www.soziologie-heute.at ISSN 2070-4674 HEFT 40 APRIL 2015 Euro 6,00 soziologieg heute das soziologische Fachmagazin

Europa Pan-Europa versus Hitler

8. Mai 1945 Das Ende des Dritten Reiches in Altenmarkt/P.

Filmsoziologie Soziologen ohne Film

Vielfalt Diversität als Individualität

Betriebliches Gesundheitsmanagement Männer - Migranten - Minderqualifi zierte

Nachruf Die Versorgungsklassen im Wohlfahrtsstaat

Philosophie John Rawls - A Theory of Justice

Begeben Sie sich auf die wohl spannendste Reise der Welt. 7 Jahre Tauchen Sie ein in die Welt der SOZIOLOGIE. soziologie heute Inhalt

Das 16 Pan-Europa vs. Hitler Fußballstadion 6 - Richard Coudenhove Foto: Bredehorn Jens (pixelio) Foto: Soziologen 20 ohne Film Foto: Rainer Sturm (pixelio) Rainer Sturm Foto: Foto: Hans Högl Foto: Diversity als 24 Hans Högl - vor 9 Jahrzehnten planten zwei Individualität Österreicher, die Welt zu verbessern

03 Editorial 06 Hans Högl Richard Coudenhove: Pan-Europa vs. Hitler 10 Hermann Strasser Warum das Dritte Reich in Altenmarkt/P. endete 15 Richard Albrecht Es begann mit „Taxi nach Leipzig“ Foto: Stephanie Hofschlaeger (pixelio) Hofschlaeger Stephanie Foto: 16 Christoph Rohlwing Versorgungsklassen Das Fußballstadion 32 20 Max Pechmann im Wohlfahrtsstaat Die leere Leinwand oder Soziologen ohne Film 22 Ibou Diop Das Alter wird jünger 23 Bernhard Martin Public Observer: Geldpolitik 24 Alexander Ulfi g Diversity als Individualität 28 Volker Nürnberg und Stephanie Carillo Tealdi Die drei Ms: Männer, Migranten und Minderqua- lifi zierte - Betriebl. Gesundheitsmanagement Foto: S. Hofschlaeger (pixelio) S. Hofschlaeger Foto:

4 soziologie heute April 2015 IMPRESSUMIMPRESSUM

MedieninhaberMedieninhaber und Herausgeber: i-transi-trans Gesellschaft fürfür Wissenstransfer A-4040 Linz, Aubrunnerweg 1 Warum das Dritte Reich Tel.: 0043 (0)732 254024254024 10 Mail:Mail: offi [email protected] hhttp://www.soziologie-heute.at,ttp://www.soziologie-heute.at, in Altenmarkt im Pongau Vorstand: siehe Redaktion,Redaktion, ZVR: 286123776.

Redaktion:Redaktion: endete DDr.r. Claudia Pass Dr.Dr. Bernhard Hofer Dr.Dr. Alfred Rammer Mail:Mail: [email protected]

BeiträgeBeiträge von: HansHans HHögl,ögl, Hermann Strasser, Christoph RohlRohl-- wing,wing, Max Pechmann, Richard Albrecht, Bernhard Martin,Martin, Wolfgang Caspart, Ute Lena Fuchs, Ste-Ste- phaniephanie Carillo Tealdi, Volker Nürnberg,Nürnberg, Max HalHal-- ler,ler, Klaus Zapotoczky, Alexander Ulfi g, Ibou Diop, Ulrike Faulhaber, Henning Zuehlsdorff, Hans-Chri-Hans-Chri- stoph Keller, Bernhard Hofer.

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April 2015 soziologie heute 5 Zur Erinnerung an den 8. Mai 1945 Warum das Dritte Reich in Altenmarkt im Pongau endete Das legen die Ausführungen von Hermann Strasser, emeritierter Soziologie-Professor der Universität Duisburg-Essen und gebürti- ger Altenmarkter, in seiner Autobiografi e nahe. von Hermann Strasser

Der totale Zusammenbruch war für Deut- sche und Österreicher ebenso wie für die Ja- paner eine Chance, aus der Dunkelheit der Vorkriegszeit und der Kriegswirren in das Foto: Strasser Foto: Sonnenlicht der Nachkriegszeit zu treten. Neues Weltvertrauen musste geschaffen werden, um den Willen zum Wiederaufbau zum Erfolg zu führen. Das Vertrauen war immer brüchig und ließ auch nach 1989 eine neue Friedensordnung nicht entste- hen. Pufferstaaten wurden immer wichtiger und das Misstrauen seit Mitte der neunzi- ger Jahre immer stärker. Heute ist man sich auch darüber einig, dass das faktische Ende des Dritten Reiches die Ardennen-Schlacht Ende 1944 besiegelte. Allerdings gibt es gute Gründe dafür, dass das offi zielle Ende nicht Generaloberst Al- fred Jodl, der die bedingungslose Kapitula- tion am 7. Mai 1945 in Reims unterzeich- nete, zuzuschreiben ist, sondern einem Ereignis in meinem Heimatort Altenmarkt im Pongau im Land Salzburg. Zur dieser These vom Ende des Dritten Rei- ches folgt nun ein Auszug (Unterkap. „Her- mann oder was?“ S. 38-43) aus meiner Autobiografi e Die Erschaffung meiner Welt: Von der Sitzküche auf den Lehrstuhl, in dem es um Hermann Göring und die letzten Tage des Dritten Reiches geht:

10 soziologiesoziologie heuteheute April 20152015 Wie damals üblich, stand wenige we seines Patenonkels und „Zieh- Regelung der Judenfrage“, war für Tage nach der Geburt am 5. Dezem- vaters“, Dr. Hermann Epenstein, die Einrichtung der ersten Konzen- ber um 15 Uhr auch bei winterlichen geschenkt. Hermann Epenstein, trationslager verantwortlich und be- Bedingungen die Taufe in der Pfarr- der sehr vermögend und königlich auftragte 1941 Reinhard Heydrich, kirche durch den Kooperator And- preußischer Stabsarzt in war, den Chef der Sicherheitspolizei, mit reas Kreuzeder an. Ich wurde zwar machte nach 1894 das schon zur der Organisation der so genannten als Österreicher geboren, aber die Ruine erklärte Schloss Mauterndorf „Endlösung der Judenfrage“. Aller- Staatsbürgerschaft war deutsch, wieder zum Wahrzeichen des Ortes dings schützte er die Epensteins, so reichsdeutsch, denn Österreich und trat als großer Gönner Mautern- wie sein Bruder Albert, der viele Ju- war Teil des Deutschen Reiches dorfs in Erscheinung, wie im Mau- den, darunter auch Hans Moser und geworden, das fortan Großdeutsch- terndorfer Heimatbuch von Matthias Franz Lehar, vor dem KZ rettete. land heißen sollte, wie es in Artikel Maierbrugger ausführlich beschrie- I des Anschlussdokuments hieß, ben. Hermann Epenstein, Ritter von Wie mir Marianne Mauser, die das am 13. März 1938 zwischen Mauternburg, wurde 1898 auch mit Schwester meiner späteren Zimmer- Hitler und dem neuen Machthaber der Ehrenbürgerschaft ausgezeich- wirtin in Innsbruck, im Jahre 1967 in Wien, Reichsstatthalter Arthur net und 1908 von Kaiser Franz Jo- erzählte, gingen die Epensteins mit Seyß-Inquart, unterzeichnet wurde. seph in den Ritterstand erhoben. den Görings im Gasthaus ihrer El- Vielleicht haben sich meine Eltern Die Epensteins waren jüdischer tern in Mauterndorf ein und aus. deshalb von der Mär von Hermann Herkunft, aber deutsch-national ein- Das tat offenbar auch Hermann Gö- oder Arminius, dem Cherusker- gestellt und mit den Eltern Görings ring, nicht zuletzt weil Marianne so Fürsten, beeindrucken lassen, weil befreundet. Bei ihnen fand Göring hübsch war, vor allem in seinem lan- er den Römern, die sich auf Erobe- 1923 nach dem misslungenen Hit- gen Fronturlaub im Sommer 1916, rungs- und Raubzügen über die Al- ler-Putsch Zufl ucht. Görings Mutter den er in Mauterndorf verbrachte, pen, auch an Altenmarkt vorbei zie- Franziska, die allerdings schon im um sich von einer Kriegsverletzung hend, bis an die Nord- und Ostsee August 1923 starb, hatte ein Ver- zu erholen. Der Kontrast zu Adolf austobten, die Grenzen aufzeigte hältnis mit Hermann Epenstein, das Hitler könnte nicht größer sein, und sie sogar militärisch besiegte. so weit ging, wie Arno Gruen schil- denn dieser nutzte seinen Gene- Die in deutschen Geschichtsbü- dert, dass der Vater Ernst Heinrich sungsurlaub in Berlin, um sich dort chern und von den nationalsozia- Göring bei Besuchen woanders un- die Museen anzuschauen. Hermann listischen Bonzen verbreitete Mär, tergebracht wurde, während sie bei und Marianne verliebten sich, es dass die Germanen die Gründer des Hermann Epenstein wohnte. Nach war auch von Verlobung die Rede, persischen, griechischen und römi- dem Ersten Weltkrieg heiratete Ep- wie sowohl Marianne mir bestätigte, schen Weltreichs gewesen seien, enstein die junge Witwe Elisabeth als auch von Samuel W. Mitcham in glaubten allerdings nur wenige Hart- Spitz. Die Ehe blieb kinderlos. seiner Studie der Männer der deut- gesottene. Dieser Vorstellung lag schen angedeutet wurde. nicht zuletzt die These der Sprach- Ich frage mich, welchen Einfl uss die- Aber geheiratet wurde nicht, weil wissenschaftler zugrunde, dass die ses Verhältnis auf den jungen Her- Vater Mauser in Göring nur einen indogermanische Sprache die am mann Göring hatte. Immerhin wurde Jagdfl ieger und sonst nichts sah. meisten verbreitete Sprachfamilie er 1938 Hitlers „Beauftragter zur Göring, als Luftwaffenoffi zier immer- der Welt sei und heute rund drei Mil- liarden Muttersprachler umfasse. Allerdings ist die These nicht in allen Schloss Mauterndorf im Jahr 1939 von 1939-1945 im Besitz Görings Einzelheiten bewiesen. (Foto: Verlag Knollmüller) Ob Hermann Göring bei der Na- mensfi ndung eine Rolle spielte, wage ich zu bezweifeln, obwohl er mehrmals in Altenmarkt vorbei kam – auf dem Weg über die Radstädter Tauern nach oder von Mauterndorf, wo er von 1939 bis 1945 stolzer Be- sitzer der dortigen Burg war und sei- ne Schwestern Olga und Paula mit österreichischen Rechtsanwälten verheiratet waren. „Die Burg seiner Jugend“, wie er sie nannte, wurde ihm von der 1939 verstorbenen Wit-

April 20152015 soziologiesoziologie heuteheute 11 hin vom Kaiser mit dem Orden „Pour sich inzwischen in die Betonhöhle Konsequenzen für die Deutschen, le Mérite“ ausgezeichnet, fl og dann des Führerbunkers sieben Meter wie auch Othmar Franz Lang in der nach Schweden, wo er sich in seine unter der Erde zurückgezogen hat- preußisch-österreichischen Liebes- Carin und spätere Frau verliebte, die te, am bei Berchtes- geschichte Rache für Königgrätz be- für ihn Mann und zwei Kinder ver- gaden, am zweiten Regierungssitz tont. Das erinnert allerdings wieder- ließ, allerdings schon 1931 an Herz- der Nazis. Dort hatte Göring neben um an einen Ausspruch von Kaiser schwäche starb. Marianne sah ihren und Albert Speer Ferdinand I., genannt der Gütige, Hermann auch dann noch das eine auch ein Haus gebaut. Göring, der der von Franz Joseph 1848 wegen oder andere Mal, sei es offi ziell in schon 1939 aus Anlass des Krie- seiner angeblichen Unfähigkeit ab- Berlin oder inoffi ziell im Hotel Wisen- ges gegen die Sowjetunion von Hit- gelöst wurde und deshalb auch den egg in Obertauern, auch wenn Gö- ler offi ziell zu seinem Nachfolger Spitznamen „Gütinand der Fertige“ ring seine Briefe an Carin mit „Dein bestimmt worden war, sollte die erhielt. Er soll nämlich nach der dankbarer und treuer Hermann“ Regierungsgeschäfte übernehmen, Niederlage seines Nachfolgers bei unterzeichnete, wie in Carins über- falls der Führer sie in Berlin nicht Königgrätz gesagt haben: „Des hätt’ schwänglicher Biografi e von Fanny mehr ausführen konnte. In der Orts- ma aa z’sammbracht!“ Gräfi n von Wilamowitz-Moellendorff, chronik Altenmarkt i. Pg. von 1996 ihrer Schwester, nachzulesen ist. führen dazu Franz Walchhofer und In der Ortschronik Altenmarkt i. Pg. Das soll ja vorkommen, auch Hitler Gottfried Steinbacher aus: „Ende heißt es dann weiter: „Sicherheits- hatte seine Freundinnen neben Eva April kam General Koller nach Ober- halber fragte Göring über Funk in Braun, so wie Goebbels und Gö- salzberg und informierte Göring der Reichskanzlei an, ob dies zutref- ring auch. Görings Pfl ichtverteidiger darüber, daß Hitler in Berlin einge- fe, mit der Bitte um baldige weitere bei den Nürnberger Prozessen, Dr. schlossen sei und er die Regierung Weisungen. Dieser Funkspruch wur- Otto Stahmer, soll in den sechziger übernehmen solle.“ In diesen Tagen de von Martin Bormann als Ultima- Jahren über seinen Mandanten ge- soll Hitler Tage und Nächte vor sei- tum interpretiert und veranlasste sagt haben, dass er im Grunde ein nem Linz-Modell verbracht haben, Hitler, Göring des Hochverrates zu anständiger Kerl gewesen sei. Ja, denn Linz sollte die schönste Stadt bezichtigen.“ Es waren seine letz- wenn die Juristen nicht wären! Sei’s der Welt werden und vor allem Wien ten Tage am Obersalzberg, denn er drum, „Hermann heeßta“ trotzdem, und Budapest in den Schatten stel- wurde daraufhin verhaftet und nach auch wenn die Taufpatin nicht die len. Allerdings gibt es keine Beweise Mauterndorf überstellt. Drei Mona- Volkssängerin Claire Waldoff war, dafür, dass er in diesen Bunker-Ta- te später rauchte der junge John F. weder des einen noch des anderen gen preußischen Generälen zugeru- Kennedy die letzten „Zigarren aus Hermann. fen haben soll: „Ich bin Österreichs Görings gepanzertem Wagen“. Er Rache für Königgrätz.“ Da trifft befand sich als Journalist auf einer Schließlich wurde Altenmarkt zu schon eher zu, dass die Preußen Europa-Reise und besuchte auch Görings Endstation, wie sein Nef- zwar das Zündnadelgewehr erfun- , wie er in seinem fe, aber auch Paula Hueber, seine den hatten und die Österreicher in bisher unveröffentlichten Tagebuch, Schwester, später berichteten, denn Königgrätz besiegten, während die das der Reporter Uwe Schmidt ge- der Reichsmarschall residierte seit Österreicher den Fremdenverkehr lesen hat, zugab. Vielleicht hatte er April 1945 auf Wunsch Hitlers, der erfanden – mit den entsprechenden auch Görings Spezial-Roadster der Marke Mercedes-Benz 540 K mit dem kugelsicheren Cabriolet gese- hen, der heute ein Vermögen Wert Altenmarkt im Pongau ist und einem Sammler in den U.S.A. gehört.

Anfang Mai traf Göring in Mau- terndorf ein und versuchte, wie die Ortschronik Altenmarkt i. Pg. weiter berichtet, „in diesen letzten Kriegs- tagen mit General Eisenhower Ver- bindung aufzunehmen. Am 7. Mai begab er sich mit seinem Troß auf die Fahrt nach Schloss Fischhorn. Auf der Fahrt dorthin wurde er in Altenmarkt von den Amerikanern festgenommen.“ General Dwight D.

12 soziologiesoziologie heuteheute April 20152015 Eisenhower, der an diesem 7. Mai in Reims die Gesamtkapitulation von Afred Jodl in Empfang nahm, wurde noch am 11. Mai 1945 vom alliierten Oberkommando gewarnt, dass die Nationalsozialisten be- absichtigten, sich in den Alpen zu verschanzen. Dort sollte es nach Geheimdienstmeldungen, die vom amerikanischen Historiker William Lawrence Shirer bestätigt wurden, angeblich eine „Alpenfestung“ als Rückzugsgebiet für und NS-Führung geben. Dort sollten nicht nur bombensichere Werke für die Herstellung von Waffen und Mu- nition, Ausrüstung und Lebensmittel sorgen, sondern auch eine Unter- grundarmee ausgebildet werden und stationiert sein. Es gab in der Tat ein solches Konzept, das vom Tiroler Gauleiter Franz Hofer stamm- te, aber es blieb beim Mythos, durch den die Bevölkerung an eine unein- nehmbare Festung und damit an eine jederzeitige Wende im Krieg glauben sollte. Immerhin verbreite- te auch die New York Times am 12. November 1944 die Meldung von der „Alpenfestung“. Und zwei Tage vor seinem Selbstmord gab Hitler tatsächlich den Befehl zu ihrem Aus- bau. Auch wenn der nicht stattfand, fungierte sie als Selbstbetrug und als Propaganda. Wie die jüngsten Nachforschungen von Guido Knopp und anderen beweisen, diente sie vielen Nazi-Bonzen nicht zuletzt als Ort, um den eigenen Kopf zu retten.

Natürlich fuhr Göring nicht unbe- Hermann Göring, kurz nach seiner Festnahme 1945 obachtet durch die Gegend, auch (Foto: wikimedia commons) nicht durch Altenmarkt, denn vom Hirschberggut aus sahen nicht nur vier Arbeitsmaiden des in- unter Berufung auf Zeitzeugen be- Militärlimousine einsteigen“. Dann zwischen aufgelösten Lagers des richtet: „Unser Hermann, schau, un- seien sie abgefahren, ebenso die Reichsarbeitsdienstes (RAD) beim ser Hermann!“ Göring, so heißt es Fahrzeuge der Luftwaffe, jetzt ge- Gschwendthofgut, sondern auch dort weiter, sei mit zwei Adjutanten folgt vom Jeep mit dem aufgebauten der zwölfjährige Sepp Scharfetter ausgestiegen und auf die von Wes- Maschinengewehr der Amis. und die Bittersam-Buben Franz und ten her anrollenden zwei Militärfahr- Matthias die Kolonne mit sieben zeuge der Amerikaner unter Leitung Die Gefangennahme Görings, des Luftwaffenfahrzeugen und Standar- des texanischen Brigadegenerals designierten Nachfolgers des Füh- te plötzlich auf der Wagrainer Stra- Robert J. Stack zugegangen. Nach rers, wie den Aussagen von Zeit- ße anhalten. Die Mädchen konnten einem Gespräch mit den Offi zieren zeugen in den Salzburger Nachrich- sich nicht zurückhalten und schrien, „sah man Hermann Göring und sei- ten vom 9. Mai 1995 und Walter wie die Ortschronik Altenmarkt i. Pg. ne Adjutanten in die amerikanische Kempowskis „Echolot“-Projekt zu

April 20152015 soziologiesoziologie heuteheute 13 entnehmen ist, wurde damit in Al- Nachkriegs hatte ohnehin schon Gründungskonferenz der Vereinten tenmarkt besiegelt und nicht, wie es begonnen, die auch in Dönitz’ Stra- Nationen statt und in großen Teilen offi ziell immer wieder geheißen hat, tegie der Teilkapitulation, die gegen Deutschlands und Österreichs setz- auf Schloss Fischhorn bei Zell am die Sowjetunion gerichtet war, zum te in der Köpfen der Überlebenden See. Diese Schlussfolgerung stimmt Ausdruck kam. In San Francisco eine Westorientierung ein. übrigens auch mit den Tagebuchein- fand bereits Ende April 1945 die tragungen des Chefs des General- stabs der Luftwaffe, Karl Koller, und den Recherchen von David Irving Hermann Strasser über Göring überein. Die Erschaffung meiner Welt: Von der Sitzküche auf den Lehrstuhl. Autobiografi e. 2. Aufl . Amazon/CreateSpace, 2015 Aber nicht genug damit, denn es 632 S., ISBN 9781500630256 stellt sich auch die Frage, ob nicht € 19,99 sowie E-Book Kindle, € 9,99 auch das Ende des Dritten Reiches in Altenmarkt besiegelt worden sei. Wenn da nicht Großadmiral Karl Dönitz, die treibende Kraft der deut- schen , gewesen wäre, Es mag Autobiographien wohl eigen sein, dass sie oftmals umfangreich, einseitig und selbst- dessen Flensburger Kabinett die verherrlichend sind. Ersteres mag auf Hermann Strassers lebensgeschichtliches Werk mit Reichsregierung nach Hitlers Selbst- seinen 632 Seiten zutreffen, zumal es (vorläufi g) im Jahr 1978 – mit dem Wohnortwechsel der Strassers nach Ratingen (Deutschland) - endet. Einseitig ist es keineswegs. Wer in die mord am 30. April vom 2. bis 23. Mai Welt Hermann Strassers eintaucht, lebt förmlich mit und durchschreitet mit ihm mehrere 1945 übernommen hatte. Über das Epochen der Weltgeschichte. Davon zeugen seine zahlreichen Exkurse in die heimatliche bis politische Testament Hitlers, in dem weltweite Historie, gespickt mit Anekdoten und der Schilderung politischer Ereignisse. Bei so er Dönitz zu seinem Nachfolger als manchen LeserInnen werden Erinnerungen wachgerufen, Erinnerungen an das seinerzeitige Reichspräsident erklärte, und die Bildungswesen, gesellschaftliche Gepfl ogenheiten, längst vergessene Berufe, Persönlichkei- ten aus Politik, Wissenschaft und Kultur bis hin zu ganz alltäglichen Nöten und Problemen, daraus abgeleitete Rechtmäßigkeit die uns alle – mehr oder weniger – beschäftigen. Keineswegs ist das Werk auch selbstver- dieser Regierung des Deutschen herrlichend, denn Strasser schildert in vielen Details so manche Begebenheiten, welche Reiches streiten sich noch heute die andere Autobiographen nur zu gern verschwiegen hätten. Juristen. Dönitz beauftragte nämlich Geprägt von Eltern und Großeltern – die Eltern führten im österreichischen Altenmarkt im Generaloberst , den Chef Pongau eine Bahnhofsgastwirtschaft, wo der kleine Hermann bereits das Rollenverhalten des Wehrmachtführungsstabes, der Gäste beobachten konnte (eine Erfahrung, die prägend für sein späteres Leben wur- per Funk, die bedingungslose Kapi- de) – führte ihn sein Weg zunächst nach Salzburg an die Handelsakademie, dann nach Paris an die Sorbonne (seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Nachtwächter und tulation der deutschen Truppen zu Schraubenzähler), dann nach Ensdorf ins Saarland, wo er einen Bestattungsjob annahm. unterzeichnen, auch wenn Jodl nur Sein Volkswirtschaftsstudium in Innsbruck fi nanzierte er sich durch eine Tätigkeit als Erzie- zum „Abschluss eines Waffenstill- her in einem Schülerheim. 1964 erhielt er sein Diplom, anschließend pendelte er zwischen standsabkommens mit dem Haupt- Innsbruck und Berlin hin und her, feierte 1967 Promotion und Verlobung und ging im Jahr quartier des Generals Eisenhower“ 1968 – frisch verheiratet - als Fulbright-Stipendiat nach New York, wo er ein Postgraduierten- Studium der Soziologie an der Fordham University erfolgreich absolvierte. Sein damaliger bevollmächtigt war. Wie Katja Ger- Doktorvater war Prof. Werner Stark - ein interdisziplinär wirkender Gelehrter. Bis 1971 war er hartz in ihrem „Protokoll der letzten Assistant Professor an dieser Universität, im selben Jahr und die Folgejahre Gastprofessor Momente“ schreibt, geschah dies an der University of Oklahoma. Zurück in Österreich arbeitete Strasser als wissenschaftli- am 7. Mai 1945 in der Zeit von 2 Uhr cher Mitarbeiter am Institut für Höhere Studien in Wien und habilitierte 1976 in Soziologie 39 bis 2 Uhr 41 in einer Berufsschu- an der Universität Klagenfurt. Mit der Ernennung zum ordentlichen Professor H4 im Dezem- ber 1977 erfolgte schließlich die endgültige Übersiedlung von Österreich nach Deutschland. le in Reims. Obwohl ihn viel vom Gedankengut der 1960er und 70er Jahre prägte, entspricht Strasser keineswegs dem 68er-Image, welches kennzeichnend für viele Soziologen ist. So frage ihn Ja, dieser 7. Mai hatte es in der Tat bei einer Zugfahrt von Wien nach Duisburg Ende der 1970er Jahre ein Unternehmer: „Was in sich! Die Iden des März’ 1938 Sie sind Soziologe?“ Er wunderte sich und fügte hinzu: „Sie machen aber einen ganz ver- schienen auf Göring hereingebro- nünftigen, normalen Eindruck.“ chen zu sein, denn es war er, der Amerika, das Land in welchem er bereits im Dezember 1968 auf Englisch geträumt hatte, den „Anschluss“ als persönliches wurde für Strasser ein Labor der Lebensweisen und die Soziologie eine lebendige Wissen- und erstes großes Anliegen der Au- schaft – genährt und geprägt vom tatsächlichen Leben. Ein Leben lang begleitete ihn das ßenpolitik betrachtete, viel Energie wissenschaftliche Interesse daran, was eine Gesellschaft zusammenhält und was sie ver- ändert. Die Erzählungen über seine Bekanntschaften mit Soziologen, aber auch Politikern, in die Vorbereitung dieses Coup lesen sich wie ein Ausfl ug in die Who-is-Who-Liste der großen Soziologen. Für Soziologinnen steckte und schließlich den zögern- und Soziologen ist dieses Buch zudem eine Entdeckungsreise, die nicht nur in das Leben den Hitler zu einer „Totallösung“ des bis dato unermüdlichen Forschergeistes Strasser, sondern auch in das vieler bedeu- drängte, wie auch sein Biograf Alf- tender Soziologen des 20. Jahrhunderts blicken lässt und so manches an Überraschungen red Kube dokumentiert. Die Zeit des parat hat. Bernhard Hofer

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