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MEDIZIN Wenn der Wasserhahn tropft Markus Miller, Torwart bei , spricht offen über seine psychische Erkrankung. Ein Fußballer-Kollege, der sich wegen einer Depression in einer Klinik befindet, will anonym bleiben – aus Angst um seine Karriere. S E G A M I

Y T T E G

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N I L K N A R F

Torwart Miller T R A U T S

130 ) *(" $ 7/2012 ie Privatklinik hat eine Leseecke, Profis sollen nervenstark und selbstbe - baller, auch Trainer und Vereinsmanager, einen Raum der Stille und eine wusst sein, ins Loch fallen dürfen sie nicht. sie sind angstkrank, depressiv, zwangs - DSauna, die Ärzte reden nicht von Zwar haben depressive Sportler inzwi - krank. Gerade ist ein Fußballprofi aus „Patienten“, sondern von „Klienten“. schen weniger Bedenken, sich professio - der zweiten Liga da, alkoholsüchtig. Viele Auch Markus Miller war einer. Auf dem nelle Hilfe zu holen, als noch vor Jahren. der Sportler wollen unter einem anderen Wochenplan steht dienstags „Musikpsy - Doch die meisten hüten das Wissen um Namen einchecken, sie sprechen lieber cho therapie“, mittwochs „Somatopsychik- ihre Krankheit wie ein Staatsgeheimnis. von „Coaching“ statt von „Behandlung“. Gruppe“ und donnerstags „Prozessreflek - Das Universitätsklinikum Aachen sieht Und einige wollen bar zahlen, damit die tion“. Miller ist Torwart bei Hannover aus wie eine Weltraumstation, grauer Be - Krankenkasse nichts merkt. 96, er war während seines Aufenthalts im ton, gelbe Rohre, rote Eisentreppen, grü - Der Fußballer aus der vierten Liga ist Neubau untergebracht, „im schönsten ner Teppich. In der Klinik für Psychiatrie, auf der Station für Psychotherapie unter - Zimmer“, sagt er, mit Parkettboden und Psychotherapie und Psychosomatik sitzt gebracht, dort werden auch Borderliner Blick auf den Vorderen Odenwald, ohne ein junger Mann kerzengerade im Stuhl, und Bulimiker behandelt. In zwölf Jahren Fernseher. er trägt eine Strickjacke, Jeans und Turn - hat er dreimal den Club gewechselt; ein - Am 3. September vergangenen Jahres schuhe, er knetet seine Hände und sagt: mal hätte er zu einem Bundesligisten ge - war Miller in das SysTelios Gesundheits - „Es gab Tage, an denen ich nur im Bett hen können, als ihm das vordere Kreuz - zentrum nach Wald-Michelbach in Hes - lag, aber schon das war eine Qual.“ Der band einriss. Dann: Frakturen im Gesicht, sen gezogen, Ortsteil Siedelsbrunn, zwei Oberarzt nickt, dann sagt er: „Bei Ihnen sechs Wochen Pause. Er hatte ein Ange - Tage später ließ er von seinem Verein war die Gefahr schon konkret, dass Sie bot aus dem Ausland, aber der Verein eine Pressemitteilung herausgeben: Er sich etwas antun.“ Der Patient schweigt. ließ ihn nicht ziehen. Dann: Riss der leide an „mentaler Erschöpfung“ und Er ist Fußballer in der vierten Liga, Achillessehne, drei Operationen. Als er werde sich „ab sofort stationär behandeln man darf nicht sagen, für welchen Verein wieder spielen sollte: hinteres Kreuzband lassen“. Es war sein Manifest. er spielt, er will anonym bleiben. gerissen. Dann: Sehnenriss an der Hüfte. Die Medizin kennt die Dann: Innenbandriss. Dann: Dia gnose „mentale Er - Leistenbruch. Dann: Syndes - schöpfung“ nicht, es ist ein mosebandriss. Dann: Innen - Hilfsbegriff. Elf Wochen bandriss. lang blieb Miller in der Kli - Zwischendurch hatte er nik, in dieser Zeit wurde er, Auseinandersetzungen mit wie er sagt, „komplett neu dem Trainer, einmal wurde aufgestellt“. er suspendiert. Als er dann Miller sitzt in den Kata - noch Probleme mit seiner komben der AWD-Arena in Freundin bekam, war das zu Hannover, das Training ist viel für ihn. „Alles kreiste noch nicht lange vorbei, die im Kopf. Da war Traurigkeit blondgefärbten Haare sind drin. Und Ruhelosigkeit.“ feucht vom Duschen. Ein Psychiater Schneider er - S E G großgewachsener, kräftiger A klärt den Ausbruch der De - M I

Mann, 29 Jahre alt, der in P pression zu einem ganz kon - D D

/ sich zu ruhen scheint. Er kreten Zeitpunkt mit der N I L B

sagt: „Die Zeit in der Klinik E „Theorie der erlernten Hilf - R T

war eine wertvolle Lebens - L losigkeit“. Er sagt: „Der E G I erfahrung.“ Und dann sagt N Stress, auf den Punkt fit sein er: „Was ich hatte, das ist ja Fans von Hannover 96: „Was ich hatte, das ist ja nicht ansteckend“ zu müssen, und dann das – nicht ansteckend.“ egal, was er gemacht oder An einer Depression zu leiden ist in Als der Mann am Nikolaustag des ver - versucht hat, alles ging schief. Entweder der Leistungsgesellschaft des Fußballs, gangenen Jahres nach Aachen kam, litt hat er sich die Bänder gerissen oder vom des Spitzensports überhaupt, nach wie er unter Schlafstörungen und konnte sich Trainer einen auf den Deckel bekommen. vor ein Tabu. Trotz Sebastian Deisler, der nicht konzentrieren. Im Aufnahmebefund Oder ihm ist die Freundin weggelaufen. sich 2003 zum ersten Mal stationär be - notierten die Ärzte eine „mittelschwere Er fühlte sich schließlich hilflos.“ handeln ließ. Trotz Robert Enke, der sich depressive Störung“. Bei Torwart Markus Miller aus Hanno - am 10. November 2009 das Leben nahm Sein Trainer, der Clubvorstand und ein ver war es der Drang nach Perfektion, und dessen Geschichte ein ganzes Land paar Mannschaftskameraden wissen, war - der ihn krank gemacht hat. Er lebt für aufrüttelte. Trotz Andreas Biermann, der um er in Aachen ist. Offiziell fehlt er we - den Fußball, seit er denken kann, als Kind drei Tage nach Enkes Freitod in die Psy - gen eines kaputten Knies. Die anderen spielte er im Allgäu für den FC Linden - chiatrie ging. Spieler, die Journalisten und Fans sollen berg, mit 15 Jahren verließ er die Familie Biermann sprach hinterher über seine denken, er sei in der Reha. und zog ins Fußballinternat des VfB Stutt - Krankheit, sogar über seinen Suizidver - Der Patient findet das richtig so. Er ist gart. Dort richtete er seinen Tagesablauf such. Als sein Vertrag beim Zweitligisten der Ansicht, zu viel Öffentlichkeit schade und seine Ernährung nach Plänen aus, FC St. Pauli auslief, fand er keinen neuen seiner Karriere: „Es muss nicht jeder wis - die nach streng leistungsdiagnostischen Verein. „Man hat den Stempel ,Depres - sen, dass ich einen Fehler habe.“ Kriterien erstellt worden waren. Er muss - sion‘ auf dem Kopf und wird ihn auch Frank Schneider hört solche Sätze oft. te funktionieren. nicht mehr los“, sagt er. „Man ist beruf - Er ist der Direktor der Klinik, randlose Psychiater halten die enge Struktur im lich einfach weniger wert.“ Brille, weißer Stoppelbart, er trägt eine Leben eines Leistungssportlers für be - Fußballer dürfen ein halbes Jahr lang Krawatte unter dem Arztkittel. In seinem denklich, dieses fast schon militärische ausfallen, weil das Schienbein gebrochen Haus werden zwischen 20 und 30 Profi - Schema aus Befehl des Trainers und Ge - oder das Kreuzband gerissen ist, körper - sportler pro Jahr stationär behandelt, horsam des Spielers. Den Jugendlichen liche Schäden zählen zu den Risiken ihres manche bleiben monatelang. Frauen und fehlt im Internat oft der familiäre Rück - Berufs. Ihre Seele aber muss halten. Männer, Basketballer, Schwimmer, Hand - halt, sie sind dann häufig allein mit ihren

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Problemen. Dabei können schon Familie. Anfangs wusste Miller nach der Pubertät erste Anzei - noch, wann Hannover ein Spiel chen für psychische Erkrankun - hatte, er bat den Pressesprecher gen auftreten. dann um einen Live-Ticker per Miller spielte für die zweite SMS. Als der ihm dann später mal Mannschaft des VfB Stuttgart, eine Frage aufs Handy schickte, wechselte nach Augsburg, dann antwortete Miller: „Jetzt nicht.“ zum Karlsruher SC, im Juni 2010 Da wussten sie im Club, Miller schließlich zu Hannover 96 in die war die Therapie nun wichtiger , als Ersatztorwart. als der Beruf. Sieben Monate war es damals Er fuhr mit dem Mountainbike her, dass sich Robert Enke, der durch den Odenwald, ging joggen, Nationaltorhüter, auf die Gleise „ohne verbissen auf die Pulsuhr gestellt hatte. Miller trainierte ver - zu gucken“. Und spielte Fußball. bissen, weil er die Nummer eins „Der Platz war ein Acker, den ha - im Tor bei Hannover 96 werden be ich hergerichtet und dann mit wollte. An freien Tagen fuhr er den Therapeuten und anderen Pa - zu einem Psychologen nach Gel - tienten gebolzt.“ Am Ende spiel- senkirchen, um sich, wie er sagt, te er allein gegen fünf Mann. „mental stärken“ zu lassen. Nach seiner Rückkehr hätten Er war ein Getriebener seines seine Mitspieler ihn empfangen, Anspruchs, „der Druck und die in - als wäre er nur für zwei Tage weg nere Anspannung“ wurden größer. gewesen, sagt Miller. Am 15. De - Wenn er im Training zehn Bälle zember stand er wieder für Han - hielt und einen nicht, beschäftigte nover 96 im Tor, in der Europa ihn nur der eine. „Ich bin in einen League. Negativstrudel geraten.“ Miller sitzt in der AWD-Arena, L E G

Er fühlte sich einsam, Miller E er legt seine Hände in den Schoß, I P S wohnte noch im Hotel, ohne seine wägt seine Worte. Er habe die R E D

Frau und die Kinder. Er fühlte sich / Gelassenheit gewonnen, die Din -

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auch erschöpft, kämpfte mit Kon - M ge laufenzulassen, er registriere M A zentrationsproblemen, „die ande - L nun, „wie schnell alles ist“. Man K

D I ren Symptome verrate ich nicht, V müsse nur mal die Leute im Bahn - A das ist zu privat“. Gemeinsam mit D hof beobachten, wie gehetzt die seinem Therapeuten und seiner alle seien. Frau beschloss er, sich stationär Für den Fall einer Krise, sagt behandeln zu lassen. „Ich konnte er, habe er jetzt „ein Werkzeug - einfach nicht mehr.“ köfferchen“ bei sich, aus dem er Miller vertraute sich Mirko sich bedienen könne. Akzeptanz Slomka an, dem Cheftrainer, „er ist ein Werkzeug, Prioritäten zu nahm mich sofort ernst“. Am 29. setzen, Geduld zu haben. „Wenn August 2011 saß der Torwart mit der Wasserhahn undicht ist“, sagt dem Sportdirektor und dem Pres - Miller, „weiß ich, welchen Schlüs - sesprecher von Hannover 96 zu - sel ich nehmen muss, damit er sammen. Sie berieten sich wie nicht mehr tropft.“ Krisenmanager nach einem Stör - Psychiater Schneider aus Aa - N E D fall im Atomkraftwerk. Wie soll - A chen wünscht sich, mehr Sportler J T

R ten sie am besten mit Millers E würden mit ihrer Krankheit so V I L

Krankheit umgehen? Die Mitspie - O umgehen wie Miller. „Man müsste ler einweihen? Die Öffentlichkeit Depressiver Patient, Arzt Schneider: „Alles ging schief“ ihm eine Medaille verleihen“, sagt informieren? Oder besser nicht? er. „Was Miller für die Entstigma - Ein Szenario, das sie durchspielten, Miller entschloss sich, bei der Wahrheit tisierung getan hat, war großartig.“ Sport - lautete: Miller bei einem Freundschafts - zu bleiben. „Ich wollte die Dramatik aus ler sind Menschen, die darauf gepolt sind, spiel ins Tor zu stellen, ihn in der Halb - dem Thema nehmen“, sagt er. stark zu sein, in der Therapie müssen sie zeitpause auszuwechseln und verletzt zu An einem Samstag fuhr Miller in die sich mit ihren Schwächen beschäftigen. melden, irgendwas am Rücken. Niemand Klinik, wegen eines Länderspiels war Das Loslassen fällt schwer. würde sich wundern, wenn er für ein paar kein Training, er konnte unauffällig ver - Der Fußballer aus der vierten Liga Wochen nicht zum Training erschiene. schwinden. „Unterwegs habe ich mich bleibt acht Wochen in Behandlung, nach Seine Familie wäre nicht den Fragen der deutlich freier gefühlt“, sagt er. dem ersten Tag ist er aus der Klinik ge - Journalisten ausgeliefert. Aber was, wenn Miller brauchte zwei Wochen, um sich flohen, 24 Stunden später war er wieder er während der Therapie erkannt würde? an den Alltag in der Klinik zu gewöhnen. zurück. Er schluckt jetzt Tabletten und Wäre das nicht noch viel schlimmer für „Zuerst habe ich gedacht: Bin ich hier geht zur Ergotherapie, zum Malen, zum seine Familie? richtig? Ich soll Gruppengespräche füh - freien Werken, in die Küche, er hat Ein - Sie entwarfen ein weiteres Szenario: ren? Fremde Menschen in meine Proble - zelgespräche und besucht Gruppensitzun - furchtlos mit der Krankheit umzugehen. me einweihen?“ gen. Aber er trainiert auch jeden Tag für Aber wenn Miller mit offenen Karten Sein einziger Kontakt zur Außenwelt zweieinhalb Stunden im Fitnesscenter. Er spielen würde, wie wäre das für seine war ein Mobiltelefon mit Prepaid-Karte, müsse in Form bleiben, sagt er. Er sei Kinder? Wenn die vielleicht hören müss - die Nummer kannten nur wenige Ver - schließlich immer noch Fußballer. ten, ihr Papa sei in der Psychiatrie? traute, der Trainer, der Präsident, die C+!)"% G"$)+, M"# G)&**#+!' )

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