Imagination Und Simulation 14 Was Vom Menschen Übrigbleibt
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Imagination und Simulation 14 Was vom Menschen übrigbleibt „Kann es gelingen, Wissenschaft und Kunst wieder zusammenzuführen, Denken und Fühlen in Einklang zu bringen im ‚Reich des schönen Scheins‘? Jedenfalls müssen wir den Ver- such machen, den Menschen aus der Fessel des Objektivitätsprinzips zu befreien, so wie er sich aus den Fesseln der Natur befreit hat. Nicht durch Umstoßen des Objektivitätsprinzips, sondern durch Überwinden auf höherer Ebene muß der Mensch wieder „lebende Gestalt“ ge- winnen. Vielleicht wird er dann ohne Entsagung und intellektuelle Opfer verzichten können zugunsten eines wahren Fortschritts.“ Friedrich Cramer 1975 Ausgangspunkt der Überlegungen zu diesem Buch war die Krisenstimmung westlicher Gesellschaften des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts und die daraus resultierende Zu- kunftsangst, die Giddens als diffuse Ängstlichkeit bezeichnet, weil es sich um eine Angst handelt, die ihr Objekt verloren hat und im schlimmsten Fall zu Lähmungserscheinungen und Pathologien bei Individuen führen kann. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies über À lmische Verarbeitungen untersuchen. Filme gehören seit dem 20. Jahrhundert zu den bedeutenden Leitmedien der Gesell- schaft. In ihren Filmen greifen Filmemacher gesellschaftlich relevante Themen auf, inter- pretieren und kommentieren sie, setzen Themenschwerpunkte und beeinÁ ussen damit ganz wesentlich das Denken über und das Handeln in der Gesellschaft. Es handelt sich hierbei um eine Wechselwirkung zwischen Spiegelung von gesellschaftlichen Prozessen und Konstruktion oder Erschaffung von Wissen über die Gesellschaft. Im Bereich der gesellschaftlichen Zukunft, die aufgrund ihrer Handlungsrelevanz sehr bedeutend für die soziologische Forschung ist, verhält sich dies ein wenig anders. Die gesellschaftliche Zu- kunft lässt sich nicht beobachten und entsprechend kommentieren. Lediglich lassen sich gegenwärtige gesellschaftliche Tendenzen beobachten und darüber nachdenken, wie sie sich wohl weiterentwickeln könnten. Gleichzeitig kann sich der Filmemacher an den in der Gesellschaft vorhandenen Zukunftsvorstellungen bedienen. Letztendlich versuchen ZukunftsspielÀ lme gesellschaftliche Zukunft zu imaginieren, d.h. Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie eine mögliche Gesellschaft der Zukunft aussehen könnte und machen damit das Abwesende präsent. Diese Objektivierungen der Zukunft speisen sich zum einen aus gesellschaftlichem Wissen und zum anderen aus der Vorstellungskraft der Fil- memacher, die dadurch selbst in gewisser Weise Wissen über die Zukunft produzieren, welches gleichsam unsere eigenen Vorstellungen über Zukünftiges beeinÁ usst. Betrach- tet man die gesellschaftlichen Diskurse des 20. Jahrhunderts und auch die soziologische Forschung, so fällt auf, dass die Beschäftigung mit der Zukunft nicht nur ein sachliches L. Akremi, Kommunikative Konstruktion von Zukunftsängsten, DOI 10.1007/978-3-658-10954-7, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 620 14 Imagination und Simulation in Erfahrung bringen darstellt, was denn als nächstes passieren wird. Krisen- und Risiko- diskurse sowie tagtägliche Schreckensmeldungen aus aller Welt provozieren eher dystopi- sche Zukunftsvorstellungen und die daraus resultierenden Zukunftsängste beziehen sich sowohl auf die gesellschaftliche als auch auf die persönliche Zukunft. Aktuelle Beispiele kann man sich fast sparen: Finanzkrise, Atomunfall, Virenepidemien, Kriegshandlungen, Terrorismus und Fundamentalismus. Dystopische ZukunftsÀ lme denken Krisen und Ri- siken zu Ende und lassen sie in der Zukunft als gesellschaftliche Katastrophen enden. Sie können die Imaginationen der dystopischen Zukunft aufgrund der Audiovisualität des Mediums auf eindringlichste Weise vergegenständlichen und erreichen damit eine Brei- tenwirkung, wie es weder auf die moderne Zukunftsforschung oder etwa die dystopische Literatur zutrifft. Das Aufgreifen von gegenwärtig als problematisch errachteten gesell- schaftlichen Entwicklungen, die Thematisierung latenter gesellschaftlicher Zukunftsängs- te und die Generierung von Zukunftsbildern und Zukunftswissen machen diese Filme soziologisch relevant und ihre intensive Untersuchung bildete deshalb den Gegenstand dieser Arbeit. In der Radikalität der dystopischen Vision wird zudem besonders deutlich, wie es um die menschliche Gesellschaft steht und worauf sie sich hinbewegen könnte. Der Fokus lag neben der Betrachtung der kommunikativen Konstruktion von Zukunftsängsten auf persönlichen Identitäten und zwar verstanden als sozial konstruiert im Wechselspiel zwischen den Erfahrungen des Menschen mit anderen Menschen und den gesellschaft- lichen Angeboten zur Verortung des Individuums. Identität ist dabei nichts Statisches, sondern die Verortung in der sozialen Welt wandelt sich im Lauf der eigenen Biographie von der Vergangenheit bis zur antizipierten Zukunft durch ständige Anpassungsprozes- se. Diese Verknüfung zwischen dystopischer Zukunft und persönlicher Identität wurde deshalb eingenommen, weil zum einen die Bedrohung der Identität zentraler Bestandteil der Krisen- und Risikodiskurse ist und daher auch wesentlich in den Filmen zum Tragen kommt. Zum anderen bildet das Identitätskonzept aber auch eine bedeutende Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Es war ein Anliegen der Arbeit, sowohl die ima- ginierten zukünftigen gesellschaftlichen Strukturen als auch das Handeln der Individuen in den Blick zu bekommen. Filme können demnach als Objektivationen gesellschaftlicher Wünsche, Hoffnungen oder Ängste gelten. Mit der Vergegenständlichung diffuser Ängst- lichkeit gegenüber zukünftigen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, werden Ängste prinzipiell verhandelbar im Sinne von gesellschaftlicher SelbstreÁ exivität. Bezogen auf das Thema des vorliegenden Buches ließen sich aus der Stichprobe von 145 dystopischen ZukunftsÀ lmen ab den 1950er Jahren vier übergeordnete Rahmun- gen mit Untertypen herausarbeiten, die als Zukunftsangstszenarien konstruiert wurden: „Einschränkung der individuellen Freiheit – Totalitarismus“, „Super-Gau – Ausrottung der Menschheit durch Krieg und Natur“, Konkurrenz zwischen Mensch und Technik – Herrschaft der Technik, Menschliches Ebenbild und Simulation“ sowie „Eskalation von Gewalt – Gewaltverdrängung und Gewaltverherrlichung“. Jedes dieser idealtypischen Katastrophensettings konstruiert die Entwicklung zur bedrohlichen Zukunft, die gesell- schaftliche Rahmung und die Handlungsalternativen auf ganz speziÀ sche Weise. Diese vier thematischen Rahmungen konnten in einem weiteren Schritt auf einer Hauptdimen- 14 Imagination und Simulation 621 sion der Zukunftsangst eingeordnet werden, die ich als „Selbstverschuldete Entmenschli- chung“ bezeichne. Die Extrempole dieser Dimension können als Übergewicht der Ratio- nalität auf der einen und Übergewicht der Emotionalität auf der anderen Seite bezeichnet werden. Sobald Gesellschaften zum einen oder anderen Extrempol tendieren, beÀ nden sie sich in der Krise und auf dem Weg zur Katastrophe. Dies können soziale, techni- sche oder durch Natur hervorgerufene menschenverursachte Katastrophen sein. Die the- matischen Rahmungen des „Totalitarismus“ und der „Konkurrenz zwischen Mensch und Technik“ haben dabei die Gefahren des Überschusses an Rationalität aufgezeigt, während die Settingtypen „Super-Gau – Ausrottung der Menschheit durch Krieg und Natur“ sowie „Eskalation der Gewalt – Gewaltverdrängung und Gewaltverherrlichung“ die Folgen der unkontrollierten Emotionalität demonstrierten. Die Welt stürzt einerseits in eine totale Überregulierung, die das Individuum vollständig erdrückt oder in ein totales Chaos, in dem es nur noch den nakten Kampf ums Überleben gibt. Wie weitreichend die Einschnitte für die persönliche Zukunft sein können und welche Auswirkungen dies auf die Identität des Menschen haben, wurde ausführlich beschrieben. Dabei zeigte sich auch, dass die zukünftigen gesellschaftlichen Katastrophen, egal in welche Richtung, immer mit einer Mutation der modernen Menschen einhergehen, die nicht wünschenswert ist. Ich möchte nun abschließend auf drei Aspekte eingehen. Der erste Aspekt befasst sich mit der Frage der Bewertung und Verbindlichkeit dieser À lmischen Konstruktionen ge- sellschaftlicher Zukunftsängste. Der zweite Aspekt zielt auf das Verhältnis der Szena- rien zur Realgesellschaft ab und daran anknüpfend stellt sich letztlich die Frage der Weiterführung, sowohl für die Gesellschaft als auch für die wissenschaftliche Beschäf- tigung. Betrachtet man die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Menschen entwickelt haben, um Vorstellungen von Zukunft zu generieren noch einmal genauer, dann lässt sich Folgen- des feststellen. Die Prophetie beschäftigte sich mit der deterministischen Festlegung der Zukunft durch den Willen und Plan Gottes. Dabei dienten die Prophezeiungen innerhalb der symbolischen Sinnwelt des Religiösen als Rechtfertigungen für Krisen. Gleichzeitig stellte die Prophetie auch ein Machtmittel dar, sowohl zur Beherrschung der Menschen als auch zur Beherrschung der Gegenwart. Die Utopien hingegen dienten der Imagination alternativer Wirklichkeiten mit der Möglichkeit sie zu realisieren. Aus den nicht wün- schenswerten gesellschaftlichen Verhältnissen sollten wünschenswerte entstehen. Und wenn das Privateigentum ein Problem darstellt, dann könnte man es abschaffen und sich überlegen, zu welchen Konsequenzen dies führt. Insofern ist auch hier eine BeeinÁ ussung der Gegenwart durch die Zukunftsvorstellungen geplant, denn nur durch das konkrete Handeln in der Gegenwart, lässt sich die wünschenswerte Gesellschaft verwirklichen.