innovative | Zeitschrift des Frauenwerks der Nordkirche | Nr. 34 2019 innovative 34

● 70 Jahre Weltgebetstag ● Lernhaus der Frauen ● 5 Jahre Segelreisen ● 219a: Paragraf und Protest ● Der Gewalt begegnen – Tansania Inhalt | Impressum innovative 34 | 2019 2

Inhalt

Editorial ...... 3 Und außerdem Landesverdienstorden für Gudrun Riedel ...... 21 Anstoß Jubiläum: 25 Jahre LuK ...... 22 Lust und Last der Sprache ...... 4 Kolumne: Meine Zeit mit Oprah Winfrey ...... 23 Projekte/Aktionen Dialog erleben: Das „Transkulturelle und Nachrufe ...... 24 interreligöse Lernhaus der Frauen“ ...... 5 Über die Brücke gehen: Buch-Tipps Interview mit zwei Lernhaus-Teilnehmerinnen ...... 6 Vier fürs Klima ...... 25 Ein Bonbon zum Geburtstag: Unerschrocken ...... 25 70 Jahre Weltgebetstag in Deutschland ...... 7 Nichts, was uns passiert ...... 26 Bewegung im Team von contra ...... 8 Ich habe Licht gebracht ...... 26 Resolution zur Abschaffung von Paragraf 219a ...... 9 Das geraubte Glück ...... 27 5 Jahre Segeln bei FrauenReisen Hin und weg ...... 10 Momente der Ergriffenheit ...... 27 Abschied von zwei engagierten Reiseleiterinnen ...... 11 Bildungsbüdel der Kampagne Saubere Kleidung ...... 11 Erfolgreiche Stifte-Sammelaktion ...... 12 Das Blog zum Jahresthema 2018 - 2019 ...... 12 Projekt Myriam: Hilfe in der Heimatsprache ...... 13 Um-Care zum Leben: Buch zum Thema Sorgearbeit ...... 13 Frauenwerk beim Tag der Organspende ...... 14 Neue Perspektive: Solidarität mit Frauen aus Tansania ...... 14 Gemeinsam unterwegs: Frauen aus der Nordkirche und der Jeypore-Kirche ...... 16 Umbau des Mütter-Kurheims Gode Tied ...... 17 Tipp Leicht & Sinn: Neues Magazin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer ...... 17

Interview mit Daniela Konrädi, Pastorin und Afrodeutsche ..... 18

Aus den Frauenwerken Sichtbar sein! Workshop zu gerechter Sprache ...... 20 Glaubensatelier: Biblische Worte kreativ entdecken ...... 20 Gegen die Plastikflut ...... 21

Impressum innovative 34 Zeitschrift des Frauenwerks der Nordkirche Titelfoto © Susanne Rickert November 2019 Druck www.druckzentrum-neumuenster.de Redaktion Inke Pohl, Fon 0431 55 779 105 Klimaneutral gedruckt – Mobil 0151 2007 2573, [email protected] CO² -Emissionen neutralisiert gem. Kyoto-Protokoll. Herausgeberin Frauenwerk der Nordkirche Auflage 13.000 Exemplare Gartenstraße 20, 24103 Kiel, Fon 0431 55 779 100 [email protected], www.frauenwerk.nordkirche.de Redaktionsschluss für die innovative 35 15. März 2020 Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten, evtl. zu kürzen. Nachdruck nur auf Anfrage mit Quellenangabe und Belegexemplar. Gestaltung und Illustrationen Susanne Adamek, Kommunikation & Design 3 innovative 34 | 2019 Editorial | Leser*innen-Forum

Liebe Leser*innen,

nach langer Zeit gibt es wieder eine Innovative. Es ist bereits die 34. Ausgabe! Annette von Stritzky hat 33 Ausgaben mit viel Leidenschaft betreut, 2018 durfte ich ihren tollen Job als Presse- und Öffentlichkeitsreferentin übernehmen. Aktuell informiert Gern wollen wir Sie auch mit unseren digita- Das Frauenwerk der Nordkirche hat sich auch an anderer Stelle len Angeboten erreichen. Bitte schreiben personell verändert. Anfang 2019 hat Susanne Sengstock die Sie uns unter [email protected], Leitung übernommen, als ihre Nachfolgerin auf der 2. Pfarrstelle wenn Sie per E-mail oder Newsletter von hat Katja Hose seit September nun ihr Büro in Kiel. Und nach uns hören wollen! langer Zeit haben wir Bärbel Rimbach – ebenfalls stets engagiert für die Inno tätig – in den Ruhestand verabschiedet. Im Sekretariat Das Jahresprogramm 2020 in Kiel erreichen Sie nun Monika Lorengel und Ruben Gamula. ist soeben erschienen! Wie immer finden Sie darin ausführliche Infos zu unseren Also – neue Zeiten! Das gilt auch für Seminaren, Veranstaltungen und Reise- die Öffentlichkeitsarbeit. Digitale angebote, die sofort Lust aufs Koffer- (oder Medien, social media und ein hoher Seesack) -Packen machen. Anspruch an Aktualität werden – nicht nur im Frauenwerk – immer wichtiger. Das Programm können Sie bei uns So erreichen wir schnell und nach- bekommen: Fon 0431 55 779 100, haltig viele, die an unserer Arbeit, der [email protected] Vielfalt unserer Angebote oder an

Foto: Eggers/Nordbild Foto: gesellschaftlichen Diskussionen rund um Frauenthemen interessiert sind. Die Inno wird daher künftig unregelmäßiger und nicht mehr zweimal im Jahr erscheinen. Unsere homepage www.frauenwerk.nordkirche.de wird Sie dafür noch abwechslungsreicher, aktueller und mit neuen Funktionen informieren – im Laufe des Jahres 2020 im frischen, runderneuer- ten Design. Darauf sind wir selbst schon sehr gespannt!

Bis dahin viel Freude mit der Inno 34. Erfahren Sie, wie Frauen im Transkulturellen und interreligiösen Lernhaus gemeinsam arbeiten, wie es verbindet und Mut macht. Erleben Sie rückblickend die bunte Feier zu 70 Jahre Weltgebetstag und lassen Sie sich wie immer von sorgfältig ausgewählten Buchtipps inspirieren!

Herzlichst Ihre

Inke Pohl

Unser Konto Frauenwerk der Nordkirche IBAN: DE16 5206 0410 0206 5650 00 BIC: GENODEF1EK1 Evangelische Bank eG, ‚innovative‘ Wir danken sehr für alle Spenden! Anstoß innovative 34 | 2019 4

Lust und Last der Sprache Auszüge aus der Dialogpredigt von Susanne Sengstock, Leitung, und Inke Pohl, Öffentlichkeitsreferentin, zu ihrer Einführung am 3. Juni 2019

Inke Pohl: Susanne? In dem Bibelzitat für unsere Einladung heißt ich nenne mal NRW oder GroKo. Aber ein Sternchen und ein „in“ es: „Steh auf, für dich, meine Freundin!“ Warum eigentlich „für dich“ ist für viele undenkbar. in Kommata? Ich habe in der Bibel in gerechter Sprache nachge- sehen. Hier heißt es „Steh auf, meine Freundin, und geh! Steh auf, Susanne: Anstöße zur Veränderung zu geben, ist halt oft anstößig. für dich, meine Freundin klingt ja etwas sperrig. Aber du hast dir Aber genau diese Anstößigkeit gefällt mir im Frauenwerk. Wie ver- bei der Auswahl der Übersetzung sicher etwas gedacht? stehst du den Satz „Steh auf, für dich, meine Freundin“?

Susanne Sengstock: Diese Übersetzung hat mir Nancy Rahn bei- Inke: „Steh auf“ meint, sich zu erheben, aber nicht sich ÜBER ande- gebracht, als wir mit ihr zum evangelischen Frauensonntag zum re zu erheben. Ich höre den Appell, sich aus der Trägheit aufzu- Hohenlied gearbeitet haben. Ich war total verzweifelt, weil ich machen, Veränderungen anzustoßen. Dafür steht das Frauenwerk die hebräischen Formen einfach nicht übersetzt bekam. Was soll der Nordkirche. Sprache und Worte zu finden in Bildungsangebo- so eine Verbindung von lamed und kaph nach dem Verb? Nancy ten. Räume zu öffnen. Impulse Kreise ziehen zu lassen – um zu Rahn meinte, das sei typisch im Hebräischen. Damit wird betont, zeigen, was das christliche Sein heute bedeutet. Auch abseits des dass etwas für sich selbst getan werden kann. Und dann habe ich Gewohnten, dort, wo es nötig ist: In Hinblick auf Ausbeutung, Ge- mich erinnert: Genau diese grammatikalische Verbindung gibt es walt oder Fluchterfahrungen – gemeinsam daran zu arbeiten, dass auch in Gen. 12. Dort spricht Gott Abraham an: Lech – lecha! Geh das offensichtlich Ungerechte öffentlich wahrgenommen wird. los! ... Was ich sonst nur als Apell gehört habe … ist noch viel Einen kleinen Schritt zu gehen, aus dem vielleicht eine Kraft ent- mehr als das. Es geht nicht darum, dass Abraham losgeht, weil er steht, die andere weiterträgt. Letztlich ist dies nicht nur ein Einsatz Gott gehorcht. Gott wirbt um Abraham, Gott lockt. Genauso ist es für die von Unrecht Betroffenen, sondern für alle Menschen. auch im Hohenlied. Da wirbt der Freund um seine Freundin, dass sie zu ihm kommt. Es liegt an ihr, welche Schritte sie geht. Zwei Susanne: Damit bist du ganz nah beim biblischen Gerechtigkeits- Buchstaben – aber sie können sogar das Gottes- und Menschen- verständnis. Biblische Gerechtigkeit weiß: Wenn echte Teilhabe bild verändern. fehlt, dann schadet das allen. Fehlende Gerechtigkeit ist nicht nur das Problem von Armen oder Benachteiligten, sondern auch von Inke: Aber ungewohnt klingt es trotzdem. Das ist im Frauenwerk Reichen und allen, denen es gut geht. Unrecht beschädigt alle Mit- aber nichts Außergewöhnliches. Unser Anspruch auf geschlechter- glieder der Gemeinschaft. Im Hohelied der Liebe macht der Freund gerechte Sprache ist für viele anstrengend, mitunter gar lästig. seiner Freundin Mut ... Aber er macht sie nicht zum Objekt seiner Aber Sprache schafft Wirklichkeit! Eine gendergerechte Sprache Liebe, er sieht sie als Subjekt, das Befriedigung erlangt, wenn sie ist wichtig, damit Veränderungen wirklich geschehen können. Eine zusammen sind. Studie der TU Braunschweig hat ergeben, dass Texte in geschlech- terbewusster Sprache genauso verständlich seien wie die mit nur Für uns leite ich davon ab: Was können Frauen erreichen, wenn einer Geschlechtsform. Übrigens hat die kurze Unterbrechung, also sie aufstehen, nicht weil sie anderen gerecht werden oder alles ein „gendergap“ – wie vor Besucher*innen – in der Phonetik einen recht machen wollen, sondern weil sie es für sich selbst als richtig Namen: Es ist das stimmlose glottale Plosiv, auch Glottisschlag sehen. Und wenn Frauen zusammen aufstehen, was für eine Kraft genannt – und kommt auch in The*ater, Er*innern etc vor. Journa- kann dann entstehen: Heilige Kraft. list*innen sind so findig, sich kurz und prägnant auszudrücken –

„Unser Anspruch auf geschlechtergerechte Sprache ist für viele anstrengend, mitunter gar lästig. Aber Sprache schafft Wirklichkeit!“ Inke Pohl 5 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Dialog erleben Das Transkulturelle und interreligiöse Lernhaus der Frauen

Ein Abend im Gemeindehaus der Christianskirche in Hamburg- An diesem Abend ist das Thema Geschlechterrollen dran. In Klein- Ottensen. Langsam füllt sich der Saal mit Frauen. Sie begrüßen sich gruppen tauschen sich die Frauen zu ihren Erfahrungen mit ihrer auf arabisch, deutsch und englisch und stellen die mitgebrachten Rolle aus. Sie erzählen sich gegenseitig von Erwartungen, die ihnen Speisen auf den Tisch. Manche haben sichtbar einen Migrations- begegnet sind, von Grenzen, auf die sie gestoßen sind, und was hintergrund, manche tragen ein Kopftuch, manche sind hellhäutig. sich verändern soll. Von Mitte 20 bis Mitte 60 ist alles dabei. Einige der Frauen kommen aus Syrien und haben eine Fluchtgeschichte, unter ihnen gibt es In der anschließenden großen Runde wird deutlich, dass es diese Christinnen und Musliminnen. Andere Frauen haben Wurzeln in Erwartungen und Grenzen in Syrien ebenso gibt wie in Deutsch- Guinea oder im Iran, leben aber schon lange in Hamburg. land oder in Guinea. Überall sind Frauen in der Situation, dass sie die Hauptlast der Sorgearbeit in den Familien tragen und bis Sie alle sind hier, um miteinander und voneinander etwas über zur Erschöpfung arbeiten, vor allem, wenn sie auch berufstätig den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religio- sind. Eine syrische Teilnehmerin macht deutlich, wie wichtig eine nen zu lernen. Sie sind Teilnehmerinnen an einer Langzeitfort- gute Bildung und Ausbildung für Frauen ist, damit sie unabhängig bildung, dem Transkulturellen und interreligiösen Lernhaus der von Männern sein können. Es wird klar, dass das Kopftuch dafür Frauen – mit dem Ziel, Multiplikatorin für eine offene und tole- kein Hinderungsgrund ist. Jede der syrischen Frauen hat bereits im rante Gesellschaft zu werden. Ein Jahr lang treffen sie sich einmal Heimatland ein Studium absolviert oder studiert hier. Die Frauen im Monat, um gemeinsam einen Dialogprozess zu gestalten. Das lernen unterschiedliche, aktuelle Positionen aus dem feministi- Besondere am Lernhaus ist, dass es kein festes, vorgegebenes schen Diskurs kennen, von Alice Schwarzer bis Judith Butler und Lernprogramm gibt, sondern dass die Gruppe die Themen selbst der muslimischen Feministin Amina Wadud, und diskutieren sie bestimmt. engagiert. Sie lernen, dass es auch hier eine Vielfalt gibt und nicht „den Feminismus“. Am Beginn des Lernhauses steht – als methodische Grundlage – eine Einführung in Regeln für einen Dialog auf Augenhöhe und Es sind immer Themen, die für die Frauen existentiell sind und für die Arbeit mit den eigenen Biographien. Daran anschließend nicht in wenigen Stunden geklärt werden können. Dennoch gehen erarbeiten die Frauen einen Themenpool für die weiteren Treffen. alle, bereichert durch den Austausch, mit vielen guten Ideen und In diesem Kurs sind es u.a. Familie im Kontext von Migration und Impulsen nach Hause. Sie werden die Fragen weiter bewegen. Das Flucht, Erwerbs- und Sorgearbeit, Rassismus, Spiritualität, gesell- Lernhaus bringt Empowerment für die einzelne Frau und einen schaftliches Engagement und Integration. Die jeweiligen Themen- wichtigen Beitrag für das Zusammenleben, gerade in Zeiten, abende werden von dem Projektteam vorbereitet, doch auch die in denen die Spaltung der Gesellschaft zunimmt: In Teile, die Teilnehmerinnen bringen ihre Kompetenzen ein. Immer geht es gemeinsam Wege für ein gleichberechtigtes Zusammenleben gleichermaßen darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken und ande- aller Kulturen suchen und in Teile, die dies ablehnen. re Perspektiven kennenzulernen. Auch darum, Unterschiede wahr- zunehmen und auszuhalten. Irene Pabst

Das Transkulturelle und interreligiöse Lernhaus der Frauen startete 2005 als bundesweites Modellprojekt in Berlin, Köln und Frankfurt/Main. In Hamburg gab es seit 2011 fünf Durchgänge. 2019 haben weitere Lernhäuser begonnen oder sind in Planung.

Die Lernhäuser finden in Kooperation des Frauenwerks der Nord- kirche, des Frauenwerks des Ev.-Luth. Kirchenkreises Hamburg- West/Südholstein, der Arbeitsstelle interkulturelle Kirche des Ev.-Luth. Kirchenkreises Hamburg-Ost, der Ökumenebeauftragten der Nordkirche und des Fachrats für Islamische Studien Hamburg e.V. statt. Für weitere Auskünfte steht Irene Pabst zur Verfügung: 040 – 306 20 1360, [email protected]. Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 6

Über die Brücke gehen liche und friedliche Atmosphäre war bemerkenswert, vor allem im gemeinsamen Beginn und Abschluss der Treffen. Inas Sharif ist seit 2017 in Hamburg. Sie kommt aus Syrien, hat dort als Lehrerin gearbeitet und möchte auch Was half dabei, diese besondere Atmosphäre zu schaffen? hier unterrichten. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. Inas: Ich denke, das war die Aufrichtigkeit der Frauen. Keine hat ihre Friederike Brandtner kommt aus Süddeutschland, lebt Gefühle versteckt. Und die Frauen vom Vorbereitungsteam haben seit 1993 in Hamburg und hat zunächst ein Studium der es mit dem Herzen gemacht, das war zu spüren. Vertraulichkeit war Kunstgeschichte und evangelische Theologie begonnen. ganz wichtig, damit war das Lernhaus wie ein sicheres Zuhause für Heute studiert sie Religionswissenschaften und katholi- uns. Ich konnte einfach ich sein, wurde akzeptiert mit meinen Stärken sche Theologie. Irene Pabst hat die beiden Frauen gefragt, und Schwächen. Als Geflüchtete erleben wir viel Sympathie und wie das Lernhaus in ihnen nachwirkt. Mitleid, ich empfinde das so, dass mich das auch klein und schwach macht. Im Lernhaus war es anders, die Haltung war: Ich möchte Dir Was war Eure Motivation, am Lernhaus teilzunehmen? helfen, und wir gehen gemeinsam, Hand in Hand, um etwas zu errei- Inas: Ich wollte andere Frauen treffen und andere Denkweisen ken- chen. Deswegen bin ich immer wieder zu den Treffen gekommen, nenlernen. Ich bin eine offene Person und mochte das Konzept, auch bei Wind, Regen und Schnee. Ins Lernhaus zu kommen, war für Frauen aus anderen Kulturen und Hintergründen zu treffen. Ich mich wie ein offenes Fenster in meinem Leben, ich konnte frei atmen. war noch nicht so lange in Deutschland und wollte mehr darüber Friederike: Für mich war das Besondere, dass wir Zeit füreinan- wissen, wie die Deutschen denken und handeln, um Missverständ- der hatten und uns regelmäßig getroffen haben. Wir haben uns nisse zu vermeiden. gegenseitig gestärkt. Ich habe mich selbst auch noch einmal neu Friederike: Ich beschäftige mich in der Uni mit dem interreligiösen kennengelernt und Frauen aus Kontexten, die ich sonst nicht ken- Dialog und wollte, dass das nicht nur Theorie ist, sondern auch ge- nengelernt hätte. Ich habe Vielfalt erlebt und entdeckt, dass das lebte Praxis. Lernen miteinander viel Spaß macht.

Welche Erfahrungen habt Ihr im Lernhaus gemacht? Wo könnt Ihr einsetzen, was Ihr im Lernhaus gelernt habt? Inas: Ich kam in Interaktion mit Frauen aus unterschiedlichen Län- Inas: Überall, wo ich mit Frauen aus anderen Kulturen zusammen- dern, Traditionen und Religionen, ich habe mit ihnen gesprochen, treffe. Ich kann meine Haltung zeigen und so dazu beitragen, dass wir teilten unsere Erfahrungen, Ideen und Sichtweisen. Ich habe so sie weniger Angst vor Begegnungen haben und andere leichter viel über ihre Kulturen und über Deutschland gelernt. Ich bin da- akzeptieren. Es hilft mir auch in meinem Alltag, weil auch bei mir durch noch weltoffener geworden. die Angst vor Anderen einfach wegschmilzt, kulturelle und sprach- Friederike: Bei mir hat das Persönliche anfangs nicht so sehr im Vor- liche Barrieren lassen sich überwinden. Diese Erfahrung möchte dergrund gestanden, aber mittlerweile würde ich sagen, dass es ich gerne auch anderen Geflüchteten weitergeben: Es ist möglich, von den Erfahrungen her im Verhältnis fünfzig fünfzig ist, ich habe über die Brücke zu gehen. Und ich hoffe, dass es mir auch zukünf- auch tolle persönliche Erfahrungen gemacht. Meine Erwartung hat tig bei meiner Arbeit als Lehrerin oder auch anderswo helfen wird. sich erfüllt. Und es sind Freundschaften entstanden. Friederike: Ich begleite Menschen im Kirchenasyl und kann das Gelernte dort ganz konkret anwenden. Und ich möchte meine Er- Was ist das Besondere am Lernhaus für Euch? fahrungen in einer Hausarbeit an der Uni über den christlich-isla- Inas: Ich habe viel darüber nachgedacht und herausgefunden, mischen Dialog einbringen. Es hat auch privat Auswirkungen auf

dass die Antwort Liebe ist. Es gibt viele Orte, wo wir etwas lernen mich, weil ich mich verändert habe. Ich habe mich gezeigt, wie ich Foto: Irene Pabst können, aber das Besondere im Lernhaus war die Energie der das weder an der Uni noch im Kirchenasyl machen würde. Liebe, die von jeder ausging wie ein Fluss. Niemand war verpflich- tet zu kommen, und dennoch kamen fast immer alle. Die freund- Herzlichen Dank für dieses Interview!

„Das Lernhaus war wie ein sicheres Zuhause für uns.“ Inas Sharif

Friederike Brandtner (links) und Inas Sharif 7 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Ein Bonbon zum Geburtstag Die Nordkirche feiert: 70 Jahre Weltgebetstag in Deutschland

Vor 70 Jahren wurde in Stein bei Nürnberg die erste deutsche Unser WGT-Bonbon war ein runder Tag, der vielen Frauen Spaß Weltgebetstagsliturgie erarbeitet. Eine der Wegbereiterinnen der gemacht und in ihrer ehrenamtlichen Arbeit bestärkt hat. Anläss- deutschen Weltgebetstagsbewegung ist Antonie Nopitsch vom lich des Jubiläums haben wir auf dem WGT-Bonbon auch eine Bayrischen Mütterdienst. Sie reiste 1948 in die USA und lernte dort Ausstellung zum Weltgebetstag eröffnet. Diese besteht aus acht die völkerverbindende Kraft des Weltgebetstags kennen. Von ihrer Schwarz-Weiß-Porträts von Frauen aus der WGT-Bewegung, die Erfahrung berichtete sie: „Geld und Gut hab ich nicht mitgebracht, über ihre Faszination von dieser spannenden ökumenischen Arbeit aber etwas anderes, das auf die Dauer unvergänglicher ist: Im berichten. Außerdem informieren Texttafeln über die Geschichte nächsten Frühjahr sind die deutschen Frauen zum ersten Mal her- des Weltgebetstags. eingenommen in den Weltgebetstag der Frauen. Am ersten Frei- Julia Lersch tag in der Passionszeit beten die Frauen in 135 Ländern der Erde, und wir beten nun mit. Es ist fast so, dass man mitten in der Nacht Die Ausstellung 70 Jahre Weltgebetstag davon wach wird, dass die Frauen im Fernen Osten schon beten.“ in Deutschland kann über das Frauenwerk (aus: „Ein Freitag im März“, hg. von Angelika Schmidt-Biesalski) der Nordkirche ausgeliehen werden. Kontakt: 0431 55 779 101. Der Geburtstag war für uns ein Grund zu feiern. So luden wir Multiplikatorinnen der WGT-Arbeit aus der Nordkirche zu einem „WGT-Bonbon“ ein. Vor und nach gutem Essen, vertrauten Lie- dern und einer Tombola hörten wir von ehemaligen Landesreferen- tinnen, wie sie ihre Zeit auf den WGT-Werkstätten erlebt haben. Sie erzählten auch, was sich seitdem in ihren Heimatländern Surinam, Bahamas und Philippinen verändert hat. Dr. Irene Tokarski von der Geschäftsstelle des Weltgebetstags erklärte uns, wie heute eine Weltgebetstagsordnung und Arbeitsmaterialien entstehen.

Besonders begeistert hat uns der Vortrag von Dr. Kudzai Biri. Sie ist Dozentin für Christliche Theologie und theologische Lehre der Kirchen in Simbabwe an der University of Zimbabwe, Harare. Der- zeit arbeitet sie mit einem Alexander-von-Humboldt-Stipendium im Forschungsprojekt Bible in Africa Studies der Universität Bam- berg. Kudzai Biri schilderte, wie die Kirchen in Simbabwe Bibel- worte nutzen, um patriarchale und unterdrückende Strukturen zu rechtfertigen. Als Beispiel nannte sie den Brief des Paulus an die Galater, Kap. 5, und das Buch der Sprüche, 31. Biris Antwort da- rauf: „Frauen müssen darin bestärkt werden, die Bibel selbst zu lesen und zu interpretieren – in Weisen, die ihnen Stärke, Mut und Weisheit geben, um den täglichen Herausforderungen zu begegnen. Weil das Lesen der Bibel entweder die Macht dazu

Foto: Susanne Rickert Susanne Foto: gibt, zu unterdrücken oder zu bestärken.“

„Das Lernhaus war wie ein sicheres Zuhause für uns.“ Inas Sharif

Judith Dors, Dr. Kudzai Biri, Madeline Carter-Lindemann und Dr. Irene Tokarski (v.l.) Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 8

Bewegung im Team von contra Jozefa Paulsen und Svenja Schindler auf neuen Wegen

Bei contra ist im April 2019 eine Ära zu Ende gegangen: Nach Der Weggang von Jozefa ist für alle eine große Zäsur – auch bei 20 Jahren haben wir Jozefa Paulsen in den Ruhestand verab- cara*SH, der Fachberatungsstelle für Prostituierte in S-H. „Wir schiedet. Sie war seit der ersten Stunde Beraterin der Fachstelle hätten Jozefa am liebsten eingesperrt, damit sie bleibt und uns in gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein und auch davor schon der Beratung coachen kann“, hörten wir die Kolleginnen dort öfter gefragte Expertin für das Fachgebiet – seit 1996, beim ersten Run- seufzen. Über eines freuen wir uns: Dass in so vielen Bereichen den Tisch Frauenhandel, der auf Initiative des Nordelbischen Frau- unserer Arbeit Jozefas Handschrift bleiben wird! Als ihre Nach- enwerks entstanden war. Die Sozialpädagogin hatte für ihre Diplom- folgerin setzt Sozialarbeiterin Suzan Tepp nun die Arbeit fort. arbeit zum Thema im gesamten Bundesgebiet Fachberatungsstel- Ebenfalls neu im Team ist Magdalena Müller. Die Psychologin len gegen Frauenhandel befragt. Damit hat sie ein Konzept entwi- folgt auf Svenja Schindler, von der wir uns ebenfalls schweren Her- ckelt, wie ein Beratungsangebot organisiert sein muss. zens verabschieden mussten. Svenja begann vor drei Jahren bei contra: Seit 2013 war die Anzahl geflüchteter Frauen, die im Her- Jozefa Paulsen hat von 1999 bis 2019 geschätzt 1.000 Frauen aus kunftsland und auf den Fluchtwegen von Menschenhandel be- mehr als 30 Herkunftsländern beraten und begleitet. Sie war mo- troffen waren, gestiegen. Das Land Schleswig-Holstein reagierte bil und vielsprachig unterwegs, um Gespräche dort zu ermög- 2016 darauf und finanzierte eine weitere 50%-Stelle. Svenja kam lichen, wo sie gebraucht wurde und um die Klientinnen best- aus dem Studiengang Migration und Diversität und hat sich in kür- möglich zu unterstützen. Bis 2012 war sie die einzige Beratungs- zester Zeit – im Tandem mit Jozefa – in die Arbeit mit geflüchteten expertin für Betroffene von Frauenhandel in Schleswig-Holstein Frauen eingearbeitet. Aus privaten Gründen zieht es sie nun nach und hat mit ungefähr 500 Kooperationspartnern aus Politik und Süddeutschland. Gesellschaft im Land, dem Bundesgebiet und international zusam- mengearbeitet. Wir wünschen Jozefa und Svenja alles Gute und freuen uns über Magdalena und Suzan als neue Kolleginnen! Jozefa war das Herzstück von contra, sie hat Netzwerkarbeit ge- Claudia Rabe pflegt, Dolmetscherinnen fortgebildet, das Konzept stets weiter- entwickelt und auch das Projekt Myriam und cara*SH mit auf den Weg gebracht. Mit Hilfe neuer Fördermöglichkeiten und durch Veränderungen im Team konnte Jozefa Paulsen 2012 anfangen, Mitarbeiterinnen für die fachspezifische Beratung bei contra zu qualifizieren und Sozialpädagoginnen im Anerkennungsjahr aus- zubilden. MYRIA my rights as a femaleM migrant

Die Mitarbeiterinnen von contra, cara*SH und Myriam mit Jozefa Paulsen (Mitte) und Inke Pohl Inke Koordinatorin Claudia

Foto: Rabe (2.v.r.). 9 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Frauenbild von vorgestern? Resolution fordert Abschaffung des § 219 a

Das war abzusehen! Auslöser war die Verurteilung der Ärztin lästigung und Stigmatisierung von Betroffenen sowie Medizi- Kristina Hänel Ende 2017 durch das Amtsgericht Gießen. Hier- ner*innen zu unterbinden. durch wurde eine Diskussion über den Paragrafen in Gang ge- setzt. Radikale Abtreibungsgegner hatten die Gynäkologin ange- Die Frauendelegiertenkonferenz der Nordkirche stellt klar, dass zeigt, da sie im Internet auf ihrer Praxis-Seite über die Möglichkeit ein Schwangerschaftsabbruch für Betroffene das Ergebnis eines für einen Schwangerschaftsabbruch informierte. Eine Schwach- komplexen Entscheidungsprozesses ist. stelle des § 219a ist, dass nicht zwischen Werbung und Informati- Die Resolution wurde an Politiker*innen unterschiedlicher Frak- on unterschieden wird. Der Paragraf wurde im Rahmen einer na- tionen, Verbände und Netzwerke verschickt; wir erhielten unter- tionalsozialistischen Strafrechtsreform als Tatbestand eingeführt. schiedliche Rückmeldungen und stehen mit einigen weiterhin da- Zu lange hatten sich viele daran gewöhnt, dass es doch irgendwie rüber in Kontakt. funktioniert. Eine Reform: überfällig. Nach monatelanger Debatte hat die Große Koalition im Februar Damit stand das Thema im Raum. Die Politik musste sich nach 2019 das Gesetz des umstrittenen Paragrafen 219a im Strafge- jahrelangem Schweigen mit dem § 219a auseinandersetzen. Doch setzbuch verabschiedet. Durch die Reform des § 219a dürfen auch in der Gesellschaft war das Thema zurück und wurde heftig Ärzt*innen nun auf ihrer Homepage schreiben, dass sie Schwan- und kontrovers diskutiert. Schnell gab es deutliche Fronten zwi- gerschaftsabbrüche anbieten. Doch jede weitere Information an schen Abtreibungsgegner*innen und Befürworter*innen der Strei- dieser Stelle, zum Beispiel zu angewandten Methoden, kann wei- chung des § 219a. terhin zu einer Verurteilung führen. Es ist den Fachleuten lediglich erlaubt, auf Informationen staatlicher Stellen hinzuweisen. Was auf Wir Frauen vom Vorstand fanden, dass sich auch die Frauendele- den ersten Blick nach einer Verbesserung aussieht, zeigt auf den giertenkonferenz als eine wichtige kirchliche Stimme am Dis- zweiten Blick „das skandalöse Frauenbild“. kurs beteiligen sollte. Daher stellten wir die Auseinandersetzung mit § 219a in den thematischen Mittelpunkt unserer Konferenz Frauen muss es zuzutrauen sein, diese Entscheidung selbst zu im Oktober 2018. Umfassende Information stand dabei an erster treffen. Die Bundestagsdebatte ist an diesem Punkt an ein Ende Stelle. Als Referentinnen konnten wir die Berliner Journalistin Dina gekommen, aber – davon sind wir im Vorstand der FDK über- Riese von der Tageszeitung „taz“ und Susanne Baum, Beraterin der zeugt – es wird nur ein vorläufiges sein. Denn es scheint eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle der Diakonie in Husum, gesellschaftliche Mehrheit zu geben, die klar für die Streichung gewinnen. Darauf aufbauend wollten wir entscheiden, ob und ggf. des § 219a ist. wie wir uns als Frauendelegiertenkonferenz öffentlich zu diesem The- ma äußern. Am Ende der Tagung, nach einem lebhaften Entschei- Das Urteil gegen Dr. Kristina Hänel wurde inzwischen aufgehoben, dungsprozess, haben wir eine Resolution verabschiedet. Hierin das Landgericht Gießen muss den Fall aufgrund der veränderten sprachen wir uns klar für die Streichung des Paragrafen 219a aus. Rechtslage neu verhandeln. Es ist also abzusehen, dass uns das Thema weiter beschäftigen wird. Wir fordern einen niedrigschwelligen Zugang zu sachlichen In- Hilde Credo, formationen über medizinische Möglichkeiten und Implikationen Vorstand Frauendelegiertenkonferenz eines Schwangerschaftsabbruches. Zudem eine umfassende Verfügbarkeit von Beratungsstellen, Seelsorge, Ärzt*innen für

Foto: Verena Balve Schwangere in Konfliktsituationen sowie Maßnahmen, um Be-

FDK-Vorstandsvorsitzende Hilde Credo (l.) mit Dr. Kristina Hänel in . Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 10

Auszeit unter Segeln – Mehr Meer geht nicht! FrauenReisen Hin und weg segelt bereits seit fünf Jahren

Auszeit unter Segeln – Gönne dich dir selbst. Unter dieser Über- Skipper Onno gibt uns die Kommandos schrift sind wir 2015 mit den Segelreisen gestartet. In diesem Erklärt uns was Klüver und Fock Jahr können wir ein kleines Jubiläum feiern: 5 Jahre Segelreisen! Und Bäume am Schiff sind nicht grü-ün Das sind viele begeisterte Frauen zwischen 25 und 83 Jahren, die Wenn alle an einem Strang ziehn. das Segeln für sich ausprobiert haben und gern immer wieder an Bord gehen möchten. Daher konnten wir das Angebot immer mehr Gemeinsames Duschen ohne Wasser ausweiten. In diesem Jahr waren wir mit drei Törns unterwegs, – ohne Kronen, das war uns ein Spaß davon einer als anerkannter Bildungsurlaub KlimaSail. Wir waren nicht reinlich nur nasser Aber sagt mal, wen kümmert denn das? Segelreisen mit dem Frauenwerk der Nordkirche, das scheint nahe- liegend. Einmal eine Segelreise ausprobieren zu wollen, das war Am Ruder und auch bei der Takelung und ist der Wunsch vieler – es gemeinsam mit anderen Frauen zu Pauline als Käpt´n ist fit. tun, auch. Doch zunächst musste die zuständige Referentin über- Manchmal macht sie auch beides auf einmal zeugt werden. Denn ich gestehe, ich persönlich kann mich nicht Wir nähmen die gern wieder mit. dafür begeistern. Umso dankbarer bin ich der Kollegin aus dem Frauenwerk Schles- Refrain: Wie schö-ön, wie schö-ön wig-Flensburg, Claudia Niklas-Reeps, die mit ihrer Idee beharrlich War diese Zeit mit Euch, mit Euch: || geblieben ist. Sie schreibt: „Vor 5 Jahren nervte ich, eine segel- freizeitbegeisterte Frau, mit der Frage: Warum bietet ihr denn Das klingt lebensfroh. Munter mag es bei den Reisen zugehen. La- keine Segelreisen an? Und so wagten wir die erste Reise, die chen und Ernsthaftigkeit liegen nah beieinander. Das Element Was- sehr gut zeigte, dass diese Idee der kurzen Segelreise auf einem ser und der weite Horizont des Meeres erden, öffnen, beruhigen Schiff viele anspricht. Da es eine Herzensangelegenheit von mir und laden zu besonderen spirituellen Erfahrungen ein. Das Leben war, übertrug sich meine Begeisterung und fand schnell Begeis- auf einem Segelschiff stellt jede Einzelne gleichzeitig vor beson- terte, die nun auch im 5. Jahr erneut mitfahren – langweilig wird dere Herausforderungen, die zu kostbaren Erinnerungen werden es nie, da es immer anders ist.“ können: Die Mitarbeit auf dem Schiff, denn ein Segel kann nur mit Einige Frauen sind so gern dabei, dass sie die Rolle gewechselt vereinter Kraft gesetzt werden. Gemeinsames Kochen. Einfach nur haben und selbst Segelreisen für FrauenReisen leiten. einmal dasitzen und schauen. Toleranz für Mitseglerinnen, denn vor Konflikten lässt sich hier nicht weglaufen. Mehrere Generatio- Das Motto „Auszeit unter Segeln“ lädt ein, zur Ruhe zu kommen, nen von 25 bis 83 Jahren sind gemeinsam unterwegs, die Kabine loszulassen, der Natur zu vertrauen. Dazu gehört es auch, die Ab- ist eng. Unterschiedlichkeit wahrnehmen und genießen können. hängigkeit von der Natur zu spüren, auf Wind warten zu müssen Sich verwöhnen lassen, Gemeinschaft erfahren ... oder vor Sturm im Hafen zu bleiben. In diesem Jahr verstärkten wir diesen Blick auf einem Törn, indem wir mit dem KlimaSail Pro- Anke Rohlf fasst ihre Erfahrungen zusammen, ihre Worte stehen jekt des Jugendpfarramtes kooperierten und damit Fragen von für viele: „Sonne, Wind, gute Gemeinschaft und Verpflegung, im

Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung in den Blick nahmen. Klüvernetz sitzen und das Meer genießen: Mehr Meer geht nicht.“ Niklas-Reeps Claudia Foto: Nach dem ersten Törn 2015 dichtete Tine Pralow einen Text, zu singen nach der Melodie von „My bonnie lies over the ocean“. Hier Dagmar Krok einige Auszüge:

Auch 2020 wird es einige Segel- Reisen geben. Mehr dazu im Jahresprogramm 2020 und unter www.frauenreisenhinundweg.de 11 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Ehrenamtliche Reiseleiterinnen ✂ verabschiedet

„Zeit vergeht nicht, sie entsteht. – Wie eine Blume, wie ein Baum. Zeit trägt den Keim der Ewigkeit in sich; sie wächst überall dort, wo man sie mit anderen teilt.“ (Angelika Brunner)

Im Mai feierte FrauenReisen Hin und weg mit zwei Reiseleiterinnen einen besonderen Abschied. Wir haben Gisela Bald nach 27 Jah- ren und Frauke Daniel nach 8 Jahren aus der aktiven Zeit als ehren- amtliche Reiseleiterin ziehen lassen.

Gisela Bald hat Meditative Wanderreisen, Klosterreisen und Single- reisen begleitet, in den letzten Jahren im Team mit Frauke Daniel. Mit viel Kompetenz und großem Erfahrungsschatz, neuen Ideen, einem weiten Herz, Organisationstalent, Offenheit für Unvorherge- sehenes und Fröhlichkeit haben beide das Angebot von Frauen- Reisen über viele Jahre bereichert. Wir sagen DANKE dafür!

Gisela Bald schreibt über diese Zeit: „Die 31, 32 Klosterreisen, be- ginnend 1994 mit Hildegard von Bingen und endend 2018 mit Franz und Klara von Assisi, gehören zu den Höhepunkten in meinem Le- ben. Das Zusammensein mit so vielen verschiedenen, netten, suchenden Frauen, das gemeinsame Gestalten an den heiligen Orten: singen, beten, hören, reden, schweigen, lachen, weinen, wandern, staunen, nachdenken, essen, trinken, lernen, segnen ... in Nähe und Distanz, all das lebendige Teilen und Teilhaben, Teilhabenlassen ... hat mein Leben nachhaltig bereichert. Das alles bleibt mir in dankbarer Erinnerung.“ Viele von den Teilneh- merinnen werden das sicherlich teilen können. Gut, dass es Frau- enReisen gibt. Dagmar Krok

Kirsten Larsen, Gisela Bald, Dagmar Krok und Frauke Daniel (v.l.) Foto: Privat Foto: Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 12

Wie leere Kulis Und siehe: Bildung stiften Morgen war alles gut. Große Beteiligung an Das Blog zum Jahresthema Weltgebetstags-Sammelaktion Das Jahresthema begleitet uns in der Arbeit des Frauenwerks der Mehr als 32 Tonnen Stifte wurden eingesandt. „Das entspricht Nordkirche schon eine ganze Weile. Im Frühjahr 2018 ging es los. dem unglaublichen Gewicht von etwa 30 Kleinwagen“, berich- Auf der Frauendelegiertenkonferenz wurden Puzzleteile und Pla- tet Dr. Irene Tokarski stolz. „Wir danken allen, die diese Mit- kate ausprobiert, Ideen sprossen, die ersten Texte und Arbeits- mach-Aktion zu einem solchen Überraschungserfolg gemacht materialien zum Thema entstanden. Seitdem ist einiges passiert. haben!“, so die Geschäftsführerin des Deutschen Weltgebets- Was genau? Das steht zum Nachlesen auf unserem Blog: www. tagskomitees. Im Vorfeld des Weltgebetstags 2018 hatte das morgen-war-alles-gut.de. deutsche Komitee der ökumenischen Frauenbewegung die unge- wöhnliche Recycling-Aktion ins Leben gerufen. Vom Allgäu bis In einem Leporello, das sowohl im Blog zu finden als auch in ge- nach Helsinki sammelten seitdem Tausende Ehrenamtliche leere druckter Form zu erhalten ist, werden zu Beginn jeden Monats Plastikstifte. Für jeden Stift gab es einen Cent. Mit diesem Geld un- Texte veröffentlicht – geschrieben von Frauen, die sich in der Frau- terstützt der Weltgebetstag syrische Flüchtlingskinder im Libanon. enarbeit engagieren. Zu diesem Teil des Blogs gesellen sich ste- tig Einblicke, wie in den verschiedenen Ecken der Nordkirche Bundesweit und auch im Ausland haben sich über 2.500 Sammel- mit dem Jahresthema gearbeitet wird. Material, Anleitungen und stellen an der Aktion beteiligt, die zum 31. Januar 2019 erfolgreich Erfahrungsberichte laden ein zum Anschauen, Herunterladen und beendet wurde. Auch in der Nordkirche wurde über Monate fleißig Weiternutzen. Aber auch, wozu das Jahresthema Frauen inspiriert gesammelt. und welche Visionen eines guten Lebens entstehen, lässt sich auf dem Blog entdecken.

Wir wollen unser Wissen und unsere Ideen teilen. Dabei beglei- tet uns auch immer wieder die Frage nach Datenschutz und Urhe- ber*innenrechten. Damit die Materialien und Inhalte zum Jahres- thema für viele eine Bereicherung sein können, ist es uns wichtig, dass sie frei zugänglich sind. Dafür haben wir sie unter einer Cre- ative Commons Lizenz lizensiert, das heißt: jede*r darf die Inhalte für ihre oder seine Arbeit frei nutzen, anpassen oder weiterent- wickeln. Voraussetzung: Es wird die Quelle genannt, und das Ma- terial wird zu gleichen Bedingungen weitergegeben – als offene Bildungsressource. Das Blog ist offen für alle und zeigt auch mal Perspektiven aus anderen Arbeitsbereichen. Kiloweise Stifte: Flora Mennicken Dagmar Krok, Julia Lersch, Monika Lorengel, Kirsten Voß und Susanne Sengstock Foto: Inke Pohl 13 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Hilfe in der Heimatsprache Sorgearbeit in der Krise Projekt Myriam unterstützt auch online Feministische Blicke auf das Thema Care

Das Projekt Myriam ist eine mobile Beratungsstelle für geflüch- Die im Jahr 2015 verabschiedete Care-Resolution der damaligen tete Frauen in Kiel. Wir beraten Frauen, die von Gewalt bedroht Frauensynode der Nordkirche war Anlass für den Sammelband oder betroffen sind. Seit ungefähr einem Jahr ist auch unsere „Um-Care zum Leben“. Die Resolution entstand durch die Aus- Webseite www.myriam.sh online. So können sich Frauen und ihre einandersetzung der Schriften verschiedener Feminist*innen aus Unterstützer*innen im Internet über unsere Angebote informieren. Theologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft mit der Care- Krise. Diese Krise drückt aus, dass das Sorgen – etwas zutiefst Das Wichtigste an der Webseite ist die Mehrsprachigkeit. Aus un- Menschliches – vernachlässigt wird. Sowohl Menschen als auch serem Beratungsalltag wissen wir, dass besonders die Kommu- Natur bleiben auf der Strecke. Dort, wo gegen Geld gesorgt wird, nikation in der Muttersprache entscheidend ist. Deshalb steht ist es schlecht bezahlt und geschieht im Effizienzmodus einer unsere Webseite auf derzeit sechs Sprachen zur Verfügung: Ara- Fabrik. bisch, Deutsch, Englisch, Kurdisch, Persisch und Tigrinisch. Wei- tere Sprachen werden hinzukommen. Die Auswahl des Spektrums feministischer Denkbewegungen Ein besonderes Kapitel ist die Rubrik „Frauen erzählen ihre Ge- rund um das Thema Care zeigen die vielen Facetten des Themas schichte“. In fünf anonymisierten Erzählungen berichten Frauen, auf. So erfahren die Leser*innen, wie die wohlfahrtsorientierte Sozi- wie sie in Deutschland angekommen sind und wie ihnen die Be- alpolitik Skandinaviens die Bürger*innen davor verschont, Angst ratung geholfen hat. Wir hoffen, dass diese Geschichten andere vor schlechter Versorgung im Alter zu haben, und wie Erwerbs- Frauen ermutigen. Außerdem beantworten wir auf der Webseite tätigkeit und Care durch eine staatliche Kinderbetreuung verein- „Oft gestellte Rechtsfragen“. Sie soll Frauen unterstützen, eigene bar sein können. Die wirtschaftswissenschaftliche Sicht einer Rechte zu kennen und einzufordern. Dabei beantwortet die Web- Ökonomin zeigt, dass Sorge die Voraussetzung allen Wirtschaf- seite nicht alle Fragen ausführlich, aber sie gibt grobe Antworten tens ist. Kritik an der neoliberalen Wirtschaftsweise äußert die Mit- und verweist auf die individuelle Beratung. Auch so werden Frauen begründerin der „Care-Revolution-Initiative“, Gabriele Winker. Ihr bestärkt, eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Care-Modell ist genossenschaftlich organisiert und frei von Profit- Interessen. Mit der evangelischen Theologin Christine Globig wird Mittlerweile wurde von 30 Ländern auf unsere Webseite zugegrif- die ethische Dimension von Sorgen deutlich. Sie zeigt, dass es den fen – überwiegend aus denen, deren Sprache dort vertreten ist. zutiefst menschlichen Charakter des Sorgens zu bewahren gilt. Auch erreichen uns viele Beratungsanfragen. Einige Frauen rufen uns aus anderen Bundesländern an, um rechtliche Fragen zu klä- Eine sorgende Haltung in Beziehung zur Natur braucht es für die ren. Wir sehen daher, dass der Beratungsbedarf trotz rückgängi- Soziologin Daniela Gottschlich, wenn wir die menschengemach- ger Asylbewerber*innenzahlen stetig wächst. ten Krisen von Pflanzen, Tieren und des Wetters abmildern wollen. Mit dem Buch möchten wir den Diskurs über die Gestaltung von Das Projekt Myriam wurde für drei Jahre von Mitteln der deutschen Sorge in der Gesellschaft anregen und die ethische Bedeutung Fernsehlotterie sowie von der Nordkirche getragen. Diese Finan- von Care aufzeigen. Es geht um die Bewahrung unserer Mitge- zierung lief im September 2019 aus. Für die Weiterführung in die- schöpfe und um das, was uns als Menschen ausmacht. sem Jahr konnten wir Landesmittel beantragen. Wir hoffen jedoch, dass es mit Myriam auch auf Dauer weitergeht. Waltraud Waidelich Ráhel Meisel

MYRIAM my rights as a female migrant Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 14

Entscheidung über das Leben hinaus Frauenwerk und EFiD beim Tag der Organspende

Der Papst ist jetzt Organspender – und Sie? Jede*r ist mögliche*r In der aktuellen Diskussion um eine Neuregelung der Organ- Spender*in und Empfänger*in eines lebenswichtigen Organs. spende spricht sich das Frauenwerk der Nordkirche deutlich Je mehr Menschen einer Organspende zustimmen, desto mehr gegen eine so genannte Widerspruchslösung aus. Eine entspre- Leben können gerettet werden. Einfache Entscheidung also? Die chende Gesetzesänderung, wie sie Bundesgesundheitsminister Erfahrungen zeigen, dass es nicht so ist. Das Thema bewegt sich an Jens Spahn (CDU) vorschlägt, sei ethisch nicht der richtige Weg, der Schwelle zwischen Leben und Tod und kann aus vier Per- meint Susanne Sengstock vom Frauenwerk der Nordkirche. „Es spektiven von Betroffenheit betrachtet werden: Der oder die ist vielmehr geboten, umfangreicher ergebnisoffen zu informie- Spender*in, die Pflegenden und Ärzt*innen, die Angehörigen ren und Menschen zu ermutigen, eine bewusste Entscheidung für und der oder die Empfänger*in. Schwer zu ertragende wider- oder gegen eine Organspende zu treffen“, so die Theologin. Eine sprüchliche Vorstellungen und Gefühle und auch schmerzhafte Organspende müsse freiwillig bleiben. Auseinandersetzungen sind Teil des Diskurses. Deshalb braucht es viele Informationen, um vertrauensvoll miteinander ins Nach- Was aber ist anders am anderen Organspendeausweis? Die zentra- denken und Reden zu kommen. le Frage, die auch die Menschen am 1. Juni in Kiel beschäftigte, ist die des Hirntods. Dessen Definition ist auch im deutschen Ethikrat Die Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. (EFiD) haben sich umstritten. Der Hirntod ist keine natürliche Grenze zwischen des Themas angenommen und einen alternativen Organspende- Leben und Tod, sondern eine juristische und medizinische Ausweis, den „anderen Ausweis“ entwickelt. Rund 40.000 Exem- Setzung, die für die Organentnahme wichtig ist. Für die einen ist plare sind bereits abgerufen. Mit der Kampagne „Organspende. der Hirntod, mit dem irreversiblen Ausfall aller Gehirnfunktionen, entscheide.ich“ mischen sich EFiD und deren Mitgliedsverbände, mit dem Tod gleichzusetzen. Wir definieren den Hirntod als einen wie auch das Frauenwerk der Nordkirche, in den gesellschaft- unumkehrbaren Sterbeprozess. EFiD unterscheidet deutlich zwi- lichen Diskurs ein. Wichtig ist uns nicht, ob Sie sich für oder ge- schen Hirntod (als Voraussetzung der Organspende) und Tod (als gen Organspende entscheiden. Beides darf sein. Sondern, dass Voraussetzung der Gewebespende). Der Ausweis enthält Auswahl- alle Menschen die notwendigen Informationen als Grundlage für möglichkeiten, wie mit der Organ- bzw. Gewebeentnahme zu ver- ihre Entscheidung erhalten. fahren ist. Zum Beispiel gehört die Wahl einer Vollnarkose dazu.

Darum waren wir auch am 1. Juni 2019 beim bundesweiten Tag Neugierig geworden? Dann informieren Sie sich unter www. der Organspende in Kiel dabei. Im Zelt „Ethik und Religion“ war organspende.entscheide.ich.de, reden Sie mit Ihren Angehörigen viel los: viele interessierte Besucher*innen, viele Fragen und über Ihre Entscheidung zur Organspende und dokumentieren Sie viele Informationen. Zusammen mit Eske Wollrad (Evangelisches diese in einem Ausweis. Oder beteiligen Sie sich an der aktuellen Zentrum Frauen und Männer Hannover) und Ricarda Heymann Debatte auf Facebook und Instagram. (Evangelische Frauen in Hessen und Nassau) stellten wir zu dritt Dagmar Krok die Kampagne vor. Vor allem Fragen rund um den Hirntod beschäf- tigten die Menschen, die teils gezielt, teils zufällig am Info-Stand vorbeikamen. Viele nahmen ein oder mehrere Exemplare vom „an- deren Ausweis“ mit.

V.l: Eske Wollrad (Ev. Zentrum Frauen und Männer, Hannover), Dagmar Krok (Frauenwerk der Nordkirche) und Ricarda Heymann (Ev. Frauen in Hessen und Nassau) beim Tag der Organspende in Kiel Martin Krok Foto: 15 innovative 34 | 2019 Projekte | Aktionen

Neue Perspektiven Solidarität mit Frauen aus Tansania

Kirchliche Frauenarbeit setzt sich weltweit dafür ein, dass Frau- keit, wirtschaftlich unabhängig zu werden. Die Evangelistin Stel- en ihre Stimme erheben. Ermutigt durch ihre Frauengruppen- und la Shoo erklärt: „Auch diejenigen von uns, die versucht haben, zu Partnerschaftsarbeit in Tansania erhob 2015 Beatrice Mlaki ihre Hause um Unterstützung zu bitten, wurden entmutigt. Es herrscht Stimme. Sie fragte Birgitta Heinrich, Leiterin der Heikendorfer Tan- die destruktive Ansicht, dass Frauen schwach seien. Geld für sie saniagruppe, ob eine Begegnung von deutschen und tansani- auszugeben bedeutet darum genauso viel, wie es gleich wegzu- schen Frauen zu einem frauenrelevanten Thema möglich wäre. Es werfen. Denn sie würden doch sowieso nicht oben ankommen ... In sei doch ärgerlich, dass bei Partnerschaftsbegegnungen Frauen- unserer Kultur werden Männer grundsätzlich als Helden angese- themen kaum eine Rolle spielen würden und dazu eine geschlech- hen. Darum konnten sie ihre Verwandtschaft in Anspruch nehmen. tergerechte Zusammensetzung immer noch keine Selbstverständ- Aber viele von ihnen haben auch die Möglichkeit, wirtschaftlich un- lichkeit sei. abhängig zu sein. Darum war es für sie nicht so schwer wie für die Frauen, Geld für den Aufstieg zu bekommen.“ Birgitta griff zum Telefon und rief sowohl mich im Frauenwerk der Nordkirche an als auch Silke Leng, zuständig für die Partnerschafts- Unsere Kollekte ermöglichte 12 Frauen den Aufstieg! Stella Shoo arbeit im Kirchenkreis Altholstein. Wir alle fanden: Ja, eine Frauen- schreibt in ihrem Erfahrungsbericht: „Es war eine segensreiche begegnung zu einem Thema, das sowohl Frauen aus Deutsch- Reise für uns und wir haben sehr viel gelernt: Eine Frau ist eine land als auch Frauen aus Tansania betrifft, ist wichtig, richtig und Heldin. Sie kann Großes leisten und sie kann große Veränderung einfach „dran“. Gemeinsam mit Beatrice und ihrer Frauengruppe bewirken, die niemand auf der Welt erwartet hat. Dies (wurde) klar, am Fuß des Kilimanjaros fanden wir schnell ein Thema: Wege zur nachdem Frauen in der Lage waren, den Gipfel zu besteigen, wo- Überwindung von Gewalt an Frauen, denn frauenspezifische Ge- bei sogar andere Männer daran gescheitert sind. Wir haben gelernt, walt ist in beiden Ländern ein großes Problem. Sehr erfolgreich dass es sehr wichtig ist, sich gegenseitig zu mögen und unterein- haben dazu zwei Lernhäuser mit unterschiedlichen Fachfrauen ander solidarisch zu sein. Sich auf sich selbst zu verlassen und stattgefunden: 2016 in Deutschland, 2018 in Tansania. Viel haben dafür zu kämpfen, stellt sicher, dass Du Dein Ziel erreichst. Auch wir voneinander und miteinander gelernt. Projekte, wie z. B. eine das ist ganz wichtig.“ Daher an dieser Stelle ein herzliches Danke- neue Frauenberatungsstelle oder eine Wanderausstellung wurden schön an alle, die die Frauen bei ihrer Bergtour unterstützt haben. angestoßen und umgesetzt. „Speak out“ war 2018 ein Ruf, der uns alle ermutigte. Berichte wie diese machen Mut. Sie machen Mut, einfach mal zu fragen – so wie es Beatrice Mlaki und Gabriele Mayer taten. Kurz vor meiner Einführung erreichte mich dann eine E-mail vom Sie machen mir Mut, dass sich etwas ändern kann. Die Erfah- Fuße des Kilimanjaros: Sie kam von Gabriele Mayer, die an der dor- rungen von Solidarität, gegenseitiger Ermutigung und Ermächti- tigen Bibelschule angehende Pastor*innen und Evangelist*innen gung sind prägend. Ich bin überzeugt, dass die Pastorinnen und ausbildet. Sie fragte, ob wir ihre Studentinnen unterstützen könn- Evangelistinnen diese Erfahrungen an anderer Stelle weitergeben ten, den Kilimanjaro zu besteigen. Kurzerhand haben Inke Pohl werden. Ebenso wird die neue Frauenberatungsstelle am Fuß des und ich entschieden, dass die Kollekte aus unserem Einführungs- Kilimanjaros die Situation von einigen Frauen verbessern und das gottesdienst diesen Frauen den Aufstieg ermöglichen möge. Thema geschlechtsspezifische Gewalt als gesamtkirchliches The- ma setzen. Speak out! Viele tansanische Frauen haben keine Gelegenheit, touristische Susanne Sengstock und eindrucksvolle Erfahrungen wie diese zu machen. Etliche der Studentinnen von Gabriele Mayer haben einfach keine Möglich- Fotos: Susanne Sengstock (links), Birgitta Henrich (rechts) Projekte | Aktionen innovative 34 | 2019 16

Gemeinsam unterwegs Gut vernetzt: Frauen aus der Nordkirche und der Jeypore-Kirche

Im September 2018 hatte Julia Lersch vom Frauenwerk indischen Frauen. Das Lied „I have decided to follow Jesus“ ist für der Nordkirche Frauen in der indischen Jeypore-Kirche sie ein Beispiel, wie es gelang, die Perspektiven zu wechseln und besucht – darüber berichteten wir in der innovative 33. sich in die Sichtweisen der Anderen hineinzuversetzen – eine wich- Zwischenzeitlich ist ein intensiver Kontakt entstanden, tige Voraussetzung, um Verständnis und Respekt füreinander zu auch in der direkten Begegnung: Im September 2017 war entwickeln. Dieses Lied sei ihr anfangs befremdlich vorgekommen, eine sechsköpfige Delegation von Frauen aus der Jeypore- weil es für sie eine sehr konservative Form von Glauben auszudrü- Kirche zu Besuch in Norddeutschland. cken schien. Durch den Erfahrungsaustausch mit den indischen Frauen veränderte sich ihr Zugang dazu. Sie verstand, dass Je- Zum Abschluss des Besuchs fand in Hamburg ein Partnerschafts- sus zu folgen bedeutet, sich für die Gleichheit und die Rechte tag mit Frauenmahl im Zentrum für Mission und Ökumene – Nord- von Frauen einzusetzen. kirche weltweit statt. Zwischen den einzelnen Gängen gab es en- gagierte Tischreden von indischen und deutschen Frauen zu ih- Vor dem Frauenmahl hatten die sechs Inderinnen zwei Wochen ren Erfahrungen und Visionen von Frauenarbeit hier und in Indien. lang Gelegenheit, verschiedene Orte und Institutionen der Nord- Pastorin Kuntala Naik machte deutlich, mit welchen Schwierigkeiten kirche kennenzulernen. So trafen sie Bischöfin Kirsten Fehrs in und Herausforderungen die Frauen in Indien zu kämpfen haben. Hamburg und kamen mit Maria Jepsen zusammen, der ersten lu- Die Kirche sei sehr männerdominiert, und viele könnten sich therischen Bischöfin weltweit, besuchten das Genderzentrum der nicht vorstellen, eine Frau auf der Kanzel zu sehen. Gleichzeitig Hansestadt, waren Gäste im Schwesternheimathaus in Stralsund, seien es hauptsächlich Frauen, die das Gemeindeleben an der in Rendsburg, Kiel und Breklum. Hier ging es mit der Methode des Basis aktiv gestalteten, sagte sie. Sie wünscht sich mehr Frauen Transkulturellen Lernhauses der Frauen darum, gemeinsam ver- in Leitungspositionen auf allen Ebenen der Kirche, damit Kirche schiedene Themen zu erarbeiten. Sehr persönlich erzählten bei- von Männern und Frauen gemeinsam und gleichberechtigt gestal- spielsweise die Pastorinnen Kuntala Naik und Nevedita Gorda tet werden kann. Pastorin Nevedita Gorda ergänzte, dass die Frau- von ihrer Arbeit. Sie berichteten aus ihrem Land, in dem Gewalt enarbeit in der Jeypore-Kirche sich dafür einsetze, dass Frauen gegen Frauen allgegenwärtig ist, ihren Erfahrungen aus den Ge- Zugang zu theologischer und allgemeiner Bildung bekämen und meinden, in denen „Lady Pastors“ tätig sind, von Rückschlägen in dass sie ermutigt würden, ihre Stimme zu erheben und sich für ihre Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Dazu gehörten aber auch Anliegen einzusetzen. Entwicklungen, die Mut und Hoffnung machen. Und der Austausch geht weiter: 2020 werden Mitarbeiterinnen des Frauenwerks der Eine weitere Perspektive trug Joy Hoppe bei, die aus Indien Nordkirche nach Indien reisen, und auch darüber hinaus soll das stammt und inzwischen Pastorin der Nordkirche in Hamburg ist. Netzwerk der Frauenarbeit weiter gestärkt werden. Sie berichtete von ihrer Erfahrung mit Integration in die deutsche Gesellschaft. Immer noch sei die Haltung vorherrschend, dass die Women on the move, Frauen in Bewegung, hier und dort. Frauen von außen Kommenden sich ändern und anpassen müssten und bewegen und verändern Kirche, damit eines Tages die Vision aus nicht die Residenzgesellschaft. Wünschenswert und für alle ein Gal 3,28 Wirklichkeit werden möge (Bibel in gerechter Sprache): Gewinn wäre es, wenn beide Seiten sich bewegen und voneinan- „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch der lernen würden. frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig- einig im Messias Jesus.“ Pastorin Jutta Jessen-Thiesen, die den Besuch der indischen Frau- Irene Pabst en begleitet hat, erzählte von ihrer Lernerfahrung im Dialog mit den

„In Indien können sich viele nicht vorstellen, eine Frau auf der Kanzel zu sehen.“ Pastorin Kuntala Naik Ciprian MatefyCiprian Foto: 17 innovative 34 | 2019 Projekte | Tipp

In neuem Glanz leicht & Sinn Umbau des Büsumer Mütter-Kurheims Neues Magazin folgt auf Gode Tied „Arbeitshilfe zum Weitergeben“ Noch im Februar konnte man sich kaum vorstellen, dass gut Ein neuer Name, eine neue Optik und einige neue Inhalte – aus drei Wochen später wieder Mütter mit ihren Kindern einziehen der traditionsreichen „Arbeitshilfe zum Weitergeben“ ist im würden, um hier zu Kräften zu kommen. Da und dort war noch vergangenen Jahr das Evangelische Magazin für Frauen- und der graue Estrich und roher Putz an den Wänden zu entdecken, Gemeindearbeit „leicht & Sinn“ geworden. „Wir wollten schon Kabelstränge und fehlende Türen bestimmten das Bild. Und doch lange etwas verändern. Die Vorgängerin „AhzW“ gab es ja schon ließ sich erahnen, wie schön einmal alles werden würde. Groß, hell sehr, sehr lange“, so die verantwortliche Redakteurin Margot und komfortabel sind jetzt die Bäder gestaltet, hier erwartet die Papenheim vom Evangelischen Zentrum Frauen und Männer in Patientinnen viel Bewegungsfreiheit. Die Appartements schimmern Hannover. Aber die Entscheidung stand fast ebenso lange fest: in den Farben von Strand und Meer, der Fußboden zeigt sich in war- „Wenn wir es angehen, dann auch richtig und nicht immer nur klei- men Holztönen. Viele fleißige Hände arbeiteten von früh bis spät, nere Veränderungen zwischendurch.“ Dass es Zeit war, etwas zu sogar am Samstag. Lieferanten gaben sich die Klinke in die Hand. verändern, zeigte schließlich auch der kontinuierliche Rückgang bei den Abonnements. Am 20. März begann wieder die erste Kur, bis dahin musste alles fertig sein! Und dafür wurde gut geplant. Gode Tied wird zukünf- Eine Befragung der Leser*innen im Jahr 2016 habe dann ein klares tig für die Bedürfnisse von bewegungseingeschränkten Müttern Bild ergeben, das in einem aufwändigen Prozess auch umgesetzt und Kindern noch besser aufgestellt sein. So gibt es jetzt auto- wurde, so Papenheim. Diesen fasst sie so zusammen: „Besser matische Türen und ein behindertengerechtes öffentliches WC. lesbar, Farbigkeit, eine luftigere Erscheinung und insgesamt eine Die Duschen sind bodengleich, Türschwellen wurden beseitigt, moderne Optik.“ Das Format ist ein anderes, und zu der zeitge- die Fahrstühle umgebaut. Warme, helle und freundliche Farben mäßen Gestaltung gehören auch ein hochwertiges Naturpapier bestimmen das Bild. Eine komplett neue Möblierung sorgt eben- und ein angenehm griffiger Umschlag. Inzwischen ist schon die falls dafür, dass sich Mutter und Kind vom ersten Tag an wohl dritte Ausgabe erschienen. Trotz der Veränderung ist noch viel fühlen und die Kur effektiv nutzen können. Dabei wurden viele Vertrautes da: Vorlagen, Materialien und Ideen für Andachten Wünsche der Mütter berücksichtigt: So gibt es ein gemütliches und Bibelarbeiten sind leicht über das Inhaltsverzeichnis zu Sofa zum Kuscheln, viel Stauraum, ein extra breites Bett für die finden. Zudem sind sie im Internet unter www.leicht-und-sinn.de Mütter (und vermutlich die Kinder …) und einen Schreibtisch. Auch herunterzuladen. Dies hilft den Abonnent*innen – überwiegend im Außenbereich wird sich einiges tun: Neue Spielgeräte wie eine Gemeinden, Pfarrer*innen und ehrenamtliche Leiterinnen von Frau- Matschanlage und ein großes Floß bieten auch bewegungsein- engruppen –, ohne großen zusätzlichen Aufwand Andachten, Got- geschränkten Kindern viele Möglichkeiten, interaktiv dabei zu sein. tesdienste oder Bibelarbeiten vorzubereiten. Die Rückmeldungen Der erste Bauabschnitt ist pünktlich fertiggestellt. Die Reaktionen seien unterschiedlich, aber überwiegend positiv, stellt das Team der Mütter und Kinder sind sehr positiv. Spürbar ist es gelungen, um Margot Papenheim inzwischen fest. Es versucht, mit jeder neu- den Kurerfolg wesentlich auch mit einer Wohlfühlatmosphäre in en Ausgabe noch näher ans Ziel zu kommen: Ein Magazin heraus- den Appartements zu unterstützen. In der nächsten Winterpause, zugeben, das leicht, schön und anspruchsvoll zugleich sein soll. ab Dezember 2019, beginnt der zweite Bauabschnitt. Dann wird der Westflügel in gleicher Weise umgebaut. Alle werden wieder Inke Pohl Katrin Schmidt mit anpacken, und danach heißt es wieder: Herzlich willkommen

Fotos: in Gode Tied, tief einatmen und gesund werden! Katrin Schmidt Interview innovative 34 | 2019 18

Eine tägliche Herausforderung gegeben haben. Es ist eine Form der Anerkennung, dass dieser Be- griff in Wörterbüchern nachzuschlagen ist oder bei Wikipedia steht. Daniela Konrädi ist Theologin, Afrodeutsche und Pastorin der Nordkirche. Inke Pohl sprach mit ihr über Ist es wichtig, dass ich in Ihnen nicht allein Frau Daniela die Erfahrung, beinahe täglich Diskriminierung oder Konrädi sehe, sondern auch Ihre Herkunft – also das, was Rassismus zu spüren, über Sprache, Strukturen der äußerlich sofort erkennbar ist? Kirche und über Zukunftswünsche. Ich finde es gut, wenn Menschen nicht mit der Tür ins Haus fallen: „Oh, Sie sehen ja so dunkel aus, wo kommen Sie denn her?“ Fakt Frau Konrädi, 1999 haben Sie als junge Pastorin für die inno- ist: Ich bin Deutsche. Und habe eine dunkle Hautfarbe. Und nenne vative einen Artikel geschrieben. Darin klangen Sie sehr wütend. mich afrodeutsch. Manchmal sage ich „Ich bin schwarze Deutsche“. Wie spannend, 20 Jahre später noch einmal darüber zu Damit drücke ich auch aus, dass ein Teil meiner Herkunft Afrika, reden. Würden Sie diesen Artikel heute wieder schreiben? genauer Ghana, ist – und ich stolz darauf bin. Ich bringe also immer Ich würde andere Begrifflichkeiten verwenden, beispielsweise nicht ein Thema mit, das mir buchstäblich auf die Haut geschrieben ist. mehr das Wort farbig. Denn das bedeutet, dass es Menschen gibt, die eine Farbe haben, und Menschen, die keine haben. Auch weiß ist Häufig wird das Wort „Afrika“ verwendet, als ob es nur eine Hautfarbe. Doch was ich beschrieben habe, das ist Realität. Ich ein einziges Land wäre – dabei ist es ein großer Kontinent. werde heute nicht mehr als Niggerfotze bezeichnet, aber ich muss Wie empfinden Sie das? mir andere fürchterliche Begriffe anhören. Ich höre heute oft das Wort Afrika besteht aus 56 Ländern – es wäre schade, wenn alle gleich Flüchtling als Schimpfwort oder Sätze wie „Geh doch nach Hause“. wären. Aber das ist ein Teil der diskriminierenden Vergangenheit. Vor allem den ersten Teil des Artikels finde ich auch heute noch wich- Den Rassismus, den wir in unserer Gesellschaft haben, haben tig. Er ist aufklärerisch, auch wenn er wütend ist. Viele Menschen ah- wir ja nicht erfunden. Er ist ein Phänomen, das schon sehr alt ist. nen nicht, wie sich alltäglicher Rassismus anfühlt. Sie können davon Schwarz wird mit Afrika identifiziert und Afrika als der Kontinent, ausgehen, dass ich mindestens einmal am Tag eine Situation habe, der arm ist, wo Menschen hungern. Das ist auch ein Teil der Initi- in der ich mir sage: Jetzt geht es gerade wieder um deine Hautfarbe. ative Schwarzer Menschen in Deutschland: Klarzumachen, dass Afrikaner so unterschiedlich sind wie Europäer. Jedes afrikanische Wird das irgendwann weniger schmerzlich? Land hat seine Eigenheiten, dazu hat zum Beispiel Ghana viele eth- Es ist schwer zu ertragen, nach wie vor. Ich hatte immer die Hoff- nische Gruppen. Diese wurden einst bei einer Kolonialkonferenz nung, dass das irgendwann weniger wird. Doch Ereignisse wie der als Ghana zusammengefasst. 11. September 2001 oder das Einwandern von Menschen anderer Herkunft 2015 und 2016 führten eher zur Verschärfung. Es muss Vielen Menschen, die der Kirche nahestehen, ist Toleranz ja klar sein: Wir sind Deutsche, wir sind hier aufgewachsen! Es gibt und Akzeptanz wichtig. Dennoch gibt es auch hier Rassismus. mittlerweile mindestens 140.000 Afrodeutsche. Deutschland ist Wie wirkt sich das auf Ihren Beruf aus? unsere Heimat, aber wir werden nie als Deutsche identifiziert. Wir Ich finde das manchmal sehr ernüchternd und anstrengend. Ja, na- haben natürlich eine Familie, die Migrationshintergrund hat, wir türlich, unsere Kirche steht für antirassistisches Miteinander leben, sind die Kinder der 2. und 3. Generation von Einwanderer*innen für antidiskriminierende Visionen und dergleichen. Das ist beispiels- oder von Menschen, die hier auf Zeit gewesen sind. weise das Programm der interkulturellen Öffnung. Aber in der Rea- lität gibt es ein breites Spektrum – von sehr aufgeklärten Christen, Wie ist der Begriff afrodeutsch entstanden? die versuchen, eine möglichst nicht diskriminierende Sprache zu Der Begriff stammt von der Initiative Schwarze Menschen in Deutsch- haben, bis zu Christen, die AfD wählen oder noch rechter sind. Auch

land. Wir sind darauf ziemlich stolz, denn er kommt von uns selbst. in habe ich unglaubliche Situationen erlebt. Ich dach- Pohl Inke

Anders als viele Bezeichnungen, die uns oftmals weiße Menschen te, hier weiß eigentlich jeder, dass ich die Pastorin bin. Und dann Foto:

„Wir leben in einer rassistisch geprägten Gesellschaft. Wir sind davon durchdrungen.“ Daniela Konrädi 19 innovative 34 | 2019 Interview

kommt man zu einem Beerdigungsbesuch, und es macht jemand die Sie sind beteiligt am Programm „Interkulturelle Öffnung“. Tür auf, sieht mich und macht die Tür wieder zu. Und dann klingelt Welche Probleme liegen Ihrer Meinung obenauf? man nochmal und sagt: Ich bin die Pastorin. Die Antwort: Nee, Sie Vielen Theolog*innen, die im Ausland ihre Studienabschlüsse ge- sind nicht die Pastorin, Sie sehen anders aus. (Lacht) Ich lache da macht haben, ist es nicht möglich, als verbeamtete Pastorin oder heute drüber, aber das ist natürlich sehr schmerzhaft. Und schwie- Pastor zu arbeiten. Ich kenne eine Kita-Mitarbeiterin, die in Kasachs- rig, denn trotz alledem muss der Angehörige beerdigt, das Kind ge- tan ein Universitätsstudium als Grundschullehrerin abgeschlossen tauft werden oder wird die Trauung vollzogen. Wenn ich Menschen hat. Es ist nicht anerkannt worden. Sie ist noch nicht einmal als aus meiner Gemeinde damit konfrontiere, sagen die meisten so- Erzieherin angestellt, sondern als sozialpädagogische Assistentin. fort: „Nein, ich denke doch nicht rassistisch, ich bin doch Christ!“ Sie hat zwar die Möglichkeit, sich weiter zu qualifizieren. Aber wie alt ist die Frau dann? An Karriere ist nicht mehr zu denken. Wie verarbeiten Sie das? Diesen Zwiespalt aushalten zu müssen, kostet Kraft. Gott sei Dank Die junge Generation wächst globaler auf als früher ist es heute genauso wie damals, als ich den Artikel geschrieben und lebt oft in einer mulitnationalen Gesellschaft. habe. Ich kann mit vielen guten Menschen um mich herum reflek- Wenn zum Beispiel Konfirmand*innen Sie zum ersten Mal tieren, was geschehen ist. Sie versuchen, ein anderes Bild in unserer sehen, erleben Sie da noch verwunderte Blicke? Kirche zu etablieren. Auch, damit solche alltäglichen rassistischen Vorweg: Weil ich Afrodeutsche bin, kommen auch afrodeutsche Übergriffe minimiert werden oder sogar ausbleiben. Ich glaube Kinder und Jugendliche, das ist schön. Meine 21-jährige Tochter aber nicht, dass das passiert. Aber ich will überhaupt nicht in Fra- sagte kürzlich: Wir haben das Problem doch gar nicht mehr, hier ge stellen, dass innerhalb unserer Kirche wirklich viel dafür getan in Hamburg sehen wir die ganze Welt abgebildet. Trotzdem ist es wird, dass diskriminierendes Verhalten, Gewalt oder Übergriffe ver- nach wie vor so, dass sie vor diskriminierenden Übergriffen nicht urteilt werden und dass dagegen vorgegangen wird. bewahrt werden kann. Und es etabliert sich gerade wieder da- durch, dass die Rechtspopulisten stärker werden. Es ist leider „up Wie könnte es noch besser werden? to date“, etwas gegen Flüchtlinge und gegen Menschen mit Migra- Unsere Kirche hat es bis heute nicht geschafft, dass mehr afro- tionshintergrund zu sagen – und auch gegen Afrodeutsche. deutsche Pastor*innen, Kirchenleitungsmitglieder, Ehrenamtliche da sind. Natürlich gibt es an der Basis Afrodeutsche, die mitarbei- Wie können konkret Frauen in der Kirche ten, aber sie kommen nicht in höhere Positionen oder sie finden dem Rassismus entgegenwirken? Kirche als Arbeitgeber nicht attraktiv. Eine Idee also ist, dass man Bevor es einen Dialog auf Augenhöhe geben kann, müssen weiße Menschen wie mich in die vorderen Reihen nehmen muss. Ähnlich Frauen klären: Was ist mein kultureller, mein geschichtlicher Hin- wie eine Frauen-Quote – so etwas müsste es auch für Menschen tergrund? Welche Position nehme ich gegenüber einer schwarzen mit Migrationshintergrund und für Afrodeutsche geben. Damit wir Frau ein? Wir leben in einer rassistisch geprägten Gesellschaft, Vorbilder sein können. In den Medien und vielfach auch in der Wirt- wir sind davon durchdrungen. Dieser Ansatz kommt aus Amerika, schaft sind Afrodeutsche inzwischen sichtbar, bei uns in der Kir- wo die Gesellschaft stark vom Gefälle zwischen schwarz und weiß che aber nicht. Das ist für mich zum Beispiel eins der großen The- geprägt ist, er ist aber auch in Europa und Deutschland relevant. men, die sich in unserer Kirche verändern müsste: Dass man eben Ähnlich wie wir in der feministischen Theologie festgestellt haben: nicht nur Partnerschaftsarbeit oder Arbeit mit Ausgegrenzten Wir kommen aus einer frauenfeindlichen Gesellschaft und müssen macht, sondern dass man die, mit denen man arbeitet, in unsere erst unseren Standort klären. Danach kann etwas Gutes entstehen Strukturen rein- und aufsteigen lässt. Jetzt kommt immer schnell – eine Frauenbewegung, die auf der Grundlage „Frau-Sein“ fußt das Argument „Es gibt ja so wenige“, aber das ist die Frage, die und nicht mehr auf der Grundlage der Kultur. sich die Kirche stellen sollte: Warum gibt es so wenige? Ein schöner Schlusssatz. Vielen Dank für das Gespräch.

„Weiße Frauen sollten klären: Was ist mein kultureller, mein geschichtlicher Hintergrund?“ Bisher wurden interviewt Elke König, Dr. Carolin Emcke, Prof. Dr. Katajun Amirpur, Sabine Köther, Daniela Konrädi Christiane Körner, Ines Pohl, Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong, Bischöfin Kirsten Fehrs, Barbara Schmodde, Prof. Dr. h. c. Christa Randzio-Plath, Heike Schlottau, Annegret Bergmann, Erika Förster, Dr. Ute Grümbel, Antje Röckemann, Susanne Jürgensen, Jutta Gross-Ricker, Charlotte Knobloch, Prof. Dr. Annelie Keil, Uta Knolle, Dr. Elisabeth von Dücker, Rut Rohrandt, Bischöfin Maria Jepsen, Annette Hillebrand, Dr. Frauke Hansen-Dix, Ursula Schele, Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, Margrit Semmler, Franziska Steiof (†), Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau, Edelgard Lessing, Elisabeth Lingner, Elsbeth Süßebecker Aus den Frauenwerken innovative 34 | 2019 20

Sichtbar sein! ... denn Glaube ist mehr Workshop zu gerechter Sprache als nur „Kopfsache“ Sprache schließt aus und Sprache kann wertschätzen. Einmal Biblische Worte kreativ entdecken kreativ mit Sprache spielen, schauen, wo sie uns gut tut und wo es Veränderungen braucht: Das wollten Petra Herzig, Leiterin der Unter dem Titel „Glaubensatelier“ führe ich seit einigen Monaten Stadtbücherei Schleswig, Flora Mennicken, Frauenwerk der Nord- im Frauenwerk Altholstein Workshops durch, die dazu einla- kirche, und ich als Beauftragte für Geschlechtergerechtigkeit im den, spirituelle Themen auf kreative Weise zu erfahren. Jeder Kirchenkreis Schleswig-Flensburg. So nutzten wir die „Woche der Workshop stellt einen biblischen Satz in den Mittelpunkt. Diese Sprache und des Lesens“ im Mai 2019 und luden in die Stadtbü- Worte regen meist zu speziellen Bildern und Vorstellungen an. Mit cherei in Schleswig ein. diesen Bildern arbeiten wir – mit Körperübungen, mit Farben oder Wortspielen und im Austausch von Erfahrungen. Aus dem zunächst geplanten Workshop wurden viele wertvolle Einzel- oder Kleingruppen-Gespräche, nachdem wir mit einem Mu- Das „Glaubensatelier“ eröffnet einen Raum, in dem Frauen bi- sikvideo einer Hamburger Mädchengruppe zum Weltmädchentag blische Worte oder Glaubensthemen nicht allein mit dem Verstand gestartet hatten. Er trug das Motto „Sichtbar sein“. Zu den jugend- durchdringen, sondern spielerisch neu für sich entdecken können. lichen Besucherinnen kamen die Mitarbeiterinnen der Stadtbüche- Durch unterschiedliche kreative Methoden werden wir schöpfe- rei dazu, ebenso Eltern, Männer und Frauen. Als zentrale Frage risch. So kann aus dem kreativen Schaffen auch eine spirituelle beschäftigte uns: „Gleichberechtigt?! Heute – damals?! Wie sieht Erfahrung werden. die Realität heute in Schule, Freizeit und Gesellschaft aus?“ Kreativ bedeutet nicht allein malerisch. Es bedeutet auch, ge- „Es ist nicht leicht“ sagte eine 15-Jährige vom Berufsbildungs- wohntes Fahrwasser zu verlassen und auf spielerische Weise zentrum Schleswig, die sich für technische Berufe interessiert. ins Schaffen zu kommen. Bei dem Workshop zu dem Psalm „Gott Eine junge Rettungssanitäterin berichtete, welche Vorurteile zu ih- stellt meine Füße auf weiten Raum“ haben wir unsere Füße mit rem Geschlecht ihr bei der Arbeit immer wieder begegnen. Viele Farbe bemalt, um dann einen Abdruck auf eine Landkarte zu set- Frauen wünschten sich, einfach mal keine Sonderstellung zu zen. Als es um die Kraft eines Adlers ging, die an vielen Stellen haben, sich nicht beweisen oder erklären zu müssen. Ähnliches der Bibel auftaucht, hat eine angeleitete Meditation das Fliegen erzählte auch ein Vater, der als Hausmann oft nicht als gleichbe- spürbar gemacht. Mittels kreativer Methoden werden nicht die ge- rechtigt wahrgenommen würde. wohnten kognitiven Wege eingeschlagen, sondern den intuitiven Zugängen vertraut. Sprache zeigt die immer noch vorhandene ungerechte Wirklich- keit. Sie zeigt sich aber auch als Mittel, das Veränderungen unter- Am Ende des Workshops entsteht ein Bild, in dem die Assozia- stützen kann. Ist eine von Gleichberechtigung geprägte Haltung tionen ihren Platz finden. Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, da, dann beeinflusst diese auch die Sprache – und macht sie etwas „Schönes“ zu schaffen, sondern um den kreativen und indi- schließlich leichter. Im Kurzfilm singen die Mädchen: „... und was viduell-spirituellen Prozess. Biblische Worte werden lebendig, weil muss, das muss“ zu *in, dem Gendersternchen. Es ist so einfach: sie verwoben sind mit eigenen Gefühlen und Erfahrungen. Meist „... nur eine Silbe mehr und alle sind drin!“ Das mache ALLE sind die Frauen ganz erstaunt, was für kraftvolle Bilder entstan- sichtbar. den sind. Mich persönlich beeindruckt jedes Mal die Vielfalt der

Claudia Niklas-Reeps Glaubensbilder. Und ich freue mich schon jetzt auf das nächste Natascha Hilterscheid Foto: Mal! Natascha Hilterscheid

„Viele Frauen wünschten sich, einfach mal keine Sonderstellung zu haben.“ Claudia Niklas-Reeps

Glaubensatelier: Kreativer Umgang mit biblischen Worten. 21 innovative 34 | 2019 Aus den Frauenwerken | Und außerdem

Gegen die Plastikflut Vernetzung Dithmarscher*innen gegen Ausgrenzung teilen Ideen und Erfahrungen Landesverdienstorden für Gudrun Riedel

„Gut leben. Ohne Plastik!“ Unter diesem Titel hat das Frauen- „Ausgegrenzte Menschen zusammenzubringen, ihnen das Ge- werk Dithmarschen zwei Info- und Diskussionsabende in Zusam- fühl zu vermitteln, gesehen und gebraucht zu werden, war mir menarbeit mit der Ökumenischen Arbeitsstelle und der Abfall- immer eine Herzensangelegenheit“, sagte Gudrun Maria Riedel in wirtschaft Dithmarschen angeboten. 37 Kilogramm an Plastik- ihrer Dankesrede. Anfang 2019 erhielt sie den Landesverdienst- verpackungen werfen wir Deutschen durchschnittlich pro Person orden Mecklenburg-Vorpommerns. Geehrt wurde sie vor allem für und Jahr in den Müll. Nur 42 Prozent davon werden recycelt. „Was ihren Einsatz für Frauen, Kinder, sozial schwache Menschen und können wir heute tun, damit es Gottes Schöpfung morgen wieder Geflüchtete. Das Leben von Gudrun Riedel, Jahrgang 1954, aus besser geht?“ Diese Frage stellten wir uns in der Frauenarbeit Strasburg sei in hohem Maße davon bestimmt, „hilfebedürftigen schon im Mai 2018 – zeitgleich mit dem Erscheinen der neuen EU- und ausgegrenzten Menschen eine Aufgabe zu geben, sie un- Richtlinie, die Einweggeschirr, Strohhalme und Wattestäbchen aus tereinander zu vernetzen und Begegnungsmöglichkeiten zu Plastik verbieten wird. Entsprechend groß war das Interesse der schaffen, damit sie weiter am gesellschaftlichen Leben teilneh- Teilnehmenden, die lebhaft gute Ideen austauschten und prak- men können“, hob Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in ihrer tische Erfahrungen teilten, wie sich Plastikmüll vermeiden lässt. Laudatio hervor. Wir können zum Beispiel die PET-Flaschen im Regal stehen lassen und Leitungswasser trinken, Stoffbeutel für den spontanen Einkauf 1975 kommt Gudrun Riedel als Gemeindediakonin nach Strasburg in die Handtasche stecken sowie Speisen mit abwaschbaren ge- in die Uckermark. Sie heiratet den Pastor Christhart Riedel, grün- wachsten Stofftüchern statt mit Frischhaltefolie abdecken. Beliebt det eine Familie und ist haupt- und ehrenamtlich in der Gemeinde ist auch die Bio-Kiste im Lieferservice, die einen sehr guten Beitrag tätig. Ihr Engagement gilt vor allem Frauen und Kindern. Ende der zur Vermeidung von Verpackungsmüll bietet. Ich persönlich habe 80er Jahre ist sie darüber hinaus auch politisch aktiv und wird im letzten Jahr Duschgel, Shampoo und Flüssigseife aus meinem Mitbegründerin des „Neuen Forum Strasburg“. Aufbauend auf ih- Badezimmer verbannt und bin zu in Papier verpackten Seifenstü- ren Abschluss als Diplomsozialarbeiterin bildet sich Gudrun Riedel cken zurückgekehrt. Mit Haarseife habe ich beste Erfahrungen nebenher zur Ehe- und Familienberaterin sowie Supervisorin fort gemacht. Die Fachfrauen aus der Abfallwirtschaft erklärten uns und ruft gemeinsam mit anderen 1991 die „Ev. Beratungsstelle“ aber auch eindrücklich, was nicht in die grüne Tonne gehört: So ins Leben, die unter anderem Erziehungs- und psychologische genannte „Bio-Plastiktüten“ haben dort ebenso wie andere Plas- Beratungen sowie Schwangerschaftskonfliktberatung anbietet. Im tikartikel nichts zu suchen. Sie verderben den Kompost, der aus Jahr 2015 setzt sich Gudrun Riedel für die Gründung eines „Runden den Bio-Abfällen gewonnen wird, und müssen mühsam von Hand Tisches für Flüchtlingshilfe“ ein. Die damals knapp 5000 Einwohner an einem Förderband aussortiert werden. große Stadt nimmt in der Folge bis zu 190 Geflüchtete auf. Eine weitere Herzensangelegenheit ist Gudrun Riedel der Erhalt des Fazit: Wer unser Programm „Gut leben. Ohne Plastik!“ besuchte, „Alten Gemeindehauses“. Hier arbeiteten Einheimische und Ge- ging motiviert mit alltagstauglichen Tipps nach Hause. Als Kon- flüchtete gemeinsam an einem Ort der Begegnung. Seit Ende 2018 ist sument*innen können wir selbstbewusst wirtschaftliche und po- Gudrun Riedel im Ruhestand. Ehrenamtlich ist sie trotzdem für eini- litische Macht ausüben. Wir sind viele und tragen entscheidend ge Stunden in der Beratungsstelle tätig und wirkt weiter federfüh- etwas zum guten Leben für alle bei. rend an der Sanierung des alten Gemeindehauses mit, das sich nun Katja Hose stetig und vielfältig wieder mit Leben füllt. Franziska Pätzold

Motiviert gegen die Plastikflut: Katja Hose, Wolf Eismann, Heiner Wedemeyer und Uta Kloth (v.l.) Foto: Privat Foto:

Engagiert und ausgezeichnet: Gudrun Riedel Foto: Beate Meissner Und außerdem: News innovative 34 | 2019 22

Jubiläum: 25 Jahre „LuK“ Viel erreicht – aber noch nicht alles

Mit einem Gottesdienst unter dem Motto „Du bist schön!“ feierte weis dafür, dass sich unermüdliches Engagement und „sich ein die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft Lesben und Kirche (LuK) Nicht-Nachlassen in den Forderungen für gleiche Rechte und Ak- im Rahmen der Hamburger CSD-Pride-Week ihr 25-jähriges Be- zeptanz vielfältiger Lebensweisen“ lohne. Sie wies darauf hin, wie stehen. Als Gäste waren Bischöfin i. R. Maria Jepsen, Katharina schwer es in anderen Glaubensgemeinschaften oftmals noch sei, Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Senatorin für Gleichstel- als Lesben, Schwule, Trans- und Interpersonen offen zu leben. lung (Grüne) sowie Irene Pabst vom Frauenwerk der Nordkirche dabei. Mit Worten aus dem Hohelied der Liebe thematisierten die An dieser Stelle ein kurzer Rückblick auf die vergangenen 25 Jah- LuK-Frauen das eigene Schönheitsempfinden, die Schwierigkei- re: In den 90er-Jahren zeigte die LuK mit kreativen Aktionen auf ten damit sowie die gesellschaftlichen Schönheitsnormen, die jede vielen Synoden Präsenz, stand hier zu Diskussionen bereit, um beeinflussen. Wie bei LuK-Gottesdiensten üblich, überwogen weib- mit anderen für Akzeptanz und gegen Diskriminierung zu kämp- liche Gottesbilder in Texten, Liedern und Gebeten. fen. Damit hat sie ihren Teil dazu beigetragen, dass Ordinationen lesbischer und schwuler Pastor*innen immer selbstverständ- Viele Besucherinnen waren lange nicht mehr in einem Gottes- licher wurden. Seit dem Jahr 2000 waren dann auch Segnungen dienst gewesen, fühlten sich aber vom Thema sehr angesprochen, im Bereich der Nordelbischen Kirche möglich ebenso wie ein Zu- wie sie beim anschließenden Empfang erzählten. Ihre Sehnsucht sammenleben im Pfarrhaus. nach Formulierungen und Gottesbildern, mit denen sie als les- bische und feministische Frauen etwas anfangen konnten, hatte Durch die Fusion zur Nordkirche schienen viele der erreichten Mög- sich in diesem Gottesdienst erfüllt. Katharina Fegebank sagte im lichkeiten zunächst in Gefahr, da keiner der Synodenbeschlüsse Anschluss an den Gottesdienst: „Endlich habe ich bei einem Got- zu einem Gesetz ausgearbeitet worden war. Doch auch hier hat sich tesdienst alles verstanden.“ Sie schlug vor, solche Gottesdienste einiges getan: Seit 2016 waren Segnungen in der Nordkirche mög- doch jeden Sonntag um 10 Uhr in allen Hauptkirchen zu feiern. lich. Und ganz aktuell wurde auf der jüngsten Synode im Sep- tember 2019 beschlossen, auch für gleichgeschlechtliche Ehen Den LuK-Frauen sicherte sie zu, dass der Senat und die Stadt Ham- den Begriff Trauung zu verwenden. burg an ihrer Seite stünden – insbesondere beim Kampf für Vielfalt und gegen Diskriminierung. Sie mahnte, wachsam zu sein: Durch Seit ihrer Gründung war die LuK der Frauenarbeit eng verbunden. die AfD in der Hamburger Bürgerschaft werde sie ständig daran Sie gründete sich im Jahr 1994 im Frauenwerk des damaligen Kir- erinnert, dass es Kräfte gebe, die das Rad wieder zurückdrehen chenkreises Alt-Hamburg, um ein Jahr später auf dem Kirchentag wollten – wie beispielsweise bei der Ehe für alle. in Hamburg eine Reihe von Veranstaltungen für lesbische Frauen anzubieten. Für viele LuK-Frauen bedeutete schon die Mitarbeit im Altbischöfin Maria Jepsen hatte eine ähnliche Mahnung ausge- Vorbereitungskreis ein damals aufregendes Outing. sprochen. Auch in der Kirche müsse auf Erreichtes gut geachtet werden. Sie erzählte, dass sie als junge Pastorin prüfen sollte, ob Seit vielen Jahren hat die LuK einen festen Platz in der heutigen eine Pastorin mit ihrer lesbischen Freundin zusammenwohne. Die- Frauendelegiertenkonferenz des Frauenwerks der Nordkirche, se Zeiten seien zum Glück vorbei. Doch auch heute müssten alle fühlt sich nach wie vor in der Frauenarbeit beheimatet und ist dank- darauf achten, dass solche Zeiten nicht in Ansätzen zurückkehr- bar für die gute Zusammenarbeit die 25 Jahre hindurch. ten. Irene Pabst erinnerte an den 50 Jahre zurückliegenden Auf- stand der Homo- und Transsexuellen in der New Yorker Christopher Jessica Diedrich Street gegen polizeiliche Gewalt und Willkür. Die LuK sei ein Be-

Beteiligte und Gäste der 25-Jahr-Feier in der Hamburger Kirche St.-Georg. Foto: LuK Hamburg LuK Foto: 23 innovative 34 | 2019 Und außerdem: Kolumne

Meine Zeit mit Oprah Winfrey Nadia Haddash über das Idol ihrer Jugend

Ich wuchs in einer großen Familie in einem großen Haus im Je- der erfolgreichsten und wichtigsten gesellschaftspolitischen men auf. Ein Problem unserer Familie bestand darin, über den Persönlichkeiten. Fernseher zu streiten, da alle Mitglieder ihre Lieblingssendung sehen wollten. Und mit allen Mitgliedern meine ich meine Großel- So folgte ich ihrem Programm so leidenschaftlich, dass ich manch- tern, Onkel, Tanten und deren Kinder. Jeder von uns hatte seine mal weinte, wenn meine Brüder und meine Onkel mich nicht die eigene Auswahl an Programmen, Filmen und Serien, die auf ver- Sendung sehen lassen wollten. schiedenen Kanälen gezeigt wurden. Als eines Tages mein Großvater uns streiten sah – die Gnade Gottes sei mit ihm – sagte er daraufhin: „Ab heute an gehören Nadia der Die Sendung von Oprah Winfrey war für mich das beste Programm Fernseher und die Fernbedienung von 19:00 bis 20:00 Uhr.“ Meine und ich habe jeden Tag darauf gewartet. Ich erinnere mich, dass es Freude war damals unglaublich, als würde ich eine Million Dollar in von 19:00 bis 20:00 Uhr auf dem MBC4-Kanal gezeigt wurde. Dies dieser Stunde gewinnen. Daraufhin konnte ich alle folgenden Sen- war eine heilige Stunde für mich, sodass ich immer darauf achtete, dungen immer in Ruhe sehen und habe es sehr genossen. alle Aufgaben vorher schnell und rechtzeitig zu erledigen. Und glauben Sie es oder nicht: mit der Zeit begannen alle nach und Oprah Winfrey ist eine afroamerikanische Moderatorin und Namens- nach – zuerst mein Großvater und meine Tante – dem Programm mit geberin eines Fernsehprogramms. In ihrer Talkshow „The Oprah mir gemeinsam zu folgen. Und mit der Zeit kamen immer mehr Zu- Winfrey Show“ ging es um verschiedene soziale Themen, sie zeigte schauer aus meiner Familie dazu. Sogar einige meiner Onkel folg- inspirierende Geschichten und lud Prominente und internationale ten Oprah. Ich weiß nicht, ob sie sie als inspirierende Person sa- Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen ein. hen. Vielleicht sahen sie ja doch mehr als nur ihre Hautfarbe oder ihren Körper, vielleicht erkannten sie, um was es ihr geht und was Aber Oprah war in unserem Haus nicht willkommen. Ich habe mich dahintersteht. immer mit meinen Brüdern und meinen Onkeln um die Fernbedie- Zumindest stritten wir uns nicht mehr wie früher, und ich sah täg- nung gestritten, damit ich den richtigen Kanal einstellen und die lich zu der gewohnten Zeit in Ruhe meine Oprah im Fernseher. Nur Sendung sehen konnte. In den Augen meiner Familie war Oprah nur eines konnte mein Treffen mit ihr manchmal abhalten: Wenn der eine schwarze Frau, die stundenlang quasselte, und ihre Zuschauer Strom ausfiel. Dann war das höhere Gewalt. ihr nur applaudierten, weil sie von Geschenken überrascht wurden. Nadia Haddash

Für mich ist Oprah hingegen eine der Frauen, die mich positiv und stark beeinflusst haben. Ihre bedeutenden Themen über Mensch- lichkeit, Selbstliebe und insbesondere Frauenthemen waren für mich von besonderem Interesse. Es war für mich nicht nur eine erfolgreiche und berühmte Show, in der eine der talentiertesten Moderatorinnen wichtige Themen präsentierte. Es erstaunte mich darüber hinaus, wie diese Frau nach vielen bitteren Erfahrungen wie Armut, Gewalt und Vergewaltigung in ihrem Leben immer wie- der aufstand. Wie sie niemals den Glauben an sich verlor und stets Mut fasste, weiter zu kämpfen. Nach einer Weile gelang

Foto: Eggers/Nordbild Foto: es ihr, ihren Traum zu verwirklichen, und so wurde sie zu einer

„Oprah Winfrey ist eine der Frauen, die mich positiv und stark beeinflusst haben.“ Nadia Haddash Nachrufe innovative 34 | 2019 24

Standfest und hartnäckig Für Würde Nachruf auf Elisabeth Schmidt-Brockmann und Menschenrechte Am 8.7.2018 ist Pastorin Elisabeth Schmidt-Brockmann Nachruf auf Edelgard Abram nach einer längeren Krebserkrankung verstorben. Sie war von 1973 bis 1978 Referentin des Nordelbischen Am 23.5.2019 ist Edelgard Abram im Alter von 65 Jahren nach Frauenwerks in Neumünster und später leitete sie das schwerer Krankheit verstorben. Die Diagnose Bauchspeicheldrü- Frauenwerk – Haus der Frau am Loogeplatz in Hamburg. senkrebs erhielt sie eine Woche nach der schönen Feier anlässlich ihrer Verabschiedung in den Ruhestand im Dorothee-Sölle-Haus. Zu- Zuletzt sah ich Elisabeth Schmidt-Brockmann 2017 bei einer Ver- letzt hatte sie als Referentin bei der Diakonie Hamburg gearbeitet. anstaltung anlässlich des G20 Gipfels in der Hamburger St. Jako- bi-Kirche. Hier sprach Susanne Schmidt, die bekannte in England Eine kurze Zeit leitete Edelgard Abram das Frauenwerk in Elms- lebende Finanzmarktexpertin. Elisabeth Schmidt-Brockmann hat- horn. Mit dem Nordelbischen Frauenwerk verband sie das Enga- te uns den Kontakt zu ihrer Cousine vermittelt und damit die Veran- gement für Menschenrechte und Würde für Näherinnen. Unsere staltung möglich gemacht. Begegnung empfand ich als Fügung. Sie tauchte auf und war die ideale Besetzung für ein gemeinsames Projekt des Diakonischen Elisabeth Schmidt-Brockmann, Ada Emler und andere Frauen Werkes, Brot für die Welt und des Frauenwerks, in dem wir indone- vom Loogeplatz gingen bei Bedarf für ihre Überzeugungen, für sische Näherinnen mit Hamburger Konsument*innen zusammen- Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit auf die Straße. Ich war brachten. Edelgard kannte die Kampagne für Saubere Kleidung damals als junge Einsteigerin im KDA, dem Kirchlichen Dienst in durch ihre langjährige Mitarbeit für die Vereinigte Evangelische der Arbeitswelt, zuständig für Frauen im Beruf, und von diesen Kir- Mission im Trägerkreis der Kampagne. Sie beherrschte die indone- chenfrauen tief beeindruckt. Frauen wie Elisabeth Schmidt-Brock- sische Sprache und war zudem in der dortigen Kultur bewandert. mann haben mich für die Nordelbische Kirche und die Frauenar- Es folgten viele Jahre gemeinsamer Arbeit, in denen sie uns eine beit gewonnen. Ihre politischen Beiträge auf Pressekonferenzen empathische Beziehung zu den Frauen in den Nähfabriken ver- zum 8. März Mitte der 90er-Jahre revidierten das überkommene mittelte, sodass wir deren Wunsch nach besseren Lebensbedin- konservative Bild, das die Frauenszene von Kirchenfrauen hatten. gungen hautnah nachvollziehen konnten. Als das Projekt auslief, engagierte Edelgard Abram sich viele Jah- Mit Standfestigkeit und Hartnäckigkeit hat Elisabeth Schmidt- re in der Hamburger Kampagnen-Gruppe. Sie beteiligte sich an Brockmann die Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit wäh- Straßenaktionen und Veranstaltungen oder hielt Vorträge. Ihre Kon- rend und nach ihren Zeiten in den Frauenwerken und im The- takte in die Fabriken und zu indonesischen Frauenrechtsorganisa- ologinnenkonvent in unsere Kirche hineingetragen. tionen und Gewerkschafterinnen sowie ihre Sprachkenntnisse hal- fen bei vielen Recherchen der Kampagne für saubere Kleidung. Ihre institutionskritischen und politischen Haltungen waren sicher nicht immer bequem und diplomatisch. Wo aber stünden wir heute Ihr vom christlichen Glauben getragenes Engagement hat bei ohne Frauen wie diese, wie Elisabeth Schmidt-Brockmann? Ihre uns und in Indonesien Spuren hinterlassen. Wir sind dankbar, deutlichen Ansagen gegenüber herrschaftlichen und patriarcha- dass sie ihre Zeit und ihre Gaben mit uns für mehr Gerechtigkeit in len Kirchenstrukturen sollten in uns lebendig bleiben. der Welt geteilt hat. Waltraud Waidelich Waltraud Waidelich

„Wo stünden wir heute ohne Frauen wie diese?“ Waltraud Waidelich 25 innovative 34 | 2019 Buch-Tipps

Stärker als Ein Mut-Mach-Buch: der Schweinehund Unerschrocken

Ist es bei Regenwetter vertretbar, mit dem Auto zum Reitstall zu Ja, unerschrocken bin ich auch an den Buchtipp rangegangen ... fahren? Wie lassen sich Plastikverpackungen beim Einkauf im doch dann war ich doch ziemlich erschrocken über das, was ich sah. Supermarkt vermeiden? Wohin und mit welchem Verkehrsmittel fahren wir möglichst klimaneutral in den Urlaub? Diese und viele 15 Porträts und Biografien außergewöhnlicher Frauen – ange- andere Fragen beschäftigen die Familie Pinzler / Wessel für ein fangen bei einer Rapperin über eine Banditenkönigin bis hin zur Jahr lang. Das Journalist*innenpaar und die beiden Kinder im Teen- Anwältin, Erfinderin oder Astronautin. Die französische Illustra- ageralter nehmen sich vor, ihren CO2-Abdruck zu verkleinern. Da- torin und Cartoonistin Pénélope Bagieu hat mit Hilfe vom Comics bei erwerben sie nützliches und zum Teil erschreckendes Wissen und Cartoons Lebenswege dieser und anderer Frauen gezeichnet: über die klimatischen Auswirkungen von Verkehr, Ernährung, Woh- Frauen in unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Le- nen, Hobbies und Kleidung. Sie geben dieses auf kurzweilige und benswelten, vom reichen Girl in Amerika bis zum armem Mädchen gut verständliche Weise an die Leser*innen weiter: Beispielsweise in . Es geht um bekannte und unbekannte Frauen: z.B. über den jährlichen deutschen Mineralwasserverbrauch, der sich um die afghanische Rapperin Sonita Alizadeh, die im iranischen in Kisten viermal bis zum Mond stapeln ließe. Exil gegen Zwangsheirat rappt. Oder um die Frauenrechtlerin Thé- rèse Clerc, die für das Recht auf Abtreibung kämpft und ein auto- Der ehrliche, aber nicht zu intime Einblick in den Alltag der sympa- nomes Wohnprojekt für mittellose Seniorinnen ins Leben ruft. thischen Familie, in ihr Diskutieren und Philosophieren, liest sich absolut vergnüglich. Am Schluss heißt es: „Wir werden wieder Comics sprachen mich eigentlich schon immer an, aber als Stil- scheitern. Besser. Und dann fluchen. Lachen. Streiten. Es er- form für eine Biografie? Das machte mich erst recht neugierig. Und neut versuchen.“ Skeptisch bleibe ich hinsichtlich des sicher ge- ich muss zugeben: So lange habe ich noch nie an einem Comic wünschten Nachahmeffekts. Dazu sind die Ausgangsvorausset- gelesen, denn die Fülle an Bildeindrücken und Infos zugleich ver- zungen der Familie hinsichtlich Zeit, Geld, Bildung und Lebensum- langsamte mein Betrachten enorm. So las ich immer nur ein Por- feld zu perfekt – was die Verfasser*innen ehrlich einräumen. trät zur Zeit. Der Künstlerin ist es gelungen, eindrückliche Bilder zu schaffen, die für sich sprechen. Wenig, aber ausreichend Text Was mich nachhaltig berührt, ist die Ernsthaftigkeit, mit der die sorgt dafür, nötige Informationen zu bekommen. Vier sich auf den Weg machen, vom besseren Wissen ins bes- sere Tun zu kommen: „Wir glauben nach wie vor, dass es darauf Mit einigen der Frauen werde ich mich sicher noch weiter beschäf- ankommt. Dass wir handeln können. Ohne Selbstkasteiung, aber tigen. Die Frauen sind ihre eigenen selbstbestimmten Wege ge- durch bewussteres Leben, und ohne schlechtes Gewissen, wenn gangen, die oft voll von Hindernissen und Begrenzungen waren es mal wieder nicht klappt. Aber mit Nachdenklichkeit und dem oder sind. Die Porträts machen deutlich, wie wichtig der Einsatz Versuch, es zukünftig besser zu machen.“ für Gleichberechtigung und ein selbstbestimmtes Leben unabhän- Julia Jünemann gig von Geschlecht, Hautfarbe, sozialem Umfeld, Finanzen und Religion ist. Nicht jeder Weg gelingt, manche der Frauen müssen schwere und lange Umwege gehen und sich das Recht erkämpfen.

Claudia Niklas-Reeps

Petra Pinzler, Pénélope Bagieu: Günther Wessel: Unerschrocken´2: Vier fürs Klima – Wie Fünfzehn Porträts unsere Familie versucht, außergewöhnlicher Frauen CO2-neutral zu leben Verlag Reprodukt Droemer Verlag Berlin 2018 München 2018 ISBN 978 3 956 40142 8 ISBN 978 3 426 27732 4 24 Euro 18 Euro Buch-Tipps innovative 34 | 2019 26

Von Schuld, Erinnerung Eine Frauenrechtlerin und Wahrheit mit Weitsicht

Mitten im besten studentischen alternativen Freundeskreis: eine Knapp 500 Seiten, die sich zu lesen lohnen. Anja Zimmer hat ei- Vergewaltigung. Oder doch nicht? nen fesselnden Roman über Louise Otto-Peters, Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung und sozialkritische So geht es los, in Bettina Wilperts Debütroman „Nichts, was uns Schriftstellerin, geschrieben. Anhand des Lebens dieser bemer- passiert“. Mich hat dies erst abgeschreckt, als ich den Roman im kenswerten, visionären Frau, der „Lerche des Völkerfrühlings“, ge- Buchladen entdeckte. So ein schweres Thema, damit wollte ich lingt es der Autorin, einen tiefen Einblick in die deutsche Geschich- mich nicht auch noch abends auf dem Sofa beschäftigen. Aber te zu geben. Mit der Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters taucht die Geschichte hatte mich gepackt, arbeitete in meinem Unter- die Leserin ein in das 19. Jahrhundert und in die Epoche des Bie- bewusstsein weiter. Immer wieder ertappte ich mich bei dem dermeier. Es ist die Zeit der revolutionären Bewegung zwischen Gedanken, jetzt doch herausfinden zu wollen, was wirklich pas- der Julirevolution von 1830, der Märzrevolution von 1848/1849 und siert ist. Genau so funktioniert das Buch: Entlang dieser Frage der Jahre danach. Das Streben, eine geeinte deutsche Nation zu geht eine anonyme Erzählerin mit den einzelnen Beteiligten ins Ge- werden, das Sehnen nach Freiheit und sozialen Rechten mobili- spräch, lässt sie erzählen, gibt den verschiedenen Perspektiven sierte viele Menschen und ließ zugleich eine dagegen gerichtete Raum. In diesem Neben- und Nacheinander verschränken sich restaurative Politik der Verfolgung, Unterdrückung und Zensur er- die einzelnen Sichtweisen, aber kommen manchmal auch umso starken. „Ich fürchte, dieser Roman wird einigen Herrschaften erschreckender nicht zusammen. Kann es sein, dass ein Ereignis nicht gefallen, Fräulein Otto“, sagte Wienbrack ernst, während unterschiedliche Wahrheiten schafft? er sich in seinem Bürostuhl zurücklehnte. „Wenn ich schreiben würde, was allen gefällt, könnte ich es ebenso gut bleiben las- Anna und Jonas treffen sich mitten im Taumel der Männer-Fußball- sen“, erwiderte Louise, die ihm an seinem Schreibtisch gegen- weltmeisterschaft von 2014 auf einer Geburtstagsfeier wieder. übersaß. Solche Wortwechsel machen das Selbstbewusstsein Sie kennen sich, hatten schon einmal flüchtig was miteinander. dieser Kämpferin deutlich. Jetzt auf dieser Party gibt es viel Alkohol und auch Erinnerungslü- cken. Anna bleibt betrunken bei Jonas, weil sie es nicht mehr nach Anja Zimmer versteht es, die Gedichte von Louise Otto-Peters und Hause schafft. Nach der Nacht sagt Anna, Jonas habe sie verge- deren Leben zu einer Einheit zu verweben. 1864 dichtete Louise auf waltigt. Für Jonas ist klar: Es war einvernehmlicher Sex. Schnell einer ereignisreichen Reise: „In deine Hütte lass mich sehn – Da geht es nicht mehr nur um die Beiden, es geht um die ganze drin am Weberstuhle / Gestalten voller Jammer stehn / Und klap- Gesellschaft. Wie passt so etwas an eine schicke, hippe Uni? In pern mit der Spule. / Die Kinder schrein laut nach Brot, / Die blinde eine alternative coole Szene, in der doch alles anders sein soll? Alte singet / Ein düstres Lied vom Freunde Tod, / der einst Erlö- Wer hat die Deutungshoheit über solch eine Situation? Und gibt es sung bringet.“ Sie gab damit ihrem Schmerz und ihrer Wut über überhaupt einen richtigen Umgang damit – etwas zwischen Ver- die sozialen Missstände in der Textilproduktion Ausdruck. Eigent- dammung einerseits und Ignoranz andererseits? Die Fragen nach lich unglaublich, dass an vielen Stellen dieser Welt die Zustände in der (eigenen) Schuld, die Zweifel an der eigenen Erinnerung – das dieser Branche immer noch so menschenunwürdig sind. trifft beide. Was ist wirklich passiert? Am Ende sind alle Geschich- ten erzählt, alle Sichtweisen dargelegt. Eine Antwort? Lesen Sie Susanne Sengstock selbst. Flora Mennicken

Anja Zimmer: Ich habe Licht gebracht! Bettina Wilpert: Louise Otto-Peters, Nichts, was uns passiert eine deutsche Revolutionärin Verbrecher Verlag, Berlin 2018 Sax-Verlag, Beucha 2019 ISBN 978 3 957 32307 1 ISBN 978 3 867 29400 3 19 Euro, als E_Book 12,99 Euro 19,80 Euro 27 innovative 34 | 2019 Buch-Tipps

Mit dem Leben bezahlt Elternwege

So genannte Ehrenmorde wie an Hatun Sürücü in Berlin oder an Dieses Buch sollte in der Frauenarbeit, der Lebensberatung, bei Morsal Obeidi in Hamburg erschütterten die Öffentlichkeit. Die Seelsorger*innen und darüber hinaus Beachtung finden, denn jungen Frauen wurden von Familienangehörigen getötet, weil eine ganzheitliche Begleitung von werdenden Eltern in unserer sie nicht nach den Vorstellungen ihrer Familien leben wollten, komplexen Welt sollte auch im kirchlichen Umfeld eine Rolle spie- sondern selbstbestimmt und frei. len. „Im Kontinuum Elternwerden ereignen sich Momente größ- ten Glücks, aber auch Momente des größtes Schmerzes“ stellen Die grausamen Morde sind krasse Einzelfälle, und gleichzeitig sind die Autorinnen fest. Gerade in einer Zeit, in der es immer weniger sie Auswüchse extrem patriarchaler Familienstrukturen, die Men- die eine richtige Antwort gibt, fühlen sich werdende Eltern mit ih- schen aus unterschiedlichen Ländern mit nach Deutschland ge- ren Fragen und Gefühlen oft allein. Das Buch zeigt, wie Paare so bracht haben. Zwangsverheiratungen, häufig von minderjährigen begleitet werden können, dass sie auch in Krisen eine reflektierte Mädchen – die Autorin unterscheidet sie von arrangierten Ehen Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch mit Einverständnis beider Seiten – gehören dazu. Die Autorin und treffen können. Und auch, wie sie eine traumatisch verlaufende Ge- Kulturwissenschaftlerin Cankiran analysiert die Perspektiven burt, gar eine Totgeburt verarbeiten und Abschied nehmen kön- und Motive aller Beteiligten, der von Gewalt betroffenen Töchter nen. Anschaulich und eindrücklich wird beschrieben, wie die rei- und Söhne, auch der Mütter und Väter sowie die strukturellen nen Glücksmomente, die Ekstase, das Willkommen-Heißen eines Probleme, die dahinter stehen. Sie zeigt, warum die Töchter Kindes bewusst wahrgenommen und gefeiert werden können. und Söhne nicht oder nur sehr schwer aus den Strukturen aus- Eine klare Strukturierung mit Symbolen hilft, die vielfältigen Zugän- brechen können. Die Autorin, die die Situation vieler betroffener ge und Artikel ganz unterschiedlicher Autor*innen zum Thema klar junger Frauen aus ihrer Beratungstätigkeit kennt, plädiert leiden- einordnen zu können: Erfahrungen der Eltern, wissenschaftliche schaftlich für Freiheit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Beiträge, Erfahrungsberichte von Begleitenden und spirituelle Im- benennt Zwangsverheiratungen als das, was sie sind: eine Ver- pulse sind in neun Kapitel gegliedert, die sich auch jedes für sich letzung der Menschenrechte. Sie fordert nachhaltige Aufklärung gut lesen lassen. über demokratische Werte, Menschenrechte, eine sachliche Dis- kussion und eine für Gewaltdelikte sensibilisierte Rechtsprechung. In einer Zeit, in der immer weniger Frauen davon überzeugt sind, Es gehört zu einem ehrlichen Dialog in unserer Gesellschaft, auch ihr Kind aus eigener Kraft gebären zu können, macht das Buch schwierige Themen anzusprechen, ohne in rassistische Zuschrei- deutlich, wie Selbstbestimmtheit gefördert werden kann. So dass bungen oder pauschale Religionsfeindlichkeit abzugleiten: Eltern zu sich zurückkommen, bei sich selbst sein können, um die innere Freiheit zu gewinnen, die eigenen Werte zu erkennen und „Zwangsverheiratungen, Kinderehen oder Ehrenmorde sind nur Entscheidungen zu treffen, den eigenen Weg zu gehen. Wer dieses einige von vielen Problemen, die unsere Gesellschaft hat. Sie Buch liest, wird das Wissen erweitern, sensibler werden und die dürfen nicht überbetont werden, während die alltägliche Gewalt eigene Praxis durch neue Impulse vertiefen. an Frauen und Kindern totgeschwiegen wird.“ Rukiye Cankiran bringt eine differenzierte und wertvolle Stimme in den oft sehr emo- Susanne Sengstock tional und unsachlich geführten Diskurs über diese Themen ein.

Irene Pabst

Rukiye Cankiran: Angelica Ensel, Maria Anna Das geraubte Glück. Möst, Hanna Strack (Hg) Zwangsheiraten in Momente der Ergriffenheit. unserer Gesellschaft Begleitung werdender Eltern Herder Verlag zwischen Medizintechnik Freiburg i. Br. 2019 und Selbstbestimmheit. ISBN 978 3 451 38266 6 Vandenhoeck & Ruprecht 20 Euro Göttingen 2019 ISBN 978 3 525 61628 4 35 Euro Begegnung und Gemeinschaft. und Begegnung die Ferne und zu sich selbst – und natürlich natürlich und – selbst sich zu und Ferne die Geschichte, Spiritualität, Natur, Reisen in in Reisen Natur, Spiritualität, Geschichte, noch viel mehr ... Erleben Sie Kultur, spannende spannende Kultur, Sie Erleben ... mehr viel noch im Harz, Schnee im Allgäu, Segelreisen und und Segelreisen Allgäu, im Schnee Harz, im Italien, Bauhaus, Pilgern im Emsland, Wandern Wandern Emsland, im Pilgern Bauhaus, Italien, Tel. 0431–55779111 FrauenReisen Hinundweg und Anmeldungen: Infos, Reiseprogramm Neu mit uns au uns mit und kommen Sie Freuen Sie sich auf 2020 g ieri g

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