Eigentum Des Mannes Sie War Erst 16, Und Sie Wollte Nur So Leben Wie Andere Teenager in Deutschland Auch
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Deutschland VERBRECHEN Eigentum des Mannes Sie war erst 16, und sie wollte nur so leben wie andere Teenager in Deutschland auch. Doch dadurch sah Morsal Obeidis afghanische Familie ihre Ehre verletzt. Am Ende erstach ihr Bruder sie. Der Fall zeigt, wie gefährlich archaische Traditionen werden können, wenn Integration scheitert. ine Woche nach ihrem Tod wird Morsal beerdigt. Am Morgen wa- Eschen die Frauen den Körper, reini- gen ihn von irdischen Sünden, so will es die Tradition. Schmal ist er, ein Mädchenkörper noch, zerschunden von Messerstichen, wild in den Leib gejagt. Die Frauen wickeln den Körper in ein Leinentuch, betten ihn in den Sarg aus hellem Holz. Am Mittag nehmen sechs Männer den Sarg auf ihre Schultern. Sie laufen vorne- weg, gefolgt von 200 Männern und Frauen in Schwarz. Ghulam-Mohammed Obeidi, der Vater, der in einer Nacht seine Tochter und wohl auch seinen Sohn verloren hat, geht in der Mitte. Sie kommen einen Weg entlang, der zum muslimischen Teil des Friedhofs Hamburg-Öjendorf führt, ganz hinten, zum neuen Teil, dort, wo ein paar Bauarbeiter an einem Bagger lehnen. Dann bleiben die Frauen stehen, und die Männer gehen mit dem Sarg bis ans Grab, das ausgeschlagen ist mit Brettern. Ein rechteckiges Loch in der Erde. Oben heller Sand. Das ist der Endpunkt der Geschichte. Ein erstochenes Mädchen in einem Grab. Morsal Obeidi, 16 Jahre alt. Geboren in Afghanistan. Gestorben vor ein paar Tagen in Hamburg, auf einem Parkplatz. Zwischen Geburt und Tod versuchte Morsal Obeidi ein Leben zu führen, wie sie es für richtig hielt. So, wie die anderen Mädchen auf der Schule. Sie versuchte vielleicht genau das, was Politiker und Sozialarbeiter ständig fordern, nämlich sich zu integrieren. Ihre Eltern waren dabei ein Problem, die Familie. Ihr Bruder vor allem, Ahmad, der älteste. Zum Schluss wurde Morsal Obeidi zerrieben, von einem Leben in zwei Welten, vom täglichen Kampf darum, so sein zu dürfen, wie sie es wollte. Am Abend des 15. Mai, einem Don- ZEITUNG / BILD ZITZOW MARCO nerstag, traf sich Morsal mit Mohammed, Schülerin Morsal: Der tägliche Kampf darum, so sein zu dürfen, wie sie wollte ihrem Cousin. Sie saßen in einem McDo- nald’s-Restaurant. Morsal war seit ein paar zu führen. „Er sagte zu mir: Du triffst dich hin, rauchten. Um 23.20 Uhr tauchte Monaten wieder in der Stadt, nach einer doch heute mit Morsal. Danach kommt ihr Ahmad aus der Dunkelheit auf. Morsal er- längeren Zeit bei Verwandten in Afghani- am Berliner Tor vorbei. Du sagst ihr ein- starrte, als sie ihn erkannte. Ahmad ging stan. Es war Frühling in Hamburg. Sie fach nichts. Ich will nur mit ihr reden.“ auf sie zu. Dann stieß er wortlos mit einem aßen, und Mohammed hatte einen Plan, Reden klang nicht nach einem Problem. Messer auf sie ein. Ein paar Stiche. „Ich den er Morsal nicht verriet. Der Plan schien Kurz nach 23 Uhr kamen Morsal und schätze, er hatte vorher was genommen. harmlos. Mohammed sagt später, Ahmad, Mohammed am Bahnhof an. Sie gingen Drogen. Oder hatte was getrunken. Ich Morsals Bruder, habe ihn gebeten, die um die Ecke zu einem kleinen Parkplatz, wollte ihn zurückhalten. Aber er schubste Schwester an den S-Bahnhof Berliner Tor direkt an einem Wohnhaus. Sie setzten sich mich weg“, so sagt es Mohammed. 62 der spiegel 22/2008 Ahmad Obeidi ist 23 Jahre alt, ein kräf- Wenn man Morsals Leben rekonstru- In Deutschland angekommen, gab es tiger, sportlicher Typ. Morsal versuchte iert, dann erfährt man etwas über die wenig Gemeinsamkeiten. Die alten Feinde wegzulaufen, stolperte, schlug hin. Ahmad unterschiedlichen Wege, sich einzufügen. wohnten jetzt nebeneinander, in derselben war über ihr, stach weiter auf sie ein. 5 Sti- Irgendwie anzukommen in Deutschland. Stadt. Man besann sich auf das höchste che, 10 Stiche. Er sagte nichts dabei. Nur Man spürt die verschiedenen Anpassungs- Gut, über alle ideologischen Grenzen hin- der rechte Arm arbeitete. Wie im Rausch. geschwindigkeiten. Morsal war immer weg: die Familie. Später sollte die Polizei über 20 Stiche einen Schritt voraus. Ihr Bruder Ahmad Die Familie war der Fluchtpunkt und zählen. So heftig ausgeführt, dass Ahmad immer hinterher. auch das, was es jetzt zu verteidigen galt. später einen Verband am rechten Unter- Morsal hatte einen deutschen Pass, ge- Sie durfte nicht auseinanderfallen in dieser arm trug. nauso wie ihr Bruder und der Rest der neuen, fremden Welt. Morsal schrie, die Leute im Wohnhaus Familie. Ghulam-Mohammed Obeidi war Der Konformitätsdruck ist hoch. Jeder wurden wach. Passanten riefen die Poli- als Erster nach Deutschland gekommen. soll die Regeln beachten. Morsal Obeidi MATTHIAS VON BRAUN / ACTION PRESS / ACTION VON BRAUN MATTHIAS ZEITUNG / BILD ZITZOW MARCO Sterbende Morsal, Täter Ahmad: Er wirft ihr die offenen Haare vor, die Schminke, die kurzen Röcke zei. Ahmad flüchtete, zur nahen U-Bahn, Im Jahr 1992 – damals war Helmut Kohl wurde auch das zum Verhängnis. Der Va- Mohammed folgte ihm. Dann saßen sie noch Kanzler. Der Vater war knapp 30 Jah- ter holte die Familie 1994 nach Deutsch- sich schweigend im Zug gegenüber. Der re alt, ein gutaussehender junger Mann, land. Ahmad war knapp zehn Jahre alt, Täter und der Lockvogel. ein Pilot. In der Sowjetunion war er zum Morsal erst drei. Der Vater konnte mit sei- Morsal starb. Kampfpiloten ausgebildet worden, er steu- ner Pilotenausbildung in der neuen Heimat Mohammed irrte kurze Zeit durch die erte die legendäre MiG-21, einen Düsen- nichts mehr anfangen. Niemand brauchte Nacht, dann meldete er sich bei der Polizei, jäger, zweimal so schnell wie der Schall. in Deutschland einen afghanischen Elite- sagte: Ahmad war’s. Er hat sie umgebracht. Obeidi flog Kampfeinsätze gegen die reli- soldaten. Der Pilot wurde Busfahrer. Die Auf dem Polizeirevier verhörten sie Mo- giösen Mudschahidin, er war Mitglied der deutsche Sprache erlernte er nie richtig. hammed sechs Stunden lang. kommunistischen Partei, deren Herrschaft Alle schienen ihn hier zu überholen – so- Am 16. Mai gegen Mittag, rund zwölf bald zu Ende ging. Die Mudschahidin gar seine eigene Tochter. Stunden nach der Tat, standen Polizeibe- zogen in Kabul ein. Obeidi flüchtete. In Obeidi eröffnete einen Handel für ge- amte an der Wohnungstür Ahmad Obeidis. Hamburg lebten bereits viele Afghanen, brauchte Autobusse im Stadtteil Rothen- Er ließ sich widerstandslos festnehmen. Er es schien ein guter Ort, um neu anzufan- burgsort. Auf dem Hof der Obeidi-Auto- gestand die Tat. Es schien den Polizisten, gen. Hier war man nicht allein. Export stehen noch drei heruntergekom- als habe Ahmad, der Schwesternmörder, Rund 20 000 Menschen afghanischer mene Busse und ein alter Mazda. Ahmad, auf sie gewartet. Herkunft wohnen heute in Hamburg – der Messerstecher, war hier der Geschäfts- In den nächsten Tagen ist von einem „Eh- mehr als in jeder anderen europäischen führer. Ein Händler, der kaum etwas hat, renmord“ die Rede. Ein Mord um der Ehre Stadt. Fast 7000 haben einen deutschen was er verkaufen könnte. willen? Kann es so etwas überhaupt geben? Pass. Dass sie bis zum Mord an Morsal sel- Die Familie wohnte im selben Stadtteil, Verliert nicht derjenige alle Ehre, der eine ten als Volksgruppe wahrgenommen wur- in einer anderen Straße. Keine gute Ge- Wehrlose meuchelt, die eigene Schwester, den, liegt nicht zuletzt daran, dass sie gend, aber kein Brennpunkt, in einem sieben Jahre jünger, ein Kind fast noch? schon in der Heimat mehr trennte, als sie fünfstöckigen Neubau, gegenüber verläuft Sicher, es hat Probleme gegeben in der in der Fremde einen kann. die Autobahn. Familie. Aber es gab einen Unterschied: Als die Kommunisten 1978 an die Macht Obeidis Familie wuchs. Er hatte bald Morsal wollte nur frei sein, Ahmad dage- kamen, waren es zuerst die Anhänger des eine Frau und fünf Kinder. Vielleicht hat- gen war kriminell. Ihm blieb Deutschland Königs, die das Land verließen. Ab 1989 te er draußen in der Welt keinen Erfolg, immer fremd. Er taumelte durch sein Le- flohen dann die Kommunisten vor den aber zu Hause war er immer noch das ben, haltlos, ein Versager. Er tötete seine siegreichen Mudschahidin. Deren Anhän- Oberhaupt. Ein Mann. Daraus wuchs sein Schwester, der er vorwarf, sie sei schon ger suchten ab 1996, nach der Niederlage ganzer Stolz. Niemand sollte sich bekla- viel zu sehr angekommen im Westen. Er gegen die Taliban, den Weg ins Ausland. gen über seine Familie. Niemand aus der warf ihr die offenen Haare vor, die Schmin- Jede Gruppe floh also vor der, die ihr spä- afghanischen Gemeinschaft sollte sagen, ke, die kurzen Röcke. ter ins Exil folgen sollte. seine Kinder brächten Schande. Aber es der spiegel 22/2008 63 Deutschland Obeidi-Haus in Masar-i-Scharif Morsals Notizbuch in Afghanistan Morsal-Vetter Jussuf (r.), Sohn sah ganz danach aus. Ahmad, der Älteste, begann, den Anweisungen des Vaters und aber blieben, mangels Anzeige, unbe- wurde kriminell. Morsal, die hübsche der Mutter nicht mehr bedingungslos nach- merkt. Laut Polizeiakten schlug Ahmad Tochter, wurde zu deutsch. Die Polizei zukommen. Sie wollte nicht nach den alten am 1. November 2006 seine Schwester zu- führte Ahmad bald als Intensivtäter. Mor- afghanischen Regeln leben, die ihr in Ham- sammen. Die ältere Schwester habe der sal flüchtete immer wieder zum Kinder- burg sinnlos erschienen. Sie stritten um am Boden liegenden Morsal dann noch das und Jugendnotdienst vor den Schlägen des ihr Äußeres. Um ihre offenen Haare, die Gesicht zerkratzt. Am 8. November 2006 Vaters und des Bruders. Schminke, die engen Jeans, Zigaretten, gab es wieder Schläge. Ahmad habe mit In dieser neuen Welt sind die stolzen Alkohol. Sie stritten um ihre Freunde und einem Messer gedroht, aber nicht zuge- Männer die ersten Verlierer. Verlorene Exis- Bekannten. Es ging um das Ansehen der stoßen. Er brüllte Morsal an, die Ehre der tenzen, die sich nur noch auf ihr Mannsein Familie, das Einzige, was Ghulam-Moham- Familie nicht zu verletzen. Morsal zeigte berufen können.