Spiranthes aestivalis (LR/cd) Merkblätter Artenschutz – Blütenpflanzen und Farne (Stand Oktober 1999)

LR(cd) aestivalis (POIR.) RICH. – Sommer-Wendelähre –

über Silikat vorgekommen. Sie reagiert sehr Obberrheingebiet, zerstreut im Bodensee- empfindlich auf Eutrophierung und erträgt gebiet (z. B. Mindelsee, Wollmatingerriet, grosse Grundwasserschwankungen eher Öhningen), im Würrtembergischen und Bay- schlecht. risches Alpenvorland (D), Vorarlberg, Tirol (A), Die Art ist in der Schweiz kollin und montan zerstreut in Piemont, Lombardei (z. B. am bis auf 1120 m Höhe verbreitet (in Frankreich Nordende des Comersees, Grigna), Veneto (I). bis 1400 m Höhe). Gefährdung: die Art ist in ganz Europa selten Spiranthes aestivalis gilt als Charakterart des und vielerorts durch Lebensraumzerstörung Orchio-Schoenetum nigricantis OBERD. 57, ist gefährdet bis stark gefährdet. aber auch oft im nahe verwandten Primulo- Schoenetum ferruginei (KOCH 26) OBERD. 57 EM. Schutzstatus 62 zu finden. Seltener kommt sie in nässeren CH: Rote Liste, vollständig geschützt; D, F, A, Typen des Molinion coeruleae KOCH 26, im (I); BK, EU/FFH. Caricetum davallianae DUTOIT 24 EM. GÖRS 63, im Rhynchosporetum albae KOCH 26, im Verbreitung und Gefährdung Caricetum lasiocarpae KOCH 26 und in Juncus in der Schweiz subnodulosus-Beständen vor. Manchmal tritt sie Diese Art ist früher im Mittelland weit verbrei- zusammen mit (L.) RICH. auf. tet gewesen und selten auch im Wallis, im Tes- Lebensraumtyp: 2.2.3 sin und in Graubünden vorgekommen. Entlang Ökolog. Zeigerwerte: F4wR5N1H5D5L4T4K3. der Täler ist sie in die Nordalpen vorgedrun- gen und hatte bis vor kurzem selbst bei Kander- Ausgewählte Kenntnisse zur Art steg (BE) eine Fundstelle. Heute hat sie ihre Dieser Geophyt blüht wie viele andere Orchi- Verbreitungsschwerpunkte noch am Neuen- deen, in Abhängigkeit von äusseren Bedingun- burger- und Bielersee sowie in der Zentral- und gen wie Überschwemmungsdauer und Tempe- Ostschweiz in den Kantonen Zug, Schwyz, ratur, in verschiedenen Jahren sehr unter- Zürich, Thurgau und St. Gallen. Zerstreute Vor- schiedlich häufig. Die Fruchtreife erfolgt ab kommen gibt es zudem aktuell noch bei La Abbildung aus Mitte September. Der Fruchtansatz betrug in Rippe, Gingins (VD), Enney (FR), Savièse (VS), HESS & AL. 1976-1980 einer Untersuchung in Deutschland zwischen Weissenau bei Interlaken (BE), Giswil (OW), 42% und 70%. Die Art gilt als fremdbestäubt, Stansstad (NW), am Hallwilersee (AG/LU), in Beschreibung wofür der Blütenbau, der abendliche (Hyazin- der Reussebene (AG), im Reussdelta (UR) und Pflanze 10-30 cm hoch. Rhizom mit 2-6 rüben- bis then-)Duft und die Nektarproduktion spre- bei Walenstadt (SG). In den Kantonen Tessin spindelförmigen, 5-8 cm langen Speicherwurzeln. Sten- chen. Als Bestäuber gelten Hummeln, Bienen und Graubünden scheinen alle Vorkommen gel sich im Zentrum der Blattrosette entwickelnd. und Kleinschmetterlinge. Durch die Ausbildung erloschen zu sein. Grundständige Blätter bis 10 cm lang, schmal-lanzett- lich, aufrecht, hellgrün. Stengelblätter 2-3, nach oben von Bulbillen an Niederblättern (vegetative Ver- Gefährdung: die meisten Populationen sind kleiner werdend und den Blütenstand nicht erreichend. mehrung) kann es zur Büschelbildung kom- klein (< 25 Ex.) und dadurch sehr empfindlich. Dieser 4-11 cm lang mit 6-25 locker spiralig angeord- men. Die Standorte der Sommer-Wendelorchis Die Art gilt gesamtschweizerisch als selten und neten, 3-4 mm langen, aussen drüsig behaarten Blü- sind fast alle durch die traditionelle Streue- von zielgerichteten Schutz- und Pflegemass- ten. Perigonblätter lanzettlich, weiss und aussen grün- nutzung des Menschen entstanden. Der Ba- nahmen abhängig, sonst wäre sie als gefähr- nervig. Petalen und Sepalen einen offenen Helm bil- dend. Lippe etwa so lang wie die Perigonblätter, nach stard mit S. spiralis kann sehr selten in hoch- det anzusehen. In der übrigen Westschweiz unten gebogen, ungeteilt mit krausem Rand, ohne gelegenen Bereichen mit gemeinsamen Vor- und im Wallis ist sie dagegen sogar stark ge- Sporn. Fruchtknoten sitzend, drüsig behaart. Blütezeit kommen beobachtet werden (z. B. in Tirol und fährdet bzw. vom Aussterben bedroht. 7. Chromosomenzahl: 2n = 30 bei Salzburg). Die Vermehrung in Botanischen Bestandesentwicklung: bis 1970 mässig bis stark Ähnliche Art: (L.) CHEVALL (Herbst-W.), Gärten ist möglich, aber schwierig. abnehmend, seither leicht abnehmend bis ± Stengel nur schuppig beblättert. Blätter in einer seitli- chen Grundrosette. Blüten 4-6 mm lang. Perigonblätter stabil. aussen grünlich. Blütezeit 8-10. Allgemeine Verbreitung und Gefährdung Verantwortlichkeit Die Sommer-Wendelorchis gilt als west(sub-)- Die internationale Verantwortung der Schweiz Ökologie und Pflanzengesellschaften mediterranes bis atlantisches Florenelement ist mittel. Die Sommer-Wendelähre kommt in Grund- und ist in Mittel- und Südeuropa sowie in Klein- ᪚ Christoph Käsermann oder Quellwasser gespiesenen kalkhaltigen asien verbreitet. Die Nordgrenze verläuft durch Flach- und Hangmooren sowie an Quellaus- Frankreich, die Kanalinseln (GB), Südengland, tritten auf staunassen, nährstoffarmen Sumpf- den Benelux, Süddeutschland, die Schweiz, humus- oder Kalktuffböden vor. Sie ist licht- Österreich, Tschechien und Ungarn. Die Süd- bedürftig, wärmeliebend und wächst am be- grenze geht durch Portugal, Spanien, Nordafri- sten in sehr niedrigen, offenen, konkurrenzar- ka, Italien, Slowenien, den Balkan und Grie- men Bereichen auf wechselnassen, im Sommer chenland. nicht allzu stark austrocknenden Böden. Der Nächste Fundstellen: Hochsavoyen nur noch an pH-Wert liegt meist zwischen 6 und 7. Zumin- vier Stellen (Lugrin, Saint-Paul-en-Chablais, All- dest in der Südschweiz ist die Art jedoch auch inges, Amancy), Ain, Jura (F), Ichenheim im

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Gefährdungsursachen Massnahmen

• Entwässerung • keine neuen Entwässerungen; Regulierung des Wasserhaushalts zugunsten der Art • Eutrophierung (auch aus der Luft) • Düngeverbot in der Umgebung; Ausscheidung von grossen Puffer- zonen; Verstärken der Massnahmen zur Luftreinhaltung • Aufgabe der traditionellen Streuenutzung • Anreiz geben zur Weiterführung einer extensiven Nutzung (Ökobeiträge); ansonsten simulieren der ehemaligen Streue- nutzung als Pflegenutzung (von Hand oder mit leichtem Gerät über gefrorenem Boden im Winter) • Verbuschung und Verschilfung der Standorte • regelmässige Mahd ab Ende September; Abtransport des Schnittguts; entbuschen • mechanische Einwirkungen durch Freizeitaktivitäten (z. B.Tritt, • Lenkung der Ausflügler im Problembereich; Sperrung von Wegen; Photographieren) Naturlehrpfade (Prügelpfade) einrichten • Bau von Verkehrsanlagen, Industriebauten, Golfplätzen, Siedlungen • Vorrang der wertvollen Lebensräume vor Bauprojekten • Ersatzaufforstungen • keine Ersatzaufforstungen in Feuchtgebieten • kleine, isolierte Populationen • Schutz (Ortsplanung); regelmässige Bestandeskontrolle aller Popu- lationen; populationsbiologische Untersuchungen durchführen; Dauerflächen-Beobachtung; Erfolgskontrolle gewährleisten

Literatur BRIELMAIER, G.H. & S. KÜNKELE (1970):␣ Grundlagenuntersuchungen zur Floristik, Vegetationskunde und Ökologie – Zur Verbreitung von Spiranthes aestivalis (POIR.) RICH. In Baden-Württemberg. Veröff. Landesstelle Naturschutz Baden-Württemberg 38:␣ 7-33. HESS, H.E., E. LANDOLT & R. HIRZEL (1976-1980):␣ Flora der Schweiz und angrenzender Gebiete. 3 vols, 2690 pp. 2. ed., Birkhäuser Verlag, Basel.

LR(cd) Spiranthes aestivalis (POIR.) RICH. – Sommer-Wendelähre – Orchidaceae

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᭹ aktuell bestätigt [indigen] Total: 302 nach 1966: 90 (29.8 %) ᭾ wahrscheinlich aktuell [indigen] e aktuell: 66 (21.9 %) ୯ e e 1966-1998 [indigen] ᭹ e ᭹e ee e e e e e vor 1966 [indigen] ୯ e ᭹ e e ? unsicher/fraglich e e e e ᭹ ᭿ aktuell bestätigt [angesiedelt] ee ୯ ୯ ᭾ ᭾ ᭹ e e ୯ e ee ᮂ wahrscheinlich aktuell [angesiedelt] e ᭹e e ᭹ ᭹e e ୯ ee ᭹ i ee ee 1966-1998 & vor 1966 [angesiedelt] e e e ᭾ ᭹ ᭾e (Flächen = aktuell im Verbreitungsatlas) e e ᭹e ᭹ e ᭹ ᭹ e e ᭹e e e ee ᭹ e e e ᭾ e ᭾ee eee e ᭹ ee ᭹ ᭹ ee e ᭹ ᭾e ᭹ ᭹ee e ᭹e ᭹ ᭹ee e e e ୯ e ᭹ e ᭹ ୯ ᭹ ᭹ ୯ e e e e ᭹ ᭹ ᭹ee e e e ee ᭾ e ᭹ ୯ ᭹ ୯ eee e e ୯ e ᭹ e e e e e e e e e ᭹ ᭾e e e e ୯ ee e e ᭾ e e e e e e ᭹ ᭹ e ୯ ୯ ᭹ee ୯ e ᭹ ᭹ e ୯ e ᭹ ᭹ e e ୯ e e ᭹e e ୯ ee ᭾e e ᭹ e ᭹ ୯ ee ᭾ e ee ᭹ ee e e ᭹ e e e e e e e e ᭹

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Y = 075 © CRSF/ZDSF 1999 Reproduziert mit Bewilligung X = 480 ᮀ = 015 des Bundesamtes für Landestopographie (BA 4599)

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