In Diesem Heft
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
In diesem Heft EDITORIAL 3 WOLFGANG GEHRCKE Über Kenntlichkeit und Unkenntlichkeit – Marxismus und Stalinismus 6 WLADISLAW HEDELER Die Szenarien der Moskauer Schauprozesse 1936 bis 1938 14 CHRISTIANE REYMANN Intellektuelle und die Moskauer Prozesse 32 REINHARD MÜLLER Der Antikomintern-Block – Prozeßstruktur und Opferperspektive 38 ALEXANDER WATLIN Die Technologie stalinistischen Terrors. Neue Aspekte 52 SORJA SEREBRJAKOWA Die Heldentat von Martemjan Nikitisch Rjutin 59 MANFRED BEHREND Stalins Konterrevolution in Spanien und der gescheiterte Schauprozeß von Barcelona 66 GERHARD ZWERENZ Verräter und Agenten – Denunziation als politisches Kampfmittel 70 THOMAS KLEIN Widerstand und Verfolgung von Kommunisten während der Stalinisierung der SED 1946-1951 79 HERBERT MAYER Parteisäuberungen in der bundesdeutschen KPD – Ein westdeutsches Fallbeispiel 90 JÖRN SCHÜTRUMPF Der geplante »deutsche Industrieprozeß«. Eine Fußnote 99 VOLKMAR SCHÖNEBURG Gesetzlichkeit und Parteilichkeit: Herrschende Rechtsauffassung und Herrschaftssicherung in der DDR 104 JÜRGEN HOFMANN Zur Auseinandersetzung mit der Hohenschönhausener Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus 114 MICHAEL SCHUMANN Zur Auseinandersetzung der PDS mit dem stalinistischen Erbe 120 WOLFGANG HARTMANN »Das Erbe Dzierzynskis« – oder weshalb seine Nachdenklichkeit abhanden kam. Persönliche Reflexionen und Fragen an Meinesgleichen 125 MEINHARD STARK Die SED-Führung und die deutschen Opfer der »Säuberung« in der UdSSR 140 MARIO KESSLER Antisemitismus in der SED 1952/53. Verdrängung der Geschichte bis ans Ende 152 Impressum Redaktion: WOLFRAM ADOLPHI (V.i.S.d.P.), ARNDT HOPFMANN, MARION KUNZE, ULLA PLENER, ARNOLD SCHÖLZEL, JÖRN SCHÜTRUMPF Herausgeber: Förderverein Konkrete Utopien e.V. Gründungsvorsitzende: GUNTHER KOHLMEY und HELMUT STEINER Verlag: NDZ/Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydinger Straße 14-16, 10178 Berlin Verlagsarbeiten: MONIKA NOACK Satz: MARION KUNZE Redaktionsadresse: Weydingerstraße 14-16, 10178 Berlin (Tel.: 030 – 2 40 09-561) Druck: BärenDruck GmbH, Plauener Straße 163-165, 13053 Berlin Vertrieb: AVZ GmbH, PF 66,12414 Berlin (Tel.: 030 – 53 33 43 62) Einzelverkaufspreis: DM 10 Jahresabonnement (incl. Versand): DM 108 (Inland), DM 144 (Ausland) Förderabonnement (incl. Versand): DM 120 Editorial Obwohl das Anti-Stalinismus-Referat auf dem Sonderparteitag der SED Anfang Dezember 1989 ein zentrales Stück Gründungs- konsens der PDS konstituierte, bestehen in der PDS erhebliche Zweifel fort, ob es überhaupt angehe, den Begriff des Stalinismus im Zusammenhang mit der Beschreibung des realen Sozialismus zu verwenden; hält sich hartnäckig die Auffassung, Stalinismus sei ein »Kampfbegriff« des »Gegners«; und wird mit Bezug darauf kaum weniger hartnäckig gefordert, man solle doch, ehe man die Dis- kussion vertiefe, erst einmal definieren, was unter Stalinismus eigentlich zu verstehen sei. Bundesvorstand und Geschichtskommission der PDS haben lan- ge gebraucht, sich dieser Zweifel und Hartnäckigkeiten, denen auch die Fülle neuer Veröffentlichungen zum Thema in den letzten Jahren offensichtlich nur wenig anhaben konnte, in einem erneuten Anlauf anzunehmen. Nun haben sie es mit einer Konferenz am 21. Juni 1997 getan – und sich glücklicherweise darauf besonnen, daß die Definition eines gesellschaftlichen Zusammenhangs schwerlich am Anfang des entsprechenden Klärungsprozesses stehen, sondern vielmehr – wenn überhaupt – erst in dessen Resultat gefunden wer- den kann. Also wurde am 21. Juni nur sehr selten definiert und »eingeordnet«, dafür aber um so mehr die berühmte »Kärrnerar- beit« geleistet. (Und es hat selbstverständlich sehr viel mit Stali- nismus zu tun, daß diese Kärrnerarbeit erst jetzt, nach dem Unter- gang der sozialistischen Sowjetunion und der sozialistischen DDR, wirklich geleistet werden kann; denn alle – ihrer Selbsteinschät- zung zufolge – von allem Stalinismus »gereinigten« Parteien und Parteiführungen dieser beiden Länder haben es zugelassen [die Parteien] und gewollt [nur ihre Führungen?], daß alles die stali- nistischen Verbrechen konkret Dokumentierende unter unheiligem Verschluß blieb und die überlebenden Augenzeugen, wenn sie im Lande blieben, »um der Sache willen« schwiegen.) Kärrnerarbeit also zu einem zentralen Kapitel stalinistischen Alltags: der Verfolgung von Kommunisten durch Kommunisten. »Von der Lubjanka bis Hohenschönhausen« war die Konferenz thematisiert – hieß das wirklich, wie mancher argwöhnte, Nichtgleichsetzbares gleichsetzen zu wollen? Gewiß: Die Zahlen der Toten, sie sind von unterschiedlicher »Größenordnung«. Aber die Methoden und Ziele der Verfolgung, die ihr zugrunde gelegten Politiken und Ideologien: Sie glichen sich – wie wir seit dem 21. Juni noch genauer wissen. Und waren – wie auf der Konferenz mit vielen neuen Details vor allem aus den Archiven des Politbüros des ZK der KPdSU in bisher wohl seltener Stringenz dargestellt wurde – nicht zeitweilige »Verirrung«, sondern Konstituante des Real- sozialismus. Die so lange geheimgehaltenen Dokumente bringen es an den Tag: Auch die letzten Bastionen eines »Ja, aber«, mit dem sich Millionen von Kommunisten und Sozialisten einen Schutzschild aufzurichten versuchten gegen das Wissen von den Ungeheuerlich- keiten der Kommunistenverfolgungen in der Sowjetunion, müssen fallen. Die eine dieser Bastionen: die äußere Bedrohung der So- wjetunion. Daß es sie gab: kein Zweifel. Aber sie spielte keine Rolle im Politbüro bei der Begründung der dort beschlossenen Verhaftungswellen, war vielmehr von Beginn an nur Propaganda- instrument, gerichtet einzig auf die Rechtfertigung des Terrors. Und die andere: die Auffassung, es könne beim Terror in der Sowjetunion weniger plan- und industriemäßig als im faschisti- schen Deutschland zugegangen sein. Das Politbüro hat geplant – und den Terror zum Bestandteil der Wirtschaftsentwicklung gemacht. Und in der DDR? Immer deutlicher wird, warum die kommuni- stischen und andere linke Westemigranten und »Abweichler« als Hauptfeinde behandelt und kritische und unangepaßte Sozial- demokraten aus der jungen SED »hinausgesäubert« wurden: Sie zuerst hatten gewarnt – oder hätten später warnen können – vor den Gefahren einer schematischen Übertragung sowjetischer Staats- und Gesellschaftsaufbaumethoden auf die DDR. Und damit wäre der Führungsgruppe um Ulbricht, die von vornherein so unerhört belastet war durch ihr Eingezwängtsein in das unerträg- liche Wissen um den Terror in der Sowjetunion und ihre eigene Rol- le während der Vernichtung tausender deutscher Emigranten, der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Also reagierte diese Führungsgruppe logisch: Von Beginn an konzentrierte sie einen er- heblichen Teil all ihrer Kraft darauf, die grausamen Geheimnisse zu wahren – und produzierte neue, der Lage geschuldet zunehmend subtilere Formen der Ausschaltung und Unterdrückung Anders- denkender. Die Konferenz vom 21. Juni bietet die Chance zu weiterem Augenöffnen. Sie hat dem trauernden Nachdenken neuen Raum ge- geben, und sie kann der PDS ein weiteres Stück Zukunftsfähigkeit verschaffen. Denn es sind keine neuen sozialistischen Visionen zu entwickeln, wenn dem stalinistischen Realsozialismus nicht immer tiefer auf den Grund gegangen wird. Es braucht – man spürt’s doch so sehr an sich selbst – einen noch immer längst nicht zu Ende ge- gangenen Weg zu begreifen, wie sehr die sozialistische Alternative durch den Stalinismus diskreditiert ist. Wie schnell trifft mancher heute die Feststellung, es sei überraschend, daß sich gegen Neolibe- ralismus und Anschlußungerechtigkeiten keine Massenbewegung entwickelt. Und dabei ist der Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen doch so offensichtlich. Stalinismus – das war auch die Vernichtung vieler Ansätze und Ideen zu einem wirklich emazipatorischen Sozialismus. Diese wie- derzuentdecken, ihre Trägerinnen und Träger dem Vergessen zu entreißen, bleibt ein anderes wichtiges Feld der Auseinander- setzung mit der Vergangenheit. Zum vorliegenden Sonderdruck sieht sich die Redaktion von »UTOPIE kreativ« durch den Erfolg des Heftes 81/82 (Juli/August 1997) veranlaßt. Dieses Heft, in dem der größere Teil der Rede- beiträge auf der Konferenz vom 21. Juni 1997 dokumentiert ist, war sofort vergriffen. Hinzugefügt haben wir die zur Konferenz schriftlich eingereichten Beiträge von Wolfgang Hartmann (»Das Erbe Dzierzynskis« – oder weshalb seine Nachdenklichkeit abhan- den kam. Persönliche Reflexionen und Fragen an Meinesgleichen), Meinhard Stark (Die SED-Führung und die deutschen Opfer der »Säuberung« in der UdSSR) und Mario Keßler (Antisemitismus in der SED 1952/53. Verdrängung der Geschichte bis ans Ende), die in den Heften 83 und 84 von »UTOPIE kreativ« veröffentlicht wurden. WOLFRAM ADOLPHI GEHRCKE Marxismus und Stalinismus 6 WOLFGANG GEHRCKE Über Kenntlichkeit und Unkenntlichkeit – Marxismus und Stalinismus Wolfgang Gehrcke – Der Marxismus als Theorie der Befreiung Jg. 1943, von Beruf Journa- »Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das list; Mitbegründer von SDAJ höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen und DKP, einige Jahre Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein Vorsitzender der SDAJ und erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Bezirksvorsitzender der DKP in Hamburg, im Januar Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als 1990 (nach dem Scheitern durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hunde- des Versuchs einer Erneue- steuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!« rung der DKP) Austritt und (Karl Marx,