Vom Militaristen Zum Pazifisten
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Vom Militaristen zum Pazifisten: Politisches Leben und Wirken des Generals Berthold von Deimling vor dem Hintergrund der Entwicklung Deutschlands vom Kaiserreich zum Dritten Reich Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) durch die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf von: Kirsten Zirkel Erstgutachter: Prof. Dr. Holger Afflerbach Zweitgutachter: Prof. Dr. Gerd Krumeich Tag der mündlichen Prüfung: 06.11.2006 D 61 Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 Biographie – ein zeitgemäßes Genre? 3 Historiographischer Anspruch und Aufbau 7 Quellenlage und Forschungsstand 12 A. Leben für den Krieg: Berthold von Deimling, 1853-1918 I. Zwischen liberaler Tradition und neuem Nationalismus: Kindheit und Jugend, 1853-1871 23 1. Familiäre Sozialisation 23 2. Politische Prägungen 28 II. Vom badischen Bürgersohn zum Paradewilhelminer: Karriere im preußischen Heer, 1871-1904 32 1. Militärische Sozialisation 32 2. „Schule der Männlichkeit“ – Leutnantsjahre und Kriegsakademie 36 3. Der Katalysator: Deimlings Generalstabslaufbahn 45 4. Erste Verwerfungen: Im Berliner Generalstab an der Seite Schlieffens 51 III. Militärische Meriten, politische Machtproben: Schutztruppenkommando in Deutsch-Südwestafrika, 1904-1907 57 1. Sucht nach dem totalen Sieg: Mitwirkung am Vernichtungskurs unter dem Kommando Trotha 59 2. Kleinkrieg auf dem Höhepunkt: „Hottentotten“-Aufstand und Südfeldzug 1904/05 71 3. Säbelrasseln im Reichstag: Deimlings Einmischung in die Berliner Kolonialpolitik 82 4. Pragmatismus von Kaisers Gnaden: Verständigungsfrieden mit den Nama 1906/07 91 IV. Primat des Militarismus: Truppenkommando an der deutsch- französischen Grenze, 1907-1914 109 1. Militärische Provokationen, antipazifistische Tiraden: Deimlings Stationierungen in Südbaden und im Elsass 109 2. Die Zabern-Affäre 123 a) Der Kasernenskandal: Topographie einer kalkulierten Eskalation 125 b) Die Ohnmacht der Politiker: Konferenz in Donaueschingen 133 c) Konstitutionalismus in der Krise: Reaktionen in Reichstag und Öffentlichkeit 137 d) „Mars regiert die Stunde“: Die Sieger von Zabern 146 e) Der übersehene Urheber: Deimling und die Zabern-Affäre im Spiegel der Forschung 150 V. Westfront-Trauma und Weichenstellung: Deimlings Wirken im Weltkrieg, 1914-1917 156 1. Hybris eines Korpskommandeurs: Schlüsselschlachten im Westen 159 a) Mülhausen 160 b) Corbény und Craonne 163 c) Ypern 167 d) Pionier des Gaskrieges 175 e) Verdun 179 f) Somme 183 2. Die Kaltstellung 1917 187 a) Die Drahtzieher 189 b) Die Motive 195 VI. Vom Ritter pour le mérite zum Friedenskämpfer: Deimlings politischer Wandel nach Beendigung seiner militärischen Laufbahn 205 1. Die Inkubationsphase 1917/18 206 a) Deimlings Einsatz für einen Verständigungsfrieden – Mythos und Wirklichkeit 206 b) In dubio pro bello: Deimlings Aktivitäten bis zum Zusammenbruch des Kaiserreiches 213 2. Die Kehrtwende: Hintergründe und Motive 226 3. Deimlings Wende – ein Einzelfall? Pazifistische Offiziere nach dem Ersten Weltkrieg 236 B. Leben für den Frieden: Berthold von Deimling 1919-1944 VII. Politische Lehrjahre, 1919-1923 259 1. Pazifist, Patriot, Pragmatiker: Deimlings neue politische Verortung 259 2. Parteiarbeit im Außendienst: Deimling und die DDP 265 3. Öffentliche Agitation, Abrechnung mit den alten Eliten und frühe Feinde 274 Exkurs: Der Kriegsverbrecherprozess 1920-1923 294 4. Werbung für die Weltgemeinschaft 299 VIII. „Krieg dem Krieg!“ Deimlings politische Öffentlichkeitsarbeit, 1924-1933 309 1. Deimling und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 310 a) Schutztruppe der Republik – Funktion und Selbstverständnis des republikanischen Wehrverbandes 310 b) „Reichsbannergeneral“ – Deimling in der Rolle seines republikanischen Lebens 316 c) Reaktionen 326 2. Popularität als politisches Instrument: Propaganda im Dienste der Republik 339 a) Deimling der Mobilmacher: Wahlkämpfe für die DDP 339 b) Deimling der Polarisierer: Der Hass der Rechten und die Ambivalenz der Linken 343 3. Botschafter der Völkerverständigung: Deimling auf der internationalen Bühne 357 a) In Völkerbund-Mission 357 b) Späte Brückenschläge: Aussöhnung mit Frankreich und Kehrtwende in der Kolonialfrage 362 4. Deimlings Konzept eines ‚wehrhaften Pazifismus’ 367 a) Die Säulen des Friedens: Allgemeine Abrüstung und die Optionen internationaler Konfliktlösung 369 b) Das Recht auf Verteidigung und die Pflicht zur Demilitarisierung: Deimlings Kampf gegen die deutschen Wiederaufrüstungspläne 378 c) Milizsystem versus Berufsarmee: Visionen vom Heer der Zukunft in einem abgerüsteten Staat 382 5. Zwischen allen Fronten – Deimling im politischen Kraftfeld der untergehenden Republik 393 a) Eine schwierige Allianz: Die Friedensbewegung und ihr General 393 b) Sammlung um jeden Preis: Deimling, der Jungdeutsche Orden und die Gründung der Staatspartei 398 IX. Auf verlorenem Posten: Deimlings zweite Kaltstellung unter dem Nationalsozialismus 405 X. Schlussbetrachtung 417 1. Vom Vergessen eines Friedensgenerals: Rezeption nach 1945 417 2. Berthold von Deimling – eine Bilanz 427 Abkürzungsverzeichnis 442 Quellen- und Literaturverzeichnis 443 1 „Berthold v. Deimling ist heute der bestgehaßte Mann bei den ewig Gestrigen. Also muß er ein Mann von Bedeutung sein.“(Berliner Morgenpost Nr. 240 v. 5.10.1924) Einleitung Berthold von Deimling, eine der umstrittensten und zugleich populärsten Persön- lichkeiten des Deutschen Kaiserreiches und insbesondere der Weimarer Republik, ist historiographisch ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Bis heute existiert über Leben und Wirken des Generals aus Baden, der nach dem Ersten Weltkrieg so spektakulär vom Militaristen härtester Gangart zum Pazifisten und bekennenden Republikaner konvertierte, keine umfassende biographische Untersuchung.1 Die Tatsache, dass die Rezeption der Person Deimling in der Forschung in umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seiner Wahrnehmung in der zeitgenössischen Öf- fentlichkeit steht, wirft die Frage auf, warum sich bis heute niemand eingehender mit dem Gegenstand befasst hat. Zugegeben, der General macht es der Historio- graphie nicht gerade leicht. In seiner Ambivalenz entzieht sich das 90-jährige Leben Deimlings, wie es scheint, einer eindeutigen historischen Verortung und fällt damit gleichsam zwischen die Stühle der geschichtswissenschaftlichen Gen- res: Der Anachronismus seines Lebenslaufs, die Radikalität seiner militärischen Haltung vor und die Individualität seines pazifistischen Kurses nach 1918, nicht zuletzt seine konsequente Verweigerung politischer Ämter und Mandate lassen ihn für Militär- und Friedensforscher, Politik- und Mentalitätshistoriker gleicher- maßen zum randständigen Sonderling werden. Um jedoch als „Kalb mit zwei Köpfen“2 und bloßes Kuriosum in den Fußnoten der Forschung geführt zu werden, hat der General zu Lebzeiten bei weitem zu viel 1 Die historiographische Rezeption nach 1945 erschöpft sich in drei kurzen Lebensbeschreibungen in Nachschlagewerken ohne tiefere Analyse sowie zwei Aufsätzen des Historikers Christoph Jahr, basierend auf dem Nachlass Deimlings, vgl. Jahr, Deimling, in: ZfGO 142 (1994), S. 359-387; ders., Presse, in: Pazifistische Offiziere, S. 131-146; ferner Holl, Deimling, in: Friedensbewegung, S. 69f.; Kremer, Deimling, in: Badische Biographien N.F., Bd. 2, S. 60-63; Kuntzemüller, Albert, Berthold von Deimling, in: NDB, Bd. 3, S. 570. Die Literaturhinweise im nachfolgenden Anmer- kungsapparat beschränken sich auf die Nennung von Autor und Kurztitel. Die vollständigen bi- bliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. Beiträge aus Sammelbänden, die dort nicht expliziert aufgeführt sind, werden mit vollem Titel zitiert. 2 So beschrieb ein Freund des Deimling-Mitstreiters General Paul von Schoenaich die öffentlichen Reaktionen auf die pazifistischen Offiziere der Zwischenkriegszeit, zit. n. Gräper, Militarismus, S. 235. 2 Staub aufgewirbelt: vor 1918, um nur die Höhepunkte zu nennen, durch seine Aufsehen erregenden Auftritte als Schutztruppenkommandeur vor dem Reichstag, seinen Verständigungsfrieden mit den Aufständischen in Deutsch-Südwestafrika und durch die Zabern-Affäre von 1913/14; nach 1918 durch sein breitflächiges Wirken in der politischen Öffentlichkeit, insbesondere seine massenwirksamen Kundgebungen, die ihn so populär machten, dass er in der Weimarer Presse als Lösungswort in Silbenrätseln erschien. Wesen und Wirkung Berthold von Deim- lings, so lässt sich bereits aus diesen knappen Hinweisen ersehen, ist in seiner Gesamtheit nicht mit einem historiographischen Ansatz allein zu erfassen. Vorlie- gende Studie begreift sich daher weder als Militärgeschichte im engeren Sinn noch als klassischer Beitrag zur historischen Friedensforschung, zumal es in der neueren Historiographie angesichts der vielfältigen Überschneidungen von Me- thoden und Untersuchungsgegenständen „zunehmend schwieriger geworden ist, eindeutige ‚Etiketten’ zu vergeben“, wie Bernhard Chiari zu Recht anmerkt.3 Statt dessen soll die Chance wahrgenommen werden, die „Pluralität wissenschaft- licher Historiographie“4 auf den vorliegenden Gegenstand anzuwenden: Eine Bio- graphie über den ‚Friedensgeneral’ Deimling kann nur „crossover“ quer durch die historiographischen Disziplinen geschrieben werden. Sie ist Militär- und Menta- litätsgeschichte, Gesellschafts- und Sozialgeschichte, Politik- und Parteienge- schichte in einem. Besonders die zum programmatisch verengten Blickwinkel neigende Friedensfor- schung tut sich bis heute schwer mit intradisziplinären Ansätzen, was auch eine Erklärung dafür sein mag, dass sie sich dem