Traditionelles Japanisches Ringen: Von Darbietungen Für Die Götter Zum Nationalsport Japans
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Sumô Traditionelles japanisches Ringen: Von Darbietungen für die Götter zum Nationalsport Japans AM Entenji-Tempel in Tōkyō verfasste der Gürtel (tsuna) aus wei- nes feindlichen Stam- Dichter KOBAYASHI Issa (1763-1827) im ßem Seil (im Shintō shi- mes zu verdanken. Jahre 1816 folgendes Haiku: menawa zur Kennzeich- Kein Wunder, dass im Halt aus, kleines Fröschlein, nung heiliger Orte) und die 8. Jahrhundert Sumō Lass dich nicht unterkriegen! zur Markierung des dohyō in die Zeremonien am Ich, dein Freund Issa, bin da! (*) verwendeten Strohballen Kaiserhof Eingang zeigen bis heute augenfäl- fand und alljährlich Sein aufmunternder Ruf gilt einem dürren lig die Verbindung zwi- ein Sumō-Turnier mit Froschtierchen, das sich beim Sumō-Ringen schen Sumō und Shintō- Musik und Tanz ver- tapfer gegen einen kräftigen, wohlgenährten ismus. Dies gilt ebenso anstaltet wurde. Die Artgenossen zu behaupten sucht. Noch heu- für die Ringweihe (dohyō- beiden Schriftzeichen te wird im Andenken daran am 23. Novem- matsuri), die Schiedsrich- dōhyō-iri-Zeremonie des 68. yokozuna sumō bedeuten „ge- Asashōryū (mit dem tsuna genannten weißen ber, Issas Todestag, auf dem Tempelgelän- ter (gyōji) einen Tag vor genseitiges Schla- Zeremonialgürtel) © Japan Sumo Association de ein putziges „„Frosch-Sumō“ zweier Turnierbeginn am neu er- gen“ bzw. „gegensei- Jungen entsprechender Statur mit anschlie- richteten dohyō ausführen, und für die Reini- tiges Kräftemessen“, was anfangs recht frei ßendem Haiku-Wettbewerb veranstaltet. gungsriten der rikishi vor Kampfbeginn - und ohne strenge Vorgaben erfolgt zu sein das Trinken von „Kraftwasser“ (chikara-mi- scheint. Unter dem Einfluss des Kaiserhofes zu), Werfen des „Reinigungssalzes“ (kiyome- bildeten sich jedoch allmählich feste Regeln shio) etc. -, für das in der Aufwärmphase und Zeremonialvorschriften heraus. In der (shikiri) typische Klatschen (kashiwade), mit Kamakura-Zeit (1192-1333) gewann Sumō dem die Ringer den Göttern ihre Ankunft dann aus militärischer Sicht an Bedeutung; melden und ihnen Ehrerbietung erweisen, später entstand daraus als ein Ableger die und das Stampfen (shiko), das ursprünglich Selbstverteidigungstechnik jūjutsu. dem Vertreiben böser Geister diente. Sumō bei Schrein- bzw. Volksfesten Schon in Quellen des frühen 8. Jahrhunderts erfahren wir von mythischen Kämpfen ohne Waffen, die als Vorläufer des Sumō gedeutet werden. Sumō gehörte neben Tänzen und rikishi beim Versuch, sich gegenseitig aus dem Theatervorführungen auch zu den Riten, die Ring zu treiben; links der gyōji © JNTO auf dem Gelände eines Shintō-Schreins den Göttern dargeboten wurden, um sie milde zu Sympathisieren wir nicht alle mit dem mage- stimmen, um reiche Ernte zu bitten oder für ren Fröschlein? - eine Situation, die uns bis diese zu danken. Noch heute kann man heute begegnen kann. Denn anders als bei Stampfübungen (shiko) im Ring © AFLQ beim Sorayoi-Fest in Chiran (Präf. Kagoshi- großen internationalen Amateurturnieren wie ma) einstige Urformen des Sumō erahnen. IN der Tokugawa-Zeit (1600-1868) fingen der Sumō-EM und -WM wird im japanischen Weitere Beispiele für Schrein- und Votiv- professionelle Sumō-Gruppen an, die Bevöl- Profi-Sumō nicht nach Gewichtsklassen un- Sumō sind das „Einmann-Sumō“ (hitori- kerung mit Kämpfen zu unterhalten, und terschieden. Massige Kolosse treffen durch- zumō; ein dramatischer Solotanz in Form rasch arrivierte Sumō zum Nationalsport. aus auch auf deutlich schmächtigere Kolle- eines Kampfes gegen eine unsichtbar blei- Damals waren 48 Würfe, Stöße, Hänge- und gen, die dennoch gelegentlich den Sieg da- bende Gottheit), das „Kappa-Sumō“ von als Drehgriffe erlaubt, um den Gegner aus dem vontragen. In der heutzutage auf vier Minu- Wasserkobolde (kappa) verkleideten Ju- dohyō zu treiben bzw. zu Fall zu bringen, ten begrenzten Vorbereitungszeit im Ring gendlichen und das als Hinweis auf Ge- denn während des Kampfes darf außer den nähren beide Sumō-Ringer (sumō-tori; sundheit und Fußsohlen kein Körperteil - nicht einmal der auch: rikishi = „starker Mann“, eine von Stärke gedeute- Haarknoten - den Boden berühren. Verboten ihnen bevorzugte Bezeichnung) be- te „Schrei-Su- - und damit ein Disqualifizierungsgrund - wusst die Spannung durch Drohgebär- mō“ zwischen sind u.a. Faustschläge, Tritte in den Magen den, grimmige Blicke etc. All dies trägt Säuglingen, bei oder gegen die Brust, Würgen des Gegners, zusammen mit den bis heute sorgsam dem siegt, wer der Griff ins Auge oder an Stellen am Gürtel gepflegten Traditionen und der Begeis- als erster laut (mawashi), die lebenswichtige Organe be- terung des fachkundigen Publikums zu loskräht. decken. einer einzigartigen Atmosphäre bei 1960 wurden die 48 Techniken durch 22 Sumō-Wettkämpfen in Japan bei, der Entwicklung weitere ergänzt, sodass heutzutage 70 man sich vor Ort kaum entziehen kann. Techniken akzeptiert sind und unterrichtet EINER Legende Religiöse Ursprünge zufolge ist die werden, von denen aber die überwiegende Zahl kaum Verwendung findet. Die meisten BEREITS das oft an die Konstruktion ei- Herrschaft der rikishi spezialisieren sich auf einige wenige nes Shintō-Schreins erinnernde Dach, Japaner über Griffe, die sie zu perfektionieren suchen, das seit dem 18. Jahrhundert ein- das Inselreich wodurch sie aber auch in ihrem Kampfstil drucksvoll über dem Kampfplatz bzw. dem Sieg des vorhersehbarer werden. Wer eine seltene Ring (dohyō) hängt, der vom Ringer Gottes Takemi- Technik beim Turnier erfolgreich anwendet, der höchsten Kampfklasse (yokozuna; kazuchi im Su- hat gute Chancen darauf, den Technik-Son- wörtl. „Seitenseil“) bei der Ringbestei- dōhyō-iri im Kokugikan in Tōkyō mō-Kampf über derpreis zu erhalten. gungszeremonie (dohyō-iri) getragene © Japan Sumo Association den Anführer ei- (*) Jap.: yasegaeru / makeru na Issa / koko ni ari. Übers.: G.S. Dombrady, aus: Issa. Mein Frühling. Übertragung aus dem Japanischen von G.S. Dombrady © Zürich: Manesse Verlag, 1983, S. 164 Anm. 33. Sumō-Turniere und Rangsystem chen. Sekitori beginnen erst gegen 8 Uhr mit WICHTIGSTE Sumō-Ereignisse in Japan sind dem Training (keiko), doch auch sie schin- die sechs großen Sumō-Turniere (ōzumō- den sich mit leerem Magen bei anstrengen- basho) des Japanischen Profi-Sumō-Verban- den Übungskämpfen bis zur Erschöpfung. des (Nihon Sumō Kyōkai), die jeweils 15 Ta- Denn erst ab ca. 12 Uhr gibt es die erste der ge dauern. Drei finden im Kokugikan, das nur zwei Mahlzeiten, bei der ein sehr nahr- auch ein Sumō-Museum beherbergt, im Tō- haftes Eintopfgericht (chanko-nabe) aus kyōter Stadtbezirk Sumida-ku statt (Januar, Fleisch, Fisch und Gemüse eingenommen Mai, September), die anderen in Ōsaka wird, das die Ringer besonders groß und (März), Nagoya (Juli) und Fukuoka (Novem- stark machen soll. Es folgt der Mittagsschlaf, ber). An jedem Turniertag lockt ein auf einem damit das Essen gut anschlägt, dann Besor- 16m hohen Holzturm aus yagura-Holz (Kryp- gungen, Krafttraining, Freizeitaktivitäten und tomerie) sitzender Trommler mit Trommel- Versuch beider rikishi, den Gürtel (mawashi) des Abendessen, ehe es nach der Nachtruhe am schlägen (yagura-daiko) die Besucher an Gegners zu greifen © Japan Sumo Association nächsten Tag wieder früh zur Sache geht. und verabschiedet sie ebenso abends. oder bestehen Zweifel an seiner Entschei- Frauen und Ausländer im Sumō Prächtige, bunte Banner mit den Namen der dung, treten die fünf am Ring sitzenden OBWOHL wir wissen, dass es in Japan in rikishi stehen am Eingang, an dem Fans die Richter zur Beratung in den dohyō, wobei früherer Zeit auch weibliche Sumō-Kämpfer Sportler erwarten und durch Anfeuerungs- heutzutage auch Fernsehaufzeichnungen zu gab, nimmt die Nihon Sumō Kyōkai keine rufe motivieren. Auf einer in „Ost-Seite“ und Rate gezogen werden können. weiblichen Sumō-Ringer auf. Begründet wird „West-Seite“ unterteilten Rangliste (banzu- RINGER der unteren Kampfklassen haben dies u.a. mit traditionellen shintōistischen ke) sind die Namen der Ringer in einer für weder Ruhm noch festes Einkommen; sie Reinheitsvorschriften, die ihnen das Betreten Schaukünste typischen Schrift - je nach konzentrieren sich daher darauf, bei jedem des dohyō untersagten. Auf Amateurebene Rang entsprechend ihrem letzten Abschnei- Turnier eine größere Zahl an Kämpfen zu sind Frauen jedoch in Japan wie auch inter- den in unterschiedlicher Größe - notiert. gewinnen, um aufzusteigen und schließlich national durchaus aktiv. MORGENS kämpfen die rangniedrigen sekitori zu werden, was Jahre dauern kann. LÄNGST hat Sumō weltweit Anerkennung Ringer (von der „Vorstufe“ maezumō bis Immer besteht die Gefahr, durch zu viele gefunden, und die Zahl der ausländischen makushita), die nur an sieben Tagen antre- Niederlagen wieder abzusteigen (mit fast je- Sumō-Profis (z.Zt. 55; Stand: 21.12.2009) in ten müssen, am Nachmittag die Ringer der dem Turnier verändert sich also die Ranglis- Japan steigt ebenso wie die nicht-japani- beiden oberen Kampfklassen (jūryō und te) oder verletzungsbedingt auszuscheiden. scher Amateur-Sumō-Ringer auf internatio- makuuchi), die an jedem der 15 Turniertage Die einzige sichere Position hat der an der naler Ebene. Sumō verfügt in Japan trotz der einen Kampf absolvieren. Sie machen weni- Spitze der rikishi stehende yokozuna, doch großen Beliebtheit westlicher Sportarten wie ger als 6% der rikishi aus, dürfen sich seki- nur wenigen gelingt es, diesen Titel zu erlan- Baseball, Fußball und Golf immer noch über tori nennen und beziehen ein festes Gehalt, gen. Wenn ein yokozuna keine entsprechen- eine treue Anhängerschaft, und die sechs das durch Sponsorengelder, Prämien,