Protokoll-Nr. 19/47

19. Wahlperiode Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

Wortprotokoll der 47. Sitzung

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung Berlin, den 27. Mai 2020, 18:00 Uhr Paul-Löbe-Haus, E.700 E.700

Vorsitz: Dr. , MdB

Tagesordnung - Öffentliches Gespräch

Einziger Tagesordnungspunkt Seite 3

Fachgespräch zum Thema „Konjunkturmaßnahmen und Nachhaltigkeitskriterien“

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Mitglieder des Beirates Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Benning, Sybille Beermann, Maik Damerow, Astrid Färber, Hermann Lenz, Dr. Andreas Kruse, Rüdiger Marschall, Matern von Pilsinger, Stephan Stein (Rostock), Peter Pols, Eckhard Whittaker, Kai Weiler, Albert H. SPD Scheer, Dr. Nina De Ridder, Dr. Daniela Thews, Michael Klare, Arno Westphal, Bernd Schäfer (Bochum), Axel AfD Kraft, Dr. Rainer Glaser, Albrecht Spaniel, Dr. Dirk Wiehle, Wolfgang FDP Hoffmann, Dr. Christoph Bauer, Nicole Köhler, Dr. Lukas Kluckert, Daniela DIE LINKE. Vogler, Kathrin Leidig, Sabine Zdebel, Hubertus Remmers, Ingrid BÜNDNIS 90/DIE Hoffmann, Dr. Bettina Kekeritz, Uwe GRÜNEN Zickenheiner, Gerhard Strengmann-Kuhn, Dr. Wolfgang

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Einziger Tagesordnungspunkt ausschusses der Wissenschaftsplattform Nachhal- tigkeit 2030 und vertritt den „Cluster Deutsch- Fachgespräch zum Thema land“ für grüne und nachhaltige Finanzen in der „Konjunkturmaßnahmen und Technischen Expertengruppe für nachhaltige Fi- Nachhaltigkeitskriterien“ nanzen der EU-Kommission. Seit Dezember 2017 dazu Sachverständige: ist er Geschäftsführer des Clusters. Im Juni 2019 wurde er Vorsitzender des Beirats für nachhaltige Karsten Löffler Finanzen der Bundesregierung. Herzlich willkom- Head of FS-UNEP Collaborating Centre for men, Herr Löffler. Climate & Sustainable Energy Finance, Frankfurt Als weiteren, persönlich anwesenden, Sachver- School of Finance & Management gGmbH, ständigen möchte ich Herrn Holger Lösch kurz Vorsitzender des Sustainable Finance-Beirats der vorstellen. Holger Lösch hat Politikwissenschaft, Bundesregierung Geschichte und Germanistik studiert und an- schließend als Journalist und Redakteur beim Holger Lösch Bayerischen Rundfunk im Bereich Fernsehen ge- Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, arbeitet, wo er auch den Stab Fernsehdirektion Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. des Bayerischen Rundfunks geleitet und die Lei- (BDI) tung der Zentralen Programmkoordination inne hatte. Nach einer Tätigkeit bei der Schörghuber Unternehmensgruppe in München sowie als Ge- Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich schäftsführer bei der Arabella Hotel-Holding in eröffne hiermit die 47. Sitzung des Parlamentari- München wurde er im Jahr 2008 Leiter im Bereich schen Beirates für nachhaltige Entwicklung mit Kommunikation und Marketing des Bundesver- dem einzigen Tagesordnungspunkt „Öffentliches bands der Deutschen Industrie (BDI), wo er ab Fachgespräch zum Thema „Konjunkturmaßnah- 2009 außerdem Mitglied der Geschäftsleitung ist. men und Nachhaltigkeitskriterien“. Ich begrüße Seit 2011 ist Holger Lösch Mitglied der Hauptge- ganz herzlich alle Kolleginnen und Kollegen aus schäftsführung des BDI und seit April 2017 stell- anderen Ausschüssen sowie auch die benannten vertretender Hauptgeschäftsführer. Er war außer- Sachverständigen. Ich freue mich ganz besonders, dem Mitglied der sogenannten Kommission für dass Herr Karsten Löffler per Video zugeschaltet Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Er ist. Ich hoffe, Sie können uns sehen. Das ist offen- verantwortet auch das Themenfeld der Nachhal- sichtlich der Fall. Es freut uns, dass das auch tigkeit beim BDI. Danke, dass Sie unserer Einla- technisch wieder so einwandfrei funktioniert. dung gefolgt sind. Hierfür auch ein Dank an das Sekretariat. Ich be- grüße genauso herzlich Herrn Holger Lösch vom Alle Welt redet ja mittlerweile über konjunktu- Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. relle Maßnahmen, manchmal auch Wachstums- (BDI). Herzlich willkommen. maßnahmen genannt. Wir wollen uns heute dem Aspekt der Nachhaltigkeit in diesem Kontext na- Ich darf zunächst kurz unsere Gäste vorstellen. Ich türlich in besonderer Art und Weise nähern. beginne mit Herrn Karsten Löffler. Er ist Co-Leiter des Frankfurt School - FS-UNEP-Kooperations- An dieser Stelle möchte ich noch kurz einige orga- zentrums für Klima- und nachhaltige Energiefi- nisatorische Hinweise geben. Wir haben in der nanzierung an der Frankfurt School of Finance Obleuterunde beschlossen, dass ein Mitschnitt der and Management. Zuvor war er Geschäftsführer heutigen Sitzung aufgezeichnet wird, der am der Allianz Climate Solutions, dem Innovations- 29. Mai 2020, also am kommenden Freitag, um zentrum der Gruppe, um klimabedingte Chancen 9:00 Uhr ausgestrahlt wird und dann auch auf der und Risiken in ihrer globalen Geschäftsstrategie Website des Deutschen Bundestages abrufbar ist. zu nutzen. Von unserem Fachgespräch wird außerdem ein Wortprotokoll erstellt. Zu diesem Zweck wird das Karsten Löffler ist zertifizierter internationaler In- Ganze auch entsprechend mitgeschnitten. vestmentanalyst (CIIA), Mitglied des Lenkungs-

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Wir haben vereinbart, dass die Sachverständigen im Jahr 2019. Mit anderen Worten: Um das das in der alphabetischen Reihenfolge Ihre Eingangs- „1,5 Grad Ziel“ von Paris erreichen zu können, statements abgeben. Und ich bitte, darauf zu ach- müssen wir immer noch mit erheblichen Klima- ten, dass möglichst die zehn Minuten Redezeit Ih- schäden rechnen. Deswegen ist aus meiner Sicht res Eingangsstatements eingehalten werden. Ich der mittelfristige Umbau der Wirtschaft, hin zu würde mir erlauben, dass ich nach neun Minuten nachhaltigen Produktionsprozessen, sehr wichtig. kurz den Hinweis gebe, dass noch eine Minute zur Eine gute Grundlage hierzu gibt das Gutachten Verfügung steht, und würde Sie dann auch bitten, „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transforma- Ihre Ausführungen entsprechend abzuschließen. tion“ des Wissenschaftlichen Beirates der Bundes- Anschließend werden sich Fragerunden anschlie- regierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ßen, bei denen ich die Abgeordneten darum bitte, aus dem Jahr 2011. Und dieses Thema steht aus dass sie jeweils die vorgegebenen zwei Minuten meiner Sicht heute mehr denn je auf der Agenda. Redezeit möglichst einhalten. Dann werden wir Viele Unternehmen haben das verstanden und po- auch mehrere Fragerunden hinbekommen. Da es sitionieren sich entsprechend. Hinweisen möchte keinen Widerspruch gibt, verfahren wir so. Und ich auf den Appell von 68 Unternehmen, u. a. ich bitte Herrn Löffler um sein Eingangsstatement. auch emissionsintensiven Unternehmen, koordi- Sie haben das Wort. niert von der „Stiftung 2 Grad – Deutsche Unter- nehmen für Klimaschutz“. Da gibt es u. a. ein Be- Sachverständiger Karsten Löffler (Head of FS- kenntnis der Allianz, aber auch der Münchner UNEP Collaborating Centre for Climate & Rückversicherung, die Investitionsportfolien zu Sustainable Energy Finance, Frankfurt School of dekarbonisieren bis zum Jahr 2050. Finance & Management gGmbH, Vorsitzender des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung): Und es gibt eine stark wachsende Gruppe von Un- Vielen Dank, Herr Dr. Lenz. Ich hoffe, Sie verste- ternehmen, die sich ein Zieldatum gegeben haben, hen mich gut. Vielen Dank für die Einladung und bis zu dem sie 100 Prozent ihres Stromes aus Er- auch von mir freundliche Grüße an die Runde, die neuerbaren Energien beziehen werden. Hierzu ich nur virtuell wahrnehme. wird Herr Lösch sicherlich auch noch etwas sa- gen. Mein beruflicher Hintergrund ist, dass ich aus der Finanzwirtschaft komme und jahrelang im Ban- Der BDI zeichnete ja bereits seit dem Jahr 2018 kensektor, sowohl auf der Kreditseite, als auch auf Sektorpfade für die Industrie auf, die aus meiner der Anlageseite, gearbeitet habe und dann in der Sicht sehr gut als Grundlage für den Weg nach Vermögensverwaltung und zum Schluss in der vorne dienen können, die allerdings noch an die Rolle, die sie erwähnten, auf der Ebene der Al- aktuelle Situation angepasst werden müssten, lianzgruppen tätig war, u. a. im Bereich „Integra- sprich Klimaneutralität 2050. Das ist ja das Ziel, tion der Klimastrategie in die Konzernstrategie“. was wir auf europäischer Ebene sehen. Das heißt, kurz gesagt, aus wohlverstandenem wirtschaftli- Bei dem Thema „Konjunkturmaßnahmen und chem Interesse geht es darum, die Geschäftsmo- Nachhaltigkeitskriterien“ geht es darum, wie diese delle so anzupassen, dass sie mittel- und langfris- ausgestaltet werden, und sie nicht nur als einma- tig zur Sicherung von Wachstum und Wettbe- lige Chance dafür zu nutzen, unseren Kindern werbsfähigkeit und damit auch von Arbeitsplät- eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, sondern zen dienen. vor allem auch, Deutschland als Wirtschaftsstand- ort durch Innovation, durch Produktivitätssteige- Wir müssen gar nicht so weit Ausschau halten. Ei- rung und auch durch Erschließung neuer Märkte ner unserer größten Handelspartner, China, hat zu stärken. Das ist nicht ohne Kontext. Sie alle das erkannt. Der Anspruch ist, Marktführer bei wissen, wir hatten zwei Dürrejahre. Es ist keines- den sogenannten „Green Technologien“ zu sein, wegs ausgeschlossen, dass wir jetzt das dritte Jahr und wir sehen natürlich auch die Auswirkungen in Folge sehen werden. Das kostet Geld. Wir hat- auf die deutsche Industrie, auch den Arbeitsplatz- ten die Beispiele zuletzt in der Binnenschifffahrt verlust z. B. in der Windindustrie, den wir in den am Rhein, was ja im Jahr 2018 durchaus große Un- letzten Jahren verzeichnet haben. Aber das ist ein ternehmen beeinträchtigt hatte. Wir hatten zudem ganz relevanter Punkt, sich strukturell und syste- die Kompensationszahlen für die Landwirtschaft

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matisch Gedanken zu machen. Wenn es um Nach- Steuermitteln geht, sind vier Punkte wichtig: Zum haltigkeitskriterien geht, dann sehe ich folgende einen eine verbindliche Offenlegung dessen, was Punkte: Es gibt die Möglichkeit, die Konjunktur- mit den Steuermitteln passiert. Das heißt, das, was maßnahmen an den nachhaltigen Entwicklungs- wir derzeit kommen sehen auf der europäischen zielen der Vereinten Nationen auszurichten, den Ebene, die nicht finanziellen Informationen struk- sogenannten Sustainable Development Goals turiert zu berichten, stärker zu berichten, und dies (SDGs). Das kann man ohne Probleme tun. Einige als Grundlage auch für die Integration von Nach- Akteure aus dem Finanzsektor, vor allen Dingen haltigkeitsinformationen geschäftlicher Entschei- in den Niederlanden, tun das bereits heute und dungen sowohl im Realsektor, als auch in der Fi- geben dann ihren Kunden entsprechende Informa- nanzwirtschaft zu nutzen. Zweitens: Es muss na- tionen an die Hand. Aus meiner Sicht, damit das türlich verhältnismäßig sein. Wir können nicht er- ernsthaft und zielorientiert und wirkungsorien- warten, dass der Solounternehmer das in gleicher tiert verfolgt werden kann, bräuchte es konkrete Art und Weise macht wie das DAX-Unternehmen. Indikatoren, anhand derer man die Wirkung fest- Das ist aus meiner Sicht vollkommen klar. Dafür machen kann. Deswegen würde ich gerne den braucht es ein paar „smarte Hirne“. Und da haben Schwerpunkt für Nachhaltigkeitskriterien setzen sich auch einige Leute schon Gedanken darum ge- und zunächst mal darüber nachzudenken, was macht, wie man das machen könnte. Wichtig, und wären denn die „EasyWinds“, also die Dinge, die das ist aus meiner Sicht der allerwichtigste Punkt, sozusagen, ohne groß darüber nachzudenken, ist: Immer dann, wenn Steuermittel aufgewendet schon in das Portfolio der Maßnahmen gehören. werden, sollten die Empfänger auf das Ziel „Kli- Und da haben wir den ganz großen Sektor, den ka- maneutralität 2050“ verpflichtet werden. Das pitalintensiven Sektor, also Infrastrukturen, wie heißt natürlich nicht – das ist der vierte Punkt –, Erneuerbare Energie, Energiespeicherung, grüner dass diese Ziele heute schon hundertprozentig Wasserstoff, Netzausbau, vielleicht auch irgend- eingehalten werden müssen. Keineswegs, sondern wann CO2-Abspaltung und -Speicherung als es geht darum, Strategien bis zu einem bestimm- neuen Markt. Das ist ein kontroverses Thema. Das ten Zeitpunkt in näherer Zukunft zu definieren, weiß ich. Ich will es trotzdem erwähnen, weil es wie in den nächsten Jahrzehnten die Geschäfts- zumindest in unseren Nachbarländern immer wie- strategie aussehen kann und soll, die selbstver- der auch ein Thema ist. Auf jeden Fall betrifft dies ständlich am aktuellen Rand immer weiter auch auch den Gebäudesektor im Sinne von Effizienz- angepasst werden muss. Aber es ist nichts, was in steigerung. Wir wissen alle, dass da viel zu tun ist. Stein gemeißelt sein wird für die nächsten drei Jahrzehnte. Aber dieses Festmachen an dem über- Aber auch Aus- und Weiterbildung ist ein ganz geordneten Ziel ist aus meiner Sicht einer der we- wesentlicher Teil, da das Thema Nachhaltigkeit in sentlichen Punkte. Wenn wir das nicht tun, riskie- der Breite noch nicht ausreichend verstanden ren wir, international überholt zu werden. Das wird. Daneben müsste man Naturkapital berück- heißt für uns, mittelfristig würde es negative wirt- sichtigen, stärker ausbauen – und das geht auch in schaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Und Richtung „Nachhaltige Landwirtschaft“. Dem man könnte dann auch von außen kommen und Grunde nach kann man das ausgerichtet an der sagen, möglicherweise haben wir dann die Gele- Taxonomie der Europäischen Union (EU) machen, genheit verspielt und die Steuergelder nicht adä- die es dem Gesetz nach noch nicht gibt, das wis- quat eingesetzt. sen alle aber bereits heute, wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) z. B. die Taxonomie als Man könnte das auch, das ist ein ergänzender Leitlinie für ihre Mittelstandsforderung in einem Punkt zu den Nachhaltigkeitskriterien, verknüp- relativ neu aufgelegten Programm anwendet. Inso- fen mit entsprechenden Anreizsystemen, bei- weit funktioniert es durchaus, das als Leitlinie spielsweise, wenn man bei Zielerreichung oder schon heute zu nutzen. Man kann das auch als Übererfüllung der Zielerreichung mit Zins- oder eine Art Einkaufsliste für konjunkturelle Stimu- Tilgungsreduktion arbeitet. Was ganz klar ist: Es lus-Maßnahmen verstehen. gibt hier Zielkonflikte. Kurzfristige Arbeitsplatzsi- cherung steht einer langfristen Nachhaltigkeit ent- Aus meiner Sicht, und das sind ganz entschei- gegen, die sowohl ökologisch als auch ökonomi- dende Punkte, wenn es um die Aufwendung von

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sche Ziele hat und damit mittelfristig Arbeits- kleinere Belegschaften in ihren Betrieben mit plätze sichert. die Wettbewerbsfähigkeit deutscher einer Reduktion zwischen 10 und 20 Prozent bis Industrieunternehmen sichert. Das heißt, es geht zum Ende des Jahres. Das ist die Situation, in der darum, einen zielgerichteten Pfad zu vereinbaren uns die Unternehmen gegenübertreten. und vor allen Dingen die Maßnahmen zu vermei- Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn man den, die uns für die nächsten Jahrzehnte bei den sagen kann, dass wir alle unsere Ziele, die wir ha- Infrastrukturen festlegen, die nicht kompatibel ben, auch die Nachhaltigkeitsziele, eben in der sind mit den langfristigen Zielen. Zukunft mit ausgelaugten öffentlichen Haushal- Abschließend noch ein wichtiger Punkt: Generati- ten, erschöpften Unternehmensfinanzen, verunsi- onengerechtigkeit. Wenn wir keine nachhaltige cherten und geschwächten Privathaushalten ver- Ausrichtung schaffen, bedeutet das nicht nur hö- folgen müssen. Wir werden ein hohes Maß an Ver- here Schulden für die zukünftige Generation, son- unsicherung erleben. Das führt wiederum zu dras- dern auch höhere Klima-, Umwelt- und Sozialbe- tischen Sparquoten und einer starken Investitions- lastungen. Das heißt, eine doppelte Belastung für und Konsumzurückhaltung. Das erleben wir jetzt die zukünftige Generation. schon täglich. Die Geschäfte sind offen, aber kei- ner kauft etwas, weil die Menschen einfach verun- Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- sichert sind. Und gleichzeitig würde ich auch len herzlichen Dank für den Input und natürlich noch ins Feld führen, dass wir natürlich momen- auch für die zeitliche Disziplin. Und ich übergebe tan nicht erkennen können, dass die ohnehin damit gleich an Herrn Lösch. Sie haben das Wort. nach unten gewölbte Kurve der globalen klimapo- Sachverständiger Holger Lösch (Stellvertretender litischen Ambitionen sich in dieser Phase jetzt Hauptgeschäftsführer, Bundesverband der Deut- steil nach oben bewegt. Das ist noch ein zusätzli- schen Industrie e. V. (BDI)): Herzlichen Dank für ches Erschwernis. die Einladung und dass ich einige Gedanken zum Wie können wir an dieser Stelle das mit dem Thema „Konjunkturprogramme und Nachhaltig- „Wiederhochlauf“ machen? Wie können wir diese keit“ aus Sicht der Industrie machen kann. Chance nutzen, um beiden gerecht zu werden, Wir alle wissen, das können wir auch abkürzen: nämlich dem Thema „Recovery“, der wirtschaftli- Das, was Corona uns eingebrockt hat, ist eine bei- chen Erholung, Wachstum und Beschäftigung, spiellose Krise in Wirtschaft und Gesellschaft. Wir gleichzeitig aber auch, damit Chancen für eine erleben Staaten um dem gesamten Globus, die Bil- Modernisierung unserer Wirtschaft zu bewerkstel- lionen schwere Hilfsprogramme auflegen, um zu- ligen? Ich glaube, das geht am besten, wenn wir so nächst mal das Schlimmste zu verhindern, um eine Art „Smart-Deal“ machen. Das heißt, dass wir dann wieder ins Laufen zu kommen. Und gleich- versuchen müssen, neben Maßnahmen, die also zeitig erleben wir aber auch, dass in Deutschland, auch effektiv und kosteneffizient Emissionen ein- in Europa, ein klarer politischer Wille erkennbar sparen, auch Maßnahmen kombinieren, die Unter- ist, diese notwendigen Recovery- oder Wieder- nehmen oder Konsumenten wieder die Möglich- hochlaufprogramme auch mit dem Thema „Nach- keit geben, den Wiederhochlauf zu befördern. Wir haltigkeit“ nicht nur als Gegensatz zu diskutieren. müssen drauf achten, dass wir mal schauen, wel- Auch aus unserer Sicht als Industrie dürfen wir che Absorptions- und Wertschöpfungstiefe För- den langfristigen Blick auf Nachhaltigkeit und dergelder erreichen können. Das ist ein ganz strategische Wettbewerbschancen von innovativen wichtiger Punkt. Man kann sehr viel Geld auf ir- Technologien nicht verloren geben. Das wäre si- gendeinen Haufen werfen, aber wenn da keine cher ein großer Fehler. Absorptionsfähigkeit da ist, wird es nicht funktio- nieren. Das bedeutet, wir müssen uns sehr klug Allerdings erleben wir natürlich in unserer tägli- aufstellen, eben im Sinne eines „Smart-Deals“. chen Praxis die Unternehmen momentan eher am Ganz grob kann man so etwas über Entlastungen Limit, eher im Überlebenskampf. Ich habe heute bei Steuern machen, das Thema „Kostenregulie- eine kleine Umfrage erhalten. 153 Mittelständler rungen“ natürlich auch über eine konkrete Förde- aus unserem Umfeld – da erwarten 122 mit ca. 25 rung von Investitionen. bis 50 Prozent weniger Umsatz in diesem Jahr. Mehr als die Hälfte der Unternehmen erwartet

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Herr Löffler hat die Klimastudie des BDI erwähnt. CO2-arme Mobilität, das Thema Batterien oder Ich glaube, die Studie hat sehr deutlich gezeigt, eben auch – Sie wissen, das ist ein Steckenpferd dass wir bei sehr vielen Maßnahmen, die notwen- von mir – der Aufbau einer Wasserrohstoffwirt- dig wären, um die klimapolitischen Ziele zu errei- schaft, da wir sonst eben keine vollständige Ener- chen, eben nach wie vor die marktreifen technolo- giewende hinkriegen werden. gisch darstellbaren und betriebswirtschaftlich Wir haben Felder mit sehr guter Technologiever- sinnvollen Alternativen noch nicht flächende- fügbarkeit. Das nennen wir immer die „low han- ckend haben. Das war in unserer Studie ungefähr ging fruits“. Diese hängen aber schon seit Jahren 80 Prozent dessen, was notwendig wäre, um die so niedrig, und man wundert sich, dass sie nicht Ziele zu erreichen, und das war eben nicht in dem gepflückt werden. Das sind die Themen „Gebäu- Korridor, der sich quasi rechnet. Deswegen stellt desanierung“ und „Energieeffizienz“. Ich glaube, sich jetzt für uns die große – die politische – hier könnte man mit großzügigen Abschreibungs- Frage: Wollen wir auf dem Weg zurück zu dem regelungen und direkten Steueranreizen sehr von uns gewohnten Wohlstands-, Wachstums- schnelle Erfolge erzielen, und man könnte natür- und Beschäftigungsniveau im Grunde ausschließ- lich dort auch sehr verlässlich die europäische lich mit dem bestehenden Fundus umgehen? Oder Binnenkonjunktur ansteuern, weil, das sind wollen wir – und das ist das andere Extrem – die- Dinge, die tatsächlich in Europa auch wirksam sen disruptiven Schock zu einem radikalen werden. Herr Löffler hatte auch das schon ange- Sprung nutzen? Dabei sehen wir momentan übri- führt. gens sehr genau, welche gesellschaftlichen Ver- werfungen disruptive ökonomische Schocks mit Ich glaube, wir müssen auch noch mal unseren sich bringen, und – ich glaube –, das wird im Blick auf die technologischen Optionen etwas dis- Laufe dieses Sommers noch deutlicher werden. kriminierungsfreier gestalten. Weltweit wird sehr viel mehr über die Frage von effizienten Kohlen- Es wird Sie wenig überraschen, dass ich keine der stoffkreisläufen diskutiert, als hierzulande. Das beiden Meinungen für richtig halte. Ich glaube, Sozio-Oekonomische Panel (SOEP) hat dazu ge- wir müssen einfach versuchen, möglichst flexibel rade eine sehr gute Studie gemacht über das und realistisch unsere Pfade anschauen und ge- Thema „CCS“ (Carbon Capture and Sto- nau darauf achten, wo wir jetzt die Steine setzen, rage, deutsch: CO2-Abscheidung und -Speiche- weil die Steine sind gerade dabei, sehr viel rarer rung) und „CCU“ (Carbon Capture and Utilization, zu werden. Mit „Steinen“ meine ich „Mittel“. Und deutsch: CO2-Abscheidung und Verwendung). wir müssen uns sehr genau überlegen, wo wir sie möglichst effizient einsetzen. Wir haben uns als BDI Gedanken gemacht und ge- fragt: Was könnten denn entsprechende Instru- Wo sollten wir die Prioritäten setzen? Das mit mente sein? Das sind Instrumente, die wir auch „Absorptionsfähigkeit“ habe ich schon genannt. dieser Tage veröffentlichen werden, die zum Teil Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass wir uns allgemein „einzahlen“, zum Teil aber würde ich ansehen, wo können wir ein Maximum an Be- sie mit Blick auf das Thema „Nachhaltigkeit“ ver- schäftigungs- und Wertschöpfungspotenzial erlö- binden. Zum einen im Bereich Steuern. Neben sen. Und wo können wir auch einen Beitrag zur einer allgemeinen Steuerentlastung wäre das gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit und eben auch Thema „Abschreibungsmöglichkeiten und steuer- zur Resilienz, das ist ja das neue Modewort in liche Anreize für Investitionen“ wichtig. Und da Europa, also zur Resilienz Europas leisten? Wir haben wir insbesondere das Thema „Digitalisie- haben uns da ein paar Felder angesehen. Herr rung“ im Auge, das Thema „Effizienz“ und in je- Löffler hat schon einige genannt. Ich will sie aber der Form „Gebäude“. Aber man kann z. B. auch noch mal nennen. Ich glaube, an vielen Stellen bei Nutzfahrzeugen, Handel, Handwerk, Industrie, sind Gebäude- und Energieeffizienz ein Thema, auch Automobilindustrie, einiges machen. wo man – glaube ich – sehr viel machen kann mit gezielten zusätzlichen Unterstützungsmaßnah- Völlig unumgänglich ist aus unserer Sicht, das men. Das Thema „Infrastruktur“ an sich ist be- wird Sie auch nicht überraschen, dass wir mit den deutsam. Auch der Ausbau der Erneuerbaren Belastungen auf den Faktor Strom einfach dras- Energien und andere Zukunftstechnologien, wie tisch runterkommen müssen, weil wir uns damit

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wirklich jede Perspektive verbauen, auch wenn vielleicht – ich sage mal – öffentlich zwar gut dar- ich an das Thema „Wasserstoff“ denke oder jedes stellen kann. In der Praxis ist das aber ein Horror andere Ziel der Nachhaltigkeit. für jeden Unternehmer, zu überlegen, wie er in dieser Phase, dieses Thema „Nachhaltigkeit“, ich Wichtig aus unserer Sicht: Wir werden an vielen sage mal, so „erschlägt“, um überhaupt eine Un- Stellen noch weiteren Aufwand für Forschung terstützung vom Staat zu erhalten. Der eine oder und Entwicklung treiben müsse. Deswegen sollten andere würde vielleicht auch sagen, „Dann lieber wir mindestens das Ziel von 3,5 Prozent des Brut- keine Unterstützung“. toinlandproduktes (BIP) im Auge behalten, was übrigens dieses Jahr sehr viel einfacher wird, weil Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- das BIP deutlich runtergeht. Deswegen sollten wir len Dank, Herr Lösch. Danke für die Ausführun- es vielleicht in absoluten Zahlen erhalten. Das gen und für einzelne Stichpunkte, beispielsweise wäre das Minimum. „smarte Gehirne“, „Smart-Deal“. Damit leite dann auf die „smarten“ Fragen über und beginne mit Ich mache mir große Sorge um die Investitions- von der Fraktion der CDU/CSU. kraft der öffentlichen Hand. Wir bekommen viele Meldungen, dass öffentliche Bauprojekte, Investi- Abg. Kai Whittaker (CDU/CSU): Ich hoffe, dass tions-, Infrastrukturprojekte entweder gestrichen, ich diesem hohen Anspruch gerecht werde. Zu- verschoben, halbiert oder nicht bezahlt werden. nächst einmal herzlichen Dank an die beiden Hier sehe ich wirklich ein großes Problem. Die öf- Sachverständigen für ihre Expertise und ihre Zeit. fentliche Hand muss an der Stelle tatsächlich Grundsätzlich möchte ich für die Unionsfraktion auch als Vorbild vorangehen, Thema „ÖPNV“, sagen, dass auch wir natürlich diese Corona-Krise, Thema „Gebäudeinfrastruktur“ etc., etc. Es ist et- so schlimm sie ist, als eine Chance betrachten, um was, was mich immer wundert, dass man das auf Dauer die Wirtschaft und Gesellschaft nach- Thema „Anstrengungen für Klimaschutz“ immer haltiger auszurichten. Und ich finde, wir sollten hauptsächlich in der Industrie verlagert. Die Zah- diese Chance durchaus nutzen. Ich bin auch froh, len sind eindeutig. Die öffentliche Hand wird dass die Wirtschaft das selber so sieht, dass es da einen Löwenanteil in ihrem eigenen Verantwor- keinen Widerspruch gibt, sondern dass sich das tungsbereich leisten müssen. sogar beides bedingt. Gleichwohl wird es natür- lich kurzfristige Konflikte geben. Ein Ziel ist u. a., Dann noch das Thema „Kaufanreize“. Da kommen dass wir eine hohe Beschäftigung haben wollen, wir vielleicht nachher noch dazu. Wichtig: Wir dass wir Armut vermeiden wollen, aber zurzeit müssen das europäische Beihilferecht zum Instru- zehn Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit zu- ment der Modernisierung machen. Ich glaube, mindest potenziell angemeldet sind und wir hier ist ein großes Potenzial, und da haben Gott 300.000 Arbeitslose, jetzt wahrscheinlich noch sei Dank auch die Bundeskanzlerin mal zusätzliche 200.000 Arbeitslose innerhalb von und der französische Präsident Emmanuel Macron zwei Monaten, haben werden. Das ist wirklich ein sehr deutliche Worte gefunden. Wenn wir hier Problem. nicht auch die Möglichkeiten geben, die Unter- nehmen zu unterstützen, bei dieser Veränderung, Deshalb möchte ich auf die Fragen zu sprechen dann wird es nicht funktionieren. kommen. Zunächst an Herrn Löffler: Sie haben ge- sagt, die Unternehmen investieren jetzt in den Ich will nur eines abschließend sagen: Man muss Umbau. Da stellt sich mir noch mal die Frage: Wo sich sehr gut überlegen, ob alles nachhaltig sein kann da der Staat wirklich konkret ansetzen, da muss, wenn wir jetzt Geld dafür ausgeben. Aber ich glaube, dass diese Krise von uns schnelles ich glaube, wir werden ganz schnell in sehr tiefe, Handeln erfordert. Wir können ja nicht heute et- detaillierte Debatten kommen und auf Modelle, was beschließen, was erst übermorgen wirkt, son- die sagen, es ist zwingend notwendig, sich auf dern wir müssen jetzt etwas auf die Strecke brin- Nachhaltigkeit zu verpflichten bei den Dingen, die gen, im Juni vor der Sommerpause, damit es jetzt jetzt notwendig sind, um den Wiederhochlauf zu seine Wirkung entfalten kann. machen. Das lehnen wir ab, weil ich glaube, das ist so komplex und differenziert, dass man das Und an Herrn Lösch möchte ich noch mal eine Frage stellen. Sie haben in Ihrem „Smart-Deal“,

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das finde ich eine schöne Wortkreation, dargelegt, umteile hergestellt, die dann wieder in die Auto- dass man z. B. Steuern entlasten sollte. Da wollte mobilindustrie gehen. Und insofern hat man dort ich Sie einfach mal fragen: Haben Sie da schon eine vernetzte Wertschöpfungskette, die man an eine konkrete Steuer im Blick? Und wenn ja, um dem Punkt genau anreißt. Beim Wiederhochlauf wie viel? Und wie man diese Investition ebenfalls ist das doch so? Liege ich da richtig mit meiner sehr schnell „gängig machen“ kann für die Unter- Überlegung oder ist das jetzt aus Ihrer fachlichen nehmen, ohne dass man jetzt auf Nachhaltigkeit Sicht völlig daneben gedacht? völlig verzichtet. Ich bin natürlich auch dafür, dass wir massiv in Und zuletzt würde ich gerne von Ihnen noch wis- die Wasserstoff-Technologie reingehen. Das ist sen, da wir ja auf EU-Ebene diesen 500-Milliar- das Feld der Zukunft. Und ich rede jetzt nicht nur den-Euro Deal besprechen, wie man den vielleicht über die Wasserstoff-Technologie als solche, ich noch so stricken kann, dass dieser ebenfalls Rich- rede natürlich über die industriepolitische Dimen- tung Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Danke. sion, die dahintersteckt. Also das ganze Enginee- ring und der Apparatebau, der notwendig ist, um Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- dann nachher auch Syntheseprodukte herzustel- len Dank. Als nächstes Herr Klare von der SPD. len usw. Das ist die Zukunft unserer Industrie. Abg. Arno Klare (SPD): Ja, vielen Dank. Ich greife Das sieht die übrigens auch so. Und deshalb wol- das Wort auf, das Herr Lösch gerade sagte. Er len sie das auch haben. Das sind nur zwei Punkte sprach vom „disruptiven Schock“. In der Tat, das in der Kürze der Zeit. ist einer. Und ich bin auch in großer Sorge, dass Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Herz- so ein Schock jetzt nicht unbedingt sofort aus sich lichen Dank. Als nächstes Herr Glaser von der heraus die Kräfte freisetzt, die notwendig sind, Fraktion der AfD. um das Ganze als Chance zu begreifen. Und die Frage ist, wie kann man das lösen? Eines werden Abg. (AfD): Also, ebenfalls herzli- wir nicht hinbekommen, wir werden nicht mit chen Dank, meine Herren. Ich will mal ganz tri- Steuermitteln die ausgefallenen Umsätze aller Un- vial folgendes Bild ansprechen, was mir einfach ternehmen der Republik ersetzen können, denn vor Augen steht, weil jeder sich ja überlegt, wie die summieren sich am Ende auf die Höhe des geht das jetzt, wo setzen wir an und wie kommen Bruttoinlandsprodukts. Wir wissen, wie groß un- wir weiter? Und wenn ich das so richtig wahr- ser Haushalt ist, und selbst wenn wir den mehr- nehme, auch bis zur EU, ist das doch alles sehr fach aufstocken sollen. Das heißt aber auch, dass unstrukturiert. Wir machen jetzt also Schulden, wir bei allen Dingen, die wir tun und wo wir Geld und wir geben Geld aus und da nehmen wir an, einsetzen, die maximale Hebelwirkung brauchen. dass „Wirtschaft“ entsteht. Das ist für mich ein Und die Frage ist: Wo liegt diese? Und da ist ja sehr naives Bild von Wirtschaft. Wenn wir mal beispielsweise diese Prämie zum Kauf von Autos. das Thema, das wir hatten, vergleichen mit so Ich greife jetzt einen Punkt auf, der immer so ganz einer Art „künstlichem Koma“ für die gesamte umstritten ist. Ich will keine Prämie, wie wir sie Wirtschaft, dann sage ich jetzt mal ganz provoka- mal hatten, wo man was „abwracken“ muss. Das tiv: Wenn das künstliche Koma beendet ist oder ist von gestern. Aber wie sieht die Neue aus? Und wir es beenden, dann habe ich den selben Men- warum sollte man das da auch tun? Nicht nur, schen, der gerade geschlafen hat, wieder aufge- weil 820.000 Menschen in der Automobilindust- weckt. Der ist nämlich genau so, wie er vorher rie direkt beschäftigt sind und in den Zulieferbe- war. Und deshalb ist die spannende Frage: Wenn trieben noch mal genauso viele, sondern weil z. B. ich das in Gang setzen will, was vorher irgendwie auch bei mir in der Nachbarschaft in Duisburg – einigermaßen funktioniert hat, habe ich große ich komme aus Mühlheim – 50 Prozent der Stahl- Schwierigkeiten zu überlegen, wie man das jetzt produktion des Werkes dort in die Automobilin- verknüpft mit irgendeiner Art von Quanten- dustrie geht, nämlich in Karosserien. Und in mei- sprung, von Systemsprung, aber vor allem von nem Wahlkreis gelegen ist eine Aluminiumhütte. Problemen, die uns alle beschäftigt haben. Aber 70 Prozent der Produkte, das, was die da produ- ich verstehe überhaupt nicht, warum bei diesem zieren, geht an Zulieferer. Dort werden Alumini- Aufwachvorgang jetzt sozusagen eine Phantasie entsteht, die sagt, wir können jetzt die Dinge, um

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die wir uns schon gesorgt haben, die können wir ich bin auch ein großer Fan von weiteren techno- jetzt viel wirkungsvoller machen, da wir gerade logischen Ansätzen. Nicht nur Wasserstoff, aber eine große Krise hatten. Und wenn wir mal ganz auch Wasserstoff. Und bei Wasserstoff geht es ja praktisch sagen: Es geht um Unternehmen, es geht um die richtige Wasserstoffstrategie, die Deutsch- um Arbeitsplätze und eine Struktur, die uns bis- land ansteuern sollte. Möglicherweise auf „grü- her ja bekanntlich gut ernährt hat, wenn auch nem“ Wasserstoff, aber ich befürworte auch das nicht so dynamisch, wie behauptet wird. Thema „bunten“ Wasserstoff. Wasserstoff ist ja auch im Antriebsbereich ein Bereich, der Diesel- Seit der Finanzkrise haben wir ein durchschnittli- komponenten, die ja ohnehin durch den technolo- ches Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent pro gischen Wandel im vergangenen Jahr angesteuert Jahr gehabt. Das ist zwar schön, weil es kontinu- wurden, der möglicherweise Komponenten erset- ierlich war, aber viel ist es nicht. Und jetzt sagen zen kann und dadurch Zulieferer vor der Insol- wir auf einmal Dinge, die wir bisher im „Piano“ venz retten und Arbeitsplätz sicherstellen kann. angegangen sind, die gehen wir jetzt aber mit ganz Wie ist da Ihre Haltung dazu? großer Dynamik an. Wir dämmen nun mehr Häu- ser, als wir früher gemeint haben, dämmen zu Meine Fraktion würde zudem interessieren, was können, usw. Das heißt also, ich stelle einfach mal Sie vom Abbau von bürokratischen Hürden bei In- die Hypothese in den Raum, dass, wenn wir jetzt vestitionen und steuerlicher Forschungsförderung den Staat handeln sehen wollen und sozusagen halten, bei Unternehmen, aber auch im staatlichen „recovern“ wollen, dann müssen wir eben das im Bereich. Und allgemein gebe ich Ihnen völlig Grunde zunächst einmal wieder in Gang setzen, Recht mit der Aussage, dass der Staat in einer was vorher war. Und die Verknüpfung von dem Krise investieren muss. Das ist eine große Chance. Thema mit dem ganz anderen Thema ist für mich Nur so können wir Arbeitsplätze sicherstellen und überhaupt im Moment nicht erkennbar. Das sind das auch nachhaltig. beides Themen, die gibt es, aber sie stehen für Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- mich derzeit nebeneinander und haben mit der len Dank. Als nächstes Herr Cezanne von der Krise keine Veränderung in ihrer Struktur und ih- Fraktion DIE LINKE. rer Beziehung zueinander gefunden. Noch eine Frage an den Herrn Löffler, weil ich glaube, ich Abg. Jörg Cezanne (DIE LINKE.): Ich freue mich, habe da bei ihm eine gewisse Nachdenklichkeit heute bei Ihnen sein zu dürfen. Ich will zwei Sa- bei meinen Ausführungen gesehen, die so ein chen aufwerfen, die mir auch aus den Einlassun- bisschen in meine Richtung gehen könnte. gen der beiden Herren aufgefallen sind. Voraus- schickend möchte ich sagen, dass ich alles teile, Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- was in die Richtung „Infrastruktur“ bzw. „Ausbau len Dank. Als nächstes Frau Bauer von der FDP. des öffentlichen Verkehrs“ geht. Das ist ja eigent- Abg. (FDP): Vielen Dank für Ihre lich schon länger in der Debatte. Tatsächlich ha- Ausführungen. Was mir besonders gut gefallen ben wir den Umschwung noch nicht geschafft. hat, war, dass Sie ja das Thema „Energiemarkt“ Also, wenn man sich noch mal die Kilometer an angesprochen haben. Die erste Frage geht erst mal Bauleistungen des letzten Jahres ansieht, haben an Herrn Löffler. „Energiemarkt“ haben Sie aufge- wir eben doch noch mal einen Faktor 100 mehr griffen, europäischer Energiemarkt. Was halten Straßenkilometer hinbekommen als bei den Bahn- Sie dabei von einer Sektorkopplung in unter- strecken. Was ich völlig teile ist das Thema „Ge- schiedlichen Belangen und Bereichen – gerade bäudesektorsanierung“. Vielleicht wollen Sie wenn es darum geht, einen nationalen aber auch dazu ja was sagen. Wir hatten ja mal ins Gespräch europäischen Strommarkt entsprechend neu aus- gebracht, ob man nicht ein bundesweites Pro- zurichten und dort tatsächlich Nachhaltigkeit zu gramm auflegt, um die Großsiedlungen der vollziehen? 1950er- und 1960er-Jahre, die noch nicht saniert sind, jetzt mit Bundesmitteln gezielt zu sanieren. Und dann hätte ich an Herrn Lösch einige Fragen. Damit erreicht man ja dann auch gleich noch eine Sie hatten das Thema „Wasserstoff“ angespro- Bevölkerungsgruppe, die es üblicherweise jetzt chen. Ich bin ein großer Fan von Wasserstoff, aber

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auch nicht einfach hat, solche energetischen Sa- es wirtschaftlich eher kritischer – vor allen Din- nierungen für sich zu erschließen. Das teile ich al- gen, wenn man die Weltwirtschaft mit betrachtet. les. Ich höre aus der Industrie auch andere Äußerun- Herr Löffler, wäre das jetzt nicht unter dem Ge- gen. Da geht es – finde ich – auch sehr darum, sichtspunkt der Taxonomie – Sie haben es ange- dass man sagt, wir wollen die Ziele bis 2050 tat- sprochen – und den Transparenzrichtlinien, die sächlich erreichen. Wir wollen das umsetzen, wir für „Sustainable Finance“ diskutiert werden, der brauchen Innovationen, und dafür brauchen wir richtige Zeitpunkt, um dies nicht nur für be- Geld. Geld gibt es ja nur einmal. Jeder Euro, der stimmte Produkte, die Sie explizit nachhaltig an- jetzt ausgegeben ist, der ist in fünf Jahren eben bieten wollen, anzuwenden, sondern tatsächlich nicht zur Verfügung oder auch in zehn Jahren, auch, ich sage jetzt mal sehr großzügig, auf sämtli- weil es um längerfristige Wirksamkeit geht, und che Formen von Wirtschaftstätigkeit? Also, müss- wir haben dann möglicherweise auch nichts mehr ten wir nicht eine Transparenz und Nachhaltig- zur Verfügung. keit für alles erreichen? Dann muss eben derje- An Herrn Löffler habe ich eine Frage. Also, mich nige, der weiterhin Kohlekraftwerke in Indien fi- würde das sehr interessieren, wie die Instrumente nanzieren will, sagen, ja, das ist ein tolles Ge- der Taxonomie der EU in der Praxis jetzt nutzbar schäft für uns, wir bekennen uns offen dazu. Wäre sein könnten. Ich meine, das ist „durchbuchsta- das jetzt nicht der Punkt? biert“ für bestimmte Finanzsachen im Bereich Kli- Herr Lösch, ich teile Ihre Ausführungen, dass die maschutz. Aber wir haben ja jetzt ganz umfangrei- öffentliche Hand da eine wesentliche Rolle spie- che Konjunkturprogramme vor uns liegen, und len muss. Das ist auch unsere Vorstellung, ist es ich weiß, es gibt auch Entwürfe Richtung Kreis- auch schon länger. Der BDI und der Deutsche Ge- laufwirtschaft usw. Mit geht es um Folgendes: werkschaftsbund (DGB) haben zusammen, selbst Wie kommen wir da möglichst schnell auch zu für unsere Verhältnisse, ein relativ großzügiges In- praktisch anwendbaren Kriterien? Indikatoren ha- vestitionsprogramm vorgestellt. Da müsste man ben Sie es ja auch noch mal genannt, weil ja im dann aber wahrscheinlich von der derzeitigen An- Moment die Entscheidungen getroffen werden. wendung der Schuldenbremse, wir haben die ja Einige wurden bereits getroffen – Beispiel jetzt ausgesetzt, auf längere Zeit Abschied neh- Lufthansa. Die Autoindustrie macht auch vehe- men, um zumindest zu einer Art „goldenen Regel“ ment Druck. Und da sehe ich jetzt auch schon die oder sowas zurückkehren, damit man zumindest Möglichkeiten schwinden, so etwas noch wirklich die Investitionen dann auch mit finanzieren kann. einzubringen. Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Herz- Und wir haben jetzt die EU-Ratspräsidentschaft lichen Dank, und als nächstes Frau Dr. Hoffmann vor uns liegen. Normalerweise würden wir uns von den Grünen. jetzt auch mit der Weiterentwicklung der Taxono- mie beschäftigen. Auch die Umweltministerin hat Abg. Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE im Plenum auf meine Frage geantwortet: „Ja, sie GRÜNEN): Ganz herzlichen Dank auch an beide will das unbedingt machen“. Nur, wenn wir uns Referenten. Ich finde, es wird ganz gut deutlich, jetzt theoretisch dann noch ein Jahr oder zwei wie unterschiedlich letztendlich die Herangehens- Jahre damit beschäftigen, dann ist der Zug abge- weise und die Bewertung der Krise ist. Vielleicht fahren, und da habe ich große Sorge, dass die Gel- gar nicht so sehr aus dem, was der Herr Lösch der einfach nach anderen Kriterien vergeben wer- jetzt hier persönlich vorgetragen hat. Aber wenn den, beispielsweise nach dem Prinzip, wer am man sich mal das Positionspapier des BDI an- lautesten schreit. schaut, dann will ich es mal vielleicht ein biss- chen zugespitzt zusammenfassen. Umweltpolitik Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ganz wird da eher so als „Hemmschuh“ gesehen und herzlichen Dank für die Fragen. Ich würde jetzt als Erschwernis für die Wirtschaft. Und Herrn die Antwortrunde wieder mit Herrn Löffler begin- Löffler habe ich so verstanden, dass er sagt, wenn nen. wir jetzt in dieser Krise nicht klug handeln, dann Sachverständiger Karsten Löffler (Head of FS- vertun wir eine große Chance, weil danach wird UNEP Collaborating Centre for Climate &

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Sustainable Energy Finance, Frankfurt School of Es wurde heute die „Autoprämie 2.0“ angespro- Finance & Management gGmbH, Vorsitzender des chen. Ich würde noch mal zurückkommen auf Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung): das, was ich eingangs gesagt hatte. Wir haben hier Ich glaube, die wesentlichen Punkte sind alle ein Dilemma bezüglich der kurzfristigen versus schon genannt. Es gibt eine ganze Reihe von Op- der mittel- bzw. langfristigen Perspektive. Deswe- tionen, ich will sie mal englisch „No regret op- gen kommt es aus meiner Sicht sehr stark darauf tions“ nennen. Die kennen wir alle, und Herr an, den Unternehmen Zeit zu geben. Viele Unter- Lösch hatte ja auch schon einige wesentliche er- nehmen wissen das und sind eigentlich auch wähnt. Was aus meiner Sicht normalerweise aus schon recht weit gediehen, dass sie ihre Ge- dem Blickfeld gerät, ist, dass Naturkapital auch schäftsmodelle über die nächsten Jahre und Jahr- ein wesentliches „Asset“ ist, insbesondere auch zehnte umstellen müssen. Und das ist ein Stück im landwirtschaftlichen Bereich, das wir nicht weit stärker verpflichtender zu machen in Verbin- vergessen sollten. Wir sehen, was die Auswirkun- dung mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. gen sind und wenn es nicht funktioniert. Nehmen Das halte ich für eine sehr gute Idee. Wir werden wir jetzt mal die „Insekten“-Thematik. Das Thema vermutlich nicht die reine Lehre damit umsetzen gerät bei uns leicht aus dem Blickfeld und wäre können. Ich denke, das wird nur schwer machbar für mich ein Aspekt, an den wir hier durchaus mit sein, weil wir damit nicht die kurzfristige Wir- denken sollten. Ansonsten habe ich keine weite- kung, die wir uns erwarten, erzielen können. Al- ren Punkte zu denen, die wir schon gesagt haben. lerdings müssen wir sehen, dass wir die richtigen Weichenstellungen für den mittleren Horizont Wie man das macht? Da gibt es einen zweiten As- schaffen. pekt. Es klang ja auch an, mit der Frage, woher soll das ganze Geld kommen? Reichen die öffentli- Zu dem Punkt von Herrn Glaser: Aus meiner Sicht chen Mittel aus? Nein, ziemlich sicher nicht, ist das recht klar. Wir wissen, was wir tun müs- selbst wenn man die Haushalte überall zusam- sen, und ich würde sehr klar dem beipflichten. menlegt. Ich habe Zahlen aus der Organisation für Das, was wir jetzt an Geld ausgeben, können wir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kein zweites Mal ausgeben. Das heißt, wir wissen, (OECD), da geht es um 17 Billionen Dollar, glaube wir haben eine Transformation vor uns, die zwar ich. Diese werden in den OECD-Ländern jetzt von den Klimazielen her definiert wird, zunächst möglicherweise für konjunkturfördernden Maß- mal primär, aber es ist in unser aller Interesse, nahmen investiert. Das ist ein riesiger Betrag. Hilft weil wir wissen, wenn wir es nicht tun, was die uns das, auf den „Status quo ante“ zurückzukom- Folgen dann sein werden. Das eine mit dem ande- men? Vermutlich nicht. Deswegen geht es klar da- ren zu verbinden heißt, zwei Fliegen mit einer rum, auch private Investitionen anzuregen und Klappe zu schlagen. Und deswegen halte ich es den Finanzmarkt diesbezüglich zu mobilisieren. für sinnvoll, das beides – soweit es geht, soweit es Ich denke, das ist mit einer gewissen Anreizset- praktikabel ist – zusammen zu denken. zung durchaus ohne Probleme möglich. Wir sehen Zu dem Thema „Sektorkopplung“: Ja, das ist ein ja schon, dass es auch über die KfW Möglichkei- ganz wichtiges Thema. Es hängt sehr stark davon ten gibt. Zwar sind die Risikoübernahmen staatli- ab, mit welchem Ausmaß der erneuerbare Sektor cherseits recht hoch, aber das kann man sich auch ausgebaut wird –sowohl mit dem Ziel, dass man noch stärker so vorstellen, dass die Liquidität Strom z. B. auch fürs Heizen einsetzt, aber dass dann möglicherweise auch aus dem privaten Sek- auch Strom zur Wasserstoffherstellung genutzt tor kommt, und die Risikoübernahme wohl abge- werden kann. Ich bin mir sicher, und da bin sehr wogen wurde. Das muss man immer dazu sagen, nahe bei Herrn Lösch, dass die Wasserstofftechno- wenn es von der öffentlichen Seite kommt. Das logie, insbesondere für den industriellen Bereich heißt in Folge dessen, dass der Liquiditätsabfluss – das ergibt sich immer wieder auch aus Gesprä- dann jedenfalls unmittelbar nicht so hoch ist, die chen insbesondere der Chemischen Industrie –, Maßnahmen Wirkung erzielen und dann etwaige ein wesentlicher Faktor ist, um uns auch in der Garantien nicht zum Zuge kommen, sondern dass Industrie auf einen niedrigen CO2-Pfad zu brin- die privaten Geldgeber dann auch befriedigt wer- gen. Die Idee mit den 1960er-Jahre-Bauten, das den. Und natürlich geht es auch darum, auch mal kann man sicherlich gut erwägen. Inwieweit das eine vernünftige Risikoteilung zu haben.

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sinnvoll ist, muss man sehen. Die Abwägung ist Kommission im sogenannten „delegated act“, der hier vermutlich an der einen oder anderen Stelle ja bis zum Jahresende vorliegen soll, die wesentli- die Frage, was am kosteneffizientesten ist. Das chen Punkte, die hier auf dem Tisch schon liegen, sind auch Planungsfragen, die hier mit hineinlau- mit übernehmen wird. Insofern ist das ein guter fen, wobei viele der Gebäude sicherlich in den Anhaltspunkt für das, was auch die Konjunktur- letzten Jahren auch schon zumindest teilsaniert pakete mit abdecken sollten. Man muss immer worden sind. Aber das muss natürlich auch noch dazu sagen, die Taxonomie begreift sich als einen viel stärker in die Breite gehen. wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen, und wenn man das in einer Systematik – von mir aus Zu der Frage der Transparenzoffensive in der „grün“, „grau“ und „schwarz“ oder wie auch im- Breite des Marktes: Wir sehen das bereits zum mer – bezeichnen möchte, dann haben wir einen Teil bei den Aktivitäten, die die Europäische gewissen großen grünen Bereich. Wir haben aber Kommission vornimmt. Wir haben als Teil des auch einen riesigen grauen Bereich, den man na- EU-Aktionsplanes zur Förderung eines nachhalti- türlich auch nicht vergessen darf. gen Wachstums die entsprechenden Benchmarks. Das sind Vergleichsindizes, die Kapitalanleger Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Herz- verwenden. Die Anbieter solcher Indizes müssen lichen Dank für die Ausführungen, und ich über- über die Nachhaltigkeit dieser Indizes berichten. gebe dann gleich das Wort an Herrn Lösch. Und da sehen wir die ersten Beispiele dafür, dass Sachverständiger Holger Lösch (Stellvertretender es sich an dem breiten Markt und nicht nur an die Hauptgeschäftsführer, Bundesverband der Deut- nachhaltige Nische richtet. Ich bin fest davon schen Industrie e. V. (BDI)): Herr Whittaker, be- überzeugt, dass wir hierfür eine breite Aufstellung züglich Ihrer Frage, um welche Steuerentlastung brauchen. Wir sehen das auch in der Taxonomie es geht? Also, man muss ja sagen, am Anfang ging bereits angelegt und werden das mit der Überar- es um Liquidität, jetzt geht es darum, Beschäfti- beitung der nichtfin anziellen Berichtsrichtlinie gung zu halten. Das haben wir gemacht über die der Europäischen Kommission, die ja jetzt zur Liquiditätshilfen und über die Kurzarbeit. Und es Überarbeitung ansteht, auch weiter sehen, inwie- geht natürlich darum, wieder Spielräume für die weit die Berichtspflichten auch auf breitere Füße Unternehmen zu erarbeiten, damit sie investieren gestellt werden kann. Ich glaube, es ist wichtig, können. Das kann man natürlich mit vielerlei In- zusätzliche Pflichten, die natürlich auch immer strumenten generieren. Beispielsweise natürlich mit Bürokratiekosten einhergehen, nicht nur auf bezüglich des generellen Unternehmenssteuerni- die Nische zu konzentrieren, sondern volle Trans- veaus. Das Thema „Verlustabrechnung“ wird – parenz für diejenigen, die z. B. über ihre eigene glaube ich – eine große Rolle spielen, aber auch Kapitalanlage entscheiden, herzustellen. was Investitionen betrifft. Damit hat man gute Er- Zur letzten Frage – „Weichenstellung jetzt?“. Das fahrungen gemacht bezüglich einer degressiven habe ich aus meiner Sicht schon beantwortet. Es Abschreibung, auch für Sofortabschreibungen. ist jetzt eine sehr gute Gelegenheit, die so nicht Also, ich glaube, das kann man sich auch tatsäch- wieder kommt. Und wenn wir das jetzt nicht hin- lich überlegen. Insbesondere, wenn ich an Han- bekommen, dass wir die richtigen Weichen stel- del, Handwerk, Industrie und Nutzfahrzeuge len, dann wird es die Gelegenheit nicht wieder ge- denke. Da könnte man – glaube ich – deutliche Ef- ben, und wir werden den notwendigen Umbau fekte erzielen. über die nächsten Jahrzehnte wesentlich weniger Zu den Fragen von Herrn Klare. Ja, das ist leider gut hinbekommen. Die Kriterien für die Taxono- so. Wir werden auf keinen Fall alle Ausfälle kom- mie befinden sich in der Erarbeitung. Wir haben pensieren können. Das wird massiv Opfer geben, zu den ersten beiden Umweltzielen der EU eine sowohl was Unternehmen als auch was Beschäfti- Vorlage der technischen Expertengruppe. Die an- gung betrifft. Da muss man kein Prophet sein. Und deren vier Umweltkriterien müssen noch bearbei- jetzt reden wir ja nicht nur über Industrieunter- tet werden. Da ist man noch sehr am Anfang. Des- nehmen, sondern ich denke mal beispielsweise an wegen kann man auf die Taxonomie auch schon die Gastronomie, Hotellerie oder was auch immer eine ganze Menge bauen. Da, wo sie da ist, ist es oder an Eventagenturen. Also, es wird da unend- schon recht klar. Es ist zu erwarten, dass die EU- lich viele Ausfälle geben. Die kann man gar nicht

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alle kompensieren. Wer sein Unternehmen ver- treiben. Wir haben, sage ich mal, viele Themen liert, wird sich gleichzeitig, ich sage es jetzt mal mit Risiken, allerdings auch ein paar Chancen. salopp, nicht gleich einen neuen Tesla kaufen Das ist – glaube ich – unserer Betrachtung über oder ein Elektrofahrzeug der Marke Jaguar. Also, eine ganze Industrie in Deutschland auch geschul- das passiert dann einfach nicht. Das wird natür- det. Aber es hat natürlich einen Zusammenhang. lich alles dämpfend wirken. Gleichzeitig würde Es muss in der Tat – das wurde ja auch gesagt – ich Sie sehr unterstützen. Es ist ja bekannt, dass wahnsinnig viel Geld in die Hand genommen wer- innerhalb des BDI auch die Frage von Kaufprä- den. Und wenn man so viel Geld in die Hand mien durchaus ein Diskussionspunkt ist. Wir ha- nimmt, will man natürlich schon versuchen – das ben in den letzten Wochen mit unserem Vizeprä- ist auch unser Interesse und ja auch unser Geld – sidenten häufig – meist einmal wöchentlich – te- das auch möglichst optimal einzusetzen. lefoniert. Und es wird natürlich dann schon in Frau Bauer, zum Thema „Wasserstoff“ könnte ich diesen Runden sehr klar, was für ein unglaubli- jetzt drei Stunden referieren. Ich sage nur eines: ches ausgreifendes Wirtschaftspotenzial die Auto- Wir rufen mit Ziel der CO2-Neutralität einen gi- mobilindustrie hat für die Bereiche Chemie, Tex- gantischen Bedarf in der Industrie und in anderen til, Stahl, Aluminium. Sie haben sie ja alle aufge- Sektoren auf. Diesen Bedarf, den wir aber niemals zählt. Und das macht einen dann schon immer ein national, auch nicht europäisch decken werden, Stück weit nachdenklich, dass eine Branche auf sondern nur dadurch decken können, wenn wir so viele andere Branchen so einen großen Einfluss einen globalen Markt bekommen. Auf der anderen hat. Und ich glaube, es wäre wichtig, einen Weg Seite müssen wir irgendwo anfangen, weil sonst zu finden, zusätzlich zu den schon bestehenden schneiden wir uns die Technologiechancen ab, Hilfen, die wir ja auch schon für die Elektromobi- nämlich Systemtechnologien, wie Anlagenbau, lität haben. Nur dort werden wir die Effekte nicht Elektrolyse, erneuerbare Erzeugung. Wichtig aus erreichen können, die wir uns vorstellen, nämlich deutscher und europäischer Perspektive wäre es, jetzt auch Investitionen in Fahrzeuge nachzuho- das Thema zu einer Art Leitrolle zu entwickeln. len. Wir sollten uns überlegen, dass wir vielleicht Und ich habe mich ja viel mit der Wasserstoffstra- auch für andere Dinge etwas machen, als für Digi- tegie beschäftigt. Ich finde es akzeptabel, wenn talisierungsinstrumente etc. Dass man beispiels- eine Bundesregierung sagt, „Was ich fördere ist weise auch sagt, dass für Dinge, die auf das, was „grüner“ Wasserstoff. Ich fände es nicht akzepta- wir uns alle vorstellen, quasi „einzahlen“ – viel- bel, wenn man sagt, wir verbieten künftig Leuten, leicht nicht zu 100 Prozent, aber dann doch zu die ihr Unternehmen auf Wasserstoff umstellen einem hohen Prozentsatz –, dass man dann auch wollen, für eine Übergangsphase irgendetwas an- mit entsprechenden Prämien die Dinge wieder deres als „grünen“ Wasserstoff zu benutzen, den temporär in Gang bekommt. Dann – glaube ich – ich aber gar nicht zur Verfügung stellen kann. würde man da viele ordnungspolitische Bedenken Und ich glaube, das ist eine faire Abwägung. Es zurückstellen. wird nicht nur in Europa, sondern auch weltweit, Zur Frage von Herrn Glaser: „Verknüpfung von sage ich mal, sehr CO2-neutralen Wasserstoff im Corona und Klima“: So kann man es betrachten. Sinne von Gas mit CCS oder auch Methanpyrolyse Auf der anderen Seite befinden wir uns ja nicht in geben. Aber ich glaube, für Deutschland und Eu- einem Zustand, dass wir uns mit der Frage „Mo- ropa liegt die Technologiechance langfristig ein- dernisierung der Wirtschaft“ nicht beschäftigen. deutig im „grünen“ Wasserstoff. Aber man kann Das ist ein Prozess, der seit langem im Gange ist. natürlich nicht sagen, wir können leider vielleicht Der ist Teilen dieses Hauses zu langsam, anderen nur zehn Gigawatt erzeugen und belasten die In- ist er zu schnell. Dasselbe gilt für die Zivilgesell- dustrie gleichzeitig mit einer Klimaregulierung, schaft. Aber ich denke, es ist völlig unbestritten, mit der ihr 700 Gigawatt braucht oder Terrawatt- und das würde ich auch immer so sagen, das war stunden, und schaut mal, wo ihr es herkriegt. auch der Grund, warum wir diese Klimastudie ge- Aber auf keinen Fall nehmt ihr „blauen“ Wasser- macht haben. Wenn wir irgendwann erklären, stoff. Also, das ist – glaube ich – so das Span- dass die Moderne beendet sei, dann würde da nungsverhältnis, das wir da haben. auch nichts mehr laufen. Das heißt, wir müssen die Moderne immer weiter entwickeln und weiter

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Zum Thema „Gebäudegroßsiedlung“: Das ist ein nichts, ich nehme keine Abschreibung in An- guter Punkt. Die Gebäudesanierung ist wirklich spruch und ich mache weiter wie bisher, verbun- die „lowest hanging fruit“. Man muss es einfach den mit der Bitte, unterschreibe mal die Selbstver- so sagen. Und sie hat eine unglaubliche Strahlwir- pflichtung. Ich glaube es klingt gut, aber es ist in kung, was Investitionen betrifft. Es bleibt im Land, der Praxis wahnsinnig schwer. Also, das ist ein es kommt relativ schnell wieder, aber ganz offen- Punkt, den wir auf jeden Fall absolut kritisch se- sichtlich gelingt es uns seit Jahren nicht, diese hen. Wenn man die Anreize richtig setzt, dann Rate nach oben zu bringen. Zum Thema „Groß- wird es – glaube ich – von alleine in diese Rich- siedlungen“, da hat mir jemand mal eine lustige tung auch gehen. Und ich habe immer so ein Bild Geschichte erzählt, dass nämlich z. B. große Im- vor Augen, das ist irgendwo so eine Wahrneh- mobilienunternehmen des Bundes nur Ausschrei- mung von mir: Jetzt kriegen die Unternehmen so bungsgrößen machen dürfen, mit dem Ziel, dass viel Geld und davon bauen die alle Kohlekraft- kleine mittelständische Unternehmen zum Zuge werke. Das ist natürlich Quatsch. Das passiert ja kommen. Und damit sind natürlich Großprojekte nicht, die gehen entlang ihrer Entwicklung voran. für Großinvestoren verschlossen. Das ist wirklich Also, da würde ich mir so ein bisschen mehr, sage nur ein Beispiel. Wir müssen uns wirklich überle- ich mal, auch ein bisschen mehr Großzügigkeit gen, wo sind die Bremsen in unserer Regulierung wünschen, weil der Effekt von solchen straffen bzw. in unserer Bürokratie? Und das ist auch die Verpflichtungen wäre dann eher in vielen Unter- Antwort auf die Bürokratiefragen, die uns wirk- nehmen eine Überlegung, ob das dann noch der lich daran hindern, die Dinge einfach auch mal richtige Standort ist. Und die Diskussion haben ein Stück weit durchzuziehen. Ich glaube, wir ha- wir übrigens. Auch Reallokalisierung muss nicht ben da eine Menge „Sklerose“ angesammelt, und zwingend nach Europa gehen. Die kann auch an- vielleicht ist das ja auch ein vernünftiger Schock, derswohin gehen. Und wenn sich dann am Ende sich mal anzuschauen, wie eine Gesellschaft, Ver- die Märkte, bzw. die Unternehmen auf ihren waltung, Administration, – auch mit Blick auf die Märkten, aufsplitten, dann haben wir für Europa Frage von Frau Hoffmann –, eine Umweltregulie- auch nicht viel gewonnen. rung 4.0, aussehen kann. Aber das heißt nicht, Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich dass damit ein Abbau von Natur und Umwelt- würde vorschlagen, wir steigen in die zweite schutz verbunden ist. Aber ich glaube, manche Runde ein. von der CDU ist der erste Sachen könnte man einfach ein bisschen schlan- Fragesteller. ker, effizienter, vielleicht auch digitaler, machen. Das sind ja sogar Worte, die ich jetzt aus dem Um- Abg. Peter Stein (CDU/CSU): Ganz herzlichen weltministerium höre, dass man mehr digitale Dank, meine Herren. Ich führe Sie vielleicht jetzt Prozesse machen will. ein bisschen an einen „fremden Teich“. Wir reden ja über nachhaltige Finanzen und nachhaltige Pro- Ein letztes Wort noch. Also, ich habe meine gro- duktion. Und da fehlt natürlich noch der dritte ßen Bedenken gegen so eine Form von Verpflich- Teil. Das ist der nachhaltige Konsum, also der tung für den Fall, dass man in irgendeiner Form Konsument. Und da reden wir sicherlich über die staatliche Hilfe annimmt. Ich glaube, wir müssen industriellen und die privaten Konsumenten, und mal sortieren, welche Hilfen das dann sind. Also, wir erleben nun gerade in dieser Pandemiezeit wenn es eine staatliche Hilfe ist, sagen wir mal, quasi so ein kleines vorgeschobenes Konjunktur- wenn ein Unternehmen Geld erhält, also direktes programm, weil natürlich die Konsumenten ge- staatliches Geld, dann kann man sich natürlich zwungenermaßen, aber in gewisser Weise auch überlegen, wie man als Staat dort mit dem Unter- akzeptiert, bereit sind, für einen bestimmten Hy- nehmen auch spricht, und sagt, wir würden uns gienestandard oder Gesundheitsstandard einen das aber so oder so vorstellen. Aber wenn wir, sa- höheren Preis zu bezahlen. Das haben wir im pri- gen wir mal, über eine allgemeine Steuerentlas- vaten Konsum genauso wie im industriellen Kon- tung oder Steuerabschreibungen reden, dann sum. Beispielsweise im Lebensmittelbereich ha- muss ich mir schon die Frage stellen, wie will ich ben wir jetzt Preiserhöhungen teilweise zwischen das eigentlich organisieren? Und gibt es dann 20 und 90 Prozent, die aufgeschlagen wurden. einen Wettbewerber, der sagt, ich nehme aber Und da ist jetzt meine Frage an Sie: Haben Sie

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vielleicht eine Idee bezüglich dieser Konjunktur- einen Verbrennungsmotor, dann muss ich natür- maßnahmen, die ja am Ende nur dann wirksam lich irgendwie eine Grenze setzen, beispielsweise sind, wenn auch der Konsum nachhaltig gewor- bei 110 Gramm oder sagen wir mal 120 Gramm den ist und sozusagen reflektiert wird, was dann CO2 pro Kilometer. Alles, was kleiner ist davon, auch angeboten wird? Haben Sie eine Idee für erhält nicht den Faktor 2,0 sondern beispielsweise uns, wie wir im Rahmen dieser Konjunkturmaß- noch den Faktor 1,25. Da habe ich dann auch die nahmen genau diesen Prozess jetzt auch beginnen Verbrennungsmotoren drin, aber nur die, die un- mit zu unterstützen – wissend, dass das bisher terhalb dieser Schwelle liegen. Wenn Sie mal nicht gelungen ist? Ich rede natürlich an dieser schauen, wer das ist, ich könnte jetzt die Autos Stelle auch in Richtung des Einzelhandels. Ich aufzählen. Das sind nicht so wahnsinnig viele rede auch über die Logistik, die nachhaltiger wer- Fahrzeuge, aber z. B. Volkswagen hat relativ viele den muss. Ich rede über die Frage „Just in Time“ davon im Portfolio. Und perspektivisch könnte oder Lagerhaltung. Das sind all diese Dinge, die ich noch sagen: Wenn man mir ein Fahrzeug hin- jetzt sicherlich auf dem Tisch liegen als Fragestel- stellt, das einen Anteil von 80 Prozent hat, also re- lungen und ich glaube, da wären wir auch als Po- cycelfähig ist bis zu einer sehr großen Größenord- litik, sehr dankbar, wenn Sie da Gedanken für uns nung, dann hat das Auswirkungen bei der Kfz- hätten, wie wir diese Transformation von der Steuer, weil das ein langfristiger Aspekt ist und nachhaltigen Produktion und Bereitstellungen dann in dieser Kfz-Steuer verankert sein sollte von Dienstleistungen hin zum Konsumenten hin- und sowieso eine Langfristwirkung hat mit dem bekommen. genannten Faktor. So müsste das aussehen, was gerade als „Smart-Deal“ schon mal beschrieben Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- wurde. Zudem würde es basieren auf der EU-Ta- len Dank. Als nächstes noch mal Herr Klare von xonomie von „Green Finance“. Fraktion der SPD. Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- Abg. Arno Klare (SPD): Ich gehe mal von einem len Dank, und noch mal Herr Glaser von der AfD. Begriff aus, der, wenn man über „grüne Finanzie- rung“, also gerade über die Taxonomie, redet, dort Abg. Albrecht Glaser (AfD): Also, ich will noch eine Rolle spielt. Das ist der „Carbon Accoun- einmal an dem Thema etwas „nachhaltig“ dran ting“. Das heißt, ich zähle sozusagen den „Carbon bleiben. Der große Sprung oder die Weichenstel- Foodprint“, den ein Produkt hat, zusammen, bei lung, wie das vorhin so schön hieß, würde ja, der Produktion, im Betrieb etc. Und jetzt versuche wenn ich das ins praktische Leben umsetze, be- ich mal, so völlig aus dem Ärmel, wie so eine deuten, dass ich die Geldströme nun sozusagen Autoprämie dann vielleicht aussehen kann. Ich sprunghaft in einen Bereich lenke, in den sie bis- nehme einen Basisbetrag und sage, okay, wenn her nicht geflossen sind. Und dann habe ich damit der Hersteller mir jetzt ein „Zero Emission-Fahr- automatisch eine Art „Recovery“ dessen, was zeug“ hinstellt, das wirklich auch null Emissio- nicht ist, sondern lege diesen Bereich dann still, nen hat, erst mal im Gebrauch, nicht im Vollbe- und zwar dauerhaft. Der bleibt sozusagen im trieb sozusagen, dann kann der Hersteller diese „Koma“ und wird dann nach kurzer Verweildauer Prämie erhalten mit dem Faktor 2,0, wenn er es wahrscheinlich auch nicht mehr überleben. Ich hinbekommt, dass das Fahrzeug dann auch noch will das jetzt gar nicht moralisch bewerten oder durch sogenannte „Offsettingmaßnahmen“ die ge- sonst wie, sondern sagen, das ist gut, das müssen samte CO2-Last null beträgt, und es bei mir vor wir ja machen, und das ist die Zukunft. Gleichzei- der Haustür steht. Volkswagen bietet das für das tig soll das andere irgendwie schlecht sein, die so- noch nicht ausgelieferte Modell „ID 3“ an. Das genannte „Old Economy“. Ich will einfach mal bei Fahrzeug wird sozusagen mit einem „CO2-Ruck- den konkreten Szenarien, vor denen wir stehen, sack“ in Höhe von null ausgeliefert. Also insoweit fragen, was tun wir dem Ganzen an? Das heißt, ich ist das als Idee bei Unternehmen schon da. Da muss dann den Mut haben, zu sagen, jawohl, ein kriegst Du noch mal 0,5 Punkte oben drauf, also Teil dessen, was wir jetzt machen, also von mir 2,5 Prozent von dieser Prämie. Das gilt jetzt bei aus die Autoindustrie, die wird eben nicht wieder diesen alternativen Antrieben. Und wenn ich jetzt „recovered“. Gleichzeitig muss ich dann sagen, ja nur einen konventionellen Antrieb habe, also dadurch, dass ich das so „klug“ lenke, wohin

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auch immer – in die Energieerzeugung oder in die Abg. Nicole Bauer (FDP): Vielen Dank. Meine Aufforstung von Wäldern oder weiß der Teufel, Frage richtet sich noch mal an Herrn Lösch zum dann muss ich ja ökonomisch – also Arbeitsplätze Thema „Wasserstoffstrategie“. Mir ging es vorher und die Wertschöpfung – diese beiden Bereiche in bei meiner Frage nicht darum, dass der „grüne“ Verbindung bringen und vielleicht auch zeitlich, Wasserstoff gefördert wird und die anderen For- sehr zeitnah, denn viele der Arbeitsplätze und men nicht, sondern mir geht es um die grundle- viel Anteil am Bruttoinlandsprodukt hängen da- gende Klassifizierung eines CO2-neutralen Pro- ran und Steuern und was auch immer. Die fließen duktes. Wasserstoff ist nun mal auch in anderen dann eben nicht, sondern die sind dann weg, weil Farbkombinationen, sei es türkis oder blau, ein- das natürlich niemals eine Passung gibt, wo ich fach CO2-frei oder CO2-neutral und somit auch sage, ich setze eine andere Schraube auf dasselbe entsprechend zu berücksichtigen. Mich würde da- Gewinde. Also, da würde ich mal gerne von bei interessieren, inwiefern Sie gerade sehen, dass Ihnen, Herr Lösch, etwas hören, weil Sie sich ja auch regulatorische Maßnahmen und Rahmenbe- gerade den Begriff „Weichenstellung“ zu eigen ge- dingen für den „blauen“ Wasserstoff angepasst macht haben. werden müssen, gerade wenn es um den grenz- überschreitenden CO2-Transport geht. Sie hatten Und ich füge mal gleich das Thema „Geldfluss“ schon kurz angesprochen das bilaterale Thema, hinzu. Wenn wir sagen, der Staat hat jetzt eine also über Grenzen hinweg Partnerschaften abzu- große Last zu tragen, die muss er irgendwie tra- schließen, um möglicherweise dort einen Schritt gen, dann kann ich sagen, ich nehme Schulden voraus zu sein, wenn es um die Sicherung von auf und verteile Mittel, wie wir das jetzt mal im möglichen Partnerschaften im Wasserstoffbereich ersten Ansatz machen, über die sogenannten KfW- geht. China macht uns das ja schon stark vor. Viel- Darlehen. Ich kann aber auch sagen, ich gehe in leicht kann ja Europa da auch stärker mitmachen die Steuerprogramme, wofür viele kluge Ökono- oder entsprechend Ressourcen sichern. men werben. Das gleiche Problem besteht auf der Staatsseite in dem Fall, dass ich unter Umständen Eine weitere Frage geht an Herrn Löffler. Sie hat- die Schulden erhöhe, weil ich Geld an fremde ten mehrmals das Thema „nachhaltige Landwirt- Dritte gebe – z. B. als verlorenen Zuschuss oder schaft“ genannt. Das wird ja aktuell auch stärker aber indem ich dem Eigenkapital „auf die Füße gelebt. Menschen schauen stärker auf ihr Konsum- helfe“, dadurch, dass ich Steuerregeln schaffe. Ist verhalten, wenn es um Nahrungsmittel geht. Sie das nicht sehr viel logischer und nachhaltiger, kaufen viel bewusster ein, sie schauen auch noch und zwar gerade unter dem Aspekt, dass Lenkung mal darauf, was und wo wird es hergestellt, also von Geldströmen bekanntlich ökonomisch immer plötzlich überall „Bio-Kisten“. Aber auch Bauern- suboptimal ist? Und da habe ich nur eine Mög- märkte gewinnen daran. Wie sehen Sie das? Wie lichkeit, ich meine, ich kann das mischen, aber schätzen Sie dort die Chancen dieser Krise ein? derzeit sieht es ja nicht so aus, als würden sozusa- Und es gibt ja auch auf europäischer Ebene einige gen – außer von den kleinen Selbstständigen – die Punkte, die einer nachhaltigen Landwirtschaft Eigenkapitalstärkung oder das Überleben durch entgegenstehen, wenn ich nur dabei das Thema unmittelbare Finanzierung gewährleistet. Bei der „Grünlandumwandlung“ ansprechen möchte, Lufthansa sehen wir schon, dass das gar nicht wenn Ackerland alle fünf Jahre zu Grünland um- funktioniert, da ich durch die Fremdkapitalisie- gewandelt werden muss, um den Ackerstatus rung auch einen Ertragsdruck kriege, den man nicht zu verlieren. Auch das würde mich interes- dann über Jahre nicht aufholen kann. Also, an der sieren, wie Sie es sehen und ob wir da nicht auch Stelle würde ich mal bitten, das wirkliche Leben bürokratische Hürden abbauen sollten. doch etwas mehr in den Vordergrund zu stellen, Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- und die Abstraktheit der Ausführungen etwas zu len Dank, und nun Frau Vogler von der Fraktion reduzieren. Alle Wahrheit in konkret. DIE LINKE. Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Herz- Abg. (DIE LINKE.): Vielen Dank, lichen Dank, von der FDP jetzt die Kollegin Nicole Herr Vorsitzender. Meine Herren, ich würde gerne Bauer. noch mal den Blick auf eine andere Ebene lenken. Ein bisschen bin ich da bei Frau Bauer und Herrn

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Stein, dass wir auch mal schauen müssen, was dürfen. Wenn wir mehr reinblasen, dann wird es verändert sich eigentlich am Verhalten oder wel- am Ende ein recht schlechtes Jahrhundert. Also, che Verhaltensänderung können wir aufgreifen, der Ernst der Sache, nehme ich an, ist Ihnen be- können wir verstärken, um zu einem nachhaltige- kannt. Und ich gehe davon aus, dass Sie auch zu ren Wirtschaften zu kommen? Und was mich den 99,8 Prozent der Forschenden und Wissenden wirklich ein bisschen stört, ist die Fixierung aufs gehören, die das auch verstehen und kennen. Und Automobil. Es haben gerade in der jetzigen Krise dann sagen Sie aber, nachdem uns ja klar ist, dass viele Menschen, gerade in den Städten, aber auch wir diese Forderung von Paris überhaupt nur er- bei uns auf dem Land, wo ich herkomme, das füllen können, wenn wir wirklich Gas geben, und Fahrrad als Verkehrsmittel entdeckt, haben das zu uns sehr schnell vorwärts bewegen in Richtung Fuß gehen entdeckt. Also, man merkt ja, dadurch, Klimaneutralität, dann sagen Sie, alle Ziele, auch dass wir jetzt feststellen, dass es gar nicht genug Nachhaltigkeitsziele, müssen nach Corona auf den Raum für diese anderen Verkehrsträger gibt. Müs- Prüfstand. Nachhaltigkeit sei zu komplex, um es sen wir nicht umsteuern und weniger investieren zu differenzieren. Das bedeutet für mich in der in Konjunkturprogramme für eine Automobilin- Konsequenz Ihrer Ausführungen, dass wir da ganz dustrie, die dann auch nur wieder denjenigen zu- automatisch ein bisschen langsamer werden gutekommen, die sich dann überhaupt ein neues müssten, vor allem im Bereich „Klima“. Wie Sie Auto leisten können? Und beim „untersten Vier- es schon sagten, wir sehen nicht, dass global die tel“ der Bevölkerung, was das Einkommen angeht, Nachhaltigkeitskurve nach oben geht. Das kenne ist ja, gerade in dieser schweren Wirtschaftskrise ich eigentlich eher aus der politischen Ecke da mit Kurzarbeit, drohender Arbeitslosigkeit, Weg- drüben, dass man unterstellt, die anderen machen fall von Tätigkeiten für kleine Selbstständige, gar nix, dann ist es ja bei uns auch nicht so dringend. keine Substanz mehr da, auf der sie aufbauen kön- Das alles steht für mich schon im Widerspruch zu nen oder auf der sie sich sinnvollerweise ein der Annahme, dass Sie die Paris-Ziele akzeptieren neues Auto anschaffen würden. und soweit verstehen. Und da würde ich gern noch mal was dazu hören, Dann haben Sie ein Wort geschaffen, das fand ich ob nicht auch eine Umplanung auf andere Ver- total schön, das muss ich mir merken: „Absorbti- kehrsträger, ökologischere Verkehrsträger, eine onsfähigkeit für Fördergelder“. Das ist ein klasse Chance darstellt. Und der zweite Punkt ist meiner Begriff. Also wie viel kann ich aufsaugen davon, Ansicht nach: Ja, das stimmt alles mit dem verän- was mir gegeben wird? Und ich bin da jetzt bei derten Einkaufverhalten, das hat aber auch zu tun der Kfz-Industrie. Da sollen wir jetzt eventuell mit mehr Zeit. Also, könnten wir nicht auch mal noch mal Geld reinpumpen. Wir sehen aber bei- darüber nachdenken, diesen Zeitwohlstand, der spielsweise, dass die Lufthansa neun Milliarden viele Leute dazu gebracht hat, bewusster zu leben bekommt und es der Bundesregierung nicht be- und sich anders konsummäßig zu orientieren und sonders gut gelungen ist, dies z. B. mit Klimafor- auch zu Hause mehr zu kochen, dass man den derungen zu kombinieren. Und wir sehen ja auch, nicht auch durch eine Umverteilung von Arbeits- dass Förderungen wie die sogenannte „Abwrack- zeit in der Gesellschaft befördern kann? prämie“ damals ein Ökodesaster verursacht haben und eben nicht nur positiv auf das Thema hin- Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- führten, vor allem auch nicht in eine industrielle len Dank, und abschließend Herr Zickenheiner Entwicklung. Auch das ist für mich ein Gegensatz, von den Grünen. dem ich nicht folgen kann. Deshalb frage ich jetzt Abg. (BÜNDNIS 90/DIE einfach: Wenn wir sagen, Klimanachhaltigkeit ist GRÜNEN): Danke, Herr Vorsitzender. Herr Lösch, zu kompliziert, wann kommen wir denn Ihrer An- ich mache jetzt eine Grundannahme und werde sicht nach dann bei der Klimaneutralität an? Im versuchen, aufzuzeigen, dass das im Widerspruch Jahr 2050 müssen wir sie auf Grundlage des Ab- zu Aussagen steht, die ich mir notiert habe. Viel- kommens von Paris erreicht haben und zwar in li- leicht können Sie mir da helfen, diese zu verste- near degressiver Form. Wenn wir so weiter ma- hen. Ich gehe davon aus, dass Sie die Paris-Ziele chen, wird es nichts. Wann genau sind wir Ihres kennen. Sie wissen, dass wir noch ein gewisses Erachtens denn gezwungen, dort zu sein, und wie Restvolumen an CO2 in die Atmosphäre „blasen“ wird unser Planet dann aussehen? Heute Morgen

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habe ich mit einem Meeresforscher gesprochen. Er ben die bekannten Diskussionen rund um Dünge- hat gesagt, wenn Ihr Paris nicht schafft, verliert mittel- und Pestizideinsatz. Das ist aus meiner Ihr Hamburg. Sicht langfristig ganz klar nicht nachhaltig, son- dern wird der Landwirtschaft, wenn das weiter in Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- dieser Form passiert, am Ende nicht nutzen. Wir len Dank für die Fragen und für die Diskussion, haben nicht nur Grundwasserprobleme, sondern die hier in der Runde stattfand. Ich würde jetzt ab- wir haben ganz massive Probleme sowohl was die schließend noch mal Herrn Löffler und Herrn Belastung der Umwelt angeht, als auch das Thema Lösch das Wort geben. der Insekten und damit der Nützlinge, was wir Sachverständiger Karsten Löffler (Head of FS- nicht aus den Augen verlieren sollten. UNEP Collaborating Centre for Climate & Stichwort „Verhaltensänderung“. Das ist, Frau Sustainable Energy Finance, Frankfurt School of Vogler, ein ganz wichtiges Thema. Auch multimo- Finance & Management gGmbH, Vorsitzender des dal zu denken – gerade im Verkehrsbereich – ist Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung): sicherlich ein ganz wichtiges Thema. Ich kann Dann fange ich an mit der Frage von Herrn Stein verstehen, dass man sich immer wieder aufs Kfz zum „nachhaltigen Konsum“. Es ist zum einen und die Industrie in Deutschland konzentriert. eine Frage entlang der sogenannten „Wertschöp- Man sollte auch in Corona-Zeiten, wo der öffentli- fungskette“ und der Bepreisung von Alterna- che Personennahverkehr nicht mehr ganz so stark tiventscheidungen. Das heißt, wir kommen genutzt wird, diesen Bereich nicht vergessen. Wir schlussendlich auch immer wieder da an, dass es werden auch wieder andere Zeiten sehen. Deswe- einen wirksamen CO2-Preis braucht, der aber si- gen hier die Weichen zu stellen, viel mehr auch in cherlich am Konsumenten auch von Kommunika- den öffentlichen Personennahverkehr und durch- tionsmaßnahmen begleitet werden muss, also Auf- aus auch in den Fernverkehr zu investieren, ist si- klärung, was ja auch schon lange passiert, aber da cherlich eine gute Idee. darf man nicht nachlassen, aus meiner Sicht. Zum Schluss, das war zwar an Herrn Lösch ge- Zu der Frage von Herrn Klare: Das Modell, das Sie richtet: Ist Nachhaltigkeit zu komplex? Meine beschrieben haben, finde ich interessant. Die Ta- These: Nein, ist es nicht. Viele Unternehmen ha- xonomie sieht vor, 50 Gramm CO2 pro gefahre- ben sich inzwischen soweit damit beschäftigt, nem Kilometer bis 2025, danach null Gramm C02, dass sie die Zusammenhänge sehr gut verstehen als Orientierungspunkt. Ich wollte das einfach nur und Lösungen parat haben. Es fehlt an vielen Stel- in Erinnerung rufen. Das ist das, was die Empfeh- len noch an der Zahlungsbereitschaft. lung der technischen Expertengruppe ist. Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Herz- Zur Frage der Umlenkung von Kapitalströmen. lichen Dank, und abschließend Herr Lösch. Das ist ein natürlicher Prozess, der sich im Mo- ment möglicherweise ein wenig beschleunigt. Wir Sachverständiger Holger Lösch (Stellvertretender hatten im Jahr 1900 auch Droschken auf der Hauptgeschäftsführer, Bundesverband der Deut- Straße. Im Jahr 1910 oder 1911 gab es davon keine schen Industrie e. V. (BDI)): Herr Stein, zu dem mehr, sondern nur noch Autos. Aber das heißt, von Ihnen angesprochenen Thema „Bereitschaft der Wandel ist sowieso immer auch Teil des Pro- zu höheren Preisen“. Da würde ich jetzt aufgrei- zesses. Man kann sicherlich auch schauen, ob fen, was Herr Löffler zuletzt gesagt hat. Das ist na- man an bestimmte Subventionen herangeht, die türlich ein vielschichtig gelagertes Thema. Die Be- Effekte haben und die hier im Widerspruch stehen reitschaft, intrinsisch motiviert, höhere Preise zu zu den Pariser Klimazielen. Also, ein bekanntes zahlen, ist auf allen Ebenen minder ausgeprägt, Beispiel ist ja die Bevorzugung von Diesel gegen- und ich würde auch sagen, es ist vielleicht wirk- über anderen Kraftstoffen für Kraftfahrzeuge. lich ein bisschen, wie Frau Vogler sagte, dass wir im Moment mehr persönliche Zeit zur Verfügung Zum Thema „Wasserstoff“ hat Herr Lösch bereits haben. Ich kann sagen, ich habe in den letzten etwas gesagt. Das Thema „nachhaltige Landwirt- Wochen wirklich nur Geld ausgegeben bei Firmen schaft“ ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger As- wie Edeka oder bei Obi. Alle anderen Ausgaben pekt, deswegen hatte ich es auch erwähnt. Wir ha-

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für Essen oder was auch immer, die fanden ein- An Frau Bauer gerichtet, noch mal zum Thema fach nicht statt. Das heißt, ich glaube, dass da ein- „Wasserstoffstrategie“. Also, ich muss Sie leider fach dann auch so ein bisschen Lustfaktor mit da- enttäuschen – „blauer“ und „türkiser“ Wasserstoff bei war, sich dann mal was zu gönnen, wenn man ist nicht so CO2-neutral wie „grüner“. Er ist zwar schon einmal einkaufen geht. Also, ob das eine relativ CO2-neutral, aber bei der Gasproduktion dauerhafte Entwicklung ist, da bin ich mir sehr oder -förderung und auch in den Verfahren ent- unsicher. steht natürlich auch noch ein gewisser Anteil an CO2. Also, es ist nicht 100 Prozent vergleichbar Zu Details der Autoprämie sage ich jetzt nichts. mit dem „grünen“ Wasserstoff. Ich finde es einen interessanten Punkt, und ich glaube auch, dass das, was die Automobilindust- Aber viel wichtiger ist das Thema „Partnerschaft“. rie vorgeschlagen hat, die Innovationsprämie, Wenn wir davon ausgehen, dass wir das global an- durchaus auch vielschichtiger ist als eine reine schieben müssen, dann werden wir in solche Part- „Abwrackprämie“. nerschaften wirklich investieren müssen. Es gibt eine Reihe von Partnern. Manche sind die „übli- Zu Herrn Glaser: Es wir ja jetzt keine Entschei- chen Verdächtigen“, die heute schon Energiepro- dung getroffen, nach dem Motto, der eine kriegt duktion betreiben und sich Gedanken machen, Geld und der andere kriegt kein Geld und stirbt was denn eine Perspektive/eine Alternative sein dann. Sondern ich verstehe ein Konjunkturpro- könnte. Andere sind sehr neu. Wir haben im Mo- gramm so, dass man versucht, möglichst große Ef- ment in Australien ein Projekt am Laufen, wo wir fekte zu erzielen, um Wertschöpfung wieder in alle Bestandteile einer solchen Partnerschaft Gang zu bringen, um dann ihrerseits natürlich durchspielen wollen. Gleichzeitig haben wir Pro- entsprechenden Effekte auf Kaufkraft, auf Kaufbe- jekte in Nordafrika. Das ist ein Thema, bei dem reitschaft und auf Beschäftigung zu erzeugen. sehr viel geredet wird. Aber auch der Mittlere und Darum geht es ja eigentlich. Ich glaube nicht, dass der Nahe Osten. Natürlich, in Asien als Ganzes wir hier eine Debatte darüber führen nach dem wird es eine Rolle spielen, aber wir sollten auch Motto, der eine kriegt Geld und der andere kriegt Osteuropa und auch Südamerika nicht aus den keins. Augen lassen. Chile z. B. hat sehr gute bzw. güns- Abg. Albrecht Glaser (AfD): Aber das ist doch ge- tige Möglichkeiten. nau der Sinn der Taxonomie, dass ich im Grunde Ich war auch Mitglied in der Regierungskommis- die Lenkung mache und genau nicht diese Offen- sion für „Klimaschutz im Verkehr“. Deswegen heit, die Sie gerade sagen. Das ist doch genau der sage ich jetzt zu den Potenzialen der Verkehrsver- Punkt. lagerung auf öffentlichen Fahrrad- und Fußver- Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Wir kehr nichts. Die sind nämlich um Lichtjahre ge- sind leider schon am Ende der Debatte. ringer als die anderen Potenziale beim Antriebs- und Brennstoffwechsel. Sachverständiger Holger Lösch (Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, Bundesverband der Deut- Aber ich würde gern natürlich noch mal zu Herrn schen Industrie e. V. (BDI)): Ich habe jetzt kein Zickenheiner etwas sagen. Also, erstens mal liebe flammendes Plädoyer für die Taxonomie gehalten. ich Glaubensbekenntnisfragen. Ja, das war eine Da haben wir selber viele Fragen dazu. Und Ent- von Ihnen, eine Glaubensbekenntnisfrage. Als In- lastungen können ja auch sehr unterschiedlich dustrie muss ich doch schauen, wie können Un- sein. Sie können materiell entlasten, Sie können ternehmen im Rahmen der politisch gewollten immateriell entlasten, durch Regulierungen, Ziele als Industrie weitermachen. Und so haben durch Steuern oder niedrigere Kosten, Abgaben wir auch diese Studie seinerzeit angelegt, die ja auf Strom oder was auch immer, und Sie können schon ein großer Benchmark war, wobei man uns natürlich auch fördern, indem Sie materiell för- natürlich da häufig auch so interpretiert hat, dass dern. Das heißt, das sind dann eher Zuschüsse, die Industrie sagt, es gehe alles. Was wir gesagt Subventionen, Investitionszulagen und solche haben, was wahrscheinlich mit viel Anstrengung Dinge. geht, auch volkswirtschaftlich positiv, war eine Reduktion auf 80 Prozent des CO2-Ausstoßes. Bei 95 Prozent hätte ich schon den Einwand gebracht,

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dass wir da eine große, sagen wir mal, eine ver- ich bei der These bleiben, dass es momentan kei- gleichbare globale Ambition bräuchten, weil sonst nen Aufwärtstrend global gesehen gibt. Das sage die Effekte nicht funktionieren werden. Ich ich persönlich ja nicht, aber man muss es trotz- glaube, „carbon-neutral“ ist noch mal ein anderes dem feststellen dürfen. Das ist eine uralte Diskus- Thema, aber ich bin an der Stelle auch völlig da- sion. Wenn die anderen nichts machen, machen von überzeugt, dass die Debatte um die negativen wir nichts. Nur die Frage muss doch erlaubt sein: Emissionen überhaupt gar nicht aufzuhalten ist. Machen wir es so, damit wir damit auch einen po- Wir werden mit einer reinen, sage ich mal, Ver- sitiven Effekt für uns haben oder ignorieren wir brauchsreduktion weder 80 noch 95 Prozent noch komplett, was der Rest der Welt macht? Ich finde, „carbon-neutral“ erreichen. Das wird aus meiner das ist nach wie vor eine legitime Fragestellung. Sicht nicht funktionieren, und das sagt ja auch der Vorsitzender Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vie- Internationale Ausschuss für Klimaänderungen len Dank. Wir werden die Fragestellung auch IPCC (engl. Intergovernmental Panel on Climate nicht abschließend lösen können. Ich bedanke Change, kurz: Weltklimarat). Das heißt, wir wer- mich ganz herzlich bei unseren Sachverständigen, den eine sehr wichtige Frage vorgelegt bekommen, bei Herrn Löffler und bei Herrn Lösch, für die wie wir es denn mit negativen Emissionen halten. Vorträge. Und ich glaube, es war ein sehr wichti- Und insofern glaube ich, dass das, wie wir uns ger Input in einer hochaktuellen Debatte. Natür- mit dem Thema beschäftigen, angemessen ist, mit lich müssen wir das Richtige jetzt auch richtig Blick auf das, was ein Industrieverband machen machen, und wir können feststellen, dass der muss. Also, den Vorwurf, Nachhaltigkeit sei zu Wettbewerb der Ideen heute hiermit offiziell eröff- kompliziert und wir würden nicht an dieses Ziel net ist, und der wird auch noch fortgesetzt wer- glauben, halte ich für verfehlt. Ich habe vorhin le- den. Herzlichen Dank dafür. Natürlich gibt es diglich gesagt, dass ich glaube, dass wir bei man- auch schon entsprechende Ideen, die ja schon chen Regeln, die wir haben, und bei manchen Re- kurz vor der entsprechenden Umsetzung sind. gularien und bei manchen Verfahren möglicher- Herzlichen Dank auf jeden Fall für den Input von weise auch mal ein bisschen weniger komplex Ihnen. Ich beschließe damit auch die öffentliche werden könnten, um wahrscheinlich denselben Beiratssitzung, bitte aber die Beiratsmitglieder, Effekt erreichen zu können. Aber grundsätzlich noch ganz kurz dazubleiben, damit wir die an- betrachte ich natürlich das Paris-Ziel als etwas, schließende Sitzung noch kurz durchsprechen was wirklich auch ein gemeinschaftliches Ziel können, da hier noch einige Punkte zu beschlie- von den Staaten darstellt, wie es vereinbart wor- ßen sind. Herzlichen Dank. den ist. Und ehrlich gesagt, wenn ich die Be- schlüsse des Volkskongresses der chinesischen Kommunistischen Partei (KP) anschaue, würde

Schluss der Sitzung: 19:36 Uhr

Dr. Andreas Lenz, MdB Vorsitzender

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