Die Kunstvermittlerin Hanna Bekker Vom Rath
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1 Zwei Überraschungsgäste und deren Pläne Für den Vormittag hatten sich zwei Herren angemeldet. Es gehe um Kunst, ge- nauer, um moderne Kunst und um deren Vermittlung. Das hatten sie ihr gesagt, nicht mehr. Aus Frankfurt kamen beide Herren zu ihr in das wenig zerstörte, ländliche Hofheim, westlich der Mainmetropole. Die Herren standen in Verbindung zu den Amerikanern. Ein streng abgeschirmter Sperrbezirk war das Hauptquartier der Besatzungsmacht zu dieser Zeit, untergebracht im ehemaligen Verwaltungsge- bäude der IG Farben, das nahezu unversehrt das Bombardement der Stadt über- standen hatte. Von dort hatten sie wohl angerufen, denn die Telefonleitungen in der Stadt waren anderthalb Jahre nach Kriegsende noch nicht alle wieder herge- stellt. Die Städte lagen in Trümmern, so auch Frankfurt. Zerstört war der historische Stadtkern, nur noch die Hälfte des ehemaligen Wohn- und Geschäftraums vor- handen, aufragende Brandmauern, Fenster, die sich aus dem Nichts öffneten, Tü- ren, hinter denen sich nichts mehr verbarg, durch die man von der Straße ins Freie trat, in der Luft hängende, halbe Zimmer, plötzlich einstürzende Fassaden verschütten die schon frei geräumten Straßen erneut und Trümmerberge, Trüm- merberge überall. Das war das Zentrum Frankfurts 1946. Wie Hohn erschienen die Firmenschilder an den Fassadenresten. Was die Re- klameschilder aus gesprungenem Emaille anpriesen, gab es nirgends mehr zu kaufen, kaum war die Minimalversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, zwischen den Trümmern Kleingärten, die Bewirtschaftung und Bestellung jeder verfügbaren Freifläche war Bürgerpflicht. Felddiebstahl war dennoch an der Ta- gesordnung, Kartoffelkrieg herrschte, Hamsterfahrten in die ländliche Umge- bung mit dem Fahrrad, wer noch eines besaß, mit den ersten Zügen, die wieder fuhren, auch zu Fuß, getragen von der Hoffnung etwas zu ergattern.a Aus diesem Frankfurt kamen die beiden Herren, wollten mit ihr über Kunst sprechen. Über Kunst, in diesen Zeiten. Für Hanna Bekker vom Rath war das nichts Ungewöhnliches. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass nun fremde Menschen, unangemeldet zumeist, vor ihrer Türe standen. Alles war irgendwie durcheinander geraten, nichts mehr so wie vor dem Krieg. Nach den Monaten der Erstarrung, aus- schließlich beherrscht durch das Denken ans reine Überleben, war wieder Bewe- 9 gung spürbar, beginnende Überwindung der Depression, Aufbruch, ein zartes nach vorne Blicken. Vor wenigen Wochen erst hatte eine junge Frau sie mit ihrem Besuch über- rascht. Hanna hatte sofort die Amerikanerin in ihr erkannt – Sprache und Klei- dung hatten sie verraten. Gespannt hatte sie die außergewöhnliche Besucherin ins Haus gebeten. Sie arbeite beim Collecting Point in Wiesbaden, so hatte Virginia Fontaine sich vorgestellt. Schnell war die junge, sympathische Frau zur Sache gekommen: „Ich brauche ihre Hilfe, Frau Bekker vom Rath. Sie wurden mir als eine exquisite Kennerin der deutschen Gegenwartskunst benannt und beschrieben.“ Überrascht und geschmeichelt zugleich hatte Hanna ihre Besucherin abwar- tend angesehen. Ihr Mann, der Maler Paul Fontaine, sei mit den US Armed Forces nach Deutschland gekommen, erklärte diese weiter. Nach Kriegsende hätte er sich ent- schlossen zu bleiben. So sei sie ihm mit ihrer drei Jahre alten Tochter in das vom Krieg zerstörte Land gefolgt und bemühe sich nun um Kontakte zu Kunst und Künstlern. Auch die beiden Herren heute waren der Kunst wegen gekommen, aus dem zerstörten, hungernden Frankfurt. In eine heile Welt kamen sie auch in Hofheim nicht. Not und Knappheit herrschten auch hier in der ländlichen Umgebung des Taunus, kein Haus ohne Einquartierung und Flüchtlinge, aber Obstbäume stan- den in den Gärten, Beete versprachen Ernte, Hühner, ein Schwein manchmal und Kaninchen vor allem fanden sich hier und da. Kartoffelverhältnisse belebten den Austausch. Mancher hatte ein paar Eiern oder einer Hand voll Mehl wegen mit einer Bäuerin oder Magd in den ländlichen Vororten angebandelt. Das Dach über Hanna Bekkers großem Haus war unbeschädigt, statt Trüm- merbergen lagen Wiesen vor der Tür und das unbeschädigte Haus der Nachbarn gegenüber, überbelegt zwar auch dieses, aber heil. Künstler waren die beiden Herren nicht, doch an Kultur und Kunst interes- siert, Ingenieur der eine, aus einer Kaufmannsfamilie der andere. Kontakt zu den Amerikanern hatten beide. Zusammen mit einem ehemaligen Kunstverleger hat- ten sie im Lotus Club, dem Offiziersclub der Amerikaner, kleine Ausstellungen organisiert, vornehmlich Kunstgewerbe verkauft und auch Kunstdrucke. Einige wenige Originalgraphiken waren darunter gewesen. Einen Kunstverein, ein Kunstinstitut wollten sie ins Leben rufen, in Frankfurt! Ein Ort der Begegnung und des Austauschs für Kunst und Kultur sollte entste- hen. Einen Neuanfang wollten sie wagen nach den dunklen Jahren einer staatlich vorgeschriebenen Kunst; zurückholen ins Licht der Öffentlichkeit die nur im 10 Verborgenen noch existierende Moderne, sie darin neu verankern, der wieder gewonnenen Freiheit des Denkens und Schaffens einen Raum bieten. Das war ihr Ziel. Sicher, in Berlin wuchs schon aus den Trümmern, noch ehe die Frauen sie ganz weggeschafft hatten, neues kulturelles Leben. Unterricht gab es wieder an der Hochschule für Bildende Kunst. Der Maler Karl Schmidt-Rottluff, mit dem Hanna eine langjährige Freundschaft verband, hatte ihr davon berichtet. Aus der sowjetischen besetzten Zone hatte er vor wenigen Monaten nur mit Mühe die Ausreiseerlaubnis nach West-Berlin erhalten. Seine Besuche im Taunus hatte er aber noch nicht wieder aufnehmen können. Sich frei zwischen den Zonen zu be- wegen, zu reisen, daran war nicht zu denken, dazu fehlte es an allem. Ihn, von dem man 1937 mehr als 600 Werke aus deutschen Museen entfernt und dem man Berufsverbot erteilt hatte, da er nicht zur Förderung deutscher Kultur beitrage, Karl Schmidt-Rottluff hatte man nun eine Professur anvertraut. Mehr von der Lust wieder frei schaffen zu können als durch leibliche Nahrung am Leben gehalten, hatte sich bereits eine kleine Schülerschaft um ihn geschart. In der ehemaligen Reichshauptstadt lebte der private Kunsthandel bereits wie- der auf, vereinzelt zwar noch, aber es gab schon erste Verkäufe. Die Flucht in die Sachwerte hatte auch den Handel mit Kunst befördert. Freiheits- und schaffens- durstig waren auch die Maler und Bildhauer zurückgekehrt: Max Pechstein und Carl Hofer zum Beispiel, auch jüngere, wie Ernst Schumacher oder Karl Har- tung. Verfemung und jahrelanges Arbeiten im Verborgenen hatten Spuren hin- terlassen, in den Menschen wie in ihrer Kunst. Geblieben aber war die Hoffnung, die sie jetzt antrieb. Die Wiederbelebung des einst etablierten Kunstvereins Ber- lin war ebenso geplant wie erste große Einzelausstellungen. Zwar war der Taunus nicht Berlin, auch Frankfurt nicht die ehemalige Reichshauptstadt, aber derselbe Hunger nach Kultur, zensurfrei, derselbe Nach- holbedarf hier wie dort. Wie war das noch? ... „nicht nur vom Brot allein“.... Daran dachte Hanna, als sie den beiden Herren, die ihre weittragenden Pläne vortrugen, nun gegenüber stand. Der eine, de le Roi hatte er sich vorgestellt, war in etwa so alt wie sie selbst, also um die 53 Jahre. Er war nur wenig größer, hatte helle wache Augen. Der weit zurückliegende Haaransatz ließ das schmale, hagere Gesicht noch härter erscheinen, nicht streng jedoch, eher geprägt, gezeichnet vielleicht, gehärtet durch die Zeit. Das waren sie alle. Korrekt wie Frisur und Auftreten war auch der Anzug, nicht neu natürlich und auch nicht gut sitzend, zu groß geraten, zu groß gehungert schlabberte er leicht um den Körper. 11 Das Gesicht des zweiten Herrn, Dr. Günther Haase, war ebenso schmal. Er war jünger, von Statur nur ein wenig kleiner, sein Auftreten jedoch nicht weniger ernst und ebenso korrekt. Hanna kannte Herrn de le Roi flüchtig, den anderen nicht, konnte sich an kei- ne Begegnung mit ihm erinnern. Die Herren aber schienen Hanna zu kennen, mehr Hannas Familie als sie selbst. Das störte Hanna ein wenig. Es entsprach nicht ihrem Selbstverständnis. Ihr Haus war ein Spiegel ihrer unkonventionellen Eigenständigkeit. Wie ei- gens für diese Begegnung arrangiert schien ihr Wohnzimmer, das Rote Zimmer. Nichts hätte die Kunstwerke besser zur Geltung bringen können, als der tiefe, warme, rote Farbton der Wände. Die im Bauhausstil gestaltete, helle Decke kon- zentrierte den Blick des Betrachters auf die Exponate an den Wänden. Exponate? Wie Ausstellungsstücke hingen ihre Bilder nicht. Das Rote Zimmer war keine Galerie. Die Gemälde gehörten zu dieser Umgebung, waren mit dem Haus ver- wachsen, ebenso die auf eigens dafür gefertigten Stelen stehenden Statuen. Ihre Anordnung war über Jahre gewachsen, verwachsen mit der Außergewöhnlichkeit eines Hauses, das man in dieser Umgebung so nicht erwarten würde. Die vor kaum zwei Jahren nur im Verborgenen noch blühende Kunst des Expressionis- mus hatte hier stellvertretend eine Heimstatt gefunden. Nicht in ihrer Gesamtheit natürlich, aber doch in einer in diesem Landhaus unerwarteten Dichte, die die kenntnisreichen beiden Besucher ins Staunen versetzte. Dass sich die Hausbewohnerin für diese Kunst eingesetzt hatte, war in infor- mierten Kreisen bekannt. Schon bevor die NS Zeit über Deutschland hereinge- brochen war, hatte sie hier, in ihrem „Blauen Haus“ in Hofheim, kleine Kunst- ausstellungen initiiert, Kunstinteressierte aus ihrem großbürgerlichen Bekann- tenkreis dazu eingeladen und auf diese Weise versucht, der modernen Kunst, ins- besondere der des Expressionismus, Aufmerksamkeit zu verschaffen, auch Käu- fer und Sammler zu