ggf. auch Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 11

rechtliche Besonderheiten aufweisen. Solche le durch eine Automatisierung vermeiden lassen, Systeme konnten von der Projektgruppe nicht im da der menschliche Fehler im Unfallgeschehen Einzelnen abgedeckt werden. zurückgedrängt wird. Darüber hinaus ist im Fall der Automatisierung mit (einigen wenigen) Unfällen zu rechnen, die ausschließlich auf die Automatisierung selbst zurückzuführen sind (gelb dargestellt). Die- 4 Theoretische Auswirkungen ses Unfallpotenzial kommt hinzu. Im Vergleich ist der Fahrzeugautomatisierung anzunehmen, dass die Zahl der von einer Automa- auf die Unfallsituation tisierung vermiedenen Unfälle um ein Vielfaches die Zahl jener Unfälle übersteigt, die durch eine Anerkannt ist, dass die weit überwiegende Zahl der Fahrzeugautomatisierung (aufgrund von Automati- Unfälle auf ein menschliches Fehlverhalten oder sierungsrisiken) hinzutreten. Versagen zurückzuführen ist.9 Nur ein sehr gerin- ger Anteil der Unfallkonstellationen hat seine Ursa- Als Grundlage für eine Beschreibung des theoreti- che in einem technischen Defekt.10 Eine Automati- schen Unfallvermeidungspotenzials müssen fol- sierung könnte bis hin zum vollständigen Aus- gende Überlegungen angestellt werden: Ein Unfall- schluss der Unfallursache „menschliches Fehlver- vermeidungspotenzial ist von vornherein auf den halten“ führen, dies jedoch nur in der Ausprägung Anwendungsfall des jeweiligen Systems be- als umfassende Vollautomatisierung jeglicher Fahr- schränkt. Auf der Ebene der einzelnen Automatisie- zeugsteuerung, die derzeit noch gar nicht abzuse- rungsgrade stellt sich die Situation für das theoreti- hen ist.11 Unbekannt sind im Fall der Hoch- und sche Unfallvermeidungspotenzial deshalb im Ein- Vollautomatisierung sowohl gesellschaftliche Ak- zelnen folgendermaßen dar: zeptanz als auch die Risikosituation bei ihrem Ein- satz im öffentlichen Straßenverkehr. Von einem erheblichen Nutzen für die Gesellschaft aus einer 4.1 Teilautomatisierung Verringerung der Unfallzahlen insgesamt (als auch Der Fahrzeugführer muss bei Nutzung eines der Unfallfolgen) ist jedoch auszugehen. Zur Ver- Systems mit dem Automatisierungsgrad „Teilauto- anschaulichung kann Bild 4-1 beitragen, dass die matisierung“ das System ständig überwachen und von der Projektgruppe getroffene Annahme veran- ggf. übersteuern. Dies gilt vor allem beim Erreichen schaulicht. von Systemgrenzen im Anwendungsbereich, im In der Skizze zum Unfallvermeidungspotenzial Fehlerfall sowie dann, wenn der Anwendungsbe- einer Fahrzeugautomatisierung (Bild: 4-1) wird das reich verlassen wird. Man darf dabei unterstellen, entsprechende Potenzial aufgrund theoretischer dass das Regelverhalten eines solchen Systems – Überlegungen dargestellt. Dabei ist davon auszu- zumindest sehr weitgehend – fehlerfrei erfolgen gehen, dass sich bestimmte Unfallsituationen auch wird. Mit Systemgrenzen der Sensorik sowie Feh- durch eine Automatisierung nicht vermeiden lassen lern im Rahmen der Anforderungen funktionaler (blau dargestellt). Insgesamt wird sich – ausgehend Sicherheit muss aber weiterhin gerechnet werden. von der heutigen Zahl an Verkehrsunfällen (blau Ein Nutzen für die Verkehrssicherheit ergibt sich und grün dargestellt) – ein großer Teil dieser Unfäl- aus äußerst geringen Latenzzeiten automatischer Steuerungen im Vergleich mit menschlichen Reak- tionszeiten. Weiterer Nutzen ergibt sich aus der Vermeidung menschlicher Fehler in den Bereichen Wahrnehmung, Informationsverarbeitung sowie Handlungsausführung hinsichtlich des automati- sierten Anwendungsbereiches. Für den sicheren

9 Weber, S.: Interdisziplinäre Zusammenhangsanalyse realer Unfalldaten zur Potenzialeinschätzung von Fahrerassis- tenzsystemen, Vortrag am 21.06.2010, 9. GUVU Ver- kehrsexpertentag, Köln. 10 Bild 4-1: Theoretisches Unfallvermeidungspotenzial bei Fahr- Siehe Fn. 9. zeugautomatisierung (Quelle: Projektgruppe) 11 Hierzu bereits oben, Fn. 2. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 12

Gebrauch des Systems ist es jedoch weiterhin stets ten jedoch, das nicht ausschließlich durch die erforderlich, dass der Fahrzeugführer das System Steuerung dritter Fahrzeuge ausgelöst ist, wird als ständig überwacht und in Kenntnis aller System- Unfallursache völlig ausgeschlossen (soweit der grenzen sowie seiner persönlichen Fähigkeiten Fahrer nicht selbst eine übersteuerbare Systemre- selbst erkennt, wann die Korrektur der Systemre- gelung nachteilig beeinflusst). Bei Übernahme der gelung erforderlich wird, denn Systemgrenzen Fahrzeugsteuerung durch den Fahrer ist weiterhin bestehen und Fehler können vorkommen, s. o. Das zu berücksichtigen, dass das vollautomatische teilautomatische System befreit den Fahrzeugfüh- System ggf. selbsttätig in den sicheren Zustand rer daher – bis zur erforderlichen Rückübernahme zurückkehren kann, sodass sich aus einer nicht der Fahrzeugsteuerung – nur von der aktiven erfolgenden Übernahme keine weitergehenden Handlungsausführung. Gefahren ergeben. Gefahren aus manueller Fahr- zeugführung („driver only“) bestehen außerhalb des Anwendungsbereiches eines vollautomatischen 4.2 Hochautomatisierung Systems.

Im Fall der Hochautomatisierung sind Unfälle im Anwendungsbereich des Systems nur insoweit denkbar, als sie ausschließlich auf das Fehlverhal- 5 Realisierbarkeit einer Fahr- ten Dritter zurückzuführen sind. Weiterhin sind als zeugautomatisierung und mögliche Unfallursachen im Anwendungsbereich Motivation noch die seltenen Fälle höherer Gewalt und das Ausfallrisiko durch Systemfehler zu nennen. Bei Realistisch ist zunächst mit einer Markteinführung einer Hochautomatisierung reduziert sich damit der von Systemen der Teilautomatisierung zu rechnen, Raum für menschliches Fehlverhalten, da das ggf. auch in Kombination mit höheren Automatisie- System ohne Systemgrenzen in seinem Anwen- rungsgraden. Systeme der Vollautomatisierung des dungsbereich in der Lage ist, Unfälle zu verhindern. Straßenverkehrs sind dagegen noch gar nicht Das hochautomatisierte System erfordert es absehbar. Aus technischer Sicht ist dabei festzu- jedoch, die Fahraufgabe an den Fahrer zurückzu- stellen, dass Systeme mit dem jeweils höheren übertragen, wenn der jeweilige Anwendungsbe- Automatisierungsgrad ohne Vorschaltung der Ent- reich des Systems endet. Dies erfolgt, was die wicklungsstufe der Teil- bzw. Hochautomatisierung Sicherheit erhöht, mit einer „ausreichenden“ Zeitre- nicht denkbar sind: Der technische „Sprung“ ist serve, sodass der Fahrer sich hierauf grundsätzlich jeweils zu groß, um mit endlichen finanziellen Mit- einstellen kann. Insbesondere muss hier der Fahrer teln und ohne öffentliche Infrastruktur dies für den die Notwendigkeit seines Eingreifens nicht selbst komplexen Straßenverkehr serientauglich zu ent- erkennen, vielmehr fordert das System ihn bei ent- wickeln. Die Systeme des jeweils höheren Automa- sprechender Notwendigkeit zur Übernahme auf. tisierungsgrads bauen jedoch hinsichtlich Sensorik Gefahren können weiterhin bei der Rückübertra- und Umgebungserfassung aufeinander auf. Somit gung der Fahraufgabe auftreten. Aufgrund der ist bei der Diskussion um eine zunehmende Fahr- zuvor nicht erforderlichen Überwachung einer zeugautomatisierung zugleich die höchste und da- hochautomatisierten Steuerung können diese eine mit hinsichtlich der Straßenverkehrssicherheit andere Qualität aufweisen, als dies bei einer Teil- günstigste Ausbaustufe einer Automatisierung ein- automatisierung der Fall ist. Dies ist weiter zu erfor- zubeziehen. schen. Gefahren aus manueller Fahrzeugführung („driver only“) bestehen weiterhin außerhalb des Vorläufig muss – gerade bei den Systemen des Au- Anwendungsbereiches eines hochautomatischen tomatisierungsgrades „Teilautomatisierung“ – Systems. davon ausgegangen werden, dass wesentliche Motivation und Verkaufsanreiz solcher Systeme auf dem Markt der Komfortgewinn für den Fahrzeug- 4.3 Vollautomatisierung führer sein wird. Aus Sicht der Gesellschaft interes- siert vor allem die Auswirkung auf die Verkehrssi- Als mögliche Unfallursachen bei einer Vollautoma- cherheit. Welche Auswirkungen sich diesbezüglich tisierung sind ebenfalls höhere Gewalt und das ergeben, ist entscheidende Forschungsfrage, die Ausfallrisiko funktionaler Systemsicherheit zu nen- von vielen Faktoren abhängt. Zunächst ist nicht nen. Unfallursächliches menschliches Fehlverhal- davon auszugehen, dass sich Komfortgewinn und Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 13

Nutzen für die Verkehrssicherheit im Fall zuneh- betrifft, als auch in Artikel 8 Absatz 5 des Überein- mender Fahrzeugautomatisierung gegenseitig aus- kommens. Beide Vorschriften des Wiener Überein- schließen oder auch nur zuwiderlaufen. Vielmehr kommens finden sich bei den verhaltensrechtlichen kann auch eine Steigerung des Fahrkomforts sich Regelungen, die sich – insoweit der StVO ver- positiv auf die Verkehrssicherheit auswirken, da die gleichbar – an den Fahrzeugführer richten. Beanspruchung des Fahrers verringert wird. Inso- weit ist von einer Erhöhung der sog. „Konditionssi- Neben der Fahrzeugbeherrschung findet sich in 14 cherheit“ des Fahrers auszugehen. dem die Grundregeln für jegliches Verkehrsver- halten regelnden § 1 StVO auch das Vorsichts- und Rücksichtsnahmegebot. Es ist bei der Interpreta- tion aller speziellen an den Fahrzeugführer gerich- 6 Rechtliche Bewertung am Maß- teten Verhaltensgebote und -verbote zu beach- stab des öffentlich-rechtlichen ten.15 Als Verstoß hiergegen ist auch das Nichtbe- achten der Fahrbahn oder eine sonstige Nichtbe- Verhaltensrechtes (StVO) achtung der Fahraufgaben,16 wie sie bspw. im Fall 17 Die Ergebnisse der Projektgruppe in verhaltens- eines Sichwegdrehens des Fahrzeugführers rechtlicher Hinsicht (Öffentliches Recht) lassen sich liegt, anzusehen. zusammenfassend in zweierlei Hinsicht ausma- Auch die systematisch in der Straßenverkehrsord- chen: Einerseits handelt es sich dabei um die ver- nung nachfolgenden Spezialvorschriften (soweit in haltensrechtlichen Pflichten des Fahrzeugführers den Szenarien einschlägig) weisen einen direkten bei der Fahrzeugbeherrschung sowie der aufmerk- Bezug zu den Pflichten des Fahrzeugführers auf: samen Fahrbahn- und Verkehrsbeobachtung. Diese Direkten Bezug zum Anwendungsbereich der be- Pflichten werden in der Straßenverkehrsordnung schriebenen Systemfunktion auf Autobahnen wei- (StVO) abstrakt vorausgesetzt und mit Situationsbe- sen die Vorschriften zum Abstandsverhalten (§ 4 zug in den Einzelnormen konkretisiert (so bspw. StVO) und dem Überholen (§ 5 StVO) auf, die sich Vorschriften zur Geschwindigkeit, dem Abstand zu – wie auch die übrigen Vorschriften des I. Kapitels vorausfahrenden Fahrzeugen oder dem Verhalten der Straßenverkehrsordnung – direkt an den Ver- beim Überholen etc.). Andererseits handelt es sich kehrsteilnehmer18 richten. Dabei wird implizit davon um die bereits sehr konkrete Frage, ob eine Fahr- ausgegangen, dass die Verkehrsteilnahme ein zeugführerpflicht zu beidhändiger Lenkung eines menschliches19 Verhalten voraussetzt, das als zweispurigen Fahrzeuges auch im Fall einer auto- ein „Handeln oder pflichtwidriges Unterlassen […] matisierten Querführungsfunktion fortbesteht. mit Beteiligungsabsicht auf einen Verkehrsvor-

6.1 Verhaltensrechtliche Verpflichtung

des Fahrzeugführers zu Fahrzeug- 12 So auch BGH Urt. v. 04.10.1966, AZ: VI ZR 19/65, in VersR beherrschung und aufmerksamer 1966, 1156 f. Fahrbahn- und Verkehrsbeobach- 13 Deutsches Zustimmungsgesetz: BGBl II, 1977, 810 ff. (der Vertragstext ist im Bundesgesetzblatt in den Sprachen tung Englisch, Französisch und Deutsch auf den folgenden Seiten abgedruckt). In den Vertragssprachen ist das Wiener Über- Im Wortlaut der Straßenverkehrsordnung findet einkommen über den Straßenverkehr v. 08.Nov.1968 auf der sich die Pflicht des Fahrzeugführers zur Fahrzeug- UNECE-Homepage in der aktuellen Fassung verfügbar: http://live.unece.org/trans/conventn/legalinst.html (Abruf am beherrschung ausdrücklich nur in Bezug auf die 29.06.2011). Fahrgeschwindigkeit, die nicht höher sein darf, als 14 Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht-Kommentar, dass der Fahrzeugführer sein Fahrzeug noch § 1 StVO, Rn. 5. „ständig beherrscht“ (§ 3 Abs. 1 S. 1 StVO).12 Der 15 Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht-Kommentar, Begriff der Beherrschung des Fahrzeuges findet § 1 StVO, Rn. 6. 16 sich auch im Wiener Übereinkommen über den Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht-Kommentar, § 3 StVO, Rn. 67. Straßenverkehr13, das die Zulassung zum grenz- 17 Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht-Kommentar, überschreitenden Verkehr entsprechend seinem § 1 StVO, Rn. 7. Charakter als zwischenstaatlicher Vertrag näher 18 Vgl. zum Begriff: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrs- regelt: dort in Artikel 13 Abs. 1 des Wiener Überein- recht-Kommentar, § 1 StVO, Rn. 15. kommens, der ebenfalls die Geschwindigkeitswahl 19 Hierzu: Hbg in VRS 36, 449. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 14

gang“20 einwirkt. Davon, dass es sich hierbei bis hinsichtlich des Vorsichts- und Rücksichtnahmege- heute alleine um ein menschliches Verhalten han- botes aus § 1 Abs. 1 StVO oder der nachfolgenden deln kann, muss ausgegangen werden, auch ange- verhaltensrechtlichen Spezialvorschriften ein Wider- sichts von Fahrerassistenzsystemen mit hohem spruch in der Teilautomatisierung zur fortdauernden Unterstützungsgrad – wie etwa dem Abstandsre- Ausübung der Fahrzeugführerpflichten erkennbar. geltempomaten (ACC): Solche Fahrerassistenz- Weicht die automatische Systemregelung – bspw. systeme setzen notwendig die Verkehrs- und Fahr- durch eine relevante Unterschreitung des durch § 4 bahnbeobachtung durch den Fahrzeugführer vo- StVO vorgegebenen Abstands – von den verhal- raus (wie auch die jederzeitige und unmittelbar ver- tensrechtlichen Vorschriften ab, ergibt sich daraus fügbare Fahrzeugbeherrschung durch den Fahrer unmittelbar die Pflicht des aufmerksam beobachten- für die notwendige Übersteuerung), sodass kein den Fahrzeugführers, übersteuernd einzugreifen Widerspruch zu den verhaltensrechtlichen Pflichten und die (mangelhafte) Systemregelung durch die des Fahrzeugführers auftritt. Diese Annahme fakti- eigene Steuerung des Fahrzeuges (ohne Automati- scher Notwendigkeit dauerhafter Fahrbahn- und sierung, insoweit nämlich: „driver only“) zu ersetzen. Verkehrsbeobachtung sowie der Fahrzeugbeherr- Das Gleiche ist in dem Fall erforderlich, wenn das schung hat ihre Ursache in der andauernden System in der konkreten Situation eine höhere Befassung des Fahrzeugführers mit der jeweils Geschwindigkeit einsteuert, als der Fahrzeugführer anderen Bedienhandlung (Längs- oder Quer- sie nach seinen persönlichen Fähigkeiten meint führung) sowie ggf. in einem Unterstützungsgrad, beherrschen zu können oder als sie der konkreten der nicht zur vollständigen Ausführung aller regel- Fahr- bzw. Verkehrssituation nach zulässig ist. Letzt- mäßig zu erwartenden Aufgaben ausreicht. lich sind die verhaltensrechtlichen Rahmenbedin- gungen einer Teilautomatisierung somit mit denen Wendet man die bis hierher diskutierten Verhal- der Fahrerassistenz kongruent und widersprechen tensvorschriften auf die von der Projektgruppe be- dem Verhaltensrecht nicht. trachteten Automatisierungsgrade an, ist zunächst festzustellen, dass sie allesamt jederzeit übersteu- erbar ausgestaltet werden können, also zu keinem 6.1.2 Hoch- und Vollautomatisierung Zeitpunkt den Fahrzeugführer an der Ausübung In den Fällen der Hoch- oder Vollautomatisierung seiner in der Straßenverkehrsordnung beschriebe- wird ein Automatisierungsgrad erreicht, der es dem nen Pflichten hindern. Dies gilt insbesondere auf- Fahrzeugführer faktisch ermöglichen würde, von grund einer jederzeitigen Abschaltbarkeit der der aufmerksamen Fahrbahn- und Verkehrsbeob- Systeme. Erforderlich ist hierbei jedoch eine diffe- achtung abzuweichen: Während dieser automati- renzierte Betrachtung des Automatisierungsgrades sierten Phasen muss der Fahrzeugführer weder die der Teilautomatisierung einerseits und der Hoch- hoch- noch die vollautomatische Systemregelung in und Vollautomatisierung andererseits: Bezug auf die automatisierten Steuerungsvorgänge und die sich ergebenden konkreten Verkehrssitua- 6.1.1 Teilautomatisierung tionen überwachen. Eine Überwachung des Sys- tems selbst ist darauf beschränkt, erst im Fall einer Die Teilautomatisierung setzt definitionsgemäß beim geeigneten – also bspw. akustischen oder hapti- Fahrzeugführer voraus, dass er ständig, auch bei schen – Übernahmeaufforderung, die Fahrzeug- Nutzung des Systems eines entsprechenden Auto- führung wieder zu übernehmen: Hierbei unterschei- matisierungsgrades, seine Fahrbahn- und Verkehrs- den sich die Hoch- wie auch die Vollautomatisie- beobachtung unverändert fortsetzt und sich ständig rung insbesondere hinsichtlich der denkbaren für eine ggf. erforderlich werdende Übersteuerung Zeiträume, die für eine Übernahme zur Verfügung des Systems bereit hält (also auch dann korrigierend stehen, und darin, dass nur die Vollautomatisierung eingreift, wenn die Regelung des Systems seine ein vollständig kompensierendes Systemverhalten subjektiv empfundenen persönlichen Fähigkeiten bei Ausbleiben einer Rückübernahme der Fahr- überschreitet). Dann ist aber weder bezüglich der zeugführung durch den Fahrer aufweist. vorliegend diskutierten Fahrzeugbeherrschung noch

Exkurs: Vorüberlegungen

20 Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht-Kommentar, Bevor im Weiteren die verhaltensrechtlichen Vor- § 1 StVO, Rn. 16. schriften der Straßenverkehrsordnung näher unter- Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 15

sucht werden, sind die nachfolgenden Vorüberle- Dieser grundlegende Widerspruch, der aus dem gungen anzustellen: Charakter der Straßenverkehrsordnung als Verhal- tensrecht erwächst, lässt sich auch in den einzel- Die verhaltensrechtlichen Vorschriften der Straßen- nen kodifizierten Verhaltensvorschriften finden. verkehrsordnung werden in der weiteren Darstel- Inwieweit dies der Fall ist, wird nachfolgend nur lung auf die technisch gesteuerte Fahrzeugführung auszugsweise betrachtet. Wohlgemerkt betrifft dies angewendet, um so Widersprüche nach heutiger ausschließlich den Fall, in dem – wie vorliegend bei Rechtslage aufzudecken. Dies erfolgt, obwohl Hoch- und Vollautomatisierung – dem Fahrzeug- Adressat21 verhaltensrechtlicher Vorschriften der führer eine aufmerksame Fahrbahn- und Verkehrs- Verkehrsteilnehmer ist. Der Verkehrsteilnehmer wird beobachtung zwar weiterhin möglich wäre, dies objektiv und subjektiv definiert durch die beiden jedoch nach dem vorgesehenen maschinellen Merkmale des verkehrserheblichen Verhaltens, also Steuerungsverhalten nicht intendiert ist. eines Handelns oder Unterlassens, das mit Beteili- gungsabsicht (subjektive Komponente) auf einen 6.1.2.1 Hochautomatisierung Verkehrsvorgang einwirkt.22 Bei einer Steuerung des Fahrzeuges durch ein hoch- oder vollautomati- Ein den technischen Aufwand rechtfertigender sches System entfällt aber die sonst bei manueller Systemnutzen für den Fahrzeugführer (unter dem Fahrt („driver only“) permanent bestehende Beteili- Gesichtspunkt des Komforts beim Fahrer) entfaltet gungsabsicht des Verkehrsteilnehmers in einem sich bei einem hochautomatisierten System nur bislang nicht bekannten Ausmaß: Der Fahrer über- dann, wenn dem Fahrzeugführer erlaubt wird, die wacht nämlich nicht mehr die Systemregelung oder aufmerksame Beobachtung von Fahrbahn und Ver- die Fahrbahn und Verkehrsumgebung, wodurch es kehr für die Dauer der hochautomatisierten Fahrt am verkehrserheblichen (menschlichen) Verhalten einzustellen. Nach geltendem Recht ist ihm dies (und sei es in Form eines Unterlassens) vorliegend verhaltensrechtlich (StVO) nicht möglich. fehlt. Die Steuerung des Fahrzeuges erfolgt in sol- chermaßen hoch- und vollautomatisierten Phasen Unter der Annahme, die Beobachtung von Fahr- bahn und Verkehr würde nicht aufrechterhalten, vielmehr maschinell. Diese maschinelle Steuerung, könnte zugleich auf einen Mangel in der Fahrzeug- die den Fahrer ersetzt, ist dabei in der Lage, den beherrschung des Fahrers geschlossen werden: verhaltensrechtlichen Ge- und Verboten entspre- Beobachtet der Fahrer nicht aufmerksam die vor chend zu steuern. Die maschinelle Fahrzeugsteue- ihm liegende Fahrbahn und Verkehrsumgebung, rung wird dabei schon zur sicheren Fahrzeug- kann rein tatsächlich nicht davon ausgegangen führung im umgebenden Verkehr nicht von den heu- werden, dass er weiterhin unmittelbar zur Fahr- tigen Verhaltensregeln abweichen können: Zwar zeugsteuerung in der Lage ist. Damit entfällt jedoch sind die verhaltensrechtlichen Vorschriften der zugleich (mindestens vorübergehend) die Fahr- Straßenverkehrsordnung (nur) auf ein menschliches zeugbeherrschung des Fahrers. Dies ergibt sich Verhalten gerichtet, doch muss schon zur Abwehr unmittelbar nach dem zugrunde liegenden Begriff von Gefahren die maschinelle Steuerung den Ver- der (notwendig) willensgetragenen Handlung: Eine haltensvorschriften entsprechend erfolgen. Damit ist Handlung erfordert nach grundlegenden rechtli- aber nicht gesagt, dass die Verhaltensvorschriften chen Prinzipien sowohl des Zivilrechtes23 als auch eine diesbezüglich verbindliche Regelungswirkung des Strafrechtes ein menschliches Verhalten. Dies für die Ausgestaltung maschineller Steuerung ent- falten. Das ist nicht der Fall, ausgelöst würde nach geltendem Recht lediglich eine Verpflichtung zur Übersteuerung beim Fahrzeugführer. Verbindlich- keit des Verhaltensrechtes für eine maschinelle 21 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht- Steuerung könnte nur über technische Wirkvor- Kommentar, § 1 StVO, Rn. 5. 22 schriften bewirkt werden. Dieses Ergebnis würde Heß, in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht-Kom- mentar, § 1 StVO, Rn. 16. sich auch dadurch erreichen lassen, dass die Ver- 23 Deliktische Handlungen werden als „ein der Bewusst- haltensvorschriften, die auch bei maschineller seinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes be- Steuerung angewendet werden müssen, „entspre- herrschbares Verhalten unter Ausschluss physischen chend“ angewendet werden (womit faktisch ent- Zwangs oder unwillkürlichen Reflexes durch fremde Einwir- kung“ verstanden. Solche Handlungen können in einem Tun sprechende technische Wirkvorschriften für die oder Unterlassen bestehen. Vgl. hierzu insgesamt: Sprau, in: maschinelle Steuerung geschaffen würden). Palandt, BGB-Kommentar, § 823 BGB, Rn. 2. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 16

lässt sich vorliegend durch ein Unterlassen des Ein- Wird auch hier unterstellt, der Fahrer würde die auf- griffs bei der automatisierten Fahrzeugführung merksame Beobachtung von Fahrbahn und Ver- erreichen. Nimmt der Fahrzeugführer seine Auf- kehr einstellen, würde dies – der Hochautomatisie- merksamkeit jedoch für einen rechtlich relevanten rung insoweit völlig vergleichbar – zum Wegfall der Zeitraum von der Fahrbahn- und Verkehrsbeobach- Fahrzeugbeherrschung durch den Fahrer führen: tung,24 kann er das weitere Steuerungsverhalten Ein zielgerichtetes und vom Bewusstsein des Men- des Systems in Form seiner konkreten Entwicklung schen getragenes Verhalten ist dann nicht mehr der umgebenden Lage auf der Fahrbahn und hin- erkennbar. Die Steuerung des Fahrzeuges wird sichtlich der umgebenden Verkehrssituation nicht während der vollautomatisierten Fahrt vollständig mehr zu seiner Willensbildung heranziehen. Der maschinell ausgeführt. Willen, ist folglich nicht mehr mit dem konkreten Situationsbezug versehen. Dann fehlt es jedoch Auch hier fallen die Anforderungen des Verhaltens- auch an einem rechtlich relevanten Unterlassen rechtes sowie die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines Eingreifens in die Systemregelung und in der maschineller Fahrzeugsteuerung auseinander: Im Folge fehlt insgesamt die menschliche Handlung. vorliegenden Fall der Vollautomatisierung ist es jedoch für die sichere Fahrzeugsteuerung über die Bei der Hochautomatisierung fallen die verhaltens- bei der Hochautomatisierung dargestellte Situation rechtliche Forderung nach einem aufmerksam hinaus gleichgültig, ob der Fahrer auf eine Auffor- beobachtenden Fahrer und die technische System- derung zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung gestaltung somit auseinander: Das hochautomati- reagiert oder nicht: Soweit der Fahrer hierauf nicht sche System wird durch eine Übernahmeaufforde- reagiert, ist das System von sich aus in der Lage, rung den Fahrer immer dann auffordern, seine Auf- den sicheren Systemzustand herbeizuführen (der merksamkeit auf die Beobachtung von Fahrbahn- im Regelfall darin bestehen wird, an geeigneter und Verkehrsumgebung wieder herzustellen, womit Stelle anzuhalten). Insoweit wird im Fall der Vollau- (eine ausreichende Zeitreserve vorausgesetzt; ihre tomatisierung vom Fahrer nach heutiger Rechtsla- Bemessung ist Forschungsgegenstand) auch die ge wesentlich mehr gefordert als zur Aufrechterhal- Fahrzeugbeherrschung durch den Fahrzeugführer tung einer sicheren Verkehrsteilnahme in irgend- zu dem zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit einer Weise erforderlich ist. erforderlichen Zeitpunkt wieder hergestellt wäre. Unterstellt, das Unterlassen der Fahrbahn- und 6.1.3 Sonderfall: Nothalteassistent Verkehrsbeobachtung wäre verhaltensrechtlich im Fall der Hochautomatisierung zulässig, ist weiterhin Der Nothalteassistent übernimmt die Steuerung zu berücksichtigen, dass die sichere Fahrzeug- des Fahrzeuges ausschließlich im Fall der (medizi- führung davon abhängig ist, dass der Fahrer auch nisch oder durch Einschlafen bedingten) Hand- tatsächlich die Beobachtung von Fahrbahn- und lungsunfähigkeit/Bewusstlosigkeit des Fahrzeug- Verkehrssituation aufnimmt und die Fahrzeug- führers, somit dann, wenn der Fahrer nicht mehr steuerung tatsächlich (als aktives Handeln) wieder zur aktiven Steuerung seines Fahrzeuges in der übernimmt. Hieraus ergibt sich der Forschungsbe- Lage ist. Der Fahrer wird über die Übernahme der darf im Bereich der Rückübernahme von Fahrzeug- automatischen Steuerung informiert und kann auch steuerung (vgl. zum Forschungsbedarf Kapitel 8). jederzeit während der automatischen Steuerung (im Fall der Wiedererlangung seiner Handlungs- fähigkeit) die Fahrzeugführung selbst übernehmen. 6.1.2.2 Vollautomatisierung Im Unterschied zu den vorgenannten Fällen der Auch im Fall der Vollautomatisierung entfaltet sich ein den technischen Aufwand rechtfertigender Systemnutzen (erneut unter dem Gesichtspunkt des Komforts beim Fahrer) nur dann, wenn dem 24 Vgl. hier zur Annahme grober Fahrlässigkeit: OLG Saar- Fahrer erlaubt würde, die aufmerksame Fahrbahn- brücken, Urt. v. 21.09.1973, AZ: 3 U 97/72, in: VersR 1974, 183 f. (bei einem im Wageninnern herabfallenden Gegen- und Verkehrsbeobachtung für die vollautomatisierte stand: Kaugummi); OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.01.2004, Fahrt einzustellen. Dies ist nach den bereits zur AZ: 12 0 394/02, in: MDR 2004, 874 f. (bei Umdrehen zum Hochautomatisierung erläuterten verhaltensrechtli- Fond des Wagens in einer Kurve bei Nacht); OLG Köln, Urt. v. 25.11.1982, AZ: 5 U 102/82, in: VersR 1983, 575 f. (bei chen Regelungen dem Fahrer nach geltendem Umdrehen zum Fond des Wagens bei einer Fahrgeschwin- Recht (StVO) versagt. digkeit von 120 km/h). Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 17

Teil-, Hoch- und Vollautomatisierung erfolgt hier die der Planwidrigkeit der Regelungslücke: In § 23 automatische Steuerung ausschließlich zum Zweck StVO werden die sonstigen Pflichten sowohl von des sicheren Anhaltens in einer – auch unter ver- Fahrern einspuriger wie auch mehrspuriger Fahr- kehrlichen Gesichtspunkten – als Notfall zu qualifi- zeuge geregelt. In diesem Zusammenhang ist das zierenden Situation. Ausgelöst wird die automati- Verbot freihändigen Fahrens ausdrücklich auf ein- sche Steuerung nur, wenn der Fahrzeugführer spurige Fahrzeuge beschränkt. Das freihändige weder in der Lage ist, aufmerksam Fahrbahn- und Fahren mehrspuriger Fahrzeuge ist somit – ohne Verkehr zu beobachten, noch sein Fahrzeug aktuell Hinzutreten einer konkreten Gefährdung gemäß § 1 beherrscht. Damit ist auch verhaltensrechtlich eine Abs. 2 StVO – auch nicht verboten (und auch nicht andere Situation anzunehmen als in den vorste- ordnungswidrig i. S. v. § 24 StVG).27 henden Fällen der Automatisierung: Während in Abgeleitet wird heute eine Pflichtwidrigkeit des jenen Fällen die Verhaltenspflichten aus der Stra- freihändig fahrenden Fahrzeugführers eines ßenverkehrsordnung den Fahrzeugführer wirksam mehrspurigen Fahrzeuges aus § 1 Abs. 1 StVO. verpflichten können, fehlt hier von vornherein ein Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass in der handlungsfähiger Adressat, dem die Fahrbahn- und freihändigen Fahrzeugführung ein Verstoß gegen Verkehrsbeobachtung aufgegeben werden kann das Gebot ständiger Vorsicht und gegenseitiger oder dem der Mangel an Fahrzeugbeherrschung Rücksicht darin liegt, nicht beidhändig zu lenken. vorwerfbar wäre. Diese Pflichtwidrigkeit bezieht sich zunächst auf Der Automatisierungsgrad des Nothalteassistenten den heutigen Fahrzeugbestand und damit auf die ist der Vollautomatisierung zugeordnet, weil das konventionelle Fahrzeugsteuerung. Bei konventio- System in der Lage ist, den risikominimalen Zu- neller Fahrzeugsteuerung – wie auch im Fall der stand selbst herzustellen und es einer Übernahme Fahrerassistenz – sind bereits auf Stabilisierungs- der Fahrzeugsteuerung durch den Fahrzeugführer ebene des Fahrzeuges Situationen denkbar, die hierzu nicht bedarf. Eine besondere Ausgestaltung Lenkbewegungen durch den Fahrzeugführer erfor- stellt der Nothalteassistent aber insbesondere derlich erscheinen lassen, um das Fahrzeug stabil angesichts seines Einsatzbereiches dar, der durch zu halten. Diese notwendigen Lenkbewegungen die Abwesenheit eines handlungsfähigen Fahr- auszuführen wäre ein freihändig fahrender Fahr- zeugführers gekennzeichnet ist. Soweit für den zeugführer voraussichtlich nicht in der Lage. Damit Fahrzeugführer das Fehlen seiner Fahreignung er- ergibt sich im Fall freihändigen Fahrens eines kon- kennbar sein sollte, also Grund zu der Annahme ventionell gesteuerten Fahrzeuges insoweit schlüs- besteht, dass er im Laufe der Fahrt bewusstlos sig die Pflichtwidrigkeit des freihändigen Fahrens. oder handlungsunfähig werden könnte, würde es Im Unterschied hierzu kann im Fall einer teilauto- an seiner Eignung zur „selbstständigen Leitung“ matischen Fahrzeugführung unterstellt werden, i. S. v. § 31 Abs. 1 StVZO fehlen.25 Auch der Fahr- dass technisch das System sämtliche Störungen zeughalter darf die Fahrzeugbenutzung nicht zulas- aufgrund von Umweltbedingungen (Fahrbahnober- sen, wenn die Fahrtüchtigkeit des Fahrers infolge fläche, Seitenwind etc.) ausgleicht. Erst auf Bahn- von Krankheit, Alter, Müdigkeit für ihn erkennbar führungsebene ist davon auszugehen, dass ein sol- 26 infrage steht. ches teilautomatisches System seine Grenzen erreicht und ggf. der (Lenk-)Korrektur durch den Fahrzeugführer bedarf (um bspw. Hindernissen 6.2 Verhaltensrechtliche Verpflichtung auszuweichen). Damit ist technisch zur Stabilisie- des Fahrzeugführers zu beidhän- rung des Fahrzeuges keine beidhändige Lenkung durch den Fahrzeugführer erforderlich. diger Lenkung

Ausdrücklich geregelt ist in der StVO für einspurige Fahrzeuge (Radfahrer und Führer von Krafträdern) 25 Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrs- die Verpflichtung, nicht freihändig zu fahren (§ 23 recht-Kommentar, § 31 StVZO, Rn. 10. Abs. 3 S. 2 StVO). Eine ausdrückliche Anordnung 26 Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrs- beidhändiger Lenkung zweispuriger Fahrzeuge ist recht-Kommentar, § 31 StVZO, Rn. 9. 27 unmittelbar der StVO nicht zu entnehmen. Für eine König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht- Kommentar, § 23 StVO, Rn. 14 mit dem Hinweis, dass die analoge Anwendung dieses Verbots auf die Fahr- Pflichtwidrigkeit im Fall einer hierdurch verursachten zeugführer mehrspuriger Kraftfahrzeuge fehlt es an Schädigung als fahrlässig zu bewerten ist. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 18

Dem Fahrzeugführer obliegt auch die Bewältigung Bahnführungsebene ist auch bei teilautomatischen unvorhersehbarer Störungen in der Bahnführungs- Systemen eine Pflicht des Fahrzeugführers zu ebene eines Fahrzeuges (das bedeutet bspw. auf beidhändiger Lenkung in Abhängigkeit von der kon- herabfallende Ladung oder – eingeschränkt – Wild- kreten Verkehrssituation dann anzunehmen, wenn wechsel geeignet reagieren zu können). Anforde- die Verkehrssituation dies zur Fahrzeugbeherr- rung ist dabei, dass es dem Fahrer auch nach vo- schung auf Bahnführungsebene erfordert. Das ist rangehendem freihändigem Fahren noch möglich namentlich dann der Fall, wenn mit einem Fehlver- ist, diese Situationen so zu beherrschen, dass es halten anderer jederzeit zu rechnen ist (bspw. bei der Anforderung ständiger Vorsicht i. S. v. § 1 Abs. enger Fahrstreifenführung, im dichten, schnell fah- 1 StVO noch genügt. Maßstab ist eine vergleichbar renden Verkehr, auch bei erkennbarem Fehlverhal- sichere Bewältigung solcher Störungen, wie dies ten anderer Verkehrsteilnehmer, selbst wenn sie dem Fahrer eines von vornherein konventionell weiter entfernt sein mögen, etc.). Noch nicht be- gefahrenen Fahrzeuges (bei beidhändiger Len- kannt und verhaltenspsychologisch zu untersuchen kung) gelingt. Ob dies der Fall ist, kann gegenwär- ist, ob in den verbleibenden Situationen auf Bahn- tig nicht abschließend beurteilt werden. Die Pro- führungsebene die vom Fahrzeugführer erforderli- jektgruppe sieht daher zu der Frage, ob bei teilau- che Übernahme der Fahrzeugsteuerung in völlig tomatischen Systemen nicht vorhersehbare Störun- unerwarteten und zuvor nicht erkennbaren Gefah- gen nach vorangehendem freihändigem Fahren in rensituationen auch im Fall freihändigen Fahrens vergleichbarer Weise vom Fahrer bewältigt werden noch in geeigneter Weise gelingt. können, noch verhaltenspsychologischen For- schungsbedarf (vgl. Forschungsbedarf, Kapitel 8.1).

Ob auf Bahnführungsebene eine beidhändige Len- 7 Rechtliche Bewertung am Maß- kung erforderlich ist, bestimmt sich im Übrigen nach stab des Haftungsrechtes der konkreten Verkehrssituation: Das teilautomati- sche System ist in der Lage, das Fahrzeug im Fahr- 7.1 Halterhaftung streifen zu halten, reagiert dagegen nicht auf Fehl- verhalten anderer Verkehrsteilnehmer oder uner- Die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG ordnet wartete Hindernisse auf der Fahrbahn (System- dem Fahrzeughalter die haftungsrechtliche Verant- grenzen). Nicht in jeder Verkehrssituation muss wortung für die so genannte „Betriebsgefahr“ des äußerst kurzfristig mit dem Auftreten solcher Hin- Kraftfahrzeuges zu. Diese Betriebsgefahr verwirk- dernisse und Störungen gerechnet werden: Bei licht sich gleichermaßen durch einen Fahrfehler ausreichender Sicht, Fahrbahnbreite und geringem des Fahrzeugführers wie durch einen technischen Verkehrsaufkommen kann über weite Strecken Defekt am Fahrzeug. Hierbei könnte sich die Frage absehbar sein, dass eine aktive Handlung des Fah- stellen, inwieweit der technische Defekt die – durch rers nicht kurzfristig aus solchen Gründen erforder- ein automatisches System vorgenommene – lich wird. Umgekehrt können besonders schwierige Steuerung des Fahrzeuges mit umfasst. Auch der Verkehrssituationen (etwa enge Fahrstreifen- technische Defekt eines automatischen Systems führung im Bereich von Baustellen, eine hohe Ver- wäre jedoch nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 kehrsdichte u. v. a. m.) sehr kurzfristige Lenkreak- StVG ohne weiteres „Betrieb“ im Sinne der Vor- tionen durchaus erforderlich machen. schrift. In der Vergangenheit ist auch mit Blick auf Fahrerassistenzsysteme davon ausgegangen wor- Im Ergebnis lässt sich daher zusammenfassen, den, dass Schäden, die auf eine Fehlfunktion von dass kein Verbot des freihändigen Fahrens besteht. Fahrerassistenzsystemen zurückzuführen ist, zur Das freihändige Fahren kann aber gegen die Pflicht haftungsrechtlich nach § 7 Abs. 1 StVG dem Fahr- des Fahrzeugführers zu ständiger Vorsicht (§ 1 zeughalter zugeordneten Betriebsgefahr zu rech- Abs. 1 StVO) verstoßen. Dies ist bei konventionel- nen sind.28 Diese Zuordnung der Betriebsgefahr ist ler Fahrzeugführung sowie im Fall der Fahreras- deshalb folgerichtig, weil der Fahrzeughalter wei- sistenz heute der Regelfall. Bei teilautomatischer Fahrzeugführung ist ein Verstoß nur noch auf Bahnführungsebene denkbar (da alle Störungen auf Fahrzeug-Stabilisierungsebene durch die auto- 28 Berz, Dedy, Granich, in: DAR 2000, 545 (545); Albrecht, in: matische Lenkfunktion bewältigt werden). Auf VD 2006, 143 (146); ders. in DAR 2006, 186 (190). Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 19

terhin das Risiko „Kraftfahrzeug“ in den Verkehr mutung entlasten. Denkbar sind auch Unfallschä- bringt und deshalb allgemein definiert wird als der- den aufgrund unzureichender eigener Fahrbahn- jenige, der ein Kraftfahrzeug für eigene Rechnung und Verkehrsbeobachtung sowie aufgrund unter- gebraucht, also die Kosten bestreitet und die Ver- lassener Übersteuerung des teilautomatischen wendungsnutzungen zieht29 sowie die Verfügungs- Systems. Hierin läge im Fall einer Teilautomatisie- gewalt i. S. e. Bestimmungsmacht über Anlass und rung tatsächlich jeweils ein Pflichtverstoß des Fahr- Zeitpunkt der Verwendung30 innehat. Diese Inter- zeugführers, sodass die Verschuldensvermutung essenslage ändert sich durch einen Betrieb auto- aus § 18 StVG gerechtfertigt ist. Im Ergebnis unter- matischer Systeme in Kraftfahrzeugen nicht und scheidet sich die Situation im Fall einer Verwen- begründet daher weiterhin die Haftung des Fahr- dung teilautomatischer Systeme damit nicht von zeughalters für ihre Betriebsgefahr. jener bei Verwendung von Fahrerassistenzsyste- men heute, die ebenfalls jederzeit der Überwa- chung und ggf. Fehlerkorrektur bedürfen. 7.2 Haftung des Fahrzeugführers

Neben dem Fahrzeughalter haftet im Schadensfall 7.2.2 Hoch- und Vollautomatisierung auch der Fahrzeugführer vor allem aus § 18 StVG Anders ist die Situation einzustufen bei der Ver- (sowie aus § 823 BGB, worauf hier nicht näher ein- wendung hoch- oder vollautomatischer Systeme. gegangen wird). Dabei wird das Verschulden des Während der automatisierten Phasen erfordern Fahrzeugführers gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 StVG bis diese – angenommen, dies wäre verhaltensrecht- zum Beweis des Gegenteils gesetzlich gegen den lich im Straßenverkehr erlaubt – nicht die aufmerk- Fahrzeugführer vermutet. Die Haftung des Fahr- same Fahrbahn- und Verkehrsbeobachtung. Auch zeugführers (§ 18 StVG) lässt sich auf die (voll- eine ständige Überwachung des Systems ist, abge- ständig vom Fahrer zu überwachende) Teilautoma- sehen von der Bereitschaft zur Rückübernahme der tisierung widerspruchsfrei anwenden. Bei Hoch- Fahrzeugsteuerung, nicht mehr erforderlich. Der oder Vollautomatisierung tritt in den nicht mehr vom solchermaßen in automatisierten Phasen von der Fahrer überwachten automatisierten Phasen die aktiven Steuerung des Fahrzeuges befreite Fahr- Situation auf, dass die Verschuldensvermutung ge- zeugführer kann – ohne dass er das System aktiv gen den Fahrzeugführer nicht immer sachgerecht übersteuert oder trotz Aufforderung die Rücküber- ist. Im Ergebnis kommt es zu keiner rechtlich unlös- nahme der Fahrzeugsteuerung unterlässt – von baren Situation, da der Entlastungsbeweis dem vornherein nicht schuldhaft handeln. Hier stellt sich Fahrzeugführer weiterhin möglich bleibt. deshalb die Frage, was die Vermutung von Ver- schulden gegen den Fahrzeugführer gemäß § 18 7.2.1 Teilautomatisierung StVG noch rechtfertigt. Letztlich wird der Fahrzeug- führer in einer solchen Situation durch den Nach- Bei der Teilautomatisierung obliegt dem Fahrzeug- weis belastet, dass eine automatische Fahrzeug- führer die Überwachung der Regelung durch das steuerung im Zeitpunkt des Zustandekommens des System aufgrund eigener (aufmerksamer) Fahr- Unfallereignisses bestanden hat. Es kann die Situa- bahn- und Verkehrsbeobachtung. Dabei sind unter tion eintreten, dass dieser Nachweis zivilrechtlich verschiedenen Bedingungen Unfallschäden denk- nicht zu führen ist. Es kommt aber nicht zu einer bar: zum einen aufgrund eines allein ursächlichen rechtlich nicht auflösbaren oder untragbaren Situa- Fehlverhaltens Dritter. In diesem Fall kann sich der tion, insb. angesichts der Mitversicherung des Fahrzeugführer – nicht anders als bei konventionel- Fahrzeugführers in der Kraftfahrzeughaftpflichtver- ler Fahrzeugführung („driver only“) auch – sich sicherung. Auch ist die hierdurch eintretende Be- durch den Nachweis dieses Fehlverhaltens Dritter lastung des Fahrzeugführers nicht höher einzustu- von der gesetzlich aufgestellten Verschuldensver- fen als die Belastung, die bereits bei konventionel- lem Fahren dann eintritt, wenn das ausschließlich unfallursächliche Verschulden eines Dritten zivil- rechtlich nicht beweisbar bleibt. Die Belastung ist im Gegenteil deshalb geringer, weil dem Fahrzeug- 29 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht- Kommentar, § 7 StVG, Rn. 14. führer unmittelbar die Vorteile aus der Verwendung 30 Burmann, in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht- des hoch- oder vollautomatischen Systems zugute Kommentar, § 7 StVG, Rn. 5. kommen. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 20

7.3 Kraftfahrzeug-Haftpflicht- obliegenden Beweislast ist in der Praxis der Pro- versicherung dukthaftung heute der Nachweis von Fehlerhaftig- keit des Produktes und dessen Kausalität für den In der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sind Schaden von entscheidender Bedeutung. Der ins- u. a. Fahrzeughalter und Fahrer mitversicherte Per- besondere im vorliegenden Zusammenhang zen- sonen (gemäß § 2 Abs. 2 Ziff. 1 und 3 KfzPflVV). trale Fehlerbegriff aus § 823 Abs. 1 BGB und § 3 Soweit daher ein geschädigter Dritter Ansprüche ProdHaftG ist darüber hinaus deckungsgleich,31 gegen Fahrzeughalter oder Fahrzeugführer erwirbt, sodass es zwischen den beiden Anspruchsgrundla- sind diese von der Haftpflichtversicherung abge- gen für die Zwecke der nachfolgenden Darstellung deckt. Die Haftpflichtversicherung wird über § 1 keiner weiteren Differenzierung bedarf. PflVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 und S. 4 VVG auch direkt gegenüber dem Geschädigten zum Scha- Zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit im vorliegen- densersatz verpflichtet (sog. Direktanspruch) und den Zusammenhang automatischer Systeme ist die haftet dem Geschädigten als Gesamtschuldner Handhabung durch den Fahrer von überragender zusammen mit dem ersatzverpflichteten Fahrzeug- Bedeutung, da ausgehend von den hier zugrunde halter (sowie ggf. dem Fahrzeugführer, s. o.). gelegten Definitionen die Fahrzeugsteuerung je- denfalls im Fall der Teil- und Hochautomatisierung Eine in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nur im Zusammenwirken von Fahrer und System relevante Veränderung der Haftungsgrundlagen tritt sicher erfolgen kann. Hierfür ist beim Fahrer Kennt- aufgrund automatischer Fahrzeugführung nicht auf, nis von der Leistungsfähigkeit des Systems und wenn man unterstellt, dass die Verwendung von damit der Systemgrenzen unabdingbar, weil es je- Systemen der Automatisierung vom Versicherungs- denfalls im Fall teil- und hochautomatischer Syste- vertrag umfasst ist. Zur Zeit der Niederlegung die- me der Überwachung des Systems und Ausführung ses Berichtes wird es sich bei Fahrzeugen mit auto- korrigierender Eingriffe (bzw. Übernahme der Fahr- matischen Systemen der Teil-, Hoch- und Vollauto- zeugsteuerung) durch den Fahrer bedarf. Ebenso matisierung regelmäßig noch um „spezielle Fahr- wichtig ist dabei die eigene Einschätzung des Fah- zeugarten“ handeln, die vom regulären Versiche- rers hinsichtlich seiner Fähigkeiten (Alter, Gesund- rungsschutz ausgenommen oder nur gegen Zu- heit etc.). Bei der Überwachung eines teilautomati- schlag versicherbar sind. Es ist jedoch davon aus- schen sowie für die Übernahme eines hochauto- zugehen, dass unter Beibehaltung der heute allge- matischen Systems ist für den Fahrer entschei- mein üblichen Reichweite von Fahrzeug-Haft- dend, Anzeichen einer notwendigen Übersteuerung pflichtversicherungsverträgen der Gebrauch auto- oder Übernahme zu erkennen und in geeignete Be- matischer Systeme in Kraftfahrzeugen, die dann dienhandlungen umzusetzen. Der Erwartung des auch von der Fahrzeug-Typzulassung umfasst wä- Nutzers in Bezug auf dieses Systemverhalten ren, als Risiko mitversichert sein würde. Dies setzt kommt damit erhebliche Bedeutung bei der sach- aber im Fall von hoch- und vollautomatischen Sys- gerechten Verwendung der Systeme zu. Aus Sicht temen zugleich voraus, dass ihr intendierter der Produkthaftung ist insoweit die Instruktion des Gebrauch verhaltensrechtlich erlaubt wird. Herstellers von Bedeutung sowie der sachgerechte Empfängerhorizont. Konkreten Einfluss auf die pro- dukthaftungsrechtlich relevante Nutzererwartung 7.4 Produkthaftung des Herstellers nehmen sowohl die Bedienungsanleitung als auch alle öffentlichen Äußerungen wie zum Beispiel Der Hersteller hat für ein fehlerhaftes Produkt unter ernst zu nehmende Werbeaussagen etc. dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz oder unter Verschul- Eine weitere, im Produkthaftungsrecht der Fabrika- densgesichtspunkten (wegen schuldhafter Verlet- tion des Einzelstücks vorgelagerte relevante Feh- zung einer Verkehrssicherungspflicht bei In-Ver- lerquelle ist die der einwandfreien Konstruktion kehr-Bringen des fehlerhaften Produktes) gemäß automatischer Systeme. Hier ist sehr fraglich, wel- § 823 Abs. 1 BGB einzustehen. Beide Anspruchs- che Anforderungen hiermit im Einzelnen verbunden grundlagen weisen einige Besonderheiten auf, jedoch hat sich die Verschuldenshaftung aus § 823 Abs. 1 BGB heute weitgehend der Gefährdungs- haftung nach dem Produkthaftungsgesetz an- 31 Sprau, in Palandt: BGB-Kommentar, § 823 BGB, Rn. 166; genähert. Hinsichtlich der einem Anspruchssteller Wagner, in: MüKo, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 3. Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 21

sind. Gerade bei einem System, dessen Funktion geringere Anforderungen in Bezug auf Sicherungs- im Zusammenwirken mit dem Fahrer die fehlerfreie maßnahmen erfüllen müssen, als dies bei Syste- Fahrzeugführung erlaubt, ergeben sich wichtige men der Fall ist, die – wie solche der Hoch- oder Abgrenzungsfragen in Bezug auf den anzulegen- Vollautomatisierung – keine permanente Überwa- den Fehlermaßstab hinsichtlich der Konstruktion. chung durch den Fahrer voraussetzen (unterstellt, Nach einem Urteil des BGH32 zu Systemen der eine solche Verwendung hoch- und vollautomati- passiven Sicherheit ist entscheidend, dass ein Pro- scher Systeme wäre dem Fahrer verhaltensrecht- dukt diejenige Sicherheit bietet, die die Verkehrs- lich möglich). Dies würde sich für jederzeit über- auffassung im jeweiligen Bereich für erforderlich stimmbare Fahrerassistenzsysteme und teilauto- hält. Danach muss zur Gefahrvermeidung dasjeni- matische Systeme bereits aus dem unterschiedli- ge angewandt werden, was nach den in Fachkrei- chen Gefahrengrad ergeben, da aufgrund perma- sen vorliegenden Kenntnissen als einsatzfähige nenter Überwachung durch den Fahrer unterstellt Serienlösung zur Verfügung steht. Diese noch werden kann, dass er als Rückfallebene jederzeit immer extrem weite Anforderung findet nach dem zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich aber zu- Urteil seine Begrenzung in der Zumutbarkeit sol- gleich die Pflicht zur diesbezüglich besonders sorg- cher Maßnahmen, die sich nach dem vom Produkt fältigen Instruktion, um die Erwartung des Nutzers ausgehenden Gefahrengrad und den wirtschaftli- an das Systemverhalten in geeigneter Weise zu chen Auswirkungen der Sicherungsmaßnahme beeinflussen und ihn so zu einer erforderlichen richten33. Bei der Würdigung dieser Aussage ist die Übersteuerung zu veranlassen. Die Sicherheit der Einzelfallbezogenheit zu berücksichtigen, die sich Konstruktion ist daher eng mit der Instruktion des aus der Bezugnahme auf ein passives Si- Fahrers verknüpft. cherheitssystem ergibt, das sich – wenn überhaupt – nur sehr indirekt durch ein Verhalten des Fahrers beeinflussen lässt. 7.4.1 Abgrenzung von vernünftigerweise voraussehbarem Fehlgebrauch zum Wird dagegen unterstellt, die Feststellungen im Missbrauch34 des Produktes (im Fall zitierten Urteil seien auf Fahrerassistenz- und auto- der Teilautomatisierung) matisch wirkende Systeme übertragbar, würde sich ergeben, dass in konstruktiver Hinsicht Systeme, Während der Fahrer bei teilautomatischen Syste- die regelnd die Längs- und/oder Querführung des men als Rückfallebene jederzeit und unmittelbar Fahrzeuges steuern, während der Fahrzeugführer zur Verfügung stehen muss, wie dies bereits heute das unmittelbare Ergebnis einer solchen Steuerung bei Fahrerassistenzsystemen der Fall ist, liegt eine beobachten und korrigieren muss, wesentlich Besonderheit der Teilautomatisierung darin, dass der Fahrer vor allem in der Überwachung des Steuerungsverhaltens gefordert ist, ohne aber – teilweise sind hier abhängig vom Umfeld lange 32 ‚Fehlauslösung von Airbags‘, BGH, Urt. v. 16.6.2009, AZ: VI Zeiträume denkbar – weder die Längs- noch die ZR 107/08. Querführung seines Fahrzeuges korrigieren zu 33 Lenz: „Zur Herstellerhaftung für die Fehlauslösung von müssen. Spürbare Nachteile aus einer Abwendung Airbags“, in: PHi 2009, 196 (198). des Fahrers von der ihm obliegenden Überwa- 34 Wagner, in: MüKo, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 21, erläutert die Begriffe „Fehlgebrauch“ und „Missbrauch“ wie chungsaufgabe stellen sich deshalb ggf. nur zeit- folgt: „[…] Darüber hinaus erfasst die Vorschrift des § 3 Abs. verzögert ein. Es ist dabei davon auszugehen, dass 1 lit. b [Produkthaftungsgesetz] den bestimmungswidrigen die Instruktion vor einer solchen Verwendung teil- Fehlgebrauch des Produkts, soweit er vorhersehbar oder üblich ist. […] Die Grenze ist erreicht in Fällen von Produkt- automatischer Systeme eindringlich warnen würde. missbrauch, bei denen der Verwender das Produkt bewusst zweckentfremdet und damit Gefahren heraufbeschwört, die Maßstab bei Bestimmung der Fehlerhaftigkeit des nicht dem Hersteller, sondern allein ihm selbst zuzurechnen Produktes ist gemäß § 3 Produkthaftungsgesetz sind […].“ die sich nach der objektiv zu bestimmenden Ver- Stark vereinfachend ausgedrückt, muss daher der Hersteller kehrsauffassung ergebende berechtigte Sicher- mit dem „Fehlgebrauch“ rechnen (und hierfür haften), weil der Nutzer hier versehentlich Systemgrenzen in der Anwen- heitserwartung an ein Produkt. Zugrunde zu legen dung überschreitet, die für den konkreten Nutzerkreis nicht ist dabei der Gebrauch, mit dem billigerweise auf der Hand liegen; während der „Missbrauch“ des Produk- gerechnet werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 lit. b) Pro- tes den Fall erfasst, in dem der Nutzer sich über System- grenzen (bewusst) hinwegsetzt, die er bei objektiver Be- dukthaftungsgesetz). Anerkannt ist nach der Recht- trachtung kennen musste. sprechung, dass dieser sich nicht alleine nach der Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 22

dem Produkt beigegebenen Instruktion bestimmt, sierungsgrad offenbar wird, sodass die Überwa- sondern auch den „üblichen Gebrauch“35, die „nicht chung zur Absicherung ihrer Verwendung als derart ganz fernliegende Fehlanwendung“36 und überzo- selbstverständlich angesehen werden kann, dass gene Erwartungen des Verbrauchers in die Bestim- auch der durchschnittliche Fahrzeugführer mit mung einbeziehen muss. Angesprochen ist damit geringem Gefahrerkenntnispotenzial42 die offen- die Abgrenzung zwischen vorhersehbarem und kundig erforderliche Sorgfalt vermissen lässt, wenn üblichem Fehlgebrauch (Verantwortungsbereich er anders handelt. Entscheidend wird insbesondere des Herstellers) sowie dem Produktmissbrauch sein, die Verwechslung mit höheren Automatisie- (der im alleinigen Verantwortungsbereich des Nut- rungsgraden beim Nutzer auszuschließen. zers liegt), wobei hier in Zweifelsfällen stets ein „unvermeidliches Maß an Unsicherheit verbleibt“37, grenzt man die beiden Begriffe voneinander ab. 7.4.2 Produkthaftung bei hoch- und vollauto- matisierten Systemen Als Abgrenzungskriterien werden der Umfang, in welchem mit Zweckentfremdungen des Produkts Die Situation bei Systemen der Hoch- und Vollauto- zu rechnen ist, der Schadensumfang und die matisierung ist bei automatisierter Steuerung durch Kosten für Sicherheitsmaßnahmen genannt, die das System anders zu beurteilen. Soweit nicht einbezogen werden müssen.38 Ein die Produkthaf- mehr zu überwachende Phasen betroffen sind (wie- tung des Herstellers auslösender Fehlgebrauch derum unterstellt, eine solche Verwendung hoch- liegt dann vor, wenn die Risiken für den Verbrau- und vollautomatischer Systeme wäre verhaltens- cher nicht ohne weiteres erkennbar sind und Schä- rechtlich möglich), kann auch die Instruktion des den großen Ausmaßes verursacht werden Nutzers/Fahrers im Fall der Rückübernahme von können.39 Besondere Sorgfalt ist dann angebracht, Fahrzeugsteuerung (entsprechend den Definitio- wenn ein Produkt zu einer bestimmten Art der nen: nach Aufforderung) sich noch auswirken, Benutzung verleitet, für die es nach seiner Kon- jedoch nicht mehr unmittelbar. Das führt zu unver- struktion gar nicht geeignet ist.40 Allerdings kann ändert hohen Anforderungen an eine Instruktion sogar eine Absenkung des Sicherheitsstandards bezogen auf die Rückübernahme von Fahrzeug- eines Produktes dann gerechtfertigt werden, wenn steuerung. Zugleich wirkt aber bereits die System- sich beim Benutzer konkrete Maßnahmen der definition auf die Anforderungen an die Systemkon- Eigenvorsorge etabliert haben.41 struktion zurück: Solche hoch- und vollautomati- sierten Systeme müssen – angesichts des erhebli- Sollten technische Lösungen zur Absicherung teil- chen Gefahrengrades, der von einem autark automatischer Systeme gegen eine Abwendung regelnden System im öffentlichen Straßenverkehr des Fahrers von seiner Fahraufgabe daher nicht ausgeht – so konstruiert sein, dass sie selbsttätig in verfügbar sein, wird diesbezüglich als entscheidend der Lage sind, alle Situationen zu bewältigen, die anzusehen sein, Produkte für eine Teilautomatisie- während einer automatisch geregelten Phase auf- rung so zu platzieren, dass der (im Vergleich zur treten können. Hoch- und Vollautomatisierung) niedrige Automati- Diese Feststellung führt zugleich zu der Annahme, dass jeder während hoch- oder vollautomatisierter Phasen gleichwohl auftretende Schaden auf einen kausal zugrunde liegenden Produktfehler schließen 35 Sprau, in: Palandt, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 6. lässt, sofern dieser Schaden nicht ausschließlich 36 Ebenda, Fn. 31. durch andere Verkehrsteilnehmer verursacht wird, 37 Wagner, in: MüKo, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 21. und weiterhin vorausgesetzt, dass er seine Ursa- 38 Ebenda, Fn. 33. che nicht im Ausbleiben einer Rückübernahme von 39 Ebenda, Fn. 33. Fahrzeugsteuerung durch den Fahrer nach „ausrei- 40 Wagner, in: MüKo, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 13. chender Zeitreserve“ und sachgerechter Instruktion 41 Wagner, in: MüKo, BGB-Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 10, nennt als Beispiel einen Traktor ohne Überrollschutz, bei hat. Diese Annahme gilt naturgemäß auch nur unter dem sich in bestimmten Regionen Europas seitens der Nut- Berücksichtigung prozessualer Gesichtspunkte, zer (Landwirte) eine Eigenvorsorge etabliert haben kann, die das sind insbesondere die Darlegungs- und Be- eine Absenkung des sonst gebotenen Sicherheitsstandards zu rechtfertigen vermag. weislast in einem Zivilverfahren. Eine Systemdefini- 42 Diesen Begriff verwendet Wagner, in: MüKo, BGB- tion, die dem Fahrer mithin erlaubt, die aufmerksa- Kommentar, § 3 ProdHaftG, Rn. 8. me Fahrbahn- und Verkehrsbeobachtung sowie Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 23

Systemüberwachung (vorübergehend) einzustel- 7.4.3 Sonderfall: Nothalteassistent len, führt nach gegenwärtiger Einordnung nach dem Produkthaftungsrecht zwangsläufig zur An- In haftungsrechtlicher Hinsicht weist der Nothal- nahme eines Produktfehlers, wenn es während teassistent die Besonderheit auf, nur bei erkannter automatischer Systemregelung dennoch – vom Handlungsunfähigkeit des Fahrzeugführers steu- Fahrer unbeeinflusst, also ohne eine Übersteue- ernd die weitere Fahrzeugführung zu übernehmen. rung – zum Unfallschaden kommt. Soweit die Halterhaftung nach § 7 StVG und die Haftpflichtversicherung betroffen sind, ist anzuneh- Zu einem anderen Ergebnis wird man regelmäßig men, dass auch die automatische Fahrzeugsteue- bei Schäden kommen, die durch andere, sich ver- rung, die durch den Nothalteassistenten erfolgt, kehrswidrig verhaltende Verkehrsteilnehmer verur- zum „Betrieb“ des Kraftfahrzeuges gehört, sofern sacht werden. Trotz der Verpflichtung zu defensi- das System für den Straßenverkehr zugelassen ist. vem Verhalten (aufgrund des Grundsatzes ständi- Dies hat zur Folge, dass auch die während der au- ger Vorsicht und gegenseitiger Rücksicht, § 1 Abs. tomatischen Fahrzeugsteuerung auftretenden 1 StVO) muss, nach heutigem Recht, im Interesse Schäden dort eine Haftungsverpflichtung auslösen. des flüssigen Straßenverkehrs der Vertrauens- Anders ist dies im Fall des Fahrers: Sofern nicht grundsatz zugrunde gelegt werden, wonach der zumindest absehbar ist, dass eine Bewusstlosigkeit sich verkehrsrichtig verhaltende Verkehrsteilneh- oder Handlungsunfähigkeit eintreten könnte, ist mer – mangels anderer Anhaltspunkte – sich nicht seine Haftung für einen Schaden, der während au- vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten tomatischer Fahrzeugführung durch den Nothalte- anderer Verkehrsteilnehmer einstellen muss.43 assistenten auftritt, mangels Verschuldens ausge- Überträgt man diesen Verhaltensgrundsatz auf den schlossen (wobei dieser Nachweis vom Fahrzeug- Fall der Steuerung eines hoch- oder vollautomati- führer gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 StVG geführt werden schen Systems44, wird man zu dem Ergebnis kom- muss). men, dass Schäden durch einen derart weit über- wiegenden Verursachungsanteil Dritter verursacht Soweit der Anwendungsbereich des Nothalteassi- sein können, dass hierin nicht notwendigerweise stenten dazu führt, das Fahrzeug vorzugsweise auf ein Fehler in der automatischen Fahrzeugsteue- dem Seitenstreifen, bei entsprechender Verkehrsla- rung liegen muss. Hier wird entscheidend sein, wel- ge jedoch auch – ohne Spurwechsel – auf dem che Situationen durch das automatische System eigenen Fahrstreifen zum Stehen zu bringen, ist bei noch bewältigt werden und von den Beteiligten pro- einer Verwendung auf Autobahnen die in beiden zessual bewiesen werden können. Fällen fortdauernde Betriebsgefahr zu berücksichti- gen: Soweit ein Schaden durch das anhaltende Eine weitere wichtige Fragestellung ergibt sich aus oder solchermaßen stehende Fahrzeug ausgelöst der Frage, inwieweit hochautomatisierte Systeme wird, gehört dies für den Fahrzeughalter zu der Ge- Systemgrenzen aufweisen können. Die Antwort auf fahr, die haftungsrechtlich zu verantworten bzw. diese Fragestellung ergibt sich wiederum bereits wirtschaftlich zu tragen ist. In der Kraftfahrzeug- aus ihrer Definition: Systemgrenzen sind insoweit haftpflichtversicherung wird regelmäßig der „Fahr- denkbar und folgerichtig, als sie eine Rückübernah- zeuggebrauch“ versichert. In der automatischen me durch den Fahrzeugführer nur nach „ausrei- Steuerung des Fahrzeuges liegt kein bewusster chender Zeitreserve“ bedingen. Eine Systemgren- Fahrzeuggebrauch, jedoch ist die automatische ze jedoch, die eine unmittelbare Übernahme der Steuerung offensichtlich durch den vorangegange- Fahrzeugsteuerung erfordert, ist nicht denkbar nen Fahrzeuggebrauch unmittelbar ausgelöst (und (schon aufgrund der Unterstellung, eine Überwa- insoweit völlig unkontrollierten Schleudervorgängen chung sei nicht erforderlich). Systemgrenzen sind etc. weitgehend vergleichbar). Es ist deshalb davon daher nur noch eingeschränkt möglich. auszugehen, dass auch die automatisch erfolgende Steuerung im Fall eines Nothalteassistenten vom Versicherungsumfang umfasst wäre (wobei auch hier die Zulassung bspw. i. R. d. Fahrzeug-Typge- nehmigung unterstellt wird). Hierfür spricht, dass 43 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht- der Nothalteassistent lediglich den zuvor durch Kommentar, § 1 StVO, Rn. 20. hohe Fahrgeschwindigkeit bewusst herbeigeführ- 44 Vgl. zu der Problematik der Übertragung von Ver- haltenspflichten auf ein System bereits oben Exkurs unter ten Fahrzustand, mithin einen Zustand erhöhter Kapitel 6.1.2. Betriebsgefahr des Fahrzeuges, kontrolliert durch Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 24

Geschwindigkeitsabbau (und ggf. Fahrstreifen- zusätzliche Gefahr aufgrund eines aktiven Ver- wechsel) reduziert. zichts auf menschliche Fahrzeugführung geschaf- fen, sondern die bestehende Situation bei Hand- Im Hinblick auf das Produkthaftungsrecht erscheint lungsunfähigkeit des Fahrzeugführers in allen der besondere Charakter des Nothalteassistenten denkbaren Fällen verbessert. Damit sind – soweit als „Sonderfall der Vollautomatisierung“ eine mögli- nach dem Stand von Wissenschaft und Technik cherweise abweichende Bewertung zu erfordern. (noch) nicht bessere, einsatzfähige Lösungen ver- Der Nothalteassistent übernimmt die Fahrzeug- fügbar sind – auch Systemgestaltungen akzepta- steuerung nur dann, wenn der Notfall eintritt, dass bel, die Systemgrenzen aufweisen. Könnte bei- der Fahrzeugführer aus physischen Gründen hand- spielsweise ein solcher Nothalteassistent bei Weg- lungsunfähig wird. Damit handelt es sich jedoch in- fall der Fahrstreifenmarkierungen eine Querführung soweit um eine Sondersituation, als die Alternative, des Fahrzeuges nicht anhand der Fahrbahnbe- eine Überwachung durch den Menschen, nicht ver- grenzung und des umgebenden Verkehrs realisie- fügbar ist. Eine Instruktion – mit Ausnahme der In- ren, sondern würde ggf. den eigenen Fahrstreifen struktion bezogen auf die Möglichkeit jederzeitiger unter solchen Umweltbedingungen verlassen, dann Übersteuerung/Übernahme durch den seine Hand- wäre dies – wichtig: sofern dies dem aktuell ein- lungsfähigkeit wiedererlangenden Fahrzeugführer satzfähig verfügbaren und zumutbar zu berücksich- – erübrigt sich, da das System völlig selbstständig tigenden Stand von Wissenschaft und Technik ent- agiert. sprechen sollte – in produkthaftungsrechtlicher Hin- Entscheidender Gesichtspunkt aus produkthaf- sicht nicht als kritisch zu erachten. tungsrechtlicher Sicht ist deshalb die Konstruktion eines solchen Systems. Hierbei kann der an einen Nothalteassistenten anzulegende Maßstab nicht 8 Forschungsbedarf die heutige Situation bei physischer Handlungsun- fähigkeit, also die völlige Steuerungslosigkeit des Der Arbeitsstand der Projektgruppe in Bezug auf Fahrzeuges sein. So sehr aus heutiger Sicht jeder die rechtliche Bewertung der automatisierten Fahr- noch so unzureichend wirkende Nothalteassistent zeugführung wird vielfach limitiert durch den der zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit in Projektgruppe zugänglichen Kenntnisstand in Be- diesen Fällen beitragen könnte, würde damit ein zug auf die nachfolgend genannten Forschungsge- erhebliches, aber bislang gesellschaftlich lediglich genstände. Ihre Beantwortung ist zumeist Vorbe- akzeptiertes Risiko unter Produkthaftungsgesichts- dingung für eine abschließende rechtliche Ein- punkten zum Anforderungsmaßstab erhoben. Viel- schätzung. Nach Abstraktionsgrad und Automati- mehr ist davon auszugehen, dass sich ein solches sierungsgrad lässt sich der Forschungsbedarf fol- System bereits bei erstmaligem Einbau – wie jedes gendermaßen einteilen, ist jedoch nicht als ab- andere Produkt auch – am Stand von Wissenschaft schließend zu betrachten: und Technik messen lassen muss. Maßgebend ist danach zunächst die Verkehrsauffassung im ent- sprechenden Bereich, die darin bestehen dürfte, 8.1 Teilautomatisierung was für eine solche automatische Fahrzeugführung in Fachkreisen zur Zeit des Inverkehrbringens als Im Fall der Teilautomatisierung besteht For- einsatzfähige Lösung betrachtet werden kann. schungsbedarf in Bezug auf die Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein beim Fahrer. Eng hier- Gleichwohl kann man die Anforderungen nicht so mit verknüpft ist die Fragestellung, wie die Fähigkeit weit formulieren, wie dies oben für hoch- und voll- des Fahrers aufrechterhalten werden kann, jeder- automatisierte Phasen erfolgt ist: Dort ergibt sich zeit die vollständige Fahrzeugsteuerung wieder zu alleine daraus, dass dem Fahrzeugführer die Mög- übernehmen. Ein Schwerpunkt liegt darin, wie die lichkeit gegeben wird, sich vom Fahrgeschehen ab- Mensch-Maschine-Schnittstelle hierfür geeignet zuwenden (mithin die aufmerksame Fahrbahn- und auszugestalten ist. Unterstützend bedarf es zudem Verkehrsbeobachtung mit allen daraus resultieren- der Entwicklung von Strategien, um den Fahrzeug- den Konsequenzen bewusst aufzugeben), dass ein führer im Fahrer-Fahrzeug-Regelkreis zu halten, solches System keine kurzfristig wirkenden Sys- sowie einer Entwicklung technischer Möglichkeiten temgrenzen haben kann. Im Unterschied dazu wird zur Überwachung des Fahrerzustandes. Diese durch den Einsatz des Nothalteassistenten keine Arbeiten lassen sich aus rechtlicher Sicht unterstüt- Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 25

zen durch eine Betrachtung der Auswirkung ent- Degradationsszenarien der Fahreraufmerksamkeit sprechender Lösungen auf die Fälle voraussehba- ein wichtiges Forschungsthema, da dieser Um- ren Fehlgebrauchs und Missbrauchs solcher Pro- stand rechtzeitig erkannt werden muss. Eng ver- dukte, um Rückwirkungen zu betrachten, die zur knüpft sind diese Fragestellungen mit der Beant- Annahme eines Konstruktionsfehlers führen könn- wortung der Frage, was als „ausreichende Zeitre- ten. serve“ für eine Übernahme von Fahrzeugsteuerung im Fall einer Hochautomatisierung anzusehen ist. Eine sehr speziell zu fassende verhaltenspsycholo- Dabei handelt es sich um eine übergreifende Fra- gische Forschungsfrage liegt im Bereich des gestellung, die auch der verhaltenspsychologi- freihändigen Fahrens einer teilautomatisierten schen Betrachtung bedarf. Die Übergangsphase Fahrzeugführung hinsichtlich der Kontrollierbarkeit zwischen maschineller und konventioneller Fahr- unerwarteter Situationen. Hier ist konkret zu ermit- zeugführung ist auf Basis der konkreten Systemge- teln, ob bei teilautomatischen Systemen im Fall staltung auch rechtlich vertieft zu betrachten und nicht vorhersehbarer Störungen diese auch nach einzuordnen. vorangehendem freihändigem Fahren in einer dem konventionellen Fahren vergleichbaren Weise vom Fahrer sicher bewältigt werden. 8.4 Vollautomatisierung und Nothalteassistent 8.2 Teil- und Hochautomatisierung Die Vollautomatisierung – wie auch der Nothalteas- Übergreifende Fragestellungen, die sowohl den sistent – zeigen Forschungsbedarf zur Beschrei- Automatisierungsgraden der Teil- als auch der bung „risikominimaler Zustände“ in verschiedenen Hochautomatisierung zuzuordnen sind, liegen in Situationen sowie hinsichtlich geeigneter Manöver, der Antizipierbarkeit einer bevorstehenden Rege- um diese zu erreichen. Weiterer Forschungsbedarf lung durch das System. Entscheidend ist dabei die in Bezug auf den sehr hohen und nicht in näherer Kompatibilität von Systemregelung und Fahrerer- Zukunft zu erwartenden hohen Automatisierungs- wartung. Dies ist zugleich Schlüsselfaktor für das grad der Vollautomatisierung lässt sich derzeit nicht Vertrauen des Fahrers in das System, wobei Fah- abschätzen. Für die Vollautomatisierung ist noch rervertrauen zugleich eng mit der Zuverlässigkeit erheblicher technischer Forschungsbedarf erforder- der Systemregelung verknüpft ist. Zugleich wird lich. hiermit die Frage nach der Akzeptanz des Systems berührt. Diesbezüglich ist zu klären, ob sich ein ge- nerisches Bewertungssystem schaffen lässt (Fern- 8.5 Übergreifender Forschungsbedarf ziel, Realisierbarkeit unsicher). Weiterhin wäre zur Fahrermodellierung eine modellgestützte Fahrerzu- Es ist anzunehmen, dass die rechtliche Risikositua- standserkennung nützlich, die ebenfalls geschaffen tion sowie die gesellschaftliche Akzeptanz einer werden müsste. Hoch- bzw. Vollautomatisierung derzeit zur Verhin- derung von Technologien führen könnten, die die Verkehrssicherheit potenziell verbessern. Wie be- 8.3 Hochautomatisierung reits in Bild 4-1 dargestellt, kommt es neben dem positiven Effekt der Unfallvermeidung zu (einigen Die Hochautomatisierung stellt eigene Anforderun- wenigen) Unfällen, die ausschließlich auf die Auto- gen an die Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit matisierung selbst zurückzuführen sind, da es für Übernahmebereitschaft des Fahrzeugführers. keine 100%ige Sicherheit geben kann. Die Akzep- Diese Fragestellungen sind verschieden von jenen, tanz dieser Fälle und ihre heutige rechtliche Ein- die sich im Fall der Teilautomatisierung stellen, da ordnung können potenziell die Einführung einer die Übernahme der Fahrzeugführung durch den Automatisierung verhindern, obwohl sich insge- Fahrer nur mit einer zeitlichen Reserve spezifiziert samt ein deutlicher Nutzen aus dem Einsatz von worden ist. Hierfür sind deshalb eigene technische Automatisierungstechnik auf gesellschaftlicher Strategien ebenso erforderlich wie die Erforschung Ebene ergibt. In der Projektgruppe ist angeregt spezieller Nebenaufgaben, die eine der Hochauto- worden, in dieser Hinsicht die Diskussion um die matisierung adäquate Aufmerksamkeit des Fahrers Einführung der Gurtpflicht heranzuziehen und zu sicherstellen. Im Fall der Hochautomatisierung sind prüfen, inwieweit die seinerzeit angeführten Argu- Gemeinsamer Schlussbericht: BASt-Projektgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“ 26

mente auf die Einführung einer Automatisierung in (Diese Maßnahme hat Bedeutung für Systeme rechtlicher Hinsicht übertragbar sind. Es besteht ab dem Automatisierungsgrad der Hochautoma- Einigkeit, dass diese Fragestellung zugleich philo- tisierung, jedoch auch für den vergleichsweise sophische Fragen aufwirft und es einer Zusam- kurzfristig umsetzbaren Nothalteassistenten.) menarbeit der Unfallforschung mit Ingenieuren und Rechtswissenschaftlern bedarf, um ihre Beantwor- • Durchgängige Ausstattung von Kraftfahrtstra- ßen und BAB mit Wildzäunen. tung zu unterstützen. (Diese Maßnahme würde den bei hohen Fahr- Die Fragen des Fahrerlaubnisrechtes sind nicht geschwindigkeiten – auch im Fall einer Automa- zum Gegenstand der Arbeiten in der Projektgruppe tisierung – voraussichtlich nicht beherrschbaren gemacht worden. Die Projektgruppenmitglieder stimmen darin überein, dass sich Fragen des Fahr- Wildunfall ausschließen. Zugleich entfaltet sich erlaubnisrechtes potenziell im Fall der Hochauto- eine Sicherheitswirkung für den Straßenverkehr matisierung stellen. Einigkeit besteht jedoch, dass insgesamt, einschließlich konventionell geführ- im ersten Schritt Systeme immer so gestaltet wer- ter Fahrzeuge – „driver only“.) den sollten, dass kein Schulungsbedarf auftritt, •Verbesserung der Qualität von Verkehrsinforma- Systeme also möglichst intuitiv bedienbar gestaltet tionen (über die Verlässlichkeit von TMC hi- werden sollten. Der Fall der Rückübernahme von naus), die jede Änderung der Verkehrsführung Fahrzeugsteuerung bei einer Hochautomatisierung erfasst und vor Gefahrenstellen warnt. könnte potenziell einen Schulungsbedarf zwar aus- lösen, doch muss sich zunächst zeigen, ob es nicht (Verkehrsinformationen kommt bei hoher Zuver- (vorrangig) gelingt, diese Fahrerübernahme eben- lässigkeit und Verfügbarkeit eine Sicherheitswir- falls intuitiv bedienbar auszugestalten. Diese auf kung zu. Diese ist für Automatisierungsgrade eine Hochautomatisierung bezogene Fragestellung der Hoch- und Vollautomatisierung unerlässlich, zur Rückübernahme der Fahrzeugsteuerung ist eine die Sicherheit verbessernde Wirkung ent- bereits als Forschungsfrage formuliert worden faltet sich jedoch für den Straßenverkehr insge- (Kapitel 8.3). Eigenständiger Forschungsbedarf in samt, einschließlich konventionell geführter Bezug auf das Fahrerlaubnisrecht ist deshalb aus Fahrzeuge – „driver only“.) Sicht der Projektgruppe derzeit nicht erkennbar. • Kameraüberwachung bestimmter Straßenkate- Forschungsbedarf besteht dahingehend, ob nicht gorien (Kraftfahrtstraßen und BAB) zur Fußgän- Infrastrukturmaßnahmen die Sicherheitswirkung gererkennung unter Beachtung datenschutz- automatischer Fahrfunktionen wesentlich unterstüt- rechtlicher Rahmenbedingungen. zen könnten. In den meisten Fällen würden diese Maßnahmen bereits heute die Verfügbarkeit von (Diese Maßnahme verbessert die Verfügbarkeit Fahrerassistenzsystemen verbessern oder stellen spezieller Verkehrsinformationen zur Anwesen- Maßnahmen dar, die zur Steigerung der Verkehrs- heit von Fußgängern auf den Straßen mit effizienz (mobility) ohnehin erforderlich sind. Stich- schnellem Fahrzeugverkehr. Bedeutung hat die punktartig lassen sich die Maßnahmen mit Bedeu- Maßnahme vor allem für Systeme ab dem Auto- tung für die Fahrzeugautomatisierung bezeichnen: matisierungsgrad der Hochautomatisierung.)

• Gute Qualität (insb. Kontrast) von Fahrstreifen- • Erforschung und Entwicklung einer technischen markierungen, vor allem auf BAB und gut aus- Kommunikationsmöglichkeit zwischen Lichtsig- gebauten mehrstreifigen Schnellstraßen. nalanlagen und Fahrzeugen hinsichtlich aktuel- ler Signalschaltung (Car-to-TrafficLight). (Diese Maßnahme ist bereits im Fall einer Teil- automatisierung relevant und erhöht zugleich (Diese spezielle Maßnahme aus dem Bereich die Sicherheit bei Verwendung von Fahrerassis- der Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation ist tenzsystemen.) Voraussetzung für die Umsetzung einer Auto- matisierung im Bereich von Lichtsignalanlagen. • Durchgängige Verfügbarkeit von Seitenstreifen Zugleich würde sich ein erheblicher Nutzen da- (vormals: „Standstreifen“), um automatisierten raus ergeben, dass Fahrerassistenzfunktionen Fahrzeugen einen kurzfristig erreichbaren, ver- ebenfalls hierauf aufbauen könnten.) gleichsweise sicheren Systemzustand zugäng- lich zu machen. 27

Dokumentteil 2

Dokumentteil 2 (Projekt: 1):

Grundlagen, technische Ausgestaltung und Anforderungen (BASt-Forschungsbericht: FE 88.0006/ 2009)

Autor: Dr. Arne Bartels Volkswagen AG,

Die nachfolgend dargestellte Meinung ist ausschließlich die des Verfassers und nicht notwendigerweise die der übrigen Mitglieder der Projektgruppe. 28

Systembeschreibung automatischer Fahrfunktionen

Im Auftrag des

Bundesministers für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung

Forschungsbericht FE-Nr. 88.0006/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen

Arbeitsgruppe „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“

Teil 1: Grundlagen, technische Ausgestaltung und Anforderungen

von

Arne Bartels Volkswagen AG, Wolfsburg

4.3.2011 29

Kurzfassung – Abstract

Systembeschreibung automatischer System specification of automated driving Fahrfunktionen functionalities

Für die Erarbeitung einer deutschen Position zu For the preparation of a German position regarding den Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautoma- the legal consequences of an increasing vehicle tisierung wird eine fiktive Systembeschreibung zur automation a fictive system specification is technischen Ausgestaltung automatischer Fahr- prepared describing the technical design of an zeugführung erstellt. Ziel dieser Systembeschrei- automated vehicle guidance. Objective of this bung ist eine realistische Abschätzung, welche Auf- system specification is a realistic assessment, gaben bei der Überwachung und Konfliktbewälti- which tasks during the surveillance and conflict gung automatisch fahrender Fahrzeuge weiterhin management of automatically driving vehicles are dem Fahrzeugführer obliegen, und konkret darzule- still in the responsibility of the driver. The driver’s gen, welche Aufgaben und Eingriffsmöglichkeiten tasks and the driver’s capabilities of intervention will dem Fahrzeugführer weiterhin zur Verfügung ste- be described in concrete terms. This assessment hen. Diese Abschätzung fließt in die Erstellung contributes to the preparation of a realistic system einer realitätsnahen Systembeschreibung ein, die specification, which generically defines the fictive einen fiktiven Fall automatischer Fahrzeugsteue- case of an automated vehicle guidance. The latter rung exemplarisch definiert. Dieser wird einer one will be basis of subsequent legal anschließenden rechtlichen Betrachtung zugrunde considerations. gelegt. 30

Inhalt Glossar

1 Einführung ...... 31 ABA Autobahn-Assistent 2 Begrifflichkeiten ...... 31 ABC Autobahn-Chauffeur ACC Adaptive Cruise Control 3 System-Spezifikation ...... 32 ABP Autobahn-Pilot 3.1 Systemauswahl ...... 32 Ablage Differenz zwischen Fahrzeuglängs- 3.2 Detaillierungsgrad ...... 33 achse und z. B. Fahrstreifenmitte 3.3 Autobahn-Assistent Alcolock Atem-Alkoholmessgerät mit Wegfahr- (teilautomatisiert) ...... 33 sperre. Nach einer Alkoholmessung hin- 3.3.1 Aufgabe ...... 33 dert es alkoholisierte Fahrer, das Fahr- 3.3.2 Automatischer Fahrmodus ...... 34 zeug zu starten. 3.3.3 Risikominimaler Zustand ...... 35 Car to Car Kommunikation zwischen zwei Fahr- zeugen z. B. über eine Funkverbindung 3.3.4 Domäne ...... 35 Car to Kommunikation zwischen einem Fahr- 3.3.5 HMI ...... 35 Infrastructure zeug und einer Infrastruktur-Einrichtung 3.3.6 Übersteuerbarkeit ...... 36 (z. B. Verkehrsleitzentrale) z. B. über ei- 3.3.7 Systemgrenzen ...... 36 ne Funkverbindung 3.4 Autobahn-Chauffeur Ego- Fahrstreifen, in welchem sich das eige- (hochautomatisiert) ...... 37 Fahrstreifen ne Fahrzeug aktuell befindet 3.4.1 Aufgabe ...... 37 Ego- Das Fahrzeug, in welchem das zu be- 3.4.2 Automatischer Fahrmodus ...... 38 Fahrzeug trachtende System eingebaut ist FAS Fahrerassistenzsystem 3.4.3 Risikominimaler Zustand ...... 38 HMI Human Maschine Interface. Benutzer- 3.4.4 Domäne ...... 38 schnittstelle, mit der Menschen mit einer 3.4.5 HMI ...... 38 Maschine interagieren. Sie erlaubt das 3.4.6 Übersteuerbarkeit ...... 38 Bedienen der Maschine, das Beobach- 3.4.7 Systemgrenzen ...... 38 ten der Anlagenzustände und falls erfor- derlich das Eingreifen in den Prozess. 3.5 Autobahn-Pilot (vollautomatisiert) . . . . . 39 Kick-Down Vollständiges, schnelles Heruntertreten 3.5.1 Aufgabe ...... 39 des Fahrpedals 3.5.2 Automatischer Fahrmodus ...... 39 Längs- „Der Begriff der Längsführung umfasst 3.5.3 Risikominimaler Zustand ...... 39 führung alle Teilvorgänge, welche zu einer Re- 3.5.4 Domäne ...... 40 gulierung von Geschwindigkeit und Be- schleunigung führen. Die Umsetzung 3.5.5 HMI ...... 40 des Längsführungswunsches erfolgt … 3.5.6 Übersteuerbarkeit ...... 40 anhand der Stellglieder Gas, Bremse 3.5.7 Systemgrenzen ...... 40 und Schaltung” [MANN 2008]. 3.6 Nothalte-Assistent ...... 40 LKAS Lane Keeping Assistance 3.6.1 Aufgabe ...... 40 Querablage Abstand zwischen der Fahrzeugmitten- 3.6.2 Kontrollverlust ...... 41 achse und der Fahrstreifenmitte 3.6.3 Automatischer Fahrmodus ...... 41 Querführung „Unter dem Begriff der Querführung werden alle Fahrvorgänge verstanden, 3.6.4 Risikominimaler Zustand ...... 41 die eine Aktion quer zur Fahrtrichtung 3.6.5 Domäne ...... 42 des Fahrzeuges bedingen. Die Quer- 3.6.6 HMI ...... 42 führung erfolgt … über das Lenkrad” 3.6.7 Übersteuerbarkeit ...... 42 [MANN 2008]. 3.6.8 Systemgrenzen ...... 42 StVO Straßenverkehrsordnung StVZO Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung 4 Zusammenfassung ...... 43 StVG Straßenverkehrsgesetz Literatur ...... 44 StGB Strafgesetzbuch 31

1 Einführung so, wie sie in der Projektgruppe spezifiziert wurden. In Kapitel 3 wird die Auswahl von vier fiktiven Syste- Ziel der Arbeitsgruppe ist es, eine erste Position zu men mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad den Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautoma- hergeleitet mit anschließender Beschreibung dieser tisierung auf der Grundlage deutscher Gesetzes- Systeme. Der Bericht schließt mit der Zusammen- texte wie z. B. der StVO, der StVZO, dem StVG fassung in Kapitel 4. oder dem StGB zu erarbeiten. Im Teil 1 „Grundla- gen, technische Ausgestaltung und Anforderungen“ werden hierzu im ersten Schritt vier fiktive Systeme mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad defi- 2 Begrifflichkeiten niert. Die Definition der unterschiedlichen Automatisie- Im Folgenden beschreibt Kapitel 2 die Benennung rungsgrade ist gem. aktuellem Arbeitsstand der und Klassifizierung automatisierter Fahrfunktionen Arbeitsgruppe wie folgt:

Nomenklatur Beschreibung Automatisierungsgrad Beispielhafte Systemausprägung und Erwartung des Fahrers Fahrer führt dauerhaft (während der gesamten Fahrt) die Längs- Kein in die Längs- oder Querführung ein- Driver Only führung (Beschleunigen/Verzögern) und die Querführung (Lenken) greifendes (Fahrerassistenz-)System aktiv aus. Fahrer führt dauerhaft entweder die Quer- oder die Längsführung Adaptive Cruise Control: aus. • Längsführung mit adaptiver Abstands- Die jeweils andere Fahraufgabe wird in gewissen Grenzen vom und Geschwindigkeitsregelung Assistiert System ausgeführt. Parkassistent: • Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen. • Querführung durch Parkassistent • Der Fahrer muss jederzeit zur vollständigen Übernahme der (Automatisches Lenken in Parklücken. Fahrzeugführung bereit sein. Der Fahrer steuert die Längsführung.)

Das System übernimmt Quer- und Längsführung (für eine Autobahnassistent: gewisse Zeit und/oder in spezifischen Situationen). • Automatische Längs- und Querführung • Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen. • Auf Autobahnen bis zu einer oberen Teil- • Der Fahrer muss jederzeit zur vollständigen Übernahme der Geschwindigkeitsgrenze automatisiert Fahrzeugführung bereit sein. • Fahrer muss dauerhaft überwachen und bei Übernahmeaufforderung sofort reagieren.

Das System übernimmt Quer- und Längsführung für einen gewis- Autobahn-Chauffeur: sen Zeitraum in spezifischen Situationen. • Automatische Längs- und Querführung • Der Fahrer muss das System dabei nicht dauerhaft überwa- • Auf Autobahnen bis zu einer oberen chen. Geschwindigkeitsgrenze Hoch- • Bei Bedarf wird der Fahrer zur Übernahme der Fahraufgabe mit • Fahrer muss nicht dauerhaft überwa- automatisiert ausreichender Zeitreserve aufgefordert. chen und nach Übernahmeaufforde- • Systemgrenzen werden alle vom System erkannt (z. T. vom rung mit gewisser Zeitreserve reagie- System abgefangen, z. T. muss der Fahrer übernehmen). ren. • Das System ist nicht in der Lage, aus jeder Ausgangssituatio- nen den risikominimalen Zustand herbeiführen.

Das System übernimmt Quer- und Längsführung vollständig in Autobahn-Pilot: einem definierten Anwendungsfall. • Automatische Längs- und Querführung • Der Fahrer muss das System dabei nicht überwachen. • Auf Autobahnen bis zu einer oberen •Vor dem Verlassen des Anwendungsfalles fordert das System Geschwindigkeitsgrenze den Fahrer mit ausreichender Zeitreserve zur Übernahme der Voll- • Fahrer muss nicht überwachen. Fahraufgabe auf. automatisiert • Reagiert der Fahrer nicht auf eine • Erfolgt dies nicht, wird in den risikominimalen Systemzustand Übernahmeaufforderung, so bremst zurückgeführt. das Fahrzeug in den Stillstand herun- • Systemgrenzen werden alle vom System erkannt, das System ter. ist in allen Situationen in der Lage, in den risikominimalen Systemzustand zurückzuführen.

Tab. 1: Benennung und Klassifizierung automatisierter Fahrfunktionen 32

Der Projektgruppe ist bewusst, dass das Automa- 3.1 Systemauswahl tionsspektrum durch Funktionen wie „vollautomati- siertes Fahren von Tür zu Tür (Taxifunktion)“ sowie Bei der Auswahl der fiktiven Ausführungsbeispiele „Fahren ohne Fahrer oder Passagiere (fahrerloses können grundsätzlich Systeme betrachtet werden, Fahren)“ oder „teleoperiertes Fahren“ als mögliche welche für den Einsatz bei niedrigen, mittleren oder weitere Ausprägungen einer Fahrzeugautomatisie- hohen Geschwindigkeiten konzipiert sind (siehe rung fortgesetzt werden könnte. Diese Funktionen Tabelle 2). Ausführungsbeispiele für Assistenzsys- sollen jedoch von der Projektgruppe nicht behan- teme, welche sich bereits heute auf dem Markt delt werden. befinden, sind in Tabelle 2 in der Spalte „Assistiert“ aufgeführt. Die Projektgruppe hat sich für die Unter- suchung von Systemen im hohen Geschwindig- keitsbereich entschieden. Die in der Zeile „Hoch“ 3 System-Spezifikation aufgeführten Systeme werden im Folgenden näher Im Folgenden wird für die Automatisierungsgrade erläutert. Teil-, Hoch- und Voll-Automatisiert jeweils ein fikti- Im Folgenden werden die Systeme Autobahn- ves Ausführungsbeispiel im Detail dargestellt. Für Assistent (ABA), Autobahn-Chauffeur (ABC) und jedes dieser Ausführungsbeispiele wird dargelegt, Autobahn-Pilot (ABP) beschrieben. Zur ersten Ori- welche Aufgaben bei der Überwachung und Kon- entierung und Unterscheidbarkeit der einzelnen fliktbewältigung dem System und welche Aufgaben Funktionen dient Tabelle 3. Eine weitere Detaillie- weiterhin dem Fahrzeugführer obliegen. Konkret rung u. a. der Systemgrenzen erfolgt später. wird u. a. dargestellt, welche Aufgaben und Ein- griffsmöglichkeiten dem Fahrzeugführer weiterhin Zusätzlich zu den drei Systemen ABA, ABC und zur Verfügung stehen. Diese fiktiven Systembe- ABP wird auch die Funktion Nothalte-Assistent be- schreibungen werden dann einer anschließenden schrieben. Diese ist in sofern ein Sonderfall der rechtlichen Betrachtung zugrunde gelegt. Vollautomatisierung, als dass die Verfügbarkeit ei-

Teil- Hoch- Voll- Assistiert Automatisiert Automatisiert Automatisiert

Hoch ACC, Autobahn- Autobahn- Autobahn- Autobahn, Schnellstraße etc. LKAS Assistent Chauffeur Pilot Mittel ACC für Stau, zäher Verkehr, Stadt etc. Stop & Go Niedrig Park-Lenk-

Geschwindigkeit Rangieren, Parken etc. Assistent

Tab. 2: Systeme in Abhängigkeit von Automatisierungsgrad und Geschwindigkeit

Name Autobahn-Assistent (ABA) Autobahn-Chauffeur (ABC) Autobahn-Pilot (ABP)

Automatisierungsgrad Teil-Automatisiert Hoch-Automatisiert Voll-Automatisiert

System erkennt alle Nein Ja Ja relevanten Situationen

System bewältigt alle Nein Nein Ja relevanten Situationen

Fahrer ständig kurzfri- Ja Nein Nein stig eingriffsbereit

Vorausfahrendes Fahr- System erkennt dieses nicht recht- System erkennt dieses rechtzeitig System erkennt dieses recht- zeug verliert Ladung zeitig. Fahrer muss eingreifen. und reagiert geeignet zeitig und reagiert geeignet

Ego-Fahrstreifen endet System erkennt dieses nicht recht- System erkennt dieses rechtzeitig System erkennt dieses recht- z. B. an Tagesbaustelle zeitig. Fahrer muss eingreifen. und fordert Fahrer mit ausreichen- zeitig und reagiert geeignet der Zeitreserve zur Übernahme auf.

Tab. 3: Kurzübersicht der automatischen Fahrfunktionen 33

nes Fahrzeugführers zwar ausgeschlossen werden System-Statusanzeige ist diese stark herstellerspe- muss, aber eine Überführung in den risikominima- zifisch und soll daher hier nicht im Detail behandelt len Zustand nicht in allen Fahrsituationen gewähr- werden. leistet ist. Aus rechtlicher Sicht ist sie jedoch inter- essant und soll daher hier beschrieben und ansch- Paketierung ließend in die rechtliche Betrachtung mit einbezo- Die Paketierung von Systemen, also die Zwangs- gen werden. kopplung der im Folgenden beschriebenen Syste- me mit anderen Fahrerassistenzsystemen wie z. B. ACC oder Spurverlassenswarnung, ist zwar wahr- 3.2 Detaillierungsgrad scheinlich, da diese „klassischen“ Fahrerassistenz- systeme auf die Technik-Plattform (Steuergeräte, Die Beschreibung dieser fiktiven Systeme erfolgt so Umfeldsensoren) von ABA, ABC und ABP aufset- allgemein wie möglich. Dies ist immer dann möglich zen können. Letztendlich obliegt eine Paketierung und sinnvoll, wenn eine weitere Detaillierung der aber dem jeweiligen Fahrzeughersteller. Im Folgen- Systemeigenschaften keinen Einfluss auf deren den wird daher auf diese nicht weiter eingegangen. rechtliche Betrachtung hat. Gemäß aktuellem Dis- kussionsstand der Arbeitsgruppe betrifft dies die Risikominimaler Zustand folgenden Punkte: Für die Erarbeitung einer ersten rechtlichen Bewer- Obere Geschwindigkeitsgrenze tung werden alleine die Definitionen aus Tabelle 1 zugrunde gelegt. In Konsequenz wird angenom- Hier wird kein konkreter Wert genannt. men, dass nur vollautomatisierte Systeme aus allen Situationen heraus über die Funktion verfügen, Zustandsübergänge stets in den Risikominimalen Zustand zu über- Beim Design der Zustandsautomaten von ABA, führen. Tatsächlich besteht beim Systemdesign von ABC und ABP bestehen viele Freiheitsgrade. Als teil- und vollautomatisierten Systemen der Frei- Vorbedingung für die System-Aktivierung kann z. B. heitsgrad, aus einigen ausgewählten Situationen gefordert werden, dass der Fahrer zuvor im ACC- heraus ebenfalls die Überführung in einen Risiko- Modus gefahren ist. Alternativ kann diese Vorbe- minimalen Zustand zu gewährleisten (siehe EU- dingung auch entfallen. Ähnliche Freiheitsgrade er- Projekt HAVEit). Gemäß aktuellem Diskussions- geben sich bei der System-Deaktivierung. Im Fol- stand der Arbeitsgruppe soll dies, um das Ergebnis genden werden diese Details bei der Auslegung der nicht zu verfälschen und die präzise Abgrenzung Zustandsautomaten nicht weiter betrachtet. Es wird verschiedener Automatisierungsgrade sicherzustel- lediglich darauf verwiesen, dass die Systeme ein- len, jedoch nicht berücksichtigt werden. Die nach- und ausgeschaltet werden können. folgende Systembeschreibung nimmt daher die Überführung in den Risikominimalen Zustand nur System-Statusanzeige beim ABP an.

Wie aus den aktuell auf dem Markt befindlichen Alternativ zur Begrifflichkeit „Sicherer Zustand“ wird ACC-Systemen deutlich wird, ist die Gestaltung von im Folgenden der Begriff „Risikominimaler Zustand“ System-Statusanzeigen zum einen stark hersteller- eingeführt und verwendet. Dieser resultiert aus spezifisch. Zum anderen ist sie auch abhängig vom einer Diskussion, welche im Rahmen des EU-Pro- Design des Zustandsautomaten. Für teil- und hoch- jektes HAVEit geführt wurde. automatisierte Systeme existieren zwar bereits eini- ge Vorschläge (siehe EU-Projekt HAVEit). Im Fol- genden wird aber lediglich darauf verwiesen, dass 3.3 Autobahn-Assistent der Fahrzeugführer über den aktuellen Sys- (teilautomatisiert) temzustand in einem Display im primären Sichtfeld des Fahrers informiert wird. 3.3.1 Aufgabe

Übernahmeaufforderung Der Autobahn-Assistent (ABA) soll mit Hilfe einer teilautomatischen Fahrzeugführung den Fahrer in Eine Übernahmeaufforderung kann optisch, akus- monotonen, langweiligen Fahrsituationen (Unterfor- tisch und/oder haptisch erfolgen. Ähnlich wie die derung des Fahrzeugführers) unterstützen. 34

Eine Unterforderung des Fahrzeugführers tritt z. B. schwindigkeit, oder die z. B. vor Kurven ermittelte bei monotonen, langweiligen Fahrsituationen wie komfortable Geschwindigkeit. Die vorgeschriebene z. B. Fahrten im Stau oder monotonen Langstre- Geschwindigkeit wird z. B. aus digitalen Straßen- ckenfahrten von A nach B auf. Gemäß aktuellen karten und kamerabasierten Systemen zur Ver- Prognosen werden die Verkehrsdichte auf vielen kehrszeichenerkennung ermittelt. Die komfortable deutschen Straßen und damit der Anteil monotoner Geschwindigkeit zum Durchfahren einer Kurve wird Fahrsituationen wie z. B. Fahrten im Stau deutlich z. B. mit Hilfe des Krümmungsradius der Kurve und steigen. Damit steigen der Anteil von Fahrten mit einer maximalen, noch als komfortabel empfunde- Unterforderung des Fahrzeugführers und somit nen Querbeschleunigung bestimmt. Der Kurvenra- auch das Wirkpotenzial des Autobahn-Assistenten. dius wird aus digitalen Straßenkarten und kamera- basierten Systemen zur Erkennung des Fahrstrei- Bei der teilautomatischen Fahrzeugführung über- fenverlaufs ermittelt. nimmt das System die Quer- und Längsführung des Fahrzeugs für eine gewisse Zeit und in spezifischen Überhöhte Geschwindigkeit in dem Sinne, dass Situationen (siehe automatischer Fahrmodus). eine vorgeschriebene maximale Geschwindigkeit Falls er es wünscht kann der Fahrer die Hände vom überschritten wird, kann dann ausgeschlossen wer- Lenkrad nehmen. Er muss das System hierbei dau- den, wenn das zugehörige Verkehrszeichen entwe- erhaft überwachen. der in der digitalen Straßenkarte verzeichnet ist oder von der Kamera zur Verkehrszeichenerken- Der Autobahn-Assistent wird im Vergleich zu be- nung erkannt wird. Da dies jedoch nicht immer der reits heute existierenden Fahrerassistenzsystemen Fall ist (siehe Systemgrenzen), muss der Fahrer den Fahrkomfort für den Fahrer dadurch deutlich das System ständig überwachen und eingriffsbereit steigern, dass die regelungstechnischen Tätigkei- sein. Hier unterscheidet sich der Autobahn-Assis- ten „sicheren Abstand halten“, „Geschwindigkeit tent nicht von heutigen FAS. anpassen und halten“ und „Fahrstreifenmitte hal- ten“ nun über einen langen Zeitraum kontinuierlich Überhöhte Geschwindigkeit in dem Sinne, dass bei durch das Fahrerassistenzsystem durchgeführt ungünstigen Straßenverhältnissen wie z. B. Glätte werden können. Hierdurch entlastet der Autobahn- das Fahrzeug die Fahrspur verlässt, kann beim Assistent den Fahrer und hilft gleichzeitig Unfälle zu Autobahn-Assistenten dann ausgeschlossen wer- verhindern oder deren Folgen zu mindern, welche den, wenn bestimmte Indizien wie z. B. ein ESP- durch Fahrfehler eines unaufmerksamen, abge- Eingriff oder die Außentemperaturen hierauf hin- lenkten Fahrzeugführers bedingt sind. deuten. Da dies jedoch nicht immer der Fall ist (siehe Systemgrenzen), ist hier weiterhin der Fah- rer gefragt. Er muss beurteilen, ob die Straßenver- 3.3.2 Automatischer Fahrmodus hältnisse es zulassen, den Autobahn-Assistenten Im automatischen Fahrmodus übernimmt das zu aktivieren. Auch hier unterscheidet sich der Au- System sowohl die Querführung (lenken) als auch tobahn-Assistent nicht von heutigen FAS: Der Fah- die Längsführung (beschleunigen, bremsen) des rer muss entscheiden, ob der Einsatz eines FAS für Fahrzeugs. Das System überwacht hierbei den die spezifische Fahrsituation angemessen und Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug sinnvoll ist. und stellt zu diesem einen angemessenen Abstand Bei der Auswahl der Wunschgeschwindigkeit wer- ein, welcher sich aus der vom Fahrer eingestell- den auch die aktuellen Geschwindigkeiten der ten Zeitlücke ergibt. Fährt kein Fahrzeug voraus, Fahrzeuge auf den linken benachbarten Fahrstrei- dann stellt es die aktuell gewünschte Geschwindig- fen berücksichtigt. Hierdurch wird in Deutschland keit ein. Ebenfalls hält das System das Fahrzeug in ein Verstoß gegen das „Rechts-Überhol-Verbot“ der Fahrstreifenmitte. Somit übernimmt das System vermieden. Hiervon abweichende Regelungen in die regelungstechnische Arbeit bei den Fahraufga- anderen Ländern können ebenfalls berücksichtigt ben „sicheren Abstand halten“, „Geschwindigkeit anpassen und halten“ und „Fahrstreifenmitte hal- werden. Hierzu wird mit Hilfe der digitalen Straßen- ten“. karte das Land ermittelt, in welchem sich das Fahr- zeug befindet. Anschließend werden die Algorith- Die Wunschgeschwindigkeit ist entweder die vom men zur Einstellung der Wunschgeschwindigkeit an Fahrer eingestellte Geschwindigkeit, oder die z. B. die länderspezifischen Regelungen automatisch durch Verkehrszeichen vorgeschriebene Ge- angepasst. 35

Auch Ausnahmeregelungen werden berücksichtigt. so versucht er, einen Unfall sowohl durch Brem- Gemäß aktueller Rechtsprechung gilt für deutsche sen als auch durch ein Ausweichmanöver inner- Autobahnen z. B. die Regel (vereinfacht gespro- halb des eigenen Fahrstreifens zu vermeiden chen): „Eine Fahrzeugkolonne darf dann mit einer oder zumindest die Unfallfolgen zu mindern. Differenzgeschwindigkeit von maximal 20 km/h Automatische Ausweichmanöver mit Fahrstrei- rechts überholt werden, wenn diese Kolonne fenwechsel unterbleiben (siehe Systemgren- 60 km/h oder langsamer fährt.“ Diese Regel wird zen). vom Autobahn-Assistenten eingehalten.

Bildet sich ein Stau und wird das Verzögern eines 3.3.3 Risikominimaler Zustand vorausfahrenden Fahrzeugs vom System erkannt, so wird das eigene Fahrzeug automatisch ggf. bis Leistet der Fahrzeugführer einer Übernahmeauffor- zum Stillstand heruntergebremst. Im Stop-&-Go- derung nicht Folge, so wird die Funktion nach einer Betrieb erfolgt das Wiederanfahren automatisch. gewissen Wartezeit abgeworfen. Hierbei wird der Nach sehr langem Fahrzeugstillstand muss der ABA deaktiviert und der Fahrzeugführer hierüber Fahrer das Wiederanfahren z. B. durch Betätigen geeignet informiert. Im Einzelfall kann ein vom des Fahrpedals initiieren. Wird in der Nähe des System eingestellter Bremsdruck bzw. ein vom Fahrzeuges vom System z. B. ein Fußgänger System eingestelltes Lenkmoment noch aufrechter- erkannt, so unterbleibt das automatische Wieder- halten werden, z. B. wenn eine Übernahmeauffor- anfahren und es erfolgt eine Fahrerübernahmeauf- derung erfolgt während das System bremst bzw. forderung. lenkt. Es erfolgt aber kein Übergang in einen risiko- minimalen Zustand wie z. B. beim Autobahn-Pilo- Fußgänger auf der Autobahn kommen im Alltag ten. nicht sehr häufig vor. Man kann diesen Vorfall je- doch nicht gänzlich außer Acht lassen. Steht das eigene Fahrzeug z. B. im Stau, so können Fahrer 3.3.4 Domäne und Passagiere anderer Fahrzeuge ihr eigenes Das System ist nur auf der Autobahn oder auto- Fahrzeug verlassen und auf der Autobahn umher- bahnähnlichen Straßen in einem Geschwindigkeits- laufen. bereich zwischen 0 km/h und einer oberen Ge- schwindigkeitsgrenze funktional. Verlässt das Fahr- Folgende Funktionen sind integraler Bestandteil zeug die Autobahn oder beschleunigt der Fahrer des Autobahn-Assistenten und immer parallel zum über die obere Geschwindigkeitsgrenze hinaus automatischen Fahrmodus aktiv: (z. B. Fahrer übersteuert System durch Kick- • Erkennt das System im automatischen Fahrmo- Down), dann wird der Fahrer zur Übernahme auf- dus ein vorausfahrendes Fahrzeug, welches gefordert. plötzlich und stark verzögert, so wird eine Kolli- sion durch ein geeignetes automatisches 3.3.5 HMI Bremsmanöver vermieden oder zumindest die Unfallfolgen bei einer solchen Kollision gemin- Das System kann durch den Fahrzeugführer über dert. Bedienelemente wie z. B. einen Taster oder Be- dienhebel ein- und ausgeschaltet werden. • Nähert sich das Fahrzeug im automatischen Fahrmodus einem Stauende, so wird der Fahrer Wird eine Systemgrenze erreicht und wird dies vom zu einem Bremseingriff aufgefordert. Reagiert er System erkannt, so wird der Fahrer durch optische, hierauf nicht rechtzeitig, so verzögert das Fahr- akustische und/oder haptische Signale ggf. eskalie- zeug automatisch. Hierdurch wird eine Kollision rend zur Übernahme aufgefordert. Unterbleibt nach mit dem Stauende vermieden oder zumindest einer Übernahmeaufforderung durch das System die Unfallfolgen bei einer solchen Kollision die Übernahme durch den Fahrer, so wird das gemindert. System geeignet deaktiviert (siehe Risikominimaler Zustand). • Erkennt der Autobahn-Assistent im automati- schen Fahrmodus ein stehendes Hindernis auf Der Fahrer kann das System deaktivieren, indem er dem eigenen Fahrstreifen (Ladung, Fahrzeug- den Aus-Taster betätigt, einen Bremseingriff tätigt teile etc.) oder einen gefährlichen Einscherer, oder einen starken Lenkeingriff durchführt. Das 36

bloße Berühren des Lenkrades führt nicht zur De- I. Systemgrenzen, welche vom System mit langer aktivierung des Systems. Zeitreserve erkannt werden

Der Fahrzeugführer wird über den aktuellen • z. B. Autobahnenden, Fahrbahnverengun- Systemzustand in einem Display im primären Sicht- gen, Baustellen, Stauende, welche auf der feld des Fahrers informiert. Hier werden mindes- digitalen Straßenkarte verzeichnet sind. tens die folgenden drei Systemzustände zur Anzei- ge gebracht: Die oben genannten Gefahrenstellen können z. B. von einer Verkehrsleitzentrale erfasst • „Driver Only“: Längs- und Querführung durch und an das eigene Fahrzeug gemeldet den Fahrer, werden. Diese Funktion ist vergleichbar mit dem heutigen TMC (Traffic Message • „ACC“: Längsführung durch das System, Channel), jedoch mit deutlich gesteigerten Querführung durch den Fahrer, Anforderungen an die Aktualität und Integri- tät der Daten. • „ABA“: Längs- und Querführung durch das System. II. Systemgrenzen, welche vom System mit kurzer Zur Anzeige der aktuell eingestellten Setzge- Zeitreserve erkannt werden schwindigkeit wird das gem. ISO-Norm definierte Symbol verwendet. Fehlermeldungen und Über- • z. B. Autobahnenden, Fahrbahnverengun- nahmeaufforderungen erscheinen ebenfalls im zen- gen, Baustellen, Stauende, Ladung, welche tralen Display. das vorausfahrende Fahrzeug verliert, Tiere, welche auf die Fahrbahn laufen etc., welche auf der digitalen Straßenkarte nicht verzeich- 3.3.6 Übersteuerbarkeit net sind, aber von der Umfeldsensorik des Fahrzeugs erfasst werden, Das System kann durch den Fahrer über Bedien- elemente wie z. B. einen Taster oder Lenkstock- • z. B. ESP-Eingriff, Öffnen des Gurtschlosses, schalter ein- und ausgeschaltet werden. Der Fahrer reduzierte Fahrfähigkeit des Fahrers, rele- kann das System jederzeit übersteuern oder den vanter technischer Defekt, Fahrstreifen wird Automatischen Fahrmodus abbrechen. Dies kann nicht mehr erkannt. über ein Bedienelement (Ein/Aus-Taster), über einen Bremseingriff oder über einen starken Lenk- Bei aktiviertem Autobahn-Assistenten hat der eingriff erfolgen. Fahrer die Möglichkeit, das System zu über- steuern, indem er z. B. das Fahrpedal be- tätigt (Gas gibt). Überschreitet der Fahrer 3.3.7 Systemgrenzen hierbei die Maximalgeschwindigkeit des Sys- tems, so führt dies zu einer Übernahmeauf- Das System ist nur auf Autobahnen oder auto- forderung. Überschreitet der Fahrer hierbei bahnähnlichen Straßen im Geschwindigkeitsbe- die zulässige Höchstgeschwindigkeit, so reich zwischen 0 und der oberen Geschwindigkeits- kann das System den Fahrer hierauf hinwei- grenze funktional. sen. Es wird dieses jedoch nicht aktiv unter- binden. Hiervon ausgenommen sind Autobahnraststätten, Autobahntankstellen und Baustellenbereiche auf Eine reduzierte Fahrfähigkeit des Fahrers Autobahnen. Ebenfalls ausgenommen sind an wird z. B. durch starke Übermüdung oder Autobahnanschlussstellen, Autobahnkreuzen und Unaufmerksamkeit hervorgerufen. Beides Autobahndreiecken die Beschleunigungs- und Ver- kann z. B. über eine Innenraumkamera mit- zögerungsstreifen, die Verteilerfahrbahn, die Ver- tels Beobachtung von Kopfposition und Lid- flechtungsstrecke, die Verbindungsrampen sowie schlag des Fahrers ermittelt werden. Aber die Überführungsbauwerke. auch andere technische Lösungen sind mög- lich. Die Systemgrenzen können in drei Kategorien unterteilt werden: 37

III. Systemgrenzen, welche vom System nicht • Gleiches gilt für Baustellen: Sind Wanderbau- erkannt werden stellen nicht in der digitalen Straßenkarte einge- tragen, und übersieht die Kamera die Verkehrs- • z. B. Glatteis, Aquaplaning, Schneedecke zeichen, welche die Baustelle ankündigen, dann oder Ölspur voraus, muss wiederum der Fahrer eingreifen und das • z. B. relevante Hindernisse (siehe oben), System deaktivieren. welche z. B. aufgrund ungünstiger Umstände • Befindet sich z. B. Eis, Schnee, Öl oder ein (Witterung etc.) von der Umfeldsensorik des Wasserfilm (Aquaplaning) auf der Fahrbahn, so Fahrzeugs nun nicht mehr erfasst werden wird die Haftung der Reifen auf der Fahrbahn können. vermindert. Idealerweise erkennt das System diesen Straßenzustand mit verminderter Haftrei- Wird eine Systemgrenze erreicht und wird dies bung rechtzeitig und reduziert ggf. die Ge- vom System erkannt, so wird der Fahrer zur Über- schwindigkeit. Auf diesen Straßenzustand deu- nahme aufgefordert. Wird eine Systemgrenze tet derzeit mit hoher Sicherheit z. B. ein ESP- erreicht, und wird diese vom System nicht erkannt, Eingriff hin, welcher zu einer Fahrerübernah- so muss der Fahrer das System deaktivieren (siehe meaufforderung führt. Eine exakte Messung von Übersteuerbarkeit) und die Fahraufgabe wieder Haftreibung und Schlupf der Reifen ist beim jet- übernehmen. zigen Stand der Technik nicht möglich. Daher Das System führt keine automatischen Fahrstrei- muss in manchen dieser Situationen der Fahr- fenwechsel durch. Ein klassisches Überholma- zeugführer die Geschwindigkeit reduzieren und/ növer mit Fahrstreifenwechsel nach links, Überhol- oder das System deaktivieren. vorgang und anschließendem Fahrstreifenwechsel • Das System führt keine automatischen Aus- nach rechts erfolgt also nicht automatisch. Ist der weichmanöver mit Fahrstreifenwechsel durch. eigene Fahrstreifen nicht mehr befahrbar, weil sich Taucht vor dem Fahrzeug im automatischen z. B. die Fahrbahn verengt (Wechsel von 3 auf 2 Fahrmodus plötzlich ein Hindernis auf (Ladung, Fahrstreifen), sich ein Hindernis auf dem Fahrstrei- welche das vorausfahrende Fahrzeug verliert, fen befindet oder eine Baustelle beginnt, dann Tiere, welche auf die Fahrbahn laufen etc) und muss der notwendige Fahrstreifenwechsel vom ist zur Kollisionsvermeidung ein Ausweichma- Fahrer durchgeführt werden. Soll die Richtungs- növer inklusive Fahrstreifenwechsel erforder- fahrbahn z. B. an Autobahnkreuzen, Autobahndrei- lich, so muss dieser vom Fahrer durchgeführt ecken oder Autobahnanschlussstellen verlassen werden. Unterbleibt dieses, so wird die Schwere werden, so ist für den erforderlichen Fahrstreifen- der Kollision durch ein automatisches Brems- wechsel wiederum der Fahrer zuständig. manöver des ABA gemindert (siehe Automati- Das System ist nicht in der Lage, alle relevanten scher Fahrmodus). Informationen der Fahrzeugumgebung jederzeit, • Das System kann den Abstand des vorausfah- vollständig und rechtzeitig zu erfassen. Ebenfalls ist renden Fahrzeugs zu seinem Vordermann bzw. es nicht in der Lage, alle erdenklichen Gefahrensi- die Geschwindigkeit dieses Vordermanns nicht tuationen durch einen automatischen Eingriff in zuverlässig erfassen. Sieht der Fahrzeugführer Bremse, Lenkung und Gas selbstständig zu bewäl- also, dass Fahrzeuge vor dem vorausfahrenden tigen. Daher muss der Fahrer das System ständig Fahrzeug stark verzögern, so muss er rechtzei- überwachen und eingriffsbereit sein. Beispielhaft tig durch einen angemessenen Bremseingriff seien die folgenden Situationen genannt: reagieren. • Geschwindigkeitsbeschränkungen können beim jetzigen Stand der Technik sowohl durch eine möglichst aktuelle digitale Straßenkarte als auch 3.4 Autobahn-Chauffeur durch ein Kamerasystem mit Verkehrszeichen- (hochautomatisiert) erkennung erfasst werden. Ist die digitale Stra- 3.4.1 Aufgabe ßenkarte nicht aktuell und übersieht die Kamera gleichzeitig ein Verkehrsschild, dann verhält sich Genau so wie der Autobahn-Assistent soll auch der das System nicht regelkonform. In diesem Fall Autobahn-Chauffeur (ABC) den Fahrer in monoto- muss der Fahrer eingreifen. nen, langweiligen Fahrsituationen entlasten und 38

hierdurch Unfälle verhindern oder deren Folgen 3.4.5 HMI mindern, welche durch eine Unterforderung des Fahrzeugführers bedingt sind (siehe oben). Anders Siehe Autobahn-Assistent als beim ABA erfolgt die Fahrzeugführung hierbei jedoch hochautomatisch. D. h., der Fahrzeugführer 3.4.6 Übersteuerbarkeit muss das System nicht dauerhaft überwachen. Erkennt der ABA im Voraus, dass er eine bestimm- Siehe Autobahn-Assistent te Situation nicht eigenständig bewältigen kann, dann wird der Fahrer zur Übernahme der Fahrauf- 3.4.7 Systemgrenzen gabe mit ausreichender Zeitreserve aufgefordert. Die Systemgrenzen bzgl. Geschwindigkeitsbereich Dies wird dadurch ermöglicht, dass Systemgren- und Domäne für den Systembetrieb sind genau so zen, welche beim ABA entweder nicht erkannt oder wie beim Autobahn-Assistenten. zu einer schnellen Übernahmeaufforderung geführt haben, jetzt entweder ausgeschlossen oder aber Bei der Kategorisierung der Systemgrenzen, wel- frühzeitig erkannt werden können. che vom System mit langer Zeitreserve bzw. mit kurzer Zeitreserve bzw. nicht erkannt werden, erge- Durch diese Steigerung der Systemleistung wird ben sich im Vergleich zum Autobahn-Assistenten sowohl der Fahrkomfort gesteigert (der Fahrer kann die folgenden Gemeinsamkeiten bzw. Unterschie- aus regelungstechnischer Sicht bestimmte Ne- de: bentätigkeiten durchführen) als auch das Wirkpo- tenzial im Unfallgeschehen gesteigert (alle relevan- ten Gefahrensituationen werden vom System recht- I. Systemgrenzen, welche vom System mit langer zeitig erkannt und zum Teil auch eigenständig Zeitreserve erkannt werden bewältigt). Der Autobahn-Chauffeur hat hier die gleichen Systemgrenzen wie der Autobahn-Assistent. 3.4.2 Automatischer Fahrmodus • Autobahnenden, Fahrbahnverengungen, Die Beschreibung des Automatischen Fahrmodus Baustellen und Hindernisse wie z. B. ein entspricht im Wesentlichen dem des Autobahn- Stauende führen zu einer Übernahmeauffor- Assistenten. derung, jeweils aber mit ausreichender Zeit- reserve. Im Unterschied zum Autobahn-Assistenten muss der Autobahn-Chauffeur einen drohenden Unfall Die oben genannten Gefahrenstellen können durch Kollision mit Hindernissen auf der Fahrbahn z. B. von einer Verkehrsleitzentrale erfasst (z. B. verlorene Ladung) rechtzeitig erkennen und und an das eigene Fahrzeug gemeldet wer- durch ein geeignetes Fahrmanöver verhindern, den. Diese Funktion ist vergleichbar mit soweit dies fahrphysikalisch möglich ist und der dem heutigen TMC (Traffic Message Chan- umgebende Verkehr hierdurch nicht unangemes- nel), jedoch mit deutlich gesteigerten Anfor- sen gefährdet wird. derungen an die Aktualität und Integrität der Daten. Autobahnenden, Fahrbahnverengungen etc. erkennt das System zwar rechtzeitig, bewältigt diese aber nicht eigenständig. Der Fahrer wird II. Systemgrenzen, welche vom System mit kurzer dann mit ausreichender Zeitreserve zur Übernah- Zeitreserve erkannt werden me aufgefordert (siehe Systemgrenzen). Diese sind für den Autobahn-Chauffeur grundsätzlich nicht mehr relevant. Sie werden 3.4.3 Risikominimaler Zustand entweder durch geeignete Maßnahmen verhin- dert oder vom System eigenständig bewältig. Siehe Autobahn-Assistent • Autobahnenden, Fahrbahnverengungen, 3.4.4 Domäne Baustellen, und Stauenden sind dem Auto- bahn-Chauffeur vollständig und frühzeitig Siehe Autobahn-Assistent bekannt. Sie erzeugen daher bei diesem 39

System keine kurzfristigen Übernahmeauf- 3.5 Autobahn-Pilot (vollautomatisiert) forderungen. 3.5.1 Aufgabe • Ladung, welche das vorausfahrende Fahr- zeug verliert, Tiere, welche auf die Fahrbahn Genau so wie der Autobahn-Assistent und der laufen, etc. werden vom System erkannt und Autobahn-Chauffeur (ABC) soll auch der Autobahn- es reagiert hierauf geeignet Pilot (ABP) den Fahrer in monotonen, langweiligen Fahrsituationen entlasten und hierdurch Unfälle • ESP-Eingriff, Öffnen des Gurtschlosses, re- verhindern oder deren Folgen mindern, welche duzierte Fahrfähigkeit des Fahrers, relevan- durch eine Unterforderung des Fahrzeugführers ter technischer Defekt, Fahrstreifen wird bedingt sind (siehe oben). nicht mehr erkannt: Diese Fälle werden vom Anders als beim ABC erfolgt die Fahrzeugführung System erkannt und führen zu einer Über- hierbei jedoch vollautomatisch. D. h., der Fahr- nahmeaufforderung. Der Autobahn-Chauf- zeugführer muss das System nicht überwachen. feur kann jedoch für eine gewisse Zeit die Das System ist in der Lage, alle relevanten Situa- Fahrzeugführung weiter durchführen, sodass tionen zu erkennen und eigenständig zu bewälti- diese Übernahmeaufforderung mit ausrei- gen. Hierzu ist es auch immer in der Lage, aus allen chender Zeitreserve erfolgt. Situationen heraus das Fahrzeug ggf. in einen risi- Bei aktiviertem Autobahn-Chauffeur hat der kominimalen Zustand zu überführen. Fahrer die Möglichkeit, das System zu über- Durch diese Steigerung der Systemleistung wird steuern, indem er z. B. das Fahrpedal sowohl der Fahrkomfort gesteigert (der Fahrer kann betätigt (Gas gibt). Überschreitet der Fahrer aus regelungstechnischer Sicht nahezu jede Ne- hierbei die Maximalgeschwindigkeit des Sys- bentätigkeiten durchführen) als auch das Wirkpo- tems, so führt dies zu einer Übernahmeauf- tenzial im Unfallgeschehen gesteigert (alle relevan- forderung. Überschreitet der Fahrer hierbei ten Gefahrensituationen werden vom System recht- die zulässige Höchstgeschwindigkeit, so zeitig erkannt und eigenständig bewältigt). kann das System den Fahrer hierauf hinwei- sen. Es wird dieses jedoch nicht aktiv unter- binden. 3.5.2 Automatischer Fahrmodus

Eine reduzierte Fahrfähigkeit des Fahrers Die Beschreibung des Automatischen Fahrmodus wird z. B. durch starke Übermüdung oder Un- entspricht im Wesentlichen dem des Autobahn- aufmerksamkeit hervorgerufen. Beides kann Chauffeurs. z. B. über eine Innenraumkamera mittels Beobachtung von Kopfposition und Lid- 3.5.3 Risikominimaler Zustand schlag des Fahrers ermittelt werden. Aber auch andere technische Lösungen sind mög- Der risikominimale Zustand ist das stehende Fahr- lich. zeug.

Die Überführung in den risikominimalen Zustand III. Systemgrenzen, welche vom System nicht erfolgt dann, wenn der Fahrzeugführer einer (inten- erkannt werden siven) Übernahmeaufforderung nicht rechtzeitig Diese sind für den Autobahn-Chauffeur Folge leistet. grundsätzlich nicht mehr relevant. Alle bekann- Die Überführung in den risikominimalen Zustand ten und relevanten Systemgrenzen werden erfolgt folgendermaßen: Bei stehendem Fahrzeug erkannt. unterbleibt das Wiederanfahren. Die elektrische Parkbremse wird aktiviert. Bei fahrendem Fahrzeug •Glatteis, Aquaplaning, Schneedecke oder wird moderat bis zum Stillstand des Fahrzeugs ver- Ölspur voraus sind dem System bekannt, zögert. Während des moderaten Verzögerns wer- • alle relevanten Hindernisse sind dem System den automatisch die Warnblinker aktiviert. Im Still- bekannt stand wird automatisch die elektrische Parkbremse aktiviert. 40

Wenn die Verkehrslage (z. B. geringes Verkehrs- kurzer Zeitreserve bzw. nicht erkannt werden, erge- aufkommen) und der Systemzustand (z. B. keine ben sich die folgenden Gemeinsamkeiten bzw. relevanten Systemfehler, Umfelderfassung mit Unterschiede: hoher Güte) es zulassen, dann wird das Fahrzeug durch ein oder mehrere Fahrstreifenwechsel auf I. Systemgrenzen, welche vom System mit langer den Seitenstreifen gelenkt und dort zum Stillstand Zeitreserve erkannt werden gebracht. Ist das Risiko des Manövers „Fahrstrei- fenwechsel auf Seitenstreifen“ + „auf dem Seiten- Anders als der Autobahn-Chauffeur kann der streifen in den Stillstand verzögern“ (abhängig von Autobahn-Pilot mit diesen Situationen nahezu Verkehrslage und Systemzustand) größer als das eigenständig umgehen: Risiko des Manövers „auf dem aktuellen Fahrstrei- fen in den Stillstand verzögern“, dann verbleibt das • Fahrbahnverengungen, Baustellen und Hin- Fahrzeug auf dem aktuellen Fahrstreifen und wird dernisse führen zu keiner Übernahmeauffor- dort zum Stillstand gebracht. derung. Das System bewältigt diese Situatio- nen eigenständig durch ein geeignetes Fahr- Der Fahrer kann das System jederzeit übersteuern, manöver. also z. B. das moderate Verzögern jederzeit abbre- chen. Dies kann über ein Bedienelement (Ein/Aus- Lediglich das Verlassen der Domäne (z. B. Taster), über einen Bremseingriff, über vollständi- Autobahnende) führt, mit ausreichender Zeit- ges Heruntertreten des Fahrpedals (Kick-Down) reserve, zu einer Übernahmeaufforderung. oder über einen starken Lenkeingriff erfolgen. Im Wird dieser Übernahmeaufforderung durch Stillstand kann der Fahrzeugführer jederzeit die den Fahrer nicht Folge geleistet, so wird das elektronische Parkbremse lösen und seine Fahrt Fahrzeug in den risikominimalen Zustand fortsetzen. überführt.

3.5.4 Domäne II. Systemgrenzen, welche vom System mit kurzer Zeitreserve erkannt werden Siehe Autobahn-Assistent Diese sind für den Autobahn-Piloten grundsätz- lich nicht mehr relevant. Sie werden entweder 3.5.5 HMI durch geeignete Maßnahmen verhindert oder Die Beschreibung des Automatischen Fahrmodus vom System eigenständig bewältig (siehe Auto- entspricht im Wesentlichen dem des Autobahn- bahn-Chauffeur). Assistenten.

Im Unterschied zum Autobahn-Assistenten wird der III. Systemgrenzen, welche vom System nicht Automatische Fahrmodus erst dann beendet, wenn erkannt werden der Fahrer die Fahraufgabe wieder übernommen Diese sind für den Autobahn-Piloten grundsätz- hat oder das Fahrzeug in den risikominimalen Zu- lich nicht mehr relevant. Alle bekannten und stand überführt wurde. relevanten Systemgrenzen werden erkannt (siehe Autobahn-Chauffeur). 3.5.6 Übersteuerbarkeit

Siehe Autobahn-Assistent 3.6 Nothalte-Assistent

3.6.1 Aufgabe 3.5.7 Systemgrenzen Die Aufgabe des Nothalte-Assistenten ist es, Unfäl- Die Systemgrenzen bzgl. Geschwindigkeitsbereich le bei physiologisch bedingtem Kontrollverlust des und Domäne für den Systembetrieb sind genau so Fahrzeugführers durch ein vollautomatisches He- wie beim Autobahn-Assistenten und Autobahn- runterbremsen des Fahrzeuges in den Stillstand zu Chauffeur. vermeiden oder deren Folgen zu mindern.

Bei der Kategorisierung der Systemgrenzen, wel- Das System übernimmt in diesem definierten che vom System mit langer Zeitreserve bzw. mit Anwendungsfall die Quer- und Längsführung des 41

Fahrzeugs vollständig. Der Fahrer muss das Sys- Unfall sowohl durch Bremsen als auch durch ein tem dabei nicht überwachen. Ausweichmanöver innerhalb des eigenen Fahr- streifens zu vermeiden oder zumindest die Unfall- Diese Funktion wird voraussichtlich insbesondere folgen zu mindern. Automatische Ausweichma- älteren Menschen zugute kommen. In Anbetracht növer mit Fahrstreifenwechsel unterbleiben (siehe des prognostizierten demografischen Wandels in Systemgrenzen). der Bevölkerung ist zu erwarten, dass der Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung und somit Eine Überwachung des Nothaltemanövers durch auch das Wirkpotenzial des Nothalte-Assistenten, den Fahrzeugführer ist nicht erforderlich und, eine in den nächsten Jahren deutlich steigen werden. medizinisch bedingte Insuffizienz des Fahrers vor- ausgesetzt, in der Regel auch nicht möglich.

3.6.2 Kontrollverlust Die Sensoren des Nothalte-Assistenten zur Detek- tion eines physiologisch bedingten Kontrollverlus- Ein physiologisch bedingter Kontrollverlust kann tes des Fahrzeugführers können voraussichtlich z. B. durch einen Insulinschock, einen Schlaganfall, auch einen eingeschlafenen Fahrer erkennen. In einen epileptischen Anfall, eine Ohnmacht, einen dieser Situation wird ein automatischer Nothalt mit Herzinfarkt oder eine andere medizinisch beding- Übernahmeaufforderung ausgelöst. Aller Voraus- te Insuffizienz des Fahrers verursacht werden. sicht nach wird der Fahrer hierdurch geweckt, un- Der gesundheitsbedingte Kontrollverlust kann terbricht den Nothalt (siehe Übersteuerbarkeit) und direkt über z. B. biometrische Sensoren bzw. übernimmt wieder die Fahrzeugführung. Somit leis- kamerabasierte Systeme oder indirekt z. B. über tet der Nothalte-Assistent auch einen Beitrag zur das geänderte Fahrverhalten des Fahrers erkannt Vermeidung von Unfällen durch eingeschlafene werden. Fahrer.

3.6.3 Automatischer Fahrmodus 3.6.4 Risikominimaler Zustand Stellt der Nothalte-Assistent eine der oben genann- ten Notsituationen fest, dann wechselt das System Der risikominimale Zustand ist das stehende Fahr- ohne vorherige Aktivierung durch den Fahrer in den zeug. Die Überführung in den risikominimalen vollautomatischen Fahrmodus (Systemzustand: Zustand erfolgt durch moderates Verzögern. Wenn eingeschaltet, aktiv, eingreifend). Hierzu übernimmt die Verkehrslage (z. B. geringes Verkehrsaufkom- das System sowohl die Querführung (lenken) als men) und der Systemzustand (z. B. keine rele- auch die Längsführung (beschleunigen, bremsen) vanten Systemfehler, Umfelderfassung mit hoher des Fahrzeugs. Zunächst wird das System einen Güte) es zulassen, dann wird das Fahrzeug durch angemessenen Abstand zu vorausfahrenden Fahr- ein oder mehrere Fahrstreifenwechsel auf den Sei- zeugen einhalten sowie das Fahrzeug in der Fahr- tenstreifen gelenkt und dort zum Stillstand ge- streifenmitte halten. Anschließend wird das Fahr- bracht. Ist das Risiko des Manövers „Fahrstreifen- zeug in einen möglichst sicheren Zustand, den sog. wechsel auf Seitenstreifen“ + „auf dem Seitenstrei- risikominimalen Zustand, überführt. Dies erfolgt fen in den Stillstand verzögern“ (abhängig von durch moderates Verzögern bis zum Stillstand des Verkehrslage und Systemzustand) größer als das Fahrzeugs (Details siehe Risikominimaler Zu- Risiko des Manövers „auf dem aktuellen Fahrstrei- stand). fen in den Stillstand verzögern“, dann verbleibt das Fahrzeug auf dem aktuellen Fahrstreifen und wird Ist der automatische Fahrmodus des Nothalte-As- dort zum Stillstand gebracht. Bei stehendem Fahr- sistenten aktiv und verzögert ein vorausfahrendes zeug (z. B. im Stau) unterbleibt das Wiederanfah- Fahrzeuge plötzlich und stark, so wird eine Kollision ren durch ein geeignetes automatisches Brems- manöver vermieden oder zumindest die Unfallfol- Während des moderaten Verzögerns werden auto- gen bei einer solchen Kollision gemindert. matisch die Warnblinker aktiviert. Im Stillstand wird automatisch die elektrische Parkbremse aktiviert Erkennt der Nothalte-Assistent im automatischen und die Türen werden automatisch entriegelt. Hier- Fahrmodus ein stehendes Hindernis auf dem eige- durch wird Helfern der Zutritt zum Fahrer ermög- nen Fahrstreifen (Ladung, Fahrzeugteile etc), oder licht. Gleichzeitig wird über Mobilfunk automatisch einen gefährlichen Einscherer, so versucht er einen ein Notruf (Emergency-Call) abgesetzt. 42

Andere Verkehrsteilnehmer werden auf das Fahr- wird das Fahrzeug bis zum Stillstand herunterge- zeug in Not geeignet aufmerksam gemacht, z. B. bremst. Im Stillstand kann der Fahrzeugführer durch automatische Betätigung der Warnblinkanla- jederzeit die elektronische Parkbremse lösen und ge oder des Signalhorns. Hierdurch soll ein koope- seine Fahrt fortsetzen. ratives Verhalten gegenüber dem Fahrzeug in Not bei Fahrstreifenwechsel und Bremsmanöver erzielt 3.6.8 Systemgrenzen werden. Das System ist nur auf Autobahnen oder auto- 3.6.5 Domäne bahnähnlichen Straßen im Geschwindigkeitsbe- reich zwischen 0 km/h und der oberen Geschwin- Das System ist zunächst nur auf der Autobahn oder digkeitsgrenze funktional. autobahnähnlichen Straßen in einem Geschwindig- Hiervon ausgenommen sind Autobahnraststätten, keitsbereich zwischen 0 km/h und einer oberen Autobahntankstellen und Baustellenbereiche auf Geschwindigkeitsgrenze funktional. Ist der Nothal- Autobahnen. Ebenfalls ausgenommen sind an Au- te-Assistent eingeschaltet und verlässt das Fahr- tobahnanschlussstellen, Autobahnkreuzen und Au- zeug die Autobahn oder fährt es schneller als die tobahndreiecken die Beschleunigungs- und Verzö- obere Geschwindigkeitsgrenze, dann wird das gerungsstreifen, die Verteilerfahrbahn, die Verflech- System passiv geschaltet (Systemzustand: einge- tungsstrecke, die Verbindungsrampen sowie die schaltet, passiv). Fährt das Fahrzeug wieder auf die Überführungsbauwerke. Autobahn und übersteigt die Geschwindigkeit des Fahrzeuges dann nicht die obere Geschwindig- Kann die Ablage des Fahrzeuges zur Fahrstreifen- keitsgrenze, dann wird das System wieder aktiv mitte nicht bestimmt werden (z. B. Fahrstreifenmar- geschaltet (Systemzustand: eingeschaltet, aktiv, kierungslinien nicht sichtbar, hoch genaues DGPS nicht eingreifend) nicht verfügbar, Eintritt in Baustellenbereich), dann ist eine fahrstreifenmittenzentrierte Querführung 3.6.6 HMI nicht möglich. Das Fahrzeug kann dann beim He- runterbremsen in den Stillstand evtl. den Fahrstrei- Das System kann durch den Fahrzeugführer über fen verlassen. Bedienelemente wie z. B. einen Taster ein- und ausgeschaltet werden. Der Systemzustand (Ein, Das System führt keine automatischen Ausweich- Aus, Aktiv, Passiv) wird dem Fahrer z. B. über ein manöver mit Fahrstreifenwechsel durch. Taucht vor Symbol angezeigt. Der Fahrer wird über das bevor- dem Fahrzeug im automatischen Fahrmodus plötz- stehende Nothaltemanöver mit Hilfe einer geeigne- lich ein Hindernis auf (Ladung, welche das voraus- ten Mensch-Maschine-Schnittstelle optisch (z. B. fahrende Fahrzeug verliert, Tiere, welche auf die Textmeldung), akustisch (z. B. Ton) und/oder hap- Fahrbahn laufen etc.) und ist zur Kollisionsvermei- tisch (z. B. Bremsruck) eskalierend informiert. Da dung ein Ausweichmanöver inklusive Fahrstreifen- wechsel erforderlich und ist der Fahrer nicht in der zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kontrollverlust des Lage, das Fahrzeug zu führen, so wird das Fahr- Fahrers vermutet wird, erfolgt zeitgleich mit dieser zeug sehr wahrscheinlich mit dem Hindernis kolli- Fahrerinformation auch eine Übernahmeaufforde- dieren. rung. Während des Bremsmanövers und während des Fahrzeugstillstands wird der Fahrer fort- Die Erkennung einer medizinischen Insuffizienz des während akustisch und optisch zur Übernahme der Fahrzeugführers ist mit Unsicherheiten behaftet. Fahraufgabe aufgefordert. Nicht jeder Notfall kann zweifelsfrei detektiert wer- den. Zum einen kann ein Notfall vom System unbe- 3.6.7 Übersteuerbarkeit merkt bleiben, sodass eine notwendige Aktivierung des Systems unterbleibt. Zum anderen kann der Der Fahrer kann das System jederzeit übersteuern, Nothalte-Assistent irrtümlich aktiviert werden, ob- also das Nothaltemanöver jederzeit abbrechen. gleich kein gesundheitsbedingter Kontrollverlust Dies kann über ein Bedienelement (Ein/Aus- des Fahrers vorliegt (z. B. bei eingeschlafenem Taster), über einen Bremseingriff, über vollständi- Fahrer). Im letztgenannten Fall kann der Fahrer das ges Heruntertreten des Fahrpedals (Kick-Down) System jederzeit übersteuern und so den automati- oder über einen starken Lenkeingriff erfolgen. schen Nothalt abbrechen (siehe HMI, Übersteuer- Erfolgt keiner dieser Eingriffe des Fahrers, dann barkeit). 43

Schlaf und Ohnmacht können vom System voraus- fahruntüchtigen Fahrer von der Fahrzeugführung sichtlich nicht unterschieden werden. Somit wird ein abzuhalten (kein Alcolock). eingeschlafener Fahrer aller Voraussicht nach einen automatischen Nothalt auslösen. Folgt der Fahrzeugführer in dieser Situation nicht der Über- nahmeaufforderung des Systems, dann wird das 4 Zusammenfassung Fahrzeug in den Stillstand heruntergebremst. Tabelle 4 zeigt eine kurze Zusammenfassung der Das System ist nicht dafür ausgelegt, einen durch obigen Systembeschreibungen. übermäßigen Alkoholgenuss oder Drogenkonsum

Name Autobahn-Assistent Autobahn-Chauffeur Autobahn-Pilot Nothalte-Assistent

Automatisierungs- Teilautomatisiert Hochautomatisiert Vollautomatisiert (Vollautomatisiert) grad

System- Lang (mehrere Minuten) Kurz (wenige Sekunden) Eingriffszeit Nein Ständige Über- (Der vorgesehene Anwen- wachung durch den Ja Nein dungsbereich schließt die Fahrer erforderlich Handlungsfähigkeit des Fahrzeugführers aus.)

Übernahme

Fahrerreaktion nach Wenn keine Fahrerüber- Sofortige Übernahme mit Im Anwendungsfall: Übernahmeaufforde- nahme erfolgt, dann aus Übernahme Zeitreserve keine rung jeder Situation Über- führung in den risikomini- malen Zustand möglich

Unfälle verhindern, welche durch Fahrfehler eines unaufmerksamen, Unfälle bei physiologisch abgelenkten Fahrzeugführers in monotonen, langweiligen Fahrsituationen bedingtem Kontrollverlust (Unterforderung des Fahrzeugführers) bedingt sind. des Fahrzeugführers oder Wirkpotenzial Mit dem Automatisierungsgrad steigt auch das Wirkpotenzial. eingeschlafenem Fahr- zeugführer vermeiden oder deren Folgen min- dern Nach Aktivierung durch den Fahrer: In physiologisch bedingter • Automatische Längs- und Querführung Notsituation: kurzzeitig automatische Längs- und • Sicheren Abstand zu vorausfahrendem Fahrzeug einhalten Querführung, dann Über- Automatischer • Wunschgeschwindigkeit einhalten & anpassen: Fahrerwunsch, führung in den risikomini- Fahrmodus Verkehrszeichen, Kurven malen Zustand • Rechts-Überhol-Verbot einhalten • Stop & Go z. B. im Stau • Bremsen auf: stark verzögerndes Fahrzeug, Stauende, Einscherer, Hindernis Risikominimaler nicht zutreffend Stehendes Fahrzeug Zustand

Bei fahrendem moderates Verzögern bis zum Fzg.: Stillstand, ggf. Spurwechsel auf den Seitenstreifen, falls Verkehrslage und Systemzustand ein oder mehre- re Fahrstreifenwechsel zulassen Bei stehendem Nicht mehr anfahren Überführung in den Fzg.: risikominimalen nicht zutreffend Zustand Beim Verzögern: -Warnblinker an Im Stillstand: Elektrische Parkbremse anziehen Warnblinker an Im Stillstand: - - Türen entriegelt - Notruf abgesetzt

Domäne Autobahnen oder autobahnähnliche Straßen

Geschwindigkeits- zwischen 0 km/h und einer oberen Geschwindigkeitsgrenze bereich

Tab. 4: Zusammenfassung der Systembeschreibungen 44

Name Autobahn-Assistent Autobahn-Chauffeur Autobahn-Pilot Nothalte-Assistent

- Ein/Aus-Taster - Symbol für Systemstatusanzeige HMI - Übernahmeaufforderung: akustisch/optisch/haptisch, ggf. eskalierend - Setzgeschwindigkeit Fehlermeldungen Übersteuerbarkeit Ja. Durch Ein/Aus-Taster, Bremseingriff, Kick-Down, starken Lenkeingriff durch Fahrer möglich

Fahrer muss System dauerhaft Fahrer muss bei Übernahme- überwachen und stets eingriffs- aufforderung nach bestimmter - bereit sein Zeitreserve übernehmen

• Nur auf Autobahnen oder autobahnähnlichen Straßen funktional • Ausgenommen sind: Autobahn-Raststätten, -Tankstellen, -Rastplätze, -Kreuze, -Dreiecke • Geschwindigkeitsbereich: 0 km/h bis obere Geschwindigkeitsgrenze

Systemgrenzen, welche vom Systemgrenzen, welche vom Systemgrenzen, welche • Keine Querführung in System nicht eigenständig be- System nicht eigenständig be- vom System nicht eigen- der Fahrstreifenmitte, wältigt werden können, werden wältigt werden können, werden ständig bewältigt werden wenn Fahrstreifen können • frühzeitig erkannt • frühzeitig erkannt nicht mehr erkannt (Autobahnende, Fahrbahn- (Autobahnende, Fahrbahn- • Nicht zutreffend wird verengungen, Baustellen, verengungen, Baustellen, (Aus allen Situationen • Nicht jeder Notfall Stauende etc.) Stauende etc.) heraus kann das Systemgrenzen wird erkannt • kurzfristig erkannt (relevantes • kurzfristig erkannt, aber für Fahrzeug in den Risi- • Eingeschlafene Fahrer Hindernis, ESP-Eingriff, Öffnen einen gewissen Zeitraum kominimalen Zustand führen evtl. zur des Gurtschlosses, reduzierte eigenständig bewältigt überführt werden.) Auslösung Fahrfähigkeit des Fahrers, (relevantes Hindernis, • Kein Alcolock relevanter technischer Defekt, ESP-Eingriff, Öffnen des Fahrstreifen nicht erkannt, zu Gurtschlosses, reduzierte schnell etc.) Fahrfähigkeit des Fahrers, • nicht bzw. nicht zuverlässig relevanter technischer erkannt Defekt, Fahrstreifen nicht (Glatteis, Aquaplaning, erkannt, zu schnell etc.) Schneedecke, Ölspur, rele- vantes Hindernis, Verkehrs- zeichen, Wanderbau- stellen etc.)

Tab. 4: Fortsetzung

Literatur

MANN, M.: Benutzerorientierte Entwicklung und fahrergerechte Auslegung eines Querführungs- assistenten, Dissertationsschrift, Cuvillier Ver- lag, Göttingen 2008, S. 16, ISBN-Nr. 978-3- 86727-547-7 45

Dokumentteil 3

Dokumentteil 3 (Projekt: 2):

Rechtliche Bewertung: Ordnungsrecht und Zulassungsrecht (BASt-Forschungsbericht: FE 88.0008/2009)

Autoren: Prof. Dr. Clemens Arzt Dipl.-Jur. Jana Eier Ass. jur. Simone Ruth-Schumacher (LL. M.)

Die nachfolgend dargestellte Meinung ist ausschließlich die der Verfasser und nicht notwendigerweise die der übrigen Mitglieder der Projektgruppe. 46

FE 88.0008/2009

Forschungsprogramm Innovationsprogramm Straße

Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung

Projekt 2

Rechtliche Bewertung:

Ordnungsrecht und Zulassungsrecht

Schlussbericht 31.03.2011

Bearbeiter/innen:

Prof. Dr. Clemens Arzt Dipl.-Jur. Jana Eier Ass. jur. Simone Ruth-Schumacher, LL. M.

Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR)

Im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Bergisch Gladbach 47

Kurzfassung – Abstract

Rechtliche Bewertung – Ordnungsrecht und Legal assessment – Regulatory law and law of Zulassungsrecht admission Automatisierte Systeme nach den diesem Projekt Automated driving systems as defined by this zugrunde liegenden Definitionen gehen über die project accomplish surplus operations compared to Funktionen bisheriger Fahrerassistenzsysteme hin- Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) aus, indem sie Quer- und Längsführung des Fahr- currently in use. When driving on the autobahn, zeugs auf der Autobahn übernehmen. Je nach they automatically take over operational Automatisierungsgrad unterscheiden sie sich hi- manoeuvres and move the vehicle longitudinally nsichtlich der dem Fahrzeugführer (noch) verblei- and cross-ways. Depending on the level of benden Fahraufgaben. automation they differ in terms of tasks still allocated to the driver. Teilautomatisierte Systeme erfordern die ständige Überwachung durch den Fahrzeugführer. Dieser Partly automated driver assistance systems need muss sich stets eingriffsbereit halten. Weder erken- permanent monitoring through the driver who nen entsprechende Systeme alle Systemgrenzen, constantly has to be in the position and ready to noch können sie diese eigenständig bewältigen. intervene. Automated systems are neither capable Der Fahrzeugführer ist an die Verhaltensregeln der of independently identifying all limitations of the StVO gebunden und kann diese auch erfüllen. system nor are they able to tackle occurring problems or system faults. It is the driver’s Hoch- und vollautomatisierte Systeme erlauben obligation and within his power to conform to traffic dem Fahrzeugführer ein zeitweiliges (hochautoma- rules and regulations as laid down in the tisiert) beziehungsweise dauerhaftes (vollautomati- Strassenverkehrsordnung (StVO)1. siert) Abwenden von der Fahraufgabe. Diese Sys- teme erkennen alle relevanten Systemgrenzen und Highly and entirely automated driver assistance bewältigen diese teilweise (hochautomatisiert) oder systems allow the driver to temporarily or even vollständig (vollautomatisiert) selbst. Bei bestim- perpetually restrain from carrying out the mungsgemäßer Nutzung der Systeme gerät der manoeuvres to control the car. These systems Fahrzeugführer damit in Widerspruch zu den Ver- identify all of its limitations or occurring faults and haltensanforderungen der Straßenverkehrsord- are capable of partly or entirely overcoming them. nung. However, using an automated driver assistance Anders ist dies nur beim Nothalte-Assistenten zu system as intended the driver does no longer obey bewerten. Dieser greift im Falle eines physiologisch to his legal obligations of conduct according to the bedingten Bewusstseinsverlustes des Fahrzeug- traffic rules and regulations (StVO). führers ein. Da dieser zu keinem verkehrserhebli- This statement has to be assessed differently with chen Verhalten mehr in der Lage ist, scheidet eine respect to an „emergency assistance system”. This Verpflichtung entsprechend den Verhaltensanforde- system only intervenes in case the driver looses rungen der StVO aus. consciousness or for other reasons is unable to Der Fahrzeugführer hat für die unterlassene Über- further control the car due to sudden medical steuerung automatisierter Systeme im Falle der problems. Since under such conditions the driver is Verletzung einer Garantenpflicht, insbesondere der no longer capable of managing road traffic and Pflicht zur ständigen aufmerksamen Beobachtung complying with according regulations he can no des Verkehrsgeschehens, nach den Ordnungswid- longer be expected to handle necessary rigkeiten- und strafrechtlichen Vorschriften einzu- manoeuvres nor can he (legally) be held stehen. accountable if he fails to do so.

Verkehrsrechtliche Anordnungen in Verkehrszei- chen verpflichten den Fahrzeugführer auch bei Ein- satz eines automatisierten Systems zur Beachtung.

Die Verhaltenspflichten nach der StVZO gelten 1 German Road Traffic Regulations (available at: http://bundes auch bei Einsatz automatisierter Systeme. recht.juris.de/stvo/). 48

The driver is held responsible for criminal and administrative offences, especially his obligation to guarantee a constant and attentive monitoring and assessment of the traffic situation, when he does not manually override the system while in a “guarantor position”.

The driver at all times and under all circumstances has to comply with every legally binding directive indicated by road signs, regardless of an eventual use of an automated driver system.

The rules of conduct according to the Road Traffic Admission Regulations in the Strassenverkehrs- zulassungsordnung (StVZO)2 also apply when an automated driver assistance system is being used.

2 Road Traffic Admission Regulations (available at: http://bun desrecht.juris.de/stvzo/). 49

Inhalt 3.2 Hochautomatisiertes System: Autobahn-Chauffeur (ABC) ...... 72 3.2.1 Systembeschreibung ...... 72 1 Einleitung ...... 51 3.2.2 Beurteilung nach der StVO ...... 73 1.1 Veranlassung ...... 51 3.2.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit ...... 73 1.2 Untersuchungsansatz: zum Verhältnis von Zulassungs- und 3.2.2.2 § 4 StVO: Abstand ...... 75 Ordnungsrecht ...... 52 3.2.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: Über- 1.3 Gang der Untersuchung ...... 53 holen, Vorbeifahren und Fahr- streifenwechsel ...... 76 2 Rechtsgrundlagen ...... 53 3.2.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: Benutzung von Fahrstreifen ...... 76 2.1 Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (WÜ) ...... 54 3.2.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten des Fahrzeugführers ...... 76 2.2 Straßenverkehrsordnung (StVO) . . . . 55 3.2.2.6 § 1 StVO: Grundregel ...... 77 2.3 Recht der Ordnungswidrigkeiten und Strafrecht ...... 57 3.2.3 Beurteilung nach dem Recht der Verkehrsordnungswidrig- 2.4 Zulassungsrecht ...... 60 keiten ...... 78

3 Betrachtung der Szenarien ...... 61 3.2.4 Beurteilung nach Strafrecht ...... 78 3.1 Teilautomatisiertes System: 3.2.4.1 § 315c StGB: Gefährdung des Autobahn-Assistent (ABA) ...... 62 Straßenverkehrs ...... 78 3.1.1 Systembeschreibung ...... 62 3.2.4.2 §§ 222 und 229 StGB: Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körper- 3.1.2 Beurteilung nach der StVO ...... 63 verletzung ...... 79 3.1.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit ...... 64 3.3 Vollautomatisiertes System: 3.1.2.2 § 4 StVO: Abstand ...... 65 Autobahn-Pilot (ABP) ...... 79 3.1.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: 3.3.1 Systembeschreibung ...... 79 Überholen, Vorbeifahren und 3.3.2 Beurteilung nach der StVO ...... 80 Fahrstreifenwechsel ...... 66 3.3.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit ...... 80 3.1.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: Benutzung von Fahrstreifen ...... 66 3.3.2.2 § 4 StVO: Abstand ...... 81 3.1.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten 3.3.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: des Fahrzeugführers ...... 67 Überholen, Vorbeifahren und Fahrstreifenwechsel ...... 82 3.1.2.6 § 1 StVO: Grundregel ...... 68 3.3.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: 3.1.3 Beurteilung nach dem Recht Benutzung von Fahrstreifen ...... 83 der Verkehrsordnungswidrig- keiten ...... 69 3.3.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten des Fahrzeugführers ...... 83 3.1.4 Beurteilung nach Strafrecht ...... 70 3.3.2.6 § 1 StVO: Grundregel ...... 83 3.1.4.1 § 315c StGB: Gefährdung des Straßenverkehrs ...... 70 3.3.3 Beurteilung nach dem Recht der Verkehrsordnungswidrigkeiten . . . . . 84 3.1.4.2 §§ 222 und 229 StGB: Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körper- 3.3.4 Beurteilung nach Strafrecht ...... 85 verletzung ...... 71 3.3.4.1 § 315c StGB ...... 85 50

3.3.4.2 §§ 222 und 229 StGB ...... 85 3.4 Sonderfall der Vollautomatisierung – Der Nothalte-Assistent ...... 85 3.4.1 Systembeschreibung ...... 85 3.4.2 Beurteilung ...... 87

4Verkehrsanordnungen durch Verkehrszeichen ...... 87

5 Beurteilung nach der StVZO . . . . . 90

6 Zusammenfassung der Ergebnisse ...... 90

Literatur ...... 91 51

1 Einleitung matisierte System übernimmt im automatischen Fahrmodus die Längsführung (Beschleunigen, 1.1 Veranlassung Bremsen) und die Querführung des Fahrzeugs (Lenken). Dabei löst das automatisierte System ins- Fahrerassistenzsysteme unterstützen den Fahrer3 besondere die Aufgaben „Spur halten“, „sicheren bei der Wahrnehmung seiner Fahraufgabe. Als Abstand halten“, „angemessene Geschwindigkeit Fahrerassistenzsysteme werden üblicherweise sol- wählen und halten“ sowie „Reaktion auf Verkehrs- che technische Einrichtungen im Fahrzeug zeichen“; Überholmanöver mit Spurwechseln ge- bezeichnet, die vornehmlich die Sicherheit im Stra- hören nicht zu den Aufgaben der automatisierten ßenverkehr und/oder den Fahrkomfort erhöhen.4 Systeme. Allerdings kann das System im vollauto- Die heute etablierten und akzeptierten Assistenz- matischen Szenario den Fahrstreifen wechseln, um systeme wie ABS5, ESP6 und ASR7 unterstützen das Fahrzeug in den risikominimalen Zustand zu den Fahrer auf der so genannten Stabilisierungs- überführen. Die einzelnen Fahrmanöver werden ebene8 und optimieren die vom ihm in Gang nicht mehr vom Fahrer initiiert, sondern werden gesetzten Manöver. Es handelt sich hierbei faktisch vom automatisierten System nach elektronischer (noch) um die Umsetzung des Fahrerwunsches: Verarbeitung aller verfügbaren Umweltinformatio- Dieser betätigt Gas, Bremse und Lenkung (fahrer- nen (im Falle des Nothalte-Assistenten auch der initiierte Assistenzsysteme). Das Verhalten anderer Informationen über den physiologischen Zustand Verkehrsteilnehmer, deren Absichten oder Befinden des Fahrers) selbst durchgeführt (systeminitiiert). ist hierbei nicht relevant.9 Auch der physische oder psychische Zustand des Fahrers ist für die Funktion Mit diesen Möglichkeiten erreichen die automati- des Systems nicht bedeutsam. Bei diesen Fah- sierten Systeme gegenüber den bisher bekannten rerassistenzsystemen ist anerkannt, dass der Fahr- Fahrerassistenzsystemen eine neue Qualität. Die zeugführer sich mit der Wirkungsweise des Einführung dieser Systeme könnte mit Regelungen Systems vertraut machen muss und sein eigenes des Gefahrenabwehrrechts (Zulassungs- und Ord- Verhalten darauf abzustimmen hat.10 nungsrecht) im Straßenverkehr kollidieren. Sie sol- len daher hier anhand der im Projekt entwickelten Bei den hier untersuchten Systemen11 handelt es Szenarienbeschreibungen14 einer ersten rechtli- sich demgegenüber um autonom (re)agierende chen Bewertung im Rahmen des Untersuchungs- Systeme, die in einem bestimmten Einsatzbereich auftrages unterzogen werden. Im Vordergrund der (Domäne hier: Autobahn) die Fahraufgabe zum Teil vorliegenden Untersuchung stehen dabei die Aus- oder sogar vollständig übernehmen und die vom wirkungen der automatisierten Systeme auf die ver- Fahrer übersteuerbar sind; wir bezeichnen diese haltensrechtlichen Anforderungen an den Fahr- daher im Folgenden als automatisierte Systeme. Gegenstand der Untersuchung sind nicht einzelne konkrete Systeme, sondern Szenarien, die von teil- automatisiert über hochautomatisiert bis zu vollau- 3 Den Begriff des Fahrers verwenden wir im technischen tomatisiert reichen und jeweils anhand einer mo- Sinne, den Begriff des Fahrzeugführers entsprechend den dellhaften Systemausprägung diskutiert werden; gesetzlichen Vorgaben im rechtlichen Sinne. Die männliche darüber hinaus wird als Sonderfall des vollautoma- Form steht jeweils auch für die weibliche. tisierten Systems der Nothalte-Assistent betrachtet. 4 Vgl. Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 32. 5 Anti-Blockier-System. Mit Hilfe der automatisierten Systeme sollen ähn- 6 Elektronisches Stabilitäts-Programm. lich wie bei herkömmlichen Fahrerassistenzsyste- 7 Anti-Schlupf-Regelung. men Kollisionen und Gefährdungen des Fahrzeugs 8 Vgl. Deutschle, SVR 2005, 249 (250) m. w. N. oder Dritter vermieden oder zumindest die Unfall- 9 Färber, (Un)sichtbare Beifahrer, S. 9. folgen gemindert werden. Gleichzeitig erhöhen sie 10 Vgl. Albrecht, DAR 2005, 186 (194). den Fahrkomfort für den Fahrer. Die automatisier- 11 Vgl. Bartels, Arbeitsgruppe Rechtsfolgen zunehmender ten Systeme berühren anders als die herkömmli- Fahrzeugautomatisierung, Teil 1: Grundlagen, technische Ausstattung und Anforderungen, System-Spezifikationen, chen Fahrerassistenzsysteme die Ebene der Bahn- vom 16.02.2011; in diesem Band Dokumentteil 2, darin führung12 oder auch Manöverebene, welche sich Kurzbeschreibung der Szenarien unter 3. unter anderem dadurch auszeichnet, dass in der 12 Vgl. Deutschle, SVR 2005, 249 (250) m. w. N. Regel Interaktionen mit anderen Verkehrsteilneh- 13 Färber, (Un)sichtbare Beifahrer, S. 10. mern im Vordergrund stehen:13 Das jeweilige auto- 14 Vgl. Fn. 9. 52

zeugführer, wie sie sich aus dem Zulassungs- und jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Ordnungsrecht ergeben, einschließlich der Beurtei- technische Schranke setze, weder mit Artikel 13 lung eines Verstoßes gegen Verhaltenspflichten im noch mit Artikel 8 WÜ vereinbar.23 In diesem Sinne Recht der Ordnungswidrigkeiten und im Strafrecht. wären die Verhaltensnormen der StVO also auch Zu fragen ist zum einen, ob und wie sich die Ver- zulassungsrechtlich, das heißt für den Fahrzeug- haltensanforderungen an den Fahrzeugführer bei bau, relevant.24 Einsatz der automatisierten Systeme unter Berück- sichtigung der anerkannten Grenzen der Auslegung Ebenso gehen Frenz und Casimir-van den Broek ändern oder ob gegebenenfalls eine verordnungs- davon aus, dass die Zulassung von Fahrzeugen mit rechtliche Klarstellung der Verhaltenspflichten des einem System, bei dessen Betrieb der Fahrzeug- Fahrzeugführers erforderlich ist15. Zum anderen ist führer eines Fahrzeugs nicht mehr zu jeder Zeit zu fragen, was aus dem Einsatz der automatisier- sein Fahrzeug vollständig beherrschen kann, nach 25 ten Systeme für die Ordnungswidrigkeiten- bzw. dem WÜ unzulässig sei. Für die Beurteilung der strafrechtliche Verantwortung des Fahrzeugführers Zulässigkeit seien auch die verhaltensbezogenen folgt. Vorschriften des Abschnitts II des WÜ maßgeb- lich.26 Der insbesondere in den Vorschriften der Artikel 8 und 13 WÜ niedergelegte Grundsatz der dauernden Beherrschbarkeit finde sich auch in den 1.2 Untersuchungsansatz: Zum Vorschriften der StVO, vor allem in §§ 1, 3 und 4.27 Verhältnis von Zulassungs- und Mit dem nach diesen Vorschriften gezeichneten Ordnungsrecht Bild des voll verantwortlichen Fahrzeugführers, der selbst aktiv werde und nicht nur Überwachungs- In der Literatur werden automatisierte (Fahreras- funktionen wahrnehme, sei beispielsweise das so sistenz-)Systeme16 zum Teil als nicht vereinbar mit genannte KONVOI-System28, bei dem während der den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung gekoppelten Folgefahrt die für die verkehrssichere (StVO), die Verhaltenspflichten konstituieren, ange- Fahrzeugführung wesentlichen aktiven Fahraufga- sehen. Um daher Wertungswidersprüche zwischen ben im Grundsatz auf das System verlagert sind, Verhaltens- und Zulassungsrecht zu vermeiden, nicht vereinbar, wobei es auf die Übersteuerbarkeit müsste dies zu der Konsequenz führen, dass sie nicht mehr entscheidend ankomme.29 als unzulässig im Sinne von nicht zulassungsfähig zu betrachten seien.17 Andernfalls würde dies zu dem Ergebnis führen, dass Fahrzeuge mit automa- tisierten (Fahrerassistenz-)Systemen zugelassen 15 In diesem Sinne etwa Frenz, DAR 2003, 58 ff., insbesondere werden könnten, mit denen die Fahrzeugüfhrer ihre die Ausführungen unter I.1. Geschwindigkeit und I.3. Ab- stand. verhaltensrechtlichen Pflichten nicht erfüllen könn- 16 Der Begriff wird nicht einheitlich verwandt. Gemeint sind in 18 ten. der Regel Systeme, die Fahraufgaben autonom, das heißt systeminitiiert, und nicht übersteuerbar übernehmen. Am deutlichsten wird dies bei Albrecht. Er geht 17 Albrecht, DAR 2005, 186 (196). davon aus, dass Systeme, die Fahraufgaben voll- 18 Ebd. ständig übernehmen, als rechtlich unzulässig ein- 19 Albrecht, VD 2006, 143 (145); Albrecht, SVR 2005, 373 zustufen seien.19 Ausgangspunkt dieser Überle- (374). gungen ist, dass dem Wiener Übereinkommen über 20 Albrecht, VD 2006, 143 (144 f.). den Straßenverkehr (WÜ), dessen Anforderungen 21 Albrecht, SVR 2005, 373. ihren Niederschlag in den Verhaltensvorschriften 22 Intelligent Speed Assistant. der StVO und mittelbar in den Bau- und Betriebs- 23 Albrecht, DAR 2005, 186 (195 f.); zum Wortlaut der Art. 8 vorschriften der Straßenverkehrszulassungsord- und 13 WÜ vgl. unten Fn. 45 bis 48. nung (StVZO) gefunden hätten, die Idee zugrunde 24 Vgl. gegen eine strikte Unterscheidung zwischen Fah- rerpflichten einerseits und Bauart- und Zulassungsvor- liege, dass ein einzelner Mensch das Fahren voll schriften andererseits im Wiener Übereinkommen Albrecht, bestimme.20 Demnach müsse „… jeder Fahrzeug- DAR 2005, 186 (196). führer sein Fahrzeug ständig beherrschen … und 25 Frenz/Casimir-van den Broek, NZV 2009, 529 (530). … mithin [dürfen] Fahrzeuge nur so gebaut werden, 26 Frenz/Casimir-van den Broek, NZV 2009, 530 (530). dass er dieser Forderung auch nachkommen 27 Frenz/Casimir-van den Broek, NZV 2009, 530 (530). kann”21. So sei beispielsweise ein nicht übersteu- 28 Vgl. im Internet: www.fahrerassistenzsystem.de. erbares ISA-System,22 das der Überschreitung der 29 Frenz/Casimir-van den Broek, NZV 2009, 530 (531-533). 53

Auch Berz sieht die vollautomatische Fahrzeug- und 13 gehören, und den Bauvorschriften in Kapitel führung im öffentlichen Verkehrsraum als nicht zu- III. Einen Verweis beziehungsweise eine gegensei- lässig an,30 wobei unklar bleibt, ob entsprechende tige Inbezugnahme beider Regelungskomplexe Systeme nicht genutzt oder nicht gebaut werden enthält weder das nationale37 noch das internatio- dürfen. Ein Automat könne nicht Fahrzeugführer im nale Recht. Wir gehen mithin von der Prämisse Sinne von § 3 Absatz 1 StVO sein, denn dabei aus, dass es sich bei den hier einschlägigen Nor- müsse es sich um eine natürliche Person handeln; men der StVO ausschließlich um Verhaltensrecht bei Einsatz der automatischen Fahrzeugführung handelt. wird von ihm die natürliche Person offenbar nicht mehr als Fahrzeugführer angesehen.31 Das oben angesprochene ISA-System sei danach nicht mit 1.3 Gang der Untersuchung § 3 Absatz 1 StVO vereinbar, da hier nicht der Fahr- zeugführer das Fahrzeug beherrsche, sondern das In Kapitel 2 werden zunächst die einschlägigen Fahrzeug von außen beherrscht werde; außerdem internationalen (Kapitel 2.1) und nationalen Rechts- könne die Anlage, anders als § 3 Absatz 1 Satz 2 grundlagen (Kapitel 2.2 bis 2.4) in ihren Grundsät- StVO verlangt, die persönlichen Fähigkeiten und zen dargestellt. Kapitel 3 enthält die Beschreibung die Eigenschaften des Fahrzeugs nicht berücksich- des Untersuchungsgegenstandes (Kapitel 3.1.1, tigen.32 3.2.1, 3.3.1, 3.4.1) und legt die anhand der StVO sowie des Rechts der Verkehrsordnungswidrigkei- Demgegenüber vertritt Bewersdorf die Auffassung, ten und des Strafrechts getroffenen rechtlichen dass in Bezug auf die Beurteilung von Fahreras- Bewertungen dieser Szenarien dar (Kapitel sistenzsystemen strikt zwischen den baubezoge- 3.1.2.-3.1.4, 3.2.2-3.2.4, 3.3.2-3.3.4, 3.4.2). Kapitel nen Vorschriften des Zulassungsrechts und den 4 behandelt Fragen der Regelung von Verhalten- verhaltensbezogenen Vorschriften der StVO zu spflichten durch Verkehrszeichen. In Kapitel 5 wird unterscheiden sei: Die Zulässigkeit von Fahrer- auf zulassungsrechtliche Fragestellungen näher assistenzsystemen sei eine Frage der Zulassung; eingegangen. Die Ergebnisse der Untersuchung sie beurteile sich nicht nach den verhaltensbezo- fasst Kapitel 6 zusammen. genen Vorschriften der StVO.33 Die einzelnen Ver- haltenspflichten seien – im Rahmen ihrer Ausle- gung – auf die Möglichkeiten, die das Fahrzeug dem Fahrzeugführer zur Verfügung stelle, abzu- 2 Rechtsgrundlagen stimmen.34 Umgekehrt müsse sich der Fahrzeug- Die zulassungs- und ordnungsrechtliche Bewer- führer auf die neuen technischen Möglichkeiten im tung der automatisierten Systeme wird anhand na- Rahmen seiner Verhaltenspflichten einstellen.35 Im tionaler Rechtsvorschriften in der Straßenverkehrs- Ergebnis geht Bewersdorf davon aus, dass die ordnung (StVO), dem Recht der Verkehrsordnungs- Nichtzulassung von systeminitiierten und nicht- widrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG übersteuerbaren Fahrerassistenzsystemen auf- grund von Verhaltensvorschriften gegen das WÜ verstoße.36

Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen 30 Berz, ZVS 2002, 2 (3). ist, dass die StVO ausschließlich Verhaltenspflich- 31 Berz, ZVS 2002, 2 (3). ten für den Fahrzeugführer enthält und keine Zulas- 32 Berz, ZVS 2002, 2 (3). sungsvorschriften für automatisierte Systeme. Ob 33 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 52-54 für die Un- die in den Szenarien beschriebenen Systeme zu- terscheidung im Rahmen des WÜ, S. 74 f. für die Un- terscheidung im Hinblick auf das nationale Recht. lässig sind, beurteilt sich dagegen allein nach Zu- 34 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 74; Bewersdorf lassungsrecht. Das nationale Recht unterscheidet formuliert allerdings stark generalisierend und ohne Be- deutlich zwischen den Bau- und Betriebsvorschrif- rücksichtigung der Verhaltensanforderungen der StVO: ten für Fahrzeuge in der StVZO einerseits und den „Wenn ein Fahrzeug zu einem bestimmten Gebrauch zu- gelassen ist, muss dieser intendierte Gebrauch auch zu- Verhaltenspflichten der Verkehrsteilnehmer ein- lässig seien“ (ebd.). schließlich der Fahrzeugführer bei der Teilnahme 35 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 57. am Straßenverkehr nach der StVO andererseits. 36 Bewersdorf, NZV 2003, 266 (271). Auch das Wiener Übereinkommen trennt zwischen 37 Vgl. unter Kapitel 2.4 die Ausführungen zum Begriff der Verkehrsregeln in Kapitel II, zu denen die Artikel 8 Verkehrsüblichkeit. 54

in Verbindung mit StVO und Zulassungsrecht) und kommen hat seinen Niederschlag in der StVO39 dem Strafgesetzbuch (StGB) sowie dem Zulas- und im Zulassungsrecht gefunden. sungsrecht vorgenommen. Neben einer Einführung in die jeweilige Gesetzesmaterie38 enthält die Dar- stellung der Rechtsgrundlagen bereits Hinweise auf 2.1 Wiener Übereinkommen über den die wesentlichen Fragestellungen im Zusammen- Straßenverkehr (WÜ) hang der hier untersuchten automatisierten Syste- me. Vorangestellt sind Ausführungen zum Wiener Der von derzeit 69 Staaten40 ratifizierte völker- Übereinkommen über den Straßenverkehr, dessen rechtliche Vertrag, das „Wiener Übereinkommen Vereinbarung der Internationalisierung des Stra- über den Straßenverkehr“ vom 8. November 1968 ßenverkehrs Rechnung trägt: Das Wiener Überein- in der Fassung der letzten Änderung vom 28.03. 200641, verpflichtet die Vertragsstaaten, einheitli- che Verkehrs- und Zulassungsregeln zu erlassen.

38 Der Begriff des Gesetzes wird hier im materiellen Sinne Dieses Abkommen wurde „in dem Wunsch, den verstanden und schließt daher neben den formellen, vom internationalen Straßenverkehr zu erleichtern und Parlament beschlossenen Gesetzen auch die unter- die Sicherheit auf den Straßen durch die Annahme gesetzlichen Rechtsverordnungen ein. einheitlicher Verkehrsregeln zu erhöhen“42 verein- 39 Vgl. Begründung zur Straßenverkehrsordnung des Bundes- bart. Die Einhaltung der dortigen Bestimmungen ist verkehrsministers, VkBl. 1970, 797 (797 f.). Voraussetzung für die Zulassung zum internationa- 40 Stand 01/2011, www.unece.org/trans/conventn/legalinst_08_ 43 RTRSS_RT1968.html. len Verkehr. 41 Convention on Road Traffic, 8.11.1968; www.unece.org/ trans/conventn/Conv_road_traffic_EN.pdf. Mit Blick auf neuere Fahrerassistenzsysteme 42 Präambel des Vertrages. wurde bereits in der Vergangenheit diskutiert, ob 43 Art. 3 III WÜ, welcher gemäß Artikel 1 II des Rati– diese mit dem WÜ vereinbar wären und zum inter- fikationsgesetzes (BGBl. II 1977, 809) neben den Artikeln 5 nationalen Verkehr zugelassen werden könnten.44 und 6 zu unmittelbar geltendem Recht erklärt worden ist. So stehen nach in Deutschland derzeit wohl vor- 44 Berz/Dedy/Granich, DAR 2000, 545. herrschender Meinung45 die Anforderungen der 45 Berz/Dedy/Granich, DAR 2000, 545; Berz, ZVS 2002, 2 (3); Artikel 8 Absatz 146 und 547 sowie 13 Absatz 148 in Albrecht, DAR 2005, 186, und SVR 2005, 373; Frenz/ 49 Casimir-van den Broek, NZV 2009, 529; anders Bewersdorf, Verbindung mit Artikel 1 Buchstabe v WÜ einer Zulassung und Haftung S. 41 ff. Einführung solcher Systeme entgegen, bei denen 46 „Every moving vehicle or combination of vehicles shall have systeminitiierte, vom Fahrzeugführer nicht über- a driver.” steuerbare Interventionen erfolgen. In einer ent- 47 „Every driver shall at all times be able to control his vehicle sprechenden Stellungnahme bei der UNECE hin- or to guide his animals.” sichtlich des Systems ISA50 wird aus deutscher 48 „Every driver of a vehicle shall in all circumstances have his vehicle under control so as to be able to exercise due and Sicht eine Vereinbarkeit mit dem WÜ nur für die proper care and to be at all times in a position to perform all Systemvarianten anerkannt, die jederzeit vom manoeuvres required of him. He shall, when adjusting the Fahrzeugführer übersteuert werden können.51 Zur speed of his vehicle, pay constant regard to the Begründung der „deutschen Position“ wird ange- circumstances, in particular the lie of the land, the state of the road, the condition and load of his vehicle, the weather führt, dass sich aus der Gesamtschau der völker- conditions and the density of traffic, so as to be able to stop rechtlichen Regeln ergebe, dass der Fahrzeugfüh- his vehicle within his range of forward vision and short of any rer jederzeit sein Fahrzeug beherrschen müsse und foreseeable obstruction. He shall slow down and if necessary stop whenever circumstances so require, and particularly damit mittelbar, dass Fahrzeuge so zu konstruieren when visibility is not good.” seien, dass dies jederzeit möglich sei.52 Dabei soll 49 „‘Driver’ means any person who drives a motor vehicle or „Beherrschen“ das eigenbestimmte Verfügen über other vehicle (including a cycle), or who guides cattle, singly eine Sache oder einen Geschehensablauf bedeu- or in herds, or flocks, or draught, pack or saddle animals on 53 a road.” ten. Folglich sind nach dieser Sichtweise (derzeit) 50 Intelligent Speed Adaption, Geschwindigkeitsbegrenzer, nur solche Fahrerassistenzsysteme beziehungs- Warnung bei Überschreiten der zulässigen Höchstge- weise Automatisierungsstufen zulässig, bei denen schwindigkeit (übersteuerbar) oder automatische Abrege- lung (nicht übersteuerbar). • der Fahrzeugführer den automatischen Ablauf 51 Economic Commission for Europe, TRANS/WP.1/2001/15, vollständig überwacht, S. 7; Niggestich, ZVS 2002, 117 (118). 52 Albrecht, SVR 2005, 373. • er sich der aktuellen Verkehrssituation jederzeit 53 Albrecht, DAR 2005, 186 (196). bewusst ist und 55

• er die tatsächliche Möglichkeit zur Übersteue- Einklang mit dem Übereinkommen steht.62 Die Völ- rung hat. kerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes gebietet darüber hinaus eine Auslegung des innerstaatli- Die Gegenansicht sieht in den Artikeln 8 und 13 WÜ chen Rechts bis zu seiner Wortlautgrenze im Sinne wegen der systematischen Stellung (Chapter II, des völkerrechtlichen Vertrags: Von mehreren mög- RULES OF THE ROAD) lediglich Verhaltenspflich- lichen Auslegungen des nationalen Rechts ist man- ten für den Fahrzeugführer, welche für die Frage gels Bekundung eines entgegenstehenden Willens der Anforderungen an die Bauart eines Kraftfahr- des Gesetzgebers diejenige vorzugswürdig, die am zeuges nicht anwendbar seien; somit könnten auto- ehesten im Einklang mit den völkerrechtlichen Ver- matische Fahrerassistenzsysteme mit diesen auch pflichtungen der Bundesrepublik steht.63 nicht unvereinbar sein.54 Eine Wortlautauslegung des Vertragstextes nach dieser Ansicht kommt zu dem Ergebnis, dass ein „Beherrschen des Fahr- 2.2 Straßenverkehrsordnung (StVO) zeuges“ im Sinne von Kontrolle und Überprüfung der Fahrfunktionen zu verstehen sei.55 Maßgeblich Die Straßenverkehrsordnung enthält allgemeine für die Vertragsauslegung seien allein die authenti- Verkehrsregeln als sachlich begrenztes Ordnungs- schen Vertragssprachen, der deutsche Vertragstext recht und dient der Abwehr typischerweise vom sei daher nicht zur Auslegung heranzuziehen. Der Straßenverkehr ausgehender Gefahren.64 Die Wortlaut der englischen (to control) und der franzö- StVO regelt in diesem Rahmen die (polizeilichen) sischen Fassung (contrôler/maîtriser) lasse auch Anforderungen, die an den Straßenverkehr und an eine „Beaufsichtigung“, „Überwachung“ und „Kon- die Verkehrsteilnehmer gestellt werden, um Gefah- trolle“ genügen.56 Diesen Anforderungen werde der ren von anderen Verkehrsteilnehmern oder Dritten Fahrzeugführer dadurch gerecht, dass er sich auf abzuwenden und den optimalen Ablauf des die neuen technischen Möglichkeiten und auch auf Straßenverkehrs zu gewährleisten.65 Der Schutz- eine fehlende Übersteuerbarkeit einstelle57. Eben- zweck der StVO ergibt sich aus der Ermächti- falls konträr zur deutschen Position sehen die gungsgrundlage des § 6 Absatz 1 Nummern 3, 4a, Schweiz58 und die Niederlande59 bei einem ISA- 5a, 13 ff. Straßenverkehrsgesetz (StVG) und be- System mit einer vollständigen Steuerungsüber- steht sowohl in der Erhaltung der Ordnung und Si- nahme keine Verletzung der Artikel 8 und 13 WÜ, cherheit im öffentlichen Raum und damit der allge- da der Fahrzeugführer die volle Kontrolle über das Fahrzeug behalte. Es werde lediglich das Fahren mit gesetzeswidriger Geschwindigkeit unterbun- den. Die von Deutschland vorgebrachten Beden- 54 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 53 f.; Kempen, ken seien eher eine Frage der Haftung als der Fahrerassistenzsysteme und das Wiener Übereinkommen Zulässigkeit.60 über den Straßenverkehr. 55 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 55 f. Im Jahre 2006 wurde Artikel 8 Absatz 6 neu in das 56 Ebd. S. 55. Wiener Übereinkommen eingefügt, wonach der 57 Ebd. S. 57; so auch Berz/Dedy/Granich, DAR 2000, 545 Fahrzeugführer während des Fahrens alle anderen (549). Tätigkeiten außer das Fahren selbst minimieren 58 Economic Commission for Europe, TRANS/WP.1/2001/37. soll; insbesondere ist danach das In-der-Hand-Hal- 59 Economic Commission for Europe, TRANS/WP.1/2002/9. ten eines Telefons nicht gestattet.61 Automatisierte 60 Economic Commission for Europe, TRANS/WP.1/2002/9, S. 4. Systeme, die dem Fahrzeugführer eine anderweiti- 61 „A driver of a vehicle shall at all times minimize any activity ge Beschäftigung erlauben, könnten somit auch im other than driving. Domestic legislation should lay down rules Widerspruch zu Artikel 8 Absatz 6 WÜ stehen. on the use of phones by drivers of vehicles. In any case, Diese Regelung stellt nach unserer Ansicht eindeu- legislation shall prohibit the use by a driver of a motor vehicle tig eine verhaltensbezogene Regelung dar. or moped of a hand-held phone while the vehicle is in motion.” 62 Das WÜ kann im Rahmen dieser Untersuchung Albrecht, SVR 2005, 373 und VD 2006, 143 (144). 63 nicht weiter vertieft werden. An dieser Stelle muss Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59, Rn. 187. 64 daher der Hinweis genügen, dass die Bundesrepu- BVerfG, Beschluss vom 10.12.1975, BVerfGE 40, 371 (380); BVerfG, Beschluss vom 9.10.1984, BVerfGE 67, 299 (341); blik Deutschland ihren völkerrechtlichen Verpflich- BGH, Urteil vom 18.11.2003, NJW 2004, 356 (357). tungen aus dem Wiener Übereinkommen nur 65 BVerfG, Beschluss vom 10.12.1975, BVerfGE 40, 371 (380); gerecht wird, wenn ihr innerstaatliches Recht im BVerfG, Beschluss vom 9.10.1984, BVerfGE 67, 299 (341). 56

meinen Verkehrssicherheit als auch dem Schutz gezogen.69 Für diejenigen Handlungen, die durch der einzelnen Person (dann Schutzgesetz im Sinne die Unfallforschung als besonders gefahrträchtige des § 823 Absatz 2 BGB).66 So war es Ziel des Verhaltensweisen identifiziert werden konnten, Gesetzgebers bei der Neufassung der StVO im schließen sich in der StVO Spezialregeln an. So Jahre 1970, eine Erhöhung der Verkehrssicherheit wurden 1970 insbesondere das zu schnelle Fahren durch Vermeidung der am häufigsten zu Unfällen (§ 3), nicht ausreichender Abstand (§ 4), unvorsich- führenden Ursachen zu erreichen. Hierzu wurden tiges und unnützes Überholen (§ 5) und Verstöße ausdrücklich Verhaltenspflichten statuiert, wobei in gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2) als besonders möglichst wenigen, für den Laien verständlichen unfallträchtige Verstöße herausgestellt. Normen die Regeln für den Straßenverkehr aufge- stellt werden sollten.67 Den allgemeinen Verkehrsregeln gehen gemäß § 39 Absatz 3 StVO die Regelungen durch Ver- Die §§ 1 bis 35 StVO enthalten die allgemeinen kehrszeichen vor. Örtliche Anordnungen durch Ver- Verkehrsregeln. Den Spezialregelungen ab § 2 kehrszeichen dürfen angesichts der Pflicht aller StVO vorangestellt werden in § 1 StVO die „Leitge- Verkehrsteilnehmer, die allgemeinen und besonde- danken“ der gesamten Verordnung, das Gebot der ren Verhaltensvorschriften der StVO eigenverant- gegenseitigen Vorsicht und Rücksichtnahme (§ 1 wortlich zu beachten, nach Absatz 1 nur dort getrof- Absatz 1) sowie die Pflicht zur Vermeidung von fen werden, wo dies aufgrund der besonderen Um- Schädigungen, Gefährdungen und mehr als nach stände zwingend geboten ist. Verkehrszeichen sind den Umständen unvermeidbaren Behinderungen Gefahrzeichen (§ 40), Vorschriftzeichen (§ 41) und und Belästigungen anderer (§ 1 Absatz 2). Die Richtzeichen (§ 42) sowie Zusatzzeichen (§ 39 zweite Grundregel stellt einen Auffangtatbestand Absatz 3). Gefahrzeichen mahnen, sich auf die an- dar für alle nicht von den Spezialregeln erfassten gekündigte Gefahr einzurichten, Vorschriftzeichen Fälle, die mit dem Eintritt einer schädlichen Folge enthalten Ge- und Verbote, an die sich jeder Ver- einhergehen könnten. Dies ist wegen der vielfälti- kehrsteilnehmer halten muss; Richtzeichen geben gen Lebensverhältnisse und der Fortentwicklung in der Regel besondere Hinweise zur Erleichterung aufgrund neuer technischer Gegebenheiten not- des Verkehrs, können aber auch Ge- und Verbote wendig. Auch wird hieraus der „Vertrauensgrund- enthalten. Zusatzzeichen ergänzen in der Regel die satz“ hergeleitet, wonach der regelkonforme Fahr- in den anderen Verkehrszeichen verkörperten zeugführer so lange darauf vertrauen darf, dass Anordnungen oder schränken sie ein. sich die anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls regelkonform verhalten, wie keine Anzeichen für Für die vorliegende Untersuchung sind die Verhal- das Gegenteil bestehen. Im Umkehrschluss führt tensvorschriften der StVO auszulegen. Dabei ist dies dazu, dass auch der vorschriftsmäßig Fahren- nach verbreiteter Auffassung zwar grundsätzlich de trotz verkehrswidrigen Verhaltens eines anderen vom Wortlaut auszugehen, dem Sinn und Zweck dazu verpflichtet ist, einen Unfall zu vermeiden be- der Norm aber Vorrang einzuräumen.70 Als Ausle- ziehungsweise dessen Folgen zu mindern (Grund- gungshilfe im Rahmen der allgemeinen Regeln zur satz der doppelten Sicherung).68 Er hat sein ge- Auslegung von Rechtstexten können daneben samtes Verhalten darauf auszurichten, dass Unfäl- auch die „Allgemeinen Verwaltungsvorschriften“ le vermieden werden. Die Grundregeln dienen auch (VwV) sowie die amtliche Begründung zur StVO71 der Interpretation der Spezialvorschriften und wer- herangezogen werden. den zur Bestimmung des sog. „Idealfahrers“ heran- Die Regeln der StVO basieren auf der Annahme, dass der Verkehrsteilnehmer (Mensch) die jeweili- 66 Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Vorb. StVO Rn. ge Situation voll umfassend beobachtet und bewer- 3, 4. tet, Entscheidungen trifft und diese umsetzt. Norm- 67 Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßen- adressat der StVO ist somit insbesondere der Fahr- verkehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (798 f.). zeugführer, da dieser mit der Teilnahme am Stra- 68 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 1, Rn. 22, 23. ßenverkehr eine Gefahrenquelle setzt, für deren 69 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 1, Rn. 3. 70 Beherrschung vorrangig er die Verantwortung Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Vorb. StVO, Rn. 72 6, 12. trägt. Mit Blick auf die hier zu untersuchenden 71 Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßen- automatisierten Systeme sind hier vor allem zwei verkehrsordnung, VkBl. 1970, 797 ff. Begriffe von Interesse: „Fahrzeugführer“ und „Be- 72 Vgl. König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 9. herrschen“. 57

Fahrzeugführer im Sinne der StVO ist, wer sich „führen“, „kontrollieren“, „lenken“, aber auch „be- selbst (eigenhändig)73 aller oder wenigstens eines wältigen“, „im Griff haben“, „umgehen können mit“ Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen und „unter Kontrolle haben“ genannt.81 In diesem des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung Sinne „beherrscht“ ein Fahrzeugführer sein Fahr- bestimmt sind. Um Führer eines Fahrzeugs sein zu zeug, wenn er jederzeit korrigierend eingreifen können, muss man ein Fahrzeug unter bestim- kann. Das setzt eine ständige Beobachtung des mungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte Verkehrsgeschehens voraus und schließt eine die unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Be- Reaktionszeit verlängernde Ablenkung aus. wegung setzen oder das Fahrzeug unter Handha- bung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Ver- 2.3 Recht der Ordnungswidrigkeiten kehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil len- und Strafrecht ken.74 Das Führen setzt stets willentliches Handeln voraus.75 Fahrzeugführer kann insoweit nur ein Der Einsatz der hier untersuchten automatisierten Mensch sein, da die Gesetze zweifellos von einer Systeme wirft auch Fragen im Hinblick auf die natürlichen Person ausgehen.76 ordnungswidrigkeitenrechtliche beziehungsweise strafrechtliche Verantwortlichkeit des Fahrzeugfüh- Die Grundannahme der ständigen Beherrschbar- rers auf. Dabei geht es insbesondere darum, ob der keit durch den Fahrzeugführer findet sich aus- Fahrzeugführer im automatischen Fahrmodus im drücklich in § 3 Absatz 1 Satz 1 StVO (Geschwin- Falle einer Übertretung von Verhaltensregeln der digkeit), wird aber auch durch Formulierungen wie StVO oder eines Verstoßes gegen strafrechtliche 77 „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“ Vorschriften selbst gehandelt hat, und um die sub- als auch „der Fahrzeugführer (…) muss sich so jektive Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers für verhalten, dass eine Gefährdung (…) ausgeschlos- eine Verletzung ordnungswidrigkeitenrechtlicher 78 sen ist“ deutlich. In der deutschen Sprache wird und strafrechtlicher Vorschriften. das Wort „herrschen“ etymologisch auf das Wort „Herr sein“ zurückgeführt, welches wiederum seine Verstöße gegen Verhaltenspflichten der StVO sind Bedeutung im Sinne von „erhaben, vornehm, herr- gemäß § 49 in Verbindung mit § 24 StVG und lich, heilig und hochmütig“ aus „grauhaarig, alt“ ent- OWiG ordnungswidrig und damit bußgeldbewehrt. wickelt hat.79 „Beherrschen“ bedeutet demnach Die einzelnen Bußgeldtatbestände sind in § 49 heute neben „Macht über etwas ausüben/haben“ StVO enumerativ aufgezählt. Dazu gehören insbe- auch „in der Gewalt haben/unter Kontrolle hal- sondere Verstöße gegen die §§ 3, 4, 5, 6 (Vorbei- ten“.80 Als Synonyme werden „dominieren“, fahren) und § 7 Absatz 5 (Fahrstreifenwechsel) StVO. Auch ein Verstoß gegen das Grundgebot des § 1 Absatz 2 StVO ist ordnungswidrig. Ebenso kön- nen Verstöße gegen Anordnung durch Vorschrift- 73 König, in: Hentschel, StGB § 316, Rn. 3. zeichen sowie gegen Anordnungen in Zusatzschil- 74 BGH, Urteil vom 27.10.1988, BGHSt 35, 390 (393) zu § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr): In der Entscheidung ging es dern zu Richtzeichen mit einem Bußgeld geahndet darum, ob ein infolge des Genusses von Alkohol Fahr- werden. untüchtiger bereits dadurch den Tatbestand der Trunkenheit im Straßenverkehr verwirklicht, dass er sich ans Steuer Bei den straßenverkehrsrechtlichen Strafvorschrif- setzt, den Motor und das Licht einschaltet, ohne das Fahr- ten des Strafgesetzbuches (StGB) sind insbesonde- zeug in Bewegung zu setzen. Der BGH hat dies mit der vorliegenden Definition verneint. Die Definition ist darüber re die § 315c (Gefährdung des Straßenverkehrs), § hinaus im Verkehrsrecht allgemein anerkannt (zum Beispiel 222 (fahrlässige Tötung) und § 229 StGB (fahrlässi- für §§ 2, 18 StVG und §§ 3, 23 StVO), vgl. Dauer, in: ge Körperverletzung) zu prüfen. Bei § 315c StGB Hentschel, StVG § 2, Rn. 2; König, in: Hentschel, StVG § 21, Rn. 10. handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsde- 75 König, in: Hentschel, StGB § 316, Rn. 3. likt, das Leib, Leben und Eigentum des Einzelnen 76 Berz, ZVS 2002, 2 (3). schützen soll. Dabei wird nach § 315c StGB vorwie- 77 § 1 I StVO. gend gefährliches Verhalten im fließenden oder 78 § 3 IIa; § 5 IV; § 9 V, § 10, § 14 I und § 37 I. ruhenden Verkehr erfasst. Das Delikt setzt sich aus 79 Duden, Band 7, „herrschen“, S. 336, mit Verweis auf „hehr“, einem Handlungs- und einem Gefährdungsteil S. 329. zusammen, zwischen denen Kausalität bestehen 80 Duden, Band 10, „beherrschen“, S. 191. muss („und dadurch“). Darüber hinaus muss der 81 Duden, Band 8, „beherrschen“, S. 187. konkrete Erfolg aus dem spezifischen Risiko der 58

Handlung resultieren und bei pflichtgemäßem Ver- Körperverletzung. Die Körperverletzung kann be- halten vermeidbar gewesen sein.82 Als Tathandlun- gangen werden als körperliche Misshandlung oder gen, die Leben, Leib oder fremde Sachen bei der als Gesundheitsschädigung (§ 229 StGB in Verbin- Benutzung eines Fahrzeugs mit automatisiertem dung mit § 223 StGB). Körperliche Misshandlung ist System gefährden können, kommen falsches Über- eine üble, unangemessene Behandlung, die das holen oder sonstiges falsches Fahren bei Überhol- körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich be- vorgängen sowie zu schnelles Fahren an unüber- einträchtigt;87 Gesundheitsschädigung ist jedes sichtlichen Stellen (§ 315c Absatz 1 Nummer 2 Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zu- Buchstabe b) und d) StGB) in Betracht. Dabei muss standes.88 Zwischen einer Gefährdung des Stra- der Täter grob verkehrswidrig und rücksichtslos ßenverkehrs nach § 315c StGB und der fahrlässi- handeln. Grobe Verkehrswidrigkeit kennzeichnet gen Tötung beziehungsweise Körperverletzung dabei ein Verhalten, das sich objektiv als besonders besteht in der Regel Idealkonkurrenz,89 das heißt, schwerer Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift eine Tathandlung kann sowohl § 315c StGB als und die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt,83 auch § 222 oder § 229 StGB verletzen; es liegt dann wohingegen Rücksichtslosigkeit die innere Einstel- Tateinheit (§ 52 StGB) vor.90 lung und die besondere Vorwerfbarkeit des Fehlver- haltens umschreibt und dann vorliegt, wenn der Voraussetzung für das Vorliegen einer ordnungs- Fahrzeugführer sich aus eigensüchtigen Gründen widrigen oder strafrechtlich relevanten Handlung ist über seine Pflichten im Straßenverkehr hinwegsetzt immer ein menschliches Verhalten (Tun oder Unter- oder aus Gleichgültigkeit Bedenken gegen sein Ver- lassen gemäß § 8 OWiG beziehungsweise § 13 halten gar nicht erst aufkommen lässt und „un- StGB). Was in diesem Sinne als Handlung anzuse- bekümmert drauflos“ fährt.84 Täter nach § 315c hen ist, ist Gegenstand verschiedener strafrechtli- StGB kann nur sein, wer als Fahrzeugführer85 am cher Handlungstheorien. So versteht die natürliche Verkehr teilnimmt; insofern handelt es sich um ein oder kausale Handlungslehre Handeln als willens- eigenhändiges Delikt.86 Nach § 315c StGB macht getragenes menschliches Verhalten mit einer Wir- sich strafbar, wer vorsätzlich handelt und die Ge- kung in der Außenwelt91, also eine „gewollte Kör- fährdung vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, perbewegung“ respektive eine „gewollte Regungs- sowie derjenige, der fahrlässig handelt und dabei losigkeit“.92 Nach der finalen Handlungslehre ist die Gefährdung fahrlässig verursacht (§ 315c Ab- grundlegendes Merkmal der Handlung ihre Fina- satz 1 und 3 StGB). § 222 StGB erfasst die fahrläs- lität: Handlung ist danach „ein bewusst vom Ziel her sig begangene Tötung, § 229 StGB die fahrlässige gelenktes Wirken“ beziehungsweise „ein vom Wil- len gesteuertes und gelenktes Geschehen“.93 Die sozialen Handlungslehren stellen auf die soziale 82 Vgl. Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, Relevanz menschlichen Tuns oder Unterlassens § 315b, Rn. 12. ab; Handeln wird als sinnhaft gestaltender Faktor 83 BGH, Urteil vom 25.2.1964, BGHSt 5, 392 (395). der sozialen Wirklichkeit erfasst.94 Einer Festle- 84 OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.6.1988, NZV 1988, 149 (150). gung auf eine dieser Theorien bedarf es nicht, 85 Vgl. zum Begriff des Fahrzeugführers Definition unter Kapitel wenn man die Funktion des Handlungsbegriffs für 2.2. das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht bedenkt: 86 König, in: Hentschel, StGB § 315c, Rn. 54. Er dient als negativer Filter, um vom Menschen ver- 87 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 3. ursachte Geschehensabläufe auszuscheiden, die 88 Ebd. Rn. 5. nicht in das Blickfeld des Rechts als einer mensch- 89 Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 315c, Rn. lichen Verhaltensordnung geraten können.95 Auf- 52. bauend auf dem Roxinschen Begriff von der Hand- 90 Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. lung als Persönlichkeitsäußerung96 lassen sich da- §§ 52 ff., Rn. 2. her solche für das Recht irrelevanten Geschehens- 91 Bohnert, § 1 Rn. 12. abläufe aus dem Handlungsbegriff ausscheiden, 92 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 26. die dem Menschen nicht mehr personal zurechen- 93 Ebd., Rn. 28/29. bar sind, die sich also nicht unter Mitwirkung der 94 Ebd., Rn. 33/34. geistigen Kräfte des Menschen vollziehen, sondern 95 Ebd., Rn. 37. rein mechanisch bestimmt sind oder die aus- 96 Ebd., Rn. 36. schließlich dem Bereich des Sensitiv-Somatischen 97 Ebd., Rn. 37. angehören.97 Keine Handlungen sind daher 59

• die auf mechanische Weise durch unwidersteh- kann eine solche Garantenstellung aus zweierlei liche Gewalt hervorgerufenen Körperreaktionen Gründen einnehmen: beziehungsweise die mechanisch erzwungene Passivität, • Als Fahrzeugführer ist er für den vorschrifts- mäßigen Zustand seines Fahrzeugs, insbeson- • Körperbewegungen im Zustand der Bewusstlo- dere auch für dessen Verkehrssicherheit, ver- sigkeit, zum Beispiel bei tiefem Schlaf oder Ohn- antwortlich; es handelt sich dabei um eine macht, Schutzpflicht gegenüber den anderen Verkehrs- teilnehmern gegen erhöhte Gefahren aus einem • Reflexbewegungen. mangelhaften Fahrzeugzustand.104 Diese recht- Neben einem Tun kann auch ein Unterlassen Bege- liche Einstandspflicht ergibt sich zum einen aus hungstatbestände wie § 315c, § 222 und § 229 § 23 StVO, zum anderen für den Fahrer, der StGB erfüllen, sofern es dem positiven Tun gleich- zugleich Halter oder Besitzer des Kfz ist, aus der steht (§ 13 StGB); dies ist dann der Fall, wenn der Verantwortlichkeit für das Kraftfahrzeug als 105 Unterlassende aufgrund einer Garantenstellung Gefahrenquelle. Die Garantenstellung kann zum Eingreifen in einen Kausalverlauf, der zum sich aber auch kraft Übernahme ergeben, wenn Eintreten der objektiven Tatbestandsvoraussetzun- dem Fahrzeugführer das Fahrzeug vom Halter 106 gen führt, verpflichtet ist.98 Unterlassen bedeutet anvertraut wurde. das Nichtvornehmen einer geforderten und zumut- •Wer durch ein vorheriges, pflichtwidriges Tun baren Handlung.99 Gefordert ist eine Handlung, die die adäquate Gefahr für den Eintritt eines dem konkreten Täter – unter Berücksichtigung sei- schädlichen Erfolgs geschaffen hat, ist verpflich- ner individuellen Fähigkeiten – in der konkreten Tat- tet, den Schaden zu verhindern (Garantenstel- situation objektiv möglich ist.100 Unmöglich ist die lung durch Ingerenz).107 Handlung demnach, wenn der Täter handlungsun- fähig, etwa bewusstlos, ist, er nicht die Fähigkeit Ein rechtspflichtwidriges Unterlassen kann in jedem besitzt, den Erfolg abzuwenden, oder aber er nicht Einzelfall nur anhand von Inhalt und Zielrichtung in sinnvoller, das heißt den Erfolg verhindernder, der Garantenpflicht festgestellt werden; gerade der Weise eingreifen kann.101 Dabei muss jede Ret- spezifische Schutzzweck der Garantenstellung tungschance genutzt werden.102 Unzumutbar ist muss in der konkreten Situation ein Handeln erfor- eine Handlung, wenn sie eigene billigenswerte dern.108 Interessen in erheblichem Umfang beeinträchtigt und diese in einem angemessenen Verhältnis zum Ordnungswidrig ist gemäß § 49 StVO vorsätzliches drohenden Erfolg stehen.103 Der Täter eines Unter- und fahrlässiges Handeln; strafbar ist grundsätzlich lassungsdelikts muss gemäß § 13 Absatz 1 StGB die vorsätzliche Tat, die fahrlässige Begehung nur, rechtlich dafür einzustehen haben, das der Erfolg wenn dies gesondert angeordnet ist (§ 15 StGB). nicht eintritt, also Garant für die Schadensabwehr Vorsatz ist wissentliches und willentliches Verhalten sein. Der Fahrzeugführer eines Kraftfahrzeugs ohne Rücksicht auf Motiv, Absicht oder genauen Verlauf; ein bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Fahrzeugführer die Tatbestandserfüllung für möglich hält und diese billigend in Kauf nimmt.109 98 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. Fahrlässig handelt, wer die ihm nach den Umstän- 135. den und seinen eigenen Fähigkeiten mögliche 99 Ebd., Rn. 138/139, 155. Sorgfalt außer Acht lässt und hierdurch eine 100 Ebd., Rn. 141. Rechtsgutgefährdung oder -verletzung bewirkt oder 101 Ebd., Rn. 142/143. wer die Tatbestandsverwirklichung zwar für möglich 102 Ebd., Rn. 149. hält, also sein pflichtwidriges Verhalten kennt, je- 103 Ebd., Rn. 156. doch ernsthaft darauf vertraut, der Tatbestand 104 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 23, Rn. 6. möge nicht verwirklicht werden.110 105 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 43. 106 Ebd., Rn. 26. Eine Verfolgung und Ahndung von objektiv rechtwi- 107 Ebd., Rn. 32. drigem Verhalten sind nur dann möglich, wenn 108 Ebd., Rn. 14. keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrün- 109 König, in: Hentschel, Einleitung, Rn. 133. de vorliegen. Auch hier wird wieder an subjektive 110 König, in: Hentschel, Einleitung, Rn. 135. Elemente angeknüpft, ein entsprechender Recht- 60

fertigungswille oder Gefahrabwendungswille muss sind (§ 3 Absatz 1 FZV). Besondere Vorschriften, vorliegen. Ebenso knüpfen die Regeln zur Schuld- die hier nicht relevant sind, gelten für die Inbe- fähigkeit an die individuelle Vorwerfbarkeit an. triebsetzung zulassungsfreier Fahrzeuge (§ 4 FZV). Der Fahrzeugführer des Kfz ist verpflichtet, be- Im Folgenden ist insbesondere zu untersuchen, stimmte Dokumente mitzuführen wie beispielswei- inwieweit dem Fahrzeugführer bei Fahrt im auto- se den Zulassungsschein Teil I (§ 11 Absatz 5 FZV). matischen Modus im Falle eines Unfalls oder einer Der Fahrzeugführer ist nach § 30 in Verbindung mit Ordnungswidrigkeit/Straftat der Fehler oder das § 69a Absatz 3 Nummer 1 StVZO insbesondere für Versagen des Systems angelastet werden kann. die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs verantwort- Greift ein automatisiertes System während der lich. Ein nicht verkehrssicheres Fahrzeug darf nach Fahrt ein und kann der Fahrzeugführer dies nicht dieser Vorschrift nicht in Betrieb genommen oder übersteuern, so könnte es an einer Verantwortlich- weiterbetrieben werden; ein Verstoß dagegen stellt 111 keit fehlen. Denkbar sind auch eine Verantwort- eine Ordnungswidrigkeit dar. Nach § 31 Absatz 1 lichkeit für die Unterlassung einer an sich notwen- StVZO darf ein Fahrzeug nur führen, wer zur selbst- digen Übersteuerung oder eine fahrlässige Scha- ständigen Leitung geeignet ist; der Verstoß dage- densverursachung durch die (vorsätzliche) Über- gen stellt nach § 69a Absatz 5 Nummer 2 StVZO 112 steuerung/Abschaltung des Systems. Dabei eine Ordnungswidrigkeit dar. könnten eine unzureichende Kenntnis der Funk- tionsweise des automatisierten Systems oder des- Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert die sen fehlende Wartung/Reparatur die Verantwort- Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs im Sinne der lichkeit des Fahrzeugführers begründen. StVO, StVZO, FZV sowie einschlägiger EG-Vor- schriften. Dabei sind hohe Anforderungen an die Vermeidung von Fehlfunktionen beziehungsweise 2.4 Zulassungsrecht an die Ausfallsicherheit derartiger Systeme zu stel- len, diese müssen in die Bestimmungen zur Fahr- Bis zum Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung zeugzulassung und zur Technischen Überwachung (FeV) am 1.1.1999 und der Fahrzeugzulassungs- einfließen.118 Besondere Bauvorschriften für auto- verordnung (FZV)113 am 1.3.2007 war die Straßen- matisierte Systeme kennt die StVZO nicht. Neben verkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) Grundlage den speziellen Bestimmungen für Bauart und Aus- für die Zulassung von Personen (Teil A – aufgeho- rüstung in der StVZO enthält § 30 Absatz 1 Num- ben, jetzt FeV) und Fahrzeugen (Teil B) zum mer 1 StVZO eine Generalklausel für die Beschaf- Straßenverkehr. Nunmehr enthält die StVZO ledig- fenheit von Fahrzeugen,119 wonach diese so lich noch die Bau- und Betriebsvorschriften sowie gebaut und ausgerüstet sein müssen, dass ihr ver- die Regelungen zur Betriebserlaubnis und Bauart- kehrsüblicher Gebrauch nicht zu einer Schädigung genehmigung, während die Zulassung von Kraft- fahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstge- schwindigkeit von mehr als 6 km/h und ihrer Anhän- ger zum Verkehr auf öffentlichen Straßen in der 111 So jedenfalls Frenz, zfs 2003, 381 (386). 114 FZV geregelt ist. Die Zulassungspflicht und die 112 Berz, ZVS 2002, 2 (6). entsprechenden Ausnahmen, bisher in § 18 StVZO 113 Verordnung zur Neuordnung des Rechts der Zulassung geregelt, finden sich nunmehr in § 3 FZV. Danach von Fahrzeugen zum Straßenverkehr und zur Änderung ist Voraussetzung für eine Fahrzeugzulassung das straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 25.04.2006, Vorliegen einer EG-Typengenehmigung115, einer BGBl. 2006 I, S. 988. 114 nationalen Typengenehmigung116 oder einer Ein- Die Zulassung der nicht unter diese Regelung fallenden Fahrzeuge bemisst sich nach § 16 StVZO. zelgenehmigung117 sowie das Bestehen einer 115 Vgl. Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Daneben be- Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, inhaltet das Zulassungsrecht auch eine Reihe von Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Verhaltensvorschriften unter anderem für den Fahr- Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EGFGV), welche der Umsetzung der in § 2 Nr. 4 a-c FZV zeugführer im Zusammenhang mit der Inbetrieb- genannten Richtlinien des Europäischen Parlaments und nahme beziehungsweise dem Betrieb von Fahrzeu- des Rates dient. gen. Diese ergeben sich sowohl aus der FZV als 116 Allgemeine Betriebserlaubnis nach § 20 StVZO. auch aus der StVZO. So dürfen Fahrzeuge auf 117 Einzelbetriebserlaubnis nach § 21 StVZO. öffentlichen Straßen grundsätzlich nur in Betrieb 118 Albus/Friedel/Nicklisch/Schukze, ZVS 1999, 98 (99). gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen 119 Dauer, in: Hentschel, StVZO § 30, Rn. 2. 61

oder mehr als unvermeidbaren Gefährdung, Behin- oder Gefährdungen bei ordnungsgemäßer Bedie- derung oder Belästigung führt. Dies bedeutet, dass nung relevant sind.126 Die Vorschrift des § 30 das Fahrzeug nicht nur den gesetzlichen Anforde- Absatz 1 Nummer 1 StVO erfordert demnach nicht, rungen nach Bauart und Ausrüstung insbesondere dass Fahrzeuge in der Lage sind, die Verhaltensre- in den §§ 32 ff. StVZO entsprechen muss, sondern geln der StVO einzuhalten beziehungsweise den sich darüber hinaus auch in einem verkehrssiche- Fahrzeugführer dazu zu zwingen, sie einzuhalten. ren Zustand befinden muss.120 Diese Regelung Ein (Assistenz-)System muss jedoch so gestaltet dient der Verkehrssicherheit und soll bereits im Vor- sein, dass „die kognitiven oder manuellen Fähigkei- feld mögliche Gefahren verhindern, die sich aus der ten eines durchschnittlichen Fahrers“ nicht über- Bauweise und Ausrüstung ergeben könnten. Im schritten werden.127 In Betracht zu ziehen wäre, Gegensatz zu § 1 Absatz 1 StVO, der den Eintritt dass durch die Nutzung neuer Systeme oder die einer konkreten Folge erfordert, genügt hier die ab- Einführung von Automatisierungstechniken eine strakte Gefahr, dass durch den Zustand des Fahr- Entlastung bis hin zur Unterforderung des Fahr- zeugs eine der genannten Folgen eintreten zeugführers eintreten könnte. Andererseits könnten kann.121 diese technischen Systeme aufgrund ausgefeilter Sensorik dem Menschen überlegen sein, sowohl Maßgeblich für die Betrachtung, ob in der Beschaf- bei den Reaktions- und Eingreifzeiten als auch bei fenheit des Fahrzeugs eine Gefährdung oder Be- der Wahrnehmung der relevanten Informationen. lästigung liegt, ist sein verkehrsüblicher Betrieb. Insoweit könnte eine umfassende Risiko-Nutzen- Darunter ist die allgemein gebräuchliche Verwen- Analyse Auskunft über die Vereinbarkeit der Nut- 122 dung des Fahrzeugs entsprechend seiner Bau- zung bestimmter Systeme mit dem derzeit gelten- 123 art zu verstehen. Verboten sind danach Behin- den Verkehrsrecht geben. So hat das Bundesver- derungen, Gefährdungen und Belästigungen, die fassungsgericht bei der Frage der Verfassungs- nicht von dem Fahrzeugtyp als solchem, sondern mäßigkeit der Gurtpflicht entschieden, dass das ausschließlich vom konkreten Fahrzeug ausge- geringe Risiko, welches sich aus der Benutzung 124 hen. § 30 Absatz 1 Nummer 1 StVZO regelt im des Sicherheitsgurtes ergibt, hinter den erheblichen Gegensatz zu § 1 Absatz 2 StVO nicht das Verhal- Vorteilen desselben zurückstehen muss.128 ten der Verkehrsteilnehmer bei der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr, sondern bestimmt Wir unterstellen, dass die hier betrachteten auto- eine Voraussetzung der Beschaffenheit des Fahr- matisierten Systeme den zulassungsrechtlichen zeugs für die Zulassung zum Straßenverkehr.125 Vorschriften entsprechen,129 und untersuchen die Ein Fehlverhalten des Fahrzeugführers, ob ord- Verhaltenspflichten bei ihrem Einsatz. nungswidrigkeitenrechtlich erheblich oder nicht, bleibt außer Betracht, sodass nur Schädigungen 3 Betrachtung der Szenarien

Im Folgenden werden die vier Szenarien mit unter- 120 KG Berlin, Beschluss vom 04.09.2006, Az. 2 Ss 168/06 – 3 schiedlichen Automatisierungsgraden, die Untersu- Ws (B) 373/06, 2 Ss 168/06, 3 Ws (B) 373/06, juris, Rn. 6; chungsgegenstand in der Projektgruppe sind, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.1978, Az. 5 Ss (OWi) 159/78 – 60/78 V, juris, Rn. 7. näher beschrieben und hinsichtlich ihrer rechtlichen 121 KG Berlin ebd.; OLG , Beschluss vom 31.01.1980, Auswirkungen auf die Verhaltenspflichten des Fahr- Az. 2 Ss OWi 3168/79, juris, Rn. 32. zeugführers näher untersucht. Im Einzelnen han- 122 Dauer, in: Hentschel, StVZO § 30, Rn. 4. delt es sich um folgende Szenarien: 123 OVG NRW, Beschluss vom 13.06.1995, Az. 25 B 1332/95, juris, Rn. 17. • teilautomatisiertes System am Beispiel des 124 OVG NRW, Beschluss vom 12.08.1998, Az. 25 B 3118/97, Autobahn-Assistenten (ABA), juris, Rn. 13. 125 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.1987, Az. 5 Ss • hochautomatisiertes System am Beispiel des (OWi) 427/87 – 320/87 I, juris, Rn. 5. Autobahn-Chauffeurs (ABC), 126 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 61. 127 Bewersdorf, Zulassung und Haftung, S. 61. • vollautomatisiertes System am Beispiel des 128 BVerfG, Beschluss vom 24.7.1986, NJW 1987, 180. Autobahn-Piloten (ABP), 129 Ob dies der Fall ist, wäre im Einzelfall anhand zulassungsrechtlicher Normen zu prüfen, wird hier aber • Sonderfall eines vollautomatisierten Systems auftragsgemäß und ohne Prüfung ausgeklammert. am Beispiel des Nothalte-Assistenten. 62

3.1 Teilautomatisiertes System: Auto- derungen durch ein Display in seinem primären bahn-Assistent (ABA) Sichtfeld informieren. Das Display zeigt dem Fahrer zum Beispiel folgende Systemzustände an: 3.1.1 Systembeschreibung • „Driver only“: Längs- und Querführung durch Der ABA soll nach der Systembeschreibung in den Fahrzeugführer, monotonen Fahrsituationen die Fahraufgabe über- nehmen, um so Unfälle zu vermeiden oder Unfall- • „ACC“: Längsführung durch das System, folgen zu mildern, die von einem unaufmerksamen, Querführung durch den Fahr- abgelenkten Fahrer verursacht werden könnten. Er zeugführer, erhöht zudem den Komfort für den Fahrer.130 • „ABA“: Längs- und Querführung durch Der Fahrer muss den ABA durch Einschalten akti- das System. vieren und kann ihn jederzeit durch Ausschalten, Das System übernimmt für den Fahrer im Einzel- einen Bremseingriff, einen starken Lenkeingriff oder nen folgende Fahraufgaben: Beschleunigung über die obere Geschwindigkeits- grenze hinaus (zum Beispiel durch Kick-down) Der Fahrer kann das System auf Autobahnen in übersteuern (deaktivieren). Bei eingeschaltetem einem Geschwindigkeitsbereich von 0 km/h bis zu System (automatischer Fahrmodus) kann er seine einer oberen Geschwindigkeitsgrenze einsetzen Hände vom Lenkrad nehmen (Hands-off). Da der (Domäne). An Autobahnraststätten, -tankstellen und ABA jedoch nicht in der Lage ist, alle relevanten im Baustellenbereich muss der Fahrer jedoch wei- Informationen der Fahrzeugumgebung jederzeit, terhin selbst das Fahrzeug führen. Dies gilt auch auf vollständig und rechtzeitig zu erfassen (nicht alle Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen, der Systemgrenzen werden vom System erkannt) und Verteilerfahrbahn, Verflechtungsstrecken, Verbin- alle erdenklichen Gefahrensituationen durch einen dungsrampen und den Überführungsbauwerken an automatischen Eingriff in Bremse, Lenkung und Autobahnanschlussstellen, -kreuzen und -dreiecken. Gas selbstständig zu bewältigen, muss der Fahrer das System im automatischen Fahrmodus dauer- Im automatischen Fahrmodus überlässt der Fahrer haft überwachen und jederzeit zur vollständigen dem ABA die Querführung (Lenken) und die Längs- Übernahme der Fahrzeugführung bereit sein. führung (Bremsen, Beschleunigen) des Fahrzeugs. Außerdem wird der Fahrer vom ABA durch opti- Dabei führt der ABA im Einzelnen die nachfolgend sche, akustische und/oder haptische Signale zur beschriebenen regelungstechnischen Tätigkeiten Übernahme der Fahrzeugführung aufgefordert, aus. wenn der ABA eine Systemgrenze erkennt. Über- • Sicheren Abstand halten: Das System über- nimmt der Fahrer nach einer solchen Übernah- wacht den Abstand zum vorausfahrenden Fahr- meaufforderung nicht die Fahrzeugführung, so wird zeug, nicht jedoch dessen Abstand zu dem die- die Funktion nach einer gewissen Wartezeit „abge- sem vorausfahrenden Fahrzeug. Es stellt ohne worfen“, der ABA also deaktiviert, und der Fahrer Berücksichtigung des Sicherheitsabstandes des darüber informiert. Ein im Einzelfall vom System Vorausfahrenden zu diesem einen angemesse- eingestellter Bremsdruck respektive ein eingestell- nen Abstand her. tes Lenkmoment werden noch aufrechterhalten, während das Fahrzeug „ausrollt“. • Geschwindigkeit anpassen und halten: Das System lässt das Fahrzeug mit Der Fahrer kann sich über den aktuellen System- zustand, die aktuell eingestellte Setzgeschwindig- - der vom Fahrer eingestellten Geschwindig- keit sowie Fehlermeldungen und Übernahmeauffor- keit,

- der durch Verkehrszeichen vorgeschriebe- nen Geschwindigkeit (die Ermittlung erfolgt 130 Bartels, System-Spezifikationen, in diesem Band, Do- zum Beispiel mit Hilfe digitaler Straßenkarten kumentteil 2. Vgl. außerdem für Fahrzeuge, die, wie die und kamerabasierter Systeme der Verkehrs- hier beschriebenen Systeme, die Umgebung des Fahr- zeichenerkennung), zeugs wahrnehmen, dabei das Fahrzeug stabil auf der Straße halten und zugleich der aktuellen Verkehrsituation angemessene Fahrmanöver ausführen (autonomes Fah- - der zum Beispiel für Kurven „komfortablen“ ren) Kammel, in: Winner/Hakuli/Wolf, S. 657. Geschwindigkeit (diese kann mit Hilfe des 63

Krümmungsradius der Kurve, der aus digita- der Regel wird er hierzu durch den ABA mit ausrei- len Straßenkarten und kamerabasierten Sys- chender Zeitreserve aufgefordert; er muss jedoch temen zur Erkennung des Fahrstreifenver- auch mit kurzfristigen Übernahmeaufforderungen laufs ermittelt wird, und einer maximalen, rechnen. Mit langer Zeitreserve erfolgt die Über- noch als komfortabel empfundenen Querbe- nahmeaufforderung beispielsweise bei Autobahn- schleunigung bestimmt werden), enden, Fahrbahnverengungen, Baustellen und Stauenden, die in der digitalen Straßenkarte ver- - der für die Einhaltung des Verbots des zeichnet sind; mit kurzer Zeitreserve werden in der Rechtsüberholens und der bei Kolonnenfahrt digitalen Straßenkarte nicht verzeichnete Autobah- hiervon zulässigen Ausnahmen erforderli- nenden, Fahrbahnverengungen, Stauenden oder chen Geschwindigkeit (Berücksichtigung der auch Ladung, die von einem vorausfahrenden Geschwindigkeiten der Fahrzeuge auf dem Fahrzeug gefallen ist, von der Umfeldsensorik des linken benachbarten Fahrstreifen) und Fahrzeugs erkannt. Zu einer kurzfristigen Übernah- - der unter Berücksichtigung der Geschwindig- meaufforderung führen außerdem ein ESP-Eingriff, keit des vorausfahrenden Fahrzeugs mögli- das Öffnen des Gurtschlosses, die reduzierte Fahr- chen Geschwindigkeit (das System erkennt fähigkeit des Fahrers (sie kann zum Beispiel mit Verzögerungen des vorausfahrenden Fahr- einer Innenkamera, die Lidschlag oder Kopfposition zeugs und bremst ggf. bis zum Stillstand he- des Fahrers erfasst, erkannt werden), ein relevan- runter) ter technischer Defekt oder die fehlende Erfassung des Fahrstreifens durch das System. fahren. In folgenden Fällen erhält der Fahrer dagegen • Fahrstreifenmitte halten. keine Übernahmeaufforderung, da der ABA diese Situationen nicht erkennt: Glatteis, Aquaplaning, Einen Fahrstreifenwechsel muss der Fahrer demge- Schneedecke, eine Ölspur oder relevante Hinder- genüber selbsttätig vornehmen. Das System kann nisse, die wegen ungünstiger Umstände (zum Bei- weder überholen, noch den Fahrstreifen bei einer spiel Witterung) von der Umfeldsensorik des Fahr- Fahrbahnverengung, einem auftauchenden Hinder- zeugs nicht mehr erfasst werden können. Daher ist nis auf der eigenen Fahrbahn oder bei Änderung es Aufgabe des Fahrer zu beurteilen, ob die Stra- der Richtungsfahrbahn zum Beispiel an Autobahn- ßenverhältnisse den Einsatz des ABA überhaupt kreuzen wechseln. Erkennt das System beispiels- zulassen. Es kann auch vorkommen, dass Ge- weise ein vorausfahrendes, plötzlich stark verzö- schwindigkeitsbeschränkungen oder Baustellen gerndes Fahrzeug, ein Hindernis (herabgefallene nicht in der digitalen Straßenkarte erfasst sind Ladung, frei laufende Tiere) auf dem eigenen Fahr- (mangelnde Aktualität) und entsprechende Ver- bahnstreifen oder einen gefährlichen Einscherer, so kehrsschilder nicht von der Fahrzeugkamera er- bremst das System automatisch ab und versucht kannt werden. innerhalb des eigenen Fahrstreifens auszuweichen, um so den Unfall zu verhindern respektive die Un- fallfolgen zu mindern. Sieht der Fahrer, dass Fahr- 3.1.2 Beurteilung nach der StVO zeuge vor dem vorausfahrenden Fahrzeug stark Adressat der Verhaltenspflichten nach der StVO ist verzögern, so muss er rechtzeitig durch einen ange- der Fahrzeugführer. Fahrzeugführer im Sinne der messenen Bremseingriff reagieren, da das System Definition unter Kapitel 2.2 bleibt auch bei Einsatz den Abstand des Vorausfahrenden zu dessen Vor- des ABA der Mensch. Zwar hat im automatischen dermann nicht zuverlässig erfassen kann. Fahrmodus das System die Fahraufgaben über- Nähert sich das Fahrzeug einem Stauende, so wird nommen. Aber es ist der Mensch, der das Fahr- der Fahrer vom System zu einem Bremseingriff zeug nach wie vor in Bewegung setzt und in diesem oder zur Übernahme aufgefordert. Reagiert der Zustand hält: Das teilautomatisierte System muss Fahrer nicht rechtzeitig, bremst das System das vom Menschen eingeschaltet werden, er kann es Fahrzeug automatisch ab, um die Kollision zu ver- jederzeit übersteuern und die Fahraufgabe wieder hindern oder deren Folgen zu mildern. selbst übernehmen; der Fahrzeugführer muss die Verkehrslage und das System ständig überwachen Bei Erreichen einer Systemgrenze muss der Fahrer und sich stets eingriffsbereit halten. Insofern die Fahrzeugführung wieder selbst übernehmen. In bedient sich der Fahrzeugführer mit dem automati- 64

schen Fahrmodus nach unserer Auffassung einer Gefahren.133 In diesem Sinne verpflichtet diese technischen Einrichtung des Fahrzeugs, die für durch Gebote und Verbote den Fahrzeugführer, seine Fortbewegung bestimmt ist, auch wenn er in besonders unfallträchtiges Verhalten zu vermei- diesem Modus nicht mehr jede einzelne Fahrbewe- den.134 Es handelt sich – wie ausgeführt – um Ver- gung selbst initiiert.131 Dem Fahrzeugführer obliegt haltensrecht, dem nur ein Mensch entsprechen die Gesamtverantwortung für das In-Bewegung- oder gegen das nur ein Mensch verstoßen kann. Setzen des und die Fortbewegung mit dem Fahr- Wollte man eine Abkehr vom Leitbild des Menschen zeug. Demnach beherrscht er das Fahrzeug in dem als verantwortlichen Fahrzeugführer, würde dies Sinne, dass er es unter Kontrolle hat. Dies mag eine Änderung der StVO erfordern. dem bisherigen Bild des Fahrzeugführers wider- sprechen, ist jedoch unseres Erachtens mit dem Nachfolgend werden mögliche Verstöße gegen die Wortlaut des Begriffs „Fahrzeugführer“ noch verein- Normen der StVO geprüft. Dabei werden wir zu- bar.132 nächst die spezielleren Regelungen und erst da- nach die „Auffangnorm“ des § 1 StVO untersuchen. Demgegenüber wäre eine Auslegung, die das System als Fahrzeugführer ansieht, weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck der StVO zu ver- 3.1.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit einbaren. Ein Fahrzeug führen im Sinne von leiten, § 3 Absatz 1 StVO fordert vom Fahrzeugführer die lenken, bewegen, beaufsichtigen und kontrollieren Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit, welche die kann nur der Mensch. Dies entspricht auch dem Erfüllung seiner Pflichten jederzeit gestattet.135 Grundgedanken der StVO, wonach das Fahrzeug Neben den objektiven Maßstäben der Straßen-, von einem Menschen gelenkt wird, ein Mensch also Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnisse sind hier- Führer des Fahrzeugs ist. Als sachlich begrenztes bei auch die persönlichen Fahrfertigkeiten und die Ordnungsrecht dient die StVO der Abwehr der typi- jeweiligen psychischen und physischen Fähigkei- scherweise vom Straßenverkehr ausgehenden ten des Fahrzeugführers136 sowie die Eigenschaf- ten von Fahrzeug (wie Fahrwerk, Straßenlage, Scheinwerferleistung, Reifenzustand)137 und La- 138 131 Wie offenbar in der Auslegung des BGH vorausgesetzt dung (wie Art und Verstauung) ausschlagge- (Urteil vom 27.10.1988, BGHSt 35, 390, 393): In der bend. Der Fahrzeugführer muss die Geschwindig- Entscheidung ging es darum, ob ein infolge des Genusses keit so wählen, dass er das Fahrzeug jederzeit von Alkohol Fahruntüchtiger bereits dadurch den Tat- bestand der Trunkenheit im Straßenverkehr verwirklicht, noch beherrschen kann. Auch unter ungünstigsten dass er sich ans Steuer setzt, den Motor und das Licht Verhältnissen muss es ihm möglich sein, innerhalb einschaltet, ohne das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. der übersehbaren Strecke anzuhalten. Das Gebot Der BGH hat dies verneint: Führer eines Fahrzeugs sei nur, wer das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwen- des „Fahrens auf Sicht“ ist besonders in Bereichen dung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder vor sichtbeschränkenden Kuppen oder Kurven, Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug aber auch bei Dunkelheit relevant. Daher wird die unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen zu wählende Geschwindigkeit oftmals auch unter während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegen müs- 132 Andere Auffassung Neumann/Frenz/Lingenberg, in: Sa- sen. Andererseits darf der Fahrzeugführer ohne trif- velsberg (Hrsg.), S. 262: Alle nationalen straßen- tigen Grund nicht so langsam fahren, dass er den verkehrsrechtlichen Vorschriften basieren auf der Annah- Verkehrsfluss behindert (Absatz 2). me, dass das Kraftfahrzeug von einem menschlichen Fah- rer ausschließlich durch menschliche Motorik und aufgrund Sinn und Zweck des § 3 StVO ist es, Unfälle durch menschlicher Sinneswahrnehmungen gesteuert wird. zu schnelles Fahren zu verhindern. Überhöhte Ge- 133 König, in: Hentschel, Einleitung, Rn. 6 134 schwindigkeit ist eine der häufigsten Unfallursa- Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßen- 139 verkehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (798). chen. In diesem Sinne geht Sicherheit dem Be- 140 135 Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßen- dürfnis nach raschem Vorankommen stets vor. verkehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (802). 136 König, in: Hentschel, StVO § 3, Rn. 41 m. w. N. Beurteilung 137 König, in: Hentschel, StVO § 3, Rn. 43. 138 König, ebd. • Der ABA erfasst nicht alle für die Wahl der ange- 139 Überhöhte Geschwindigkeit ist eine der häufigsten Un- messenen Geschwindigkeit relevanten Umstän- fallursachen, vgl. Gasser/Bauer, SVR 2007, 6 (7). de: Objektive Umweltkomponenten wie Sicht- 140 König, in: Hentschel, StVO § 3, Rn. 12. weiten, Wind oder Fahrbahnbeschaffenheit wer- 65

den von diesem System nicht erfasst und verar- automatisiertes Fahren mit überhöhter beitet, ebenso wenig wie die persönlichen Geschwindigkeit ist in diesem Falle grundsätz- Fähigkeiten des Fahrzeugführers oder die lich ausgeschlossen. Eigenschaften der Ladung.141 Das System er- mittelt die mögliche Geschwindigkeit allein •Verlässt sich der Fahrzeugführer hingegen auf anhand des Abstandes zum vorausfahrenden das System oder ist unaufmerksam und über- Fahrzeug, der durch Verkehrszeichen bekannt steuert nicht, obwohl dies notwendig wäre, ist gegebenen Höchstgeschwindigkeit und/oder ein Verstoß gegen § 3 StVO möglich. aus digitalen Straßenkarten und hält ansonsten die durch den Fahrzeugführer voreingestellte Wunschgeschwindigkeit. 3.1.2.2 § 4 StVO: Abstand

• Damit ist durch das System im automatischen Nach § 4 StVO muss der Abstand zum vorausfah- Fahrmodus allein nicht in jeder Situation sicher- renden Fahrzeug so gewählt werden, dass auch bei gestellt, dass sich das Fahrzeug mit einer Ge- einer plötzlichen Bremsung ein Fahrzeug noch hin- schwindigkeit bewegt, bei der der Fahrzeugfüh- ter dem Vorausfahrenden angehalten werden kann. rer, wie von § 3 Absatz 1 StVO gefordert, das Hier sind wieder die objektiven Maßstäbe wie Fahrzeug beherrscht. Das muss der Fahrzeug- Geschwindigkeit, Örtlichkeit, Wetterverhältnisse führer jedoch auch „aus Sicht des Systems“, da und die Verkehrslage ausschlaggebend. Anders als dieses nicht in der Lage ist, alle Verkehrssitua- in § 3 Absatz 1 Satz 1 StVO wird nicht ausdrücklich tionen angemessen zu bewältigen, und die Ge- auf die persönlichen Fähigkeiten des Fahrzeugfüh- schwindigkeit des Fahrzeugs bei der Bewälti- rers abgestellt. In der Rechtsprechung ist jedoch gung von Verkehrssituationen häufig eine große anerkannt, dass auch die individuelle Bremsverzö- Rolle spielt. Entsprechend verlangt das System gerung sowie ermüdungsbedingte Beeinträchtigun- vom Fahrer, dass er dieses und die Verkehrs- gen des Reaktionsvermögens in die Beurteilung verhältnisse ständig überwacht und sich ein- des notwendigen Abstandes einfließen müssen.142 griffsbereit hält. Der Fahrer muss darüber hi- Auch muss der Fahrzeugführer den eigenen Si- naus entscheiden, ob es insbesondere die Stra- cherheitsabstand vergrößern, wenn die konkrete ßen- und Witterungsverhältnisse überhaupt zu- Verkehrslage „zu besonderer Vorsicht mahnt“.143 lassen, dass das System eingeschaltet wird. Kann der Fahrzeugführer erkennen, dass der Si- cherheitsabstand nicht ausreichend sein könnte, • Aus rechtlicher Perspektive genügt der Fahr- weil zum Beispiel das vorausfahrende Fahrzeug zeugführer bei Einsatz des ABA unseres Erach- seinerseits keinen Sicherheitsabstand einhält, so tens somit dann den ihm aus § 3 Absatz 1 StVO ist der eigene Abstand zu vergrößern.144 Dies setzt obliegenden Pflichten, wenn er die systeminiti- somit eine menschliche Einschätzung/Gefahren- ierten Fahrmanöver ständig überwacht und prognose voraus. gegebenenfalls die Geschwindigkeit den objek- tiven Maßstäben wie den Straßen-, Sicht- und Beurteilung Witterungsverhältnissen, seiner individuellen Konstitution sowie den Fahrzeug- und Ladungs- •Vom ABA werden die Wetter- und Sichtverhält- verhältnissen durch eine Übersteuerung des nisse und das konkrete Verhalten des voraus- Systems anpasst. Insbesondere die „Wunsch- fahrenden Fahrzeuges (fehlender Sicherheits- geschwindigkeit“ wäre von ihm so einzustellen, abstand vor diesem) nicht in die automatische dass er jederzeit in der Lage ist, bei einer Über- Abstandsberechnung einbezogen. nahme das Fahrzeug zu beherrschen. Ein teil- • Diese Aufgabe verbleibt daher sowohl im Hin- blick auf die Möglichkeiten des Systems als auch rechtlich beim Fahrzeugführer. Erfüllt er diese Anforderungen, sind ein Fahren mit zu ge- 141 Wir gehen davon aus, dass das teilautomatisierte System die Fahrzeugeigenschaften berücksichtigt. ringem Abstand und damit ein Verstoß gegen 142 OLG , Beschluss vom 24.6.1976, Az. 1 Ws (B) § 4 StVO nicht möglich und es läge kein Verstoß 102/76, juris, Rn. 9; König, in: Hentschel, StVO § 4, Rn. 7 gegen eine verhaltensbezogene Pflicht vor. m. w. N. 143 OLG Celle, Beschluss vom 25.4.1988, NZV 1989, 36. •Verletzt er diese Pflicht und übersteuert nicht, 144 BGH, Urteil vom 9.12.1986, NJW 1987, 1075 (1076). könnte der Abstand zu gering sein. 66

3.1.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: Überholen, treffen ihn gleichwohl alle Sorgfaltspflichtanfor- Vorbeifahren und Fahrstreifenwechsel derungen im Hinblick auf den Überholvorgang, da das System ein ordnungsgemäßes Überho- Beim Überholen (§ 5 StVO) hat der Fahrzeugführer len wegen der Unmöglichkeit des Fahrstreifen- darauf zu achten, dass er weder den entgegen- wechsels nicht vorsieht. Zu diesen Sorgfalts- kommenden noch den nachfolgenden Verkehr pflichtanforderungen gehört insbesondere auch gefährdet oder behindert.145 Dafür muss er die Pflicht, sich sobald wie möglich wieder überblicken können, dass der gesamte Überholvor- rechts einzuordnen (§ 5 Absatz 4 Satz 3 StVO) gang ohne Wagnis gefahr- und behinderungslos und die Überholspur nicht durch unzulässiges möglich sein wird.146 § 5 Absatz 1 StVO erlaubt das Linksfahren zu blockieren.151 Linksüberholen und verbietet damit das Rechts- überholen abgesehen von wenigen Ausnahmefäl- • Bei der Wahl der zulässigen Geschwindigkeit len (§ 5 Absatz 7 und § 7 Absätze 2, 2a und 3 berücksichtigt der ABA die Geschwindigkeit der StVO). Der Überholende muss auf die Fahrweise Fahrzeuge auf dem linken Fahrstreifen, um dem des Eingeholten achten und darf ihn nicht gefähr- Rechtüberholverbot zu entsprechen. Geschieht den.147 Erlaubt ist auch das Überholen mehrerer dies nicht, kann und muss der Fahrzeugführer Fahrzeuge (Kolonne), jedoch trifft denjenigen, der das System entsprechend übersteuern. bei hoher Geschwindigkeit, auch auf der Autobahn, mehrere Fahrzeuge überholt, eine erhöhte Sorg- faltspflicht.148 3.1.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: Benutzung Auch beim Vorbeifahren gemäß § 6 StVO, welches von Fahrstreifen vorliegt, wenn ein Hindernis links passiert werden Einen Sonderfall stellt das so genannte „Rechts- soll, ist ebenfalls besonders vorsichtig zu prüfen, ob überholen“ dar, welches (auf Autobahnen) aus- der Gegen- oder Nachfolgeverkehr gefährdet nahmsweise dann zulässig ist, wenn auf beiden 149 wird. Fahrspuren Kolonnenverkehr herrscht (§ 7 Ab- satz 2 StVO) oder auf der Überholspur eine Fahr- § 7 Absatz 5 StVO erlaubt den Fahrstreifenwechsel, zeugschlange zum Stehen gekommen ist (§ 7 Ab- wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer satz 2a StVO). Im ersten Fall muss sich der Verkehr ausgeschlossen ist. Der Wechsel ist rechtzeitig auf nebeneinander befindlichen Fahrstreifen zu und deutlich mit Fahrtrichtungsanzeigern anzukün- Fahrzeugschlangen verdichtet haben; die Fahr- digen. Der Fahrstreifenwechsel widerspricht we- zeuge also so nah hintereinander fahren, dass gen seiner latenten Gefahren dem Grundsatz des ein Überholer nicht mehr mit genügend Abstand Fahrstreifenfahrens und soll deshalb nur bei ver- nach vorn und nach hinten einscheren kann. Dann kehrsbedingten Notwendigkeiten stattfinden; er er- darf auch auf der rechten Spur vorbeigefahren wer- fordert vom Fahrzeugführer äußerste Sorgfalt, ins- den. Die zweite Ausnahme betrifft den Fall, dass besondere eine ausreichende Rückschau und auf der Überholspur eine Fahrzeugschlange zum die Berücksichtigung des nachfolgenden Ver- Stehen gekommen ist oder nur langsam fährt kehrs.150 (nach verbreiteter Auffassung152 maximal 60 km/h). Beurteilung Hier dürfen auf der rechten Spur auch Einzel- fahrzeuge mit äußerster Vorsicht und nach dieser • Da Spurwechsel und Ausweichen mit Fahrstrei- fenwechsel nicht systemgesteuert erfolgen sol- len, erübrigt sich hier eine weitere Betrachtung. Dies gilt auch hinsichtlich des Verhaltens bei abgehenden Fahrstreifen, Einfädelungsstreifen 145 § 3 I, IV StVO. und Ausfädelungsstreifen (§ 7a). 146 König, in: Hentschel, StVO § 5, Rn. 25. 147 König, in: Hentschel, StVO § 5, Rn. 40. • Einen Fahrstreifenwechsel bei Überholvorgän- 148 Ebd. gen führt das System nicht aus; dieser kann wei- 149 König, in: Hentschel, StVO § 6, Rn. 3 ff. terhin nur fahrerinitiiert erfolgen. Benutzt der 150 König, in: Hentschel, StVO § 7, Rn. 16, 17. Fahrzeugführer auf der Überholspur während 151 König, in: Hentschel, StVO § 5, Rn. 51. Die Wunsch- des Vorbeifahrens am Überholten bzw. an den geschwindigkeit wäre entsprechend zu wählen. zu Überholenden den automatischen Modus, so 152 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 7, Rn. 6a. 67

Auffassung einer Mehrgeschwindigkeit von maxi- in einem Fahrzeug konzipiert wurden. Allerdings ist mal 20 km/h vorbeifahren.153 die Norm nur anwendbar, wenn die dort im Einzel- nen geregelten Ver- und Gebote verletzt sind156 Beurteilung und tatsächlich eine Beeinträchtigung der Seh- und 157 • Beim ABA wird die Geschwindigkeit der auf der Hörfähigkeit vorliegt. linken Spur fahrenden Fahrzeuge in die Ermitt- Gemäß § 23 Absatz 1 Satz 2 StVO ist der Fahr- lung der zulässigen Geschwindigkeit einbezo- zeugführer darüber hinaus für die Vorschriftsmäßig- gen, um dem Verbot des Rechtsüberholens keit und die Verkehrssicherheit von Fahrzeug, (§ 5 Absatz 1 StVO) gerecht zu werden. Kolon- Ladung und Besetzung verantwortlich. Er ist für nenfahrten, mit der Erlaubnis, rechts schneller solche Fahrzeugmängel verantwortlich, die er als links zu fahren, bewältigt das System eben- kennt oder kennen müsste.158 Da die meisten Fahr- falls. zeugführer beim heutigen Stand der Technik zur • Damit ist aus unserer Sicht ein Verstoß gegen sachgemäßen Instandhaltung nicht befähigt sind, das Gebot des § 7 Absätze 2 und 2a StVO genügen sie ihren Pflichten, wenn sie die vorge- grundsätzlich ausgeschlossen. Bewältigt das schriebenen Inspektionen vornehmen lassen, sich System diese Fahraufgabe jedoch nicht, kann vor Fahrtantritt vom vorschriftsmäßigen Zustand und muss es der Fahrzeugführer entsprechend der betriebswichtigen Teile des Fahrzeugs über- übersteuern. zeugen und erkennbare Mängel abstellen.159

Ferner ist nach § 23 Absatz 3 Satz 2 StVO Radfah- 3.1.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten des rern und Führern von Krafträdern das freihändige Fahrzeugführers Fahren untersagt. Eine entsprechende Regelung Nach § 23 Absatz 1 Satz 1 StVO ist der Fahrzeug- für den Fahrzeugführer eines Kfz fehlt indes. Aller- führer unter anderem dafür verantwortlich, dass dings verbietet § 23 Absatz 1a StVO dem Fahr- seine Sicht und sein Gehör nicht durch Geräte oder zeugführer die Benutzung eines Mobil- oder Auto- den Zustand des Fahrzeugs beeinträchtigt werden. telefons, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Diese Regelung soll sicherstellen, dass er die zu Hörer des Autotelefons aufnimmt. Ausweislich der befahrende Strecke bei jeder Fahrzeugbewegung Begründung soll dieses Verbot aber nur sicherstel- voll überblicken beziehungsweise akustische Ein- len, dass der Fahrzeugführer beide Hände für die 160 drücke aus dem Verkehrsumfeld wahrnehmen Bewältigung der Fahraufgabe frei hat, nicht kann.154 Dem Sinn und Zweck der Norm entspricht jedoch, dass die Hände nicht vom Lenkrad genom- es auch, dass hier alle „Geräte“ im umgangs- men werden dürfen. Diese Sicht wird durch die sprachlichen Sinne erfasst werden, die dazu geeig- Rechtsprechung gestützt: Verboten ist nach § 23 net sind, die Sicht und das Gehör zu beeinträchti- Absatz 1a StVO nicht jedes In-die-Hand-Nehmen gen,155 und nicht nur solche, die für den Gebrauch des Mobiltelefons während der Fahrt, sondern nur dasjenige, das Bezug zu einer Benutzung des Mobiltelefons entsprechend seinen Funktionen auf- weist; das bloße Aufnehmen eines Handy, um es 153 Ebd. von einer Ablage in eine andere zu legen, stellt 154 König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 12 f. daher keinen Verstoß gegen § 23 Absatz 1a StVO 155 So sah das OLG Köln auch einen Walkman als ein von der 161 Vorschrift erfasstes Gerät an, Beschluss vom 20.2.1987, dar. VRS 73, 148 (149 f.). 156 König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 9. Beurteilung 157 LG , Beschluss vom 19.12.1991, DAR 1992, 110. • Der Fahrzeugführer wird über den aktuellen 158 König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 16. Systemzustand, die aktuell eingestellte Setzge- 159 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 23, Rn. 6a, 7. schwindigkeit sowie Fehlermeldungen und 160 33. Verordnung zu Änderung straßenverkehrsrechtlicher Übernahmeaufforderungen durch ein Display in Vorschriften vom 11.12.2000, Begründung zu Art. 1 Nr. 4 seinem primären Sichtfeld informiert. Da dies Buchstabe b) (§ 23), BR-Ds. 599/00, S. 18. eine betriebsnotwendige Einrichtung ist, handelt 161 OLG Köln, Beschluss vom 23.8.2005, Az. 83 Ss-OWi es sich dabei nicht um ein Gerät im Sinne von 19/05, juris, Rn. 13 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5.10.2006, Az. IV-2 Ss (OWi) 134/06 – (OWi) 70/06 III, 2 Ss § 23 Absatz 1 Satz 1 StVO. Vorschriftsmäßigkeit (OWi) 134/06 – (OWi) 70/06 III, juris, Rn. 5 f. und Verkehrssicherheit des Displays sind daher 68

nach den einschlägigen Vorschriften des Zulas- Lage anpassen (Vorausschau) und die Verkehrsre- sungsrechts zu beurteilen.162 geln sinnvoll beachten, d. h., würde ein starres Befolgen einer Spezialregelung behindern oder • Zu den auf ihre Vorschriftsmäßigkeit und Ver- gefährden, so ist sie sinnvoll angepasst zu handha- kehrssicherheit zu prüfenden Fahrzeugteilen ben.166 Besondere Rücksichtnahme gegenüber gehört auch das automatisierte System. Welche Kindern, Behinderten etc. setzt ebenfalls eine Ein- Sorgfaltsanforderungen diesbezüglich im Ein- schätzung der Lage und ihrer vermutlichen Weiter- zelnen an den Fahrzeugführer zu stellen sind, entwicklung voraus.167 hängt unter anderem von der Ausgestaltung der Systeme ab. Zu den Mindestforderungen dürfte Das freihändige Fahren eines Kfz ist unseres die Kontrolle der Display-Anzeigen zählen. Erachtens grundsätzlich nach § 1 Absatz 1 StVO pflichtwidrig und bei einer dadurch verursachten • Das vom System erlaubte freihändige Fahren Schädigung als grob fahrlässig zu bewerten; es ist des Kraftfahrzeugführers ist hingegen nicht jedoch ohne eine Beeinträchtigung von Sicht und nach § 23 Absatz 3 Satz 2 StVO untersagt. Eine Gehör weder nach § 23 StVO noch ohne konkrete Analogie scheidet mangels pflichtwidriger Lücke Gefährdung nach § 1 Absatz 2 StVO verboten res- aus. Ein Verbot lässt sich wie ausgeführt auch pektive ordnungswidrig.168 nicht aus § 23 Absatz 1a StVO entnehmen. Allerdings kann aus dem fehlenden Verbot des Beurteilung Freihändigfahrens auch nicht auf seine generel- le Zulässigkeit geschlossen werden. Vielmehr • Beim ABA hat der Fahrer aus Sicht des Systems könnte es sich um einen der vielfältigen Sorg- die Pflicht zur ständigen Überwachung und ggf. faltsverstöße handeln, für welche es keine Spe- sofortigen Übernahme. Die Möglichkeiten, die zialvorschriften gibt, die aber nach § 1 StVO zu ihm das System gewährt, stimmen insoweit mit bewerten sind (vgl. hierzu sogleich unter Kapitel den rechtlichen Verpflichtungen des Fahrzeug- 3.1.2.6). Die Ergänzung des § 23 StVO um ein führers aus § 1 Absatz 1 StVO überein: Er muss Verbot des Freihändigfahrens für Kraftfahrzeug- das Verkehrsgeschehen umfassend beobach- führer ist nach Auffassung in der Literatur jedoch ten und entsprechend eingreifen. Daher darf der erwägenswert.163 Fahrzeugführer sich keinen anderen Beschäfti- gungen widmen.

3.1.2.6 § 1 StVO: Grundregel • Der Fahrzeugführer darf dabei unseres Erach- tens nicht beide Hände von Lenkrad nehmen. Liegt keine Verletzung der Spezialvorschriften der Die Möglichkeit eines Hands-off dürfte aus §§ 2 ff. StVO vor, könnte dennoch ein Verstoß ge- unserer Sicht im Falle eines erforderlich wer- gen die Regeln des § 1 StVO vorliegen, der inso- denden Eingriffs in die Lenkung (notwendige weit als Auffangtatbestand ausgebildet ist.164 Wie eingangs ausgeführt, sind das Gebot der gegensei- tigen Vorsicht und Rücksichtnahme (§ 1 Absatz 1) sowie die Pflicht zur Vermeidung von Schädigun- 162 Zur Gestaltung sei verwiesen auf die rechtlich nicht gen, Gefährdungen und mehr als nach den Um- verbindliche, gleichwohl als Standard wirkende Empfehlung der Europäischen Kommission vom 26.5.2008 ständen unvermeidbaren Behinderungen und Be- über sichere und effiziente bordeigene Informations- und lästigungen anderer (§ 1 Absatz 2) das allen Rege- Kommunikationssysteme: Neufassung des Europäischen lungen übergeordnete „Programm“ der StVO. Vor- Grundsatzkatalogs zur Mensch-Maschine-Schnittstelle (European Statement of Principles on human-machine sicht und Rücksicht können nur auf aufmerksamer interface – ESOP) (2008/653/EG), ABl. EU vom Verkehrsbeobachtung basieren, hierzu gehören 12.08.2008, L 216/1. insbesondere die Fahrbahn, aber auch der relevan- 163 Vgl. König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 14. te „Nebenbereich“, wie zum Beispiel Geh- oder 164 Wobei nur § 1 II StVO beim Eintritt einer schädlichen Folge Radwege, von denen jederzeit Gefahren für die auf (konkretes Erfolgsdelikt) bußgeldbewehrt ist. 165 der Fahrbahn befindlichen Fahrzeuge ausgehen König, in: Hentschel, StVO § 1, Rn. 7. 166 können. Wer sich daran nicht hält, zum Beispiel die König, in: Hentschel, StVO § 1, Rn. 9. 167 Fahrbahn nennenswerte Zeit aus den Augen lässt, König, in: Hentschel, StVO § 3, Rn. 29b; allerdings können bei der weiteren Betrachtung die verkehrsschwachen 165 setzt schuldhaft eine Gefahrenursache. Beson- Teilnehmer außer Acht bleiben, da diese auf Autobahnen ders Kraftfahrer müssen ihr Verhalten ständig der nicht erwartet werden brauchen. wahrscheinlichen Weiterentwicklung der jeweiligen 168 König, in: Hentschel, StVO § 23, Rn. 14. 69

Übersteuerung oder Übernahme) insbesondere Annäherung an ein Stauende zu vermeiden zu einer Verlängerung der Reaktionszeit führen. oder in ihren Auswirkungen zu mindern.171 Ist Zum anderen könnte dies auch die Gefahr einer dafür jedoch ein Ausweichmanöver auf einen nicht situationsadäquaten Lenkbewegung in der anderen Fahrstreifen nötig, bedarf es eines Ein- Übernahmesituation erhöhen, mit unter Umstän- griffs des Fahrzeugführers. Verlässt sich der den schwerwiegenden Folgen. Als besonders Fahrzeugführer in diesen Fällen ausschließlich gefahrenträchtig dürften sich dabei Lenkeingriffe auf den ABA, ohne eine eigene Lagebeurteilung in Überraschungssituationen erweisen, etwa vorzunehmen, verletzt er seine Pflicht aus § 1 nach einer Übernahmeaufforderung mit kurzer Absatz 2 StVO. Zeitreserve durch das System, wie zum Beispiel bei nicht in der digitalen Straßenkarte verzeich- 3.1.3 Beurteilung nach dem Recht der neten Autobahn- oder Stauenden beziehungs- Verkehrsordnungswidrigkeiten weise in Reaktion auf eine plötzliche, vom Sys- tem nicht erkannte Gefahr wie etwa Aquapla- Die meisten Verstöße gegen Regelungen der StVO ning oder plötzlich auftretende Hindernisse, die stellen zugleich auch Verkehrsordnungswidrigkei- von der Umfeldsensorik wegen ungünstiger Um- ten nach § 24 StVG i. V. m. § 49 StVO dar. Für alle stände nicht erfasst werden konnten.169 Aus un- nicht im Einzelfall geregelten Fälle, die mit dem Ein- serer Sicht dürfte es einen nicht unerheblichen tritt einer schädlichen Folge einhergehen, bildet Unterschied machen, ob der Fahrer selbst lenkt § 1 Absatz 2 StVO die Rechtsgrundlage für Sank- und dabei das Lenkrad nur geringfügig „austa- tionen (Bußgeld). Dieser Auffangtatbestand ist ge- riert" oder ob er, insbesondere in einer Überra- rade wegen der vielfältigen Lebensverhältnisse und schungssituation, aus der automatischen Steue- der Fortentwicklung der Technik in die StVO aufge- rung in die manuelle übergeht, nachdem er län- nommen worden. gere Zeit die Hände nicht am Lenkrad hatte und daher ohne jegliches „Gefühl“ für die Lenkung Nachfolgend geprüft werden daher die Vorausset- war. zungen eines ordnungswidrigen Verhaltens. Nach § 49 StVO ist sowohl vorsätzliches als auch fahr- • Zur Beurteilung möglicher Probleme in der lässiges Handeln bußgeldbedroht. Übernahmesituation für das Lenkverhalten lie- gen Erkenntnisse in der Rechtsprechung nicht Beurteilung vor. Auf die allgemeine Lebenserfahrung kann vor dem Hintergrund der gegenwärtig genutzten • Kommt es bei der Benutzung des Fahrzeugs im Fahrzeugtechnik und des geltenden Rechtsrah- automatischen Modus ohne Übersteuerung mens für die Beurteilung unseres Erachtens durch den Fahrzeugführer dazu, dass das Fahr- ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Daher könnte es sinnvoll sein, die Übernahmesituation unter dem Aspekt eines Hands-off insbesondere 169 Weitere Fälle, in denen eine kurzfristige Übernahmeauf- verhaltenspsychologisch genauer zu untersu- forderung durch das System erfolgt oder in denen das chen. Aus vorstehenden Gründen kann aus un- System eine Gefahr nicht erkennt, ergeben sich aus der Systembeschreibung, vgl. oben Kapitel 3.1.1. serer Sicht auch nicht zwischen Verkehrssitua- 170 Vgl. beispielhaft OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.10.2002, tionen mit erhöhter Eingriffsbereitschaft und Az. 10 U 184/01, juris, Rn. 6, wonach ein Kfz-Mieter, der demzufolge der Pflicht zu einem Hands-on und bei Dunkelheit auf der Bundesautobahn mit einer Ge- Verkehrssituationen mit einer durchschnittlichen schwindigkeit von 170 km/h hinter mehreren ebenfalls auf der Überholspur fahrenden Fahrzeugen her fährt, mit plötz- Eingriffsbereitschaft und der Möglichkeit zu lichen verkehrsbedingten Bremsmanövern rechnen und einem Hands-off unterschieden werden, wie sein Fahrverhalten hierauf einstellen, das heißt unter ande- dies die Rechtsprechung zur Bremsbereitschaft rem jederzeit bremsbereit sein muss; OLG Düsseldorf, 170 Urteil vom 22.11.1994, Az. 14 U 120/91, juris, Rn. 8, nahelegen könnte. wonach die nach § 3 Absatz 2a StVO vorgeschriebene Bremsbereitschaft dort zu gewährleisten ist, wo mit der • Der ABA ist in der Lage, durch geeignete Brems- Gefährdung der besonders geschützten Personen (Kinder, manöver und Ausweichen innerhalb der eigenen Hilfsbedürftige und ältere Menschen) aufgrund konkreter Fahrspur Schädigungen und Gefährdungen im Anhaltspunkte zu rechnen ist. 171 Sinne von § 1 Absatz 2 StVO beim Auftauchen In Betracht kommt hier ein Verstoß gegen spezielle Verkehrsregeln (Abstand § 4, Geschwindigkeit § 3), wenn eines Hindernisses, bei plötzlich und stark brem- die Schädigung oder Gefährdung im Schutzbereich dieser senden vorausfahrenden Fahrzeugen und bei Normen liegt, vgl. König, in: Hentschel, StVO § 1, Rn. 32. 70

zeug zu schnell fährt, unzulässigerweise rechts das System ständig zu überwachen und ggf. kor- überholt, es zu dicht auffährt oder liegt sonst ein rigierend einzugreifen. objektiver Verstoß gegen eine Pflicht aus der StVO vor, so stellt sich zunächst die Frage, ob • Ist eine Übersteuerung zur Vermeidung eines dies auf ein Handeln des Fahrzeugführers Pflichtverstoßes wegen technischen Versagens zurückzuführen ist. Ein Tun in Form der Benut- des Systems nicht möglich, so ist der Fahrzeug- zung des Fahrzeugs im automatischen Modus führer dafür nur dann verantwortlich, wenn der scheidet als ordnungswidrigkeitenrechtlich rele- Pflichtverstoß darauf zurückzuführen ist, dass er vantes Verhalten aus, wenn der ABA als solcher seiner Verantwortung als Garant für die Vor- zugelassen ist, wie auch allein die Benutzung schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des des zugelassenen Fahrzeugs keine ordnungs- Systems nicht gerecht geworden ist und ihm widrigkeitenrechtlich relevante Handlung ist. Da diesbezüglich mindestens Fahrlässigkeit vorzu- das Fahrmanöver, das den Pflichtverstoß be- werfen ist. dingt, systeminitiiert ist, kann es dem Fahrer • Folgt der Fahrzeugführer einer funktionsgerech- ebenfalls nicht als Tun zugerechnet werden. ten Übernahmeaufforderung durch den ABA • Als Tathandlung bei Benutzung des automati- nicht und führt dies zu einer Verletzung von Ver- schen Fahrmodus kommt jedoch ein Unterlassen haltenspflichten, so hat der Fahrzeugführer als in Gestalt der fehlenden Übersteuerung des Sys- Garant aus vorherigem pflichtwidrigem Tun tems in Betracht. Dies setzt allerdings eine dafür einzustehen, wenn er sich mit der Funkti- Garantenstellung des Fahrzeugführers voraus. onsweise des Systems nicht ausreichend ver- Diese kann sich – wie oben in Kapitel 2.3 ausge- traut gemacht hat oder er abgelenkt war. Im führt – zum einen aus seiner Verantwortlichkeit für Regelfall dürfte der Fahrzeugführer hier fahrläs- die Verkehrssicherheit und Vorschriftsmäßigkeit sig gehandelt haben (Fehlgebrauch), eine vor- des Systems ergeben. Zum anderen kann sie sätzliche Begehung ist aber nicht auszusch- sich aber auch aus einem vorherigen pflichtwidri- ließen (Missbrauch des Systems). gen Tun ergeben: Der Fahrzeugführer hat sich • Arbeitet das System ordnungsgemäß, der Fahr- etwa mit der Funktionsweise des Systems nicht zeugführer übersteuert jedoch, so handelt er zu- ausreichend vertraut gemacht oder er hat sich – mindest grob fahrlässig172, wenn nicht sogar anders als es die Benutzung des ABA vorsieht – eine vorsätzliche Begehung anzunehmen ist. von der Verkehrssituation und dem Fahrzeug abgewandt, war also unaufmerksam. Beruht der Pflichtverstoß auf einer Verletzung dieser Garan- 3.1.4 Beurteilung nach Strafrecht tenpflichten, so ist der Fahrzeugführer auch für 3.1.4.1 § 315c StGB: Gefährdung des Straßen- Fehlleistungen des Systems wie eine fehlende verkehrs Übernahmeaufforderung oder eine Fehldetektion oder Unzulänglichkeiten des Systems in Bezug Vorsätzliches Handeln hinsichtlich Handlung und auf die Erkennung von Systemgrenzen verant- Gefährdung kann hier vernachlässigt werden. wortlich, wenn er die erforderliche Übersteuerung Strafbar ist jedoch auch die durch eine (vorsätzliche unterlässt. Für den Pflichtverstoß ist der Fahr- oder fahrlässige) Handlung fahrlässig herbeigeführ- zeugführer auch subjektiv verantwortlich, denn er te Gefährdung.173 Fahrlässigkeit knüpft an die indi- handelt fahrlässig, da er sowohl „aus Sicht“ des viduelle Fähigkeit des Fahrzeugführers an. Ob eine Systems wie aus rechtlicher Sicht verpflichtet ist, solche vorliegt, bestimmt sich danach, ob der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der für den Schuldvorwurf maßgeblichen Situation in der Lage 172 Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und ist, die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten zu erken- einen subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die nen und zu erfüllen, und dass ihm normgerechtes Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vo- Verhalten zumutbar ist.174 raus. Die Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, Beurteilung BGH, Urteil vom 30.1.2001, NJW 2001, 2092 (2093). 173 § 315b IV, V und § 315c III Nr. 1 und 2 StGB. • Eine Tathandlung nach § 315c StGB mit einer 174 Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, fahrlässigen Gefahrverursachung könnte dann § 15, Rn. 194. vorliegen, wenn der Fahrzeugführer unter Nut- 71

zung des Systems grob verkehrswidrig und des Systems nicht möglich, so ist der Fahrzeug- rücksichtslos insbesondere falsch überholt oder führer dafür nur dann verantwortlich, wenn der sonst bei Überholvorgängen falsch fährt (Absatz Pflichtverstoß darauf zurückzuführen ist, dass er 1 Nummer 2b) oder an unübersichtlichen Stellen seiner Verantwortung als Garant für die Vor- zu schnell fährt (Absatz 1 Nummer 2d) und da- schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des durch Leib oder Leben eines anderen Men- Systems nicht gerecht geworden ist. schen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. • Denkbar ist auch, dass der Fahrzeugführer einer Übernahmeaufforderung durch das Sys- • In Betracht kommen hier systeminitiierte Fahr- tem etwa im Falle herabgefallener Ladung bei manöver, die sich als falsches Überholen (zum einem vor ihm fahrenden Fahrzeug keine Folge Beispiel unzulässiges Rechtsüberholen) bezie- leistet und das Fahrzeug nunmehr an unüber- hungsweise falsches Fahren bei einem Überhol- sichtlicher Stelle bis zum „Abwurf“ der Funktion vorgang175 oder als zu schnelles Fahren an un- zu schnell fährt: Folgt der Fahrzeugführer einer übersichtlicher Stelle darstellen und in die der funktionsgerechten Übernahmeaufforderung Fahrzeugführer nicht korrigierend eingreift, das durch den ABA nicht und führt dies zu einer System also nicht übersteuert.176 Erforderlich Verletzung von Verhaltenspflichten, so hat der ist, dass der Fahrzeugführer hinsichtlich der un- Fahrzeugführer als Garant aus vorherigem terlassenen Übersteuerung eine Garantenpflicht pflichtwidrigem Tun dafür einzustehen, wenn er verletzt hat. Diese kann sich – wie oben in Kapi- sich mit der Funktionsweise des Systems nicht tel 2.3 ausgeführt – zum einen aus seiner Ver- ausreichend vertraut gemacht hat oder er abge- antwortlichkeit für die Verkehrssicherheit und lenkt war. Im Regelfall dürfte der Fahrzeugführer Vorschriftsmäßigkeit des Systems ergeben. hier fahrlässig gehandelt haben (Fehlgebrauch), Zum anderen kann diese sich aber auch aus eine vorsätzliche Begehung ist aber nicht aus- einem vorherigen pflichtwidrigen Tun ergeben: zuschließen (Missbrauch des Systems). Der Fahrzeugführer hat sich etwa mit der Funk- • Als tatbestandsmäßige Handlungen in Betracht tionsweise des Systems nicht ausreichend ver- kommen umgekehrt auch fahrerinitiierte Fahr- traut gemacht oder er hat sich – anders als es manöver (durch Übersteuerung des Systems), die Benutzung des ABA vorsieht – von der Ver- die sich als falsches Überholen (zum Beispiel kehrssituation und dem Fahrzeug abgewandt, durch zu dichtes Auffahren auf den zu Überho- war also unaufmerksam. Beruht die Gefährdung lenden) beziehungsweise falsches Fahren bei auf einer Verletzung dieser Garantenpflichten, einem Überholvorgang (zum Beispiel Behinde- so ist der Fahrzeugführer auch für Fehlleistun- rung des Überholenden bei der Einordnung auf gen des Systems wie eine fehlende Übernah- dem eigenen Fahrstreifen) oder als zu schnelles meaufforderung oder eine Fehldetektion oder Fahren an unübersichtlicher Stelle darstellen. Unzulänglichkeiten des Systems in Bezug auf die Erkennung von Systemgrenzen verantwort- • Subjektiv vorwerfbar ist das Verhalten dem lich, wenn er die erforderliche Übersteuerung Fahrzeugführer, weil er auch bei eingeschalte- unterlässt. tem ABA das System ständig überwachen und stets eingriffsbereit sein muss. • Ist eine Übersteuerung zur Vermeidung eines Pflichtverstoßes wegen technischen Versagens 3.1.4.2 §§ 222 und 229 StGB: Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körper- 175 Da der ABA selbst keine Überholmanöver mit Fahr- verletzung streifenwechsel durchführt und der Fahrzeugführer daher für den Vorgang des Überholens unserer Auffassung nach Betrachtet werden hier die fahrlässige Tötung und voll verantwortlich bleibt (vgl. oben Kapitel 3.1.2.3), kann es die fahrlässige Körperverletzung. sich insoweit nur um falsches Fahren beim Überholtwerden handeln. Beurteilung 176 Zur Begründung des Unterlassens als der in Betracht kommenden tatbestandsmäßigen Handlung vgl. Kapitel • Als Tathandlung bei Benutzung des Automati- 3.13. schen Fahrmodus kommt ein Unterlassen177 in 177 Zur Begründung des Unterlassens als der in Betracht kommenden tatbestandsmäßigen Handlung vgl. Kapitel Gestalt der fehlenden Übersteuerung des Sys- 3.13. tems in Betracht, die zum Tod oder zu einer Kör- 72

perverletzung führt. Dies setzt eine Garanten- zumindest grob fahrlässig178, wenn nicht sogar stellung des Fahrzeugführers voraus. Diese eine vorsätzliche Begehung anzunehmen ist. kann sich – wie oben in Kapitel 2.3 ausgeführt – zum einen aus seiner Verantwortlichkeit für Ver- kehrssicherheit und Vorschriftsmäßigkeit des 3.2 Hochautomatisiertes System: Systems ergeben. Zum anderen kann sie sich Autobahn-Chauffeur (ABC) aber auch aus einem vorherigen pflichtwidrigen Tun ergeben: Der Fahrzeugführer hat sich etwa 3.2.1 Systembeschreibung mit der Funktionsweise des Systems nicht aus- Auch der Autobahn-Chauffeur (ABC) hat die Aufga- reichend vertraut gemacht oder er hat sich – be, Unfälle zu vermeiden beziehungsweise eventu- anders als es die Benutzung des ABA vorsieht elle Unfallfolgen zu mildern, die von einem unauf- – von der Verkehrssituation und dem Fahrzeug merksamen respektive abgelenkten Fahrer in abgewandt, war also unaufmerksam. Beruht monotonen Fahrsituationen verursacht werden der tatbestandliche Erfolg auf einer Verletzung können. Er erhöht zudem den Komfort für den Fah- dieser Garantenpflichten, so ist der Fahrzeug- rer.179 führer auch für Fehlleistungen des Systems wie eine fehlende Übernahmeaufforderung, eine Für die Aktivierung des Systems muss der Fahrer Fehldetektion oder Unzulänglichkeiten des Sys- den ABC einschalten. Er kann den ABC jederzeit tems in Bezug auf die Erkennung von System- durch Ausschalten, einen Bremseingriff, einen star- grenzen verantwortlich, wenn er die erforderli- ken Lenkeingriff oder Beschleunigung über die che Übersteuerung unterlässt. Für den Pflicht- obere Geschwindigkeitsgrenze hinaus (zum Bei- verstoß ist der Fahrzeugführer auch subjektiv spiel durch Kick-down) übersteuern (deaktivieren). verantwortlich, denn er handelt fahrlässig, da er Der Fahrer kann bei eingeschaltetem System sowohl „aus Sicht“ des Systems wie aus recht- (automatischer Fahrmodus) bestimmte Neben- licher Sicht verpflichtet ist, das System ständig tätigkeiten durchführen. Er muss das System im zu überwachen und ggf. korrigierend einzugrei- automatischen Fahrmodus nicht dauerhaft über- fen. wachen, denn der ABC erkennt alle Systemgren- zen und bewältigt sie teilweise eigenständig. Der • Ist eine Übersteuerung zur Vermeidung eines Fahrer wird zur Übernahme der Fahraufgabe mit Pflichtverstoßes wegen technischen Versagens ausreichender Zeitreserve lediglich dann aufgefor- des Systems nicht möglich, so ist der Fahrzeug- dert, wenn das System erkennt, dass es eine führer dafür nur dann verantwortlich, wenn der bestimmte Situation nicht selbst bewältigen kann. Pflichtverstoß darauf zurückzuführen ist, dass er Leistet der Fahrer einer solchen Übernahmeauffor- seiner Verantwortung als Garant für die Vor- derung keine Folge, so wird die Funktion nach schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des einer gewissen Wartezeit „abgeworfen“, wobei der Systems nicht gerecht geworden ist und ihm ABC deaktiviert und der Fahrer hierüber informiert diesbezüglich mindestens Fahrlässigkeit vorzu- wird. Ein im Einzelfall vom System eingestellter werfen ist. Bremsdruck beziehungsweise ein eingestelltes • Folgt der Fahrzeugführer einer funktionsgerech- Lenkmoment werden noch aufrechterhalten, ten Übernahmeaufforderung durch den ABA während das Fahrzeug „ausrollt“. Ein Display im nicht und führt dies zum Tode oder zu einer Kör- perverletzung, so hat der Fahrzeugführer als 178 Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und Garant aus vorherigem pflichtwidrigem Tun einen subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die An- dafür einzustehen, wenn er sich mit der Funk- forderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. tionsweise des Systems nicht ausreichend ver- Die Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt traut gemacht hat oder er abgelenkt war. Im und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, BGH, Regelfall dürfte der Fahrzeugführer hier fahrläs- Urteil vom 30.1.2001, NJW 2001, 2092 (2093). sig gehandelt haben (Fehlgebrauch), eine vor- 179 Bartels, System-Spezifikationen, Dokumentteil 2. Vgl. auch sätzliche Begehung ist aber nicht auszu- für Fahrzeuge, die, wie die hier beschriebenen Systeme, schließen (Missbrauch des Systems). die Umgebung des Fahrzeugs wahrnehmen, dabei das Fahrzeug stabil auf der Straße halten und zugleich der aktuellen Verkehrsituation angemessene Fahrmanöver • Arbeitet das System ordnungsgemäß, der Fahr- ausführen (autonomes Fahren), Kammel, in: Winner/ zeugführer übersteuert jedoch, so handelt er Hakuli/Wolf, S. 657. 73

primären Sichtfeld des Fahrers informiert ihn über satz noch Fahrzeugführer im Sinne der Definition den aktuellen Systemzustand, die aktuell einge- unter Kapitel 2.2 ist. Der ABC übernimmt im auto- stellte Setzgeschwindigkeit sowie Fehlermeldun- matischen Fahrmodus fast alle anstehenden Fahr- gen und Übernahmeaufforderungen. aufgaben. Der Fahrer muss das Verkehrsgesche- hen nicht mehr ständig überwachen und kann sich Der ABC übernimmt für den Fahrer im Einzelnen „Nebenbeschäftigungen“ widmen. Der Fahrer kann die nachfolgend beschriebenen Aufgaben: sich jedoch nicht völlig vom Fahrgeschehen abwen- Der Fahrer kann das System auf Autobahnen in den, da es Verkehrsituationen wie Stauenden, Bau- einem Geschwindigkeitsbereich von 0 km/h bis zu stellen und das Ende der Autobahn gibt, die das einer oberen Geschwindigkeitsgrenze einsetzen System zwar erkennt, aber nicht eigenständig (Domäne). Im Bereich von Autobahnraststätten, bewältigt und in denen daher der Fahrer nach einer -tankstellen und von Baustellen muss der Fahrer Übernahmeaufforderung mit ausreichender Zeitre- die Fahraufgabe selbst übernehmen. Darüber hi- serve „einspringen“ muss. Zudem muss das Fahr- naus kann er das System nicht auf Beschleuni- zeug nach wie vor vom Fahrer überhaupt in Bewe- gungs- und Verzögerungsstreifen, der Verteiler- gung gesetzt werden. Er muss den ABC aktivieren. fahrbahn, Verflechtungsstrecken, Verbindungsram- Eine Auslegung allerdings, die angesichts dieser pen und den Überführungsbauwerken an Auto- dem Fahrer verbleibenden „Restaufgaben“ das bahnanschlussstellen, -kreuzen und -dreiecken System als Fahrzeugführer ansieht, wäre weder mit einsetzen. dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck der StVO Der Fahrer delegiert im automatischen Fahrmodus zu vereinbaren. Ein Fahrzeug führen im Sinne von des ABC die gleichen Aufgaben an das System wie leiten, lenken, bewegen, beaufsichtigen und kon- bei Einsatz des ABA. Der ABC erkennt jedoch trollieren kann nur der Mensch. Dies entspricht im Unterschied zum ABA rechtzeitig einen etwa auch dem Grundgedanken der StVO, wonach das durch Kollision mit Hindernissen auf der Fahrbahn Fahrzeug von einem Menschen gelenkt wird, ein wie zum Beispiel verlorener Ladung drohenden Mensch also Führer des Fahrzeugs ist. Als sachlich Unfall und verhindert diesen durch ein geeignetes begrenztes Ordnungsrecht dient die StVO der Fahrmanöver, soweit dies fahrphysikalisch möglich Abwehr der typischerweise vom Straßenverkehr 181 ist und der umgebende Verkehr hierdurch nicht ausgehenden Gefahren. In diesem Sinne ver- unangemessen gefährdet wird. Autobahnenden, pflichtet diese durch Gebote und Verbote den Fahr- Fahrbahnverengungen, Baustellen und Stauenden zeugführer, besonders unfallträchtiges Verhalten zu 182 werden vom System vollständig und rechtzeitig vermeiden. Es handelt sich – wie ausgeführt – erkannt, aber nicht eigenständig bewältigt: Der um Verhaltensrecht, dem nur ein Mensch entspre- Fahrer erhält in diesen Fällen mit ausreichen- chen oder gegen das nur ein Mensch verstoßen der Zeitreserve eine Übernahmeaufforderung; kann. Wollte man eine Abkehr vom Leitbild des kurzfristige Übernahmeaufforderungen entfallen. Menschen als verantwortlichem Fahrzeugführer, Auch ein ESP-Eingriff, das Öffnen des Gurtschlos- würde dies eine Änderung der StVO erfordern. Bei ses, die reduzierte Fahrfähigkeit des Fahrers, rele- Einsatz des ABC bleibt also der Fahrer Fahrzeug- vante technische Defekte oder die mangelnde führer und damit Adressat der Pflichten aus der Erkennbarkeit des Fahrstreifens werden vom Sys- StVO. Er kann diesen Pflichten auch entsprechen, tem erkannt und führen ebenfalls zu einer Über- indes nur, wenn er den ABC übersteuert. nahmeaufforderung an den Fahrer mit ausreichen- der Zeitreserve. In dieser Zeit behält der ABC die 3.2.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit Fahrzeugführung bei. Glatteis, Aquaplaning, Schneedecke oder Ölspuren werden vom System Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- erkannt. führer sind oben in Kapitel 3.1.2.1 näher beschrie- ben.

3.2.2 Beurteilung nach der StVO

180 Wie bereits dargelegt, ist Adressat der Verhal- 180 Vgl. Kapitel 3.1.2. tenspflichten nach der StVO der Fahrzeugführer. 181 König, in: Hentschel, Einleitung, Rn. 6. Betrachtet man die Möglichkeiten des ABC, so ist 182 Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßenver- zweifelhaft, ob der Mensch (Fahrer) bei seinem Ein- kehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (798). 74

Beurteilung weit diese vom System nicht eigenständig be- wältigt werden, ergeht eine Übernahmeauffor- • Das System erfasst hier neben der Einhaltung derung an den Fahrzeugführer. Deshalb darf der durch Verkehrszeichen angeordneten sich der Fahrzeugführer im automatischen Mo- Geschwindigkeitsbegrenzungen auch die objek- dus zeitweilig abwenden. Es könnte daher ver- tiven Umweltkomponenten wie Sichtweiten, treten werden, dass ein „Mehr“ an Sicherheit Wind und Fahrbahnbeschaffenheit. Allerdings durch die Berücksichtigung der persönlichen Fä- bewältigt das System nicht alle Verkehrssituatio- higkeiten und Umstände des Fahrzeugführers nen. Das Heranfahren an Stauenden, Fahr- nicht mehr erreichbar wäre, weshalb im Wege bahnverengungen oder Veränderungen der der teleologischen Reduktion darauf verzichtet Fahrbahnbeschaffenheit infolge einer Schnee- werden könnte, diesen rechtliche Relevanz bei- decke oder einer Ölspur kann das System zwar zumessen. Ähnlich ließe sich auch für das „Be- erkennen; für die Bewältigung dieser Situation herrschen“ argumentieren, dass es nicht mehr ergeht jedoch eine Übernahmeaufforderung an darauf ankomme, dass der Fahrzeugführer das den Fahrzeugführer. Der ABC kann daher nur Fahrzeug jederzeit beherrscht. Vielmehr sei das teilweise die tatsächliche Geschwindigkeit der automatisierte System in der Lage, fast alle rele- Situation entsprechend einstellen. Nicht berück- vanten Situationen selbst zu bewältigen und in sichtigt werden auch die persönlichen Fähigkei- fast allen Situationen mit der angemessenen ten, also die Erfahrungen und der Körperzu- Geschwindigkeit zu reagieren. stand des Fahrzeugführers, die aber erst im Falle der Übernahmeaufforderung relevant wür- • Gegen eine solche Auslegung sprechen aber den. der eindeutige Wortlaut der Norm und auch das bisherige Normverständnis. Der Grundsatz der • Obwohl also bei Nutzung des ABC im automati- ständigen Beherrschbarkeit des Fahrzeugs schen Modus das Fahren mit einer vorschrift- durch den Fahrzeugführer gehört zu den tragen- gemäßen Geschwindigkeit regelmäßig gewähr- den Grundsätzen des Verkehrsrechts. Grundla- leistet ist, stellt die Benutzung eines solchen ge der Konzeption des StVO ist der eigenver- Systems bei einer reinen Wortlautauslegung antwortlich handelnde Fahrzeugführer. Eine dennoch einen Verstoß gegen die verhaltensbe- vollständige Abkehr von diesem Konzept kann zogenen Regelungen des § 3 Absatz 1 Satz 1, 2 nach der hier vertretenen Auffassung nur der und 4 StVO dar. Der Fahrzeugführer braucht bei Gesetzgeber selbst vollziehen; mindestens aber Nutzung des ABC die Verkehrslage und das wäre eine verordnungsrechtliche Klarstellung System nicht mehr ständig zu überwachen; die erforderlich, um den allgemeinen rechtsstaatli- Fahrbewegungen führt das System selbst aus. chen Geboten der Normenbestimmtheit und Selbst wenn man „Beherrschen“ in einem wei- Normenklarheit zu genügen. Andernfalls kann ten Wortsinne versteht und ständige Überwa- der Fahrzeugführer bei einer so weit vom Wort- 183 chung und Kontrolle ausreichen lässt, damit laut abweichenden Auslegung nicht mehr durch der Fahrzeugführer sein Fahrzeug im Rechts- einen Blick in die Rechtsnorm erkennen, welche sinne beherrscht, so müsste dies der Fahrzeug- Pflichten er hat, was umso schwerer wiegt, da führer bei Nutzung des ABC nur eingeschränkt: der Verstoß gegen diese Pflichten bei entspre- Der Fahrzeugführer kann sich mit anderen Din- chendem Verschulden eine Ordnungswidrigkeit gen beschäftigen. darstellt. Gleichzeitig widerspräche eine so weit • Im Wege der so genannten teleologischen vom Wortlaut entfernte Auslegung auch der Reduktion184 könnte man zu dem Ergebnis Grundidee der StVO insgesamt, durch die Auf- kommen, dass bei Nutzung des Systems kein stellung von Regeln für abstrakt gefährdendes Verstoß gegen § 3 StVO vorliegt.185 Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Verhinderung von Unfällen durch überhöhte Geschwindigkeit. Die angemessene Geschwindigkeit richtet sich auch 183 Vgl. Auslegung oben unter Kapitel 2.2. 184 nach den persönlichen Umständen des Fahr- Teleologische Reduktion einer Vorschrift bedeutet, dass die Norm entsprechend ihrem Sinn und Zweck enger als ihr zeugführers. Diese aber sind bei einem hochau- Wortlaut ausgelegt wird. Die Norm wird nicht auf alle Fälle tomatisierten System weitgehend irrelevant, angewendet, die von ihrem Wortlaut erfasst werden. denn das System erkennt alle Situationen. So- 185 Frenz, DAR 2003, 58 (60). 75

Verhalten die Verkehrssicherheit zu erhöhen.186 3.2.2.2 § 4 StVO: Abstand Es erscheint daher aus unserer Sicht ausge- Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- sprochen fraglich, ob die Gerichte (zum Beispiel führer sind oben unter Kapitel 3.1.2.2 näher be- in einem Bußgeldverfahren) durch Auslegung schrieben. und ohne gesetzliche Änderung einen solchen deutlichen Paradigmenwechsel herbeiführen würden.187 Beurteilung

• Bleibt es demnach bei dem Grundsatz, dass der • Da der ABC den Raum vor dem vorausfahren- Fahrzeugführer die Geschwindigkeit so zu den Fahrzeug nicht überwacht, dies aber für die wählen hat, dass er sein Fahrzeug jederzeit be- Wahl des angemessenen Abstands erforderlich herrscht, setzt dies voraus, dass er das Ver- ist, um einen erkennbar zu geringen Abstand kehrsgeschehen ständig beobachtet und jeder- des Vorausfahrenden durch die Wahl eines zeit korrigierend eingreifen kann.188 In Folge eigenen größeren Abstands auszugleichen,190 liegt ein Verstoß gegen § 3 Absatz 1 StVO vor, kann sich der Fahrzeugführer nicht ausschließ- wenn der Fahrzeugführer sich voll und ganz auf lich auf den ABC verlassen. Er verstieße damit das System verlässt, anderen Tätigkeiten im gegen § 4 Absatz 1 StVO. Fahrzeug nachgeht und das System seine indi- • Es könnte argumentiert werden, der Fahrzeug- viduellen Fähigkeiten und Eigenschaften bei der führer dürfe seine Konstitution und seine Fähig- Wahl der Geschwindigkeit nicht berücksichtigt, weil eine Überwachung systemtechnisch nicht keiten bei der Wahl des angemessenen Ab- vorgesehen ist.189 stands außer Acht lassen, weil diese angesichts der Möglichkeiten des ABC weitgehend irrele- • Für den Fall der Übernahme beispielsweise bei vant sind. Dies verstieße nicht gegen den Wort- Verlassen der Domäne des Systems sind zu- laut des § 4 StVO und wäre mit dem Sinn und dem nachfolgende Rahmenbedingungen zu Zweck der Norm vereinbar, Auffahrunfälle zu beachten. Für den Fall, in dem im Zeitpunkt der vermeiden, da die Berücksichtigung dieser indi- Übernahme durch den Fahrzeugführer die sys- viduellen Verhältnisse mit keinem weiteren Si- teminitiierte Geschwindigkeit höher ist, als ein cherheitsgewinn verbunden wäre. Gegen eine bestimmter Fahrzeugführer sie zu beherrschen solche Auslegung spricht jedoch aus unserer in der Lage ist, liegt eine überhöhte Geschwin- Sicht auch hier der Gesamtzusammenhang der digkeit im Sinne des § 3 StVO vor. Aufgrund der Normen der StVO als verhaltenssteuerndes sich ständig ändernden Umweltfaktoren kann Recht, die vom Grundsatz der Beherrschung dies auch der Fall sein, wenn der Fahrzeugfüh- des Fahrzeugs durch den Fahrzeugführer aus- rer zunächst eine (angemessene) Maximalge- gehen. Der Fahrzeugführer beherrscht sein schwindigkeit eingestellt hatte. Dem könnte er Fahrzeug nur, wenn er neben den objektiven nur entgehen, wenn er seine Wunschgeschwin- Umständen auch seine persönlichen Fähigkei- digkeit so niedrig ansetzen würde, dass er auch ten und seine Konstitution bei der Wahl des Ab- unter schlechtestmöglichen Verhältnissen noch stands berücksichtigt. Verlässt er sich dagegen sicher halten könnte. Dies könnte jedoch dem ausschließlich auf den ABC, verstößt er gegen Verbot des ungerechtfertigten Langsamfahrens § 4 Absatz 1 StVO. nach § 3 Absatz 2 beziehungsweise des § 1 Absatz 2 wegen einer vermeidbaren Behinde- • Fährt im Moment der Übernahme durch den rung zuwiderlaufen. Fahrzeugführer das Fahrzeug dichter hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug, als der Fahr- zeugführer aufgrund seiner persönlichen Konsti- tution und Fähigkeiten zu beherrschen in der Lage ist, wäre der Abstand zu gering und damit 186 Begründung des Bundesverkehrsministers zu Straßen- verkehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (798). ein Verstoß gegen § 4 StVO gegeben. Um dies 187 So auch Frenz, DAR 2003, 58 (60). zu vermeiden, müsste der Fahrzeugführer vorab 188 Vgl. Auslegung des Begriffs „Beherrschen“ oben unter seinen eigenen maximalen Anhalteweg in der Kapitel 2.2. ungünstigsten Situation eingeben. 189 Frenz, DAR 2003, 58 (59). 190 BGH, Urteil vom 9.12.1986, NJW 1987, 1075 (1076). 76

3.2.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: Überholen, streifen ein. Es lässt ein Vorbeifahren nur unter Vorbeifahren und Fahrstreifenwechsel den in Kapitel 3.1.2.4 genannten Voraussetzun- gen zu. Somit wäre ein Verstoß gegen das Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- Gebot des § 7 Absätze 2 und 2a StVO im auto- führer im Hinblick auf §§ 5, 6 und 7 Absatz 5 StVO matischen Fahrmodus bei ordnungsgemäßem sind unter Kapitel 3.1.2.3 näher dargelegt. Betrieb ausgeschlossen. Dagegen spricht je- Beurteilung doch der Gesamtzusammenhang der Normen der StVO als verhaltenssteuerndes Recht, die • Da Ausweichen mit Fahrstreifenwechsel nicht vom Grundsatz der Beherrschung des Fahr- systemgesteuert erfolgen soll, erübrigt sich hier zeugs durch den Fahrzeugführer ausgehen. Der eine weitere Betrachtung. Dies gilt auch hin- Fahrzeugführer beherrscht sein Fahrzeug nur, sichtlich des Verhaltens bei abgehenden Fahr- wenn er die Verkehrslage beständig beobachtet streifen, Einfädelungsstreifen und Ausfäde- und jederzeit korrigierend eingreifen kann. Ver- lungsstreifen (§ 7a StVO). lässt er sich dagegen ausschließlich auf den ABC, verstößt er gegen § 7 Absätze 2 und 2a • Einen Fahrstreifenwechsel bei Überholvorgän- StVO. gen führt das System nicht aus; dieser kann wei- terhin nur fahrerinitiiert erfolgen. Benutzt der • Stellt der ABC die Voraussetzungen für das Fahrzeugführer auf der Überholspur während Rechtsvorbeifahren fälschlich fest, so verstößt des Vorbeifahrens am Überholten bzw. an den der Fahrzeugführer gegen § 7 Absätze 2 und 2a zu Überholenden den automatischen Modus, so StVO. Der Fahrzeugführer ist Adressat der Ver- treffen ihn gleichwohl alle Sorgfaltspflichtanfor- pflichtung. Wegen des die StVO prägenden derungen im Hinblick auf den Überholvorgang, Grundsatzes der ständigen Beherrschbarkeit da das System ein ordnungsgemäßes Überho- des Fahrzeugs ist der Fahrzeugführer verpflich- len wegen der Unmöglichkeit des Fahrstreifen- tet, das Verkehrsgeschehen jederzeit umfas- wechsels nicht vorsieht. Zu diesen Sorgfalts- send zu beobachten und bei Bedarf korrigierend pflichtanforderungen gehört insbesondere auch einzugreifen192, indem er das System übersteu- die Pflicht, sich sobald wie möglich wieder ert. rechts einzuordnen (§ 5 Absatz 4 Satz 3 StVO) und die Überholspur nicht durch unzulässiges 3.2.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten des Fahr- Linksfahren zu blockieren.191 zeugführers

• Bei der Wahl der zulässigen Geschwindigkeit Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrer sind berücksichtigt der ABC die Geschwindigkeit der unter Kapitel 3.1.2.5 näher dargelegt. Fahrzeuge auf dem linken Fahrstreifen, um dem Rechtsüberholverbot zu entsprechen. Ge- Beurteilung schieht dies nicht (Fall einer Fehldetektion), kann das System vom Fahrzeugführer über- • Da der Grundsatz der jederzeitigen Beherr- steuert werden; aus rechtlicher Sicht muss er schung des Fahrzeugs auch im hochautomati- dies tun (Grundsatz der ständigen Beherr- sierten System vom Fahrzeugführer rechtlich schung). fordert, dass er jederzeit korrigierend eingreifen kann und er dafür das Verkehrsgeschehen stän- dig beobachten muss, ist die Frage der Ab- 3.2.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: Benutzung lenkung des Fahrzeugführers durch Beeinträch- von Fahrstreifen tigung von Sicht und Gehör hier ebenfalls rele- vant. Wendet sich der Fahrzeugführer anderen Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- Beschäftigungen zu und hat das Verkehrsge- führer sind oben unter Kapitel 3.1.2.4 näher schehen nicht mehr unter Kontrolle, liegt jeden- beschrieben.

Beurteilung 191 König, in: Hentschel, StVO § 5, Rn. 51. Die Wunschge- • Der ABC bezieht in die Ermittlung der zulässi- schwindigkeit wäre entsprechend zu wählen. gen Geschwindigkeit auch das Verhalten der 192 Vgl. zum Grundsatz der Beherrschbarkeit Ausführungen Verkehrsteilnehmer auf dem linken Nebenfahr- unter Kapitel 2.2. 77

falls dann ein Verstoß gegen § 23 Absatz 1 Satz Verhaltenspflichten aus § 1 StVO. Zwar könnte 1 StVO vor, wenn er zum Beispiel mit einem man im Hinblick auf die Erkennung aller rele- Laptop arbeitet (Gerät). Auch das Lesen einer vanten Verkehrssituationen durch den ABC, die Zeitung kann durch ihre Größe das Sichtfeld durch das System selbst oder durch Übernah- behindern. Ein Verstoß gegen § 23 StVO stellt meaufforderung bewältigt werden, im Wege der das Zeitunglesen gleichwohl nicht dar, da es teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis kom- sich bei ihr nicht um ein Gerät im Sinne der Vor- men, dass es dieser ständigen Überwachung schrift handelt. Dies führt freilich zu willkürlich und jederzeitigen Eingriffsbereitschaft des Fahr- wirkenden Abgrenzungen, was aber darauf zeugführers nicht mehr bedarf, um die Ver- zurückzuführen ist, dass zum Zeitpunkt der Nor- kehrssicherheit zu gewährleisten. Zu berück- mierung nicht an einen Zeitung lesenden Fahr- sichtigen bleibt allerdings, dass die StVO vom zeugführer zu denken war. Hinsichtlich der verantwortlich handelnden Fahrzeugführer aus- Anzeigen über den Systemzustand wird auf die geht. Eine Abkehr von diesem Konzept kann nur Ausführungen unter Kapitel 3.1.2.5 verwiesen. der Gesetz- respektive Verordnungsgeber selbst vollziehen. •Wegen der Pflicht zur Überprüfung der Vor- schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit wird • Das durch das System mögliche freihändige auf Kapitel 3.1.2.5 verwiesen. Fahren eines Kfz ist nach § 1 Absatz 1 StVO pflichtwidrig und bei einer dadurch verursachten •Die Ausführungen zum freihändigen Fahren Schädigung als grob fahrlässig zu bewerten. Da unter Kapitel 3.1.2.5 gelten auch für den ABC. der Fahrzeugführer stets reaktionsbereit sein muss und das Hands-off im Falle eines erforder- 3.2.2.6 § 1 StVO: Grundregel lich werdenden Eingriffs in die Lenkung (not- wendige Übersteuerung oder Übernahme) zu Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- einer Verlängerung der Reaktionszeit führen führer sind unter Kapitel 3.1.2.6 näher dargelegt. dürfte sowie die Gefahr einer „nicht situations- adäquaten Lenkbewegungen in der Übernah- Beurteilung mesituation besteht, verletzt er diese Pflicht, • Der ABC ermöglicht dem Fahrer, sich neben der wenn er von der Möglichkeit des hochautomati- Fahrt mit Nebentätigkeiten zu beschäftigen. Zu sierten Systems Gebrauch macht, beide Hände diesem Zweck gestattet es das System auch, vom Lenkrad zu nehmen. Aus unserer Sicht dass der Fahrer seine Hände vom Lenkrad dürfte es einen nicht unerheblichen Unterschied nimmt. Das System erkennt im automatischen machen, ob der Fahrer selbst lenkt und dabei Modus alle Verkehrssituationen und fordert den das Lenkrad nur geringfügig „austariert" oder ob Fahrer zur Übernahme auf, wenn er sie nicht be- er aus der automatischen Steuerung in die wältigen kann. manuelle übergeht, nachdem er längere Zeit die Hände nicht am Lenkrad hatte und daher ohne • Es ist aus unserer Sicht zweifelhaft, ob die von jegliches „Gefühl“ für die Lenkung war. § 1 StVO geforderte umfassende, eine Vielzahl von Faktoren und Eindrücken verarbeitende • An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts Leistung auch durch ein technisches System dadurch, dass im hochautomatisierten System erbracht werden kann. Eine Gefahrenabwä- kurzfristige Übernahmeaufforderungen nicht gung, welche zum Beispiel zur Inkaufnahme mehr erfolgen. Zur Beurteilung möglicher Pro- eines „kleineren“ Unfalls führen wird, ist wohl bleme in der Übernahmesituation für das Lenk- nur dem erfahrenen (menschlichen) Fahrzeug- verhalten liegen Erkenntnisse in der Rechtspre- führer möglich. Dies gilt wohl auch für eine sinn- chung nicht vor. Auf die allgemeine Lebenser- volle Anpassung der Verkehrsregeln an eine be- fahrung kann vor dem Hintergrund der gegen- stimmte Verkehrssituation, die bei starrer Befol- wärtig genutzten Fahrzeugtechnik und des gel- gung zu einer Behinderung oder Gefährdung im tenden Rechtsrahmens für die Beurteilung Sinne von § 1 Absatz 2 StVO führen würden. unseres Erachtens ebenfalls nicht zurückgegrif- fen werden. Daher könnte es sinnvoll sein, die • Ungeachtet dessen verletzt der Fahrzeugführer, Übernahmesituation unter dem Aspekt eines der das Fahrgeschehen nicht umfassend und zu Hands-off insbesondere verhaltenspsycholo- jeder Zeit überwacht und reaktionsbereit ist, die gisch genauer zu untersuchen. Aus diesen 78

Gründen kann aus unserer Sicht auch nicht zwi- Systemgrenzen dem entsprechenden Modus schen Verkehrssituationen mit erhöhter Ein- beim ABA. Diese Unterschiede wirken sich griffsbereitschaft und demzufolge der Pflicht zu jedoch nicht bei der relevanten Tathandlung, einem Hands-on und Verkehrssituationen mit sondern bei der Frage nach der Garantenstel- einer durchschnittlichen Eingriffsbereitschaft lung aus. und der Möglichkeit zu einem Hands-off unter- schieden werden, wie dies die Rechtsprechung • Soweit beim ABA eine Garantenstellung unter zur Bremsbereitschaft nahelegen könnte.193 dem Aspekt der Verantwortlichkeit für die Vor- schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des • Im Unterschied zum ABA ist der ABC in der La- Fahrzeugs und unter dem Aspekt eines vorheri- ge, drohende Kollisionen (zum Beispiel verlore- gen pflichtwidrigen Tuns dadurch, dass sich der ne Ladung eines vorausfahrenden Fahrzeugs) Fahrer nicht ausreichend mit dem System ver- rechtzeitig zu erkennen und durch ein geeigne- traut macht, bejaht wurde, gilt dies auch bei Ein- tes Fahrmanöver zu verhindern. Damit werden satz des ABC. Fraglich ist jedoch, ob sich eine Schädigungen und Gefährdungen im Sinne von Garantenstellung auch aus einem vorherigen § 1 Absatz 2 StVO vermieden. Da die StVO vom pflichtwidrigen Tun in Gestalt des sich Abwen- verantwortlich handelnden Fahrzeugführer aus- dens vom Fahrgeschehen ergibt, denn das geht, darf er sich in diesen Fällen gleichwohl System erlaubt es dem Fahrer, sich vom Fahr- nicht ausschließlich auf den ABC verlassen; geschehen abzuwenden. Wie bereits oben aus- ohne eine eigene Lagebeurteilung verletzt er geführt, ist das Sich-Abwenden jedoch nicht mit seine Pflicht aus § 1 Absatz 2 StVO. dem Grundsatz der dauernden Beherrschbar- keit und der Pflicht zur ständigen Überwachung und Reaktionsbereitschaft nach § 1 StVO zu 3.2.3 Beurteilung nach dem Recht der Verkehrsordnungswidrigkeiten vereinbaren. Der Fahrzeugführer, der sich abwendet, handelt demnach pflichtwidrig und ist Einführend ist zunächst auf Kapitel 3.1.3 zu verwei- daher auch unter diesem Gesichtspunkt Garant sen. für etwaige Verletzungen von Verhaltenspflich- ten. Beurteilung • Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter • Bezüglich eines tatbestandsrelevanten Verhal- Kapitel 3.1.3 verwiesen. Es ergeben sich keine tens des Fahrzeugführers im automatischen Abweichungen zum ABA. Modus kann auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.3 verwiesen werden. Auch beim Einsatz des ABC kommt ein Unterlassen in Form einer feh- 3.2.4 Beurteilung nach Strafrecht lenden Übersteuerung oder einer Nichtübernah- 3.2.4.1 § 315c StGB: Gefährdung des Straßen- me nach erfolgter Übernahmeaufforderung als verkehrs Tathandlung in Betracht. Der automatische Fahrmodus im ABC entspricht bis auf die Mög- Es wird auf den einleitenden Text unter Kapitel lichkeit zur Abwendung und zum Erkennen aller 3.1.4.1 verwiesen.

Beurteilung

• Wir verweisen auf die Ausführungen unter Kapi- 193 Vgl. beispielhaft OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.10.2002, tel 3.1.4.1. Unter Berücksichtigung der Aus- Az. 10 U 184/01, juris, Rn. 6, wonach ein Kfz-Mieter, der bei Dunkelheit auf der Bundesautobahn mit einer Ge- führungen zur Garantenstellung durch vorheri- schwindigkeit von 170 km/h hinter mehreren ebenfalls auf ges pflichtwidriges Tun in Gestalt des Sich- der Überholspur fahrenden Fahrzeugen her fährt, mit Abwendens unter Kapitel 3.2.3 ergeben sich plötzlichen verkehrsbedingten Bremsmanövern rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen, das heißt unter beim Einsatz des ABC keine Abweichungen anderem jederzeit bremsbereit sein muss; OLG Düs- zum ABA. seldorf, Urteil vom 22.11.194, Az. 14 U 120/91, juris, Rn. 8, wonach die nach § 3 Absatz 2a StVO vorgeschriebene • Grob verkehrswidrig im Sinne von § 1 StVO Bremsbereitschaft dort zu gewährleisten ist, wo mit der handelt der Fahrzeugführer, wenn er im Ein- Gefährdung der besonders geschützter Personen (Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen) aufgrund konkreter klang mit den Möglichkeiten des ABC das Fahr- Anhaltspunkte zu rechnen ist. geschehen nicht umfassend und zu jeder Zeit 79

überwacht und daher nicht reaktionsbereit ist. bracht hat (risikominimaler Zustand), zum Beispiel Subjektiv vorwerfbar ist das Verhalten dem nachdem der Fahrer einer intensiven Übernah- Fahrzeugführer, weil er nach der hier vertrete- meaufforderung nicht rechtzeitig Folge geleistet nen Ansicht auch bei eingeschaltetem ABC das hat. System ständig überwachen und stets eingriffs- bereit sein muss. Im Einzelnen leistet der ABP für den Fahrer Fol- gendes:

3.2.4.2 §§ 222 und 229 StGB: Fahrlässige Der Fahrer kann das System auf Autobahnen in Tötung und fahrlässige Körper- einem Geschwindigkeitsbereich von 0 km/h bis zu verletzung einer oberen Geschwindigkeitsgrenze einsetzen Es wird auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.4.2 (Domäne). An Autobahnraststätten, -tankstellen und Kapitel 3.2.3 verwiesen. Unterschiede zum und in Baustellenbereichen muss der Fahrer dage- ABA in der Beurteilung ergeben sich für den ABC gen selbst das Fahrzeug führen. Dies gilt darüber danach nicht. hinaus auf Beschleunigungs- und Verzögerungs- streifen, der Verteilerfahrbahn, Verflechtungsstre- cken, Verbindungsrampen und den Überführungs- bauwerken an Autobahnanschlussstellen, -kreuzen 3.3 Vollautomatisiertes System: und -dreiecken. Autobahn-Pilot (ABP) Der ABP übernimmt anstelle des Fahrers die Fahr- 3.3.1 Systembeschreibung aufgaben in der Domäne vollständig. Anders als die beiden zuvor beschriebenen Systeme erkennt er Aufgabe des Autobahn-Piloten (ABP) ist die Ver- alle relevanten Systemgrenzen und bewältigt diese meidung von Unfällen beziehungsweise die Min- eigenständig durch geeignete Fahrmanöver. Dies derung möglicher Unfallfolgen, die von einem betrifft beispielsweise Fahrbahnverengungen, Bau- unaufmerksamen oder abgelenkten Fahrer in stellen und Hindernisse. Der Fahrer muss lediglich monotonen Fahrsituationen verursacht werden beim Verlassen der Domäne mit einer Übernah- können. Er erhöht zudem den Komfort für den Fah- meaufforderung durch das System rechnen. rer.194 Folgt beispielsweise der Fahrer einer Übernah- Der Fahrer kann den ABP durch Einschalten akti- meaufforderung nicht, überführt der ABP das Fahr- vieren und jederzeit durch Ausschalten, einen zeug in den risikominimalen Zustand. Dies erfolgt Bremseingriff, einen starken Lenkeingriff oder Be- beim fahrenden Fahrzeug durch dessen moderate schleunigung über die obere Geschwindigkeits- Verzögerung bis zum Stillstand. Dabei werden au- grenze hinaus (zum Beispiel durch Kick-down) tomatisch die Warnblinker aktiviert. Wenn die Ver- übersteuern (deaktivieren). Er kann bei eingeschal- kehrslage (zum Beispiel geringes Verkehrsaufkom- tetem System (automatischer Fahrmodus) nahezu men) oder der Systemzustand (zum Beispiel keine jede „Nebentätigkeit“ jenseits des Fahrens durch- relevanten Systemfehler, Umfelderfassung mit führen, denn er muss das System im automati- hoher Güte) es gestatten, wird das Fahrzeug durch schen Fahrmodus nicht überwachen: Der ABP er- ein oder mehrere Fahrstreifenwechsel auf den Sei- kennt alle relevanten Situationen und bewältigt sie tenstreifen gelenkt und dort zum Stillstand ge- eigenständig. Dem entsprechend wird der automa- bracht. Ist das Risiko dieses Fahrmanövers größer tische Fahrmodus erst dann beendet, wenn der als das Risiko der Verzögerung auf dem aktuellen Fahrer die Fahrzeugführung wieder übernommen Fahrstreifen, dann verbleibt das Fahrzeug auf dem hat oder der ABP das Fahrzeug zum Stehen ge- aktuellen Fahrstreifen und wird dort zum Stillstand gebracht. Im Stillstand wird automatisch die elektri- sche Parkbremse aktiviert. Steht das Fahrzeug be- reits, erfolgt die Überführung in den risikominimalen 194 Bartels, System-Spezifikationen, in diesem Band, Do- kumentteil 2. Vgl. auch für Fahrzeuge, die, wie die hier Zustand dadurch, dass das Wiederanfahren unter- beschriebenen Systeme, die Umgebung des Fahrzeugs bleibt und die elektrische Parkbremse aktiviert wird. wahrnehmen, dabei das Fahrzeug stabil auf der Straße Der Fahrer kann die Überführung in den risikomini- halten und zugleich der aktuellen Verkehrsituation ange- messene Fahrmanöver ausführen (autonomes Fahren), malen Zustand jederzeit übersteuern; er kann die Kammel, in: Winner/Hakuli/Wolf, S. 657. elektrische Parkbremse lösen. 80

3.3.2 Beurteilung nach der StVO schwindigkeitsbegrenzungen auch die Beach- tung objektiver Umweltkomponenten wie Sicht- Adressat der Verhaltenspflichten nach der StVO ist weiten, Wind oder Fahrbahnbeschaffenheit. Es der Fahrzeugführer. Betrachtet man die Möglichkei- ermittelt permanent die tatsächliche Geschwin- ten des ABP, so könnte der Mensch (Fahrer) bei digkeit und passt diese den vorgenannten Be- seinem Einsatz nicht mehr als Fahrzeugführer im dingungen an. Damit wären – außer im Falle Sinne der Definition unter Kapitel 2.2 angesehen eines Systemfehlers – überhöhte Geschwindig- werden. Der ABP übernimmt im automatischen keiten praktisch ausgeschlossen, denn die per- Fahrmodus die anstehenden Fahraufgaben umfas- sönlichen Fähigkeiten, also die Erfahrungen und send. Er erkennt und bewältigt eigenständig alle der Körperzustand des Fahrzeugführers, wären Verkehrssituationen. Eine Übernahmeaufforderung nicht mehr relevant für die Wahl der Geschwin- ergeht nur bei Erreichen des Domänenendes. Der digkeit. Fahrer darf sich vollständig vom Fahrgeschehen abwenden und anderen Beschäftigungen widmen. • Der Fahrzeugführer braucht aus Sicht des ABP Er hat also das Verkehrgeschehen und das System das Verkehrsgeschehen und die Umweltbedin- nicht mehr ständig im Blick und kann nicht jederzeit gungen nicht mehr zu überwachen. Er braucht reagieren. Somit beherrscht er das Fahrzeug auch weder die Fahrbewegungen selbst ausführen, nicht mehr ständig im Sinne von „es unter Kontrol- noch muss er das System ständig überwachen. le haben“. Wie bereits dargelegt, kann jedoch das Selbst wenn man „Beherrschen“ in einem wei- System nicht Fahrzeugführer sein. Eine solche ten Wortsinne versteht, der ständige Überwa- Auslegung wäre weder mit dem Wortlaut noch mit chung und Kontrolle ausreichen lässt,197 müss- Sinn und Zweck der StVO zu vereinbaren. Ein te der Fahrzeugführer aus Sicht des Systems Fahrzeug führen im Sinne von leiten, lenken, bewe- nicht einmal das: Er kann sich abwenden und gen, beaufsichtigen und kontrollieren kann nur der mit anderen Dingen beschäftigen, während das Mensch. Dies entspricht auch dem Grundgedanken System in der Lage ist, unter allen Umständen der StVO, wonach das Fahrzeug von einem Men- mit der (unter Absehung von den persönlichen schen gelenkt wird, ein Mensch also Führer des Fähigkeiten und dem Zustand des Fahrzeugfüh- Fahrzeugs ist. Als sachlich begrenztes Ordnungs- rers) zulässigen Geschwindigkeit zu fahren. recht dient die StVO der Abwehr der typischerwei- se vom Straßenverkehr ausgehenden Gefahren.195 • Obwohl also durch die technischen Systeme im In diesem Sinne verpflichtet diese durch Gebote automatischen Modus ein Fahren mit einer vor- und Verbote den Fahrzeugführer, besonders unfall- schriftgemäßen Geschwindigkeit gewährleistet trächtiges Verhalten zu vermeiden.196 Es handelt ist, stellt die Benutzung eines solchen Systems sich – wie ausgeführt – um Verhaltensrecht, dem bei einer reinen Wortlautauslegung einen Ver- nur ein Mensch entsprechen oder gegen das nur stoß gegen die verhaltensbezogene Regelung ein Mensch verstoßen kann. Wollte man eine aus § 3 Absatz 1 Satz 1, 2 und 4 StVO dar. Abkehr vom Leitbild des Menschen als verantwort- • Im Wege der so genannten teleologischen lichem Fahrzeugführer, würde dies eine Änderung Reduktion198 könnte man zu dem Ergebnis der StVO erfordern. Aus diesen Gründen bleibt kommen, dass bei Nutzung des Systems kein auch bei Einsatz des ABP der Fahrzeugführer Verstoß gegen § 3 StVO vorliegt.199 Sinn und Adressat der Pflichten aus der StVO. Er kann die- Zweck der Vorschrift ist die Verhinderung von sen Pflichten auch entsprechen, denn der ABP ist Unfällen durch überhöhte Geschwindigkeit. Die jederzeit vom Fahrer übersteuerbar. angemessene Geschwindigkeit richtet sich auch

3.3.2.1 § 3 StVO: Geschwindigkeit 195 König, in: Hentschel, Einleitung, Rn. 6. Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- 196 Begründung des Bundesverkehrsministers zur Straßenver- führer sind oben unter Kapitel 3.1.2.1 näher kehrsordnung, VkBl. 1970, 797 (798). beschrieben. 197 Vgl. Auslegung oben unter Kapitel 2.2. 198 Teleologische Reduktion einer Vorschrift bedeutet, dass die Beurteilung Norm entsprechend ihrem Sinn und Zweck enger als ihr Wortlaut ausgelegt wird. Die Norm wird nicht auf alle Fälle • Das System umfasst neben der Einhaltung der angewendet, die von ihrem Wortlaut erfasst werden. durch Verkehrszeichen angeordneten Ge- 199 Frenz, DAR 2003, 58 (60). 81

nach den persönlichen Umständen des Fahr- die Verkehrssicherheit zu erhöhen.200 Es zeugführers. Diese aber sind bei einem vollau- erscheint daher aus unserer Sicht ausgespro- tomatisierten System der vorliegenden Art irrele- chen fraglich, ob die Gerichte (zum Beispiel in vant, denn das System erkennt und bewältigt einem Bußgeldverfahren) durch Auslegung und alle Situationen eigenständig, weshalb sich der ohne gesetzliche Änderung einen solchen deut- Fahrer im automatischen Modus dauerhaft lichen Paradigmenwechsel vollziehen wür- abwenden darf. Es könnte daher vertreten wer- den.201 den, dass ein „Mehr“ an Sicherheit durch die Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten • Bleibt es demnach bei dem Grundsatz, dass der und Umstände des Fahrzeugführers nicht mehr Fahrzeugführer die Geschwindigkeit so zu wäh- erreichbar wäre, weshalb im Wege der teleolo- len hat, dass er sein Fahrzeug jederzeit be- gischen Reduktion darauf verzichtet werden herrscht, setzt dies voraus, dass er das Ver- könnte, diesen rechtliche Relevanz beizumes- kehrsgeschehen ständig beobachtet und jeder- 202 sen. Ähnlich ließe sich auch für das „Beherr- zeit korrigierend eingreifen kann. In Folge schen“ argumentieren, dass es nicht mehr da- liegt ein Verstoß gegen § 3 Absatz 1 StVO vor, rauf ankomme, dass der Fahrzeugführer das wenn der Fahrzeugführer sich voll und ganz auf Fahrzeug jederzeit beherrscht. Vielmehr sei das das System verlässt und anderen Tätigkeiten im System in der Lage, alle relevanten Situationen Fahrzeug nachgeht und seine individuellen Fä- selbst zu bewältigen und in allen Situationen mit higkeiten und Eigenschaften bei der Wahl der der angemessenen Geschwindigkeit zu fahren. Geschwindigkeit nicht berücksichtigt werden, weil eine Überwachung systemtechnisch nicht • Gegen eine solche Auslegung sprechen aber vorgesehen ist.203 der eindeutige Wortlaut der Norm und auch das bisherige Normverständnis. Der Grundsatz der • Für den Fall der Übernahme bei Verlassen der ständigen Beherrschbarkeit des Fahrzeugs Domäne des Systems sind zudem nachfolgende durch den Fahrzeugführer gehört zu den tragen- Rahmenbedingungen zu beachten. Für den Fall, den Grundsätzen des Verkehrsrechts. Grundla- in dem im Zeitpunkt der Übernahme durch den ge der Konzeption der StVO ist der eigenverant- Fahrzeugführer die systeminitiierte Geschwin- wortlich handelnde Fahrzeugführer. Eine voll- digkeit höher ist, als ein bestimmter Fahrzeug- ständige Abkehr von diesem Konzept kann nach führer zu beherrschen in der Lage ist, liegt eine der hier vertretenen Auffassung nur der Gesetz- überhöhte Geschwindigkeit im Sinne des § 3 geber selbst vollziehen; mindestens aber wäre StVO vor. Aufgrund der sich ständig ändernden eine verordnungsrechtliche Klarstellung erfor- Umweltfaktoren kann dies auch der Fall sein, derlich, um den allgemeinen rechtsstaatlichen wenn der Fahrzeugführer zunächst eine (ange- Geboten der Normenbestimmtheit und Normen- messene) Maximalgeschwindigkeit eingestellt klarheit zu genügen. Andernfalls kann der Fahr- hatte. Dem könnte er nur entgehen, wenn er sei- zeugführer bei einer so weit vom Wortlaut ab- ne Wunschgeschwindigkeit so niedrig ansetzen weichenden Auslegung nicht mehr durch einen würde, dass er auch unter schlechtestmöglichen Blick in die Rechtsnorm erkennen, welche Pfli- Verhältnissen noch sicher halten könnte. Dies chten er hat, was umso schwerer wiegt, da der könnte jedoch dem Verbot des ungerechtfertig- Verstoß gegen diese Pflichten bei entsprechen- ten Langsamfahrens nach § 3 Absatz 2 bezie- dem Verschulden eine Ordnungswidrigkeit dar- hungsweise des § 1 Absatz 2 wegen der ver- stellt. Gleichzeitig widerspräche eine soweit vom meidbaren Behinderung zuwiderlaufen. Wortlaut entfernte Auslegung auch der Grund- idee der StVO insgesamt, durch die Aufstellung von Regeln für abstrakt gefährdendes Verhalten 3.3.2.2 § 4 StVO: Abstand Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- führer sind oben unter Kapitel 3.1.2.3 näher 200 Begründung des Bundesverkehrsministers zu Straßen- beschrieben. verkehrsordnung , VkBl. 1970, 797 (798). 201 So auch Frenz, DAR 2003, 58 (60). Beurteilung 202 Vgl. Auslegung des Begriffs „Beherrschen“ oben unter Kapitel 2.2. • Da der ABP den Raum vor dem vorausfahren- 203 Frenz, DAR 2003, 58 (59). den Fahrzeug nicht überwacht, dies aber für die 82

Wahl eines angemessenen Abstands erforder- 3.3.2.3 §§ 5, 6 und 7 Abs. 5 StVO: Überholen, lich ist, um einen erkennbar zu geringen Vorbeifahren und Fahrstreifenwechsel Abstand des Vorausfahrenden durch einen eige- Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- nen größeren Abstand auszugleichen,204 kann führer im Hinblick auf §§ 5, 6 und 7 Absatz 5 sind sich der Fahrzeugführer nicht ausschließlich auf unter Kapitel 3.1.2.4 näher dargelegt. den ABP verlassen. Er verstieße damit gegen § 4 Absatz 1 StVO. Im Übrigen erfasst der ABP Beurteilung das vorausfahrende Fahrzeug und reguliert den Abstand selbsttätig. Auf die individuellen Fähig- • Einen Fahrstreifenwechsel bei Überholvorgän- keiten und den Zustand des Fahrzeugführers, gen führt das System nicht aus; dieser kann wei- wie von der Rechtsprechung entwickelt,205 terhin nur fahrerinitiiert erfolgen. Benutzt der kommt es aus „Sicht“ des Systems bei der Re- Fahrzeugführer auf der Überholspur während gulierung des Abstands nicht an. des Vorbeifahrens am Überholten bzw. an den zu Überholenden den automatischen Modus, so • Es könnte argumentiert werden, der Fahrzeug- treffen ihn gleichwohl alle Sorgfaltspflichtanfor- führer dürfe seine Konstitution und seine Fähig- derungen im Hinblick auf den Überholvorgang, keiten bei der Wahl des angemessenen Ab- da das System ein ordnungsgemäßes Überho- stands außer Acht lassen, weil diese angesichts len wegen der Unmöglichkeit des Fahrstreifen- der Möglichkeiten des ABP irrelevant sind. Dies wechsels nicht vorsieht. Zu diesen Sorgfalts- verstieße nicht gegen den Wortlaut des § 4 pflichtanforderungen gehört insbesondere auch StVO und wäre auch mit dem Sinn und Zweck die Pflicht, sich sobald wie möglich wieder der Norm vereinbar, Auffahrunfälle zu vermei- rechts einzuordnen (§ 5 Absatz 4 Satz 3 StVO) den, da die Berücksichtigung dieser individuel- und die Überholspur nicht durch unzulässiges len Verhältnisse mit keinem weiteren Sicher- Linksfahren zu blockieren.206 heitsgewinn verbunden wäre. Gegen eine solche Auslegung spricht jedoch aus unserer • Eine weitere Betrachtung im Hinblick auf das Sicht auch hier der Gesamtzusammenhang der Verhalten bei abgehenden Fahrstreifen, Einfä- Normen der StVO als verhaltenssteuerndes delungsstreifen und Ausfädelungsstreifen (§ 7a Recht, die vom Grundsatz der Beherrschung StVO) kann unterbleiben, da Fahrstreifenwech- des Fahrzeugs durch den Fahrzeugführer aus- sel zu diesem Zweck nicht systemgesteuert gehen. Der Fahrzeugführer beherrscht sein erfolgen. Fahrzeug nur, wenn er neben den objektiven • Bei der Wahl der zulässigen Geschwindigkeit Umständen auch seine persönliche Fähigkeiten berücksichtigt der ABP die Geschwindigkeit der und seine Konstitution bei der Wahl des Fahrzeuge auf dem linken Fahrstreifen, um dem Abstands berücksichtigt. Verlässt er sich dage- Rechtsüberholverbot zu entsprechen. Ge- gen ausschließlich auf den ABP, verstößt er schieht dies nicht (Fall einer Fehldetektion), gegen § 4 Absatz 1 StVO. kann das System vom Fahrzeugführer über- • Fährt im Moment der Übernahme durch den steuert werden; aus rechtlicher Sicht muss er Fahrzeugführer das Fahrzeug dichter hinter dies tun (Grundsatz der ständigen Beherr- dem vorausfahrenden Fahrzeug, als der Fahr- schung). zeugführer aufgrund seiner persönlichen Konsti- •Wenn der Fahrzeugführer einer Übernahmeauf- tution und Fähigkeiten zu beherrschen in der forderung keine Folge leistet, wird seitens des Lage ist, wäre der Abstand zu gering und damit Systems ein risikominimaler Zustand herbeige- ein Verstoß gegen § 4 StVO gegeben. führt. Hierzu führt der ABP, wenn es die Ver- kehrslage (geringes Verkehrsaufkommen) und der Systemzustand (keine Systemfehler, Umfeld- erfassung mit hoher Güte) erlauben, Fahrstrei- fenwechsel durch, um das Fahrzeug auf dem

204 BGH, Urteil vom 9.12.1986, NJW 1987, 1075 (1076). Seitenstreifen in den risikominimalen Zustand 205 Vgl. oben Kapitel 3.1.2.2. (stehendes Fahrzeug) zu versetzen. Auch bei 206 König, in: Hentschel, StVO § 5, Rn. 51. Die Wunschge- einer Ausführung des Manövers entsprechend schwindigkeit wäre entsprechend zu wählen. den Vorschriften der StVO (keine Gefährdung 83

Dritter, Anzeige des Manövers) bleibt es dabei, und bei Bedarf korrigierend einzugreifen,207 dass den Fahrzeugführer wegen des Grundsat- indem er das System übersteuert. zes der ständigen Beherrschung des Fahrzeugs die Sorgfaltsanforderungen der Vorschrift tref- fen. Verlässt er sich ausschließlich auf das Sys- 3.3.2.5 § 23 StVO: Sonstige Pflichten des tem, verstößt er gegen § 7 Absatz 5 StVO. Fahrzeugführers

Unter Umständen kann er den Anforderungen Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- der StVO nicht gerecht werden, weil der Grund führer sind unter Kapitel 3.1.2.5 näher dargelegt. für die Nichtbefolgung der Übernahmeaufforde- rung die Bewusstlosigkeit oder eine sonstige Beurteilung physiologische Störung des Fahrzeugführers ist. • Da der Grundsatz des Beherrschens des Fahr- In diesem Fall treffen den Fahrzeugführer keine zeugs nach der hier vertretenen Auffassung Verhaltenspflichten nach der StVO. auch im vollautomatischen Modus vom Fahr- zeugführer rechtlich fordert, dass er jederzeit korrigierend eingreifen kann und er dafür das 3.3.2.4 § 7 Absatz 2 und 2a StVO: Benutzung Verkehrsgeschehen ständig beobachten muss, von Fahrstreifen ist die Frage der Ablenkung des Fahrzeugfüh- Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- rers durch Beeinträchtigung von Sicht und Ge- führer sind oben unter Kapitel 3.1.2.4 näher hör hier relevant. Wendet sich der Fahrzeugfüh- beschrieben. rer anderen Beschäftigungen zu und hat das Verkehrsgeschehen nicht mehr unter Kontrolle, Beurteilung liegt jedenfalls dann ein Verstoß gegen § 23 Absatz 1 Satz 1 StVO vor, wenn er zum Beispiel • Der ABP bezieht in die Ermittlung der zulässigen mit einem Laptop arbeitet (Gerät). Auch das Geschwindigkeit auch das Verhalten der Ver- Lesen einer Zeitung kann durch ihre Größe das kehrsteilnehmer auf dem linken Fahrstreifen ein. Sichtfeld behindern. Ein Verstoß gegen § 23 Das System erkennt alle relevanten Situationen StVO stellt das Zeitunglesen gleichwohl nicht und bewältigt diese eigenständig. Es lässt ein dar, da es sich bei ihr nicht um ein Gerät im Vorbeifahren rechts nur unter den in Kapitel Sinne der Vorschrift handelt. Dies führt freilich 3.1.2.4 genannten Voraussetzungen zu. Somit zu willkürlich wirkenden Abgrenzungen, was wäre aus „Systemsicht“ ein Verstoß gegen das aber darauf zurückzuführen ist, dass zum Zeit- Gebot des § 7 Absätze 2 und 2a StVO im auto- punkt der Normierung nicht an einen Zeitung matischen Fahrmodus bei ordnungsgemäßem lesenden Fahrzeugführer zu denken war. Hin- Betrieb ausgeschlossen. Der Fahrzeugführer sichtlich der Anzeigen über den Systemzustand kann sich gleichwohl nicht ausschließlich auf wird auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.2.5 den ABP verlassen. Dagegen spricht der Ge- verwiesen. samtzusammenhang der Normen der StVO als verhaltenssteuerndes Recht, die vom Grundsatz •Wegen der Pflicht zur Überprüfung der Vor- der Beherrschung des Fahrzeugs durch den schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit wird Fahrzeugführer ausgehen. Der Fahrzeugführer auf Kapitel 3.1.2.5 verwiesen. beherrscht sein Fahrzeug nur, wenn er die Ver- kehrslage beständig beobachtet und jederzeit •Die Ausführungen zum freihändigen Fahren korrigierend eingreifen kann. Sonst verstößt er unter Kapitel 3.1.2.5 gelten auch für den ABC. gegen § 7 Absätze 2 und 2a StVO.

• Stellt der ABP die Voraussetzungen für das 3.3.2.6 § 1 StVO: Grundregel Rechtsvorbeifahren fälschlich fest, so verstößt Die rechtlichen Anforderungen an den Fahrzeug- der Fahrzeugführer gegen § 7 Absätze 2 und 2a führer sind unter Kapitel 3.1.2.6 näher dargelegt. StVO. Der Fahrzeugführer ist Adressat der Ver- pflichtung. Wegen des die StVO prägenden Grundsatzes der ständigen Beherrschbarkeit des Fahrzeugs ist er verpflichtet, das Verkehrs- 207 Vgl. zum Grundsatz der Beherrschbarkeit Ausführungen geschehen jederzeit umfassend zu beobachten oben unter Kapitel 2.2. 84

Beurteilung durch verursachten Schädigung als grob fahr- lässig zu bewerten. Da der Fahrzeugführer stets • Der ABP ermöglicht dem Fahrer die längerfristi- reaktionsbereit sein muss und das Hands-off im ge Beschäftigung mit anderen Dingen als dem Falle eines erforderlich werdenden Eingriffs in Fahren. Zu diesem Zweck gestattet es das die Lenkung (notwendige Übersteuerung oder System auch, dass der Fahrer seine Hände Übernahme) zu einer Verlängerung der Reakti- vom Lenkrad nimmt. Das System erkennt und onszeit führen dürfte sowie die Gefahr einer bewältigt im automatischen Modus alle Ver- nicht situationsadäquaten Lenkbewegungen im kehrssituationen und überführt das Fahrzeug Falle einer Übernahme besteht, verletzt er unse- bei Nichtbefolgung der Übernahmeaufforderung res Erachtens eben diese Pflicht, wenn er von in den risikominimalen Zustand (stehendes der Möglichkeit des vollautomatisierten Systems Fahrzeug). Gebrauch macht, beide Hände vom Lenkrad zu • Es ist nach unserer Kenntnis bereits zweifelhaft, nehmen. Aus unserer Sicht dürfte es einen nicht ob die von § 1 StVO geforderte umfassende, unerheblichen Unterschied machen, ob der Fah- eine Vielzahl von Faktoren und Eindrücken ver- rer selbst lenkt und dabei das Lenkrad nur arbeitende menschliche Leistung auch durch ein geringfügig „austariert" oder ob er, insbesonde- technisches System erbracht werden kann. Eine re in einer Überraschungssituation, aus der au- umfassende Gefahrenabwägung, welche zum tomatischen Steuerung in die manuelle über- Beispiel zur Inkaufnahme eines „kleineren“ geht, nachdem er längere Zeit die Hände nicht Unfalls führen könnte, ist nach unserer Ein- am Lenkrad hatte und daher ohne jegliches „Ge- schätzung bisher nur dem erfahrenen (mensch- fühl“ für die Lenkung war. lichen) Fahrzeugführer möglich. Dies gilt wohl • An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts auch für eine sinnvolle Anpassung der Ver- dadurch, dass im vollautomatisierten System kehrsregeln an eine bestimmte Verkehrssituati- eine Übernahme nur noch beim Verlassen der on, die bei starrer Befolgung zu einer Behinde- Domäne erforderlich ist und das System den rung oder Gefährdung im Sinne von § 1 Absatz Fahrer hierzu mit ausreichender Zeitreserve auf- 2 StVO führen würden. fordert. Zur Beurteilung möglicher Probleme in • Ungeachtet dessen verletzt ein Fahrzeugführer, der Übernahmesituation für das Lenkverhalten der das Fahrgeschehen nicht umfassend und zu liegen Erkenntnisse in der Rechtsprechung nicht jeder Zeit überwacht und reaktionsbereit ist, die vor. Auf die allgemeine Lebenserfahrung kann Verhaltenspflichten aus § 1 StVO. Zwar könnte vor dem Hintergrund der gegenwärtig genutzten man im Hinblick auf die vollumfängliche Bewälti- Fahrzeugtechnik und des geltenden Rechtsrah- gung aller Verkehrssituationen durch den ABP mens für die Beurteilung unseres Erachtens im Wege der teleologischen Reduktion zu dem ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Daher Ergebnis kommen, dass es dieser ständigen könnte es sinnvoll sein, die Übernahmesituation Überwachung und jederzeitigen Eingriffsbereit- unter dem Aspekt eines Hands-off insbesondere schaft des Fahrzeugführers bei entsprechender verhaltenspsychologisch genauer zu untersu- Systemgestaltung nicht mehr bedarf, um die chen. Aus diesen Gründen kann aus unserer Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Zu berück- Sicht auch nicht zwischen Verkehrssituationen sichtigen bleibt allerdings, dass die StVO vom mit erhöhter Eingriffsbereitschaft und demzufol- verantwortlich handelnden Fahrzeugführer aus- ge der Pflicht zu einem Hands-on und Verkehrs- geht. Eine Abkehr von diesem Konzept kann nur situationen mit einer durchschnittlichen Ein- der Gesetzgeber selbst vollziehen. Mindestens griffsbereitschaft und der Möglichkeit zu einem wäre eine verordnungsrechtliche Klarstellung Hands-off unterschieden werden, wie dies die erforderlich.208 Rechtsprechung zur Bremsbereitschaft nahe- legen könnte. • Das freihändige Fahren eines Kfz ist nach § 1 Absatz 1 StVO pflichtwidrig und bei einer da- 3.3.3 Beurteilung nach dem Recht der Verkehrsordnungswidrigkeiten

Einführend wird zunächst auf Kapitel 3.1.3 verwie- 208 Vgl. Ausführungen unter Kapitel 3.3.2.1. sen. 85

Beurteilung rungen zur Garantenstellung durch vorheriges pflichtwidriges Tun in Gestalt des Sich-Abwen- • Bezüglich eines tatbestandsrelevanten Verhal- dens unter Kapitel 3.3.3 ergeben sich beim Ein- tens des Fahrzeugführers im automatischen satz des ABP keine Abweichungen zum ABA. Modus kann auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.3 verwiesen werden. Auch beim Einsatz des • Grob verkehrswidrig im Sinne von § 1 StVO ABP kommt ein Unterlassen in Form einer feh- handelt der Fahrzeugführer, wenn er im Ein- lenden Übersteuerung oder einer Nichtübernah- klang mit den Möglichkeiten des ABP das Fahr- me nach erfolgter Übernahmeaufforderung als geschehen nicht umfassend und zu jeder Zeit Tathandlung in Betracht. Der automatische überwacht und daher nicht reaktionsbereit ist. Fahrmodus im ABP entspricht bis auf die Mög- Subjektiv vorwerfbar ist das Verhalten dem lichkeit zur dauerhaften Abwendung und zum Fahrzeugführer, weil er nach der hier vertrete- Erkennen und Bewältigen aller Systemgrenzen nen Ansicht auch bei eingeschaltetem ABP das dem entsprechenden Modus beim ABA. Diese System ständig überwachen und stets eingriffs- Unterschiede wirken sich nicht bei der relevan- bereit sein muss. ten Tathandlung, sondern bei der Frage nach der Garantenstellung aus. 3.3.4.2 §§ 222 und 229 StGB • Soweit beim ABA eine Garantenstellung unter dem Aspekt der Verantwortlichkeit für die Vor- Es wird auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.4.2 schriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des und Kapitel 3.3.3 verwiesen. Unterschiede zum Fahrzeugs und unter dem Aspekt eines vorheri- ABA in der Beurteilung ergeben sich für den ABP gen pflichtwidrigen Tuns dadurch, dass sich der danach nicht. Fahrzeugführer nicht ausreichend mit dem Sys- tem vertraut macht, bejaht wurde, gilt dies auch bei Einsatz des ABP. Fraglich ist jedoch, ob sich 3.4 Sonderfall der Vollautomatisie- eine solche Garantenstellung auch durch ein rung – der Nothalte-Assistent vorheriges pflichtwidriges Tun in Gestalt des sich Abwendens vom Fahrgeschehen ergibt, 3.4.1 Systembeschreibung denn das System erlaubt es dem Fahrer, sich vom Fahrgeschehen dauerhaft abzuwenden. Aufgabe des Nothalte-Assistenten ist es, Unfälle Wie bereits oben ausgeführt, ist das Sich- bei physiologisch bedingtem Kontrollverlust des Abwenden jedoch nicht mit dem Grundsatz der Fahrers (zum Beispiel infolge eines Insulinschocks, dauernden Beherrschbarkeit und der Pflicht zur eines Schlaganfalls, bei Herzinfarkt oder einer Ohn- ständigen Überwachung und Reaktionsbereit- macht) durch ein vollautomatisches Herunterbrem- schaft nach § 1 StVO zu vereinbaren. Der Fahr- sen des Fahrzeugs in den Stillstand zu vermeiden zeugführer, der sich abwendet, handelt dem- oder deren Folgen zu mindern. Das System über- nach pflichtwidrig und ist daher auch unter die- nimmt in diesem definierten Anwendungsfall die sem Gesichtspunkt Garant für etwaige Verlet- Quer- und Längsführung des Fahrzeugs vollstän- zungen von Verhaltenspflichten. dig. Der Fahrer muss das System dabei nicht über- wachen. • Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.3 verwiesen. Es ergeben sich keine Der Fahrer kann das System bei Fahrtantritt oder Abweichungen zum ABA. später über einen Taster ein- und ausschalten. Auf der Autobahn schaltet sich der Nothalte-Assistent selbstständig aktiv und wechselt im Falle eines phy- 3.3.4 Beurteilung nach Strafrecht siologisch bedingten Kontrollverlustes des Fahrers 3.3.4.1 § 315c StGB (Notsituation) ohne ein weiteres Eingreifen in den vollautomatischen Fahrmodus. Fährt der Fahrer Es wird auf den einleitenden Text unter Kapitel nicht auf der Autobahn oder fährt er schneller als 3.1.4.1 verwiesen. der maximal für das System mögliche Geschwin- digkeitsbereich, befindet er sich jenseits der Sys- Beurteilung temgrenzen und das System schaltet automatisch • Wir verweisen auf die Ausführungen unter Kapi- passiv. Der Fahrer muss den Nothalte-Assistenten tel 3.1.4.1 Unter Berücksichtigung der Ausfüh- angesichts seiner Funktion nicht überwachen. Er 86

kann das Nothaltemanöver jederzeit mit Hilfe des funk einen automatischen Notruf ab. Bei stehen- Ein-/Austasters, eines Bremseingriffs, durch voll- dem Fahrzeug, zum Beispiel im Stau, unterbleibt ständiges Heruntertreten des Fahrpedals oder das Wiederanfahren. Im Stillstand kann er jederzeit einen starken Lenkeingriffs abbrechen, also über- die elektrische Parkbremse lösen. steuern. Kurz vor und während des Nothaltemanövers sowie Der Fahrer wird über den aktuellen Systemzustand nach seinem Abschluss (Fahrzeugstillstand) wird (Ein, Aus, Passiv, Aktiv) durch ein Symbol infor- der Fahrer fortwährend zu Übernahme der Fahr- miert. Zudem signalisiert der Nothalte-Assistent aufgabe aufgefordert. dem Fahrer eskalierend optisch, akustisch oder haptisch das bevorstehende Nothaltemanöver. Im vollautomatischen Fahrmodus erkennt der Nothalte-Assistent, wenn ein vorausfahrendes Im Einzelnen leistet das System für den Fahrer Fol- Fahrzeug plötzlich und stark verzögert; die Kollision gendes: wird durch ein geeignetes Bremsmanöver vermie- den oder die Unfallfolgen im Falle der Unvermeid- Der Fahrer kann den Nothalte-Assistenten auf barkeit vermindert. Der Nothalte-Assistent kann Autobahnen in einem Geschwindigkeitsbereich von außerdem Hindernisse auf dem eigenen Fahrstrei- 0 km/h bis zu einer oberen Geschwindigkeitsgren- fen oder einen gefährlichen Einscherer erkennen; ze (Domäne) einsetzen. Die Funktionen des Not- in diesem Falle versucht das System den Unfall halte-Assistenten stehen dem Fahrer dagegen durch Bremsen und ein Ausweichmanöver im eige- nicht im Bereich von Autobahnraststätten, -tankstel- nen Fahrstreifen zu vermeiden oder die Unfallfol- len und in Baustellenbereichen sowie nicht auf gen zu vermindern. Ausweichmanöver mit Fahr- Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen, der streifenwechsel unterbleiben. Verteilerfahrbahn, Verflechtungsstrecken, Verbin- dungsrampen und den Überführungsbauwerken an Sind Fahrstreifenmarkierungslinien nicht sichtbar, Autobahnanschlussstellen, -kreuzen und -drei- fehlt ein hochgenaues DGPS oder fährt das Auto ecken zur Verfügung. in einen Baustellenbereich ein, ist eine fahrstrei- fenmittezentrierte Fahrzeugführung nicht möglich. Über biometrische Sensoren oder eine Kamera Hier kann das Herunterbremsen des Fahrzeugs beziehungsweise indirekt über das geänderte Fahr- zu einem unkontrollierten Verlassen des Fahrstrei- verhalten des Fahrers erkennt der Nothalte- fens führen. Automatische Ausweichmanöver mit Assistent eine Notsituation und wechselt in den Fahrstreifenwechsel führt das System nicht durch; vollautomatischen Modus. Er übernimmt für den bei plötzlich auftretenden Hindernissen (zum Bei- Fahrer die Quer- und Längsführung des Fahrzeugs. spiel Ladung verloren, Tiere auf der Fahrbahn) wird Der Nothalte-Assistent wählt und hält einen ange- das Fahrzeug vermutlich mit dem Hindernis kolli- messenen Abstand zum vorausfahrenden Fahr- dieren. zeug und führt das Fahrzeug in der Mitte des aktu- ellen Fahrstreifens. Anschließend bringt er das Die Sensoren des Nothalte-Assistenten erkennen Fahrzeug zum Stehen (risikominimaler Zustand). voraussichtlich auch einen eingeschlafenen Fahrer. Das Nothaltemanöver kann vom durch die Über- Die Überführung in den risikominimalen Zustand nahmeaufforderung alarmierten Fahrzeugführer erfolgt durch moderates Verzögern. Bei geeigneter jederzeit abgebrochen werden. Erfolgt keine Über- Verkehrslage (geringes Verkehrsaufkommen) und nahme, wird das Fahrzeug in den Stillstand herun- in entsprechendem Systemzustand (keine relevan- tergebremst. ten Systemfehler, Umfelderfassung mit hoher Güte) wird das Fahrzeug durch einen oder mehrere Fahr- Das Erkennen der Notsituation ist mit Unsicherhei- streifenwechsel auf den Seitenstreifen gelenkt und ten behaftet: Das System könnte eine eingetretene dort zum Stillstand gebracht. Ist das Risiko dieses Notsituation nicht erkennen; der Nothalte-Assistent Fahrmanövers größer als das Risiko der Verzöge- kann aber auch irrtümlich aktiviert werden. In letz- rung auf dem aktuellen Fahrstreifen, dann verbleibt terem Falle ist eine Übersteuerung möglich. das Fahrzeug auf dem aktuellen Fahrstreifen und wird dort zum Stillstand gebracht. Während des Der Nothalte-Assistent kann einen durch übermäßi- Verzögerns schaltet das System die Warnblinker gen Alkoholgenuss oder Drogenkonsum fahr- ein. Im Stillstand aktiviert es die elektrische Park- untüchtigen Fahrer nicht von der Fahrzeugführung bremse, entriegelt die Türen und setzt über Mobil- abhalten (kein „Alcolock“). 87

3.4.2 Beurteilung bote der StVO, so liegt mangels Bewusstseinskon- trolle und Willenslenkung weder eine ordnungswid- Mit Blick auf die Systembeschreibung erscheinen rige noch eine strafbare Handlung des Fahrzeug- insbesondere folgende Normen der StVO einschlä- führers vor. gig:

•§ 3: Langsamfahren nur bei triftigem Grund,

•§ 4: Abstand zu vorausfahrenden/nachfolgen- 4Verkehrsanordnungen durch den Fahrzeugen und zur Seite, Verkehrszeichen

•§ 5, 6 und 7: Spurwechsel durch das System, Verkehrszeichen, das heißt Vorschrift- und einige Richtzeichen, soweit sie Ge- und Verbote enthal- •§ 18: Halten, auch auf Seitenstreifen, nur bei ten, nicht jedoch Gefahrzeichen, sind nach allge- Pannen. meiner Auffassung Verwaltungsakte in Form der Verliert der Fahrzeugführer während der Fahrt das Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 Ver- 213, 214 Bewusstsein, ist fraglich, ob er (noch) verantwort- waltungsverfahrensgesetz (VwVfG) : Sie lich im Sinne der StVO sein kann, denn die Verhal- regeln eine konkrete Verkehrssituation an einer 215 tensvorschriften adressieren grundsätzlich nur Ver- ganz bestimmten Örtlichkeit der Straße; es han- kehrsteilnehmer. Verkehrsteilnehmer im Sinne der delt sich dabei um eine mehr oder weniger dauer- StVO kann sein, wer öffentliche Wege im Rahmen hafte Regelung der Benutzung der Straße durch die 216 des Gemeingebrauchs benutzt. Notwendig ist Allgemeinheit. Verkehrszeichen sind aber nicht dabei ein verkehrserhebliches Verhalten, also Han- ausschließlich dingliche Verwaltungsakte, da sie deln oder pflichtwidriges Unterlassen, mit Beteili- (auch) die Verhaltensweise des jeweiligen konkre- 217 gungsabsicht und Einwirkung auf den Verkehrsvor- ten Adressaten steuern. Ein Verwaltungsakt wird gang.209 Kein Verkehrsteilnehmer ist hingegen, wer wirksam, wenn er demjenigen, der von ihm betrof- das Verkehrsgeschehen nicht beeinflusst, wie der fen ist oder für den er bestimmt ist, bekannt gege- untätige Insasse eines Kfz.210 ben wurde (äußere Wirksamkeit gemäß § 43 VwVfG); er wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er Die hier behandelten und relevanten speziellen bekannt gegeben wurde, das heißt, es treten mit Regelungen der §§ 2 ff. StVO richten sich an den der Bekanntgabe die materiellen Rechtswirkungen Fahrzeugführer. Das ist, wer eigenverantwortlich, des Verkehrszeichens ein, es sei denn, diese willentlich und mit tatsächlicher Fortbewegungs- Rechtswirkungen sind auf einen anderen Zeitpunkt möglichkeit eine Verrichtung ausübt, die für den bezogen (innere Wirksamkeit).218 Dabei führen Bewegungsvorgang von mitentscheidender Bedeu- Mängel in der Bekanntgabe zur Rechtswidrigkeit tung ist, also auf die Lenkung oder sonstige An- des Verwaltungsaktes, berühren also dessen inne- triebsaggregate des Fahrzeuges einwirkt.211 re Wirksamkeit, nicht aber seinen äußeren Be- Grundvoraussetzung ist eine Fahrbewegung,212 welche in dem betrachteten Fall vorliegt, aber nur noch systeminitiiert erfolgt. Da es mithin sowohl am verkehrserheblichen Verhalten als auch am Willen, 209 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 1, Rn. 15 f. die Fahrbewegung des Fahrzeugs zu steuern, fehlt, 210 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 1, Rn. 21. ist eine Anwendbarkeit der genannten Vorschriften 211 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 2, Rn. 7; abzulehnen. Der bewusstlose Fahrer ist kein Fahr- Conrads, Verkehrsrecht, 17. Auflage, S. 22. zeugführer mehr. Eine Betrachtung der einzelnen 212 Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 2, Rn. 7. Verhaltensvorschriften erübrigt sich daher. 213 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes; in den Ländern gelten inhaltlich gleichlautende Vorschriften. Ein ordnungswidrigkeitenrechtlich oder strafrecht- 214 BVerwG, Urteil vom 9.6.1967, BVerwGE 27, 181 (182); lich relevantes Verhalten des Fahrzeugführers liegt BVerwG, Urteil vom 13.12.1979, BVerwGE 59, 221 (224); Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO § 39, Rn. 8; bei einem krankheitsbedingten Kontrollverlust des Rebler, DAR 2010, 377 (380). Fahrzeugführers ebenfalls nicht vor. Denn über- 215 BVerwG, Urteil vom 9.6.1967, BVerwGE 27, 181 (183 f.); nimmt das System infolge eines solchen Kontroll- BVerwG, Urteil vom 13.12.1979, BVerwGE 59, 221 (225). verlustes des Fahrzeugführers die Fahrzeugfüh- 216 BVerwG, Urteil vom 13.12.1979, BVerwGE 59, 221 (225). rung und kommt es hierbei zu einem Unfall, einer 217 Rebler, DAR 2010, 377 (380). Schädigung oder zu einem Verstoß gegen die Ge- 218 Meyer, in: Knack/Henneke, § 43, Rn. 6. 88

stand.219 Nach der Rechtsprechung fällt bei Ver- halten und darauf achten, ob Verkehrszeichen da kehrszeichen der Zeitpunkt für die äußere und für sind, die sein Verhalten regeln sollen.227 Im Zu- die innere Wirksamkeit auseinander:220 Das Ver- sammenhang mit den hier untersuchten automati- kehrszeichen wird durch seine Aufstellung nach sierten Systemen stellt sich daher die Frage, inwie- den bundesrechtlichen (Spezial-)Vorschriften der weit durch Verkehrzeichen getroffene Regelungen §§ 39 Absatz 1 in Verbindung mit § 45 Absatz 4 gegenüber dem Fahrzeugführer wirksam sind. StVO öffentlich bekannt gegeben (Sonderform der Verkehrszeichen werden im automatischen Modus öffentlichen Bekanntgabe),221 für den von ihm aller vier Szenarien entweder der digitalen Stra- betroffenen Verkehrsteilnehmer erlangt es jedoch ßenkarte des automatisierten Systems entnom- erst Wirksamkeit, wenn sich dieser dem Verkehrs- men oder über eine Kamera automatisch erfasst. zeichen gegenübersieht.222 Dabei kommt es aller- Die so gewonnenen Informationen werden vom dings nicht darauf an, dass der Verkehrteilnehmer jeweiligen System verarbeitet und gegebenenfalls subjektiv Kenntnis von dem Verkehrszeichen entsprechende Fahrmanöver ausgelöst. Fraglich nimmt: Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder ist bei dieser Art der Verkehrszeichenerkennung, angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraft- ob der Fahrzeugführer noch als Adressat der in fahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderli- den Verkehrszeichen verkörperten Anordnungen chen Sorgfalt schon „mit einem raschen und betrachtet werden kann und daher zu einem Ver- beiläufigen Blick“ erfassen kann, so äußern sie ihre halten entsprechend diesen Anordnungen ver- Rechtswirkung gegenüber jedem von der Rege- pflichtet ist. lung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt Die StVO geht in § 39 davon aus, dass Adressat 223 oder nicht (Sichtbarkeitsgrundsatz als Voraus- der in den Verkehrszeichen verkörperten Anord- setzung für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe nungen der Verkehrsteilnehmer und damit der 224 und damit äußere Wirksamkeit, wobei die Fahrzeugführer ist. Sowohl im teilautomatisierten 225 abstrakte Wahrnehmungsmöglichkeit genügt). als auch im hoch- und vollautomatisierten Szenario Der Verzicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme bleibt, wie oben ausgeführt, der Fahrer und damit rechtfertigt sich aus dem Grundprinzip des der Mensch Fahrzeugführer, wie er auch sonst Straßenverkehrsrechts, eine eindeutige, regel- Adressat der in der StVO niedergelegten allgemei- mäßig für alle Verkehrsteilnehmer verbindliche nen und besonderen Verhaltenspflichten bleibt.228 226 Verkehrsregelung zu treffen. Wer sich im Stra- Lediglich im Falle des Nothalte-Assistenten fehlt es ßenverkehr bewegt, muss sich aufmerksam ver- an einem tauglichen Adressaten für die in den Ver- kehrszeichen getroffenen Anordnungen, da ein bewusstloser Fahrer kein Fahrzeugführer ist. 219 Ebd. Voraussetzung für eine Wirksamkeit der Anordnun- 220 BVerwG, Urteil vom 11.12.1996, BVerwGE 102, 316 gen in den Verkehrszeichen ist ihre ordnungs- (318 f.). gemäße Bekanntgabe. Wie bereits eingangs229 221 BVerwG vom 23.09.2010, Az. 3 C 37/09, juris, Rn. 15; Rebler, DAR 2010, 377 (381); Form der Bekanntgabe noch ausgeführt, entfalten Verkehrsschilder ihre Rege- offengelassen in BVerwG, Urteil vom 11.12.1996, lungswirkung allein aufgrund der Wahrnehmbarkeit BVerwGE 102, 316 (318). (Sichtbarkeit), unabhängig davon, ob eine tatsäch- 222 BVerwG, Urteil vom 13.12.1979, BVerwGE 59, 221 (226); liche Kenntnisnahme stattgefunden hat, gegen- BVerwG, Urteil vom 11.12.1996, BVerwGE 102, 316, (319); BVerwG, Urteil vom 23.09.2010, Az. 3 C 37/09, juris, Rn. über demjenigen, der sich in ihren Wirkbereich be- 16 f.; gleichlautend BVerwG, Urteil vom 23.09.2010, Az. 3 gibt. Legt man diese Grundsätze zugrunde – die C 32/09, juris, Rn. 13 f. Sichtbarkeit darf hier unterstellt werden –, ist die 223 BVerwG, Urteil vom 11.12.1996, BVerwGE 102, 316 (318). Wirksamkeit der Verkehrszeichen gegenüber 224 Erforderlich ist die sofortige Erkennbarkeit des Rege- einem Fahrzeugführer, der den teilautomatisierten lungsgehalts von Verkehrszeichen: BVerwG, Urteil vom 13.03.2008, DAR 2008, 656 (657). Autobahn-Assistenten benutzt, unproblematisch: 225 Rebler, DAR 2010, 377 (382). Wie jeder andere Fahrzeugführer muss er das Ver- 226 OVG Münster, Urteil vom 23.05.1995, DAR 1995, 377 kehrsgeschehen und sein Fahrzeug schon wegen (377 f.). der Auslegung des Systems ständig überwachen. 227 Rebler, DAR 2010, 377 (381). Erfasst der ABA ein Verkehrszeichen nicht oder 228 Vgl. Kapitel 3.1.2, 3.2.2, 3.3.2. nicht richtig und hat der Fahrzeugführer infolge sei- 229 Vgl. Ausführungen unter Kapitel 2.2. ner Unaufmerksamkeit das Verkehrsschild eben- 89

falls übersehen, entfaltet es gleichwohl ihm ge- an einem tauglichen Adressaten der Verkehrsan- genüber seine Wirkung. ordnungen.

Anders könnte es sich jedoch bei der Hoch- und Vollautomatisierung verhalten. In diesen Szenarien Exkurs: Telematikbasierte Übermittlung des darf sich der Fahrer entsprechend den Leistungen Regelungsinhalts von Verkehrszeichen des jeweiligen automatisierten Systems vorüber- gehend (ABC) beziehungsweise dauerhaft (ABP) Bei telematikbasierter Übermittlung von Anordnun- vom Verkehrsgeschehen abwenden. Mit einem gen in Verkehrszeichen an automatisierte Systeme, einfachen Übersehen eines Verkehrszeichens bei die systeminitiiert in das Fahrzeugverhalten eingrei- ansonsten aufmerksamer Verkehrsbeobachtung, fen, stellen sich das Problem eines tauglichen wovon die Rechtsprechung beim Verzicht auf die Adressaten und die Frage nach der Bekanntgabe tatsächliche Kenntnisnahme wohl ausgeht, ist dies von Regelungen/Anordnungen (Verwaltungsakten) nicht gleichzusetzen. Allerdings fehlt es dem Fah- seitens der Verkehrsbehörden wie auch der Polizei. rer beim Einsatz dieser Systeme anders als dem Sollte beispielsweise zukünftig ein straßenver- bewusstlosen Fahrer beim Einsatz des Nothalte- kehrsrechtliches Gebot oder Verbot, wie zum Bei- Assistenten auch nicht an jeglicher Wahrneh- spiel die zulässige Höchstgeschwindigkeit, aus- mungsmöglichkeit. schließlich mittels Datenübertragungstechnologie Weiter oben230 haben wir bereits ausgeführt und an ein Fahrzeug übermittelt und dort verarbeitet begründet, dass der Fahrzeugführer auch im hoch- werden, so läge nach derzeitigem Verständnis ein und vollautomatisierten Szenario (ABC und ABP) Verwaltungsakt nicht vor, eine verbindliche Anord- gemäß § 1 StVO eine Pflicht zur jederzeitigen auf- nung wäre nicht getroffen. Belässt man es bei den merksamen Umfeldbeobachtung und Eingriffsbe- derzeitigen optisch wahrnehmbaren Schildern und reitschaft hat. Aus diesem Grund ist es auch ge- ergänzt diese um eine Sendeeinheit zur Übermitt- rechtfertigt, von einer Wirksamkeit der in den Ver- lung der dort bekannt gegebenen Anordnung, so kehrszeichen getroffenen Anordnungen ihm ge- könnte es sich um eine der Verwaltungsvoll- genüber auszugehen. Insofern ergeben sich hier streckung ähnliche Maßnahme handeln, wenn die keine Abweichungen zum ABA. Anordnung gleichsam automatisch erzwungen wird. In die herrschende Dogmatik zur Verwal- Gemäß § 49 Absatz 3 Nummer 4 und 5 können tungsvollstreckung ließe sich die Maßnahme der- Verstöße gegen Anordnung durch Vorschriftzei- zeit dennoch nicht einordnen. Zwar läge mit dem chen sowie gegen Anordnungen in Zusatzschildern Verkehrszeichen ein vollstreckbarer Grund-Verwal- zu Richtzeichen mit einem Bußgeld geahndet wer- tungsakt vor, es würde aber bereits an der gemäß den. Hinsichtlich einer ordnungswidrigkeitenrecht- §§ 13 bis 15 VwVG notwendigen Androhung und lichen Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers wird Fristsetzung für den Zwang fehlen. Dies könnte auf die Ausführungen unter Kapitel 3.1.3, Kapitel immerhin analog § 6 II VwVG entbehrlich sein (so 3.2.3 sowie Kapitel 3.3.3. verwiesen. genanntes ge-/verkürztes Verfahren), wenn die be- sonderen Tatbestandsvoraussetzungen des soforti- Der Fahrzeugführer bleibt also bei Einsatz des gen Vollzugs vorliegen. Problematisch ist aber die teil-, hoch- und vollautomatisierten Systems Adres- Einordnung als Zwangsmittel, die § 9 VwVG ab- sat der in den Verkehrszeichen verkörperten An- schließend aufzählt. Als Zwangsmittel käme hier ordnungen und ist daher zu einem Verhalten ent- allenfalls unmittelbarer Zwang gemäß § 12 VwVG sprechend diesen Anordnungen verpflichtet. Dies in Betracht. Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung folgt aus der rechtlichen Pflicht des Fahrzeugfüh- auf Personen oder Sachen durch körperliche Ge- rers nach § 1 StVO, das Verkehrsgeschehen stän- walt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen; körperliche dig zu beobachten und sich eingriffsbereit zu hal- Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung ten. Lediglich bei Einsatz des Nothalte-Assistenten auf Personen oder Sachen.231 Körperliche Gewalt fehlt es wegen der Bewusstlosigkeit des Fahrers in diesem Sinne wird jedoch von einer Sendeeinheit nicht ausgeübt, sodass die Signalübermittlung dem unmittelbaren Zwang in der Wirkung zwar nahe kommt, im Mittel gleichwohl aber ein aliud darstellt 230 Vgl. Kapitel 3.2.2.6 und Kapitel 3.3.2.6. und daher nach geltender Rechtslage kein zulässi- 231 Engelhardt/App, VwVG § 12, Rn. 1 f. ges Zwangsmittel ist. 90

5 Beurteilung nach der StVZO mäß § 69a Absatz 5 Nummer 3 StVZO. Die Pflich- ten des Halters für die vorliegende Untersuchung Nach § 69a Absatz 3 Nummer 1 StVZO stellt es werden wegen fehlender Relevanz hier nicht weiter eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn ein Fahrzeug betrachtet. unter Verstoß gegen § 30 StVZO über die allge- meine Beschaffenheit von Fahrzeugen in Betrieb Beurteilung genommen wird. § 30 StVZO geht über die Anfor- • Entsprechen die automatisierten Systeme den derungen der Bau- und Ausrüstungsvorschriften Bau- und Betriebsvorschriften und sind sie da- insoweit hinaus, als er auch die Verkehrssicherheit rüber hinaus auch verkehrssicher, das heißt der Fahrzeuge gewährleisten will, wobei die Ver- funktionieren sie, so handelt der Fahrzeugführer kehrssicherheit einer technischen Einrichtung über mit einer Inbetriebnahme des Fahrzeugs nicht die Wirksamkeit für den Augenblick hinaus deren Fortbestehen für eine gewisse Dauer voraus- ordnungswidrig. Welche Sorgfaltspflichten den setzt,232 denn die Verkehrssicherheit hängt nicht Fahrzeugführer im Einzelnen treffen, hängt nur von der augenblicklichen Funktionsfähigkeit der unter anderem von der konkreten Ausgestaltung Anlage, sondern auch davon ab, ob die für einen der Systeme ab und kann hier nicht ab- Dauerbetrieb erforderlichen Sicherheitsreserven schließend beurteilt werden. vorhanden sind.233

Daneben verlangt § 31 Absatz 1 StVZO, dass zur selbständigen Leitung geeignet sein muss, wer ein 6 Zusammenfassung der Fahrzeug in Betrieb nimmt. Ein vorsätzlicher oder Ergebnisse fahrlässiger Verstoß dagegen ist nach § 69a Absatz 5 Nummer 2 StVZO ordnungswidrig. Gemeint ist Die Untersuchung der hier beschriebenen automa- hier insbesondere die Fahrtüchtigkeit im Sinne von tisierten Systeme anhand zulassungs- und ord- körperlicher Leistungsfähigkeit.234 nungsrechtlicher Normen hat für das hoch- und vollautomatisierte Szenario verschiedene Wider- Neben dem Fahrzeugführer ist auch der Halter sprüche zum bestehenden Recht aufgezeigt: nach § 31 Absatz 2 StVZO für den vorschriftsmäßi- gen Zustand eines Fahrzeuges verantwortlich. Vor- • Keine Schwierigkeiten im Hinblick auf die Ver- schriftsmäßig im Sinne dieser Vorschrift ist ein haltenspflichten im geltenden Ordnungsrecht Fahrzeug, wenn es bei Inbetriebnahme (wozu auch entstehen beim Nothalte-Assistenten, da dieser der hieran anschließende weitere Betrieb gehört) nur zum Einsatz kommt, wenn der Fahrer bei- den Bauart- und Ausrüstungsvorschriften gemäß spielsweise wegen eines Infarktes nicht hand- § 30 bis 67 StVZO entspricht und außerdem fahrsi- lungsfähig ist und daher seinen verkehrsrechtli- cher ist.235 So käme eine Verantwortlichkeit des chen Pflichten ohnehin nicht nachkommen Halters für ein nicht ordnungsgemäß arbeitendes kann. Da ein willensgesteuertes, verkehrserheb- beziehungsweise defektes automatisiertes System liches Handeln in diesem Zustand nicht möglich in Betracht. Subjektiv vorwerfbar ist eine Sorgfalts- ist, ist der Fahrer nicht mehr Fahrzeugführer und pflichtverletzung des Halters jedoch in der Regel ihn treffen daher auch keine Verhaltenspflichten. nicht allein aufgrund der Mängel am Fahrzeug, son- dern erst bei fehlenden organisatorischen Maßnah- • Da der teilautomatisierte Autobahn-Assistent men wie regelmäßigen Kontrollen.236 Verletzt der eine ständige Überwachung und Einsatzbereit- Halter in diesem Sinne seine Pflicht aus § 31 schaft durch den Fahrer fordert, ist dieser noch Absatz 2 StVZO, so handelt er ordnungswidrig ge- Fahrzeugführer im Sinne des Verkehrsrechts, obwohl er nicht mehr jedes einzelne Fahr- manöver selbst ausführt. Der Fahrzeugführer kann bei Einsatz des ABA seinen Pflichten aus

232 Dauer, in: Hentschel, StVZO § 30, Rn. 2. der StVO ohne Verstoß gerecht werden. Eine 233 KG Berlin, Beschluss vom 29.11.2000, Az. 2 Ss 151/00 – 3 ordnungswidrigkeitenrechtliche oder strafrechtli- Ws (B) 503/00, 2 Ss 151/00, 3 Ws (B) 503/00, juris, Rn. 17. che Verantwortlichkeit ergibt sich für ihn bei 234 Dauer, in: Hentschel, StVZO § 31, Rn. 10. Unterlassen einer erforderlichen Übersteuerung 235 Dauer, in: Hentschel, StVZO § 31, Rn. 11. des Systems, sei es, weil dieses nicht ord- 236 KG Berlin, Beschluss vom 31.7.2007, NZV 2008, 51. nungsgemäß funktioniert oder das System nicht 91

alle verkehrsgefährdenden Situationen rechtzei- möglich oder zumindest schafft nur dieser tig erkennen und bewältigen kann. Eine Garan- Rechtssicherheit. tenstellung kann sich dabei insbesondere da- raus ergeben, dass der Fahrzeugführer sich • Da ein Sich-Abwenden gegen die Pflichten des pflichtwidrig nicht ausreichend mit der Funk- Fahrzeugführers aus der StVO verstößt, bleibt tionsweise des Systems vertraut gemacht oder der Fahrzeugführer, der ABC und ABP nutzt, aus vom Verkehrsgeschehen abgewendet hat. unserer Sicht ordnungswidrigkeitenrechtlich und strafrechtlich verantwortlich, wenn er dies den- • Das hoch- und vollautomatisierte Szenario noch tut. führen unseres Erachtens mit der Möglichkeit zum zeitweisen (ABC) beziehungsweise dauer- • Bei Einsatz von teil-, hoch- und vollautomatisier- haften (ABP) Abwenden vom Verkehrsgesche- tem System ist der Fahrzeugführer nach gelten- hen zu Widersprüchen mit dem dem Verkehrs- dem Recht verpflichtet, den in den Verkehrszei- recht zugrunde liegenden Begriff des Fahrzeug- chen getroffenen Anordnungen zu folgen, denn führers und dessen Verhaltenspflichten aus der er muss den Verkehr ständig beobachten und StVO. Nach geltendem Recht kann Fahrzeug- sich einsatzbereit halten. Dafür hat er auch ord- führer nur ein Mensch sein. Diese Systeme nungswidrigkeitenrechtlich einzustehen. Im übernehmen jedoch so weitgehend essenzielle hoch- und vollautomatisierten Szenario kann der Fahraufgaben, die bisher dem Fahrer oblagen, Fahrzeugführer daher nach geltender Rechtsla- dass dieser das Verkehrsgeschehen und das ge von der Möglichkeit des Sich-Abwendens System innerhalb der Domäne nur einge- keinen Gebrauch machen. schränkt oder gar nicht mehr überwachen und • Der Fahrzeugführer, der die automatisierten sich auch nicht mehr eingriffsbereit halten muss. Systeme einsetzt, ist auch für deren Vorschrifts- Der Begriff des Fahrzeugführers wird hier zu mäßigkeit und Verkehrssicherheit ordnungswid- einer Fiktion. Darüber hinaus kann der Fahr- rigkeitenrechtlich verantwortlich. Welche Sorg- zeugführer seinen Verhaltenspflichten aus der faltspflichten ihn hier im Einzelnen treffen, hängt StVO nur nachkommen, wenn er ABC und ABP unter anderem von der konkreten Ausgestal- nicht so nutzt, wie die Systeme es vorsehen. Er tung der Systeme ab und kann hier nicht ab- ist nach geltendem Recht auch weiterhin ver- schließend beurteilt werden. pflichtet, dem Verkehrsgeschehen seine volle Aufmerksamkeit zu schenken und sich eingriffs- • Nach der hier vertretenen Auffassung, dass die bereit zu halten. Wollte man die funktionsge- verhaltensrechtlichen Anforderungen der StVO rechte Nutzung erlauben, bedürfte dies nach der durch das Zulassungsrecht nicht abgeändert hier vertretenen Auffassung einer Rechtsände- werden, können Wertungswidersprüche zwi- rung. schen beiden Rechtsmaterien insbesondere für das hoch- und das vollautomatisierte Szenario • Das Freihändigfahren bei Nutzung der Systeme nicht ausgeschlossen werden. Hoch- und voll- im automatischen Modus ist aus unserer Sicht automatisierte Systeme mögen den zulassungs- pflichtwidrig. Die Übernahmesituation dürfte bei rechtlichen Vorschriften entsprechen. Da sie einem erlaubten Hands-off besondere Gefah- aber die Möglichkeit eines zeitweiligen bezie- ren hinsichtlich einer möglichen Verlängerung hungsweise dauerhaften Abwendens vom Ver- der Reaktionszeit und möglicher inadäquater kehrsgeschehen beinhalten, gerät der Fahr- Lenkbewegungen bergen. Es wäre daher sinn- zeugführer, der von diesen Möglichkeiten Ge- voll, die Übernahmesituation unter diesem As- brauch macht, mit seinen Verpflichtungen aus pekt insbesondere verhaltenspsychologisch genauer zu untersuchen. Im Übrigen kann aus der StVO in Konflikt. unserer Sicht von einer ständigen Beherr- schung des Fahrzeugs nach der geltenden Rechtslage nur ausgegangen werden, wenn Literatur der Fahrzeugführer den „Kontakt“ zu den wesentlichen Einrichtungen (hier Lenkrad) für ALBRECHT, F.: Die rechtlichen Rahmenbedingun- die Fahrzeugbeherrschung nicht völlig aufgibt. gen bei der Implementierung von Fahrerassis- Ein grundlegender Paradigmenwechsel ist hier tenzsystemen zur Geschwindigkeitsbeeinflus- unseres Erachtens nur durch den Gesetzgeber sung, DAR 2005, 186 ff. 92

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JANKER, H.: StVO Vorbemerkung, § 39, in: BUR- NEUMANN, D.; FRENZ, W.; LINGENBERG, K.: MANN, M.; HEß, R.; JAHNKE, J.; JANKER, H.: Erstellung eines Lastenheftes – Juristische Straßenverkehrsrecht, 21. Auflage, München Aspekte, in: SAVELSBERG, E. (Hrsg.): Lasten- 2009 heft für elektronisch gekoppelte Lkw-Konvois, Düsseldorf 2005, 253 ff. KAMMEL, S.: Autonomes Fahren, in: WINNER, H.; HAKULI, St.; WOLF, G.: Handbuch der Fah- NIGGESTICH, R.: Fahrerassistenzsysteme mit rerassistenzsysteme – Grundlagen, Komponen- komplexen elektronischen Komponenten im ten und Systeme für aktive Sicherheit und Kom- Umfeld von Verkehrssicherheit und Zulassung, fort, 2009 ZVS 2002, 117 ff.

KEMPEN, B.: Fahrerassistenzsysteme und das REBLER, A.: Rund um das Verkehrszeichen: Ein- Wiener Übereinkommen über den Straßen- satzbereich, Rechtsnatur und Bekanntgabe, verkehr, Vortrag auf dem 3. Aktiv-VM Kooperati- DAR 2010, 377 ff. ons- und Innovationsforum am 15.3.2007, abruf- bar unter www.aktiv-online.org/deutsch/Down SAVELSBERG, E. (Hrsg.): Lastenheft für elektro- loads/2007-03-15-BASt-Workshop/Praes- nisch gekoppelte Lkw-Konvois, Düsseldorf 2005 02-W-334-StV-Prof-Kempen.pdf (Abruf 03.01. 2010) SCHÖNKE, A.; SCHRÖDER, H.: Strafgesetzbuch – Kommentar, 28., neu bearbeitete Auflage, Mün- KNACK, H. J.; HENNEKE, H.-G.: Verwaltungsver- chen 2010 fahrensgesetz (VwVfG), 9. Auflage, Köln 2009 STERNBERG-LIEBEN, D.: § 15 StGB, in: SCHÖN- KÖNIG, P.: Einleitung, in: HENTSCHEL, P.; KÖNIG, KE, A.; SCHRÖDER, H.: Strafgesetzbuch – P.; DAUER, P.: Straßenverkehrsrecht, 41., neu Kommentar, 28., neu bearbeitete Auflage, bearbeitete Auflage, München 2011 München 2010

KÖNIG, P.: StVO §§ 1, 3, 4, 5, 6, 7, 23, in: HENT- STERNBERG-LIEBEN, D.; HECKER, B.: §§ 315b, SCHEL, P.; KÖNIG, P.; DAUER, P.: Straßenver- 315c StGB, in: SCHÖNKE, A.; SCHRÖDER, H.: kehrsrecht, 41., neu bearbeitete Auflage, Mün- Strafgesetzbuch – Kommentar, 28., neu bear- chen 2011 beitete Auflage, München 2010

KÖNIG, P.: StVG § 21, in: HENTSCHEL, P.; STREE, W.; BOSCH, N.: Vorbem. 134-164 vor § 13 KÖNIG, P.; DAUER, P.: Straßenverkehrsrecht, und § 13 StGB, in: SCHÖNKE, A.; SCHRÖDER, 41., neu bearbeitete Auflage, München 2011 H.: Strafgesetzbuch – Kommentar, 28., neu be- arbeitete Auflage, München 2010 KÖNIG, P.: StGB §§ 315c, 316, in: HENTSCHEL, P.; KÖNIG, P.; DAUER, P.: Straßenverkehrs- STREE, W.; STERNBERG-LIEBEN, D.: Vorbem. recht, 41., neu bearbeitete Auflage, München §§ 52 ff. StGB, in: SCHÖNKE, A.; SCHRÖDER, 2011 H.: Strafgesetzbuch – Kommentar, 28., neu be- arbeitete Auflage, München 2010 LENCKNER, T.; EISELE, J.: Vorbem. 1-133 vor § 13 StGB, in: SCHÖNKE, A.; SCHRÖDER, H.: WINNER, H.; HAKULI, St.; WOLF, G.: Handbuch Strafgesetzbuch – Kommentar, 28., neu bear- der Fahrerassistenzsysteme – Grundlagen, beitete Auflage, München 2010 Komponenten und Systeme für aktive Sicherheit und Komfort, Wiesbaden 2009 MAUNZ, T.; DÜRIG, G.: Grundgesetz – Kommen- tar, 58. Ergänzungslieferung, München 2010

MEYER, H.: § 43 VwVfG, in: KNACK, H. J.; HEN- NEKE, H.-G.: Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), 9. Auflage, Köln 2009 94

Dokumentenverzeichnis

Begründung zur Straßenverkehrsordnung des Bun- desverkehrsministers, VkBl. 1970, 797

Economic Commission for Europe, Application of information Technology to Road Safety – External intervention in speed and the Vienna Convention on Road Traffic of 8 November 1968 transmitted by , TRANS/WP.1/2001/15 vom 25.1.2001

Economic Commission for Europe, Application of Informatics in road safety transmitted by Switzerland, TRANS/WP.1/2001/37 vom 4.7.2001

Economic Commission for Europe, Application of Informatics in road safety transmitted by Netherlands, TRANS/WP.1/2002/9 vom 11.1.2002 95

Dokumentteil 4

Dokumentteil 4 (Projekt: 3):

Produkt- und Straßenverkehrshaftungsrecht (BASt-Forschungsbericht: FE 88.0009/ 2009)

Autor: RA Wolfgang Vogt

Die nachfolgend dargestellte Meinung ist ausschließlich die des Verfassers und nicht notwendigerweise die der übrigen Mitglieder der Projektgruppe. 96

FE 88.0009/2009

Forschungsprogramm Innovationsprogramm Straße Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung

Projekt 3

Rechtliche Bewertung, Teil 2b: Produkt- und Straßenverkehrshaftungsrecht

Bearbeiter:

RA Wolfgang Vogt Heilmannstraße 9c 81479 München 97

Kurzfassung – Abstract Beim Konstruktionsfehler ist entscheidend die Auslegung der Systeme. Im Regelfall muss der Fahrer ein aktiviertes System übersteuern kön- Rechtliche Bewertung – Produkt- und Straßen- nen. Denn er ist stets verantwortlich für siche- verkehrshaftungsrecht res, unfallvermeidendes Verkehrsverhalten. 1. Die teil- oder vollautomatisierte Fahrzeug- Der Informationsfehler hat erhebliche Bedeu- führung ist nach dem Stand der Technik mög- tung. Der Nutzer des Fahrzeugs muss in nach- lich. Fahrerassistenzsysteme ermöglichen vollziehbarer Weise über die Wirkungsweise sowohl die Längsführung (beschleunigen, jedes Fahrerassistenzsystems und seine bremsen) als auch die Querführung (seitwärts Grenzen informiert sein. Die Information darf lenken) von Kraftfahrzeugen. sich nicht auf Darlegungen im Benutzerhand- buch beschränken. Sie muss klar und unmiss- Daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit verständlich dem jeweiligen Fahrer gegeben gegebene Rechtsregeln ausreichen, Haftungs- werden, sei es optisch, akustisch oder taktil. probleme zu lösen. Das gilt für Fehlleistung der Technik, die zu einem Unfall führt, einerseits. Entscheidend dafür, ob ein Produktfehler in Es gilt für Fehlleistungen des Menschen im diesem Sinne vorliegt, ist der Zeitpunkt, zu Umgang mit dieser Technik andererseits. dem das Produkt in den Verkehr gebracht wird. Spätere Serienverbesserungen führen daher 2.1 Haftung des Herstellers kann sich ableiten aus nicht ohne weiteres dazu, dass das Fahrzeug einem schuldhaften Fehlverhalten, das zum älterer Produktion fehlerbehaftet ist. Wohl aber Produktfehler führt. Dann ist ein unsicheres kann im Einzelfall aus der Verbesserung auf Produkt in den Verkehr gebracht. Der Herstel- einen Fehler des älteren Modells geschlossen ler haftet gemäß § 823 BGB wegen Verletzung werden. seiner Verkehrssicherungspflicht. Berechtigt, 3. Haftung für Straßenverkehrsunfälle ergibt sich Schadensersatz zu verlangen, ist jeder, der als einmal aus Verschulden gemäß § 823 BGB Folge der Benutzung des Fahrzeugs zu Scha- und § 18 StVG für den Fahrer, zum anderen den kommt. Haftung für solche Schäden ist der für den Halter aus Betriebsgefahr, § 7 StVG. Höhe nach unbegrenzt. Haftung aus Verschulden gemäß § 823 BGB 2.2 Neben dieser Haftung steht jene nach dem erfasst sowohl materiellen als auch immateriel- Produkthaftungsgesetz. Sie ist verschuldens- len Schaden. Sie ist der Höhe nach unbegrenzt. unabhängig, der Gefährdungshaftung ähnlich. Ersatz für Sachschäden wird nur geleistet, Durch die Schuldrechtsreform des Jahres 2002 wenn das Fahrzeug zum privaten Gebrauch hat die schon zuvor bedeutsame Haftung aus bestimmt war und benutzt wurde. Der Ersatz Betriebsgefahr noch an Bedeutung gewonnen. von Personenschaden, einschließlich Schmer- Beim Personenschaden kann nun Ersatz zensgeld, wird unabhängig von der Nutzung immateriellen Schadens (Schmerzensgeld) des Fahrzeugs geschuldet, ist aber der Höhe verlangt werden. nach begrenzt. Haftung aus § 17 StVG entfällt nur noch dann, Was unter „Fehler“ zu verstehen ist, beurteilt wenn der Unfall auf höhere Gewalt zurückgeht, sich nicht nach der vom Hersteller/Importeur § 7 Abs. 2 StVG. beabsichtigten Verwendung des Fahrzeugs, Das führt dazu, dass praktisch immer dann, sondern nach der Verwendungserwartung, wel- wenn ein Fahrzeug in einer konkreten Ver- che der Hersteller/Importeur geschaffen hat. kehrssituation sich nicht verkehrsrichtig ver- Das ist die „Darbietung“ des Fahrzeugs. We- hält, Haftung gegeben ist. Entscheidend für die sentlich sind werbliche Aussagen und das, was Beantwortung der Haftungsfrage wird damit die im Benutzerhandbuch geschrieben steht. Eine – im Rechtssinn wertende – ursächliche Ver- durch Werbung geschaffene Nutzungserwar- knüpfung zwischen Schadenseintritt und nicht tung kann nicht durch einschränkende Be- verkehrsgerechtem Verhalten. Die Frage, wo- schreibung im Benutzerhandbuch korrigiert und rauf das nicht verkehrsgerechte Verhalten damit zur Freistellung von Haftung benutzt zurückgeht, tritt demnach zurück. Sie kann werden. zurückgehen auf ein vom Fahrer gewolltes und 98

ausgeführtes Fahrmanöver. Sie kann auch A defect in construction can be deter-mined by zurückgehen auf ein von einem Fahreras- the system design. Generally the driver must sistenzsystem ausgelöstes und durchgeführtes be able to overrule an activated system. The Fahrmanöver. driver is always responsible for safe driving and accident avoidance. Legal assessment – Product liability and road traffic liability A mistake in information is of great importance. The user of the car must be informed in an 1. Fully or partially automated driving is possible easily understandable way on the functions of according to the state of the art. Vehicle driver assistance systems and their limits. The systems execute all main driving functions information may not be restricted to explanati- (acceleration, breaking, steering). ons in the user manual. It must be given to the driver in a clear and unmistakable way, be it This raises the question whether and if so to optic, acoustic or tactile. which extend, existing legal rules are efficient, to adequately deal with the systems liability It is the time the car has been issued that issues. The issues thereby circumscribed determines if a product is defective. Later cover the technical effect as well as faulty improvements on the series do not necessarily driving. lead to the assumption of a defect of previously produced vehicles. But this may 2.1 Liability within production may be traced back lead to the conclusion, that in a particular case to an error in the manufacturing process the improvement does lead to the assumption resulting in a defect of the pro-duct. Then an of a defect of the older model after all. unsafe product has been distributes. This may lead to liability of the producer according to 3. Liability for car accidents by the driver go back sec. 823 German Civil Code (BGB) for to his personal responsibility according to sec. neglecting the duty of care to maintain safety. 823 BGB and sec. 18 German Traffic Liability Any person damaged by a defective product is Act (StVG). The responsibility of the car owner eligible to compensation. Indemnity for such goes back to the operational hazard, sec. 7 damages is unlimited. StVG.

2.2 The second basis for claims against the manu- Liability for personal responsibility, sec. 823 facturer is the German Product Liability Act. BGB leads to indemnity for material and Therein there is no aspect of personal immaterial damages. It is unlimited. responsibility. It is similar to strict liability. Indemnity for material damage is obtained only, The liability of the car owner has been revised when the car has been meant to be and in 2002. It is now inter alia possible to claim actually has been used for private means. immaterial damage even in absence of Indemnity for personal injuries and immaterial personal fault, sec. 253 BGB. damage can be obtained no matter how the car has been used. Indemnity is limited. Liability according to sec. 17 StVG is only deniable, when an accident goes back to a The question what is to be considered a defect case of force majeure, sec. 7 para. 2 StVG. does not depend on the use intended by the manufacturer/importer of the car. It in fact This means that in practically every case, when depends on the expectations in terms of a vehicle in the specific traffic situation does not product use that have been evoked by the move adequately and this leads to an accident, manufac-turer/importer. This is the „presenta- liability is present. The possible liability requires tion” of the car. Fundamental in this respect is a causal connection between the damage and what has publicly been advertised as well as the driving contrary to the rules. The reason for the guidelines in the instruction manual. In case driving contrary to the rules looses importance. advertising has publicly created a certain It may go back to a manoeuvre attended and assumption to the possible use of a product it is executed by the driver. But it may just as well go not possible to get free from liability by des- back to a manoeuvre initiated and executed by cribing use differently in the instruction manual. a driver assistance system. 99

Inhalt

I Einleitung ...... 101 3 Produktbeobachtung ...... 110

4 Die Produzentenhaftung ...... 110 II Haftung für Produktfehler ...... 101 4.1 Haftung aus Verkehrssicherungs- 1Vertragliche und außervertragliche pflicht ...... 110 Ansprüche ...... 101 4.2 Produkthaftung und Produzenten- 1.1 Kaufvertragliche Gewährleistung . . . . . 101 haftung aus § 823 BGB ...... 110 1.2 Ansprüche aus Garantievertrag ...... 101 4.2.1 Unterschiede ...... 110 1.3 Haftung aus Verschulden gemäß 4.2.2 Der Weiterfressenschaden ...... 110 § 823 Abs. 1 BGB ...... 102 4.2.3 Personen- und immaterieller 1.4 Ansprüche aus Produkthaftung ...... 102 Schaden ...... 110 1.4.1 Haftung ohne Verschulden ...... 102 5 Beweislast ...... 112 1.4.2 Das Geräte- und Produktsicherheits- gesetz ...... 102 6 Produkthaftungsrisiken zu Szenarien des Projekts ...... 112 2 Haftung nach dem Produkthaftungs- 6.1 Risiken aus Assistenzsystemen ...... 112 gesetz ...... 103 6.2 Anforderungen an die Konstruktion . . . 112 2.1 Ansprüche nach § 1 ProdHaftG ...... 103 6.3 Darbietung ...... 113 2.2 Der Produktfehler ...... 103 2.3 Der Hersteller ...... 105 7 Zusammenfassung ...... 114 2.4 Fehler einer Sache ...... 105 2.5 Fehlerarten ...... 105 III Straßenverkehrshaftung ...... 114 2.5.1 ...... 105 1 Grundsätze der Haftung für Unfälle 2.5.2 ...... 106 im Straßenverkehr ...... 114 2.6 Der Konstruktionsfehler ...... 106 2.6.1 ...... 106 2 Die Betriebsgefahrhaftung ...... 115 2.6.2 Sicherheitsstandard ...... 106 2.1 Haftung ohne Verschulden ...... 115 2.6.3 Nutzen-/Risiko-Abwägung ...... 106 2.2 Unfall beim Betrieb eines Kfz ...... 116 2.6.4 Normen und Regeln der Technik . . . . . 106 2.3 Haftungsausschluss bei höherer 2.6.5 Fahrzeugklasse und Sicherheits- Gewalt ...... 116 standard ...... 107 2.4 Unfallbeteiligung mehrerer Kfz ...... 118 2.7 Der Informationsfehler ...... 107 2.5 Der Vertrauensgrundsatz ...... 118 2.7.1 Die „Darbietung“ des Produkts ...... 107 3 Pflicht zur Aktivierung oder 2.7.2 Werbung für das Produkt ...... 107 Deaktivierung eines FAS ...... 118 2.7.3 Das Benutzerhandbuch ...... 108 2.7.4 Hinweis beim Fahrersitz ...... 108 4 Haftungsfragen bei drei Systemen . . . . 120 2.7.5 Minderung des Produkthaftungs- 4.1 Nothalte-Assistent ...... 120 risikos ...... 108 4.2 Autobahn-Assistent ...... 120 2.8 Der Gebrauch des Produkts ...... 108 4.3 Autobahn-Chauffeur ...... 121 2.8.1 Der bestimmungsgemäße Gebrauch . . . 108 5 Zusammenfassung ...... 121 2.8.2 Fehlgebrauch und Missbrauch ...... 109 2.9 Der entscheidende Zeitpunkt ...... 109 IV Literatur ...... 122 100

Abkürzungen

A Auflage a. a. O. am angegebenen Ort ABS Anti-Blockier-System Abs. Absatz ACC Adaptive Cruise Control aM anderer Meinung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des BGH in Zivilsa- chen BT-Drucks. Bundestags-Drucksache (Legislatur- Periode DAR Deutsches Autorecht DB Der Betrieb FAS Fahrerassistenzsystem GPSG Geräte- und Produktsicherheitsgesetz HPflG Haftpflichtgesetz LuftVG Luftverkehrsgesetz MK-BGB Münchener Kommentar zum BGB, 5. A. NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungsreport OLG Oberlandesgericht OLG-R Rechtsprechung der Oberlandesge- richte ProdHaftG Gesetz über die Haftung für fehler- hafte Produkte PflVersG Rechtsgesetz über die Pflichtversi- cherung für Kraftfahrzeughalter RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen StVG Straßenverkehrsgesetz StVO Straßenverkehrs-Ordnung

SVR Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift)

UmweltHG Umwelthaftungsgesetz 101

I Einleitung freies Produkt zu geben, also den vertraglich ge- wollten Gegenwert für seine Zahlung. Dies kann In den vergangenen rund 15 Jahren sind in immer erreicht werden entweder durch Reparatur des kürzeren Zeitabständen Systeme entwickelt wor- Fahrzeuges oder durch Lieferung eines anderen, den und auf den Markt gekommen, die dem Fahrer neuen Fahrzeuges. Das ist die Nacherfüllung. Nach eines Kraftfahrzeugs seine Fahraufgabe erleich- § 439 Abs. 1 BGB ist es allein die Wahl des Käu- tern. In Teilbereichen nehmen sie ihm diese sogar fers, welches Mittel der Nacherfüllung er wählt. ab, nicht zuletzt dort, wo die Technik in der Verhü- Diese gesetzliche Regelung wird durch Allgemeine tung eines Unfalls noch etwas leistet, das der Geschäftsbedingungen typischerweise umgestaltet Mensch als Fahrer nicht mehr leisten kann. dahingehend, dass zunächst Nacherfüllung nur verlangt werden kann durch Reparatur des Fahr- Jetzt ist ein technischer Entwicklungsstand erreicht, zeuges. Ist diese nicht möglich oder nicht zumutbar, der es ermöglicht, dass der Fahrer die Erledigung kann der Käufer die Lieferung eines neuen Fahr- seiner Fahraufgabe dem Fahrzeug selbst teilweise zeuges verlangen. oder ganz überlassen kann. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er Das wirft die Frage auf, ob sich daraus Konse- gemäß §§ 437, 440 BGB Schadensersatz und Er- quenzen ergeben für die Zuordnung der Folgen von satz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Dabei Unfällen, bei deren Zustandekommen das teil- oder geht es um den Ersatz von Schaden, der dem Käu- vollautomatisierte Fahren ursächlich gewesen sein fer dadurch entstand, dass er Aufwand wegen des kann. Dabei ist zu beachten, dass die gültigen Mangels hatte – das Auto blieb auf der Strecke lie- Rechtsregeln dem Schutz des Unfallopfers, seiner gen, musste abgeschleppt werden – oder weil der Absicherung gegen die Folgen eines Unfalls, den er Verkäufer seiner Pflicht zur Nachbesserung nicht erlitten hat, erste Priorität geben. Ob dieser Einsatz nachkam – also Ersatz der Kosten einer Dritt-Werk- neuer Technik neuer rechtlicher Regeln bedarf, soll statt. Schließlich kommt noch der Ersatz von Man- Teil dieser Untersuchung sein. gelfolgeschaden in Betracht, somit von Schaden, Je mehr „Verantwortung“ der Technik im Kfz für die der sich als Folge der Mangelhaftigkeit des Fahr- sichere Verkehrsteilnahme gegeben wird, desto zeuges ergab. höher können die Anforderungen an Konstruktion, Wichtig ist, dass sich Ansprüche des Käufers, die Produktion und Produktinformation sein. Damit mit der Mangelhaftigkeit seines gekauften Kraft- stellt sich die weitere Frage, ob und inwieweit sich fahrzeugs zu tun haben, nur aufgrund eines Ver- Auswirkungen zur Haftung für Fehlleistungen sol- trags ergeben und sich ausschließlich auf den cher Produkte ergeben, die teil- oder vollautomati- Kaufgegenstand beziehen. siertes Fahren ermöglichen.

1.2 Ansprüche aus Garantievertrag

II Haftung für Produktfehler Neben diese kaufrechtlichen Gewährleistungsan- sprüche des Käufers, die sich nur gegen den Ver- 1Vertragliche und außer- käufer richten, treten in der Regel Ansprüche aus vertragliche Ansprüche einem neben dem Kaufvertrag zustande kommen- den Garantievertrag zwischen Hersteller/Importeur 1.1 Kaufvertragliche Gewährleistung und Käufer. Denn Hersteller und Importeur geben in Wer ein Kraftfahrzeug kauft, hat dann, wenn dies der Regel eine eigenständige Garantie für die Feh- fehlerhaft ist, aus diesem Kaufvertrag Gewährleis- lerfreiheit ihres Produkts oder auf Verlängerung der tungsansprüche gegen den Verkäufer. Der Rechts- Gewährleistungs- oder Garantiezeit. Ansprüche grund, aus dem sich Ansprüche ergeben, ist also des Käufers aus diesem Garantievertrag regeln eine Zweierbeziehung, die zwischen dem Verkäufer sich ausschließlich nach Maßgabe des Garantie- und dem Käufer. Der Käufer kann Ansprüche nicht vertrages, den der Garantiegeber allein festlegt, gegen einen Dritten, etwa den Hersteller oder § 443 BGB. Die Ansprüche beziehen sich typi- Importeur, geltend machen. scherweise darauf, dass das Fahrzeug durch Reparatur in einen mangelfreien Zustand versetzt Diese, in § 437 BGB geregelten Gewährleistungs- wird, nur ausnahmsweise auf die Lieferung eines ansprüche haben das Ziel, dem Käufer ein mangel- Ersatzfahrzeuges. Es handelt sich also wiederum 102

um vertragliche Ansprüche, die sich nur gegen den Hersteller/Importeur damit belastet wird zu bewei- Garantiegeber richten.1 sen, dass entgegen dem Anschein kein Verschul- den vorliegt.3 1.3 Haftung aus Verschulden gemäß § 823 Abs. 1 BGB 1.4 Ansprüche aus Produkthaftung

Der Bereich der vertraglichen Ansprüche wird ver- 1.4.1 Haftung ohne Verschulden lassen, wenn es durch die Benutzung des Fahrzeu- ges zu einem Schaden kommt und dem Herstel- Diese Rechtslage war unbefriedigend, wenn es ler/Importeur der Vorwurf gemacht werden kann, er darum ging, dem, der infolge des Produktfehlers habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. eines Kraftfahrzeuges zu Schaden kam, zum Denn wer eine Sache verkauft oder ihren Verkauf Ersatz seines Schadens zu verhelfen, ohne Rück- über Händler bewirkt, hat dafür einzustehen, dass sicht darauf, dass ein Vertragsverhältnis nicht sie im Verkehr sicher benutzt werden kann. Ist dies bestand, und ohne Rücksicht darauf, ob wegen des nicht der Fall und kommt es infolgedessen zu zum Schaden führenden Fehlers dem Herstel- einem Schaden, so kann sich wegen Verletzung ler/Importeur ein Schuldvorwurf gemacht werden der Verkehrssicherungspflicht ein Anspruch des konnte. Geschädigten gegen den Hersteller/Importeur aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Hier geht es also um In Europa hat sich die EU des Themas der Haftung den Ersatz von Schaden, der zwar auf eine Fehler- für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts angenom- haftigkeit des Produktes zurückgeht, aber sich nicht men. Im Rahmen der EU wurde sogar verlangt, es in ihr erschöpft. Historisch gesehen ist diese sog. solle ein Grundrecht aller EU-Bürger auf Sicherheit Produzentenhaftung entwickelt worden, weil nach von Produkten begründet werden, was in der Tat in deutschem – und anderem europäischen – Recht der portugiesischen Verfassung und im griechi- Grundlage eines Schadensersatzes nur sein konn- schen Verbraucherschutzgesetz geschah. Im End- te ein schuldhaftes Fehlverhalten des Schadens- effekt legte die EG-Kommission 1976 dem Rat verursachers, sei es vorsätzlich oder – typischer- einen ersten Entwurf für eine Richtlinie zur Haftung weise – fahrlässig. So konnten dem Geschädigten, für fehlerhafte Produkte vor. Daraus wurde schließ- der nicht Käufer sein musste, Ansprüche auf Ersatz lich die am 25.07.1985 vom Rat beschlossene seines Schadens zugebilligt werden.2 Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Dies führte dazu, dass der deutsche Gesetzgeber Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist aber im Jahre 1997 das Produktsicherheitsgesetz schuf, stets eine ursächliche Verknüpfung – im Sinne welches zum 1.05.2004 durch das Geräte- und Pro- rechtlicher und damit wertender Ursächlichkeit – duktsicherheitsgesetz abgelöst wurde4. und ein vorwerfbares, schuldhaftes Verhalten des Herstellers/Importeurs im Bereich der Konstruktion, 1.4.2 Das Geräte- und Produktsicherheits- der Fertigung oder der Gebrauchsinformation. Ver- gesetz schulden und Ursächlichkeit nachzuweisen ist in der Regel nicht einfach. Es ist selbst dann nicht ein- Durch dieses Gesetz werden Gesetzgebungskom- fach, solche Ansprüche durchzusetzen, wenn man petenzen geschaffen zur Regelung von Anforde- berücksichtigt, dass die Rechtsprechung dem Ge- rungen an die Gewährleistung von Sicherheit. Zum schädigten mit Beweislastregeln hilft, etwa da- Schutz von Gesundheit und anderer Rechtsgüter durch, dass ein Anscheinsbeweis greift. Das be- können Prüfungen, Produktionsüberwachungen deutet, dass der typische Hergang eines Scha- oder Vorlage von Bescheinigungen sowie Anforde- densereignisses für einen Schaden am Fahrzeug, rungen an Kennzeichnungen verlangt werden, § 3 einen Mangel, spricht. Das führt dazu, dass der Abs. 1 Satz 2 GPSG. Im Endeffekt geht es darum, was in § 4 Abs. 2 Satz 1 gesagt ist:

„Ein Produkt darf ... nur in den Verkehr gebracht 1 MK-BGB, § 443 RN 2, 8; MK-BGB, § 823 RN 592. werden, wenn es so beschaffen ist, dass bei 2 Palandt, BGB, § 823 RN 166. bestimmungsgemäßer Verwendung oder bei vor- 3 MK-BGB, § 823 RN 658 f. hersehbarer Fehlanwendung Sicherheit und 4 Kullmann, Produkthaftungsgesetz, 6. Aufl., E RN 9; Stau- dinger/Oechsler, BGB (2009) ProdHaftG E RN 5 f.; Gesundheit von Verwendern oder Dritten nicht ProdHaftG § 3 RN 5. gefährdet werden.“ 103

Dazu wird, § 5 Abs. 1, dem Hersteller oder Impor- rieller als auch immaterieller Schaden zu ersetzen teur auferlegt, dann, wenn er Produkte in den Ver- ist. Da das Produkthaftungsgesetz aber ein Ver- kehr bringt, sicherzustellen, dass der Verwender braucherschutzgesetz ist und andere Ansprüche die erforderlichen Informationen erhält, damit er die nicht ersetzen soll, ist der Ersatz von Sachschaden Gefahren beurteilen und sich gegen sie schützen begrenzt. kann, die von dem Produkt während der üblichen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Ge- § 1 ProdHaftG besagt: brauchsdauer ausgehen und die ohne entspre- „Wird durch den Fehler eines Produktes jemand chende Hinweise nicht unmittelbar erkennbar sind. getötet, sein Körper oder seine Gesundheit ver- Der Hersteller und Importeur wird verpflichtet, § 5 letzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Her- Abs. 2, den zuständigen Behörden unverzüglich steller des Produkts verpflichtet, dem Geschä- Mitteilung über die allgemeine Sicherheit seines digten den daraus entstehenden Schaden zu er- Produkts zu machen und mitzuteilen, wenn ihm In- setzen.” formationen oder Erkenntnisse vorliegen, aus de- nen sich ergibt, dass von einem Produkt eine Ge- Zum Sachschaden wird klargestellt, dass eine fahr für Gesundheit und Sicherheit von Personen Schadensersatzpflicht nur greift, ausgehen kann. Er hat die Maßnahmen mitzuteilen, die er ergriffen hat, um solche Gefahren abzuwen- „wenn eine andere Sache als das fehlerhafte den. Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- Ansprüche von Geschädigten auf Ersatz von Scha- oder Verbrauch bestimmt und hierfür von dem den infolge eines Produktfehlers werden durch die- Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ses Gesetz nicht begründet. Allerdings stellt § 4 ein ist”. Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar und ist daher geeignet, Schadensersatzansprüche Sachschäden durch Produkte, die für gewerbliche zu begründen.5 Die Missachtung bestimmter Vor- Nutzung bestimmt sind und so genutzt werden, schriften des Gesetzes stellt eine Ordnungswidrig- begründen somit keine Ansprüche nach ProdHaftG. keit dar, die mit Geldbuße geahndet werden kann. Anders ist dies bei Personenschäden. Die Verstöße werden zu Strafvorschriften gemäß Der Ausschluss der Haftung für Sachschäden des § 20 aufgewertet, wenn sie beharrlich wiederholt fehlerhaften Produkts selbst hat seinen Grund in werden oder wenn die vorsätzliche Nichtbeachtung der Abgrenzung zu kaufvertraglichen Gewährleis- dazu führt, dass Leben oder Gesundheit oder frem- tungsansprüchen oder Ansprüchen aus einem Ga- de Sachen von bedeutendem Wert gefährdet wer- rantievertrag. Wer solche Ansprüche hat, soll dane- den. ben nicht auch Ansprüche nach dem Produkthaf- In Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäi- tungsgesetz haben. schen Gemeinschaft – vom 25.07.1985 – hat der deutsche Gesetzgeber dann das zum 01.01.1990 2.2 Der Produktfehler in Kraft getretene Gesetz über die Haftung für feh- lerhafte Produkte – kurz Produkthaftungsgesetz – Der Hersteller hat für einen Fehler seines Produkts erlassen. einzustehen. Was ein Fehler – juristisch genau: ein Sachmangel – im Sinne des § 434 BGB ist, ist etwas anderes als ein Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG. 2 Haftung nach dem Produkt- haftungsgesetz Kaufrechtlich definiert sich der Fehler oder Mangel danach, 2.1 Ansprüche nach § 1 ProdHaftG • ob die Kaufsache die vereinbarte Beschaffen- Das Produkthaftungsgesetz schafft eine neue heit hat, Rechtsgrundlage, Schadensersatz zu , wenn durch die Fehlerhaftigkeit eines Produkts ein Mensch getötet, verletzt oder eine Sache beschä- digt wird. Die Verpflichtung, Schadensersatz zu leisten, ist insoweit umfassend, als sowohl mate- 5 MK-BGB, a. a. O., § 823 RN 670. 104

• ob sie sich für die nach dem Vertrag vorausge- Entscheidend ist somit, was ein durchschnittlicher setzte Verwendung oder sich für die gewöhn- Benutzer oder Dritter objektiv erwarten darf.8 Das liche (also nicht vereinbarte oder vorausgesetz- bedeutet, welche Sicherheit die Allgemeinheit nach te) Verwendung eignet und der Verkehrsauffassung des betroffenen Personen- kreises bezüglich eines Produktes für erforderlich • „eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen halten darf.9 Damit kommt es auf die subjektiven der gleichen Art üblich ist und die der Käufer Sicherheitserwartungen – man könnte auch sagen: nach Art der Sache erwarten kann”, § 434 Abs. Sicherheitsbehauptungen – eines Geschädigten 1 Ziff. 2 BGB. nicht an. Es kommt an auf die Sicherheitserwartun- Produkthaftungsrechtlich liegt ein Fehler vor, wenn gen des Personenkreises, an den sich der Herstel- ler des Produktes wendet,10 sei es durch aktive • „ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Benutzung – etwa das Führen eines Kfz – oder Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere durch das passive Ausgesetztsein der bestim- mungsgemäßen Benutzung. a) seiner Darbietung, Um die Rechtsnatur der Produkthaftung zu be- b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise ge- zeichnen, hat man oft gesagt, es handle sich um rechnet werden kann, eine Gefährdungshaftung, ein geläufiger Begriff. c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr ge- Das ist bei neuer Betrachtung nicht richtig. Schon bracht wurde, der Gesetzgeber hat es so gesehen, der in der Ge- setzesbegründung11 gesagt hat, dass die Haftung berechtigterweise erwartet werden kann”, § 3 Abs. nach ProdHaftG „weitgehend identisch ist mit der 1 ProdHaftG. Gefährdungshaftung”. Der Unterschied zur Gefähr- dungshaftung ist darin begründet, dass sich bei der Es kommt also nicht auf die in einem Vertrag aus- Produkthaftung Elemente einer Haftung für Verhal- drücklich oder stillschweigend vorausgesetzte oder tensunrecht und Gefährlichkeit mischen. Geschützt aus der Bestimmtheit des Produktes abzuleitende werden soll nicht der Käufer eines Produktes, son- Gebrauchseigenschaft an, entscheidend ist viel- dern der „innocent bystander”12. mehr der Erwartungshorizont der durch die fehlen- de Produktsicherheit betroffenen Allgemeinheit. Wenn ein Konstruktions- oder Produktionsfehler Dies ist durch Artikel 6 der EU-Produkthaftungs- vorliegt, für den der Produzent einzustehen hat, richtlinie vorgegeben, welcher von der Sicherheit dann hat dies mit fehlerhaftem Verhalten zu tun. spricht, die „man” erwarten darf und die vom deut- Das gilt genauso, wenn die „Darbietung” des Pro- schen Gesetzgeber so umgesetzt wurde. Das zeigt dukts fehlerhaft ist, also die Einweisung in den Ge- sich nicht nur im Text des § 3. Es findet sich auch in brauch und die Hinweise zu dem Gebrauch. Dane- der Begründung des Gesetztes, wo es heißt, dass ben aber steht immer das Einstehenmüssen für die es „nicht auf einen individuellen Empfängerhorizont Gefahr, die vom Produkt, infolge des Fehlers, aus- ..., sondern auf die berechtigten Erwartungen der geht. Allgemeinheit und damit auf objektive Maßstäbe”6 Letztlich entscheidend allerdings ist, dass selbst ankomme. dann, wenn die Produkthaftung Elemente des Ver- Wie schon ausgeführt, setzt § 3 des ProdHaftG die haltensunrechts enthält, sie verschuldensunabhän- Vorgabe von Artikel 6 Abs. 1 der EG-Richtlinie um. Diese hatte gesagt, entscheidend sei, ob ein Pro- dukt die Sicherheit bietet, die man zu erwarten berechtigt ist. Das zeigt, dass es nicht auf einen 6 BT-Drucks. 11/2447, 18. subjektiven, sondern auf einen objektiven, allge- 7 Taschner/Frietsch, ProdHaftG und EG-Produkthaftungs- richtlinie, 2. A. § 3 RN 3; Kullmann, ProdHaftG 6.A.§ 3 RN 5. meinen Erwartungshorizont ankommt. Zwar ist das 8 BGH-Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 = NJW 2009, Wort „man” im deutschen Gesetzestext nicht ent- 1669; Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 15. halten, doch ist mit der anderen Formulierung des § 9 BGH Urteil vom 9.05.1995 = BGHZ 129, 353 und vom 3 ProdHaftG nicht beabsichtigt gewesen, eine 16.06.2009 – VI ZR 107/08 = BGHZ 181, 253. inhaltliche Änderung vorzunehmen, es ging viel- 10 BGH-Urteil vom 17.03.2009, Anm. 8. mehr lediglich um eine Anpassung an die deutsche 11 BT-Drucks. 11/2447, 11. Gesetzessprache.7 12 Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG Einl. RN 27 ff. 105

gig ist. Es kommt also nicht darauf an, dass der der nicht körperlich ist, für Produkthaftung von innocent bystander, der infolge eines Produktfeh- hoher Bedeutung sein kann, nämlich Computer- lers zu Schaden kommt, ein Verschulden des Pro- Software. Ein Computer-Programm für sich genom- duzenten behauptet. Dem Produzenten selbst ist men ist eine rein geistige Leistung. Diese geistige nicht die Möglichkeit gegeben, geltend zu machen, Leistung wird jedoch typischerweise nicht als sol- dass der zum Schaden führende Produktfehler che, sondern auf einem Datenträger in den Verkehr nicht verschuldet ist.13 gebracht. Dieser ist natürlich eine Sache im Sinne des § 90 BGB. Deshalb hat der Bundesgerichtshof Datenverarbeitungsprogramme, bei denen es sich 2.3 Der Hersteller um Standardprogramme handelt, die auf einem Der Anspruch aus Produkthaftung richtet sich ge- Datenträger aufgespielt sind, als „Ware” im Sinne gen den „Hersteller”. Wer Hersteller im Sinne des des Warenzeichengesetzes angesehen.14 In einem Gesetzes ist, sagt dessen § 4. Urteil vom 18.10.1989 hat der BGH davon gespro- chen, dass Verträge auf Lieferung von Computer- Danach ist Hersteller, Standardprogrammen solche über eine bewegliche Sache sind. • wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat, Der aktuelle Stand ist der, dass das ProdHaftG für • wer sich durch das Anbringen seines Namens, Fehler von Computerprogrammen greift, wenn von seiner Marke oder eines anderen unterschei- dem Programm elektronische, steuernde Impulse 15 dungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgehen – im Unterschied zu bloßen Daten. ausgibt, § 4, Abs.1 ProdHaftG. Software, die im Kfz zur Steuerung von Fahras- sistenz-Systemen gespeichert ist, ist daher sicher Als Hersteller gilt, als Sache und Produkt im Sinne des ProdHaftG anzusehen. • wer ein Produkt zum Zwecke des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen seiner geschäft- 2.5 Fehlerarten lichen Tätigkeit in die EU einführt oder verbringt, 2.5.1 Schützt das kaufrechtliche Gewährleis- • jeder Lieferant, wenn der Hersteller des Pro- tungsrecht das Äquivalenz-Interesse des Käufers, dukts nicht festgestellt werden kann und wenn so schützt das ProdHaftG das Interesse der Allge- der Lieferant nicht innerhalb eines Monats dem meinheit oder jedes Einzelnen, dass es durch Ver- Geschädigten den Hersteller oder seinen Liefe- wendung des Produkts weder zur Tötung oder Ver- ranten mitgeteilt hat. letzung eines Menschen noch zu einer Sachbe- schädigung kommt. Das ist das Integritätsinteres- Sind mehrere Hersteller im Sinne des Gesetzes se. Daran orientiert sich der Fehlerbegriff des Pro- vorhanden, die schadensersatzpflichtig sind, so dukthaftungsrechts, der auf eine Sicherheitserwar- haften sie dem Geschädigten als Gesamtschuld- tung abstellt.16 ner. Im internen Verhältnis der ausgleichspflichtigen Schädiger ist entscheidend, wie weit der Schaden Man unterscheidet herkömmlich drei Fehlerarten, vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil den Fabrikationsfehler, den Konstruktionsfehler verursacht worden ist, § 5 ProdHaftG. und den Instruktionsfehler. Diese Unterscheidung hatte sich herausgebildet in der Rechtsprechung, zu der aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleiteten Produ- 2.4 Fehler einer Sache zentenhaftung. Das Produkt, für dessen Fehler einzustehen ist, muss eine bewegliche Sache im Rechtssinn sein. Dem ist in § 2 ProdHaftG Elektrizität gleichgestellt. 13 Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 150 ff. Der Erwähnung von Elektrizität bedurfte es, weil 14 BGH Beschluss vom 2.05.1985 – I Z BZ 8/84 = DB 1985, diese kein körperlicher Gegenstand ist, nur solche 2603; BGH Urteil vom 18.101989, AZ.: VIII ZR 325/28 = aber Sachen im Sinne des § 90 BGB sind. BGHZ 109, 97. 15 Kullmann, ProdHaftG, § 2 RN 18; Computerrecht 1996, 257; Die ausdrückliche Erwähnung von Elektrizität ist König, NJW 1990, 1584. deshalb interessant, weil ein anderer Gegenstand, 16 v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 74 RN 2. 106

2.5.2 Von einem Fabrikationsfehler wird dann Der Umstand, dass ein anderer Hersteller für ein gesprochen, wenn das Produkt, dessen Verwen- Konkurrenzprodukt eine konstruktive Lösung dung zu einem Schaden geführt hat, von den Kon- gefunden hat, die mehr Sicherheit bietet, aber in struktions- und Qualitätsvorgaben, also dem vom den beteiligten Fachkreisen nicht dem Konsens Hersteller selbst gesetzten Standard, abweicht. Bei entspricht, führt nicht zum Fehler. der Serienfertigung ist somit entscheidend, ob ein einzelnes Produkt von der Standardserie und damit 2.6.3 Nutzen-/Risiko-Abwägung der für sie geltenden Sicherheit abweicht.17 Worauf die Abweichung zurück geht, etwa Störungen im Bei der Festlegung einer bestimmten Konstruktion Produktionsablauf, ist ohne Bedeutung. und einer mit ihr verbundenen Sicherheitserwar- tung wird der Hersteller sich durchaus auch an 2.6 Der Konstruktionsfehler einer Abwägung von Nutzen und Risiko orientie- ren.20 Das kann bedeuten, dass bestimmte Sicher- 2.6.1 Beim Konstruktionsfehler liegt keine Abwei- heiten, die den Eintritt eines Schadens vermieden chung von einer Serie vor, vielmehr kenn- hätten, konstruktiv bewusst nicht vorgesehen wur- zeichnet er eine ganze Serie.18 den. Diese Entscheidung kann bestimmt sein von 2.6.2 Sicherheitsstandard der Überlegung, dass mit der Realisierung dieser Sicherheit andere Gefahren oder Nachteile verbun- Ein Konstruktionsfehler liegt immer dann vor, wenn den wären, welche nach der Entscheidung des Her- öffentlich-rechtliche Sicherheitsvorschriften nicht stellers auf jeden Fall vermieden werden sollten. beachtet werden. Dann ist ein Produkt per se feh- Ein führender Kommentar zum ProdHaftG führt in lerhaft. Dazu gehört etwa die Maschinenrichtlinie diesem Zusammenhang an, dass der Hersteller 98/37/EG, welche in deutsches Recht umgesetzt eines Kfz konstruktiv auf Verstärkungen der Karos- wurde durch die 9. Verordnung zum GPSG. serie des Kfz verzichtet, um so einen sich aus dem höheren Gewicht ergebenden höheren Benzinver- Die Konstruktion muss so ausgelegt sein, dass das brauch zu vermeiden.21 Ob dieses Beispiel wirklich Produkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zutreffend ist, erscheint fraglich, denn bei der Ab- gefahrlos benutzt werden kann. Es darf nicht zu wägung von Sicherheit und Wirtschaftlichkeit hat unerwarteten Schäden kommen. prinzipiell – wenn selbstverständlich auch nicht Als Konstruktionsfehler ist anzusehen, wenn der schrankenlos – die Sicherheit Vorrang. Richtiger- Hersteller nicht alle konstruktiv möglichen Sicher- weise hätte der Hersteller wohl zu prüfen, ob er heitsvorkehrungen trifft, damit es bei der Produkt- nicht durch Wahl eines anderen Materials oder verwendung nicht zu einem Schaden kommt. Der durch konstruktive Änderungen den aus seiner Standard hierfür ist das Wissen der einschlägigen Sicht eigentlich erwünschten oder erforderlichen Fachkreise über die konstruktiven Anforderungen Sicherheitseffekt erreichen kann, ohne zu einer an ein bestimmtes Produkt. Verbrauchsanhebung zu kommen.

Der Stand von Wissenschaft und Technik, der all- gemein bekannt ist, ist zu berücksichtigen. Es sind 2.6.4 Normen und Regeln der Technik die Sicherungsmaßnahmen vorzusehen, die nach Die Beachtung technischer Vorschriften und Nor- dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik men für sich allein bedeutet nicht, dass ein Pro- 19 konstruktiv möglich sind. duktfehler nicht gegeben ist. Denn Normen können überholt, das technische Wissen ein anderes sein. Daher können anerkannte Regeln der Technik oder Normen in der Regel nur die Untergrenze des bei 17 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 10. der Konstruktion zu berücksichtigenden Sicher- 18 Palandt, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 8. heitsniveaus sein.22 Regeln der Technik oder tech- 19 BGH-Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 = BGHZ 181, nische Normen für sich allein sind deshalb nicht 2350. entscheidend, weil es ja auf den Erwartungshori- 20 v. Westphalen, NJW 1990, 88; Kullmann, a. a. O., § 3 RN 60; Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 85. zont der Nutzer oder Dritter ankommt. Allerdings 21 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 16. kann ein gewisser Anschein dafür sprechen, dass 22 OLG , Urteil vom 29.08.2005 – 12 U 538/04 = NJW ein Produkt in der Konstruktion nicht fehlerhaft ist, RR 2006,169; MK BGB § 3 RN 7. wenn es nach Prinzipien konstruiert und produziert 107

ist, die Normen entsprechen, branchenüblich sind steller, der bestimmt, wie das Produkt und seine und bisher von Benutzern akzeptiert wurden.23 Verwendung dargestellt werden. Letztlich geht es um ein Einstehen für „jede Art produktbezogener Umgekehrt ist jedoch ein Produkt auf jeden Fall Kommunikation des Herstellers mit dem Verbrau- fehlerhaft, wenn die anerkannten Regeln der Tech- cher, die dem Verbraucher Vorstellungen über den 24 nik als Untergrenze nicht eingehalten sind. Die so Gebrauch und die Gefährlichkeit des Produkts ver- bestimmte Fehlerhaftigkeit des Produkts entfällt mittelt”32. Dazu gehören die Werbung für das Pro- auch nicht dadurch, dass der Hersteller gegen dukt, seine Aufmachung, die Gebrauchsanweisung, Bezahlung, ein Zubehör anbietet, welches die Pro- Warnhinweise, selbst Informationen durch Mitarbei- 25 duktgefahr weitgehend mindert. ter des Herstellers sollen dazu gehören.33 Der Erwartungshorizont deckt jedoch nicht, dass ein Produkt in allen Gefahrensituationen jede nach 2.7.2 Werbung für das Produkt dem Stand von Wissenschaft und Technik mögliche Sicherheit bieten muss. Beim Kfz gehört dazu Die Werbung für das Produkt ist hier von hoher Be- (noch) etwa die Ausstattung mit einem ABS oder deutung. In der Werbung wird nicht nur das schöne einem Airbag26. Wird aber ein Airbag eingebaut, Sein eines Pkw gezeigt, sondern es werden Ver- dann müssen alle Gefahren vermieden werden, die wendungsmöglichkeiten oder Verwendungszwecke nach gesichertem Fachwissen durch praktisch ein- dargestellt. Es wird über Sicherheitsgefahren und satzfähige Lösungen vermieden werden können.27 deren Vermeidung gesprochen. Wenn Werbung be- sondere Qualitäten eines Produkts hervorhebt, kann mögliche Haftung dafür durch Produktbe- 2.6.5 Fahrzeugklasse und Sicherheitsstandard schreibungen und Warnhinweise nicht beschränkt Nicht jede technisch mögliche Ausstattung eines werden. Denn durch die Werbung wird – wenn sie Kfz wird zur objektiven, begründeten Sicherheitser- gut ist – möglichst intensiv eine Qualitätserwartung wartung. Der Preis des Fahrzeuges kann einen un- dargestellt, welche die Sicherheitserwartung prägt. terschiedlichen Sicherheitserwartungshorizont er- Dem gegenüber tritt der Verwendungs- oder Warn- geben. Von einem teuren Pkw wird mehr Sicherheit hinweis in der Gebrauchsanleitung zurück. Denn erwartet als von einem billigen. Der höhere Preis sie wird häufig nicht vor der Verwendung des Pro- 28 kann zu höherer Sicherheit führen. Bei billigen dukts gelesen, sondern allenfalls dann, wenn ein Produkten sind die Sicherheitserwartungen gerin- Problem in seiner Nutzung auftritt. Gerade bei Kfz, 29 ger, und sie müssen es sein. Doch muss das Bil- deren Nutzung mit einem besonderen Gefähr- ligprodukt seinerseits dem möglichen Sicherheits- dungspotenzial verbunden ist, zeigt sich damit die standard entsprechen und darf einen Mindestsi- Gefährlichkeit einer Werbung, die einen Erwar- cherheitsstandard nicht unterschreiten.30

2.7 Der Informationsfehler 23 BT-Drucks. 11/2447, S. 19, 45; Staudinger/Oechsler, § 3 2.7.1 Die „Darbietung” des Produkts ProdHaftG RN 86, 87. 24 BGH-Beschluss vom 17.01.1984 – VI ZR 35/83 = VersR In § 3 Abs. 1 ProdHaftG wird zum Produktstandard 1984, 270. gesagt, was „unter Berücksichtigung aller Umstän- 25 OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.1993 – 13 U 110/97 = de” erwartet werden kann. Zu diesen Umständen OLG-R Düsseldorf 1993, 208. 26 gehört die „Darbietung” des Produkts. Darunter ist Taschner/Frietsch, a. a. O., RN 55; Kullmann, a. a. O., § 3 RN 49. jede Tätigkeit zu verstehen, „durch die das Produkt 27 BGH-Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 a. a. O. der Allgemeinheit oder dem konkreten Benutzer 28 BGH-Urteil vom 17.10.1989 – VI ZR 258/88 a. a. O. vorgestellt wird, erfasst sind damit z. B. die Pro- 29 Kullmann, a. a. O., RN in 51. duktbeschreibung, die Gebrauchsanweisung und 30 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 52; MK-BGB a. a. O., § 3 RN 24; 31 die Produktwerbung” . OLG Düsseldorf Urteil vom 26.02.1993 – 13 U 110/97 a. a. O. Hier, aber nicht nur hier, zeigt sich, dass die Pro- 31 BT-Drucks. 11/2447, 18. dukthaftung keine Gefährdungshaftung im eigentli- 32 Staudinger/Oechsler, a. a. O., RN 42. chen Sinn ist, sondern – wie ausgeführt – eine Haf- 33 OLG Zweibrücken Urteil vom 15.08.2002 – AZ.: 4 U 178/ tung aus Verhaltensunrecht. Denn es ist der Her- 01 –, VersR 2003, 255. 108

tungshorizont schafft, der über das hinaus geht, bedingungen nicht mehr funktionsfähig ist – etwa was das Produkt, daran gemessen, an Sicherheit weil der Boden, auf dem sich das Fahrzeug be- wirklich zu bieten hat.34 wegt, eine einwandfreie Funktion nicht mehr zu- lässt. Die Werbung muss allerdings derart sein, dass die Sicherheitserwartung, die sie darstellt, als ernsthaft Gerade der Hinweis auf Systemgrenzen – wie und konkret erscheint. Erkennbar unverbindliche immer er erfolgt – muss klar und unverwechselbar oder übertreibende, marktschreierische Anpreisung sein. Im Hinblick auf die ständig zunehmende Zahl kann eine solche Sicherheitserwartung nicht be- der Systeme wäre eine Vereinheitlichung durch die gründen.35 Hersteller sinnvoll.

2.7.3 Das Benutzerhandbuch 2.7.5 Minderung des Produkthaftungsrisikos

Der Produzent hat im Gegenteil, statt verlockender Durch eine umfassende Information und Instruktion Werbeanpreisungen, die eine falsche Sicherheit- über Produktgefahren und/oder die Möglichkeit serwartung begründen können, auf Gefahren des einer gefahrfreien Verwendung des Produkts ist der Produkts und seiner Anwendung hinzuweisen. Das Hersteller damit in der Lage, sein Produkthaftungs- hat auf jeden Fall im Benutzerhandbuch zu gesche- risiko zu beschränken. Dies gilt in gleicher Weise, hen. Art und Umfang des Hinweises werden durch wenn übertriebene Hinweise in Werbung oder den Erwartungshorizont der Allgemeinheit be- Funktionsbeschreibungen vermieden werden.38 stimmt, der den Fehler kennzeichnet. Im Einzelnen bedeutet dies, dass bei besonders großen Gefah- ren auf die Folgen unsachgemäßer Verwendung 2.8 Der Gebrauch des Produkts des Produkts hingewiesen werden muss.36 Es ist nicht ausreichend, eine bestimmte möglicherweise 2.8.1 Der bestimmungsgemäße Gebrauch drohende Gefahr zu beschreiben, sondern es muss Nicht immer, wenn es bei dem Gebrauch des Pro- in nachvollziehbarer Weise der zu möglichem dukts zu einem Schaden kommt, ist dies geeignet, Schaden führende Sachzusammenhang dargestellt einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Es 37 werden. ist vielmehr erforderlich, dass von dem Produkt Ge- brauch gemacht wurde in einer Art und Weise, „mit 2.7.4 Hinweis beim Fahrersitz der billigerweise gerechnet werden kann”, § 3 Abs. 1a ProdHaftG. Für die EG-Richtlinie war ursprüng- Gerade bei Kraftfahrzeugen ist es erforderlich, dass lich vorgesehen, auf den „bestimmungsgemäßen” der Hersteller seiner Instruktionspflicht genügt, Gebrauch abzustellen. Das hätte bedeutet, dass indem er nicht nur in der Gebrauchsanweisung die Gebrauchsintention des Herstellers entschei- einen in diesem Sinn warnenden Hinweis gibt. Es dend gewesen wäre für die Frage, ob ein Produkt- ist erforderlich, dass er dem Fahrer an seinem fehler vorliegt. Das hätte nicht der Perspektive des Arbeitsplatz, also dem Fahrersitz, einen Warnhin- Erwartungshorizonts des Nutzers oder eines Drit- weis gibt. Der Hinweis kann sich darauf beziehen, ten entsprochen. Die andere Formulierung des Ge- dass ein bestimmtes, der Sicherheit dienendes setzes führt daher dazu, dass willkürliche Anwen- System aktiv ist oder wird. Er muss sich darauf dungsbeschränkungen des Herstellers ihn nicht beziehen, dass ein System an die Grenzen seiner entlasten, wenn es bei Gebrauch des Produkts zu Wirksamkeit gelangt, also unter bestimmten Fahr- einem Schaden kommt. Der Hersteller muss, vor allem bei der Konstruktion, aber auch bei der Pro- duktion, voraussehbare Gefahrensituationen, Si- tuationen, die von der standardmäßigen Nutzung 34 BT-Drucks 11/ 2447, 18; MK-BGB a. a. O. § 3 ProdHaftG RN abweichen, berücksichtigen und ihnen Rechnung 14; Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 44. tragen. Das Produkt muss daher nicht nur geeignet 35 BGH-Urteil vom 12.11.1991 – AZ.: VI ZR 7/91 = BGHZ 116, 60. sein, durchschnittlichen Funktionen und Belastun- 36 BGH-Urteil vom 11.07.1972 – AZ.: VI ZR 194/70 = NJW gen zu entsprechen, es muss auch in der Lage 1972, 2217. sein, einer außergewöhnlichen Beanspruchung ge- 37 BGH-Urteil vom 12.11.1991 = BGHZ 116, 60. recht zu werden – wenn mit ihr billigerweise gerech- 38 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 26. net werden kann. 109

2.8.2 Fehlgebrauch und Missbrauch der muss von dem Geschädigten dargelegt wer- den, dass und warum er zu erwarten berechtigt Im Endeffekt bedeutet dies, die Prüfung der Pro- gewesen sein will, der Hersteller habe billiger- duktfehlerhaftigkeit an einem Gebrauch auszurich- weise mit der von ihm vorgenommenen Pro- ten, der zwar nicht unbedingt bestimmungsgemäß, duktverwendung rechnen müssen.”43 aber doch sozial adäquat ist. Als Beispiel wird angeführt, dass ein Sitzhocker dazu benutzt wird, auf ihn drauf zu steigen und er deshalb bricht.39 2.9 Der entscheidende Zeitpunkt Dies zeigt, dass die Sicherheitserwartung des Der Zeitpunkt, der bestimmt, wann ein Produktfeh- Geschädigten eindeutigen Vorrang gegenüber der ler vorliegt, ist der, in dem das Produkt in den Ver- Benutzungserwartung des Herstellers hat.40 Ein kehr gebracht wird, § 3 Abs. 1 lit. c. Es kommt also Produktfehler, für den der Hersteller gemäß § 3 nicht darauf an, welcher Sicherheitserwartungshori- Abs. 1b einzustehen hat, liegt also nicht nur vor, zont des Nutzers oder Dritten im Zeitpunkt des Ein- wenn das Produkt bestimmungsgemäß gebraucht tritts des Schadens bestand. Denn zwischen die- wurde, sondern auch bei einem vorhersehbaren sem Zeitpunkt und dem des In-Verkehr-Bringens oder üblichen Fehlgebrauch.41 kann sich neue Erkenntnis zu relevanten Sicher- Von ihm zu unterscheiden ist der Produktmiss- heitsfragen, können sich technische Weiterentwick- brauch für den der Hersteller nicht verantwortlich lungen ergeben haben. Die Herstellerverantwort- ist. Mit ihm ist billigerweise nicht zu rechnen. Der lichkeit, deren Verletzung Produkthaftung begrün- Missbrauch muss sich als unvernünftig darstellen. det, kann sich daher nur beziehen auf den Zeit- Dies besagt, dass etwa ein für einen bestimmten punkt, in dem der Hersteller das Produkt in seiner Einsatz nicht taugliches Produkt keinen Fehler hat, spezifischen konstruktiven Ausbildung und produk- wenn es dennoch dafür verwendet wird. Als Bei- tiven Fertigung in den Verkehr gebracht hat. spiel hierfür findet sich in der Literatur der Einsatz In § 3 Abs. 2 ist ausdrücklich gesagt, ein Produkt eines normalen Pkw für Geländefahrten.42 habe nicht dadurch einen Fehler, dass es später – Von einem Missbrauch kann dann gesprochen wer- also nach dem In-Verkehr-Bringen – in einer ver- den, wenn sich der Nutzer mutwillig über die Ge- besserten Version in den Verkehr gebracht wurde. brauchsinformation des Herstellers hinwegsetzt. Die Modellpflege eines bestimmten Kfz, welche Dazu wird man bei einem ACC das so genannte eine höhere Sicherheit bringt, bedeutet somit nicht, Nebelrasen rechnen können. Das Radar des ACC dass alle Fahrzeuge desselben Typs, die zuvor in erkennt zwar Hindernisse in seinem Abstrahlwinkel, den Verkehr gebracht wurden, nun einen Fehler insbesondere also vorherfahrende Kraftfahrzeuge. hätten. Das wäre selbst dann nicht der Fall, wenn Es erkennt aber nicht, was außerhalb des Abstrahl- das modellgepflegte Fahrzeug einen echten techni- winkels liegt, etwa bei einer Auffahrt ein auffahren- schen Sicherheitsgewinn hat. Ein Produkt hat also des Fahrzeug oder beim Verkehr auf mehreren nicht deshalb einen Fehler, weil später ein verbes- Fahrstreifen eines, das den Fahrstreifen wechselt. sertes Produkt der gleichen Art in den Verkehr ge- Da der Fahrer dies andere Fahrzeug wegen des bracht wird. Das ist so entschieden zur Zentralver- Nebels ebenfalls nicht oder erst zu spät erkennen riegelung eines Pkw.44 kann, kommt es zum Unfall. Der Hinweis des Her- Dennoch kann sich bei Serienprodukten – und das stellers im Benutzerhandbuch sagte aber klar, dass sind typischerweise Kfz – eine relevante Änderung die Verwendung des ACC bei Nebel nicht davon ergeben. Dies ist dann der Fall, wenn sich während entbindet, das Gebot des Fahrens auf Sicht zu beachten.

Die Abgrenzung von Fehlgebrauch zum Miss- brauch ist generell kaum zu ziehen. Sie muss im 39 BT Drucks. 11/2447, 18; Staudinger/Oechsler, a. a. O. Einzelfall und damit letztlich durch richterliche Ent- ,ProdHaftG § 3 RN 59 f.; Kullmann, a. a. O., § 3 RN 29 f. scheidung gefunden werden. Eine Annäherung an 40 Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 57. die Abgrenzung mag folgender Satz sein: 41 BT Drucks. 11/2447, 18; Taschner/Frietsch, a. a. O., RN 44; Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 59. • „mehr sich eine Produktverwendung vom be- 42 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 31; Hollmann DB 1985, 2393. stimmungsgemäßen Gebrauch entfernt, umso 43 Kullman, a. a. O., § 3 RN 33 m. w. N. sorgfältiger muss geprüft und umso eingehen- 44 OLG München, Urteil vom 5.08.2002 – 17 U 2297/02. 110

der Vertriebszeit die Sicherheitserwartungen verän- ten Fehler statuiert. Die Information hat gegenüber dern. Dann muss der Hersteller seiner Produktver- den zuständigen Behörden zu erfolgen, § 5 Abs. 2 antwortlichkeit gerecht werden. Er muss Verände- GPSG. Zu informieren sind daneben die Händler, rungen in Konstruktion und/oder Produktion vor- die solche Fahrzeuge dann nicht mehr in den Ver- nehmen, zumindest aber Warnhinweise geben. Tut kehr bringen dürfen, § 6 Abs. 3 GPSG. Die den er dies nicht, ist das Produkt nicht mehr als fehler- zuständigen Behörden gemeldeten Produktfehler frei im Sinne von § 3 ProdHaftG anzusehen.45 sind von ihnen öffentlich bekannt zu machen, § 10 GPSG. Wenn also § 3 Abs. 2 ProdHaftG zwar ergibt, dass das später verbesserte Produkt „nicht allein” des- Eine Rückrufpflicht des Herstellers ergibt sich nicht halb ein früher in den Verkehr gebrachtes fehlerhaft aus diesem Gesetz. Wohl aber können die zustän- macht, so schließt dies nicht aus, aus der Sicher- digen Behörden, denen Fehler gemeldet oder be- heitsverbesserung des neueren auf die Fehlerhaf- kannt werden, einen Rückruf anordnen, § 8 Abs. 4 tigkeit des älteren Modells zu schließen.46 Dies gilt Ziff. 7 GPSG. Sie können u. a. anordnen, dass ein insbesondere dann, wenn andere Hersteller ver- Produkt für eine bestimmte Zeit, bis der Mangel be- gleichbare Produkte mit dem neuen Sicherheitsde- hoben ist, nicht in den Verkehr gebracht werden tail ausgestattet haben. Dann wird die Erwartungs- darf. haltung zur Fehlerhaftigkeit des Produkts eben hiervon bestimmt und führt zum Produktfehler des Aber die Verantwortung für die verkehrssichere unverändert weitergebauten Produkts. Nutzung des Produkts erschöpft sich nicht darin, dass es in den Verkehr gebracht wird, vielmehr hat der Hersteller/Importeur zu beobachten, ob beim 3 Produktbeobachtung Einsatz seines Produkts, seiner bestimmungsge- mäßen Verwendung noch unbekannt gebliebene Das ProdHaftG kennt keine Produktbeobachtungs- Eigenschaften des Produkts bekannt werden, die pflicht. Es kennt folglich auch nicht den Rückruf geeignet sind, Schaden zu verursachen und somit eines fehlerhaften Produkts, der sich aus der Pro- gefährlich sind.47 Wird eine konkrete, von einem duktbeobachtung ergeben kann. Produktbeobach- Produkt ausgehende Gefahr erkannt, sind die Nut- tung und Rückruf sind nicht Gegenstand der Unter- zer und ggf. die Öffentlichkeit darüber zu informie- suchung. Es soll daher nur kurz auf Folgendes hin- ren, und dies gilt unabhängig davon, ob einschlägi- gewiesen werden: ge technische Normen oder Regeln – etwa die DIN- Normen oder VDE-Richtlinien – geändert sind.48 Produktbeobachtungspflicht trifft den Hersteller unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Ein Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Sicherheit. Ihre Verletzung ist daher geeignet, Produktbeobachtung und Produktinformation oder Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 1 unterlassenen Rückrufs ergibt sich nicht aus dem BGB auszulösen. So wurde die Haftung für erkann- GPSG. Er lässt sich nur über die Produzentenhaf- te Produktfehler, die den Hersteller nicht veran- tung des § 823 Abs. 1 BGB begründen. lassten, den Fehler zu beseitigen, begründet und so eine daraus abgeleitete Pflicht zum Rückruf. Dies galt bis zum Inkrafttreten des Geräte- und Pro- 4 Die Produzentenhaftung duktsicherheitsgesetzes zum 1.05.2004. In ihm ist die Verpflichtung des Herstellers zur Produktbe- 4.1 Haftung aus Verkehrssicherungspflicht obachtung und zur Information über einen erkann- Wie schon ausgeführt gibt es Produkthaftung erst, seit das ProdHaftG in Kraft trat. Davor war die Haf- tung für Schaden, der durch ein fehlerhaftes Pro- dukt entstanden war, als ein Fall der Haftung für 45 Taschner/Frietsch, a. a. O., N 51; MK-BGB a. a. O. § 3 RN Verkehrssicherungspflicht entwickelt worden. Haf- 32, 61; Kullmann, a. a. O., § 3 RN 36. 46 Taschner/Frietsch, a. a. O., RN 65; Kullmann, a. a. O., § 3 tungsgrundlage ist eine allgemeine Vorschrift des RN 68; MK-BGB a. a. O. § 3 RN 27. Schadensersatzrechts, der § 823 Abs. 1 BGB. 47 BGH-Urteil vom 17.03.1981 – AZ.: VI ZR 286/78 = BGHZ 80, 199. Wer ein Produkt in den Verkehr bringt, hat sicher- 48 BGH-Urteil vom 27.09.1994 – AZ.: VI ZR 150/93 = NJW zustellen, dass aus seiner bestimmungsgemäßen 1994, 3349. Verwendung kein Schaden entsteht. Das bestimmt 111

die Verkehrssicherungspflicht. Diese Haftung kann das in eine Gesamtheit eingefügt wird, trifft eben- sich wie die des ProdHaftG ableiten aus Konstruk- falls die Verantwortung für die Fehlerfreiheit seines tionsfehlern, aus Produktionsfehlern und aus der Produkts, § 2 ProdHaftG. Im Verhältnis zum Teil- Verletzung von Instruktionspflichten. produkt stellt sich dann das Gesamtprodukt als andere Sache dar.49 Die Erkenntnis, dass ein Produktfehler vorliegt, führt zur Verpflichtung, diesen zu beseitigen. Die Das Problem bei einem so zu begründenden Scha- Missachtung der Pflicht kann zu einem Schadens- densersatzanspruch ist, dass es keine Überschnei- ersatzanspruch führen, wenn daraus Schaden ent- dung mit kaufrechtlichen Gewährleistungsansprü- standen ist. chen geben soll. Dazu ist erforderlich, dass das Integritätsinteresse des Eigentümers oder Besit- zers nicht identisch ist mit dem Nutzungs- und Äqui- 4.2 Produkthaftung und Produzentenhaftung valenz-Interesses des Käufers. Beide dürfen nicht aus § 823 BGB „stoffgleich” sein. Das ist der Fall, wenn der geltend 4.2.1 Unterschiede gemachte Schaden sich deckt mit dem zum Zeit- punkt des Eigentumsübergangs bei Kauf dem Pro- Selbst wenn die Anknüpfungspunkte für Haftung dukt anhaftenden Mangel.50 aus dem ProdHaftG und aus § 823 Abs. 1 BGB teil- weise dieselben sind, gibt es doch wesentliche Un- terschiede in den rechtlichen Voraussetzungen und 4.2.3 Personen- und immaterieller Schaden den Rechtsfolgen beider Rechtsinstitute zu mögli- cher Haftung auf Schadensersatz. Ein Anspruch auf Ersatz von Personenschaden, der durch ein Produkt verursacht wurde, ist nach § 10 Das ProdHaftG setzt nicht voraus, dass der An- Abs. 1 ProdHaftG beschränkt auf einen Höchstbe- spruchsteller ein Verschulden des Produzenten trag von 85 Mio. EUR. Übersteigt der Betrag, der darstellt und beweist. Bei der Produzentenhaftung mehreren Geschädigten zu zahlen ist, den Haf- ist dies der Fall. In der prozessualen Durchsetzung tungshöchstbetrag, so verringert sich die einzelne seines Schadensersatzanspruchs kann dem Ge- Entschädigungsleistung in dem Verhältnis, in dem schädigten eine Beweiserleichterung in Form des ihr Betrag zum Höchstbetrag steht, § 10 Abs. 2 Anscheinsbeweises helfen. ProdHaftG. Die Haftung für Personenschaden Bei § 823 BGB ist Haftung für jeden Schaden gege- ist unbeschränkt, bei Haftung aus § 823 Abs. 1 ben, gleichgültig, ob er ein Personenschaden oder BGB. ein Sachschaden ist, und gleichgültig, ob die Sache Der Ersatz immateriellen Schadens für die Verlet- privat oder gewerblich genutzt ist. Produkthaftung zung des Körpers oder der Gesundheit, also der gemäß § 1 ProdHaftG greift immer bei Personen- Schmerzensgeldanspruch, ist durch § 8 ProdHaftG schäden, bei Sachschäden aber nur, wenn die be- insoweit beschränkt, als die „billige Entschädigung schädigte Sache „ihrer Art nach gewöhnlich für den in Geld” geringer zu bemessen ist.51 Das erklärt privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu sich daraus, dass der Schmerzensgeldanspruch von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet typischerweise zwei Funktionen hat, die eines Aus- worden ist”. Eine Ersatzpflicht für Schäden an ge- gleichs für erlittene Schmerzen und Beeinträchti- werblich genutzten Sachen scheidet somit aus. gungen und die einer Genugtuung für das Unrecht, das der Verletzte erlitt. Diese Genugtuungsfunktion 4.2.2 Der Weiterfressenschaden setzt aber ein vorwerfbares Verhalten des Anspruchsgegners voraus. Das ist jedenfalls dort Ersatz von Schaden am fehlerhaften Produkt selbst nicht der Fall, wo ein Verschulden des Produzenten scheidet nach ProdHaftG aus. Doch ist dies anders nicht gegeben ist. Da nach der hier vertretenen Auf- beim sog. weiterfressenden Mangel. Der liegt vor, fassung die Haftung nach dem ProdHaftG auch ein wenn ein Fehler an einem funktionell abgrenzbaren Teil des Produkts geeignet ist, das hergestellte Endprodukt zu beschädigen oder gar zu zerstören. Zu einer Haftung für Schaden am ganzen Produkt 49 Kullmann, a. a. O., § 1 RN 9; Staudinger/Oechsler, a. a. O., kann es nach ProdHaftG kommen, wenn ein Scha- ProdHaftG § 1 RN 10 ff. den an einem Teil zum Schaden am Gesamtpro- 50 Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 1 RN 20. dukt führt. Denn den Hersteller eines Teileprodukts, 51 a. M. Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 1 RN 38. 112

Einstehen-Müssen für Verhaltensunrecht bedeutet, 6.2 Anforderungen an die Konstruktion kann der Schmerzensgeldanspruch abgestuft wer- den, je nachdem, ob und inwieweit ein Verhaltens- Bei der Konstruktion wird es zunächst darauf an- unrecht hinter dem Produktfehler zu sehen ist. Das kommen, festzustellen, welche Detektoren und aber ist eine Wertung im Einzelfall und keine Sensoren was zu leisten vermögen. Es wird dann betragsmäßige Beschränkung. zu prüfen sein, ob die verschiedenen, für den Ein- satz vorgesehenen Sensoren oder Detektoren mit- einander verträglich und so aufeinander abge- 5 Beweislast stimmt oder abstimmbar sind, dass der gewünsch- te Effekt durch Erfassung von Verkehrsgeschehen Im Prozess über den Ersatz eines Schadens nach geleistet werden kann, nämlich ein automatisiertes ProdHaftG trägt der Geschädigte die Beweislast für Fahrmanöver zu bewirken. Dann ist die Steuerung den Fehler, den Schaden und den ursächlichen zu finden, sowohl in Hardware als auch in Software, Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden, § 1 welche in der aus der Verkehrssituation erforderli- Abs. 4 ProdHaftG. Der Hersteller trägt die Beweis- chen Weise das, was erkannt wurde, in die erfor- last für entlastende Umstände gemäß § 1 Abs. 2 derliche Leistung des Kfz umsetzt. und 3 (dieser nur Hersteller eines Teilprodukts) ProdHaftG. Der möglicherweise am meisten kritische Teil die- ses Konstruktionsvorgangs dürfte die Software der Beim Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB trägt der Steuerung sein. Sie muss leisten, dass das, was Geschädigte die Beweislast in vollem Umfang. Ihm Detektoren und Sensoren erkennen, von der kann allerdings eine Beweishilfe zugute kommen in Steuerung erfasst wird. Sie wird leisten müssen, Form des Anscheinsbeweises, welcher bei einem dass unter Berücksichtigung aller für die Beurtei- Geschehensablauf, der für ein Verschulden spricht, lung des Fahrmanövers erforderlichen Gegeben- zu einer Umkehr der Beweislast führt. heiten des Verkehrsgeschehens, so wie von Detek- toren und Sensoren dargestellt, sie in der Weise auf das Kfz einwirkt, dass sich das richtige Fahrverhal- 6 Produkthaftungsrisiken zu ten ergibt. Szenarien des Projekts Dazu gehört, dass sich das automatisch ausgelöste 6.1 Risiken aus Assistenzsystemen und durchgeführte Fahrmanöver für andere Ver- Untersucht werden sollen lediglich Produkthaf- kehrsteilnehmer als noch voraussehbar und nicht tungsrisiken, die sich aus der spezifischen Fahr- irrational darstellt. Das erfordert der Vertrauens- zeugausstattung ergeben, die ein – in unterschied- grundsatz, der allen Verkehrsteilnehmern die Ge- lichem Maß – automatisiertes Fahren ermöglicht. währ bietet, dass sich jeder Einzelne regelgerecht Das bedeutet, dass Produkthaftungsprobleme, wie und verkehrsvernünftig verhält. sie sich bei einem Kraftfahrzeug ergeben, das nicht Dabei wird seitens des Herstellers ganz besonders die hier relevante Sonderausstattung hat, außer zu prüfen sein, in welchem Zeitablauf sich ein be- Betracht bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt kann stimmtes automatisches Fahrmanöver abspielt, ob, auch die Haftung für Produktionsfehler außer Be- wie und in welchen Zeitabständen es sich in ver- tracht bleiben. Sicherstellung der nach Konstruktion schiedene Phasen aufteilt. Das kann eine Warn- erforderlichen Qualität der Einzelteile, aus denen phase sein, die sich intern, gegenüber dem Fahrer, sich schließlich das fertige Kraftfahrzeug zusam- wie auch extern gegenüber anderen Verkehrsteil- men setzt, gilt für alle Teile in gleicher Weise und nehmern darstellt. Das kann die Phase der Durch- unabhängig davon, welcher Funktion des Fahr- führung des eigentlichen Fahrmanövers sein. zeugs sie im Endeffekt zu bedienen bestimmt sind. Dabei wird es darauf ankommen, in welcher Weise Automatisiertes Fahren ist möglich durch den Ein- oder mit welcher Intensität dieses Fahrmanöver satz von Detektoren, Sensoren und Steuerungs- durchgeführt wird. Bei einem Fahrstreifenwechsel technik einerseits, von Software andererseits. Die wird die Frage zu prüfen, zu entscheiden und wird Verbindung dieser Mittel ermöglicht es, dass das dann festzulegen sein, in welchem Winkel und da- Kfz im Einzelfall selbstständig die Längsführung mit in welchem Zeitaufwand der Fahrstreifen oder die Querführung übernimmt, bremst und gewechselt wird, ob dies abrupt, in möglichst kurzer anhält oder beschleunigt. Zeit oder zeitlich gestreckt erfolgt. Beim Abbrems- 113

vorgang wird zu prüfen und zu entscheiden sein, tion selbst. Sie sind produkthaftungsrechtlich von mit welcher Intensität – welchem Abbremswert – entscheidender Bedeutung für die Darbietung des der Bremsvorgang durchgeführt wird. Bei der konkreten Fahrzeugtyps. Gefahr eines Auffahrunfalls wird zu prüfen sein, ob das Auffahren – unter Berücksichtigung der gesam- 6.3 Darbietung ten Verkehrsverhältnisse – bei entsprechender Intensität des Bremsvorgangs vielleicht noch ver- „Darbietung” ist die Art und Weise, wie der Produ- mieden werden kann oder ob nicht von vornherein zent sein Produkt in der Öffentlichkeit präsentiert. – um die Intensität des Bremsvorgangs verringern Die Vielzahl der Möglichkeiten, ein Produkt darzu- zu können – nur eine erhebliche Reduktion der Auf- stellen, wird sich bei Fahrer-Assistenzsystemen, prallwucht angestrebt werden soll. welche dem teil- oder vollautomatisierten Fahren dienen, beschränken. Dies können selbstverständlich nur knappe Überle- gungen und kurze Hinweise sein auf die Problema- In erster Linie wird es die Werbung sein, Werbung tik, die der Hersteller in der Konzipierung oder Aus- in Medien, Werbung in – natürlich – Hochglanzbro- legung der Systeme zu beachten hat. Kommt er schüren des Herstellers.52 Es wird vor allem die dabei zu nicht sachgerechten Ergebnissen, würde bildnerische Darstellung – sei sie im Film oder Foto sich dies als Konstruktions- und damit als Produkt- – kritisch sein können. Wenn etwa in einem Film fehler darstellen. Das mag etwa der Fall sein, wenn eine Szene gezeigt wird, in der die Leistungsfähig- zwar durch das programmierte Fahrmanöver eine keit eines Nothaltesystems oder eines Querlen- bestimmte Unfallkonstellation vermieden wird, da- kungssystems dargestellt wird in einer Verkehrssi- für aber sich eine andere ergibt, die in ihrer Gewich- tuation, in der diese Systeme die beworbene Leis- tung der entspricht oder ähnlich ist, die vermieden tung gerade nicht erbringen können, dann wird eine wurde. Dafür mag etwa entscheidend sein, wie ge- Erwartungshaltung geweckt, welche der Leistungs- nau und in welchem Umfang das Verkehrsgesche- fähigkeit des Systems tatsächlich nicht entspricht. hen durch Sensoren und Detektoren erfasst wer- Der Umstand, dass die tatsächliche Leistungsfähig- den kann. keit der werblich dargestellten nicht entspricht, führt dazu, dass ein Produktfehler vorliegt. Das gilt in Dabei wird es Grenzen der Leistungsfähigkeit gleicher Weise für die bildliche Darstellung in einem geben, sei es des einzelnen technischen Teils des Foto – wenn das auch schwerer vorstellbar sein komplexen Systems, sei es vor allem der Ausle- mag. gung der Software. Sie muss im Grunde alle denk- baren Variationen des Verkehrsgeschehens antizi- „Darbietung” ereignet sich selbstverständlich in der pieren und im Einzelfall, auf Anforderung, zum rich- Produktbeschreibung, sei es in einem Werbepro- tigen Steuerungsvorgang bereit halten und ihn aus- spekt, sei es in dem „Benutzerhandbuch”, welches lösen. Ob das im Hinblick auf die hohe Differen- dem Fahrzeug für den Benutzer beigegeben wird. ziertheit des Verkehrsgeschehens mit seinen Immer wenn eine bestimmte Leistungsfähigkeit äußerst mannigfaltigen Gegebenheiten möglich ist, dargestellt wird, wird damit der Erwartungshorizont mag fraglich erscheinen. Wenn es nicht möglich ist, bestimmt, der den Fehlerbegriff prägt. Entspricht müssen Grenzen dessen, was das System leisten die tatsächliche Leistung nicht dem Erwartungsho- kann, definiert und gezeigt werden. rizont, liegt ein Fehler vor.

Diese Problematik mag dazu führen, dass ein Die Darstellung einer bestimmten Leistung auf System nur in bestimmten Verkehrs- oder Fahrsi- Werbeveranstaltungen, Ausstellungen, Produktin- tuationen eingesetzt werden kann, etwa beim Fah- formationsveranstaltungen kann einen Erwartungs- ren auf der Autobahn. Dann ist diese Grenze klar zu horizont zeichnen, der, wenn er nicht der Realität kennzeichnen. entspricht, zum Fehler führt. Die werblich oder in sonstiger Information dargestellte Gefahr- oder Diese konstruktiven Erkenntnisse und Festlegun- Risikolosigkeit, die Fähigkeit, in einer bestimmten gen sind nicht nur von Bedeutung für die Konstruk- Situation einer Gefahr zu entkommen, begründet einen Fehler, wenn die tatsächliche Leistung dem nicht entspricht. Die Gefährlichkeit solch werblicher 52 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 22; MK-BGB a. a. O. § 3 RN 14; Darstellungen zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 44. etwa die Erwartung einer Schaden vermeidenden 114

Querlenkung selbst dann zum Fehler führt, wenn in den ist, eine technisch mögliche und wirtschaftlich der Gebrauchsanleitung des Fahrzeugs darauf hin- zumutbare Maßnahme zu ergreifen, die dazu führt, gewiesen wird, dass in einer Situation, wie in der dass die mangelnde Leistungsfähigkeit des Werbung dargestellt, die Leistungsfähigkeit des Systems in einer bestimmten Situation behoben Systems nicht gegeben ist.53 wird.54 In der Literatur wird das Beispiel der Werbung für eine Waschmaschine angeführt. In der Gebrauchs- 7 Zusammenfassung anleitung wird gesagt, die Wasserzufuhr solle abge- stellt werden, wenn man nicht in der Wohnung sei. Ob ein von einem Produkt ausgelöster Schaden zur Die Werbung zeigt eine glückliche Hausfrau, die Haftung des Produzenten führt, hängt maßgeblich ihre Waschmaschine in Tätigkeit setzt und die so davon ab, wie der Produzent die Qualität und Leis- gewonnene Freizeit nutzt, um auf den Tennisplatz tungsfähigkeit seines Produktes beschreibt. Er zu gehen. bestimmt damit einen Erwartungshorizont. Der ist entscheidend für den Begriff des Fehlers im Pro- Im Teil der Darbietung, die Instruktion ist, hat der dukthaftungsrecht. Bleiben die tatsächliche Qualität Hersteller darauf hinzuweisen, welches die Gren- und Leistungsfähigkeit hinter dem vom Hersteller zen der Leistungsfähigkeit eines bestimmten Sys- geschaffenen Erwartungshorizont zurück, führt dies tems sind. Die Konsequenz davon ist, dass das in der Regel zur Bejahung eines Produktfehlers. System entweder vom Fahrer deaktiviert werden muss oder sich selbst deaktiviert oder aber der Bei der Haftung für Personenschäden kommt es Fahrer sein Verhalten so einrichten muss, als wäre nicht darauf an, wer die verletzte oder getötete Per- das System nicht vorhanden. son war, ein Käufer, Nutzer des Produkts oder ein Dritter. Das gilt bei der Haftung nach § 823 Abs. 1 Da der Hinweis klar und deutlich sein muss, dürfte BGB ebenso wie bei der nach ProdHaftG, bei der es nicht ausreichen, wenn er lediglich im Benutzer- sie allerdings der Höhe nach beschränkt ist. handbuch erfolgt. Das wird oft nicht oder allenfalls partiell gelesen. Insbesondere dürfte es in der Bei Sachschäden ist dies anders. Bei Sachschaden Regel nicht gelesen werden, wenn es von ein und bleibt Schaden am fehlerhaften Produkt selbst demselben Fahrzeugtyp die Ausstattung mit oder außer Betracht, wenn nicht ein Weiterfressenscha- ohne das relevante Fahrer-Assistenz-System gibt. den vorliegt. Die Sache mit dem Produktfehler Schließlich ist davon auszugehen, dass das Benut- muss dem privaten Ge- oder Verbrauch dienen. zerhandbuch nicht gelesen wird von Menschen, die Weil der Fehlerbegriff des Produkthaftungsrechts nicht ständig das Fahrzeug nutzen, seien es Fami- wesentlich durch den Erwartungshorizont der Nut- lienangehörige, Betriebsangehörige, Mieter. zer oder der Öffentlichkeit bestimmt wird, hat es der Das führt dazu, dass dem Fahrer bei der Benut- Hersteller, sofern nicht ein Konstruktions- oder Pro- zung des Fahrzeugs erkennbar gemacht werden duktionsfehler vorliegt, selbst in der Hand, ob er muss, dass das System seine sonst gegebene wegen eines Schadens aus Produkthaftung in Leistung nicht erbringen kann. Wie das geschieht, Anspruch genommen wird. Es hängt davon ab, wel- ist dem Hersteller überlassen. Der Hinweis muss chen Erwartungshorizont von der Leistungsfähig- nur klar und unverwechselbar sein. keit seines Produkts er in seiner Darbietung schafft. Da aber der Erwartungshorizont den Fehlerbegriff bestimmt, kann es sein, dass die Leistungsfähigkeit in einer Extremsituation, die äußerst ungewöhnlich III Straßenverkehrshaftung ist, vom Erwartungshorizont nicht gedeckt ist. Dann liegt ein Produktfehler nicht vor. 1 Grundsätze der Haftung für Unfälle im Straßenverkehr Andererseits bedeutet der Warnhinweis nicht, dass der Produzent damit von der Verpflichtung entbun- Untersucht werden soll zunächst, ob sich Scha- densersatzansprüche ergeben, wenn durch die Fehlleistung eines halb- oder vollautomatisch fah- 53 Staudinger/Oechsler, a. a. O., ProdHaftG § 3 RN 44; renden Kfz sich ein Unfall ereignet, bei dem ein Kullmann, a. a. O., § 3 RN 22. Mensch getötet, verletzt oder eine Sache beschä- 54 Kullmann, a. a. O., § 3 RN 26. digt wird. 115

Die für Straßenverkehrsunfälle primäre und gera- wird dann gewährleistet durch die Leistungen des dezu klassische Haftungsgrundlage stellen die Vor- Entschädigungsfonds gemäß §§ 12 ff. PflVersG. schriften des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) dar. § 7 StVG regelt die Ersatzpflicht des Halters. Er Damit zeigt sich, dass in Deutschland zum Schutze haftet unabhängig vom Verschulden, lediglich des Unfallopfers ein sehr enges Netz von Vorschrif- höhere Gewalt schließt seine Haftung aus. Scha- ten geknüpft ist, die sicherstellen, dass der dem den aus dem Betrieb des Kfz wird ihm zugeordnet, Unfallopfer entstandene Schaden ersetzt wird. weil er das potenziell gefährliche Kfz zu seiner Nut- Die Schuldrechtsreform 2002 hat eine Neuerung 55 zung in den Verkehr gebracht hat. gebracht, welche für das Haftungsrecht des § 18 Abs. 1 StVG regelt die Haftung des Fahrers. Straßenverkehrs von sehr hoher praktischer Seine Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Unfall Bedeutung ist. Nun ist nämlich der Ersatz immate- nicht durch ein Verschulden des Fahrzeugführers riellen Schadens, damit der Schmerzensgeldan- verursacht ist, § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG. Mit ande- spruch, nicht mehr daran geknüpft, dass ein schuld- ren Worten: Straßenverkehrsrechtliche Haftung des haftes Fehlverhalten desjenigen vorliegt und bewie- Fahrers greift nur, wenn er den Unfall schuldhaft, sen wird, der auf Zahlung von Schmerzensgeld in sei es vorsätzlich oder fahrlässig, verursacht hat. Anspruch genommen wird. Voraussetzung ist ledig- Dann allerdings steht neben dieser Haftung die all- lich, dass ein Anspruch auf Ersatz immateriellen gemein Schadensersatzpflicht des Schädigers fest- Schadens in einem Gesetz geregelt ist, § 253 BGB. legende Norm des § 823 Abs. 2 BGB. Für die Haftung aus Straßenverkehrsunfällen findet sich diese Regelung in § 11 Satz 2 StVG. Wo immer Halter oder Fahrer aufgrund dieser gesetzlichen Vorschriften auf Schadensersatz in Damit ist die praktisch entscheidende Frage, auf Anspruch genommen werden, hat der Kfz-Haft- die sich die Untersuchung konzentriert, ob das Un- pflichtversicherer, bei dem Halter und Fahrer Versi- fallopfer bei einem Unfall, der auf das Versagen cherungsschutz haben, begründete Schadenser- oder die Fehlleistung eines teil- oder vollautoma- satzansprüche zu befriedigen. Dies gilt auch für tisch geführten Kfz zurückgeht und bei dem ein Ver- Kraftfahrzeuge, die im Ausland zugelassen sind, schulden des Fahrers oder Halters nicht mitgewirkt sofern in diesem Land gesetzlich die Haftpflichtver- hat, Ersatz seines Schadens erlangen kann. Denn sicherung für den Betrieb von Kraftfahrzeugen vor- eine Maschine kann weder Verschulden noch Haf- geschrieben ist. Das ist in allen europäischen Län- tung treffen. dern und allen an Europa – im geografischen Sinn – angrenzenden Ländern der Fall. Auf jeden Fall darf ein ausländisches Kraftfahrzeug in Deutsch- 2 Die Betriebsgefahrhaftung land auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen nur benutzt werden, wenn für das Fahrzeug ein 2.1 Haftung ohne Verschulden Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag besteht, der Straßenverkehr ist ein – im Prinzip – rationales ggf. an der Grenze abzuschließen ist. System. Durch die Bereitstellung von sachlichen Leistung des Versicherers erfolgt jedoch nur, wenn Mitteln (Straßen, Plätze, Verkehrseinrichtungen) rechtswirksam Kfz-Haftpflichtversicherungsschutz und die Aufstellung von Verhaltensregeln, die sich besteht. Das müsste zwar immer der Fall sein, ist an die Verkehrsteilnehmer richten, soll erreicht wer- es aber nicht. Es ist dann nicht der Fall, wenn der den, dass Straßenverkehr überhaupt möglich und Halter entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung darüber hinaus so möglich ist, dass möglichst nie- einen Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag über- mand durch Teilnahme am Straßenverkehr getötet, haupt nicht abschließt, wenn der Versicherer den verletzt oder geschädigt wird. Versicherungsvertrag gekündigt hat und die sog. Wenn Menschen am Straßenverkehr teilnehmen, Nachhaftung erloschen ist oder nicht besteht ergibt sich die Gefahr einer Schädigung anderer (Schwarzfahrer). Der Schutz des Geschädigten dann, wenn sie sich nicht sachgerecht und regel- konform verhalten. Schaden, der so einem Dritten entsteht, geht daher auf ein schuldhaftes Fehlver- halten des Schädigers zurück, wobei „schuldhaftes” 55 BGH NJW 1988, 2802: „Die Haftung nach § 7I StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung typischerweise fahrlässiges Fehlverhalten bedeu- eines Kfz … eine Gefahrenquelle eröffnet wird.“ tet. Dieses Verschulden begründet die Verpflich- 116

tung, für den entstandenen Schaden einstehen zu Haftungsausschluss gibt, nämlich den, dass der müssen, für ihn zu haften. Schaden durch höhere Gewalt verursacht ist (§ 7 Abs. 2 StVG, § 1 Abs. 2 HPflG, § 4 UmweltHG). Nehmen Kraftfahrzeuge am Verkehr teil, so entsteht allein dadurch ein anderes, ein zusätzliches Gefähr- dungspotenzial. Es entsteht aus der Geschwindig- 2.2 Unfall beim Betrieb eines Kfz keit, mit der sich Kraftfahrzeuge bewegen, und ihrer Veränderung. Es entsteht daraus, dass die einge- § 7 Abs. 1 StVG sagt: haltene Fahrlinie sich verändern kann. „Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs … Wenn Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen über- ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesund- haupt stattfinden soll, dann ist das Vorhandensein heit eines Menschen verletzt oder eine Sache dieses Gefährdungspotenzials hinzunehmen. Der beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Umstand, dass sich diese potenzielle Gefahr jeder- Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu zeit durch einen Unfall in eine Verletzung oder Tö- ersetzen.” tung von Menschen oder die Entstehung von Scha- Diese Schadenseintrittspflicht setzt also voraus, den auswirken kann, muss nun allerdings eine Kompensation finden dadurch, dass der Schaden dass der Schaden „beim Betrieb” eines Kraftfahr- dem zugerechnet wird, der für den Betrieb des Kfz zeugs entstanden ist. Nur dann ist die Zurechen- verantwortlich ist, also dem Halter. Das Einstehen- barkeit des Schadens zum Halter gegeben. müssen dafür, dass aus dem zulässigen Betrieb „Betrieb eines Kfz” ist nicht schon allein dadurch eines Kfz, aus seiner Betriebsgefahr, Schaden ent- gegeben, dass es sich an der Unfallstelle befindet. steht, führt daher zur Gefährdungshaftung. Diese Erforderlich ist vielmehr, dass das Kfz durch seine ist von jedem Verschuldensmoment – etwa einem Fahrweise oder eine sonstige Verkehrsbeeinflus- Fehlverhalten des Fahrers oder des Halters – los- sung – etwa Parken – zu der Entstehung des Un- gelöst. Gegeben sein muss lediglich Zurechenbar- falls beigetragen hat, ohne dass es dabei notwen- keit des Schadens zum Betrieb des Kfz. Dieser digerweise zu einer Kollision gekommen sein Grundsatz hat seinen Niederschlag gefunden in der muss.57 Selbst dann, wenn ein Unfall unmittelbar Regelung des § 7 Abs. 1 StVG, der sog. Halterhaf- durch das Verhalten eines Dritten, auch des Ver- 56 tung. letzten, ausgelöst, aber in zurechenbarer Weise Solche an der potenziellen Gefährlichkeit des durch das Kfz mit veranlasst ist, hat sich der Unfall Betriebs anknüpfende Haftung, solche Gefähr- bei dem Betrieb des Kfz ereignet. dungshaftung, findet sich auch in anderen Rege- Erforderlich ist, dass ein Schadensablauf vorliegt, lungen zum Schadensausgleich. Etwa für den der durch Verkehrsgeschehen beeinflusst ist.58 Betrieb von Schienen- oder Schwebebahnen in § 1 Das bedeutet, dass sich eine von dem Kfz ausge- Haftpflichtgesetz (HPflG). Sie findet sich in §§ 33 hende Gefahr ausgewirkt hat, die das Schadensge- Abs. 1, 45 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) und schehen mit geprägt hat. Umgekehrt formuliert liegt in § 1 des Umwelthaftungsgesetzes. Zurechenbarkeit dann nicht mehr vor, wenn die Soweit von der Haftung nach Straßenverkehrsge- Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswir- setz die Rede ist, gilt sie nach Maßgabe der Neu- kung der Gefahren ist, für welche die Betriebsge- regelung des Schadensersatzrechts mit Wirkung fahrhaftung eine Kompensation bieten will. zum 01.07.2002. Damit ist eine Gleichschaltung der Es muss sich also bei der Entstehung des Scha- Regelungen zur Schadenszuordnung in Fällen der dens die von einem Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahrhaftung erreicht. Diese gilt auch in- Gefahr ausgewirkt haben. Der Begriff der Betriebs- soweit, dass es nunmehr einheitlich nur noch einen gefahr ist dabei nach durchaus einheitlicher Auffas- sung weit auszulegen.59

56 BGH VersR 2005, 992 spricht von der „sozialen Ver- 2.3 Haftungsausschluss bei höherer Gewalt antwortung“. 57 BGH NJW 1988, 2802. Von der Haftung für Betriebsgefahr ist nur freizu- 58 BGH VersR 2005, 992. kommen, wenn sich das Unfallgeschehen als 59 Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, § 7 RN 4. Ergebnis der Einwirkung von „höherer Gewalt” dar- 117

stellt, § 7 Abs. 2 StVG. Damit ist ein möglicher Haf- sich nicht als Ausfluss des Betriebs eines Kfz dar- tungsausschluss gleichgeschaltet oder in gleicher stellen.62 Weise geregelt wie bei anderen gesetzlichen Vor- schriften, die Haftung aus Betriebsgefahr begrün- „Das Merkmal der höheren Gewalt ist ein wer- den. So findet sich dies in § 1 Abs. 2 HPflG, § 4 tender Begriff, mit dem diejenigen Risiken von Umwelthaftpflichtgesetz. Die Frage ist somit, was der Haftung ausgeschlossen werden sollen, die unter „höherer Gewalt” rechtlich zu verstehen ist. bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen … sondern allein Im Bereich des Haftpflichtrechts hat der Begriff dem Drittereignis zugerechnet werden kön- wohl seine erste Ausprägung erfahren im Reichs- nen.”63 haftpflichtgesetz, welches die Haftung von Schä- den regelte, die beim Betrieb von schienengebun- Da der Begriff im Bereich des Straßenverkehrs- denen Fahrzeugen entstanden. Dem entsprechend rechts relativ neu ist und in der Rechtsanwendung hatte schon das Reichgericht sich damit zu befas- nicht allzu große Probleme bereitet, die höchstrich- sen, was unter dem Begriff zu verstehen sei. Seine terliche Klärung erforderlich machen würden, fin- Definition ist so schön juristisch, dass sie im Wort- den sich Entscheidungen, die sich mit dem Inhalt laut wiedergegeben sein soll.60 Höhere Gewalt ist des Begriffs auseinandersetzen, also die Wertung demnach vollziehen, häufiger zum Haftpflichtgesetz und sei- nem Vorgänger.64 „ein betriebsfremdes, von außen durch elemen- tare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter So ist etwa das Tatbestandsmerkmal „außen” nicht Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach eng in seinem Wortsinn zu nehmen, vielmehr sind menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorher- nur solche Ereignisse als „von außen” einwirkend sehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln zu verstehen, in denen sich nach rechtlicher Wer- auch durch die äußerste, nach der Sachlage ver- tung eine außenstehende Gefahr verwirklicht. In nünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht ver- diesem Sinne ist kein von außen einwirkendes Er- hütet werden oder unschädlich gemacht werden eignis, wenn sich jemand in selbstmörderischer Ab- kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit sicht auf die Schienen wirft. Sabotageakte wirken in vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen diesem Sinne nicht von außen. ist”. Ein schönes Beispiel für die Wertung, die hinter Man kann, was in dieser Definition steckt, auf drei dem Begriff steht, ist die Verletzung eines Bahnrei- Dinge reduzieren. Ein Ereignis, das sich als höhere senden, der am geöffneten Fenster steht und von Gewalt darstellt, muss eine Einwirkung sein, die einer Flasche getroffen wird. Ist die Flasche von außen auf den Zug geworfen worden, fehlt die • von außen kommt, Betriebsbezogenheit, es liegt ein Fall höherer Ge- walt vor. Hat jedoch ein anderer Bahnreisender die • außergewöhnlich ist, Flasche aus dem Fenster geworfen, ist die Be- • nicht abwendbar ist. triebsbezogenheit gegeben, es liegt kein Fall höhe- rer Gewalt vor. In seinem Urteil vom 15.03.1998 hat der BGH klar- gestellt, worum es letztlich geht: Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen stel- len keine höhere Gewalt dar, auch nicht Unfälle an „Höhere Gewalt ist ein wertender Begriff, der die beschrankten Bahnübergängen, bei denen ein Kfz Risiken ausschließen will, die mit dem … Betrieb die Schranken durchbricht. Selbst wenn die Um- nichts zu tun haben und bei einer rechtlichen stände des Unfallhergangs ungewöhnlich sind, be- Bewertung nicht mehr dem Betrieb … sondern deutet dies für sich alleine nicht, dass ein Fall höhe- allein einem Dritten zugerechnet werden kön- nen.”

Der BGH hat an dieser Definition festgehalten, 60 RGZ 93, 306; 101, 94 (Urteil vom 13.12.1920). zuletzt etwa in seinem Urteil vom 16.10.2007.61 61 BGH VersR 1988, 910. 62 BGH NJW 1972, 1808. Es handelt sich also um eine negative Abgrenzung 63 BGH NZV 2004, 395. zur Betriebsgefahr. Die Schadensverläufe sollen 64 Dazu: Steffen, DAR 1998, 135 ff. LG Itzehoe, NZV 2004, nicht der Gefährdungshaftung unterfallen, welche 364; Grüneberg, SVR 2004, 409. 118

rer Gewalt vorliegt. Entscheidend ist der Gefahren- kannte Maßstab des unabwendbaren Ereignisses. kreis, aus dem die Unfallursache stammt. Wer also nachweisen kann, dass auch ein Ideal- fahrer, der jede gebotene Sorgfalt aufgewendet hat, Interessant mag noch sein ein weiterer Fall zur den Unfall nicht hätte vermeiden können, wird von Bahnhaftung. Das Gleis, auf dem sich der unfallbe- Haftung frei. teiligte Zug bewegte, war zehn Meter neben einer Bundesstraße verlegt. Auf ihr musste ein Pkw einem verkehrswidrig auf seiner Fahrbahnhälfte 2.5 Der Vertrauensgrundsatz überholenden Kfz ausweichen, kam dabei von der Weil Straßenverkehr ein rationales System ist, be- Fahrbahn ab und auf das Bahngleis in dem Mo- deutet dies nicht nur, dass sich jeder einzelne Ver- ment, als sich ein Zug näherte. Der Unfall wurde kehrsteilnehmer entsprechend den gesetzten Re- dem Betrieb der Bahn zugeordnet. geln rational verhalten muss. Es bedeutet ebenso, Das Ereignis, welches sich als höhere Gewalt dar- dass jeder am Verkehr Teilnehmende auf solch ra- stellen soll, muss darüber hinaus außergewöhnlich tionales Verkehrsverhalten bei anderen vertrauen sein. Das wiederum bedeutet, dass es einem Ele- darf. Das ist der gerade im Verkehrsrecht wichtige mentarereignis gleichzusetzen ist.65 Vertrauensgrundsatz.67

Schließlich muss dieses außergewöhnliche, von Da die Ausstattung von Fahrzeugen mit Fahreras- außen kommende Ereignis auch nicht mit äußer- sistenzsystemen, die teil- oder vollautomatisiertes ster Sorgfalt vermeidbar gewesen sein. Damit stel- Fahren ermöglichen, typischerweise nicht für ande- len sich in diesem Sinne Ereignisse höherer Gewalt re Verkehrsteilnehmer erkennbar ist, kann sich der im Wesentlichen als unvorhersehbare Naturereig- Vertrauensgrundsatz nur auswirken in der Ausle- nisse dar, etwa ein Erdbeben, ein Erdrutsch, ein gung der Systeme. Sie müssen ein Fahrverhalten Blitz, eine Überflutung.66 erbringen, welches für andere nicht vollkommen überraschend ist und sich rational darstellt. Aber selbst extreme Witterungseinflüsse stellen sich dann nicht als Ereignis höherer Gewalt dar, Das aber ist eine Frage der technischen Konzipie- wenn sie im Hinblick auf die Wetterlage keinen Aus- rung der Systeme und damit des Produkthaftungs- nahmecharakter haben, mit denen also gerechnet rechts. werden muss.

2.4 Unfallbeteiligung mehrerer Kfz 3 Pflicht zur Aktivierung oder Deaktivierung eines FAS Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht, die am Unfallgeschehen beteiligt sind, Haftung des Fahrers aus Verschulden kann von und ergibt sich für jeden der beteiligten Halter Bedeutung sein dann, wenn nicht die Fehlfunktion und/oder Fahrer Haftung nach StVG oder § 823 eines Fahrerassistenzsystems zum Unfall geführt BGB, dann bemisst sich die Schadensersatzpflicht hat, sondern die – vom Fahrer unterlassene – Akti- des Einzelnen danach, inwieweit der Unfall von vierung des Systems, welches seiner Art nach jedem Einzelnen verursacht wurde, § 17 Abs. geeignet gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden. StVG. Es findet somit eine Schadensquotelung So mag etwa das ESP, welches in einem konkreten statt. Fahrzeug grundsätzlich aktiviert ist, vom Fahrer deaktiviert sein, obwohl es dazu einen sachlich Befreiung von dieser Haftung ist in etwas weiterem rechtfertigenden Grund nicht gab. Infolgedessen Umfang möglich als gemäß § 7 Abs. 2 StVG. Denn kam es dazu, dass der so ausgerüstete Pkw ins hier gilt gemäß § 17 Abs. 3 StVG noch der altbe- Schleudern kam. Es mag ein Abstandshaltesystem ohne sachlichen Grund nicht aktiviert worden sein. Der Pkw fuhr daher auf ein vor ihm befindliches Kfz auf, das unzulässigerweise vor den Auffahrer ein- 65 BGH NJW 1953, 184. geschert war. 66 Hentschel/König, § 1, Abs. § 7 StVG NR 34. 67 Hentschel/König, a. a. O., § 1 StVO RN 20. § 1 Abs. 2 StVO legt jedem Verkehrsteilnehmer auf, 68 Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO RN sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt 22. wird.68 Das bedeutet, dass der Fahrer eines Kfz 119

nicht nur jedes Verkehrsverhalten zu unterlassen lision zu vermeiden. Und die für den Betrieb eines hat, das zu einem Unfall führen kann. Es bedeutet Kraftfahrzeugs unerlässliche Bremse ist in den letz- auch, dass er positiv alles zu tun hat, um zu ver- ten sechzig Jahren durch eine ganze Reihe von meiden, dass es zu einem Unfall kommt. Tut er dies technischen Innovationen, die sich letztlich ihrer- nicht, handelt er im Rechtssinne typischerweise seits als Fahrerassistenzsysteme darstellen, in fahrlässig, nicht vorsätzlich. Vorsätzliches Handeln ihrer Wirkungskraft erheblich verbessert worden. würde bedeuten, dass der Fahrer die Aktivierung Erwähnt sei nur die Einführung des hydraulischen des Fahrerassistenzsystems bewusst unterlässt, Bremssystems, in jüngerer Zeit das ABS-System um einen Unfall herbeizuführen. Denn Vorsatz be- und nun etwa das Notbremssystem, das eine deutet zielgerichtetes Handeln. Davon kann in die- Bremsung einleitet oder verstärkt, wenn der Fahrer sem Zusammenhang nicht ausgegangen werden. nicht oder nicht ausreichend reagiert, um einen Zwar gibt es nicht nur suizidale Motivation für das Unfall zu vermeiden. gezielte und damit vorsätzliche Herbeiführen eines Verkehrsunfalls, sondern natürlich auch die be- Der Umstand, dass der Fahrer ein Assistenzsystem wusste und gewollte Herbeiführung eines Verkehrs- deaktivieren kann oder – umgekehrt – aktivieren unfalls in der Absicht, betrügerisch von einer Versi- muss, damit die mögliche unfallverhütende Funk- cherung Zahlung zu erhalten. Doch sind dies Ver- tion erreichbar ist, kann daran nichts ändern. Es haltensweisen, die im Zusammenhang dieser Un- wird dann eben vom Fahrer die aus § 1 Abs. 2 StVO tersuchung offensichtlich zu vernachlässigen sind. abzuleitende Handlungspflicht ausgelöst. Wer dann Damit bleibt mögliches fahrlässiges Verhalten. sein entsprechendes Fahrerassistenzsystem nicht aktiviert oder es deaktiviert – obwohl hier kein sach- Es gibt keine ausdrückliche Vorschrift, die besagt, lich rechtfertigender, sich aus der Verkehrssituation dass vorhandene Fahrerassistenzsysteme, welche ergebender Grund gegeben ist –, der handelt nicht geeignet sind, einen Unfall zu vermeiden, stets zu so, wie jeder vernünftig und besonnen handelnde aktivieren sind, sofern nicht Umstände vorliegen, Mensch in vergleichbarer Situation handeln würde. die es sachgerecht erscheinen lassen die Aktivie- rung zu unterlassen. Wohl aber gibt es die Vor- Um den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens zu begrün- schrift des § 1 Abs. 2 StVO. Er verlangt von jedem den, ist es erforderlich, dass dem Fahrer vorher- Fahrer eines Kfz, sich so zu verhalten, dass kein sehbar war, es könne in einer bestimmten Situation 69 anderer geschädigt wird. Dies zu beachten ent- zu einem Unfall kommen, wenn das in seinem spricht der in § 276 Abs. 2 BGB genannten erfor- Kfz vorhandene Fahrerassistenzsystem nicht akti- derlichen Sorgfalt. Jede Norm des Straßenver- viert ist. Diese Kenntnis ist anzunehmen, wenn und kehrsrechts, die ein bestimmtes Verhalten vor- weil die der Unfallvermeidung dienende Funktion des Systems bekannt ist. Allerdings muss es dem schreibt, legt damit auch fest, dass es erforderlicher Fahrer möglich gewesen sein, den Unfall bei akti- Sorgfalt entspricht, diese Regeln zu beachten. viertem System zu vermeiden. Es mag ungewöhnlich klingen, wenn gesagt wird, Damit eng zusammen hängt die Frage der Ursäch- zu der gemäß § 1 StVO geschuldeten Sorgfalt ge- lichkeit. Die Frage ist, ob sich der Unfall, der schä- höre auch, eine technische Einrichtung des Kfz, die digende Erfolg, nicht ergeben hätte, wenn das Sys- geeignet ist, Unfälle zu vermeiden, zu aktivieren tem aktiviert gewesen wäre. Im Streitfall bedeutet oder aktiviert zu lassen. Aber diese technische Ein- dies, dass der Nachweis geführt werden muss, der richtung, das Fahrerassistenzsystem, ist doch Unfall hätte sich nicht oder nicht in dieser Weise er- nichts anderes als ein im Fahrzeug bereit gestelltes eignet, der Schaden wäre also nicht oder nicht in Mittel, dem Gebot des § 1 StVO gerecht zu werden, dem Umfang eingetreten, wie er tatsächlich einge- niemand anderen durch Benutzung des Kfz zu treten ist, wenn das Assistenzsystem aktiv gewe- schädigen, zu verletzen oder gar zu töten. Damit ist sen wäre. Es müsste also unter Berücksichtigung ein unfallverhütendes Fahrerassistenzsystem letzt- der konkreten Daten des zum Unfall führenden Ver- lich nichts anderes als die Betriebsbremse. kehrsgeschehens einerseits, der Leistungsfähigkeit Geht es allein um die Verringerung von Geschwin- des Systems andererseits gutachterlich festgestellt digkeit, kann dieses Ziel erreicht werden dadurch, werden, dass dem realen Unfallgeschehen ein dass Gas weggenommen wird. In einer Vielzahl von Fällen aber ist dies nicht ausreichend. Es ist erforderlich, die Bremse zu betätigen, um eine Kol- 69 Hentschel/König, a. a. O., E RN 135 120

hypothetisches gegenübergestellt werden kann, gültig, was die Ursache ist, der Unfall, der sich infol- welches den Unfall vermieden oder die Unfallfolgen gedessen ergibt, hat sich immer beim Betrieb des deutlich verringert hätte. Das mag im Einzelfall Kraftfahrzeuges ereignet. Da ein Versagen der schwierig werden. Die Unfähigkeit, diesen Nach- technischen Einrichtungen des Fahrzeuges keine weis zu führen, geht zulasten des Geschädigten, höhere Gewalt darstellt, greift die Halterhaftung des denn er ist als derjenige, der Schadensersatz for- § 7 StVG. Der Fahrer hat die Möglichkeit der Haf- dert, beweisbelastet, für einen Verschulden voraus- tungsbefreiung gemäß § 18 Abs. 2 StVG. setzenden Anspruch . Ist der Fahrer übermüdet und hat deshalb nicht mehr die erforderliche Reaktionsfähigkeit und 4 Haftungsfragen bei drei Systemen -schnelligkeit, schläft er gar ein, ist ihm in der Regel der Vorwurf schuldhaften Fehlverhaltens zu ma- In Teil 1 der Untersuchung, der sich mit „Grundla- chen. Denn es ist in der Rechtsprechung aner- gen, technischer Ausgestaltung und Anforderun- kannt, dass solche Übermüdung, gar das Einschla- gen” befasst, sind einige Systemspezifikationen fen, nicht ohne Vorankündigung eintritt. ausgeführt. Sie unterscheiden sich durch den je- Wenn der Fahrer aber merkt, dass er übermüdet weils unterschiedlichen Grad automatischer Fahr- ist, seine Leistungsfähigkeit deshalb beeinträchtigt zeugführung. Nachstehend soll dargelegt werden, wird oder dass er einzuschlafen droht, dann muss wie sich unter Berücksichtigung des vorstehend er reagieren. Er muss den fließenden Verkehr ver- Ausgeführten die Frage möglicher Schadenser- lassen. Tut er dies nicht, handelt er immer schuld- satzpflicht beantwortet. haft im Sinne des § 18 StVG. Da sich ein daraus ergebender Unfall beim Betrieb des Kfz ereignete 4.1 Nothalte-Assistent und nicht auf höhere Gewalt zurückgeht, haften Fahrer und Halter gemäß §§ 7, 18 StVG. Der Fah- Der Nothalte-Assistent hat die Funktion, dann das rer haftet daneben aus § 823 Abs. 2 BGB in Ver- Fahrzeug sicher zum Stillstand zu bringen, wenn bindung mit § 1 Abs. 2 StVO. der Fahrer gesundheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, seiner Fahraufgabe zu entsprechen. Der Kommt es zu einem Systemversagen gilt, was Fahrer erleidet einen Herzinfarkt, einen Anfall, wird schon vorstehend infolge gesundheitsbedingten ohnmächtig, es tritt eine andere Insuffizienz auf. Ist Ausfalls des Fahrers gesagt ist. Halterhaftung aus das Fahrzeug nicht mit einem Nothalte-Assistenten § 7 StVG ist immer gegeben. In der Rechtsdurch- ausgestattet und kommt es aufgrund dieses ge- setzung vor Gericht ist dies für den Geschädigten sundheitlich bedingten Ausfalls des Fahrers zu insofern von Bedeutung und beruhigend, als er ein einem Unfall, so liegt schuldhaftes Fehlverhalten Verschulden des Fahrzeugführers nicht zu bewei- des Fahrers nicht vor. Damit scheidet jede Haftung sen hat. des Fahrers gemäß §§ 18 StVG, 823 BGB aus, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass ein gesund- heitsbedingter, schuldhaft nicht herbeigeführter 4.2 Autobahn-Assistent Ausfall vorliegt. Schuldhaft herbeigeführt kann der Der Autobahn-Assistent soll bei Fahrten auf Auto- Ausfall aber schon dann sein, wenn der Fahrer auf- bahnen und Schnellstraßen Unfälle vermeiden oder grund seines bei Fahrtantritt gegebenen, ihm be- kannten Gesundheitszustandes mit einem solchen zumindest in ihren Folgen mindern, dann, wenn der Ausfall rechnen musste. Auf jeden Fall aber bleibt Fahrer seine Fahraufgabe nicht mehr der Verkehrs- die Haftung des Halters gemäß § 7 StVG. Denn ein situation angemessen erledigt. Bei monotoner, gesundheitsbedingter Kontrollverlust des Fahrers langweiliger Fahrweise ist er nicht mehr in der erfor- stellt nie höhere Gewalt dar. Damit ist Eintrittspflicht derlichen Weise konzentriert. Er reagiert nicht, wo für den Schaden, der beim Unfall verursacht wird, er reagieren müsste, oder er reagiert verzögert. Die gegeben. Fehlleistung des Fahrers kann darin bestehen, dass er zu einem vorausfahrenden Fahrzeug nicht Ist ein Kraftfahrzeug mit dem Nothalte-Assistenten den erforderlichen Abstand einhält, auf ein vor ihm ausgestattet, kann dieser Fehlfunktion haben. Die befindliches Hindernis nicht reagiert, mit unange- Fehlfunktion kann darin bestehen, dass er nicht messener Geschwindigkeit fährt. Der Autobahn- ausgelöst wird oder dass er ein falsches, nicht si- Assistent setzt sich aus drei Systemen zusammen, tuationsgerechtes Fahrmanöver durchführt. Gleich- die auch jedes für sich allein als Fahrerassistenz- 121

system vorhanden sein können. Er umfasst ein tem, das nicht aktiviert war, vom Fahrer aktiviert System zur Einhaltung vorgegebener Geschwindig- worden wäre. keit, wie den Tempomat, ein Abstandshaltesystem, wie ACC, ein Spurhaltesystem. 4.3 Autobahn-Chauffeur Ist das Fahrzeug nicht mit einem Autobahn-Assis- tent ausgestattet und kommt es zum Unfall, liegt ein Autobahn-Chauffeur ermöglicht ein vollautomati- Fehlverhalten des Fahrers vor, der entweder mit sches Fahren auf Autobahnen und autobahnähnli- nicht angepasster Geschwindigkeit fuhr und damit chen Schnellstraßen. Das System nimmt dem Fah- vorwerfbar gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO oder rer die Fahraufgabe vollständig ab. Er muss die nicht mit ausreichendem Abstand, § 4 Abs. 1 Satz Hände nicht am Lenkrad haben. Wenn die Leis- 1. Damit tritt neben die Haftung des Halters aus § 7 tungsfähigkeit des Systems an ihre Grenzen stößt, StVO die des Fahrers aus § 18 StVO, wiederum in wird dies dem Fahrer angezeigt, dann muss er die Verbindung mit der aus § 823 Abs. 2 BGB. Lenkung des Fahrzeugs voll übernehmen.

Ist ein Autobahn-Assistent im Fahrzeug vorhanden, Kommt es infolge einer Fehlfunktion des Systems so kann sich für jedes der in ihm verkörperten zu einem Unfall, kann dem Halter nicht der Vorwurf Systeme eine spezifische Fehlfunktion ergeben. gemacht werden, dass das Fahrzeug mit dem Sys– Die vorgegebene Geschwindigkeit – welche die tem Autobahn-Chauffeur ausgestattet war. Denn höchstzulässige oder die angepasste sein kann – das System war ein zugelassener Teil des Kraft- wird nicht eingehalten. Das Fahrzeug fährt zu fahrzeuges. Dessen Nutzung allein kann nie Haf- schnell. Das trägt zu einem Unfall bei, der sich bei tungsgrundlage für eine Schadensersatzpflicht Einhaltung der eingegebenen Geschwindigkeit als sein. Aus dem gleichen Grund kann dem Fahrer weg- und zeitmäßig vermeidbar darstellt. Das nicht der Vorwurf gemacht werden, das System ak- System versagt in der Einhaltung des erforderli- tiviert und genutzt zu haben. Ihm kann allenfalls, chen Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden wenn er die Übernahmeaufforderung nicht beach- Fahrzeug oder zu einem festen Hindernis (Stauen- tet, der Vorwurf gemacht werden, dies unterlassen de), auf das es nicht reagiert. Das führt zum Unfall. zu haben. Das System verhindert nicht, dass das Fahrzeug Aber ein so begründetes Verschulden steht immer von der ordnungsgemäßen Fahrlinie seitlich ab- neben dem, welches letztlich die entscheidende – kommt. alleinige oder mitwirkende – Ursache des Unfalls Gleichgültig, was die Ursache ist, immer ist festzu- war, dass nämlich der Fahrer zu schnell fuhr, zu ge- halten, dass sich der durch die Fehlfunktion des ringen Sicherheitsabstand und nicht seinen Fahr- Systems ergebende Unfall stets als Fehler einer streifen oder seine Fahrbahnhälfte einhielt. Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges darstellt. In keinem Fall liegt höhere Gewalt vor. Halterhaf- tung gemäß § 7 StVG ist stets gegeben. 5 Zusammenfassung

Anders ist dies, wenn das System bei Erreichen In der Zusammenfassung kann somit gesagt wer- einer Systemgrenze dem Fahrer eine Übernah- den: meaufforderung gibt, die er nicht beachtet. Dann verstößt der Fahrer gegen § 1 Abs. 2 StVO, wenn Das seit der Reform in Deutschland gültige Recht der Unfall vermieden worden wäre, sofern er der des Ersatzes von Schäden aus Verkehrsunfällen Übernahmeaufforderung entsprochen hätte. Aber hat drei wichtige Grundformen. neben diesem – im Zweifelsfall schwer oder kaum • Der Halter eines Kraftfahrzeugs haftet für jeden zu beweisenden – Schuldvorwurf tritt immer der, Schaden, der sich bei einem Unfall ergibt, der § 1 Abs. 2 verletzt zu haben, weil nicht mit ausrei- chendem Sicherheitsabstand oder zu hoher Ge- sich beim Betrieb des Kraftfahrzeugs ereignet. schwindigkeit gefahren wurde. Diese Haftung ist nur ausgeschlossen, wenn der Unfall auf höhere Gewalt zurückgeht. Die Haf- Da das System aktivierbar ist und dies in Stufen tung ist eine reine, von Verschulden unabhängi- (erst Längsführung, dann Querführung), kann sich ge Gefährdungshaftung. Sie ist allerdings auf unter Umständen die Frage stellen, ob der Unfall Höchstbeträge begrenzt, die in § 12 StVG gere- hätte vermieden werden können, wenn das Sys- gelt sind. 122

• Der Fahrer des Kraftfahrzeugs haftet gemäß Literatur § 18 StVG neben dem Halter, wenn ihm der Vor- wurf schuldhaften Fehlverhaltens, das zum Un- HENTSCHEL, P., KÖNIG, P.: Straßenverkehrs- fall führt oder beiträgt, gemacht werden kann. recht, 41. Aufl. Dieses Verschulden wird vermutet, doch kann HOLLMANN, HERMANN: Die EG-Produkthaf- der Fahrer den Beweis führen, dass ihn kein tungsrichtlinie Verschulden trifft, dann kommt er von Haftung frei. Die Haftung des Fahrers ist wie die des Hal- JAGOW, BURMANN, HEß: Straßenverkehrsrecht, ters der Höhe nach begrenzt gemäß § 12 StVG. 20. Aufl.

• Der Fahrer haftet nicht nur aus § 18 StVG, son- KÖNIG, MICHAEL: Zur Sacheigenschaft von Com- dern daneben aus § 823 Abs. 2 BGB, wenn ihn puterprogrammen, NJW 1990, 1584 Verschulden am Unfall trifft. Verschulden des Fahrers muss der Geschädigte beweisen. Diese KULLMANN, H. J.: Produkthaftungsgesetz, 6. Aufl. Haftung ist unbegrenzt. Das ist – neben der Be- weislastregel zur Verschuldensfrage – der ent- Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. scheidende Unterschied zur Haftung gemäß § 18 StVG. Diese Haftungsgrundlage wird daher PALANDT: Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl. vor allem bei Großschäden, welche ihrem Volu- STAUDINGER: Kommentar zum BGB (2009) men nach die Haftungshöchstbeträge des § 12 StVG überschreiten, von Bedeutung. STEFFEN, E.: Höhere Gewalt statt unabwendbares Ereignis in § 7 Abs. 7 StVG, DAR 1998, 135 Nach diesen gesetzlichen Vorschriften begründete Schadensersatzansprüche sind im Regelfall von TASCHNER, H. C., FRIETSCH, E.: Produkthaf- dem Krafthaftpflichtversicherer des unfallbeteiligten tungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, Kraftfahrzeugs zu befriedigen. 2. Aufl.

Ob ein Kraftfahrzeug mit Einrichtungen, die ein teil- WESTPHALEN, F. von: Das neue Produkthaftungs- oder vollautomatisiertes Fahren ermöglichen – also gesetz, NJW 1990, 83 ff. Fahrerassistenzsystemen – ausgestattet ist, wirkt sich haftungsrechtlich nicht aus. Die Ausstattung WESTPHALEN, F. von: Produkthaftungshandbuch mit Fahrerassistenzsystemen, die teil- oder vollau- tomatisiertes Fahren ermöglichen, begründet grundsätzlich kein zusätzliches Risiko, haften zu müssen.

Ein solches Risiko kann sich allenfalls dann erge- ben, wenn dem Fahrer der Vorwurf gemacht wer- den kann, ein vorhandenes, der Unfallverhütung dienendes System fälschlicherweise nicht aktiviert oder deaktiviert zu haben. Praktisch hat dies aller- dings nur Bedeutung, wenn sonst Haftung nach § 18 StVG oder § 823 BGB nicht begründet wäre, was kaum vorstellbar ist.

Motorisierte Fortbewegung ist Teil der Zivilisation, die sich der Mensch geschaffen hat. Sie dient dem Menschen. Sie ist aber mit Gefahren für andere verbunden. Deshalb hat der Mensch, welcher sich in seinem Interesse solcher Technik bedient, immer die Verantwortung dafür, dass ein anderer als Folge eines Unfalls nicht mit dessen finanziellen Folgen belastet bleibt. 123

Schriftenreihe F 36: Anforderungen an Rückspiegel von Krafträdern van de Sand, Wallentowitz, Schrüllkamp  14,00 F 37: Abgasuntersuchung - Erfolgskontrolle: Ottomotor – G-Kat Berichte der Bundesanstalt Afflerbach, Hassel, Schmidt, Sonnborn, Weber  11,50 für Straßenwesen F 38: Optimierte Fahrzeugfront hinsichtlich des Fußgänger- schutzes Friesen, Wallentowitz, Philipps  12,50 Unterreihe „Fahrzeugtechnik“ 2002 F 39: Optimierung des rückwärtigen Signalbildes zur Reduzierung 1997 von Auffahrunfällen bei Gefahrenbremsung Gail, Lorig, Gelau, Heuzeroth, Sievert  19,50 F 22: Schadstoffemissionen und Kraftstoffverbrauch bei kurzzei- F 40: Entwicklung eines Prüfverfahrens für Spritzschutzsysteme tiger Motorabschaltung an Kraftfahrzeugen Bugsel, Albus, Sievert  10,50 Domsch, Sandkühler, Wallentowitz  16,50 F 23: Unfalldatenschreiber als Informationsquelle für die Unfall- forschung in der Pre-Crash-Phase Berg, Mayer  19,50 2003 F 41: Abgasuntersuchung: Dieselfahrzeuge 1998 Afflerbach, Hassel, Mäurer, Schmidt, Weber  14,00 F 42: Schwachstellenanalyse zur Optimierung des Notausstieg- F 24: Beurteilung der Sicherheitsaspekte eines neuartigen Zwei- systems bei Reisebussen radkonzeptes Krieg, Rüter, Weißgerber  15,00 Kalliske, Albus, Faerber  12,00 F 43: Testverfahren zur Bewertung und Verbesserung von Kin- F 25: Sicherheit des Transportes von Kindern auf Fahrrädern und derschutzsystemen beim Pkw-Seitenaufprall in Fahrradanhängern Nett  16,50 Kalliske, Wobben, Nee  11,50 F 44: Aktive und passive Sicherheit gebrauchter Leichtkraftfahrzeuge Gail, Pastor, Spiering, Sander, Lorig  12,00 1999 F 26: Entwicklung eines Testverfahrens für Antriebsschlupf-Re- gelsysteme 2004 Schweers  11,50 F 45: Untersuchungen zur Abgasemission von Motorrädern im F 27: Betriebslasten an Fahrrädern Rahmen der WMTC-Aktivitäten  Vötter, Groß, Esser, Born, Flamm, Rieck  10,50 Steven 12,50 F 28: Überprüfung elektronischer Systeme in Kraftfahrzeugen F 46: Anforderungen an zukünftige Kraftrad-Bremssysteme zur Kohlstruck, Wallentowitz  13,00 Steigerung der Fahrsicherheit Funke, Winner  12,00 F 47: Kompetenzerwerb im Umgang mit Fahrerinformation- 2000 ssystemen F 29: Verkehrssicherheit runderneuerter Reifen Jahn, Oehme, Rösler, Krems  13,50 Teil 1: Verkehrssicherheit runderneuerter PKW-Reifen F 48: Standgeräuschmessung an Motorrädern im Verkehr und Glaeser bei der Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO Teil 2: Verkehrssicherheit runderneuerter Lkw-Reifen Pullwitt, Redmann  13,50 Aubel  13,00 F 49: Prüfverfahren für die passive Sicherheit motorisierter Zwei- F 30: Rechnerische Simulation des Fahrverhaltens von Lkw mit räder Breitreifen Berg, Rücker, Bürkle, Mattern, Kallieris  18,00 Faber  12,50 F 50: Seitenairbag und Kinderrückhaltesysteme F 31: Passive Sicherheit von Pkw bei Verkehrsunfällen – Fahr- Gehre, Kramer, Schindler  14,50 zeugsicherheit '95 – Analyse aus Erhebungen am Unfallort Otte  12,50 F 51: Brandverhalten der Innenausstattung von Reisebussen Egelhaaf, Berg, Staubach, Lange  16,50 F 32: Die Fahrzeugtechnische Versuchsanlage der BASt – Ein- weihung mit Verleihung des Verkehrssicherheitspreises 2000 am F 52: Intelligente Rückhaltesysteme 4. und 5. Mai 2000 in Bergisch Gladbach  14,00 Schindler, Kühn, Siegler  16,00 F 53: Unfallverletzungen in Fahrzeugen mit Airbag  2001 Klanner, Ambos, Paulus, Hummel, Langwieder, Köster 15,00 F 54: Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern an Kreu- F 33: Sicherheitsbelange aktiver Fahrdynamikregelungen zungen durch rechts abbiegende Lkw Gaupp, Wobben, Horn, Seemann  17,00 Niewöhner, Berg  16,50 F 34: Ermittlung von Emissionen im Stationärbetrieb mit dem Emissions-Mess-Fahrzeug Sander, Bugsel, Sievert, Albus  11,00 2005 F 35: Sicherheitsanalyse der Systeme zum Automatischen Fahren F 55: 1st International Conference on ESAR „Expert Symposium Wallentowitz, Ehmanns, Neunzig, Weilkes, Steinauer, on Accident Research“ – Reports on the ESAR-Conference on Bölling, Richter, Gaupp  19,00 3rd/4th September 2004 at Hannover Medical School  29,00 124

F 75: Fehlgebrauch der Airbagabschaltung bei der Beförderung von Kindern 2006 in Kinderschutzsystemen F 56: Untersuchung von Verkehrssicherheitsaspekten durch die Müller, Johannsen, Fastenmaier  15,50 Verwendung asphärischer Außenspiegel Bach, Rüter, Carstengerdes, Wender, Otte  17,00 F 57: Untersuchung von Reifen mit Notlaufeigenschaften 2011 Gail, Pullwitt, Sander, Lorig, Bartels  15,00 F 76: Schutz von Fußgängern beim Scheibenanprall II F 58: Bestimmung von Nutzfahrzeugemissionsfaktoren Dieser Bericht liegt nur in digitaler Form vor und kann kostenpflichtig unter Steven, Kleinebrahm  15,50 www.nw-verlag.de heruntergeladen werden.  F 59: Hochrechnung von Daten aus Erhebungen am Unfallort Bovenkerk, Gies, Urban 19,50 Hautzinger, Pfeiffer, Schmidt  15,50 F 77: 4th International Conference on ESAR „Expert Symposium on F 60: Ableitung von Anforderungen an Fahrerassistenzsysteme Accident Research“ aus Sicht der Verkehrssicherheit Vollrath, Briest, Schießl, Drewes, Dieser Bericht liegt nur in digitaler Form vor und kann kostenpflichtig unter Becker www.nw-verlag.de heruntergeladen werden.  29,50 F 78: Elektronische Manipulation von Fahrzeug- und Infrastruktursyste-  16,50 men 2007 Dittmann, Hoppe, Kiltz, Tuchscheerer  17,50 F 61: 2nd International Conference on ESAR „Expert Symposium F 79: Internationale und nationale Telematik-Leitbilder und ITS-Architek- on Accident Research“ – Reports on the ESAR-Conference on turen im Straßenverkehr 1st/2nd September 2006 at Hannover Medical School  30,00 Boltze, Krüger, Reusswig, Hillebrand  22,00 F 62: Einfluss des Versicherungs-Einstufungstests auf die Be- lange der passiven Sicherheit F 80: Untersuchungskonzepte für die Evaluation von Systemen zur Erken- Rüter, Zoppke, Bach, Carstengerdes  16,50 nung des Fahrerzustands  F 63: Nutzerseitiger Fehlgebrauch von Fahrerassistenzsystemen Eichinger 15,00 Marberger  14,50 F 81: Potenzial aktiver Fahrwerke zur Erhöhung der Fahrsicherheit von F 64: Anforderungen an Helme für Motorradfahrer zur Motor- Motorrädern radsicherheit Wunram, Eckstein, Rettweiler  15,50 Dieser Bericht liegt nur in digitaler Form vor und kann kostenpflichtig unter www.nw-verlag.de heruntergeladen werden. F 82: Qualität von on-trip Verkehrsinformationen im Straßenverkehr Schüler, Adoplh, Steinmann, Ionescu  22,00 – Quality of on-trip road traffic information – BASt-Kolloquium 23. & F 65: Entwicklung von Kriterien zur Bewertung der Fahrzeugbe- 24.03.2011 leuchtung im Hinblick auf ein NCAP für aktive Fahrzeugsicherheit Lotz, Luks Manz, Kooß, Klinger, Schellinger  17,50 Dieser Bericht liegt nur in digitaler Form vor und kann kostenpflichtig unter www.nw-verlag.de heruntergeladen werden.  20,00 2008 2012 F 66: Optimierung der Beleuchtung von Personenwagen und Nutzfahrzeugen F 83: Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung – Gemein- Jebas, Schellinger, Klinger, Manz, Kooß  15,50 samer Schlussbericht der Projektgruppe F 67: Optimierung von Kinderschutzsystemen im Pkw Gasser, Arzt, Ayoubi, Bartels, Bürkle, Eier, Flemisch, Häcker, Hesse, Huber,  Weber  20,00 Lotz, Maurer, Ruth-Schumacher, Schwarz, Vogt 19,50 F 68: Cost-benefit analysis for ABS of motorcycles Baum, Westerkamp, Geißler  20,00 F 69: Fahrzeuggestützte Notrufsysteme (eCall) für die Verkehrs- sicherheit in Deutschland Auerbach, Issing, Karrer, Steffens  18,00 F 70: Einfluss verbesserter Fahrzeugsicherheit bei Pkw auf die Entwicklung von Landstraßenunfällen Gail, Pöppel-Decker, Lorig, Eggers, Lerner, Ellmers  13,50

2009 F 71: Erkennbarkeit von Motorrädern am Tag – Untersuchun- gen zum vorderen Signalbild Alle Berichte sind zu beziehen beim: Bartels, Sander  13,50 F 72: 3rd International Conference on ESAR „Expert Symposium Wirtschaftsverlag NW on Accident Research“ – Reports on the ESAR-Conference on 5th/6th September 2008 at Hannover Medical School  29,50 Verlag für neue Wissenschaft GmbH F 73: Objektive Erkennung kritischer Fahrsituationen von Mo- Postfach 10 11 10 torrädern D-27511 Bremerhaven Seiniger, Winner  16,50 Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0 Telefax: (04 71) 9 45 44 77 2010 Email: [email protected] Internet: www.nw-verlag.de F 74: Auswirkungen des Fahrens mit Tempomat und ACC auf das Fahrerverhalten Vollrath, Briest, Oeltze  15,50 Dort ist auch ein Komplettverzeichnis erhältlich.