APuZAus Politik und Zeitgeschichte 66. Jahrgang · 5–7/2016 · 1. Februar 2016

Dresden

Franziska Gerstenberg Mein

Winfried Müller · Swen Steinberg Dresden. Eine Kurzbiografie

Gorch Pieken Dresden, 13. Februar 1945

Hans Vorländer Zerrissene Stadt: Kulturkampf in Dresden

Frank Richter Stadtgespräche. Politische Bildung als Seelsorge?

Frank Willmann Einblicke in die Dresdner Fußballseele Editorial Dresden ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Ort. Im Jahr 1206 wurde er erstmals urkundlich erwähnt. Besiedelt ist die Gegend jedoch schon deutlich länger: Um 600 ließen sich in diesem – da- mals noch hochwasserfreien – Teil des Elbtals Sorben nieder, die zur Namensgebung verhalfen: drezdzany steht im Sorbischen für „Ort der Sumpfwaldleute“. Dieser hat seither eine erstaunliche Entwicklung genommen: Weitgehend verschont vom Dreißig- jährigen Krieg wurde die kurfürstliche Residenzstadt nach und nach zum „Elbflorenz“, dessen barockes Stadtbild und bedeuten- de Kunstsammlungen Einheimische und Besucher gleicherma- ßen begeistern. Zu DDR-Zeiten galt Dresden wegen des schlech- ten Empfangs des Westfernsehens als „Tal der Ahnungslosen“, aber auch als Residuum einer Bürgerlichkeit, die im Realsozialis- mus anderswo zu verschwinden drohte.

Vielen Dresdnerinnen und Dresdnern wird ein charakteris- tischer „Eigen-Sinn“ nachgesagt. Er drückt sich aus in einem besonderem Stolz auf die Stadt, bisweilen aber auch in einem Opferkult: Der Umgang mit dem Gedenken an das verheerende Bombardement der historischen Altstadt in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 steht beispielhaft dafür, wie ein Ereig- nis – wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz – überhöht und geradezu mystifiziert werden kann. In keiner anderen deut- schen Stadt, die ähnlich hart vom Krieg getroffen wurde, ist das Gedenken derart umstritten und emotional aufgeladen.

Seit etwas über einem Jahr ist Dresden Schauplatz der polarisie- renden Protestbewegung Pegida, die auf ihren „Abendspaziergän- gen“ vor „Überfremdung“ und „Islamisierung“ warnt. Vielfach wird die Bewegung als „spezifisch Dresdnerisch“ beschrieben. Andere werfen die Frage auf, ob Dresden besondere „Antennen“ für gesellschaftliche Problemlagen habe. Dem Image der Stadt in In- und Ausland ist Pegida jedenfalls nicht förderlich.

Johannes Piepenbrink Franziska Gerstenberg spricht jedes Mal, wenn er den Islam meint, sarkastisch von der „Religion des Friedens“. Im Hintergrund sind die Gegendemonstran- ten herangekommen, sie rufen: „Say it loud. Mein Dresden Say it clear. Refugees are welcome here!“ Falsch, denke ich, ganz falsch, bei Pegida ver- steht man bestimmt nur Deutsch – und wirk- Essay lich fragt neben mir eine Frau ihre Begleiterin: „Soll ich dir das übersetzen?“ m November 2015, da gibt es Pegida schon Ilänger als ein Jahr, im November sage ich Nach dem Siggi kommt der Ed. Der Ed endlich: Ich gehe hin. Ich sehe mir das mal ist kein Deutscher, der Ed spricht mit einem an. Früher habe ich charmanten niederländischen Akzent. „Das Franziska Gerstenberg manchmal wie im Fie- ist bestimmt ein Schweizer“, sagt die Frau, Geb. 1979 in Dresden; Autorin; ber vor dem Fernseher die neben mir steht. Sie gähnt, denn der Ed studierte am Deutschen Litera- gesessen, eine Staffel wettert auffällig langatmig gegen die Asyl- turinstitut ; ihre neues- „Dschungelcamp“ ge- bewerber in ihren Hotels mit Vollpension, ten Erzählungen sind soeben im schaut oder ein paar und dann fordert er die Schwulen, die Les- Buch „So lange her, schon gar Wochen „Big Brother“ ben und die jüdischen Mitbürger auf, sich Pe- nicht mehr wahr“ erschienen. verfolgt, nur um zu- gida anzuschließen. Um mich herum ziehen zuhören, worüber die mehrere Leute zischend die Luft ein: Mit den Leute reden. Man muss schließlich wissen, in Schwulen und Lesben hat der Ed den kleins- was für einem Land man lebt, habe ich gesagt. ten gemeinsamen Nenner seines Publikums Und jetzt denke ich: Ich muss schließlich wis- deutlich verfehlt. Bevor es schließlich losgeht sen, in was für einer Stadt ich hier lebe. Denn mit dem Abendspaziergang – Matthias Clau- da stimmt doch was nicht mit diesem Dresden, dius lässt grüßen – bevor es also losgeht, hat mit dem Wind, der durch die Straßen weht. der Siggi noch einen Satz an die versammelte Presse zu richten: „Nur ganz kurz: Ihr seid Als ich über die Augustusbrücke laufe, widerlich.“ Donnernder Applaus, die Frau überholt mich eine Familie auf Fahrrädern, neben mir lacht kreischend auf. der Mann trägt eine grüne Multifunktions- jacke, das Kind radelt voran. Ach, denke ich, die wollen bestimmt zur Gegendemo. Aber da Habt ihr zugehört? zeigt der kleine Junge aufgeregt nach rechts: „Da geht’s lang!“ Am Fürstenzug vorbei strö- Und ich? Ich stehe ziemlich lange auf dem men die Leute mit ihren Deutschlandfahnen, Theaterplatz und denke, dass ich das alles ihren Wirmer-Flaggen, einem schwarz-gelben nicht ernst nehmen kann. Das ist es jetzt? Kreuz auf rotem Grund. Der Theaterplatz Das soll eine Volksbewegung sein? Vor die- füllt sich, Schilder mit Ortsnamen werden sen Leuten haben wir Angst? Mulmig wird hochgehalten, handgemalte Sprüche begut- mir erst, als die Sprechchöre aufbranden: achtet und gefeiert, einige der Rechtschreib- „Volksverräter“, „Widerstand“, „Lügenpres- fehler sind schon durch die Presse gegangen. se“. Und endgültig, als die Menge beginnt, Ständig zückt jemand sein Smartphone und sich zu Musik in Bewegung zu setzen. Denn fotografiert, wie schön das hier alles ist. Pegi- erstens begreife ich, dass ich als Einzige hier da-Humor: Eine Frau hat eine Burka angezo- nicht eingeweiht bin: Es wurde keine Rou- gen und sich ein Schild umgehängt, auf dem te angesagt, trotzdem wissen alle, wohin sie steht, dass sie Schweineschnitzel mag. Irgend- laufen müssen. Vor allem aber wird mir nun wann ertönt die Pegida-Hymne, danach tritt klar, wie groß die Menge ist. Der riesige The- ein Redner auf die Bühne, er sagt: „Erst ein- aterplatz war, egal, wo man stand, nur locker mal, ich bin nicht der Lutz, der Lutz ist heu- gefüllt. Aber jetzt, auf der Straße, zieht sich te in wichtiger Mission unterwegs … seid ge- der Zug auseinander. Er ist lang, er wird im- spannt.“ Es ist also nicht der Lutz, später stellt mer länger, nimmt und nimmt kein Ende. sich heraus, dass es der Siggi ist. Mir war nicht klar, dass man montags auf dem Theaterplatz Und das ist der Moment, um den es die- automatisch per Du ist. Für den Siggi herrscht sen Menschen geht. In diesem schweigenden in Deutschland keine Demokratie, und er Loslaufen liegt eine unheimliche Kraft. Nach

APuZ 5–7/2016 3 dem heiligen, stillen Ernst der ersten Me- in Heidenau, in Sachsen, immer wieder vor ter tauscht man sich auch gleich wieder aus. allem in Sachsen, weil er sich nicht deutlich Man ist sich ja einig. „Das ist so schön“, sagt von diesen Auswüchsen distanziert. jemand, „wie sich hier einfach alle gern ha- ben.“ Eigentlich sind alle hier eine große Fa- Ich halte nicht einmal bis zur ersten Kreu- milie. Und deswegen bleiben so viele dabei, zung durch. Ich schere aus, auf den Gehweg, deswegen gehen sie Montag für Montag wie- drücke mich an eine Hauswand. Ich laufe die der hin, auf den Theaterplatz, deswegen ma- breite Wilsdruffer Straße hinunter. Die Mitte, chen sie Montag für Montag ihre Geschäfte mit den Gleisen der Straßenbahn, gehört Pe- eher zu, um anreisen zu können, aus anderen gida. Nur wenige Autos stauen sich und war- Teilen Sachsens oder sogar von noch weiter ten das Ende des Zuges ab, ein paar chinesi- her. Weil sie sich hier unter Gleichgesinnten sche Touristen stehen am Rand und machen fühlen, weil sie endlich – bei vielen ist es das große Augen, sonst sind die Flaniermeilen erste Mal seit den „Wir sind ein Volk“-Ru- leergefegt, die Cafés und Geschäfte verlas- fen von 1989/90 – weil sie endlich wieder Teil sen. Die vielbeschworene Pegida-Friedlich- einer Bewegung sein können. Weil sich hier keit kippt sofort, wenn jemand von der Presse alle lieb haben und sofort per Du sind. Und versucht, eine Frage zu stellen. Ich sehe, wie da sieht man auch gern darüber hinweg, dass ein Kameramann darum kämpft, seine Aus- die Ziele von Pegida schwammig sind, wi- rüstung zu retten, er wird beschimpft, ange- dersprüchlich oder kriminell. Hauptsache, rempelt, gestoßen, bis er sich schließlich stol- vorn auf dem Lastwagen steht jemand, der pernd in eine Seitengasse rettet. einem sagt, dass man wichtig ist und dass es Feinde gibt, gegen die man zusammenhalten muss. Niemand kann sich herausreden

Aber habt ihr denn, schreie ich innerlich, Die Stadt steht still, jeder vernünftige Dresdner vorhin nicht zugehört, dem Siggi und dem meidet am Montagabend die Innenstadt. Weil Ed? Kommt euch dieses Feindbild nicht keine Bahnen fahren, laufe ich über eine ande- selbst zu einfach vor? Besteht es aus mehr als re Brücke zurück in die Neustadt. Brücken ha- ein paar Parolen? Habt ihr Lutz Bachmann ben wir hier genug. Ich denke: Die Menschen nie richtig zugehört, diesem mehrfach straf- dort hinter mir am Horizont, sie können sich fällig gewordenen Ku-Klux-Klan-Verehrer? nicht herausreden. Aber auch sonst kann sich Habt ihr Tatjana Festerling nicht zugehört, niemand mehr herausreden. Das wären ja, hieß die eine neue Mauer zwischen Ost und West es oft, gar keine Dresdner, die Leute kämen fordert? Habt ihr dem Gastredner Akif Pi- schließlich sonst woher. Ja, aber doch nicht rinçci nicht zugehört, der sagt, Deutschland alle. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2015 ha- werde zur „Moslemmüllhalde“? ben fast zehn Prozent für Tatjana Festerling gestimmt, und noch einmal fünf Prozent für „Lass dich nicht provozieren“, hat mein den AfD-Kandidaten, das sind weit über drei- Freund gesagt, bevor ich losgegangen bin, ßigtausend Dresdner. Nur alte Männer wür- „mach nichts Unüberlegtes.“ Ich doch nicht, den da hingehen, zu Pegida, hieß es. Nein, ich habe ich gedacht, ich sehe mir das einfach mal habe junge Leute gesehen, ich habe Frauen ge- an, was soll da passieren. Aber jetzt bin ich sehen. Das werde sich bald von selbst erledi- kurz davor, wie ein wildgewordenes Rumpel- gen, hieß es. Und wirklich sah es so aus, bis stilzchen auf und ab zu hüpfen und verzwei- die Flüchtlingskrise den Trend umkehrte. Im- felt zu rufen: „Ihr seid alle Nazis! Ihr seid alle mer mal wieder sinken die Teilnehmerzahlen Nazis!“ Irgendjemand muss es doch ausspre- von Montag zu Montag, doch wann kommt die chen. Irgendjemand muss diesem Stammtisch nächste Krise? Und der harte Kern bleibt. die gute Stimmung verderben. Pegida mar- schiert seit dem Herbst 2014, seit über einem Niemand kann sich herausreden. Die Stadt Jahr. Inzwischen ist klar: Hier geht es nicht kann sich nicht mehr herausreden, das Ord- um ein diffuses Unbehagen an der deutschen nungsamt nicht und der Bürgermeister nicht. Politik. Wer heute noch dabei ist, läuft knall- Der Mythos Pegida funktioniert über die Büh- hart rechtsextremen Führungsfiguren hinter- ne, über das Bühnenbild, das die Semperoper, her, und weiß das auch. Wer heute noch dabei der Zwinger, die Frauenkirche jeden Montag ist, legitimiert deshalb die Gewalt in Freital, abgeben. Es muss doch möglich sein, diese

4 APuZ 5–7/2016 Inszenierung zu unterbinden. Es muss doch kommen, mich deshalb als Leipzigerin zu möglich sein, zu verhindern, dass diese Leu- bezeichnen, und kaum war ich aus Leipzig te ausgerechnet am 9. November ausgerech- weggezogen, hatte ich alles vergessen, jeden net den Theaterplatz besetzen. Der, wie ich einzelnen Straßennamen. Man könnte sa- erst seit Kurzem weiß, früher Adolf-Hitler- gen, dass ich nie richtig ankomme, ich blei- Platz hieß – und deshalb auch bei der NPD als be immer ein Stück außen vor. Am besten Versammlungsort begehrt war. Es muss doch funktioniert eine Stadt für mich, wenn ich möglich sein, wenigstens in der Vorweih- beim Hinziehen schon weiß, wann ich wie- nachtszeit zu sagen: Tut uns leid, aber vor der der weggehen werde. Ich habe in Hannover Semperoper findet jetzt ein Weihnachtsmarkt gelebt, ich habe in Bamberg gelebt, in Stutt- statt. Die komplette Dresdner Innenstadt ist gart, zwischendurch immer noch ein paar ein einziger großer Weihnachtsmarkt – wie Monate hier und da, in der Schweiz, in Ita- leicht wäre es gewesen, auch dort noch Büd- lien, in Ungarn, und am Ende etliche Jahre chen aufzubauen und Glühwein auszuschen- in Berlin. Und vielleicht habe ich mich dort ken. Es muss doch möglich sein, diese Kund- am meisten zu Hause gefühlt, weil dort alle gebungen, wenn man sie schon nicht verbieten fremd waren, weil die Stadt so groß ist, dass kann, wenigstens zu verlagern, andere Städte es nicht die Stadt gibt, sondern viele kleine schaffen das schließlich auch. Städte, für jede Stimmung eine.

Es wäre möglich, wenn es gewollt wäre. Statt- Als Kind habe ich Dresden gemocht, wie dessen lässt man zu, dass Montag für Montag Kinder eine Stadt eben mögen: Dresden, das die komplette Innenstadt lahmgelegt wird. Von war für mich der Sandkasten hinterm Haus. dem Geld, das die wöchentlichen Polizeieinsät- Als ich etwas älter war, mochte ich Striesen ze kosten, könnten sehr viele Flüchtlinge sehr mit seinen freistehenden, von Gärten umge- lange sehr gut versorgt werden. Innerhalb eines benen Altbauvillen. In dem Quartier neben Jahres hat Dresden seinen Ruf in der Welt ver- unserem wurden die Grundstücke von Mau- spielt. Das Risiko steigt, dass Firmen sich ge- ern begrenzt, man konnte auf diese Mauern gen eine Ansiedlung in Dresden entscheiden – klettern, auf die Garagendächer und Schup- um ausländische Mitarbeiter zu schützen. Der pen, und so von einem Garten in den ande- Rektor der Technischen Universität warnt, Pe- ren gelangen. Und ganz in der Mitte, da gab gida schrecke internationale Wissenschaftler es ein vergessenes Stückchen, mit wildem ab. Er spricht von einem „erheblichen Image- Gras und einer Pforte, die immer geschlossen schaden“ für den Wissenschaftsstandort Dres- blieb. Als Jugendliche mochte ich die Hänge den. Oft genug würde ich gern sagen: „Nein, zwischen Loschwitz und Pillnitz, die alten ich bin nicht von hier. Das hat nichts mit mir Dorfkerne, ich mochte es, stundenlang dort zu tun.“ Nur dass das leider nicht stimmt. Ich am Wasser entlangzulaufen, auf den breiten, wurde in Dresden geboren. Ich habe hier ge- unbebauten Wiesen. lebt, bis ich neunzehn war, und vor anderthalb Jahren bin ich wieder hergezogen. Als ich aus Dresden weggezogen bin, habe ich jahrelang gedacht – in Leipzig habe ich es gedacht, in Hannover sowieso – dass Dres- Meine Stadt? den die schönere Stadt ist. Ich habe gedacht: Ich gehe erst mal aus Dresden weg, aber ir- Als ich diesen Text zu schreiben begann, be- gendwann ziehe ich zurück. Ein paar Jah- griff ich, dass ich kein Verhältnis zu Dres- re später, mit dem Blick von außen, habe ich den habe. Das ist eigentlich erstaunlich, dann gedacht: Nein, ich kann da nie wieder für eine Dresdnerin jedenfalls untypisch. hin. Da ist es zu schön, da ist es zu ruhig, und Aber da fängt es schon an: Ich habe mich vor allem ist es da zu langsam, die Leute sind nie als Dresdnerin bezeichnet. Ich habe im- so langsam, das macht mich wahnsinnig, das mer nur gesagt, dass ich in Dresden gebo- schläfert mich ein. Die Sache war vom Tisch, ren wurde und aufgewachsen bin. Vielleicht ich dachte: endgültig. liegt sie in mir selbst begründet, vielleicht gehört sie einfach zu mir, diese seltsame Was ich wirklich geliebt habe, als Kind, als Ortlosigkeit. Ich kann mit dem Wort Hei- Jugendliche und auch als Abwesende in meiner mat nichts anfangen. Ich habe in Leipzig Erinnerung, das war nicht die Stadt. Es war der gelebt, wäre aber auch nie auf die Idee ge- Fluss. Vielleicht liegt auch das in mir selbst be-

APuZ 5–7/2016 5 gründet, vielleicht gehört das einfach zu mir: Die Schönheit ist ein Mythos. Mehr als jede dass ich eigentlich überall nur die Natur liebe. andere Stadt, in der ich gelebt habe, zerfällt Und Dresden gehört zu den grünsten Groß- Dresden in unterschiedliche Viertel. Es gibt städten in Europa. Da ist ein Wald mitten in kein Gesamt-Dresden. Die Innenstadt exis- der Stadt, da liegt ein Gebirge vor der Tür, und tiert nicht. Wenn ich heute über die Augus- wie sich die Stadt am Wasser entlangzieht – das tusbrücke zum Theaterplatz laufe, wo sich war das Einzige, das ich nicht vergessen konn- montags Pegida versammelt, denke ich beim te. Ich musste immer an die Zeile von Heinz Anblick des Canaletto-Blicks zwar jedes Mal Czechowski denken: „Sanft gehen wie Tiere reflexartig: Oh, ist das schön. Aber der An- die Berge neben dem Fluss.“ blick ist eben genau das: nur ein Bild, nur eine Idee. Hinter der schmalen Front der Brühl- Aber dann haben sie diese Brücke gebaut. schen Terrasse geht es mit künstlich wir- Die Dresdner, die mir aus der Ferne noch kenden, historisierenden Fassaden weiter, fremder waren als aus der Nähe, die Dresd- einer barocken Darbietung, gefolgt von brei- ner, die sich so viel einbilden auf ihre Bildung, ten Flächen sozialistischer Bebauung. Die die so stolz sind auf ihre Kultur, sie haben Dresdner Innenstadt ist vor allem weitläufig eine unfassbar hässliche, viel zu breite Brü- und leer. Der Wind, der hier durch die Stra- cke über die Elbe gezogen. An der schönsten ßen weht, hat jede Menge Platz. Stelle. Mit dem typisch sächsischen Schild- bürgertrotz haben sie gesagt: „Uns doch egal, Ja, heißt es an dieser Stelle oft, aber frü- wenn uns das Welterbekomitee den Titel ab- her, vor der Bombennacht des 13. Februar … erkennt, von diesem Welterbedings können Und da ist sie, die Dresdner Krankheit, die wir uns sowieso nichts kaufen.“ Und schon Uwe Tellkamp „die süße Krankheit Gestern“ damals: „Zum Teufel mit den Touristen, wir genannt hat. Pegida ist auch deshalb in die- brauchen hier keine Fremden.“ Als die Wald- ser Stadt zu Hause, weil es hier so leicht ist, schlösschenbrücke offiziell eröffnet wurde, sich zum Opfer zu stilisieren. Aber wurden war ich gerade auf dem Weg nach Amerika. denn andere Städte nicht zerstört? Was ist mit Ich schüttelte den Kopf, Dresden war weit Hamburg, was ist mit Köln? weg, es erschien mir unendlich provinziell. Nur dass ich mich eben auch zum Opfer stilisierte. Ich lag schwanger auf dem Sofa, Dresdner Krankheit Woche für Woche strömten mehr Leute zu Pegida, dann bekam ich das Kind, die ers- Und dann bin ich doch wieder hergezogen. te Zeit war schwierig, immer noch ging ich Es war, als müsste ich plötzlich ans Schick- kaum nach draußen. Und ich tat, was ich am sal glauben. Zum Kinderkriegen, hatte ich mit besten konnte: Ich fühlte mich fremd, zog neunzehn gesagt, zum Altwerden. Und genau- den Kopf ein, hielt mich raus. Schließlich hat- so kam es: Zum Kinderkriegen zogen wir nach te ich schon genug um die Ohren, nicht wahr? Dresden, weil mein Freund nicht nach Berlin Doch egal, wie sehr ich mich abseits halten wollte und ich nicht ins Ruhrgebiet. Weil mir wollte: Die Zerrissenheit der Stadt ließ sich plötzlich alles logisch erschien. Nur das mit nicht übersehen. Pegida war der Gradmes- dem Altwerden, das sah ich noch nicht. ser, und der Riss verlief, der Riss verläuft bis heute mitten durch die Büros, durch die Fa- Ein paar Wochen später ging es mit Pegi- milien. Wenn ich zum Frisör gehe, fragt die da los, ein paar Wochen später lag ich hoch- Frisörin, noch während sie mir den Umhang schwanger auf dem Sofa und durfte nicht umlegt, wie ich es mit Pegida halte. mehr aufstehen, ein paar Wochen später schon haderte ich. Mit der Stadt, mit mir, mit Um mich endlich mit Dresden auseinan- dem Schicksal. Ich fühlte mich in Dresden derzusetzen, entwickelte ich mit einigen nicht zu Hause, und das fiel mir umso stär- Freunden eine Ausstellung, die sich mit der ker auf, weil alle sagten: Das muss doch schön Zwangsarbeit während der Nazizeit befasste. sein, zurück in der Heimat. Mir kam es aber Im ehemaligen Goehle-Werk der Zeiss-Ikon- gar nicht schön vor. Mir kam auch Dresden AG hatte es eine Judenabteilung gegeben. Die nicht schön vor, ich fand einfach nicht hinein mittlerweile hundertjährige Henny Bren- in die dresdentypische Überhöhung, diesen ner, die als junges Mädchen dort hatte arbei- selbstverliebten, stolzen Blick nach innen. ten müssen, gab uns ein langes Interview. Sie

6 APuZ 5–7/2016 konnte sich gut daran erinnern, wie Dres- die Ecke wohnen“, sagt die Schwester herz- den damals war. Nicht die feine Kunst- und lich, und für die nächste Woche gibt es schon Kulturstadt nämlich, für die man es heute im einen Termin. Rückblick hält, nein: Die Dresdner Nazis sei- en die schlimmsten gewesen, schlimmer als Irgendwann in den Herbsttagen 2015 pas- die Münchner Nazis, schlimmer als die Ber- siert es, dass ich wütend werde. Und ich liner Nazis. Hier wurde man angespuckt, begreife, dass diese Wut nicht verschwin- wenn man mit dem gelben Stern auf die Stra- den wird, wenn ich jetzt einfach wieder aus ße ging. Henny Brenner hatte Dresden in all Dresden wegziehe. Denn was wird passie- den Jahren im Auge behalten, aus der Ferne ren, wenn alle wegziehen, die diesen Wind in schien sie die Stadt zu beobachten, sie wusste Dresden nicht mehr ertragen, diesen offenen Bescheid. Kurz vor der Eröffnung der Aus- Rassismus von der Bühne herab, den kaum stellung kam es zu den Ausschreitungen in versteckten Rassismus im Alltag? Wird es Heidenau, und Henny Brenner sagte ihren dann besser? Nein, das wird es nicht. Besuch in Dresden ab. Ein paar Wochen zu- vor hatte mein Freund sie an ihrem Wohn- Im Gegenteil müsste man doch erreichen, ort besucht, da hatte sie ihm beim Abschied dass jetzt ganz viele Leute hier herkommen. hinterhergerufen: „Sagen Sie den Dresdnern, Kluge Leute, schnelle Leute. Mutige Leu- sie sollen sich bessern!“ Aber sie hatten sich te, die nicht nur schlecht gelaunt den Arzt nicht gebessert. Im Gegenteil: Erneut wurde wechseln, sondern die aufstehen und laut sa- Pegida stärker und stärker. gen, wie beschissen sie es finden, auf dem Rü- cken der Schwächsten das eigene Jammern auszutragen. Es müssten Leute kommen, die Sich die Stadt nicht wegnehmen lassen eine Vision von der Zukunft haben, statt sich nur auf der Vergangenheit auszuruhen. Leu- Vielleicht war das schon der Moment. Viel- te, die etwas von der Welt gesehen haben, die leicht ist er auch erst an dem Abend gekom- einen Blick von außen haben. Leute, die sa- men, an dem ich selbst auf dem Theaterplatz gen: Dresden ist nichts Besonderes, sondern stehe, zwischen diesen Leuten, die glauben, eine ganz normale Stadt, nicht besonders sie wären Dresden. Die glauben, sie wären schön, nicht besonders hässlich, vielleicht Sachsen. Die glauben, sie wären „das Volk“. wohnen hier mehr Idioten als anderswo, aber Die glauben, ihre Stadt bekäme jetzt endlich das kriegen wir schon hin. Und diese Leute wieder die Wichtigkeit, die ihr zustünde. Am sollten aus Syrien kommen, aus Afghanistan, Dresdner Wesen soll die Welt genesen. aus dem Irak, aus dem Kosovo, und natürlich sollten sie auch aus Deutschland kommen. Oder vielleicht passiert es auch erst, als in meinem Viertel ein Übergangswohnheim für Sie könnten den klugen, schnellen, muti- Flüchtlinge geschaffen wird. Wenige Tage gen, nach vorn schauenden, weltoffenen und später sitze ich beim Arzt, im Wartezimmer, „ganz normalen“ Leuten helfen, die schon ich kann nur hören, was an der Rezeption ge- da sind. Denn die gibt es natürlich, hier in sprochen wird. Und ich höre, wie ein Mann Dresden, und ich würde gern zu ihnen ge- hereinkommt, sich anmelden möchte, um ei- hören. Die Leute, die kommen, könnten uns nen Termin bittet. Der Mann spricht gebro- nicht nur beim Hierbleiben helfen. Pegida chen Deutsch. Ich höre, wie die Schwester ist nicht Dresden. Und Pegida ist nicht das an der Rezeption dem Mann sagt, dass kei- Volk. Denn wer bin denn dann ich? Zum ers- ne Patienten mehr aufgenommen werden. ten Mal in meinem Leben sage ich: Ich will „Patientenstopp“, sagt sie, sie wiederholt das Dresdnerin sein. Ich lasse mir die Stadt nicht Wort mehrmals, jedes Mal lauter, als würde wegnehmen. Ich mache jetzt ernst. Ich bleibe es dadurch verständlicher. Und zwanzig Mi- hier. Nur das mit dem Altwerden, zugegeben, nuten später sitze ich immer noch im Warte- das sehe ich noch nicht. Aber wenn es doch zimmer, und wieder höre ich, wie jemand he- so weit kommen sollte: Vielleicht können wir reinkommt, sich anmelden möchte, nur dass dann noch mal über den Rückbau der Wald- der Mann diesmal perfekt Deutsch spricht, schlösschenbrücke verhandeln? und er hat seine neue Krankenkassenkarte noch nicht zugeschickt bekommen, aber das ist überhaupt kein Problem. „Wenn Sie so um

APuZ 5–7/2016 7 Winfried Müller · Swen Steinberg abhängige, das heißt auf die residenzstädti- sche Vergangenheit rekurrierende Ableitun- gen. Wahr ist aber auch, dass sich gerade in Dresden. Residenz- und Regierungsstädten gelegent- lich der Unmut über „die da oben“ schärfer als andernorts artikuliert. Für das – wohl- Eine Kurzbiografie gemerkt – vormoderne London wurde bei- spielsweise die Gewaltneigung des Pöbels herausgearbeitet; selbst die königliche Fami- it courttown, commercetown und coke- lie sei bei öffentlichen Auftritten ausgebuht Mtown ermittelte die Sozialanthropolo- worden. Die durch die Anwesenheit des Ho- gie „three major types in the history of urba- fes und staatlicher Autorität „aufgenötigte nism“, ❙1 die sich in fast Zurückhaltung des Volkes disponierte es zu Winfried Müller schon idealtypischer heftigen Ausbrüchen“, schlussfolgerte Pe­ ter Dr. phil, geb. 1953; Professor für Weise in Sachsen fin- Sloterdijk. ❙3 Sächsische Landes­geschichte den: das im Zuge der an der Technischen Universität Industrialisierung zum Dresden; Direktor des Instituts „sächsischen Manches- Weg zur Residenzstadt für Sächsische Geschichte und ter“ gewordene Chem- Volkskunde, Dresden, Zellescher nitz, die Messe- und 2006 beging Dresden seine 800-Jahr-Feier, Weg 17, 01069 Dresden. Handelsstadt Leipzig mit der an die Ersterwähnung in einer 1206 [email protected] sowie die Residenz-, ausgestellten Urkunde erinnert wurde. ❙4 Die Regierungs- und Ver- Siedlung selbst war erheblich älter, und sie Swen Steinberg waltungsstadt Dres- war nicht von Anfang an von der Anwesen- Dr. phil., geb. 1980; wissen- den. Dass diese Typo- heit eines Hofes geprägt. Dresden stand viel- schaftlicher Mitarbeiter am logie nicht nur histo- mehr lange Zeit im Schatten Meißens, das seit Lehrstuhl für Sächsische Lan- risch-analytisch ge- dem 10. Jahrhundert mit der Errichtung ei- desgeschichte der Technischen meint ist, sondern dass ner königlichen Burg der herrschaftliche und Universität Dresden; z. Zt. DFG- sie auch gegenwarts- mit der Bistumsgründung auch der geistliche Stipendiat an der University of bezogen ist, den Habi- Mittelpunkt der Markgrafschaft Meißen war. California, Los Angeles/USA. tus einer Stadt und ih- Dresdens Aufstieg war nach 1089 untrennbar [email protected] rer Bewohner, Selbst- verbunden mit der Dynastie der Wettiner, die wahrnehmung und es in einem gestreckten Prozess im mittel- Fremdzuschreibungen zumindest teilweise er- deutschen Raum zu einer hegemonialen Stel- klären hilft, ist die Prämisse der Stadtanthro- lung brachte. Zugleich wurde der Landesaus- pologie. Ihr Anliegen ist es – und hierauf spielt bau forciert, das heißt, die überwiegend von der Untertitel dieses Beitrags an –, gewisser- Sorben dünn besiedelte Region wurde gezielt maßen ein Stadtindividuum mit einer eigenen als Einwanderungsland für Siedler aus West- Berufskultur und „Geschmackslandschaft“ heraus­zu­arbeiten. ❙2 ❙1 Ulf Hannerz, Exploring the City. Inquiries To- ward an Urban Anthropology, New York 1980, Im Falle der Residenz- und Regierungs- S. 243. stadt ist hier nicht nur an den Hof und die ❙2 Vgl. Rolf Lindner/Johannes Moser (Hrsg.), Dres- von ihm abhängigen Personenkreise zu den- den. Ethnographische Erkundungen einer Residenz- ken, sondern auch an eine von Repräsentati- stadt, Leipzig 2006. 3 onswünschen und -zwängen abgeleitete, eher ❙ Peter Sloterdijk, Zeilen und Tage. Notizen 2008– luxusorientierte und ästhetisch verfeinerte 2011, Berlin 2012, S. 512 unter Bezugnahme auf Peter Ackroyd, London: Die Biographie, München 2002. Produktions- und Konsumkultur sowie an ❙4 Zum Stadtjubiläum „im Auftrag der Landes- eine obrigkeitliche Überformung der Stadt- hauptstadt Dresden“ herausgegeben: Geschichte der gesellschaft. Dass in Dresden nicht einfach Stadt Dresden, 3 Bde., Stuttgart 2005/06. Zu Facet- Autos vom Fließband rollen, sondern dass ten der Stadtgeschichte vgl. die mittlerweile über 120 Limousinen, „Luxuskarossen“, in einer Glä- „Dresdner Hefte“ des Dresdner Geschichtsvereins, sernen Manufaktur gefertigt werden, oder zuletzt Nr. 123: Fremde in der Stadt. Zur historischen Vertiefung von Migrationsprozessen nach Sachsen dass ein Regierungschef in schon längst post- vgl. die Rubrik „Sachsen: Weltoffen!“ des Instituts monarchischen Zeiten altmodisch prädiziert für Sächsische Geschichte und Volkskunde: www. wurde („König Kurt“), wären demnach pfad­ isgv.de/aktuelles/sachsen-weltoffen (15. 12. 2015).

8 APuZ 5–7/2016 und Süddeutschland und den Niederlanden gungsanlagen wurden erweitert und erneu- profiliert. Viele Menschen wurden überdies ert, 1548 wurde mit dem Um- und Neubau durch die reichen Silbervorkommen im Erz- des Schlosses begonnen, das rechtselbische gebirge angelockt („Berg­geschrey“). Vorläu- Altendresden, die heutige Neustadt, wurde figer krönender Abschluss dieser Erfolgs- gegen den Widerstand des Rates eingemein- geschichte war 1423 die Übertragung der det, zudem wurde eine Münzstätte eingerich- Kurwürde an die Wettiner, die damit in den tet. Dieses seit den 1540er Jahren eingeleitete Kreis der Königswähler und der vornehms- Maßnahmenbündel ließ sowohl eine Prägung ten Reichsfürsten aufrückten. Dresdens durch den Hof als auch eine zuneh- mende Unterordnung der Bürgerstadt erken- Dresden blieb von dieser Entwicklung nen. Zugleich begann mit der Förderung der noch weitgehend unberührt, seine Stunde Hof- und Kirchenmusik und der fürstlichen sollte erst mit einer weiteren dynastisch be- Sammeltätigkeit in der „Geheimen Verwah- stimmten Entscheidung schlagen, der von rung“ des Schlosses die Entwicklung der Re- den Brüdern Ernst und Albrecht vorgenom- sidenz zur Kunststadt. menen Leipziger Landesteilung von 1485. In einer historischen Phase, für die noch nicht Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) von einem transpersonalen Staatsverständnis bremste diesen Entwicklungsschub erst ein- auszugehen ist und in der der Herrschafts- mal. Das Kurfürstentum Sachsen musste in- raum gewissermaßen als Familienbesitz galt, folge des Krieges und damit verbundener entstand so zum einen das Ernestinische Epidemien und Hungersnöte hohe Verluste Kurfürstentum Sachsen mit dem politischen hinnehmen; die Bevölkerung sank von rund Zentrum Torgau und dem intellektuellen 1,5 Millionen auf unter eine Million Men- Mittelpunkt der 1502 gegründeten Universi- schen, in Dresden wirkte sich in den 1630er tät Wittenberg, zum anderen das Albertini- Jahren die Pest verheerend aus. Von den sche Herzogtum Sachsen mit der Messe- und Kriegsereignissen selbst blieb die befestigte Universitätsstadt Leipzig und dem erst jetzt Residenzstadt weitgehend verschont, aller- zur Residenzstadt aufsteigenden Dresden. dings wurde sie von den Verwerfungen des konfessionellen Zeitalters erreicht: Nach der Während im kurfürstlichen Wittenberg 1517 Niederschlagung der Ständerevolte und als die Reformation ihren Anfang nahm und die Folge der rigiden Rekatholisierungspolitik Ernestiner sich schützend vor Luther stellten, des Hauses Habsburg in Böhmen kam es zu wurde im Herzogtum am alten Glauben fest- einer Auswanderungswelle nach Sachsen. In gehalten. Erst mehr als 20 Jahre später kam es Dresden ließen sich zwischen 1620 und 1750 im Albertinischen Sachsen zum religionspo- schätzungsweise 2500 böhmische Exulanten litischen Kurswechsel; am 6. Juli 1539 wur- nieder. Obwohl konfessionsverwandt, stan- de in der Dresdner Kreuzkirche offiziell die den sie unter dem „Generalverdacht“ ❙5 der Einführung der Reformation vollzogen. Zu Häresie und wurden auf wirtschaftlichem einer deutlichen Verschiebung der Gewichte Sektor zunächst als unliebsame Konkurrenz zwischen den beiden Teillinien kam es dann wahrgenommen. In der Bevölkerung wur- 1546/47 im Schmalkaldischen Krieg, dem ers- den Zweifel laut, ob es sich bei den Migran- ten „teutschen Krieg“ vor dem Dreißigjährigen ten wirklich um Glaubens- und nicht nur um Krieg. Der albertinische Herzog Moritz, ob- Wirtschaftsflüchtlinge handelte, während der wohl lutherischer Fürst, kämpfte an der Seite Rat durchaus auch die Chancen der Zuwan- des katholischen Kaiserhauses gegen die pro- derung für die in ihrer demografischen Ent- testantischen Fürsten, unter ihnen Kurfürst wicklung zurückgeworfene Stadt erkannte. Johann Friedrich I. von Sachsen, der gefangen genommen und abgestraft wurde. 1547 muss- Von dieser konfessionsbedingten Zwangs- te er auf einen nicht unerheblichen Teil seines migration abzuheben ist die katholische Territoriums und die Kurwürde verzichten. Clusterbildung im lutherischen Dresden, die Hauptprofiteur waren das Albertinische Sach- in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts be- sen und – nun Kurfürst – Moritz. merkenswerte Dimensionen annahm; 1707

Der Aufstieg des Albertinischen Sachsen ❙5 Frank Metasch, Exulanten in Dresden. Einwande- zu einem der führenden Territorien im Reich rung und Integration von Glaubensflüchtlingen im schlug auch auf Dresden durch: Die Befesti- 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 2011, S. 232.

APuZ 5–7/2016 9 sollen rund 4000 Katholiken in der Stadt ge- tationsbühnen führte. In Warschau wurden lebt haben. Zeitweise herrschte deshalb ein mit dem Umbau des Schlosses, Sächsischer konfessionell motiviertes Reizklima, das Achse und Sächsischem Palais städtebauli- sich 1726 in einem Priestermord und Tu- che Akzente gesetzt, Dresden wuchs bis 1755 multen entlud und in die konkurrierende auf über 63 000 Einwohner an und war damit Besetzung des Stadtbildes einmündete: Das hinter Wien, Berlin und Hamburg die viert- Zentrum wurde optisch dominiert von dem größte Stadt des Reiches und eine kulturelle 1743 vollendeten Neubau der Frauenkirche Metropole von europäischem Rang. der evangelischen Bürgerstadt mit der be- rühmten Kuppel von George Bähr, unweit Auf diese dynamische Entwicklungspha- davon finden wir die 1751 geweihte katho- se geht das Bild vom barocken Dresden mit lische Hofkirche des italienischen Architek- Hof- und Frauenkirche, dem 1709 begonne- ten Gae­tano Chiaveri. nen Zwinger, Japanischem Palais und Augus- tusbrücke zurück, das über die Darstellungen Die katholische Präsenz in Dresden war Canalettos dem Bildgedächtnis eingeprägt einerseits auf die Kunstpolitik des Hofes zu- wurde. Dieser Aus- und Umbau korrespon- rückzuführen, auf die im 18. Jahrhundert dierte mit einer außerordentlich aufwendi- begründete Italianità Dresdens. Gefördert gen Hofkultur; die Feste Augusts des Starken wurde sie aber auch durch die Konversion lenkten europaweit die Aufmerksamkeit auf des sächsischen Kurfürsten zum katholi- Dresden. Neben dieser vergänglichen Fest- schen Glauben, durch die – und im Mutter- kultur manifestierte sich der Geltungsan- land der Reformation wurde das als starke spruch des Hofes vor allem in der Kunstpoli- Zumutung empfunden – Hofreligion und tik. Das Dresdner Schloss barg die zwischen das Bekenntnis der Bevölkerung nicht mehr 1723 und 1729 eingerichtete Wunderkammer, identisch ­waren. das Grüne Gewölbe; hier präsentierte Au- gust der Starke die von seinen Vorgängern und ihm gesammelten Kunstobjekte und Ra- Barock ohne Aufklärung ritäten. Dazu kam die Vorliebe für die große Oper und die systematische Erweiterung der Der Konfessionswechsel war die unabding- Gemäldegalerie durch den Sohn und Nach- bare Voraussetzung dafür, dass August der folger August III. Starke 1697 zum König von Polen gewählt werden konnte. Die damit begründete säch- Insgesamt kam Dresden in der Augus- sisch-polnische Personalunion wurde auf- teischen Epoche dem Idealtypus der Fürs- grund der hohen Transaktionskosten von je- ten- und Beamtenstadt als Subtyp der Kon- her zwiespältig beurteilt: Sachsen, nun auf sumentenstadt ziemlich nahe, in der große der großen europäischen Bühne mitspielend, Berufsgruppen und die Bevölkerung „in ih- wurde in den Großen Nordischen Krieg ren Erwerbschancen vorwiegend direkt oder (1700–1721) hineingezogen und vorüber- indirekt von der Kaufkraft des fürstlichen gehend von Schweden besetzt. Aus der Ex- und der anderen Großhaushalte abhängen“. ❙6 post-Perspektive war die Union also eher ein Dieses in Residenzstädten grundsätzlich an- Misserfolg. zutreffende Abhängigkeitsverhältnis war der Autonomie der Bürgerstadt nicht förderlich, Eine ergebnisoffene Betrachtung der Aus- und man gewinnt den Eindruck, dass in ei- gangssituation sollte indes berücksichtigen, ner vom Hof dominierten Stadt wie Dresden dass Sachsen um 1700 zu den durchaus chan- die nonverbalen bildenden Künste und Sym- cenreichen aufstiegsorientierten Schwellen- bolisierungen, die Musik und ästhetische De- mächten zählte, die nach Rangerhöhung und batten akzentuiert wurden, weniger die kriti- Prestige strebten und sich neue Wirtschafts- schen, auf eine Politisierung des öffentlichen räume erschließen wollten. Im Konkurrenz- Raumes abstellenden Reformdiskurse. Theo- kampf etwa mit Brandenburg, das 1701 sei- dore Ziolkowski sprach deshalb von einer ne Königskrone in Preußen fand, folgte die zutiefst konservativen, von Adel und Mili- sächsische Außenpolitik also auch einer sys- temischen Logik, von der sich wiederum jene ❙6 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grund- höfische Rationalität ableitete, die zur Aus- riss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980, gestaltung beider Residenzen als Repräsen- S. 729.

10 APuZ 5–7/2016 tär geprägten Stadtgesellschaft, „die die eu- ließ die Kräfte an fremden messen“. ❙10 Das ropäische Aufklärung kaum erlebt hatte“. ❙7 ist vor allem die Sichtweise des 19. Jahrhun- Bezeichnend dafür ist das Verhalten des Sa- derts, der Blick von coketown und commer- tirikers Wilhelm Gottlieb Rabener, der nach cetown auf Dresden. Stereotype vereinfa- seiner 1753 erfolgten Versetzung als Steuerrat chen, und so schlug denn auch in Dresden nach Dresden erklärte, er werde nichts mehr nicht nur der residenzstädtische Ruhepuls veröffentlichen, sondern seine Schriften sei- der leisure class: Zu Beginn des 19. Jahrhun- nem Pult anvertrauen. Dass die dort verstau- derts, als das 1806 zum Königreich erhobe- ten Manuskripte dann vom vorgeblich auf- ne Sachsen bis zur Völkerschlacht bei Leip- geklärtesten unter den deutschen Fürsten, zig an Napoleons Seite ausharrte – mit der Friedrich II. von Preußen, vernichtet wur- Folge, dass das Land 1815 auf dem Wiener den, als dieser 1760 Dresden im Siebenjähri- Kongress erhebliche Teile an Preußen ab- gen Krieg (1756–1763) beschießen ließ, ent- treten musste –, war Dresden auch ein Sam- behrt nicht der Ironie. melpunkt der politischen Romantik und des Aufbegehrens gegen die französische Bereits diese erste Zerstörung prägte das Fremdherrschaft, für das Namen wie Theo- Bild einer vom äußeren Feind versehrten dor Körner, Caspar David Friedrich oder Kunst- und Barockstadt. Diese Wahrneh- Heinrich von Kleist stehen. mung verfestigte sich umso mehr, als es nach 1763, nach dem Krieg und dem Ende der säch- Dieses Nebeneinander von Verharren und sisch-polnischen Union, in Dresden deutlich kritischem Potenzial war nicht untypisch stiller wurde. Der auftrumpfende Gestus und führte in Dresden wiederholt zu Unru- des Hofes war Vergangenheit, das rauschen- hen: erstmals 1830 – vordergründig durch de Fest wich der Betrachtung der Bilder, und den konfessionellen Gegensatz von Hof und die Stadt wurde zum Anziehungspunkt für Bevölkerung ausgelöst – im Umfeld des 300. die Frühromantiker. Ludwig Tieck und Wil- Confessio Augustana-Jubiläums und unter helm Heinrich Wackenroder hatten bei der dem Eindruck der französischen Juli-Revo- Betrachtung der 1754 für Dresden erworbe- lution. Mit der konstitutionellen Einhegung nen Sixtinischen Madonna ihr Kunsterleb- der Monarchie wurde anschließend die Ver- nis, 1798 führten unter anderem die Brüder fassung vom 4. September 1831 das Kern- Schlegel, Caroline Schlegel und Novalis ihre stück einer tief greifenden Staatsreform. Dresdner Galeriegespräche. Mit der nach 1809 eingeleiteten Stadtentfestigung entle- Ein zweites Mal brach sich das Unruhe- digte sich die Residenz dann zumindest äu- potenzial dann in der Revolution von 1848 ßerlich der vom Hof auferlegten Fesseln und Bahn, als sich auch Dresdner Bürger am so- wurde im Zusammenspiel mit den unbebaut genannten Adressensturm beteiligten und gebliebenen Ufern der Elbe zu einer „garten- die Forderung nach Presse-, Versammlungs- ähnlichen Stadtlandschaft“. ❙8 und Redefreiheit stellten. Kulminations- punkt war der im Kontext der Reichsver- fassungskampagne zu verortende Dresdner Ambivalente Moderne Maiaufstand 1849, dessen prominente Ak- teure Gottfried Semper und Richard Wagner Zugleich wurde dieser romantische „Sehn- nach der mit preußischer Hilfe erfolgten Nie- suchtsort“ ❙9 aber auch als Sitz eines eher pas- derschlagung ins Schweizer Exil gingen. siven Bürgertums ausgemacht. In Dresden werde nur verbraucht, was andernorts auf Gleichzeitig und dem Topos von der Fürs- den Weltmärkten erobert werde: „kein Wa- ten- und Beamtenstadt zum Trotz partizi- gen, Gewinnen und Verlieren stählte den pierte Dresden am Prozess der Industriali- Muth, belebte den ruhigen Herzschlag und sierung. Der Schwerpunkt lag freilich nicht auf der „schmutzigen“ Schwerindustrie, sondern – gewissermaßen eine Verlänge- 7 ❙ Theodore Ziolkowski, Dresdner Romantik. Politik rung des höfischen Konsums der Vormoder- und Harmonie, Heidelberg 2010, S. 12. ne – auf der Herstellung von Genussmitteln: ❙8 Ulrich Rosseaux, Freiräume. Unterhaltung, Ver- gnügen und Erholung in Dresden (1604–1830), Köln 2007, S. 274. ❙10 Max Maria von Weber, Carl Maria von Weber. Ein ❙9 R. Lindner/​J. Moser (Anm. 2), S. 22. Lebensbild, Leipzig 1864, S. 35.

APuZ 5–7/2016 11 Dresden wurde zum deutschen Zentrum Zugleich wurde das internationale Anse- der Schokoladen- und Zigarettenherstel- hen der Kunst- und Kulturstadt flankiert lung und damit auch der kolonialen Kontak- von einem Zuzug von Ausländern (Amerika- te und des Marketings mit dem „Fremden“. ner, Briten, Russen), die in eigenen Stadtvier- Auch bei der zweiten Produktgruppe, mit teln mit eigenen Kirchen und Zeitungen al- der sich Dresden als Industriestadt profi- lerdings nur partiell integriert waren. Diese lierte, sind Bezüge zur höfischen Traditions- Gruppen verschwanden im nationalen Furor linie mit der Sammlung des mathematisch- des Sommers 1914 jedoch nahezu vollstän- physikalischen Salons gegeben. Gemeint ist dig. In der Weimarer Republik kehrte dieser die Feinmechanik, die nun in die Produkti- kosmopolitische Bestandteil der Kultur, der on von Näh-, Schreib- und Rechenmaschi- in Dresden eine vergleichsweise ungewöhn- nen einmündete und später eine führende liche Qualität entwickelt hatte, nicht zurück. Rolle Dresdens in der optischen Industrie Dresden in der Moderne war folglich eine begründen sollte. Stadt der Ambivalenzen, in der sich einerseits im Juni 1905 die expressionistische Künst- All dies wurde von einer rasanten demo- lergruppe „Brücke“ gründete und in der an- grafischen Entwicklung flankiert: 1831 zähl- dererseits die bauliche Gestaltung auf alten te Dresden 63 865 Einwohner, 1905 waren es Glanz rekurrierte. Dieses Signum der Stadt deutlich über 500 000, womit es die fünft- zeigte sich etwa im Wirken des Architekten größte Stadt im Kaiserreich war. Die Dich- Hans Erlwein, der mit dem 1913 fertigge- te politischer Institutionen – vom Hof über stellten „Italienischen Dörfchen“ an den To- das Parlament bis hin zur Landesverwal- pos vom „Elbflorenz“ anknüpfte und der sich tung – wie auch die im Norden der Stadt ausdrücklich an der Barocktradition Dres- massiv ausgebaute Kasernenlandschaft präg- dens orientierte. Mit dieser wurde allerdings ten dabei zweifelsohne das politische Klima freizügig umgegangen: Die vom Barockbau- der Stadt im konservativen Sinn. Aber wie meister Matthäus Daniel Pöppelmann nach in jeder Großstadt mit industriellem Kern 1727 gebaute Augustusbrücke wurde 1907 wuchs auch in Dresden die Sozialdemokra- abgebrochen und als ein den Anforderungen tie zur Massenbewegung, und 1877 gelang es des modernen Straßen- und Schiffsverkehrs den Sozialdemokraten, über den innerstäd- genügendes Imitat neu gebaut. tischen Wahlkreis Altstadt August Bebel in den Reichstag zu bringen. Allerdings war in Diese Ambivalenzen setzten sich in der den 1890er Jahren auch die antisemitische Weimarer Republik fort, die auch in Dres- Reformpartei in Dresden so erfolgreich wie den 1918 mit Revolution, königlicher Ab- kaum irgendwo anders im Reich. dankung und sozialdemokratischer Domi- nanz begann. Gleichzeitig konstatierten Demgegenüber besaß die Stadt sehr wohl Zeitgenossen wie der Journalist Edgar Hah- ein liberales Bürgertum, das sich in Welt- newald, Kühnheiten würden in der Dresd- offenheit übte und Dresden beispielsweise ner Luft nicht gedeihen, Letztere habe eher zu einem Zentrum der deutschen Esperan- konservierende Wirkung. Dieser Gegensatz to-Bewegung werden ließ. Internationales sollte sich im Herbst des Jahres 1923 zeigen, Renommee brachte auch die Internationa- nachdem der sächsische SPD-Ministerpräsi- le Hygiene-Ausstellung 1911 in Form einer dent Erich Zeigner die Kommunisten in die „kleinen Weltausstellung“. Vor dem Ersten Regierung aufgenommen hatte. Die schon Weltkrieg bündelten sich überdies in Dres- in der Revolution 1918 offenbar geworde- den-Hellerau, der ersten deutschen Garten- ne Angst vor einem „Sowjet-Sachsen“ ver- stadt, Alternativbewegungen der Lebens- anlasste den Reichspräsidenten Friedrich reform. Auch die Reformpädagogik hatte Ebert und den Reichskanzler Gustav Strese- dort ihren Ort, wie Dresden überhaupt auf- mann zur Reichsexekution, dem Einmarsch grund der hohen Dichte und Qualität seiner der Reichswehr in Sachsen. Im einstigen „ro- Bildungseinrichtungen den Ruf des school- ten Königreich“ ging die Zustimmung zu den room of Europe hatte. Seit 1828 gab es in der Sozialdemokraten spürbar zurück, die Wei- Stadt zudem eine das technologische Wis- marer Republik endete auch in Dresden mit sen vermittelnde Bildungsanstalt, die späte- dem zunehmenden Einfluss antidemokrati- re Technische Hochschule beziehungsweise scher Kräfte: Bei den Kommunalwahlen im Universität. November 1932 lag die NSDAP gleichauf mit

12 APuZ 5–7/2016 der SPD. Dresden war dabei zwar nicht das häufig übersehen. Gleiches gilt für das Fak- organisatorische Zentrum der sächsischen tum, dass im Februar 1945 neben Gebäuden Nationalsozialisten, ihre Machtübernahme höfischen Glanzes vor allem bürgerliche Ein- im März 1933 zeigte sich hier aber in eigener kaufs- und Wohnquartiere sowie Arbeiter- Qualität. wohnviertel des 19. und frühen 20. Jahrhun- derts zerstört wurden. Im Jubel und im Schweigen der Dresdner Bevölkerung ging auch ihre Unschuld verlo- Das alte Dresden ging vor allem im Stadtkern ren: am 8. März 1933 mit einer der ersten Bü- verloren, „Großflächenenttrümmerung“ ❙13 und cherverbrennungen im Deutschen Reich, mit Sprengung ausgebrannter Ruinen sollten wie der ersten Ausstellung „Entarteter Kunst“ ab in vielen anderen im Zweiten Weltkrieg zer- Ende September 1933 im Dresdner Rathaus störten Städten zu einem entschiedenen Neu- oder am 9. November 1938 mit der brennen- aufbau genutzt werden, wie er in Dresden seit den Semper-Synagoge. Mit der Entrechtung den 1960er Jahren mit der neuen Prager Stra- und Enteignung bürgerlicher Mäzenaten wie ße in der „sozialistischen Großstadt“ Gestalt der jüdischen Bankiersfamilie Arnhold gab annahm. Die Ruinen des höfischen und re- man zudem zentrale Elemente der stadtbür- präsentativen Kerns wurden indes in einem gerlichen Prägung und des eigenen Selbstver- gestreckten Prozess rekonstruiert: Der Wie- ständnisses als bürgerliche Kulturstadt auf. deraufbau des Zwingers begann unmittel- Die zumeist gewaltsame nationalsozialisti- bar nach Kriegsende; die Semperoper wurde sche Diktaturdurchsetzung, sie hatte auch symbolträchtig am 13. Februar 1985 mit Carl in Dresden willige oder fanatische Helfer, Maria von Webers „Freischütz“ wiedereröff- die die Entrechtung ideologisch stigmatisier- net, mit dem sie im August 1944 ihre Pfor- ter Menschen guthießen, umsetzten – oder ten geschlossen hatte; das Skelett des Schlos- eben wegsahen; die dichte Beschreibung des ses wurde in der Nachwendezeit schrittweise Dresdner Alltags im Nationalsozialismus in rekonstruiert. Und dann war da noch die Ru- den Tagebüchern Victor Klemperers ist hier- ine der Frauenkirche, die als pazifistisches für ein bedrückendes Zeugnis. ❙11 Mahnmal an den Bombenkrieg erinnern soll- te und die in den 1980er Jahren für die Frie- dens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR Mythos und Selbstgewissheit ein Ort des Protestes und der Systemkritik wurde. Der Zweite Weltkrieg blieb lange fern. Erst- mals kam er im Oktober 1944 nach Dresden, In den 1990er Jahren sollte – die Kontras- vor allem aber am 13. Februar 1945. ❙12 Sein tierung mit der später in Leipzig „wieder- Ergebnis war ein wirkmächtiger Mythos, aufgebauten“ modernen Fassade der Pauli- der lange zurückreichende städtische Selbst- nerkirche bietet sich an – die detailgetreue bilder mit dem Opfer-Topos der unschuldi- Rekonstruktion der Frauenkirche dann zum gen und einzigartigen Barockstadt verband, Symbol eines neuen Dresden werden, das we- deren Zerstörung durch „angloamerikani- sentliche Momente seiner Identität aus seiner sche Bomber“ in der Geschichtspolitik der Vergangenheit bezieht und in Verbindung DDR ein antiimperialistischer Subtext einge- mit der Flusslandschaft der Elbe als „schöne schrieben wurde. Dass die Stadt als einer der Stadt“ wahrgenommen wird. Dies gilt nicht Verkehrsknoten des Reichs mit großen Ka- nur für stadtethnologische Umfragen und sernenanlagen und Standorten der Rüstungs- Reiseblogs, sondern das ist auch die dezidier- produktion sowie als Gauhauptstadt mit dem te Auffassung vieler Einwohner: „Die Dresd- Volksgerichtshof am Münchner Platz mit an- ner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt geschlossener Hinrichtungsstätte vor allem gefällt. Sie sagen es einem“, hielt Umberto auch eines der wenigen noch übrig geblie- Eco fest. ❙14 benen militärischen Ziele war, wurde dabei

❙13 Vgl. Matthias Lerm, Abschied vom alten Dresden. ❙11 Vgl. Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen Verluste historischer Bausubstanz nach 1945, Ros- bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945, 2 Bde., Berlin tock 2000, S. 91 ff. 1995. ❙14 Umberto Eco, Grundzüge einer Stadtpsycholo- ❙12 Siehe hierzu auch den Beitrag von Gorch Pieken in gie, in: Die Zeit vom 5. 7. 1996, www.zeit.de/​1996/​28/ dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). eco28.19960705.xml (15. 12. 2015).

APuZ 5–7/2016 13 Diese Selbstgewissheit, die eigensinnig so- und kulturwissenschaftlichen Fakultäten ist, gar den Weltkulturerbetitel für entbehrlich die außeruniversitären Forschungseinrich- hielt, der nach dem Bau der Waldschlößchen- tungen, die renommierten Kunstsammlun- brücke mitten hinein in die „Kulturland- gen und die um diese gruppierte Museums- schaft Dresdner Elbtal“ 2009 aberkannt wur- landschaft – das alles brachte Dresden in den de, verdeckt leicht, dass auch das Dresden zurückliegenden 25 Jahren zugleich ein Mehr der jüngeren Geschichte eine von Ungleich- an Internationalität, das in einer Stadt mit ei- zeitigkeiten geprägte Stadt ist. Die in Uwe nem geringen Ausländeranteil von 4,7 Pro- Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ für zent (Berlin: etwa 13,4 Prozent, München: „Musennester“ diagnostizierte „süße Krank- rund 23,4 Prozent) freilich eher ein den Wis- heit Gestern“ ❙15 war im Dresden der DDR- senschafts- und Kultursektor betreffen- Zeit ebenso zuhause wie die Aufbruchstim- des „Höhenkamm-Phänomen“ ist, das noch mung der Friedlichen Revolution. Die am längst nicht veralltäglicht ist. 4./5. Oktober 1989 die Elbstadt passierenden Züge mit den Prager Botschaftsflüchtlingen Ob diese mangelnde Veralltäglichung einer lösten regelrechte Tumulte aus. Wirkmäch- der Gründe dafür ist, dass die Pegida-Bewe- tiger waren freilich die Ereignisse am Abend gung sich ausgerechnet in Dresden formierte, des 8. Oktober 1989, als aus einer Massende- sei dahingestellt. Unzweifelhaft ist allerdings monstration heraus der Staatsmacht der Dia- der harte Kontrast zwischen der Wahrneh- log angeboten wurde – und diese auf ihn ein- mung Dresdens als der „schönen Stadt“ ging. Mit der Bildung der „Gruppe der 20“ der Künste und der Wissenschaften einer- und den später in der ganzen Republik eta- seits und den Pegida-Demonstrationen aus- blierten „Runden Tischen“ begann der Pro- gerechnet auf den symbolträchtigsten Plät- zess einer oftmals vergessenen „eigenständi- zen der Kunst- und Kulturstadt andererseits, gen DDR-Demokratisierung“, ❙16 der zugleich dem ein besonderes Provokationspotenzial ihr Ende herbeiführen sollte. innewohnt. Aus der Außenperspektive er- weckt das den Eindruck, Dresden habe, wie Zu den erwähnten Ungleichzeitigkeiten es jüngst in einem Zeitungsbeitrag hieß, die Dresdens gehört auch, dass der Mythos der „Schlüssel seiner Stadt“ einer fremdenfeind- Barockstadt und ein ausgeprägtes Heimweh lichen Bewegung „ausgehändigt“. ❙17 nach der Vergangenheit nicht nur Zugänge zur Moderne, etwa in der Architektur, behin- So gesehen wird die Antwort auf die Fra- dern, sondern zugleich die Modernität hin- ge, die dem in Dresden geborenen Autor Pe- ter der Kulisse von „Elbflorenz“ verdecken. ter Richter bei seinem Umzug nach Hamburg Dass die Stadt einer der wichtigsten Elek­ gestellt wurde – ob es denn in Dresden „im- tro t­echnik- und Mikroelektronikstandorte mer noch so schön sei und wie die Menschen der DDR war, ist jedenfalls dem auf Ober- das alles da verkraftet h­ ätten“ ❙18 –, heute wohl flächenphänomene fokussierten Dresden- anders ausfallen als 2004, als seine „Heimat- Touristen kaum bekannt, obwohl der darin kunde“ erschien. aufscheinende Zusammenhang von Indus­ trie ­ent­wicklung und Wissenschaftsstandort nach 1990 zu einem wichtigen Transformati- onsfaktor wurde und in den Slogan vom „Si- licon Saxony“ einmündete.

Die wirtschaftliche Entwicklung, der Wis- senschaftsstandort mit der 2012 in den Kreis der Exzellenzuniversitäten aufgenommen Technischen Universität, die ihrem Namen zum Trotz eine Volluniversität mit geistes- ❙17 Dominique Eigenmann, Die missbrauchte Stadt, 21. 11. 2015, www.tagesanzeiger.ch/​28640024 (15. 12. ​ ❙15 Uwe Tellkamp, Der Turm. Geschichte aus einem 2015). versunkenen Land, Frank­furt/M. 2008, S. 11. ❙18 Peter Richter, Blühende Landschaften. Eine Hei- ❙16 Francesca Weil, Verhandelte Demokratisierung. matkunde, München 2004², S. 63. Die Runden Tische der Bezirke 1989/90 in der DDR, Göttingen 2011, S. 230.

14 APuZ 5–7/2016 Gorch Pieken zerstört. Wieluń war die erste zerbombte Stadt des Krieges. Im Ort hatten sich keine militärischen Einrichtungen oder Einheiten The Benchmark: befunden, keine Kriegserklärung war dem Angriff vorangegangen. Die erste militäri- sche Operation des Zweiten Weltkrieges war Dresden, 13. Februar ein Kriegsverbrechen.

In den ersten zweieinhalb Jahren dehnte 1945. Vom Umgang die Wehrmacht den deutschen Herrschafts- bereich auf halb Europa aus, doch schon im einer Stadt zweiten Kriegsjahr brachten britische Bom- ber den Krieg zurück nach Deutschland. Mit jedem weiteren Jahr erweiterte die Roy- mit ihrer Geschichte al Air Force ihren Einsatzradius, seit 1943 zusammen mit den United States Army Air Forces. Abgesehen von schweren Angriffen ls sich die Kampfbomber aus 2000 Metern auf Leipzig 1943/44 blieb Sachsen vom Luft- AHöhe auf die Stadt stürzten, durchriss krieg weitgehend verschont – bis zum 13. Fe- das schrille und markdurchdringende Heulen bruar 1945. ihrer Sirenen die Stille Gorch Pieken der Nacht. „Plötzlich In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar Dr. phil., geb. 1961; Wissen- gab es eine Explosi- 1945 wurden die Dresdner Innenstadt und schaftlicher Direktor und on auf dem Kranken­ angrenzende Viertel durch zwei Angriffs- Wissenschaftlicher Leiter Aus- haus ­gelände“, berich- wellen der Royal Air Force vollständig zer- stellungen, Sammlung und For- tete ein Arzt. „Fens- stört. Ein Flammenmeer verschlang Straßen schung des Militärhistorischen terscheiben klirrten und Häuser und die darin Schutz suchen- Museums der Bundeswehr, und fielen auf mein den Menschen. Aus der Hitze entwickel- Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden. Bett. Ich sprang auf, te sich ein orkanartiger Feuersturm, der den [email protected] griff meine Kleidung Asphalt schmelzen ließ, Bäume entwurzelte und rannte ins Freie. In und Mauern emporschleuderte. In den haus- diesem Moment stürzte das Haus hinter mir hohen Flammen verbrannten Menschen, vie- zusammen. Überall lagen Trümmer und un­ le erstickten in den Kellern, weil die Feuers- ter den Trümmern hörten wir Stöhnen. (…) brunst der Luft den Sauerstoff entzog. 15 Zwei Ordensschwestern, 4 Krankenschwes- Quadratkilometer Stadtfläche brannten aus. tern und 26 Patienten sind bei dem Angriff Zwischen 19 000 und 25 000 Frauen, Männer ❙3 getötet worden.“ ❙1 Bereits die erste Welle der und Kinder starben. Unbeschreiblich und angreifenden Flugzeuge hatte das Kranken- unvorstellbar ist das Leid der Menschen in haus getroffen, obwohl auf dem Dach ein dieser Nacht. Unter den Überlebenden sind großes Rotes Kreuz zu erkennen war. Ein viele an Körper und Seele Schwerverletzte. Achtjähriger und seine Schwester beobach- teten das Zerstörungswerk von einem Hügel Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele aus: „Viele Menschen rannten aus der Stadt. Dresdnerinnen und Dresdner geglaubt, dass Nach dem Angriff sind wir ins Zentrum ge- sie mit zunehmender Dauer des Krieges dem gangen, um zu sehen, was dort passiert ist. Es war sehr zerstört (…) Überall lagen Lei- ❙1 chen und abgerissene Körperteile: Arme, Zit. nach: Joachim Trenkner, Ziel vernichtet, in: Die Zeit vom 6. 2. 2003, www.zeit.de/​2003/​07/​A-Wie- ❙2 Beine. Ein Kopf.“ lun/komplettansicht (14. 12. 2015). ❙2 Zit. nach: ebd. Mit diesem Angriff der deutschen Luftwaf- ❙3 An den Fronten des Zweiten Weltkrieges starben fe auf die polnische Stadt Wieluń am 1. Sep- rund 30 000 Dresdner Soldaten. Vgl. Hermann Rah- tember 1939, um etwa 4.35 Uhr, begann der ne, Zur Geschichte der Dresdner Garnison im Zwei- Zweite Weltkrieg. Ohne Vorwarnung trafen ten Weltkrieg 1939 bis 1945, in: Landeshauptstadt Dresden/Stadtmuseum Dresden (Hrsg.), Verbrannt die Bomben eine schutzlose Stadt und ihre bis zur Unkenntlichkeit. Die Zerstörung Dresdens Bewohner im Schlaf. Rund 1200 Menschen 1945, Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtmuseums wurden getötet, 90 Prozent des Stadtkerns Dresden, Dresden 1995, S. 121–135, hier: S. 124.

APuZ 5–7/2016 15 Frieden näher wären als den Kampfhandlun- Reich stationiert, die dann an der Front fehl- gen. Das Gegenteil war der Fall. Wehrmacht ten. ❙5 Die Konsumgüterindustrie musste zu und Volkssturm bekämpften mit allen Mit- Lasten der Kriegsrüstung Hausrat für ausge- teln den Friedensschluss in einem Krieg, den bombte Familien herstellen, und durch den sie schon lange verloren hatten. Je länger sie permanenten Alarmzustand in vielen Städten das Ende hinauszögerten, desto totaler wur- fielen ungleich mehr Arbeitsstunden in den de die Niederlage. Mit jeder weiteren Woche Betrieben aus als aufgrund von Bombenschä- und jedem zusätzlichen Tag vergrößerten die den. ❙6 Die Zerstörung von Arbeiterwohnge- alliierten Bomberflotten die Ruinenflächen bieten führte zu erheblichen Produktionsein- deutscher Städte. Im Untergangsszenario des bußen selbst bei Rüstungsbetrieben, die nicht „Dritten Reichs“ war das Inferno von Dres- von Gebäude- oder Maschinenschäden be- den nur eine weitere Kulisse. troffen waren. ❙7

Dresden wurde schließlich von der über Totaler Krieg Jahre perfektionierten Militärmaschinerie Großbritanniens getroffen, das einen aufge- Nicht erst seit der Rede des NS-Propagan- zwungenen Krieg führte, den das NS-Regime daministers Joseph Goebbels 1943 im Ber- aus irrationalen und menschenverachtenden liner Sportpalast anlässlich der verlore- Gründen nicht beendete. ❙8 Wenngleich das nen Schlacht von Stalingrad war der Zweite Weltkrieg ein „totaler Krieg“. Von Anfang an war die ganze Gesellschaft für den Krieg ❙5 Vgl. Horst Boog, Der anglo-amerikanische strate- mobilisiert worden, standen sich die Volks- gische Luftkrieg über Europa und die deutsche Luft- verteidigung, in: ders./Werner Rahn et al. (Hrsg.), wirtschaften der kämpfenden Staaten gegen- Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6: über, mit ihren Arbeitern, Unternehmern, Der globale Krieg. Die Ausweitung zum Weltkrieg Wissenschaftlern, Ärzten, Geistlichen und und der Wechsel der Initiative 1941–1943, Stuttgart Landwirten. 1990, S. 429–565, hier: S. 449. ❙6 Was auch schon beim „Blitz“ gegen Großbritanni- Gleichzeitig geriet die Zivilgesellschaft in en ein Problem war: „Die pauschale Auslösung des Fliegeralarms (rot) brachte bei Tag oder Nacht jede das Fadenkreuz des Militärs, weil sich vie- Arbeit zum Erliegen und warf die Kriegsproduktion le Generalstäbler von der Bekämpfung der erheblich zurück.“ Vgl. R. Overy (Anm. 4), S. 210. Bevölkerung eine größere Wirkung auf den ❙7 „Unmittelbar vor dem 13. Februar gab es in den 5 Kriegsverlauf versprachen als von Offen- Dresdner Betriebsteilen von Zeiß Ikon 10 897 ‚pro- siven an der Front. Bereits in einem Manö- duktiv Tätige‘. (…) In einem Betriebsbericht hieß verbericht der Royal Air Force aus dem Jahr es: ‚Wie festgestellt, haben im Februar 1945 durch- schnittlich 7833 Lohnempfänger gefehlt. Hiervon 1923 hatte man lesen können, dass der mo- hatten sich 5164 nicht gemeldet. Die restlichen 2669 4 derne Krieg „ein Wettstreit der Moral“ sei, ❙ hatten sich gemeldet, waren aber entweder wegen in dem es darum gehen werde, die Arbeits- Fliegerschadens, langem Anmarschweg usw. beur- kraft und den Durchhaltewillen der Bevöl- laubt oder krank.‘ Am 14. und 15. Februar waren alle kerung zu treffen. 5 Dresdner Betriebsteile völlig stillgelegt. Auch Ende Februar arbeitete immer noch weniger als die Hälfte der Belegschaft. Das hatte enorme Auswirkungen auf Auch wenn das moral bombing der Royal die Rüstungsproduktion.“ Friedrich Reichert, Ver- Air Force keine wahrnehmbare Wirkung auf brannt bis zur Unkenntlichkeit, in: Verbrannt bis zur den Kriegswillen der deutschen Bevölkerung Unkenntlichkeit (Anm. 3), S. 40–62, hier: S. 60. hatte: Als Abnutzungskrieg führten die Tep- ❙8 Dabei stand bereits 1935 in einer deutschen Fach- pichbombardements zu einer erheblichen Be- publikation: „Das Fehlen eines speziellen Luft- einträchtigung der deutschen Kriegführung. kriegsrechts hat somit nicht nur einen hohen Grad von Unsicherheit über das Schicksal der Zivilbevöl- So waren zwar 80 Prozent der Hamburger kerung zur Folge, sondern bewirkt sogar, daß die- Industrieanlagen schon zweieinhalb Monate se faktisch im Ernstfall mehr oder minder vogelfrei nach der verheerenden Bombardierung vom ist. (…) Das ‚Terrorbombardement‘, das in einem 25. Juli bis 3. August 1943 wieder funktions- Luftkriege nach menschlichem Ermessen eine gro- fähig, aber infolge dieses Angriffs wurden ße Rolle spielen würde“, träfe die Zivilbevölkerung 45 Prozent aller deutschen Jagdflugzeuge im oder das private Eigentum ohne militärischen Cha- rakter. Georg Herrmann, Völkerrechtliche Luft- kriegsregeln und einzelstaatliche Luftschutznor- ❙4 Zit. nach: Richard Overy, Der Bombenkrieg. Eu- men, in: Gasschutz und Luftschutz, 5 (1935) 2, ropa 1939–1945, Berlin 2014, S. 49. S.0 3 f.

16 APuZ 5–7/2016 ungeheure Ausmaß der Zerstörung in Dres- neben Herrn Gebauer lag, getötet wurden. den nicht planbar gewesen war, entsprach Die anderen Jungen sind unterwegs getö- es lehrbuchhaft den Vorstellungen von ei- tet worden, ein kleiner Zehnjähriger vor nem mustergültigen Angriff mit maximaler der Kreuzschule, drei noch im Haus durch Schlagkraft. Ein Grund dafür war auch die Lungenriß und die übrigen, die nicht Alum- Situation am Boden: Durch die Verlegung nen waren, kamen in der elterlichen Woh- der deutschen Flugabwehrgeschütze und nung mit ihren Angehörigen ums Leben.“ ❙11 der meisten Jagdmaschinen an die Front war Unter dem Eindruck der Bombardierung Dresden der Bombardierung schutzlos aus- schrieb Mauersberger die Trauermotette geliefert worden, ❙9 paradoxerweise nur we- „Wie liegt die Stadt so wüst“, die am 4. Au- nige Wochen nachdem der Generalstabschef gust 1945 uraufgeführt wurde und seither des deutschen Heeres die Stadt im Dezember Teil der Dresdner Gedenkkultur ist. 1944 zur militärischen Festung erklärt hatte. Eine für September 1944 geplante große Eva- Über keine andere zerstörte Stadt des kuierungsaktion Dresdner Kinder war ohne Zweiten Weltkrieges ist so viel Fachlitera- Angaben von Gründen ersatzlos gestrichen tur und Belletristik publiziert worden wie worden, ❙10 obwohl die britischen Flächen- über Dresden. Einer der auflagenstärksten bombardements auf die deutsche Zivilbevöl- Dresden-Romane wurde von Henri Cou- kerung zielten. longes verfasst und in der französischen Originalfassung 1979 veröffentlicht. Der deutsche Titel des Buches, „Dresden starb Wie liegt die Stadt so wüst mit dir, Johanna“, nennt die Protagonis- tin der Handlung, ein zwölfjähriges Mäd- Unter den vielen Kindern, die bei den Luft- chen, dessen Schicksal mit dem der Kruzia- angriffen auf Dresden am 13. und 14. Fe- ner und ihrem Kantor eng verwoben ist. Sie bruar 1945 ums Leben kamen, waren auch sieht die Kruzianer und ihren Kantor zum elf Kreuzschüler. Rudolf Mauersberger, der ersten Mal im Großen Garten, dem histori- Kantor des Dresdner Kreuzchores, hielt schen Stadtpark Dresdens, als Johanna von nach 1951 seine Erinnerungen in einem Be- Tieffliegern angegriffen wird. „Die Flug- richt fest. „Als ich endlich zur Kreuzschu- zeuge kletterten kerzengerade in die Höhe, le kam, war alles menschenleer und wie kippten dann über einen Flügel ab und ka- ausgestorben. Das Gebäude brannte noch. men der Reihe nach im Sturzflug herunter. Man konnte sich nicht aufhalten, weil man Die Feuerstöße schienen sich jetzt auf al- dauernd mit schlimmster Atemnot kämp- les, was sich bewegte, zu richten. Salve auf fen mußte (…). So eilte ich im Laufschritt Salve. Um besser sehen zu können, ging sie wieder zurück, auf den Großen Garten zu. mitten auf die Fahrbahn, wieder beschatte- Ich erfuhr dann erst, daß der Alumnenin- te sie die Augen mit der Hand. Und plötz- spektor mit den Alumnen aus dem bren- lich erhob sich hinter ihr – unmittelbar hin- nenden Haus in den Großen Garten ge- ter ihr, meinte sie – ein apokalyptisches flüchtet war. Diese Maßnahme entsprach Dröhnen. Instinktiv warf sie sich hinter die den allgemeinen, auch immer wieder durch kleine Mauer. Die prasselnden Geschosse den Rundfunk gekommenen Anweisun- streiften sie fast, sie wurde mit Erdbrocken gen und Aufforderungen. Auf der Tiergar- und Steinsplittern bedeckt, und das Kra- tenstr. schossen die Tiefflieger ebenfalls in chen der Feuerstöße zerriß ihr buchstäblich die Menge, wobei der Alumneninspektor, das Trommelfell; ein riesiger Schatten strich Herr Studienrat Gebauer, schwer verwun- über sie hin. (…) Zum ersten Mal in ihrem det wurde, der Hausinspektor und ein drei- Leben empfand sie so etwas wie Haß gegen zehnjähriger Junge aus dem Kreuzchor, der diesen namenlosen, gesichtslosen Feind, der

❙9 Die wenigen in Dresden-Klotzsche verbliebenen ❙11 Rudolf Mauersberger, Aufzeichnungen über per- deutschen Nachtjäger erhielten während der zwei sönliche Erinnerungen im Zusammenhang mit der britischen Angriffswellen zur Verwunderung der Pi- Zerstörung Dresdens 13. Febr. 1945, in: Gorch Pieken/ loten keine Starterlaubnis. Matthias Rogg/Ansgar Snethlage (Hrsg.), Schlachthof ❙10 Vgl. Heidrun Reim, Zum Kriegsalltag in Dresden 5. Dresdens Zerstörung in literarischen Zeugnissen, 1939 bis 1945, in: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit Ausstellungskatalog des Militärhistorischen Museums (Anm. 3), S. 7–39, hier: S. 17. der Bundeswehr, Dresden 2015, S. 211–213, hier: S. 212.

APuZ 5–7/2016 17 im Dunkel der Nacht gekommen war, eine nen Bomber war es den Jägern verboten, den wehrlose Stadt zu morden und das Leben in Verband zu verlassen und etwa Bodenziele zu ihr zu ­verwüsten.“ ❙12 bekämpfen. Gegen einen erneuten Anflug der Jäger nach der Bombardierung sprechen der knappe Benzinvorrat in den Flugzeugtanks Propaganda und Legenden und die rasche Entwarnung vom Mittag des 14. Februar im Luftraum um Dresden. „Tiefflieger“ und der „Mord an einer wehr- losen Stadt“ sind nur zwei einer Reihe von Einige Dresden-Legenden streute das NS- Schlüsselbegriffen, die mit Dresden verbun- Propagandaministerium gezielt. Die Le- den sind, seitdem Goebbels die Zerstörung gende aber, die Royal Air Force habe Phos- Dresdens zu einem beispiellosen Kultur- und phorbomben abgeworfen, war keinesfalls im Humanitätsverbrechen der Alliierten erklärt Sinne der Propaganda. Phosphor wurde von hatte. Dabei sind auch Überlieferungen, die den Alliierten nicht als Brand-, sondern le- belegbar falsch sind oder deren Wahrheits- diglich als Zündmittel eingesetzt. Es war gehalt nicht beweisbar ist, zum Teil der kol- für die deutsche Regierung wichtig, zu ver- lektiven Erinnerung geworden. Die im März suchen, die Gerüchte von reinen Phosphor- 1945 polizeiintern festgehaltene Zahl von bomben zu zerstreuen. Denn Phosphor ent- rund 20 000 Dresdner Bombenopfern etwa zündet sich in Kontakt mit Sauerstoff immer war durch das Hinzufügen einer Null ma- wieder selbst, Löschversuche sind dann ver- nipuliert worden. Angeblich habe es 200 000 geblich. Das Gerücht von Phosphorbomben Tote gegeben: Auf diesen um das Zehnfache konnte die Bevölkerung dazu verleiten, das höheren Wert beriefen sich noch Jahrzehn- Löschen von vornherein zu unterlassen. te nach Kriegsende viele Autoren und viele Dresdner. Eine von der Stadt Dresden 2004 berufene Historikerkommission konnte keine Bewei- Und auch die „Tiefflieger“ tauchen in zahl- se für die Verwendung von Phosphorbomben reichen Erinnerungen und literarischen Ver- oder den Einsatz von Tieffliegern finden. ❙13 arbeitungen auf, obgleich es für sie keinen Und bei der Frage nach der Zahl der Opfer, wissenschaftlich belegbaren Nachweis gibt. die seit ihrer Fälschung durch NS-Stellen in Rein technisch wären die britischen Bom- verschiedenen Abänderungen durch die Lite- ber nicht in der Lage gewesen, im Sturzflug ratur und die Stadt geisterte, kam die Kom- mit ihren Bordwaffen auf die Geflohenen mission zu einem ähnlichen Ergebnis wie die im Großen Garten zu schießen. Zudem hät- Dresdner Polizei im März 1945. te der zu diesem Zeitpunkt wütende Feuer- sturm ein solches Manöver verhindert. Die 1993 waren im Stadtarchiv Akten des Be- amerikanischen Langstreckenjäger des Typs stattungsamtes entdeckt worden, denen zu- P-51 Mustang, die am 14. Februar den Tag- folge zwischen dem 18. Februar und dem angriff der United States Army Air Forces 17. April 1945 rund 19 000 Tote beigesetzt auf Dresden eskortierten, waren in Kämp- worden waren. Anhand von Sterbebüchern fe mit deutschen Jagdflugzeugen verwickelt. und Todesmeldungen aus Dresden und Bei einem gegnerischen Angriff auf die eige- Schlesien konnte statistisch nachgewiesen werden, dass die Zahl der Flüchtlinge in ❙12 Henri Coulonges, Dresden starb mit dir, Johan- der Stadt wesentlich geringer gewesen sein na, Frank­furt/M. 1985, S. 91 f. In der „Zeit“ wurde muss, als zuweilen behauptet wird. Die An- Coulonges gelobt, weil er ein Thema aufgegriffen nahme, Zehntausende Menschen seien auf- habe, „das ihm, soweit er sah, einseitig dargestellt grund von Temperaturen von bis zu 2000 °C schien: In einem Millionenvolk, das die Naziverbre- chen zu seiner Geschichte zählt, mußte es Millionen rückstandslos verbrannt, konnte durch die von Schuldigen geben – und Millionen von Unschul- Auswertung archäologischer Befunde und digen. Coulonges wollte die deutsche Tragödie auf- durch Brandgutachten widerlegt werden. zeichnen, gesehen, erlitten, begriffen mit den Sinnen eines Kindes. Das zwölfjährige Mädchen Johanna er- lebt diese Geschichte, die Geschichte eines deutschen ❙13 Vgl. Landeshauptstadt Dresden, Abschlussbericht Untergangs, stellvertretend für die Millionen Un- der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf schuldiger.“ Ruth Henry, Ein Abschied, in: Die Zeit Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945, vom 22. 2. 1985, www.zeit.de/​1985/​09/ein-abschied Dresden 2010, www.dresden.de/historikerkommis- (14. 12. 2015). sion (14. 12. 2015).

18 APuZ 5–7/2016 Der im Jahr 2010 vorgelegte Abschlussbe- wuchs der Widerstand gegen die Neonazis richt der Historikerkommission kommt zu stetig an. dem Ergebnis, dass bei der Bombardierung Dresdens bis zu 25 000 Menschen ums Le- Seit Oktober 2009 ist das Bündnis „Nazi- ben ­kamen. frei – Dresden stellt sich quer“ der Haupt- organisator von Demonstrationen gegen die „Trauermärsche“ der NPD. Seit 2010 folgen The Benchmark jährlich etwa 10 000 Menschen dem Aufruf eines breiten Bündnisses aus Parteien, Ge- Ungeachtet oder gerade wegen des Berichts ist werkschaften, Kirchen, Stadtverwaltung und die Diskussion um die Höhe der Opferzahlen weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen und in Dresden nicht abgeflaut. Es gibt Dresdner, schirmen am Abend des 13. Februar mit ei- die im Kommissionsbericht einen Angriff auf ner Menschenkette die innere Altstadt ab, ihre Identität sehen. Denn wie keine ande- um Dresden, so die damalige Oberbürger- re deutsche Stadt beruht Dresdens Selbstver- meisterin Helma Orosz, „zu einer Festung ständnis auf den Erfahrungen und Folgen des gegen Intoleranz und Dummheit“ zu ma- Bombenkrieges. Dresden reklamiert für sich, chen. Proteste und Sitzblockaden auf dem gleichsam als Synonym für Zerstörung und Weg der Rechtsextremen führten mehrmals schuldlos erlittenes Leid zu gelten. Für diese dazu, dass diese nicht oder nur sehr einge- Wahrnehmung haben die Opferzahlen eine schränkt marschieren konnten. Es haben sich zentrale Bedeutung, ihre Höhe hat Einfluss zudem zahlreiche Bürgerinitiativen und Ar- auf den Status von Dresden als Benchmark für beitsgruppen gebildet, die sich mit der Ge- kriegszerstörte Städte nicht nur des 20., son- schichte ihrer Stadt auseinandersetzen und dern auch des 21. Jahrhunderts. Denn auch in die Diskussion mit der breiten Öffentlich- späteren bewaffneten Auseinandersetzungen keit suchen. Als Reaktion auf die NPD-De- wurden und werden verheerte Städte überall monstrationen hat sich in Dresden somit eine auf der Welt mit „Dresden 45“ verglichen oder kritische Erinnerungs- und Forschungskul- gleichgesetzt. ❙14 tur entwickelt, so vielfältig und kreativ wie in keiner anderen deutschen Stadt. Auch das Dieses seit Jahrzehnten gebräuchliche Bild ist Dresden. ❙15 von der „Opferstadt“, das auch die DDR propagandistisch einsetzte, nutzen heutige Neonazis in ganz Deutschland für ihre po- Täterspuren litischen Argumentationen und Demonstra- tionen. Seit 1998 versuchen Rechtsextreme, Seit 2011 erinnert der „Mahngang Täterspu- ihre Slogans zu verbreiten, indem sie sich bei ren“ an die Geschichte der Stadt im National- Gedenkveranstaltungen unter die Dresdner sozialismus, an die Bücherverbrennung von mischen. Im Jahr 2000 organisierte die Junge Landsmannschaft Ost erstmals einen nächt- 15 lichen „Trauermarsch“ unter dem Motto ❙ Dennoch weist das Meinungsbild innerhalb der „Ehre den Toten des Bombenterrors“, dem Stadtbevölkerung eine geringere Aufgeschlossen- heit gegenüber aktuellen Forschungsergebnissen sich 500 Personen anschlossen. Seit 2005 aus als etwa in Hamburg: „Die Unterschiede zwi- werden die „Trauermärsche“ von der rechts- schen den beiden Städten sind frappierend, obwohl extremen NPD organisiert. Im selben Jahr beide von einem Feuersturm zerfressen wurden verzeichnete die Demonstration mit 6500 und sich die Zahl der Opfer gemessen an der Be- Marschierern die höchste Teilnehmerzahl. völkerung in ähnlichen Dimensionen bewegt. In Wenige Wochen zuvor hatte die NPD-Frak- Dresden wurden und werden, ganz in der Tradi- tion der NS- und der anschließenden SED-Propa- tion im Sächsischen Landtag die Zerstörung ganda, die West­alli­ierten für ‚die sinnlosen Terror- Dresdens als „Bombenholocaust“ bezeich- angriffe‘ verantwortlich gemacht (…), während im net und damit den Angriff auf die Stadt mit Falle Hamburgs das ‚strategische Gewicht der Stadt dem Völkermord an sechs Millionen Euro- kaum infrage gestellt‘ wurde. In Dresden spielt päern jüdischen Glaubens oder jüdischer zugleich die Erinnerung an das Bombardement Herkunft gleichgesetzt. In den Folgejahren eine viel größere Rolle als im mindestens genau- so hart getroffenen Hamburg.“ Sven Felix Keller- hoff, Wie der Feuersturm über Generationen wei- ❙14 Vgl. Heidrun Hannusch, Like Dresden, in: terwirkt, in: Die Welt vom 22. 7. 2013, www.welt.de/ Schlachthof 5 (Anm. 11), S. 105–113. article­118214398 (14. 12. 2015).

APuZ 5–7/2016 19 1933, den Novemberpogrom und die bren- sie in sogenannten Todesmärschen aus der nenden Synagogen von 1938, an Berufsver- Stadt geführt wurden. ❙17 Diese hatten kein bote und „Arisierungen“, an die bedeutende eindeutiges Ziel; einerseits sollten Beweise Rüstungsindustrie Dresdens, an die Überfäl- und Zeugen beseitigt werden, andererseits le der Wehrmacht auf die europäischen Nach- waren die Menschen eine Art Faustpfand barstaaten und die Hinrichtung von rund gegenüber den westlichen Alliierten, mit 1300 politischen Häftlingen in Dresden so- denen der Reichsführer SS Heinrich Himm- wie den Staatsterror gegen Tausende ideolo- ler Verhandlungen anstrebte. Ungeachtet gisch verfolgter Dresdnerinnen und Dresd- dessen wurden Tausende in den Marschko- ner. Denn Dresden war im Februar 1945 lonnen ermordet, auch von Angehörigen des längst nicht mehr – wie die NS-Propaganda Volkssturms und der Zivilbevölkerung. Sie vorgab – die weltberühmte Kunstmetropo- töteten Menschen, die geschwächt zurück- le der Vorkriegszeit und Hort europäischer blieben oder geflüchtet und gestellt worden Kultur, die ihre „Unschuld“ bewahrt hätte. waren. Regelrechte Treibjagden auf geflohe- ne Lagerhäftlinge und Zwangsarbeiter fan- Im übertragenen Sinne war die „Kultur- den statt, um mit aller Brutalität und Erbar- stadt Dresden“ bereits seit 1933 zerstört, wa- mungslosigkeit zu verhindern, dass diese ren ihre Gebäude von innen her ausgehöhlt Menschen das nahe Kriegsende erleben und worden, sodass man nur noch die Fassade damit scheinbar über ihre Peiniger obsiegen aufrechterhielt. Denn die Schauspieler, Sän- konnten. An diesen „Torschlussmorden“ ❙18 ger, Tänzer, Musiker, Regisseure und Büh- beteiligten sich nicht nur Polizisten, Bür- nentechniker, Schriftsteller, Journalisten, germeister, Kreisbauernführer und ande- Verleger, Universitätsdozenten, bildenden re Einwohner von kleinen und großen Ort- Künstler, Kuratoren, Galeristen und Impre- schaften, sondern selbst Jugendliche und sarios, die aus „rassischen“, politischen oder Kinder. ❙19 geschlechtsspezifischen Gründen erst aus- gegrenzt und dann verfolgt wurden, hatten Als der ausgebombte Polizeibeamte Franz einen entscheidenden Anteil am guten Ruf Harry Schnaubelt am 16. oder 17. Februar und Ruhm der Stadt als bedeutende Kultur- 1945 vom Dresdner Stadtrand kommend zu metropole Europas gehabt. Sie hatten ihren seinem zerstörten Haus in die Innenstadt Beitrag in den Avantgarde-Labors der Stadt ging, bemerkte er in seiner Straße zwei Män- geleistet und die berühmten Repräsentati- ner und eine Frau, die aus einem Keller stie- onsbauten Dresdens mit Leben gefüllt. Der gen. Sie trugen Koffer mit Adressaufklebern Verlust an Kreativität, schöpferischen Im- des Nachbarhauses und waren Ausländer. pulsen und Anziehungskraft, die den Bau- Obgleich die Frau den Polizeibeamten fle- werken erst ihren Sinn gaben, ist noch heu- hentlich bat, sie laufen zu lassen, fesselte er te spürbar. die beiden Männer. Der Frau gab er zu verste- hen, dass sie gehen könne, doch sie blieb bei Die Shoah war in der Stadt Dresden in ihren Freunden. Zwischenzeitlich hatte sich Gestalt der geschundenen und vom Tode ge- eine aufgebrachte Menschenmenge um die zeichneten jüdischen Zwangsarbeiter sicht- kleine Gruppe versammelt, vor allem Frauen bar. Und mit der Erfahrung und den Techni- bewarfen die drei Fremden mit Steinen. Von ken der Vernichtungslager wurden auf dem Dresdner Altmarkt die Toten der alliierten ❙17 Vgl. Todesmarsch von Ruth Alton und von Jo- Bomberangriffe verbrannt. ❙16 Viele Zwangs- sef Salomonovic, in: Gorch Pieken/Matthias Rogg arbeiter mussten bei der Bergung der Lei- (Hrsg.), Schuhe von Toten. Dresden und die Shoa, chen helfen oder Schutt beseitigen, bevor Ausstellungskatalog des Militärhistorischen Mu- seums der Bundeswehr, Dresden 2014, S. 232–235, S. 226–231. ❙16 Vgl. Frederick Taylor, Dresden, Dienstag, 13. Fe- ❙18 Gerhard Paul, Staatlicher Terror und gesellschaft- bruar 1945, München 2004, S. 385; Olaf Groeh- liche Verrohung. Die Gestapo in Schleswig-Holstein, ler, Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, Hamburg 1996, S. 126. S. 412; Ino Arndt/Wolfgang Scheffler, Organisier- ❙19 Selbst 8- und 9-jährige Kinder und 14-jährige Ju- ter Massenmord an Juden in nationalsozialistischen gendliche waren an Morden beteiligt, wie beispiels- Vernichtungslagern, in: Karl Dietrich Bracher/Man- weise am 17. Februar 1945 in Herzogswalde (heute fred Funke/Hans Adolf Jacobson (Hrsg.), National- Ortsteil von Wilsdruff) in der Sächsischen Schweiz. sozialistische Diktatur 1933–1945, Düsseldorf 1983, Vgl. Sven Keller, Volksgemeinschaft am Ende. Gesell- S. 539–571, hier: S. 562 f. schaft und Gewalt 1944/45, München 2013, S. 161 f.

20 APuZ 5–7/2016 Gerhard Richter, „Bridge 14 FEB 45“ (2002)

© Atelier Richter, Köln einem zufällig vorbeikommenden Feldwebel Bridge 14 FEB 45 erhielt Schnaubelt sechs Patronen für seine ungeladene Dienstwaffe. Daraufhin schoss Einigen wenigen Dresdnern und Zwangsar- er auf seine am Boden sitzenden Gefange- beitern jüdischer Herkunft oder jüdischen nen. Da sie noch atmeten, wurden sie von den Glaubens rettete die Zerstörung Dresdens Umstehenden gesteinigt. ❙20 – als unbeabsichtigter Kollateralnutzen der alliierten Bombardements – das Leben. Im ❙20 Ebd., S. 290. Chaos des Durcheinanders konnten sie flie-

APuZ 5–7/2016 21 hen und sich bis zum Kriegsende verstecken. Hans Vorländer Die Bomber am Himmel hatten sie als Freun- de begrüßt – so sehnte sich der 17-jährige Ro- man Halter danach, „in einem dieser Flug- zeuge zu sein und in die Freiheit zu fliegen“. ❙21 Zerrissene Stadt:

Die britischen Bomber-Besatzungen des Dresden-Angriffs mussten nur vier Stun- Kulturkampf den nach ihrer Rückkehr auf ihre englischen Heimatbasen am Abend des 14. Februar 1945 zum nächsten Angriff aufsteigen: Bestim- in Dresden mungsort Chemnitz. ede Stadt hat ihre eigene Geschichte, aber Der in Dresden geborene Künstler Ger- Jnicht jede Stadt hat eine so ausgeprägte Ei- hard Richter schuf im Jahr 2002 eine irritie- gengeschichte wie Dresden. Eigengeschich- rende Fotoarbeit mit dem Titel „Bridge 14 ten werden geschaffen, FEB 45“: Es zeigt ein Überflugbild einer sie werden erzählt, zu Hans Vorländer Stadt, die von unzählbar vielen Bomben- Mythen verdichtet. Sie Dr. phil., geb. 1954; Professor kratern zerfurcht ist. Doch es handelt sich geben Orientierung, für Politikwissenschaft, Inhaber um Köln, nicht um Dresden. An diesem vermitteln einer Bür- des Lehrstuhls für politische einschneidenden Datum der Dresdner Ge- gerschaft das Gefühl Theorie und Ideengeschichte schichte wurde nicht nur die Stadt an der der Zusammengehö- an der Technischen Universität Elbe angegriffen. Während Dresden im ge- rigkeit, erzeugen Iden- Dresden, 01062 Dresden. samten Zweiten Weltkrieg acht Luftangrif- tität. Von außen gese- [email protected] fe zählte, waren es in Köln 262. Dabei wur- hen ist die Geschichte den 25 000 Kölnerinnen und Kölner getötet. einer Stadt eher eine Erzählung ihrer Brüche, 2000 Stunden lang befand sich die Stadt im Veränderungen, Transformationen, vielleicht Alarmzustand. Am Ende des Krieges waren auch die Beschreibung eines Kerns gemeinsa- 90 Prozent der historischen Innenstadt zer- mer, über Jahre oder Jahrzehnte überlieferter bombt, statt zuvor 770 000 Einwohner hat- Überzeugungen, Einstellungen und Vorstel- te Köln 1945 nur noch 20 000. Während die lungen ihrer Bürgerinnen und Bürger. Eigen- Domstadt bis in den Grund zerstört und na- und Fremdbeschreibung aber sind selten iden- hezu unbewohnbar wurde, lebten in Dres- tisch, vor allem nicht aus der Distanz des Be- den im April 1945, also rund zwei Mona- obachters. Aber auch das könnte im Fall Dres- te nach den Bombardierungen, noch rund dens anders sein. 368 000 Menschen. Ende 1944 waren es rund 566 000 Einwohner gewesen. ❙22 Laut Ta- Dresden lebt von der Erinnerung an den gesbefehl Nr. 47 wurden 13 341 Dresdner vergangenen Glanz höfischer Prachtentfal- Wohngebäude völlig zerstört beziehungs- tung, von der von Bernardo Bellotto (Cana- weise schwer beschädigt, was einem Anteil letto) gemalten barocken Stadtsilhouette und von 36 Prozent entspricht. Doch im kollekti- vom Ruhm bedeutender Kunstsammlungen ven Gedächtnis der Deutschen ist Köln nach und herausragender Leistungen in der Mu- wie vor die Stadt der großen mittelalterli- sik- und Operngeschichte. Doch Mythen ha- chen Kirchen, während Dresden als Symbol ben nicht nur heroische Seiten, sie gewinnen für das Zerstörungspotenzial des Zweiten an magischer Kraft, wenn sie die Geschich- Weltkrieges gilt. te von Niedergang und Wiederaufstieg zu er- zählen wissen. Dresdens Zerstörung am 13. und 14. Februar 1945 ist der eine Teil einer solchen Geschichte, der Wiederaufbau des historischen Zentrums nach 1990 der andere. ❙21 Romans Reise durch die Nacht, Bericht eines Eingefügt wurde der erinnernden Erzählung Überlebenden, in: Schlachthof 5 (Anm. 11), S. 315. auch die – bereits von den Nationalsozialis- ❙22 Die Zahlen beziehen sich nur auf die Stadtbevöl- ten propagierte, dann von den Kommunisten kerung, geben also keine Auskunft über Flüchtlinge, Gefangene, Zwangsarbeiter, Reisende u. a. m. fortgeschriebene, vom Stadtbürgertum lange Zeit übernommene – Legende vom „sinnlo- sen“ Opfer, das Dresden kurz vor dem Ende

22 APuZ 5–7/2016 des Zweiten Weltkrieges erbrachte, welches sende von Bürgern auf den Straßen und iko- berechtigt, Wiedergutmachung, in diesem nischen Plätzen der Stadt, um gegen die ver- Fall: historisch getreue städtebauliche Re- meintliche „Islamisierung des Abendlandes“ konstruktion zu erlangen. ❙1 zu demonstrieren. Sie skandieren schrille Slogans und hören Rednern auf den Kund- gebungen zu, die ihrem Hass auf Flüchtlin- Entzauberung eines Mythos ge und Migranten ebenso freien rhetorischen Lauf lassen, wie sie gegen „die Politiker“ und Das „Alte Dresden“, wie es Fritz Löffler, „die Medien“ als „Volksverräter“ und „Lü- Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, in sei- genpresse“ hetzen. Pegida, als eine Bewegung nem 1955 erstmalig erschienenen, seitdem „patriotischer Europäer“ im Oktober 2014 in zur Pflichtlektüre eines Dresdners gehören- Dresden von einem Kreis über die sozialen den gleichnamigen Buch wieder hat entste- Medien miteinander vernetzter Freunde und hen lassen, war lange Zeit der Fluchtpunkt Bekannte begründet, hat dunkle Flecken auf kollektiver Imagination, einer Traumwelt des das Bild einer ostdeutschen Stadt gelegt, wel- Schönen und Erhabenen, des Authentischen che ökonomischen Aufschwung und wissen- und Auratischen, der mythische Gegenent- schaftliche Exzellenz, soziale und politische wurf zu den Verheerungen des Krieges und Stabilität, landschaftliche Schönheit und kul- den Zumutungen des DDR-Regimes, das aus turellen Glanz in vorbildlicher und vor allem Dresden eine Musterstadt des Sozialismus zu erfolgreicher Weise miteinander zu vereinba- machen beabsichtigte. Das Phantasma des ren schien. 25 Jahre nach der Wiedervereini- alten Dresden erzeugte einen Vorstellungs- gung sieht nun aber alles ganz anders aus. Die raum von Selbstverständigung und Selbst- „Abendspaziergänge“ von Pegida haben Be- behauptung, in dem die Reste des Dresdner fürchtungen reifen lassen, dass Ausländer- Bürgertums seine spezifische Lebensweise feindlichkeit und islamkritische Einstellungen auch im Arbeiter- und Bauernstaat der DDR verbreiteter sind als im übrigen Bundesgebiet konservieren konnten. So war es möglich, und Dresden zum Hort einer rechtspopulisti- sich als Dresdner Bürger und keineswegs als schen Bewegung werden könnte. DDR-Bürger zu verstehen – wie der ehemali- ge sächsische Justizminister und kurzzeitige Doch hat das Bild auch andere Facetten: Kandidat Helmut Kohls für die Bundesprä- In der Stadt haben sich viele Initiativen ge- sidentschaft, Steffen Heitmann, rückblickend bildet und in der Hoffnung zusammenge- befand. Dass derselbe Dresdner Bürger nun, funden, Zeichen eines weltoffenen und to- am Ende des Jahres 2015, die Zuwanderung leranten Dresdens setzen zu können. Auch von Flüchtlingen und Migranten zum Anlass fanden wöchentliche Gegendemonstrationen genommen hat, aus seiner Partei, der seit 1990 statt, wobei es den Organisatoren jedoch zu die Geschicke des Landes Sachsen lenkenden keinem Zeitpunkt gelang, Pegida zahlenmä- CDU, auszutreten und dies mit der Begrün- ßig zu übertreffen und in ähnlich kontinu- dung versah „Ich habe mich noch nie – nicht ierlicher Weise eine hohe Teilnehmerschaft einmal in der DDR – so fremd in meinem zu mobilisieren. Allein zwei Großveran- Land gefühlt“, ❙2 erscheint dann nicht als blo- staltungen im Januar 2015 vermochten mehr ßer Zufall, sondern als Ausdruck einer be- als 20 000 Besucher anzuziehen. Früh schon sonderen Dresdner Befindlichkeit. hatte sich die Landeszentrale für politische Bildung unter ihrem Leiter Frank Richter Nun ist dies gewiss nicht die einzige Irrita- bemüht, die Situation durch Gesprächsan- tion, die Dresden derzeit vermittelt. Seit über gebote an Pegida-Anhänger und Gegner zu einem Jahr treffen sich allwöchentlich Tau- entspannen. Die gleiche Absicht verband auch eine von einem Verein initiierte „Bür- ❙1 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Dresden als Raum des gerkonferenz“ sowie vier von der sächsi- Imaginären. „Eigengeschichte“ und Mythenbildung schen Staatskanzlei und der Landeshaupt- als Quelle städtischer Identitätskonstruktionen, in: stadt organisierte „Dialogforen“ unter dem ders., Symbolische Ordnungen, hrsg. v. Hans Vor- Titel „Miteinander in Sachsen“. Darüber hi- länder, Baden-Baden 2014, S. 455–466. Siehe hierzu naus gab es zahlreiche weitere Veranstaltun- auch den Beitrag von Gorch Pieken in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). gen, unter anderem von Angehörigen der ❙2 Zit. nach: Steffen Heitmann verlässt CDU, in: Universität. Doch haben diese Initiativen die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 12. 2015, S. 4. Blockaden nicht aufzulösen vermocht. Die

APuZ 5–7/2016 23 Stadt und ihre Bürgerschaft sind nach wie Metropole modernen Zuschnitts erfährt und vor gespalten, zerrissen und ratlos, wie sie die sich jetzt brennpunktartig in der Flücht- mit der Situation umgehen sollen. lingskrise zu bündeln scheinen. Ein ausge- prägter Dresdner Traditionalismus, der von einem ebenso mächtigen Lokalpatriotismus, Fremd(e) in der eigenen Stadt dem Stolz auf die schöne Heimat mit der gro- ßen Vergangenheit, unterfüttert wird, stößt Offensichtlich haben sich in Dresden gesell- auf eine neue Vielfalt an Menschen, Her- schaftliche Teilkulturen herausgebildet, in de- künften, Lebensweisen und Wertvorstel- nen die vergangenen Jahrzehnte in sehr unter- lungen und erzeugt angesichts dieser Dif- schiedlicher Weise erlebt und wahrgenommen ferenzerfahrungen verstörende soziale wie wurden und die auf neue Entwicklungen des- öffentliche Irritationen. halb jeweils anders reagieren. Lange Zeit sind sie durch die gemeinsamen, immer wieder Dresden durchlebt einen raschen Prozess auch politisch beschworenen geschichtlichen erneuter „nachholender“ Urbanisierung, der Erinnerungsbestände und durch das Verspre- dort anknüpft, wo es in der Wende vom 19. chen blühender Stadtlandschaften zusam- ins 20. Jahrhunderts angesetzt hatte und mit mengehalten worden. Der rapide Wandel seit der die damals sechstgrößte deutsche Stadt der deutschen Einheit und die unmittelbare zu einer ökonomisch prosperierenden und Erfahrbarkeit globaler Entwicklungen – wie einer der reichsten Metropolen Deutschlands der Zunahme der Migrationsbewegungen – wurde. Zugleich gehörte Dresden mit der direkt vor der eigenen Tür haben überkom- ihm eigenen Mischung aus Tradition, land- mene, auf das „Dresdner Biotop“ bezogene schaftlicher Schönheit und künstlerischer Narrative infrage gestellt, ohne dass die Stadt Vorreiterschaft – vom Tanz über die Male- bislang zu einer neuen Vision gefunden hät- rei von „Brücke“ und „Neuer Sachlichkeit“ te. So wird auf der einen Seite ein besonderer bis hin zu neuen Formen des aus der Lebens- Dresdner way of life gegen eine neue, fremd reformbewegung erwachsenen Städtebaus – und unbegreifbar gewordene Welt persön- zur kulturellen Avantgarde. Dieser Prozess licher und globaler Zumutungen verteidigt, wurde durch zwei Diktaturen eingefroren, während auf der anderen Seite eine weltoffene ja – nimmt man die Versuche einer sozialisti- und tolerante Stadtgesellschaft anvisiert wird, schen Moderne einmal aus – jäh abgebrochen. die sich der Herausforderungen und Chancen einer globalisierten Welt annimmt. Die Lager Die gegenwärtigen Umbrüche und die mit verstehen sich wechselseitig nicht, weshalb ihnen einhergehenden neuen Erfahrungen die Stadt sich selbst fremd geworden ist. starker Pluralisierung sozialer, kultureller, ökonomischer und räumlicher Bezüge er- Der aus Dresden stammende Lyriker Durs fordern Strategien wechselseitiger Anerken- Grünbein hat anlässlich der Beobachtung ei- nung und die Einübung von Toleranzprak- ner Demonstration von Pegida festgestellt, tiken sowie des Aushaltens von Spannungen dass Dresden „seit 1989 nicht mehr gelüftet und der zivilen Bearbeitung von Konflikten worden“ sei. ❙3 Das Urteil ist hart und fängt innerhalb der Stadtgesellschaft. Das, was eine pointiert Dresdner Selbstbezüglichkeit und Stadt zu einer modernen Stadt macht, näm- Selbstverliebtheit ein. Es verkennt aber, dass lich Vielfalt, Ungleichzeitigkeiten, Ungleich- sich in 25 Jahren ein enormer Wandel vollzo- heiten und Ungleichartigkeiten, scheinen in- gen hat, in dessen Folge anscheinend Span- des in Dresden in besonderer Weise auf die nungen und Verwerfungen entstanden, die Widerstände milieugeprägter traditionaler lange Zeit unsichtbar geblieben, jetzt aber Homogenitätserwartungen zu stoßen. Diese aufgebrochen sind und als eine Art Kultur- hängen zum Teil aus DDR-Zeiten über, zu ei- kampf, eine Auseinandersetzung um das, nem anderen Teil sind sie durch die Entwick- was Dresdens Tradition und Identität aus- lungen der vergangenen 25 Jahre enttäuscht macht, ausgetragen werden. Dabei geht es worden. Sie kristallisieren sich in Vorstel- einmal um die Bewältigung der Veränderun- lungen soziokultureller Geschlossenheit, gen, die Dresden auf dem Weg zu einer (Elb-) sozioökonomischer Gleichheit und über- greifenden politischen Konsenses aus, deren ❙3 Zit. nach: Hilmar Klute, Heimatabend, in: Süd- faktische Grundlagen zunehmend als prekär deutsche Zeitung vom 28. 10. 2015, S. 3. erfahren werden.

24 APuZ 5–7/2016 „Süße Krankheit Gestern“ – bestehenden, jedoch zu modernisierenden In- frastrukturen und die in Dresden ausgebildete Traditionalisten und Modernisierer technische Intelligenz zurückgreifen, machte andererseits aber die Ansiedlung neuer In- Anders als in anderen ostdeutschen Städten dustrien, vor allem im Mikrotechnologiebe- konnte in Dresden zur Zeit der DDR ein aus- reich, und Forschungseinrichtungen genau- geprägtes „Nischenbürgertum“ fortexistie- so notwendig wie den Zuzug von Menschen, ren. Dieses hatte sich in Kunst, Musik und die über hohes ökonomisches, soziales und Wiederherstellung barocker Stadtschönheit kulturelles Kapital verfügen. Damit etablier- seine die DDR-Realität transzendierenden te sich ein neues, internationalisiertes Milieu Fluchtpunkte geschaffen und ist später von zugezogener Bürger, welches durchaus den Uwe Tellkamp literarisch verewigt und we- sich in Architekturen, Villen und Barock- gen seiner abgeschotteten, bürgerlichen Le- gärten manifestierenden Repräsentationsges- bensweise an und auf den Elbhängen meta- tus großbürgerlicher Provenienz genauso zu phorisch „Turm“ genannt worden. ❙4 Nach den schätzen weiß wie die vielfältigen Angebote revolutionären Ereignissen des Herbstes 1989 von Kultur und Landschaft, Kunst und Mu- gingen aus diesem Milieu sehr bald Initiati- sik. So sehr sich aber die Neubürger auch mit ven zur Rekonstruktion des 1945 zerstörten dem Dresdner Traditionalismus akkomodier- Zentrums der Stadt hervor, vor allem zuguns- ten, ja in ihm auch ein anziehendes Alleinstel- ten der den Dresdner Bürgerstolz symbolisie- lungsmerkmal erblickten, so blieb für sie der renden Frauenkirche und des sie umgebenden Referenzpunkt städtischer Identität und bür- Neumarktes. Dass mit der Wiedergewinnung gerschaftlichen Handelns keineswegs allein des historischen Mittelpunktes der Stadt zu- die Vervollkommnung rekonstruierter städti- gleich die Wunden der Vergangenheit heilen, scher und kultureller Vergangenheiten. Dresden also wieder zu sich finden sollte, war genauso fester Bestandteil der damit verbun- Obwohl es zwischen einem mit der Me- denen Vorstellungen wie die Absicht, mit der tapher „Turm“ bezeichneten Alt-Dresdner Frauenkirche einen zentralen Ort der Ver- und einem mit dem – etwas plakativen – Eti- söhnung, der Völkerverständigung und des kett „Modernisierer“ charakterisierten Neu- Friedens zu etablieren. In der Tat vermochte Dresdner Milieu vielfältige Gemeinsamkeiten der aus zivilgesellschaftlicher Initiative her- gibt, so gibt es auch kulturelle Unterschiede, vorgegangene und ganz überwiegend durch die sich in differierenden Welt- und Gesell- Spenden aus dem In- und Ausland finanzierte schaftsbildern manifestieren: hier die Vor- Wiederaufbau diesen Erwartungen voll und stellung einer sich aus Geschichte und lands- ganz gerecht zu werden, zumal der neu eröff- mannschaftlicher Verbundenheit herleitenden nete Sakralbau rasch zu einem Magnet inter- sozialen und kulturellen Homogenität, dort nationaler, medialer und auch touristischer das Leben in globalen und multikulturellen Aufmerksamkeit wurde. Bezügen, die sich bisweilen bis zu Formen spannungsgeladener, auch ethnischer und reli- Mit der Restituierung des alten Dresden giöser Verschiedenartigkeit auszudehnen ver- ging zugleich eine Öffnung einher, die auf die mögen. Wo die einen die Tradition als Quel- Anziehungskräfte einer internationalen Me- le ihrer kollektiven, sächsischen und Dresdner tropole, auf Lebensqualität, attraktive Ar- Identität zu behaupten suchen, sehen die „Mo- beitsplätze und ein urbanes Flair gerichtet dernisierer“ in den Veränderungen auch die war. Die auf Wissenschaft und Technologie Chance, Dresden und Sachsen zu öffnen und basierende Transformation der ökonomischen sozial und kulturell im Sinne eines „weltoffe- Strukturen konnte einerseits auf die bereits nen Dresdens“ zu internationalisieren.

❙4 So schrieb er: „Dresden … in den Musennestern/ Dies stößt indes auf die Skepsis der Bewah- wohnt die süße Krankheit Gestern.“ Uwe Tellkamp, rer, die glauben, in der jüngeren Vergangen- Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land, heit bereits alle überhaupt denkbaren Verän- Frank­furt/M. 2008, S. 11. Für weitere literarische Be- derungen erfolgreich bewältigt zu haben und schreibungen der vielen scheinbar aus der Zeit gefal- dennoch mit der Wiederherstellung des al- lenen, weltverlorenen sozialen Biotope Dresdens vgl. zuletzt Durs Grünbein, Die Jahre im Zoo, Berlin ten Dresden die neu-alte Heimat und Iden- 2015. Die Erschütterung, die folgte, beschreibt jetzt tität realisiert zu haben. Dabei werden dann Peter Richter, 89/90, München 2015. die aktuellen Folgen von Globalisierung, von

APuZ 5–7/2016 25 „ökonomisierter“, beschleunigter Lebens- kultur der Bundesrepublik nicht heimisch weise, von islamistischem Terror und von und empfinden ihre politischen Institutio- großen Migrations- und Flüchtlingsbewe- nen nicht als die „eigenen“, sondern als „vom gungen so interpretiert, dass sie den Zustand Westen übergestülpte“ Instrumente einer von Normalität, Stabilität und Sekurität be- „Scheindemokratie“. Die Repräsentanten drohen, der sich nach den tief greifenden er- und Entscheidungsfindungsprozesse dieses werbsbiografischen, sozioökonomischen und „Systems“ gelten wahlweise als „verkrustet“, demografischen Umbrüchen der Nachwen- „verblendet“ oder „korrupt“ und werden mit dezeit gerade erst wieder eingestellt hatte. verschwommenen Erinnerungen an die DDR Unübersichtlichkeit und Ungewissheit der verglichen. Dabei werden auch Politiker, bis in den Nahbereich sicht- und spürbaren die aus Ostdeutschland stammen (wie Bun- weltpolitischen Entwicklungen haben erneut deskanzlerin Merkel und Bundespräsident ein Gefühl des Ausgeliefertseins an überge- Gauck) diesem System zugerechnet. Woher ordnete Mächte erzeugt, die zu überwinden kommen diese Demonstranten, und welchem man 1989 auf die Straße gegangen war. Zu- Milieu Dresdens sind sie zuzurechnen? gespitzt formuliert, fühlen viele sich um die Früchte der Friedlichen Revolution betrogen. Befragungen haben gezeigt, dass die Teil- nehmer zu etwa gleichen Teilen aus Dresden Auch hatte sich das traditionalistische Alt- oder anderen Gebieten Sachsens kommen, Dresdner Milieu lange Zeit nicht des Gefühls dass aber hinsichtlich ihrer Einstellungen und einer teilweisen „kulturellen Enteignung“ Motive keine signifikanten Unterschiede be- durch die aus Westdeutschland zugezoge- stehen. Wenn sich mittlerweile der Eindruck ne neue Elite in Politik, Verwaltung, Wis- verfestigt, dass Pegida im Spätherbst 2015 zu senschaft und Kultur erwehren können. Die einer offen rassistischen Bewegung geworden Zugezogenen forderten den exklusiven Deu- ist, die sich aggressiv gegen Flüchtlinge und tungsanspruch der Autochthonen über das, Migranten wendet und mit der radikalen Rhe- was Dresden ist und ausmacht, und wohin es torik die dünnen Grenzen zwischen sprachli- sich entwickeln soll, heraus und begannen nun cher und physischer Enthemmung verschwim- ihrerseits über die Zukunft Dresdens mitzu- men, so muss gleichwohl festgestellt werden, bestimmen. Diese Ost-West-Spannungslage dass die Organisation in Dresden in ihrer blieb immer latent, sie erzeugte in den öffent- Hochphase um die Jahreswende 2014/15 und lichen Diskussionen um Kunst, Kultur, Äs- dann wieder im September und Oktober 2015 thetik und Stadtrekonstruktion ein deutlich keine Bewegung ausschließlich von Rechtsex- vernehmbares Hintergrundrauschen. ❙5 tremisten sowie Islam- und Ausländerfeinden gewesen ist, wie zunächst gemutmaßt wurde. Etwa ein Drittel der Teilnehmer der Kundge- Kollektive Wut und rituelle bungen und „Abendspaziergänge“ ließ diffuse Gemeinschaftsstiftung islamophobe Motive und Einstellungen erken- nen. Die Mehrheit übte fundamentale Kritik Auch bei Pegida spiegeln sich Ost-West-Ver- an Politik, Medien und der konkreten Funkti- werfungen wider, die so bislang kaum sicht- onsweise der praktizierten Demokratie. ❙6 bar geworden sind. Vor allem manifestieren sie sich in einer artikulierten Unzufrieden- Pegida rekrutierte sich anfangs überwie- heit, in Teilen sogar in der Ablehnung der in gend aus der bürgerlichen Mitte Dresdens Deutschland praktizierten Demokratie. Teil- und ihren fragilen Segmenten. Auffallend nehmer von Pegida-Demonstrationen fühlen in der soziodemografischen Zusammenset- sich in der medial vermittelten Diskussions- zung war der vergleichsweise hohe Anteil von Selbstständigen und Angestellten und – ❙5 Etwa in den Diskussionen um die Rekonstruktion des Neumarktes an der Frauenkirche, um den Bau ❙6 Zu allen vorliegenden Befragungen der Teilneh- der „Waldschlösschenbrücke“ und den Entzug des mer und Beobachtungen der Demonstrationen vgl. UNESCO-Welterbetitels oder um den Umgang mit Hans Vorländer/Maik Herold/Steven Schäller, Pegi- dem „13. Februar“, dem Gedenken an die Zerstörung da. Entwicklungen, Zusammensetzung und Deutung Dresdens 1945. Vgl. hierzu jetzt auch mit positiver, den einer Empörungsbewegung, Wiesbaden 2016. Siehe Dresdner Exzeptionalitätsglauben indes fortschrei- auch Lars Geiges/Stine Marg/Franz Walter, Pegida. bender Würdigung: Joachim Fischer, Hat Dresden Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld Antennen?, in: Merkur, 69 (2015) 795, S. 16–28. 2015.

26 APuZ 5–7/2016 bezogen auf die Einkommensstruktur – ein Bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl leicht überdurchschnittlicher Wohlstand. Die im Juni 2015 konnte die Pegida-Kandida- biografischen Hintergründe der mehrheitlich tin Tatjana Festerling im ersten Wahlgang aus dem westlichen Umland Dresdens stam- rund 21 000 Stimmen beziehungsweise einen menden Organisatoren ließen vielfach auf Stimmenanteil von 9,6 Prozent für sich ver- ein wechselhaftes, prekäres Berufsleben als buchen (im zweiten Wahlgang trat sie nicht Kleinunternehmer vor allem im Dienstleis- mehr an). Dabei fiel auf, dass der Zuspruch in tungsgewerbe schließen. Sie waren in Dres- den Stadtteilen am größten war – in einzel- den gut vernetzt: ein Teil der Dresdner Par- nen Wahlbezirken sogar über 20 Prozent –, tyszene beruflich verbunden, ein anderer in denen Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet den Kreisen von Fußball und Eishockey. oder vorgesehen worden waren. Anscheinend Der Sprecher, Lutz Bachmann, hatte sich be- sind hier die – von den Pegida-Rednern und reits anlässlich des Elbehochwassers im Au- -Organisatoren geschürten – Befürchtungen gust 2013 als Organisator eines umfassenden einer „Überfremdung“, auch die Konkur- Fluthilfenetzwerkes im Stadion von Dynamo renzangst auf den Arbeits- und Wohnungs- Dresden hervorgetan. Für sein Engagement märkten beziehungsweise den Sozialsyste- erhielt er den Sächsischen Fluthilfeorden. men, auf Resonanz gestoßen.

Die Frage nach den Gründen für den be- Weil Sachsen, auch im Dresdner Umland, sonderen Erfolg von Pegida in Dresden sind zudem seit vielen Jahren über eine gefestig- immer wieder mit Mutmaßungen über eine te rechtsextreme Szene verfügt und rechtsex- besonders ausgeprägte Fremden- und Islam- treme Parteien wie die NPD immer wieder feindlichkeit beantwortet worden, zumal die Erfolge bei Wahlen erzielen, wäre nach Zu- bei den Kundgebungen gehaltenen Reden sammenhängen zu fragen, die fremdenfeind- keinen Zweifel an der pauschalen Ablehnung liche Einstellungen begünstigen. Insgesamt und Diffamierung des Islam, der Muslime lässt sich für Dresden zwar von einer sozial- und von Flüchtlingen zuließen. Doch unter- räumlichen Fragmentierung sprechen, aber schied sich das bei den Demonstranten festge- noch keineswegs von einer für andere Metro- stellte Ausmaß an Islam- und Fremdenfeind- polen kennzeichnenden Segregation von als lichkeit nicht von der durchschnittlichen, „problematisch“ zu bezeichnenden Stadttei- hohen Verbreitung dieser Einstellungsmus- len mit Gettobildungen, die einen verfestig- ter in der Gesamtbevölkerung – im Osten ten Trend zu autoritärem Wahlverhalten am wie im Westen. ❙7 Empirische Befunde ha- rechten Rand des politischen Spektrums er- ben zudem auch gezeigt, dass die sächsische kennen lassen. Landeshauptstadt keine überdurchschnittli- che Konzentration an ausländerfeindlichen Orientierungen der Bevölkerung aufweist Gesucht: Urbane Konfliktkultur und deshalb auch nicht argumentiert wer- den kann, dass in Dresden generell ein ide- Die „Straße“ ist in Dresden zu einem Raum aler Nährboden für xenophobe oder islamo- kollektiver Empörung und Selbstvergewis- phobe Handlungsmotive vorliegt. ❙8 serung geworden. Für die Pegida-Sympathi- santen besitzen die montäglichen Zusammen- künfte offenbar auch eine kompensatorische, ❙7 Neuere Umfragen zeigen indes, dass die mit der Zu- „therapeutische“ Wirkung auf Verluste, Äng- wanderung von Flüchtlingen verknüpften Befürch- ste und Traumatisierungen, die sich in den tungen in der Bevölkerung Ostdeutschlands größer persönlichen Nah- und sozialen Umwelten sind als in Westdeutschland – und hier noch einmal durch den tief greifenden sozialen, kulturel- besonders in Sachsen. Vgl. Infratest Dimap/MDR, Ländertrend Sachsen, 16. 9. 2015, www.mdr.de/nach- len und demografischen Wandel eingestellt richten/sachsentrend-umfrage-september100_zc-e9a- haben. Offensichtlich substituieren die zum 9d57e_zs-6c4417e7.html (18. 1. 2016); Infratest Dimap/ gemeinschaftsstiftenden Ritual geworde- ARD, Deutschlandtrend, Oktober 2015, www.infra- nen „Abendspaziergänge“ das Gefühl verlo- test-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/- ren gegangener Identität und Tradition. Der deutschlandtrend/​2015/oktober/ (18. 1. 2016). „Stammtisch“ der Straße füllt die Sinnleere in ❙8 Vgl. etwa Karl-Heinz Reuband, Wer demonstriert in Dresden für Pegida?, in: Mitteilungen des Instituts einem Umfeld auseinandergebrochener Ge- für Parteienrecht und Parteienforschung, 21 (2015), wissheiten und enttäuschter Erwartungen und S. 133–143, hier: S. 137. vermittelt das Gefühl, im Kreis von Gleichen

APuZ 5–7/2016 27 mit den diffusen Ängsten und Sorgen „auf- Frank Richter gehoben“ zu sein. Zugleich wird eine schein- bar aus den Fugen geratene Welt mit einfachen Antworten – und seien es Verschwörungs- Stadtgespräche. theorien – wieder begreifbar gemacht. Das Gefühl der Verunsicherung, des Abgehängt- Seins bricht sich in der Konstruktion des Politische Bildung Fremden, Flüchtlings und Asylbewerbers ge- nauso Bahn wie das Gefühl, von den Medien nicht gehört und von der etablierten Politik als Seelsorge? nicht repräsentiert zu werden. Die unverstell- te, enthemmte Rhetorik der Straße spiegelt ie Stadt Dresden hat Erfahrungen mit grundlegende lebensweltliche Entfremdungs- Dschwierigen Diskussionen. Nicht nur erfahrungen wider, vertieft die Spaltung zum infolge der Demonstrationen und Auseinan- etablierten politischen System, schafft aber dersetzungen um die zugleich einen neuen Raum wechselseitiger „Patriotischen Euro- Frank Richter Anteilnahme und Bestärkung. päer gegen die Islami- Geb. 1960; Direktor der sierung des Abend- ­Sächsischen Landeszentrale Durch die Umbrüche der vergangenen Jah- landes“ (Pegida) seit für politische Bildung, Schützen- re, die Erfahrungen des wirtschaftlichen, Herbst 2014 gab und hofstraße 36, 01129 Dresden. sozialen und demografischen Wandels, den gibt es in der Stadt frank.richter@ Austausch der Elitenpositionen in Verwal- intensive Debatten; slpb.smk.sachsen.de tung, Wissenschaft, Politik und Kultur, den auch schon zu frühe- Zuzug Fremder, zuerst aus Westdeutschland, ren Gelegenheiten wurden Foren geschaffen dann aus der ganzen Welt, sind Vorstellun- und erprobt, um in der Stadtgesellschaft mit- gen und „Weltbilder“ brüchig und entwertet einander im Gespräch zu bleiben und vor- geworden, die auf dem geschlossenen, homo- handene Fronten nicht weiter zu verhärten. genen Kosmos imaginierter Vergangenheiten Insbesondere die Auseinandersetzungen um der Stadt oder sozialer Gemeinschaften ba- das öffentliche Gedenken an die Bombenan- sierten. Die Teilnehmer von Pegida reagieren griffe vom 13. Februar 1945 und an deren Op- mit Wut und Empörung auf der Straße, die fer führen immer wieder zu einer starken Poli- Bürger des konservativen Milieus mit Rück- tisierung und Polarisierung der Dresdner Bür- zug in das Private oder unentschiedenem und gerschaft. Auslöser besonders heftiger Kon- unentschlossenem Attentismus. troversen in den vergangenen Jahren waren die sogenannten Trauermärsche rechtsextremisti- Dresdens Traditionalismus hat eine kon- scher Gruppierungen, die Frage nach der an- servative Grundstimmung erzeugt, die sich gemessenen politischen Reaktion darauf sowie in der Bewahrung des Alten und Erreichten die juristische Bewertung der Blockaden die- gefällt, dem Unbekannten und Fremden aber ser angemeldeten öffentlichen Versammlun- mit grundsätzlicher Skepsis begegnet. Vor gen. Im Februar 2011 kam es zu gewalttätigen diesem Hintergrund sind Phänomen und Er- Auseinandersetzungen, die zum Teil den Cha- folg von Pegida in Dresden auch zu deuten. rakter von „regelrechten Straßenschlachten“ Auf der Straße wird der Kulturkampf indes annahmen. ❙1 Die Erschütterung darüber so- nicht zu gewinnen sein, mit moralisierenden wie die Empörung über die Ausspähung von oder pathologisierenden Vorhaltungen eben- 138 000 Handydaten durch die Polizei prägten falls nicht. Dresden wird eine neue Urbanität über viele Wochen die innerstädtische Debatte. als Tugend einer stadtgesellschaftlichen Kon- flikt- und Streitkultur entwickeln müssen, Im Frühjahr 2011 wandte sich der damali- um sich den Herausforderungen einer weltof- ge Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert fenen Metropole stellen zu können, ohne den mit der Bitte an mich, die Arbeitsgemeinschaft Schatz starker geschichtlicher Identität und 13. Februar zu moderieren. Eine neutrale Ge- landschaftlicher Attraktivität aufzugeben. In sprächsführung sollte dazu beitragen, das der Balance liegt die Chance. von Misstrauen, öffentlichen Vorwürfen und Schuldzuweisungen geprägte gesellschaftliche Klima zu verbessern. Gemeinsam mit Sabine Kirst, einer an der Landeszentrale für politi-

28 APuZ 5–7/2016 sche Bildung tätigen Referentin, übernahm digten sich auf einen gemeinsam getragenen ich diese Aufgabe im Juni 2011. Die AG stell- Protest gegen die Rechtsextremisten „in Hör- te ein Konstrukt sui generis dar: Sie war 2009 und Sichtweite“. Dieser Konsens hielt. Er do- durch die Oberbürgermeisterin Helma Orosz kumentierte die entschiedene Ablehnung ins Leben gerufen worden. Mitglieder wa- durch eine denkbar breit aufgestellte Bürger- ren neben zahlreichen zivilgesellschaftlichen schaft. Im Februar 2012 erübrigte sich der Organisationen auch die Vertreter der Stadt- Protest in „Hör- und Sichtweite“, da die an- ratsfraktionen sowie Verantwortungsträger gekündigte rechtsextremistische Demonstra- der Verwaltung. Vorhandene politische Kon- tion vom Veranstalter abgesagt wurde, was als flikte zwischen den Akteuren – insbesondere Zurückweichen vor dem angekündigten Pro- solche, die immer wieder zwischen den in der test der Bürgerschaft gewertet werden konnte. AG vertretenen Stadtratsfraktionen aufbra- Zum anderen lautete ein Punkt des Positions- chen – belasteten die Zusammenkünfte. Nicht papiers: „Es stört uns, wenn in der Öffentlich- vertreten war das Bündnis Dresden Nazifrei. keit der Eindruck entsteht, dass die Art und Eine Aufnahme schien weder möglich noch Weise, wie die anderen mit dem 13. Februar sinnvoll, da sich dessen Vertreter für die Blo- umgehen, moralisch höherwertig ist als die ckade rechtsextremistischer Demonstrationen Art und Weise, wie wir mit dem 13. Februar aussprachen. Diese Position wurde von der umgehen.“ Diese Formulierung wurde von al- Mehrheit der in der AG vertretenen Gruppie- len Mitgliedern der AG mitgetragen. Mit ihr rungen aus grundsätzlichen und rechtsstaatli- war jenseits gedenkpolitischer, juristischer chen Erwägungen abgelehnt. und versammlungsorganisatorischer Unter- schiede, die sich zum Teil als unüberbrückbar darstellten, eine Basis für Gemeinsamkeit be- Gelungener Dialog gründet. Diese lag im moralischen Respekt vor der Position der anderen. Ein Hauch des briti- Die Moderation, die bis März 2012 andauer- schen agree to not agree lag über der Versamm- te, führte schließlich zum gewünschten Er- lung. Ja, es gibt sie tatsächlich: die Wertschät- gebnis: Dresden erlebte 2012 einen Februar zung des politischen Gegners. Demokraten ohne gewalttätige Auseinandersetzungen. Es müssen und können sich nicht nur gegenei- war gelungen, die Stimmung in der Stadt ins nander profilieren. Sie können sich miteinan- Positive zu wenden. Zu diesem Erfolg hat- der profilieren, wenn es um die Zurückwei- ten die folgenden Erkenntnisse und Entschei- sung der Feinde der Demokratie geht. dungen maßgeblich beigetragen: Drittens: Auch ein Brückenschlag zwischen Erstens: Nach dem ersten Round-Table-Ge- der AG und dem Bündnis Dresden Nazifrei spräch in der AG waren sich meine Kollegin und gelang. Im Gespräch mit dem Bündnis entwi- ich einig, wenig von den realen Positionen der ckelten die Moderatoren gemeinsam definier- einzelnen Vertreter erfahren zu haben. Die poli- te Positionen, unter anderem: AG und Bündnis tische Korrektheit ihrer Äußerungen schien uns haben unterschiedliche Ziele: Das Bündnis will diese Positionen zu verbergen. Wir entschieden rechtsextremistische Demonstrationen verhin- uns für Gespräche, an denen maximal vier oder dern, die AG will gegen diese protestieren; sie fünf Personen teilnahmen. Auf der Grundlage sind keine politischen Gegner, sondern sie ha- dieses Vorgehens gewannen wir Erkenntnis- ben beide denselben politischen Gegner und se über die tatsächlichen gedenk- und erinne- respektieren die Auseinandersetzungsform des rungspolitischen Positionen der Akteure. jeweils anderen; AG und Bündnis lehnen Ge- walt als Mittel der politischen Auseinanderset- Zweitens: Im November 2011 entstand ein zung ab; sie enthalten sich einer juristischen Positionspapier, das von der AG einmütig be- Bewertung der politischen Aktionen des je- schlossen wurde. Zwei Punkte verursachten weils anderen. den entscheidenden Impuls: Zum einen hielten die Mitglieder der AG am Symbol der Men- Die Erkenntnis, dass politische Meinungs- schenkette um die Altstadt fest und verstän- und Willensbildungsprozesse so schwer be- lastet und blockiert sein können, dass sie ei- ❙1 Ausschreitungen am 19. Februar 2011 in Dresden – ner über- oder allparteilichen Moderation Bewährungsstrafe für Steinewerfer, in: Leipziger bedürfen, hatte sich durch die Arbeit in der Volkszeitung vom 2. 12. 2015. AG bestätigt.

APuZ 5–7/2016 29 „Kommune im Dialog“ (K!D) Dresdner Demonstrationsgeschehens im Jahr 2015 sowie zahlreicher Korrespondenz mit meh- Infolge der Erfahrungen mit der AG 13. Februar reren Hundert Personen, die zum Teil ihre Sym- entstand die Idee, das Projekt „Kommune im pathie für Pegida zum Ausdruck brachten, kom- Dialog“ (K!D) ❙2 zu entwickeln. Die Konzeption me ich zu folgender Feststellung: Für einen Teil zur Unterstützung politischer Meinungs- und der sächsischen Bevölkerung lässt sich eine star- Willensbildungsprozesse wurde vom Landtag ke Ablehnung der gesellschaftlichen und politi- akzeptiert, und die Landeszentrale erhielt in den schen Ordnung konstatieren. Diese Ablehnung Jahren der Doppelhaushalte 2013/14 und 2015/16 geht einher mit einem tief sitzenden Misstrauen zusätzliche Mittel. Ein Projektteam wurde auf- gegenüber Funktionsträgern beziehungsweise gebaut, dessen Arbeit das sonstige Bildungspro- Funktionseliten, insbesondere werden genannt: gramm der Landeszentrale sinnvoll ergänzte „die Politiker“ und „die Medien“; mit einem und bemerkenswerte Synergien erzeugte. mangelhaften Verständnis der Funktionsweise unserer gesellschaftlichen und politischen Ord- Die K!D-Veranstaltungen wurden aus- nung; mit dem Gefühl der Überfremdung durch schließlich auf Nachfrage realisiert; Bürger- die zum großen Teil aus Westdeutschland stam- meister, Landräte, Vereine und andere mehr menden Funktionseliten in Politik, Verwaltung, wandten sich mit entsprechenden Anliegen an Wirtschaft, Medien und Kultur sowie mit der die Landeszentrale. In den meisten Fällen ging Bereitschaft, die Ablehnung, das Misstrauen es um Proteste der Bürgerschaft im Zusam- und den Unmut in stark emotionalisierter Art menhang mit der Einrichtung und Betreibung auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken von Unterkünften für Asylbewerber. Die Mit- zum Ausdruck zu bringen: „Wir müssen es de- arbeiterinnen und Mitarbeiter im Team ver- nen da oben mal zeigen“, „Wir müssen ein Zei- abredeten mit den lokalen Verantwortlichen chen setzen.“ Darauf aufbauend lassen sich fol- die Organisation von Bürgerversammlungen, gende Thesen formulieren: Gremiensitzungen, Vortragsabenden und ähn- lichen Veranstaltungen. Allein im Jahr 2015 These 1: Das Verständnis und die Akzeptanz der wurden die Kollegen in etwa 50 sächsische freiheitlich-demokratischen Grundordnung, Kommunen eingeladen, um Versammlungen des Grundgesetzes, des Staatsaufbaus, der re- zu moderieren. An diesen nahmen insgesamt präsentativen Demokratie und der Funktions- rund 9000 Personen teil, und nahezu überall weise der Institutionen sind bei Teilen der säch- konnte eine konstruktive Gesprächssituation sischen Bevölkerung nur schwach ausgeprägt. erzeugt werden. Die Tätigkeit des Teams be- schränkte sich dabei nicht auf bloße Modera- Die Ordnung wird von einem Teil der Bevöl- tion. Es liegt in der Natur der Sache, dass Mo- kerung nicht als die eigene erkannt und akzep- deratoren en passant wichtige Informationen, tiert. Dieser Teil stellt eine Minderheit dar, die eine gute Debattenkultur und Inhalte der poli- sich deutlich und öffentlich artikuliert. Vie- tischen Bildung zu vermitteln vermögen. le Beiträge bei Demonstrationen, in Korres- pondenzen und Diskussionsveranstaltungen K!D ist somit politisches Learning by Do- zeugen von einem technischen und zum Teil ing. Die Arbeit in Dresden bleibt indes schwie- technokratischen Politikverständnis. Oft wird rig. Hier dominiert die Neigung, Sachfragen nicht realisiert und nicht akzeptiert, dass poli- zu ideologisieren und machtpolitisch aufzu- tische Meinungs- und Willensbildungsprozes- laden. Die barock geprägte Landeshauptstadt se in der Demokratie viel Zeit beanspruchen, ist für viele ein symbolischer Schauplatz und Kompromisscharakter tragen, dem Mehrheits- bietet Demonstrantinnen und Demonstran- prinzip unterworfen sind und von sachfrem- ten jeglicher Couleur eine große Bühne vor den Faktoren beeinflusst werden. In vielen ausgeleuchteter Kulisse. Beiträgen spiegelt sich ein autoritäres Politik- verständnis wider. Der Demokratie wird nicht zugetraut, die anstehenden Probleme mit den Beobachtungen und fünf Thesen ihr eigenen Verfahren zu lösen.

Ausgehend von den im K!D-Projekt gesam- These 2: Die beobachteten Phänomene sind melten Erfahrungen, den Beobachtungen des auch Ausdruck und Folge großer Unterschiede in der Gesellschaft und einer fortschreitenden ❙2 Für Details zu K!D siehe www.slpb.de (14. 1. 2016). Auseinanderentwicklung sozialer Milieus.

30 APuZ 5–7/2016 Die Unterschiede sind deutlich erkennbar Ursachen für Pegida in den Trümmern des zwischen der ökonomischen, sozialen und einst roten Sachsen. ❙3 demografischen Entwicklung der urbanen Zentren einerseits und der Entwicklung des These 3: Die von offener, öffentlicher und fai- ländlichen Raums andererseits; zwischen rer Auseinandersetzung sowie von der Su- den einkommensstarken und einkommens- che nach gegenseitigem Verständnis geprägte schwachen Bevölkerungsteilen (prekäre Ar- und den Kompromiss anstrebende politische beitsverhältnisse, dritter Arbeitsmarkt, „Ge- Streitkultur ist schwach ausgeprägt. Oppositi- neration Praktikum“, anwachsende und vor on wird oft ausschließlich als Angriff wahrge- allem prognostizierte Altersarmut) sowie nommen und betrieben. zwischen alten und jungen Menschen. Ers- tere fühlen sich vielfach überfordert. Letzte- Von vielen wird daher auch die konstruktive re können als Gewinner der Transformation Funktion von Opposition nicht verstanden und Globalisierung gelten und sich leichter oder übersehen, nicht ausgehalten, nicht ge- mit neuen Entwicklungen (etwa in den In- wollt und nicht angenommen. In zahlreichen formations- und Kommunikationstechnolo- Wortmeldungen wird beklagt, dass sich Ver- gien) arrangieren. antwortungsträger in Politik und Verwaltung der öffentlichen Auseinandersetzung entzie- In Teilen der Bevölkerung, die sich ge- hen. In Veranstaltungen zeigt sich ein großes genüber den aus Westdeutschland Zugezo- Rede- und Mitteilungsbedürfnis. Nur selten genen als „einheimischer“ empfindet, gibt konnte eine ausgeprägte Bereitschaft zum Zu- es nach wie vor erhebliche Ressentiments. hören, Argumentieren, zum nachdenklichen Dies gilt wohl auch umgekehrt. In der be- Abwägen, zum kompromiss- und konsens- obachteten Gruppe (Pegida-Demonstran- orientierten Diskutieren festgestellt werden. ten, Teilnehmer von Dialogforen, Absender Das Schema „Links gegen Rechts, Rechts ge- von Korrespondenz) versammeln sich ten- gen Links“ ist ausgeprägt. Die Empörung der denziell mehr Menschen mit Hauptwohn- Pegida-Gegner über die im öffentlichen Raum sitz im ländlichen Raum als Menschen aus vorgetragenen rechtsextremistischen und den urbanen Zentren; mehr Menschen mit rechtspopulistischen Positionen ist glaubwür- eher geringem oder mittlerem Einkommen dig und gut organisiert. Versuche, mit Pegida- als Menschen mit höherem Einkommen; Anhängern ins Gespräch zu kommen, werden mehr Menschen mit (einseitig) ausgepräg- diskreditiert und angefeindet. ter technischer, ökonomischer und prakti- scher Kompetenz als Menschen mit (einsei- These 4: In Teilen der Bevölkerung gibt es tig) ausgeprägter theoretischer, politischer, eine ausgeprägte Islam- und Fremdenfeind- sozialer und kultureller Kompetenz; mehr lichkeit, zumindest erhebliche Ressentiments. Männer als Frauen; mehr ältere als jüngere Diese äußern sich zunehmend offen, pauschal Menschen sowie mehr Menschen, die in der und radikal. DDR sozialisiert wurden (beziehungsweise deren Kinder), als Menschen, die aus West- Dass sich dies in Sachsen zeigt, wo der Auslän- deutschland stammen (beziehungsweise de- deranteil bisher gering ist, wo es wenige Erfah- ren Kinder). rungen mit anderen Kulturen gibt und wo nur wenige Muslime leben, muss nicht verwundern. Mit der DDR ist nahezu geräuschlos und Folgende Gründe können angeführt werden: in kürzester Zeit der Marxismus-Leninismus „Der Islam“ und „fremde Kulturen“ eignen als Weltanschauung untergegangen. Obwohl sich als Projektionsflächen eines allgemeinen er von den meisten Menschen in der DDR Unmuts und politischer Verunsicherung, ge- als funktionsuntüchtig erlebt und kritisiert rade dort, wo man sie kaum kennt. Verhältnis- wurde, gab er eine gewisse Orientierung. Er se wie etwa in den sozialen Brennpunkten von begründete eine bestimmte Weltsicht und Neukölln und anderer (westdeutscher) Stadttei- Gesellschaftsordnung. Er formulierte nach- le werden antizipiert und als bedrohlich emp- vollziehbare Ideale und verhieß Schutz vor funden. Ängste entstehen insbesondere dann, globalen Bedrohungen. Sozialwissenschaft- ler vom Göttinger Institut für Demokratie- ❙3 Vgl. Franz Walter, Die Tragödie von Freital, 27. 6. ​ forschung diagnostizieren politische Hei- 2015, www.spiegel.de/politik/deutschland/-a-1040​775.​ matlosigkeit und weltanschauliche Leere als html (14. 1. 2016).

APuZ 5–7/2016 31 wenn alltägliche Erfahrungen mit Ausländern gisch aufgeladener, sich wechselseitig unlau- fehlen. Zudem sind die politische Situation in tere Motive unterstellenden Auseinanderset- Syrien, in Libyen, im Irak sowie die Berichter- zungen zu erfüllen. Die Migration und die stattung über die vom sogenannten Islamischen Gewährung von Asyl bedürfen einer kla- Staat ausgehende Gewalt angetan, schlimmste ren politischen Ordnung. Die Frage nach den Befürchtungen auszulösen. Schließlich treffen Grenzen der Aufnahmefähigkeit darf nicht Muslime, die nach Sachsen kommen, auf eine tabuisiert werden. Die europäische, nationale, zu rund 80 Prozent areligiöse Bevölkerung. sächsische und die kommunale Ebene stehen Viele Menschen im Osten haben vergessen, dass dabei vor unterschiedlichen Herausforderun- sie Gott vergessen haben. Die Wiederkehr des gen. Diese wie im „Schwarzer-Peter-Spiel“ Religiösen, das sie für überwunden glaubten, anzugehen, indem man auftretende Schwie- ­verunsichert. rigkeiten dem Versagen der jeweils anderen Ebene zuschiebt, fördert eine allgemeine Po- These 5: Zum offenen politischen Dialog über litikverdrossenheit. Die Verantwortlichen auf den ausgebrochenen Problem- und Gefühls- den verschiedenen Ebenen sollten zeigen, dass stau gibt es keine vernünftige Alternative. Er sie die Aufgabe als gesamtstaatliche verstehen ist auf möglichst vielen Ebenen zu führen. und ihr entsprechend begegnen.

Nach wie vor gibt es viele ernst zu nehmen- Drittens: Die Debatte über das, was im Zu- de Problemanzeigen von Bürgerinnen und sammenhang der Pegida-Demonstrationen Bürgern, die bisher keine andere politische zutage getreten ist, gehört in den öffentlichen Adresse als Pegida gefunden haben. Es ist Diskurs. Menschen, die vom Grundrecht auf nicht sicher, ob durch Dialogangebote eine freie Meinungsäußerung und ihrer Versamm- weitere Radikalisierung im Protest- und De- lungsfreiheit Gebrauch machen, dürfen nicht monstrationsgeschehen verhindert werden pauschal ausgegrenzt werden. Die der De- kann. Ich bin überzeugt, dass die Stärke des mokratie, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratisch verfassten Gemeinwesens in Menschenrechten verpflichteten Politikerin- Konfliktfällen besonders deutlich hervortritt. nen und Politiker dürfen sich die Meinungs- Diese Fälle müssen erkannt, akzeptiert und in führerschaft nicht von Menschen nehmen vernünftig ausgetragenem Streit angegangen lassen, die sich undemokratisch äußern und werden. Auf der Grundlage wechselseitigen verhalten. Rassistische, menschenverachten- Respekts können Menschen im Gespräch blei- de, antisemitische, volksverhetzende und zur ben. Gleichwohl ist deutlich geworden, dass es Gewalt aufrufende Äußerungen müssen ein- politische Akteure gibt, die die vorhandenen deutig als solche benannt, zurückgewiesen, Konflikte zu eskalieren suchen. moralisch geächtet und politisch sowie juris- tisch bekämpft werden.

Konsequenzen Dass es nicht leicht ist, die genannten Un- terscheidungen in jedem Einzelfall präzise Die demokratisch denkenden und den im vorzunehmen, liegt auf der Hand. Wenn wir Grundgesetz verankerten Wertvorstellungen uns aber vor Augen halten, dass Kommuni- verpflichteten Bürgerinnen und Bürger soll- kation schiefgehen kann, Nicht-Kommu- ten meines Erachtens folgende drei Positio- nikation jedoch mit Sicherheit schiefgehen nen vertreten und verteidigen: wird, gewinnen wir Gelassenheit und gegen- seitige Nachsicht. Der Konflikt ist der Nor- Erstens: Wir stehen zum Selbstverständnis malfall der Demokratie. Wenn wir ihn be- der Bundesrepublik als humanitärer Staat. Das stehen und seine konstruktive Kraft nutzen, Asylrecht ist ein Grundrecht. Die Menschen wird die Gesellschaft davon profitieren. im Westen und im Osten der Republik können 25 Jahre nach der Wiedervereinigung unter Beweis stellen, dass sie die globale Verantwor- Seelsorge? tung ihres Staates erkennen und mittragen. Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz Zweitens: Die politische Gestaltungsaufga- wies im Februar 2015 in einem Vortrag bei der be von Migration, Flucht und Asyl ist groß. Sächsischen Landeszentrale darauf hin, dass Es wird nicht gelingen, sie in Form ideolo- die politische Auseinandersetzung einer sozi-

32 APuZ 5–7/2016 alpsychologischen Betrachtung bedarf. ❙4 So- Frank Willmann lange die Beziehungsebene nicht halbwegs sa- niert ist, kommt man auf der Sach­ebene nicht voran. Im Dezember 2014 zogen erstmals über Einblicke 10 000 Menschen schweigend durch Dresden. Sie lehnten das Gespräch mit Vertretern der Medien und der Politik rigoros ab. Sie signa- in die Dresdner lisierten, das Vertrauen ins „System“ verloren zu haben. Damals befürchteten viele Verant- wortliche in der Politik, Gesellschaft und Kul- Fußballseele tur Dresdens eine zunehmende Radikalisie- rung und Gewaltbereitschaft. Sie waren sich „Hell wie das Licht, schwarz wie die Nacht, einig, alles Mögliche versuchen zu müssen, wir haben alles schon mitgemacht …“ die trotzig Demonstrierenden zum Gespräch Fangesang „Wir sind Dynamo“ zu bewegen. Die pauschalen Beschimpfungen – „Neonazis im Nadelstreifen“ (Ralf Jäger, s ist der 31. Oktober 2015: Der 1. FC Mag- 11. Dezember 2014), „Komische Mischpoke“ Edeburg spielt bei Dynamo Dresden – ein (Cem Özdemir, 14. Dezember 2014), „Schande für Fans wie Sicherheitskräfte hoch brisantes für Deutschland“ (Heiko Maas, 15. Dezem- Spiel. ­Sympathisanten ber 2014) und „Hass in deren Herzen“ (Angela und Funktionäre bei- Frank Willmann Merkel, 1. Januar 2015) – konterkarierten diese der Vereine freuen sich Geb. 1963; Journalist und Ko- Versuche. Sie wurden von den Pegida-Organi- über das fußballeri- lumnist; Autor mehrerer Bücher satoren dankbar entgegengenommen. sche Wiedersehen der zur ostdeutschen Fußballkultur; alten Rivalen nach fast lebt in Berlin. In zahlreichen Dialogforen entlud sich ein zehn Jahren, inzwi- [email protected] subkutan angewachsener Problem- und Ge- schen in der 3. Bundes- fühlsstau. Mich hat erschüttert, wie viele Men- liga. „Wenn ich jetzt die beiden Logos wieder schen öffentlich davon sprachen, dass Politiker nebeneinander sehe, da geht mir das Herz auf“, ihnen ja sowieso nicht zuhören und sie in Äm- sagt Mario Kallnik, Sportchef vom 1. FC Mag- tern und Behörden von oben herab behandelt deburg. Sein Dresdner Kollege Ralf Minge würden. Warum wurden diese Foren, zu denen empfindet das ähnlich freundschaftlich, wäh- Tausende Menschen kamen und in denen sie mit rend sich die Fans beider Mannschaften bereits kontroversen Positionen konfrontiert wurden, im Vorfeld im Internet mit der üblichen Häme allgemein kritischer bewertet als Vorlesungen, übergossen haben. „Manchmal hasst man Theatervorstellungen und Vortragsabende? Bei das, was man doch liebt“, sang schon 1978 die Letzteren wird selbstverständlich davon ausge- DDR-Kuschelrockgruppe Karat beim Schla- gangen, dass sie die Nachdenklichkeit und den gerfestival in Dresden. inneren Dialog der Teilnehmer auslösen. Der Anpfiff zum Ostklassiker soll um Ich sehe in der Geringschätzung nieder- 14 Uhr sein. Bereits seit 10.45 Uhr stehen Was- schwelliger Dialogangebote viel intellektu- serwerfer vor dem Stadion. Herbstzeitlose im elle Arroganz. Kein Mensch kann sagen, wie Großen Garten, die Sonne wirft mildes Licht sich die politische Situation weiterentwickelt auf Dresden. Die Dynamo-Seele frohlockt, hätte, wenn es diese Foren nicht gegeben hät- denn Dresden grüßt souverän vom ersten Ta- te. Das zutage getretene Mitteilungsbedürf- bellenplatz. Die Dresdner Fans haben eine nis zu übergehen, war nicht möglich. Dass Riesenchoreografie angekündigt: Projekt X, ihm Raum gegeben wurde, mag man Seelsor- streng geheim, 20 000 Euro Kosten. Zwei Jahre ge nennen. Sie fand öffentlich statt und war lang wurde Geld gesammelt. Die Idee entstand sozialpsychologisch unumgänglich. im K-Block, der Stehplatztribüne und Heimat der „echten Fans“. Dort stehen auch Hunderte von Jungs mit schnittigen Frisuren: rechtsex- treme Kameraden. Politik soll nicht ins Stadi- ❙4 Vgl. Hans-Joachim Maaz, Zur Psychodynamik on getragen werden, sagen sowohl die soge- von Protest und Gegenprotest, Vortrag, 5. 2. 2015, www.slpb.de (14. 1. 2016). nannten Kutten als auch die Ultras als auch die Hooligans. Trotzdem steht auf den Eintritts- karten und an der Anzeigetafel „Rassis­mus ist

APuZ 5–7/2016 33 kein Fangesang“. Ist das keine Politik?, frage schauer ist er kaum zu halten: aufstehen, hin- ich ein paar weibliche Fans, die mit Bier in der setzen, aufstehen. Er rüttelt an der Lehne mei- Hand auf den Anpfiff warten. „Na ja, also, ir- nes Stuhls, außer sich vor Leidenschaft. gendwie schon. Aber wir wollen in keine Ecke gestellt werden. Weder rechts noch links, wir Der Dresdner K-Block schunkelt, jauchzt sind keine Radikalen.“ und zeigt eine feine Laubsägearbeit begabter Volkskünstler: das Profil eines Schweins in den Bei Pegida, so bestätigte im Oktober 2015 Farben Magdeburgs. Doch nicht jede martiali- Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling vor der sche Fußballprovokation sollte man mit tödli- Burschenschaft Halle zu Mainz, seien von chem Ernst betrachten. Fußball ist auch hand- Anbeginn Hooligans von Dynamo Dresden festes Volksvergnügen, grobe Scherze gehören unter den Ordnern gewesen. Festerling mein- zum Spektakel. Nach dem Spiel, das Dresden te, es gebe in Dresden „weniger Berührungs- 3:2 für sich entscheidet, werden zwei erbeutete ängste zu den bösen Hooligans“ als im Wes- FCM-Fahnen und ein paar Schals von Dresd- ten. Dem sächsischen Innenministerium war nern abgebrannt. Jeder Fußballfan hält seinen von der Rolle der Hooligans bei Pegida lan- Fußballverein für den einzig wahren, samt he- ge nichts bekannt. Das berichtet die „Bild“- roischer Tradition und natürlich einmaligen Zeitung am 16. November 2015. In dem Be- Anhängern. Alle Fans gehören zusammen „wie richt heißt es, Innenminister Markus Ulbig der Wind und das Meer“, alle sind „eine Fami- sei entsetzt. Ein Ultra dazu: „Natürlich kann lie“. Wenn auch eine sehr heterogene. ein Fußballverein die Probleme einer Region, einer Stadt nicht lösen. Leute, die zu Protes- ten gegen Pegida gehen, kriegen Fragen ge- Gewalt bei Dynamo: stellt. Besonders von der Hooliganfraktion Eine populäre Wahrnehmung wird ganz genau beobachtet, wer was macht. Beängstigend.“ Ende 2015 ist Dynamo so gut aufgestellt wie lange nicht. Sportdirektor Minge und Ge- Der Hauptbahnhof ist am 31. Oktober ein schäftsführer Robert Schäfer sind die Väter des besonderer Brennpunkt für die Dresdner Poli- Erfolgs. Der eine entschuldete den Klub, der zei. Alle Eingänge sind weiträumig abgesperrt, andere machte den Sport wieder groß. Das sah unten warteten Shuttle-Busse, um die Magde- in den Spielzeiten zuvor nicht ganz so gut aus. burger Fans sicher zum Stadion zu bringen. Zum fußballerischen Tief kam die in Teilen Dieses Mal verläuft alles friedlich. Nur als die problematische Fanszene: ob 2011 im Pokal in Magdeburger ihre Materialien für eine sponta- Dortmund, 2013 beim Auswärtsspiel in Biele- ne Choreografie nicht mit ins Stadion nehmen feld oder im Dezember 2014 in , als das dürfen, wird es kurz unruhig. Fanprojektmit- Spiel gegen Hansa für eine knappe Viertelstun- arbeitern gelingt es, die Gemüter abzukühlen. de unterbrochen werden musste, weil aus dem Das Stadion ist ausverkauft, die Stimmung ist Dresdner Block Raketen in die gegnerischen grandios. 30 000 Zuschauer in der 3. Liga sind Zuschauerränge geschossen worden waren. eine Hausnummer. Solche Fanmassen mobi- „Fakt ist eins, wir haben den schlechten Ruf lisiert im Osten nur Dynamo. Vor dem Spiel nicht zu Unrecht. Er hat sich über Jahre hin- zeigen die Dresdner ihre Choreografie, bis weg in den Köpfen der Menschen über Dresden auf den Gästeblock ist das Stadion mit gelb- hinaus manifestiert“, bekennt auch Sportdirek- schwarzem Stoff verhüllt. Darauf das Vereins- tor Minge, betont aber zugleich: „Ich behaup- logo und Sprüche wie: „Die besten Fans“, „Die te mal, die Anzahl der beteiligten Fans an Ver- Legende aus Elbflorenz“ und so weiter. fehlungen und die Zahl dieser Verfehlungen hat sich zuletzt deutlich verringert. Mindes- Es folgen 90 Minuten Dauergesang beider tens 95 Prozent unserer Fans sind friedlich.“ Fangruppen bei ansprechendem Fußball. Hin- Der Verein führe einen offenen und kritischen ter mir sitzt Dresdens Sportdirektor Minge, Dialog mit den Fans und betreibe dafür einen der früher ein genialer Stürmer war – einer von enormen Aufwand, trotzdem müsse man fest- denen, die in den 1980er und frühen 1990er stellen, dass man einige eben nicht erreiche. Jahren für Dynamos schönen Fußball zustän- dig waren. Das ist lange her, verdammt lange. Die Problematik tritt vor allem bei Aus- Er spielte 222 Mal für Dynamo und schoss fast wärtsspielen zutage. Thomas Geithner, Presse- in jedem zweiten Spiel ein Tor. Auch als Zu- sprecher der Polizeidirektion Dresden, erzählt:

34 APuZ 5–7/2016 „Dynamo Dresden bei Heimspielen bezie- mo. Das Stadion skandierte „Ultras raus! Ultras hungsweise bei Auswärtsspielen zu erleben, raus!“ Und im letzten Moment hielt der positi- sind zwei völlig verschiedene Geschichten. Die ve Wille der großen Mehrheit die gewalttätige Heimspiele laufen in der Regel komplett fried- Minderheit in Schach. lich ab. Das hängt einerseits vom Sicherheits- standard des neuen Stadions ab, zum anderen Die Dresdner Fankultur gibt also ein sehr stehen wir alle Tage der gleichen Klientel ge- widersprüchliches Bild ab. Zu ihr gehört die genüber. Wir kennen die, sie kennen uns. Die stimmgewaltige Anfeuerung im prallgefüll- Chance, nach einer Straftat in Dresden als Tä- ten K-Block, zu ihr gehören progressive Grup- ter ermittelt zu werden, ist weitaus höher als in pen wie „1953international“, die sich etwa ge- der Fremde, wo man nur einmal im Jahr un- gen Rassismus im Stadion engagieren, zu ihr terwegs ist.“ Dass Dynamo bereits ein schlech- gehören aber auch die Muskelprotze mit Dy- ter Ruf vorauseilt, trage dabei zur gespannten namo-Mütze bei den Pegidademos der rechten Situation bei: „Bei vielen anderen Dienststel- Wutbürger und sexistische Plakate von beein- len in der Republik ist das Spiel gegen Dynamo druckender Widerwärtigkeit. Auch ein Banner unter Sicher­heitsaspekten das Spiel des Jahres.“ mit der Aufschrift „Lügenpresse“ tauchte 2015 im Dresdner Stadion auf, bis es vom Verein ent- Das sieht auch der Dynamo-Fan Eric Spand- fernt wurde. Dresdner Fankultur, das bedeutet aus so: „Auf alle Fälle habe ich das Gefühl, schiere Masse, aber eben auch unzählige Einzel- dass bei Ausschreitungen, egal welcher Art, personen mit ganz unterschiedlichen Fanbio- immer wieder geschaut wird, wie man da Dy- grafien. Manche sahen noch Fußballheroen wie namo mit hineinbekommt. Jede Knallcharge, Dixi Dörner und Matthias Sammer spielen, an- die auf einer Auswärtsfahrt jemandem einen dere jubelten nur noch limitierten Talenten zu. Sitzplatz wegnimmt, ist eine Nachricht wert. Hinzu kommt sicherlich das permanente spe- ziell Dresdner Gefühl, benachteiligt zu wer- Von ganz oben nach ganz unten den. Mit Argusaugen wird in der Fanszene überprüft, wie andere Mannschaften für Ver- Dynamo Dresdens Leib ist von Narben über- fehlungen bestraft werden, um dann in den sät: Der glorreichen Zeit mit acht DDR-Meis- immer wieder gleichen Kanon einzustimmen, terschaften folgte der jähe Absturz Mitte der dass einzig an Dynamo ein Exempel statuiert 1990er Jahre. Wenn Dynamo Dresden in den wird. Dementsprechend findet leider nur un- 1970er und 1980er Jahren im Rudolf-Harbig- zureichend eine Selbstreinigung in der Fan- Stadion zauberte, tanzte die ganz Stadt. Wenn szene statt. Der Verein hat es dabei nicht ein- die Mannschaft zu DDR-Zeiten im Europapo- fach. Fährt er eine härtere Linie, lehnt er Teile kal versagte, geriet am nächsten Tag die Stadt des eigenen Anhangs gegen sich auf, dabei sind in einen Schockzustand. Bleischwere Stille auf bisher nie viel mehr als Drohungen ausgespro- den Straßen, Schulhöfen, in den Universitäten, chen worden.“ In Dresden selbst geht man der- Bussen und Straßenbahnen. In den Fabriken, zeit von 500 gewaltbereiten und 135 gewaltsu- den Verwaltungen, überall herrschte Trauer. chenden „Fans“ aus. Dresden war Fußball, Dresden liebte Dynamo, obwohl der Schutzpatron und Geldgeber das Am letzten Spieltag in der Saison 2013/14 trat Ministerium des Innern war. Es war egal, dass Dynamo in der 2. Bundesliga daheim gegen Ar- Dresden ein „Bullenverein“ war – der Fußball minia Bielefeld an. Es ging mal wieder um al- war einfach zu göttlich. Die genialen Spiel- les. Dynamo versagte und verlor das Spiel. Als züge von Kreische, Häfner, Dörner, Minge, Mitte der zweiten Halbzeit Bielefeld mit zwei Kotte, Lippmann brachten das Herz der Stadt Toren in Front lag, liefen einige Jungs im Fan- zum Leuchten. Die Fans waren eine große, lie- Block heiß. Der klassische Reflex: Liegt Dyna- be Masse. Gewalt spielte eine untergeordnete mo hinten, bleibt nur Gewalt und das Berau- Rolle. Dynamo war in Dresden so wichtig wie schen an der vermeintlichen Stigmatisierung als die Semperoper. Dauerkarten wurden vererbt, „böser Ossi“. Böller flogen, die ersten begannen Eurocup war Standard. sich zu vermummen. Entsetzte Eltern stürmten mit weinenden Kindern aus dem Stadion. Der Dynamo glänzte bis 1990 mit großem Fuß- Schiedsrichter schickte die Mannschaften in die ball. Die Fans waren laut, aber friedlich. Kabinen, um sie vor einem Platzsturm zu schüt- Seither steht Dynamo für Überleben durch zen. Doch was nun passierte, war auch Dyna- Kampf. Bis 1995 hielt sich Dresden in der

APuZ 5–7/2016 35 Bundesliga, dann verweigerte der DFB auf- angesichts der verheerenden Ausschreitungen grund von zehn Millionen Mark Schulden die einer aus dem ganzen Bundesgebiet angereis- Lizenz. Dynamo wurde in die drittklassige ten Hooligan-Gesellschaft um Worte ringt. Regionalliga verbannt und landete schließ- In der ARD moderierte Heribert Faßbender lich sogar in der Oberliga Nordost. sichtlich angewidert den Beitrag an. Für die Dynamo-Fans hingegen barg der gewalttätige Wer den Dresdner Sonderweg verstehen Abend eine überraschende Erkenntnis in Sa- will, muss in die wilden Wendejahre zurück- chen Aufmerksamkeitsökonomie: Mochte die blicken, als ruhmreiche Klubs der DDR- ruhmreiche SG Dynamo sportlich auch lang- Oberliga plötzlich und unvermittelt den Pro- sam in die Bedeutungslosigkeit abrutschen, fifußball lernen mussten. Minge: „Wir hatten mit Spielabbrüchen und Massenprügeleien lie- 1991 die beste Ausgangsposition aller ostdeut- ßen sich dennoch verlässlich Schlagzeilen pro- schen Klubs. Resultierend aus den erhebli- duzieren. Die Dresdner Szene lernte schnell chen Transfererlösen.“ Doch das viele Geld er- und war hinsichtlich ihrer Gewaltbereitschaft setzte nicht die in den Westen abgewanderten rasch im Westen angekommen. Stars, es sorgte nicht für sportliche Blüte, son- dern zog nur westdeutsche Glücksritter und Hasardeure an. Der bekannteste Totengräber Leid und Stolz des Dresdner Fußballs war Rolf-Jürgen Otto: vor der Wende unter anderem Kneipier und Zu der einfachen Erkenntnis, dass auch Boxveranstalter, danach Goldgräber im Os- schlechte Nachrichten immerhin noch Nach- ten – und seit 1993 Dynamo-Präsident. Seine richten sind, gesellte sich eine andere Dresdner Dresdner Zeit endete mit der Pleite des Vereins Spezialität, die inzwischen bereits vielfach lite- und einer Gefängnisstrafe wegen Veruntreu- rarisch und gesellschaftlich seziert worden ist. ung von drei Millionen Mark. Das kontinuier- Den Bürgern der Stadt wird eine Neigung zur lichste in Dresden ist seither die Angst. Angst, Innerlichkeit, eine leicht weltfremde Flucht aus dem deutschen Fußball zu verschwinden. in ethische Prinzipien und Werte nachgesagt. Angst vorm bösen Westen, der vielen noch Man muss nun keine alles überformende Stadt- immer fremd ist. Der überzeugte Dresdner psychologie entwerfen, kann aber feststellen, macht am liebsten in Dresden Urlaub. dass das Dresdner Publikum seine Beziehung zum Lieblingsverein zwangsidealisiert hat. Auf den Rängen machte Dynamo in den Wendezeiten ebenfalls eine merkwürdige Anderswo gehen viele Menschen auch gerne Wandlung durch. Im DDR-Fußball war Dy- ins Stadion, um schönen Fußball zu sehen oder namo der weltläufigste Klub des Ostens gewe- Geschäftspartner zu treffen. Das jedoch ist eine sen. Die Mannschaft spielte gepflegten, tech- Spezies, die in Dresden nur selten anzutreffen nisch starken Fußball und ließ begnadeten ist. Der idealtypische Dynamo-Fan identifi- Individualisten den nötigen Raum. Stellvertre- ziert sich vielmehr weit übers Normalmaß hi- tend für alle Fans aus dem „Tal der Ahnungs- naus mit dem Klub. Er hat Insolvenzen überlebt losen“, in das sich kein westliches TV-Signal und unvergessene Dramen. Er hat mehrfach verirrte, eroberte Dynamo Europa. Und wer sein letztes Hemd gegeben, Blut gespendet, de- als auswärtiger Fan nach Dresden kam, muss- monstriert, permanent die Spendierhosen an, te anders als in Leipzig oder beim BFC Dy- um seine sieche Liebe nicht verrecken zu sehen. namo keine übermäßige Sorge haben, verdro- Wo jeder Euro dreimal umgedreht wird, ist der schen zu werden. Doch schon 1991, zwei Jahre Fan König. Ihr seid Dynamo! Der Verein hat nach der Wende, standen Dynamo Dresden dies so oft beteuert, dass die Fans es am Ende und die Fanszene im Rudolf-Harbig-Stadion geglaubt haben. Und auf eine merkwürdige plötzlich als Synonym für rohe Gewalt, blind- Art und Weise ist es ja inzwischen tatsächlich wütige ­Ausschreitungen. so: Die Seele des Vereins ist die große und viel- fältige Fanszene. Doch, ach, die Dynamo-Seele Die Bilder des wegen eines Steinhagels und fühlt sich permanent nicht verstanden, über den zahlloser Leuchtraketen abgebrochenen Eu- Tisch gezogen, übervorteilt. ropacupspiels gegen Roter Stern Belgrad wa- ren auch in westdeutsche Wohnstuben geflim- 1954 wurde etwa die komplette Dynamo- mert. Die Videoaufnahmen von damals zeigen Mannschaft – ein Jahr nach Gründung der SG einen sichtlich geschockten Ralf Minge, der Dynamo Dresden – schlicht nach Berlin dele-

36 APuZ 5–7/2016 giert, um ein konkurrenzfähiges Hauptstadt- Auch in Sachsen entwickelte sich eine starke team zu bilden. Ein weiteres Trauma ist der so- rechtsextreme Szene, die tief in den Fußball genannte Kotte-Weber-Müller-Fall. Im Januar hineinreichte. In den 1990er Jahren liefen die 1981 wurden die Dresdner Fußballer Gerd Reichskriegsflagge und andere Nazisymbole Weber, Matthias Müller und Peter Kotte auf bei vielen Fangruppen unter ­Fußballfolklore. dem Ostberliner Flughafen Berlin-Schönefeld verhaftet. Vorwurf Republikflucht. Dynamo Nachdem sich die Hooligans durch das war der Klub des Ministeriums des Innern – Nachwendejahrzehnt geprügelt hatten, kam am Leben erhalten von der Volkspolizei, dem ab 2001 wieder Stimmung im Stadion auf. Die Zoll und der Staats­sicher­heit. Für einen Tsche- Ultramode schwappte nach Dresden. Gro- kisten gab es kaum ein schlimmeres Vergehen ße Choreografien, positive Stimmung, Dy- als die Flucht zum imperialistischen Feind, namo war plötzlich für jüngere Leute wieder meinte -Chef Erich Mielke. Entsprechend chic. Die Dresdner Massenbewegung für den drastisch ging man gegen die „Sportverräter“ Fußball wurde durch die „Ultras Dynamo“ vor. Weber wollte in den Westen, hatte Kot- neu entfacht. Es folgten fünf bis sechs Jahre te und Müller davon berichtet. Ihr Vergehen: Fasching, Pyro, Rauch. Am Anfang wurden Sie hatten es nicht gemeldet. Das tat wiederum die Dresdner Ultras von der anderen starken eine Stasi-Zuträgerin. Außenseiterfraktion, den Hooligans, kritisch beäugt, auch zurechtgestampft. Che hing erst Weber wurde in der Folge für elf Mona- am Zaun, später nicht mehr. te ins Zuchthaus gesteckt, sein Sportlehrer- studium durfte er nicht weiter betreiben. Als die linke Gruppe „Solo-Ultra“ vor eini- Er musste sich in der Produktion als Kfz- gen Jahren von rechtsextremen Fans aus dem Schlosser bewähren. Im August 1989 gelang Stadion geprügelt wurde, gab es kaum Protes- ihm mit Frau und Tochter die Flucht in den te. Mitte der 2000er Jahre war zudem die Grup- Westen. Müller und Kotte erhielten nach pe „Faust des Ostens“ aufgetaucht, Kleinkri- mehrtägiger Untersuchungshaft wegen Mit- minelle mit Nazitouch. Die Organisation und wisserschaft eine lebenslange Sperre für die ihre Banner verschwanden zwar vor einiger Zeit erste und zweite Fußballliga und wurden bei wieder aus dem Stadion – als Einzelpersonen Dynamo Dresden entlassen. sind ihre potenziellen Mitglieder aber zum Teil geblieben, wie Polizeisprecher Geithner erklärt: Für viele Fans verdichten sich diese „his- „Es gibt Fans mit einer rechten politischen Ge- torischen“ Benachteiligungen zusammen mit sinnung, die brüllen am Samstag beim Fußball dem Lizenzentzug 1995 und den heutigen ausländerfeindliche Parolen oder rechtes Ge- Erfahrungen zahlreicher harter DFB-Stra- dankengut. Am Dienstag sind die dann bei der fen zu einem regelrechten Opfermythos, der Demo gegen das Asylbewerberheim. Das ist aber, wie der Anhänger Steffen Pockart be- aber nicht die Dynamo-Szene, das sind einzel- tont, „mich letztlich mit gesteigerten Stolz ne Personen, die auch zu Dynamo gehen.“ auf meinen Verein blicken lässt“. Heute sind Ultragruppen fester Bestandteil der Fanszene. Zwar gibt es nach wie vor auch Neue, alte, vielfältige Fanszene zahlreiche Hooligans – den „Hooligans Elb- florenz“, den klassischen Hauern, bestätigte Obgleich in der DDR der Antifaschismus der Bundesgerichtshof Anfang 2015 gar die Staatsdoktrin war, spukte in vielen Köp- Eignung als „kriminelle Vereinigung“ – aber fen noch die Ideologie des Naziregimes. Wie es gibt in der Dresdner Fanszene inzwischen konnte man als Fußballfan im Schutz der an- auch Gruppierungen, die sich aktiv gegen onymen Masse den DDR-Staat auch heftiger Gewalt und Rassismus im Stadion einsetzen. ärgern? Nazi zu sein, war die extremste aller Eine davon ist die 2006 gegründete Faninitia- Provokationen und gerade unter jugendlichen tive „1953international“. Sie positioniert sich Fußballfans en vogue. Offiziell wurde das klar gegen rassistische Vorfälle im Kontext Problem totgeschwiegen, in der Öffentlichkeit von Dynamo-Spielen: „Ob im Fanblock oder nicht thematisiert. Nach der Wende nutzten die in der Gesellschaft – wir finden es wichtig, NPD und andere rechtsextreme Verbindungen mit verschiedenen Aktionen einen kleinen das politische Vakuum und die Zukunftsängs- Beitrag dagegen zu setzen“, so ein Vertreter te in der ehemaligen DDR für ihre Ziele aus. der Initiative. Regelmäßig werden Flüchtlin-

APuZ 5–7/2016 37 ge ins Stadion eingeladen und andere Solida- Dass es nach wie vor ein zu bearbeitendes Ge- ritätsaktionen auf die Beine gestellt, um Fans waltproblem gibt, scheint dem Verein bewusst und Verein für das Thema zu sensibilisieren. zu sein: „Auswärts ist unser Fanblock für eini- ge ein rechtsfreier Raum. Wenn unsere Fans das Die Zusammenarbeit mit Dynamo ist zwar nicht selbst erkennen und verhindern, müssen gewachsen, aber nicht unproblematisch: „Man wir das regeln.“ Dennoch sei die 3. Liga entge- darf ja nicht vergessen, dass in der Vereinssat- gen vieler Befürchtungen zu keiner „Krawall- zung steht, man dürfe sich zu politischen The- Liga“ geworden, „im Gegenteil: Wir hatten eine men nicht äußern. Von daher bekommt er ge- Menge sehr stimmungsvoller Spiele, wie zuletzt rade hier eine Menge Gegenwind, da sich sehr unser Heimspiel gegen den 1. FCM, das völlig viele hinter diesem ‚unpolitischen‘ Dasein ver- friedlich über die Bühne ging. Wir haben 140 stecken.“ Dennoch wurde schon einiges er- Ultras für den Innenraum akkreditiert, damit reicht. So heißt es seit Januar 2015 in Dynamos die Choreo realisiert werden konnte. Außer- Fancharta: „Der Verein SG Dynamo Dresden dem haben wir ihnen das Stadion im Vorfeld zu und die Fans stehen aktiv gegen Rassismus, mehreren Ablaufproben zur Verfügung gestellt. Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung Dieses Vertrauen hat sich gelohnt. Sie haben es (aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, religiöser uns gedankt, es ist nichts passiert und war eine und sexueller Orientierungen sowie körperli- super Kooperation. Wir ermöglichen Teilha- cher und geistiger Beeinträchtigung) innerhalb be, jeder kann sich einbringen, aber jeder muss und außerhalb des Stadions ein.“ auch Verantwortung für sich und sein Handeln übernehmen.“ Neben „1953international“ ist das unabhän- gige „Fanprojekt Dresden“ eine Oase des Gu- Das Eintreten für Weltoffenheit, Toleranz ten. Das Fanhaus in der Löbtauer Straße 17 ist und gegen Rassismus und Fremdenfeindlich- ein offenes Haus, das jungen Leuten vielfälti- keit hat sich der mit 16 000 Mitgliedern größte ge Möglichkeiten zur Entfaltung weit über den Fußballverein Ostdeutschlands inzwischen of- Fußball hinaus bietet. So werden unter ande- fiziell auf die Fahnen geschrieben. Die finanzi- rem Wandertouren und mehrtägige Workshops elle (und dann sportliche) Konsolidierung soll organisiert („Fair Play“, „Gewalt im Abseits“, Schäfer zufolge bald folgen: „Wir haben inner- „Der Ball ist bunt“, „VorbeigeRAUSCHt“). Im halb eines Jahres die Hälfte der 7 Millionen Schuljahr 2015/16 startete zudem das Langzeit- Euro Schulden an (den Medienunternehmer, projekt „Am Ball bleiben. Spielerisch Deutsch Anm. d. Red.) Michael Kölmel abbezahlt. Ziel lernen“ mit wöchentlichem Sprach- und Fuß- ist, alle Schulden bis zum 30. Juni 2016 zu be- balltraining für Kinder aus einer Grundschule gleichen.“ Dabei werden auch die Fans wieder mit erhöhtem Sprachförderbedarf. Zusätzlich großen Einsatz zeigen müssen: „Unsere Fans gibt es Veranstaltungen aus dem kulturellen und haben bei der letzten Mitgliederversammlung erlebnispädagogischen Bereich, den Projekttag (2015) beschlossen, dass jedes Vereinsmitglied Sehbehinderung und Blindenfußball, einen Le- abermals 72 Euro extra bezahlt. Wer den Be- seklub sowie das Bildungsprojekt „SG Dynamo trag nicht zahlt, ist laut Satzung kein Mitglied Dresden, die Vergangenheit deines Vereins!“. mehr. Die erste Umlage wurde von 98 Prozent aller Mitglieder bezahlt.“

Gewappnet für die Zukunft? Sollte Dynamo Erfolg haben und nächs- tes Jahr nach dem erhofften Aufstieg in die Dynamo-Geschäftsführer Schäfer resümiert: 2. Bundesliga gut in die Gänge kommt, wer- „Fußball braucht alles, den Ultra, die Fami- den weiterhin auch die „normalen“ Dresd- lie, den VIP-Gast. In Dresden entscheidet sich ner mit ihren Familien ins Stadion kom- gerade, wie ein Traditionsverein mit den ak- men. Wenn dann trotzdem weiter Fanrandale tuellen Herausforderungen der Fußballwelt stattfinden, wird der Verein den Sumpf tro- umgeht. Gewalt, politische Bewegungen, Al- cken legen. Die größeren politischen Pro- kohol, Fankultur. Unser Verein ist mitglieder- bleme in der Stadt und ihrem Umland löst das geführt, das wird gern verdreht als fangesteuert natürlich nicht. Aber kann das die Aufgabe dargestellt, ist aber einfach Basisdemokratie. eines Fußballvereins sein? Wir versuchen die Balance zu halten zwischen der Bewahrung der Fankultur und dem Kom- merz des professionellen Fußballs.“

38 APuZ 5–7/2016 Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung „APuZ aktuell“, der Newsletter von Adenauerallee 86 53113 Bonn Aus Politik und Zeitgeschichte Redaktion Wir informieren Sie regelmäßig und kostenlos per E-Mail Anne-Sophie Friedel über die neuen Ausgaben. Barbara Kamutzki Johannes Piepenbrink Online anmelden unter: www.bpb.de/apuz-aktuell (verantwortlich für diese Ausgabe) Anne Seibring Telefon: (02 28) 9 95 15-0 www.bpb.de/apuz [email protected]

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Druck Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH Kurhessenstraße 4–6 64546 Mörfelden-Walldorf APuZ Satz Nächste Ausgabe 8/2016 · 22. Februar 2016 le-tex publishing services GmbH Weißenfelser Straße 84 04229 Leipzig

Abonnementservice Syrien, Irak und Region Aus Politik und Zeitgeschichte wird mit der Wochenzeitung Das Parlament ­ausgeliefert. Nora Müller Jahresabonnement 25,80 Euro; für Schüle- Saudi-Arabien und Iran: Entspannung unwahrscheinlich? rinnen und Schüler, Studierende, Auszubil- Interview mit Hossein Mousavian und Jamal Khashoggi dende (Nachweis erforderlich) 13,80 Euro. Im Ausland zzgl. Versandkosten.

Daniel Gerlach Frankfurter Societäts-Medien GmbH Was in Syrien geschieht Vertriebsabteilung Das Parlament Frankenallee 71–81 Anja Zorob 60327 Frankfurt am Main Telefon (069) 7501 4253 Sanktionen gegen Syrien: Was haben sie bewirkt? Telefax (069) 7501 4502 [email protected] Wilfried Buchta Der Aufstieg des IS und der Zerfall des Irak Nachbestellungen Publikationsversand der Bundeszentrale Oliver Ernst für politische Bildung/bpb Postfach 501055 Die Kurdenfrage in der Türkei und der Krieg in Syrien 18155 Rostock Fax.: (038204) 66273 Florence Gaub [email protected] Der Nahe Osten 2025: Drei Zukunftsszenarien Nachbestellungen ab 1 kg (bis 20 kg) ­werden mit 5,00 Euro berechnet. Björn Blaschke 360° Damaskus: Zur Lage der Flüchtlinge in der Region Die Veröffentlichungen in Aus Politik und Zeitgeschichte stellen keine Meinungsäußerung Die Texte dieser Ausgabe stehen – mit Ausnahme der Abbil­ der Herausgeberin dar; sie dienen dung – unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung­ 3.0 der Unterrichtung und Urteilsbildung. Deutschland. ISSN 0479-611 X Dresden APuZ 5–7/2016

Franziska Gerstenberg 3–7 Mein Dresden Irgendwann in den Herbsttagen 2015 passiert es, dass ich wütend werde. Pegida ist nicht Dresden. Und Pegida ist nicht das Volk. Denn wer bin denn dann ich? Zum ersten Mal in meinem Leben sage ich: Ich will Dresdnerin sein. Ich lasse mir die Stadt nicht wegnehmen. Ich mache jetzt ernst. Ich bleibe hier.

Winfried Müller · Swen Steinberg 8–14 Dresden. Eine Kurzbiografie Dresden hat eine lange Tradition als Regierungs- und Verwaltungsstadt. Als Kunst- und Barockmetropole wurde es seit dem späten 18. Jahrhundert zum romantischen Sehnsuchtsort. Die Ambivalenz zwischen Verharren und kritischem Potenzial, zwischen Selbstgewissheit und Aufgeschlossenheit tritt immer wieder zutage.

Gorch Pieken 15–22 Dresden, 13. Februar 1945 1945 wurde Dresden durch die Royal Air Force verheerend zerstört. Seitdem ran- ken sich Legenden um die Höhe der Opferzahlen und reklamierte die Stadt für sich lange Zeit, gleichsam als Synonym für schuldlos erlittenes Leid zu gelten. Das Bild von der „Opferstadt“ nutzen heute unter anderem Neonazis für ihre Zwecke.

Hans Vorländer 22–28 Zerrissene Stadt: Kulturkampf in Dresden In Dresden stehen sich zwei Lager gegenüber: Während auf der einen Seite ein be- sonderer Dresdner way of life gegen eine neue und unbegreifbar gewordene Welt voller Zumutungen verteidigt wird, treten andere für eine offene Stadtgesellschaft ein, die sich der Herausforderungen einer globalisierten Welt annimmt.

Frank Richter 28–33 Stadtgespräche. Politische Bildung als Seelsorge? In der Geringschätzung niederschwelliger Dialogangebote liegt viel intellektuelle Arroganz. Das zutage getretene Mitteilungsbedürfnis der Pegida-Sympathisan- ten zu übergehen, war nicht möglich. Dass ihm Raum gegeben wurde, mag man Seelsorge nennen. Sozialpsychologisch war sie unumgänglich.

Frank Willmann 33–38 Einblicke in die Dresdner Fußballseele Der idealtypische Dynamo-Fan identifiziert sich weit übers Normalmaß hinaus mit dem Klub. Er hat Insolvenzen überlebt und unvergessene Dramen. Er hat mehrfach sein letztes Hemd gegeben, Blut gespendet, demonstriert, permanent die Spendierhosen an, um seine sieche Liebe nicht verrecken zu sehen.