Künstlerische Zeugnisse Aus Der Altsteinzeit in Mitteldeutschland Ingmar M
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Künstlerische Zeugnisse aus der Altsteinzeit in Mitteldeutschland Ingmar M. Braun, Basel Einführung Besser wäre es, von mobilen Kunstgegenständen Das Auftreten des anatomisch modernen Menschen zu sprechen. (Homo sapiens) in Europa wird in der Regel mit Obwohl bis jetzt in Deutschland noch keine dem Beginn des Jungpaläolithikums, der Jüngeren eindeutigen Belege für Höhlenkunst vorliegen, Altsteinzeit, gleichgesetzt. Das Jungpaläolithikum kann durchaus angenommen werden, dass es auch begann ca. 38'ooo BP1 und endete mit dem Ende hier Höhlenkunst geben könnte (Braun 2oo9)2. des Eiszeitalters um 12'5oo BP. Die Menschen Auch die Entdeckung der Bilderhöhle von Creswell waren noch nicht sesshaft und lebten von der Crags in England im Jahre 2oo3 kam völlig uner- Jagd- und Sammelwirtschaft. In diese Zeit datie- wartet. ren in Europa zahlreiche eindrucksvolle Kunst- werke: die Höhlenkunst und die Kleinkunst. Jungpaläolithische Kunst in Mitteldeutsch- Die Höhlenkunst mit spektakulären Tierbil- land dern und anderen Darstellungen ist in Westeuropa vor allem auf Frankreich und Nordspanien kon- Bis jetzt sind in Mitteldeutschland lediglich mobile zentriert. Zu nennen sind hier beispielsweise die Kunstgegenstände bekannt. Im Folgenden werden beeindruckenden Malereien aus den Höhlen neun Fundstellen mit ihren wichtigsten Kunst- Chauvet und Lascaux in Frankreich oder Altamira werken kurz vorgestellt (Abb. 1)3. in Nordspanien. Daneben gibt es aber eine große Die mobilen Kunstgegenstände Mitteldeutsch- Zahl von Höhlen, die nur wenige Darstellungen lands datieren in das Magdalénien mit Ausnahme aufweisen und vielleicht als unspektakulär gelten, des Objektes aus der Fundstelle Breitenbach. Das jedoch für die Urgeschichtsforschung ebenfalls Magdalénien4 ist die letzte Kultur5 des Jung- von Bedeutung sind. In anderen Gebieten Europas paläolithikums und dauerte von rund 18'ooo– gibt es ein Dutzend Bilderhöhlen auf Sizilien, zwei 12'5oo B.P. Diese Kultur erstreckte sich von West- im Ural, vereinzelte in Osteuropa (Roussot 2oo2, europa bis nach Polen (vgl. u. a. Sacchi 2oo3). In 11; Bahn/Vertut 1999, 42 f.; 44 f.). Seit 2oo3 ist auch Europa herrschte immer noch das Eiszeitalter, in eine Bilderhöhle in Grossbritannien bekannt dem sich kalte und warme Phasen abwechselten. (Bahn u. a. 2oo3). Das Magdalénien fällt in das Spätglazial, d. h. in Demgegenüber ist die Kleinkunst über weite die letzte Phase des Eiszeitalters. Das Klima war Teile Europas und darüber hinaus sogar bis nach zeitweise immer noch kühler als heute und prägte Sibirien verbreitet. Als Kleinkunst werden Gra- Landschaftsbild und Tierwelt. vierungen von Tieren, Menschen oder Zeichen auf unterschiedlichen Materialien wie Geweih, Breitenbach, Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) Knochen, Stein u. a. bezeichnet. Oft sind die Gravierungen auf Gebrauchsgegenständen wie Ein Schüler fand 1925 in Breitenbach bei Zeitz z. B. auf Lochstäben angebracht. Ebenfalls gehö- Mammutknochen. In den folgenden Jahren fan- ren zur Kleinkunst Statuetten von Mensch oder den an dieser Stelle mehrere archäologische Tier, die aus unterschiedlichen Materialen skulp- Untersuchungen statt6. Dabei wurden neben tiert wurden. Im Gegensatz zur Höhlenkunst weiteren Tierknochen zahlreiche Geräte aus Stein ist Kleinkunst beweglich und tragbar, daher die und auch aus organischen Materialien wie Kno- französische und englische Bezeichnung art chen, Geweih oder Elfenbein gefunden. Hinzu mobilier bzw. portable art, die weit zutreffender kamen ebenfalls vereinzelte durchbohrte Fuchs- sind als die deutsche Bezeichnung Kleinkunst. eckzähne, die als Schmuckanhänger dienten. Das Archäologie in Sachsen-Anhalt · 6 · 2012· · 263 BEITRÄGE Spr Letzlinger ee Ohr Heide e Magdeburg F l Kartenausschnitt ä Bode m Saale i n g Elbe Dessau H ipper W a Neiße Dü r be ne z r H L e a u i s e n d i t c k e z e r L a n d r ü Sc hw Spr Halle . Elster ee 9 Unstr 2 Leipzig ut r e t s l E Werra . W 3 4 Ilm Weimar 1 Erfurt Jena T Gera h 6 Freilandsiedlung (Aurignacien) ü Freilandsiedlung (Magdalénien) Saale r Höhlen (Magdalénien) 7 5 i 8 n e 1 Breitenbach 6 Oelknitz g g 2 Nebra 7 Teufelsbrücke e r 3 Saaleck 8 Bärenkeller r i 4 Bad Kösen, Lengefeld 9 Groitzsch W e b 5 Kniegrotte a g unter 50 m 200–400 m l r z Ohre d E 50–100 m 400–700 m 100–200 m über 700 m 0 50 km Grundlage: Kartierungen der Jungsteinzeit im Mittelelbe- Saale-Gebiet nach Hermann Behrens Abb. 1 Die neun im Text er- Vorhandensein typischer Steingeräte deutet dar- lich bewusst angebracht wurden. Trotz seiner wähnten Fundstellen mit Klein- auf hin, dass die Funde aus Breitenbach dem Unscheinbarkeit ist es das bislang älteste verzierte kunst in Mitteldeutschland. Aurignacien angehören. Zusammen mit Lommer- Objekt aus Sachsen-Anhalt (Porr 2oo4 , 229). sum im R heinland, Stratzing/Krems-Rehberg und Willendorf II in Niederösterreich gehört Breiten- Nebra, Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) bach zu den großen bisher bekannten aurignaci- enzeitlichen Freilandfundstellen in Mitteleuropa In den 3oer Jahren des 2o. Jh. wurden auf dem (Porr 2oo4). Das Aurignacien ist die älteste Kultur nördlich von Nebra gelegenen Bergsporn »Die des Jungpaläolithikums, welche mit dem Auftre- Altenburg« die ersten Funde aus der Altsteinzeit ten des anatomisch modernen Menschen in gemacht. Die Fundstelle hat eine dominante Lage Europa in Verbindung gebracht wird (vgl. Del- hoch über dem Unstruttal. Erste archäologische porte 1998). Es dauerte von rund 38'ooo bis 28'ooo Untersuchungen fanden jedoch erst zwischen BP. Aus dieser Zeit stammen in Europa die ersten 1962 und 1969 unter der Leitung von D. Mania eindeutigen Belege des künstlerischen Schaffens (1999; 2oo4) statt, als das Gebiet bebaut wurde. von hoher Qualität, wie z. B. ein Teil der Höhlen- In einer windgeschützten Senke w urde ein Behau- bilder aus der Höhle Chauvet in Frankreich (Clot- sungsgrundriss aus dem Magdalénien feigelegt, tes 2oo1) und die zahlreichen aus Mammutelfen- der aber durch spätere Besiedelungen in der bein geschnitzten Tiervollplastiken diverser Bronzezeit und im Mittelalter teilweise zerstört Fundstellen auf der Schwäbischen Alb, wie z. B. worden war (Mania 2oo4, 233). Interessant ist das aus dem Vogelherd (vgl. u. a. Bosinski 1982; Müller- Vorhandensein von unterschiedlichen Gruben Beck/Albrecht 1987; Müller-Beck u. a. 2oo1). in- und außerhalb der Behausung, von denen In Breitenbach ist ein auf den ersten Blick einige als Abfallgruben und andere als Gruben unscheinbar wirkendes Rippenfragment von mit persönlichem Inhalt gedeutet werden können Bedeutung (Abb. 2). Beim näheren Betrachten fällt (Mania 2oo4, 235). Das umfangreiche Fundmate- auf, dass es mit mehreren regelmässig parallel rial erlaubt gute Rückschlüsse auf das Leben der verlaufenden Einkerbungen versehen ist, die sicher- damaligen Sammler- und Jägergesellschaften 264 Archäologie in Sachsen-Anhalt · 6 · 2012 BEITRÄGE sowie auf die Umwelt am Ende der letzten Eiszeit (vgl. Mania 2oo4)7. Von besonders großer Bedeutung sind drei stark abstrahierte Frauenstatuetten, die aus Mam- mutelfenbein und aus Knochen gefertigt wurden. Sie wurden alle in unterschiedlichen Gruben ge- funden. Diese Art von Frauenstatuetten ist typisch für das jüngere und späte Magdalénien. Sie sind auch von anderen etwa zeitgleichen Fundstellen in Europa bekannt (Abb. 3). Auch als Motiv in der Höhlenkunst in Südwestfrankreich finden sich solche Frauendarstellungen (Bosinski u. a. 2oo1; Braun 2oo5; Höck 1995). Die bei Neuwied am Rhein (Rheinland-Pfalz) gelegene Fundstelle Gön- nersdorf lieferte zahlreiche Frauendarstellungen von diesem Typus entweder als Gravierungen auf Schiefer oder plastisch in Form von Statuetten (Bosinski u. a. 2oo1). Auch die auf der anderen Rheinseite gelegene Fundstelle Andernach-Mar- tinsberg erbrachte gute Beispiele von Frauensta- Abb. 2 (oben) Die mit parallel tuetten dieses Typus. Aufgrund des zahlreichen verlaufenden Linien gravierte Rippe von Breitenbach Vorkommens dieser Art von Frauendarstellung (Sachsen-Anhalt). M. 1:1. bürgerte sich in der Forschung der Begriff »Frau- endarstellung vom Ty p Gönnersdorf« ein. Ty pisch Abb. 3 (siehe Seite 4). sind der stabförmige Oberkörper ohne Andeutung des Kopfes und in der Regel ohne Arme, gelegent- Abb. 4 (Mitte) Die drei vollstän- lich die Andeutung der Brüste, ein meist dreiecki- digen Frauenstatuetten aus Nebra (Sachsen-Anhalt).M. 1:1. ges, gelegentlich gerundetes Gesäß und spitz zulau- fende Beine (Bosinski u.a. 2oo1; Höck 1995). Abb. 5 (links) Frauenstatuette In Nebra wurden drei vollständige (Abb. 4) und aus Andernach-Martinsberg (Rheinland-Pfalz). M. 1:1. ein Basisfragment einer Frauenstatuette gefunden. Die größte unter ihnen hat eine Länge von 6,6 cm und wurde aus Elfenbein hergestellt. Sie besitzt (Mania 1999, 118). Ebenfalls aus Elfenbein ist eine einen stabförmigen Oberkörper und ein betontes Figur, deren Umriss an eine anthropomorphe Gesäß (Bosinski 1982, 46). Die zweite Frauensta- Figur erinnert, deren Geschlecht aber unklar tuette, ebenfalls aus Elfenbein und mit einer Länge bleibt. Sie hat eine Länge von 5,2 cm. Ferner von 5,2 cm, hat einen spitz auslaufenden Ober- stammt aus Nebra ein Sandsteingeröll, dessen körper und eine angedeutete Brust (Bosinski 1982, Form einer Frauenstatuette ähnlich sieht. Durch 46). Diese hat sehr große Ähnlichkeiten mit einem Modifikation (Schaben und Schleifen) wurde das Fund aus Andernach-Martinsberg (Abb. 5). Die Stück in seiner Form noch nachträglich überar- dritte Frauenstatuette mit gut ausgearbeiteter beitet. Es hat eine Gesamtlänge von 9,5 cm (Mania Brust und einem langgezogenen stabförmigen 19