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Unser Wert Qualitätsbericht des Bayerischen Rundfunks 2012

Inhalt

6 Vorwort des Intendanten Menschenwürde und Barrierefreiheit 58 Wertebild „Programmwert“, gesehen von 8 Vorwort des Vorsitzenden 38 „Ich taste mich an Grenzen vor.“ Fotografin und Dokumentarfilmerin des Rundfunkrates Ein Gespräch mit Evelyn Schels Petra Wallner über Respekt und Vertrauen im Dokumentarfilm

Programmwert 42 Barrierefreies Fernsehen Bayernwert und Internet 11 Editorial 61 Editorial Der Wert unseres Programms Programmvielfalt Bayern in seiner Vielfalt

Qualitätsjournalismus 44 Wenn im Hotroom die Regionalität Temperatur steigt … 16 Sechsmal live: Einblick in einen ganz normalen 66 Franken 3 x 3: Studio Franken Voller Einsatz für die Aktualität Fußballbundesliga-Samstag-­ Mehrwert für den Norden Bayerns Ein Tag mit Kirsten Girschick, nach­mittag von Heute im Stadion und Vorreiter in Sachen vernetzter Landtagskorrespondentin Aktualität des Bayerischen Fernsehens 47 Fünf Fragen an … Werner Rabe, Leiter des Programm- 69 Fünf Fragen an … 22 Unbequem und aufregend bereichs Sport und Freizeit Martin Wagner, Leiter Studio Franken Kontrovers – Das Politmagazin im Bayerischen Fernsehen 48 Total lokal: Ein Tag hinter 70 Abendschau bewegt! den Kulissen bei on3-südwild Nah am Menschen und informativ 27 Fünf Fragen an … in Nürnberg Sigmund Gottlieb, Chefredakteur on3-südwild, das junge TV- 72 Mehr Zeit für Hintergrund des Bayerischen Fernsehens und Programm des Bayerischen und Exklusivität Leiter des Programmbereichs Politik Rundfunks sendet jede Woche Die BayernCenter-Recherchereporter aus einer anderen Ecke Bayerns 28 Vom Sendungsbewusstsein 73 Fünf Fragen an … zum Auftrag 52 Die Große Passion Dr. Susanne Zimmer, Programm- Der Qualitätsprozess Aufzeichnungen von Jörg Adolph bereichsleiterin Bayern 1 – Bayern im Bayerischen Fernsehen über die Oberammergauer Passionsspiele 74 Die Regionalredaktionen 30 Das Salz in der Suppe München, Oberbayern, Schwaben BR-Hörfunkkorrespondenten 55 Fünf Fragen an … und Ostbayern in und im Ausland Andreas Bönte, Programmbereichs­ leiter Planung und Entwicklung 76 Bayern anders 35 Fünf Fragen an … Bayerisches Fernsehen Reporteralltag der Mercedes Riederer, Chefredakteurin BR-Landeskorrespondenten und Leiterin des Programmbereichs 56 Außenstimme: B5 aktuell – Politik und Wirtschaft Orientierung! – Für welche 78 Bayern 3-Dorffest Gesellschaft? Für welches Publikum? Ein gemeinsames Ziel schweißt 36 Früh am Morgen im Badezimmer Eine erste Diagnose aus die Bayern zusammen beginnt der Alltag eines sozio­logischer Sicht von Nachrichtenchefs Professor Dr. Armin Nassehi Tradition & Identität

82 Traditionsbewusst, vielfältig und echt Unter unserem Himmel – Ein Sendeplatz wie Bayern

5 Inhalt

84 Bayerische Kultserien Gesellschaftswert 136 Tragisch, skurril, aber auch komisch 30 Jahre Zusammenarbeit mit Mensch, Otto! – Franz X. Bogner der etwas andere Talk 111 Editorial 87 Fünf Fragen an … Orientierung geben in einer 138 „Es gibt keine einfachen Antworten“ Annette Siebenbürger, Leiterin komplexen Welt Theo.logik auf Bayern 2 hilft bei der des Programmbereichs Bayern Orientierung im Deutungswirrwarr und Unterhaltung Meinungsvielfalt und Orientierung Bayerisches Fernsehen Migration und Integration 116 Die Welt im Radio – radioWelt 88 „Vom Ohrwaschl Das Bayern 2-Magazin bringt 140 Ihr seid wir. direkt in den Bauch!“ täglich die Hintergründe zu den puzzle – Ein Porträt über „Mister Volksmusik“ Geschehnissen auf der Welt das InterKulturMagazin des BR Stefan Frühbeis 119 Fünf Fragen an … 142 „Typisch Griechisch, oder?“ 90 Host mi? Wolfgang Aigner, Programm­ Eleni Iliadou und Interkulturalität Sprach-Lust im Dialekt-Dschungel bereichsleiter Bayern 2 – im Hörfunk Kultur und Gesellschaft Wandel Kultur, Bildung und 120 Expect the unexpected! – quer soziales Engagement 92 Für die Heimatkrimis unterwegs … Fernsehen 2.0: Der Programmmacher Notizen einer Leidenschaft und sein Publikum 144 radioWissen Nicht nur Podcast – 96 Dahoam is Dahoam 124 Auf Augenhöhe mit Europa Spitzenreiter auf Bayern 2 Unsere tägliche Geschichte. Jetzt red i – Europa versteht sich Von der ersten Idee als Sprachrohr der Bürger 145 Fünf Fragen an … bis zum fertigen Drehbuch Dr. Sabine Scharnagl, 128 Flagge zeigen Leiterin des Programmbereichs 98 Heimat – Abseits der Klischees Das Notizbuch und die Kultur und Familie Abgründig: Ein Interview mit Energiewende dem Regisseur Hans Steinbichler 146 Capriccio – the last defenders Lebensnah und humorvoll: 129 Fünf Fragen an … of public television Ein Interview mit Drehbuchautorin Werner Reuß, Leiter des Programm- Ursula Gruber bereichs Wissenschaft – Bildung – 148 Kunst für Radio und Internet Geschichte Hörspiel und Medienkunst heute 104 Außenstimme: Wider das Plastikbairische! 130 Bühne der Politik: 151 Fünf Fragen an … Helmut Schleich über Bayern, München im 20. Jahrhundert Axel Linstädt, bis 2012 Leiter des das Bayerische Fernsehen Mit der Sendereihe Das Bayerische Programmbereichs BR-Klassik und bayerische Politik Jahrtausend schildert der BR die gro- und künstlerischer Leiter des Inter­ ßen historischen Zeitströmungen, die nationalen Musikwettbewerbs 108 Wertebild die Städte, Regionen und Menschen der ARD „Bayernwert“, gesehen von in Bayern über zehn Jahrhunderte Fotografin und Dokumentarfilmerin hinweg prägten. In der letzten Folge 152 U21 – Deine Szene. Deine Musik. Petra Wallner der zehnteiligen Reihe steht Mün- U21 sprengt das Radio, ist trimedial chen im Mittelpunkt. 158 Sternstunden – Wir helfen Kindern 135 Fünf Fragen an … Sternstunden reagiert schnell Walter Schmich, Programm­ und fördert nachhaltig bereichsleiter Bayern 3 – Jugend

6 Inhalt

160 Außenstimme: 182 Faszination Tiere und Natur 202 Wertebild Wann ist eigentlich Heimat? BR-Naturfilmproduktionen zählen „Unternehmenswert“, gesehen von Klaudia Wick, Fernsehkritikerin zu den beliebtesten Formaten Fotografin und Dokumentarfilmerin im Fernsehen Petra Wallner 162 Wertebild „Gesellschaftswert“, gesehen von 186 Sozial und verantwortungsvoll – Fotografin und Dokumentarfilmerin der BR als Arbeitgeber 204 Impressum Petra Wallner In Zeiten der Krise ist der BR als Arbeitgeber ein verlässlicher Sozialpartner

Unternehmenswert Investitionen und Wertschöpfung

188 Die Möglichmacher 165 Editorial Die Produktions- und Technik­ Qualität und öffentlich- direktion des BR sorgt für die pro­ rechtlicher Auftrag fessionelle, kreative, technische und wirtschaftliche Umsetzung von allen Talent und Kreativität Produktionen des BR im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet 170 Die journalistische Elite – die Volontäre des BR 190 BR auf allen Kanälen Seit 25 Jahren besteht die Programmdistribution, Programm- Volon­tärsausbildung verbreitung und Wettbewerbs­ im Bayerischen Rundfunk fähigkeit in einer fragmentierten und hybriden Medienwelt 174 Universell – Heimat im Film Gespräch mit den beiden jungen 194 Qualität auf Mausklick – Filmemachern Josef Mayerhofer und die BR-Mediathek Sebastian Stern Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen rund um die Uhr 178 Wummern im Ohr zum Abruf bereit Impressionen aus der Welt eines Tonmeisters 196 Auch (das ist) „Unser Wert“ Der BR als Medienunternehmen Kompetenz und Wertschätzung 197 Fünf Fragen an … 180 Die Stiftung Prix Jeunesse Bettina Ricklefs, Leiterin des Eine einzigartige Qualitätsinitiative Programmbereichs Spiel – Film – Serie für gutes Kinderfernsehen 198 Bleibende Werte 181 Das Internationale Zentralinstitut für Der Bayerische Rundfunk das Jugend- und Bildungsfernsehen als Filmproduzent Mehr als nur eine Institution – IZI steht für Qualität im Kinder- 200 Außenstimme: und Jugendfernsehen Vertrauen hat einen Preis von Dr. Klaus Unterberger, Leiter des Public-Value-Kompetenzzentrums in der ORF-Generaldirektion

7 „Wir wollen dokumentieren, wie wir unseren vielfältigen Programmauftrag erfüllen und auf welchen grundlegenden Werten und welchem Selbstverständnis­ der Bayerische Rundfunk gründet.“

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks

8 Vorwort des intendanten

Eine der Hauptaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunksys- tems ist es, allen Menschen die Teilhabe an unserer demokratisch verfassten Gesellschaft zu ermöglichen. Unser Programmauf­- trag verpflichtet uns, sie unabhängig, unparteilich und umfassend über alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ereignis­ ­se zu informieren, und Orientierung in einer zunehmend komple- xen Welt zu geben. Zudem fördern unsere Programmangebote Bildung und Wissenschaft, sie tragen zum Kulturleben bei und un- terstützen die europäische Verständigung sowie den gesellschaft- lichen Zusammenhalt in Bayern und Deutschland. Das gilt nicht nur für unsere Informations-, Service- und Kulturprogramme, son- dern auch für unsere Unterhaltungssendungen und unsere Sportberichterstattung.

In der Erfüllung dieses Auftrags sehen wir den zentralen gesell- Liebe Leserin, lieber Leser, schaftlichen Wert. Dafür stehen wir als BR und dafür arbeiten wir – das ist Unser Wert! als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hat der Bayerische Rund- eine außergewöhnliche Stellung in der Medienlandschaft Im Frühjahr 2011 haben wir in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk­- des Freistaats, mit der eine besondere gesellschaftliche Verantwor­ rat einen Wertekanon für den gesamten Bayerischen Rundfunk tung einhergeht. Diese Tatsache bildet die oberste Richtschnur erarbeitet, der unseren gesellschaftlichen Auftrag und unsere be- unserer täglichen Arbeit für die Menschen in Bayern bei Hör­funk, sondere öffentlich-rechtliche Verantwortung in vier Wertedi­ Fernsehen und online. mensionen zusammenfasst: Programmwert, Bayernwert, Gesell- schaftswert und Unternehmenswert. Diese bilden die Grundlage Mit der Publikation „Unser Wert – Qualitätsbericht des Bayeri- für die vorliegende Publikation. Mit „Unser Wert“ geben wir einen­ schen Rundfunks“ möchten wir Ihnen zeigen, mit welcher Ernst- ungewöhnlichen Einblick in die Programmvielfalt des Bayerischen haftigkeit und welchem Engagement wir versuchen, unserer Ver- Rundfunks und dokumentieren facettenreich das Engagement antwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden. Wir wollen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den von der Gesellschaft dokumentieren, wie wir unseren vielfältigen Programmauftrag er- an uns gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. füllen und auf welchen grundlegenden Werten und welchem Selbstverständnis der Bayerische Rundfunk gründet. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre!

Die digitale Revolution stellt bisher geltende Gesetze der Me­ dienwelt und ihre überlieferten Ertragsmodelle auf den Kopf. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das Privileg, dass er sich aus Beiträgen der Bürgerinnen und Bürger finanziert. Daraus ergibt sich für uns die Selbstverständlichkeit und das Selbstverständnis,­ dass wir gegenüber der Gesellschaft Rechenschaft ablegen über unser Tun.

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks

9 „Mit dem vorliegenden Qualitätsbericht ‚Unser Wert‘ wird der Wertekodex des Bayerischen Rundfunks transparent gemacht und ein Einblick in die Viel­ fältigkeit der Programme und die tägliche Arbeit der Programmmacher gegeben.“

Bernd Lenze, Vorsitzender des Rundfunkrats

10 Vorwort des vorsitzenden des rundfunkrats

Liebe Leserin, lieber Leser, der Bayerische Rundfunk hat aufgrund seines gesetzlich festge­ Zugleich veranschaulicht der Wertekodex für die Bürgerinnen und legten öffentlichen Programmauftrags eine besondere Verant­ Bürger, welchen gesellschaftlichen Werten sich der Bayerische wortung für Demokratie und Gesellschaft: Er ist zugleich Medium Rundfunk verpflichtet fühlt. und Faktor freier, individueller und öffentlicher Meinungsbil-­­ dung. In der Diskussion um den Nutzen des öffentlich-rechtlichen Mit dem vorliegenden Qualitätsbericht „Unser Wert“ wird dieser Rundfunks wurde in den letzten Jahren verstärkt auf den soge- Wertekodex des Bayerischen Rundfunks transparent gemacht und nannten „Public Value“, also den spezifischen Wert des öffent­- ein Einblick in die Vielfältigkeit der Programme und die tägliche lich-rechtlichen Rundfunks bzw. des Bayerischen Rundfunks hin-­ Arbeit der Programmmacher gegeben. Der Wert des öffentlichen ge­wiesen. Dieser spezifische Wert für die Menschen in unserem Rundfunks bzw. des BR ist unser aller Wert – deshalb danke ich Land entsteht durch die Qualität der Programme: Sie ist das den Programmverantwortlichen für den kontinuierlichen, kon­ Marken­zeichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und alle struktiven Dialog über die Umsetzung der Qualitätskriterien im BR-Programmmacher bemühen sich, den hohen qualitativen Programm. Ansprü­chen gerecht zu werden.

Hierfür orientieren sich die verantwortlichen Mitarbeiter an konkreten Qualitätskriterien. Um die Standards transparent zu- gänglich zu machen, hat der BR-Rundfunkrat im Herbst 2010 gemeinsam mit den Programmverantwortlichen begonnen, die-­ se Standards zu dokumentieren. Im Rahmen der Verabschiedung der Programmrichtlinien für den Hörfunk wurde im Frühjahr 2011 der „BR-Wertekodex“ erarbeitet. Die darin formulierten vier Wertedimensionen „Programmwert“, „Bayernwert“, „Gesell-­ schafts­wert“ und „Unternehmenswert“ konkretisieren den öffentlichen Auftrag für die Programmgestalter und legen ver- bindliche Qualitätsstandards fest, über deren Einhaltung der Bernd Lenze, Vorsitzender des Rundfunkrats Rundfunkrat als Kontrollorgan wacht.

11

Programmwert Der Wert unseres Programms

Programmwert

Ob Kabarett oder Comedy, ob Nachrichten oder Sport, Spielfilm, Hörspiel oder Dokumentation, Volks­theater, Volksmusik oder Klassikkonzerte: Der Bayerische Rundfunk bietet eine Vielzahl an Inhalten auf all seinen Kanälen und Verbreitungs­ wegen. Der BR ist ein integriertes Medienhaus. Was in Zeiten medialen Rund-um-die-Uhr-Kon­ sums bedeutet: Wir senden nicht mehr nur an jedem Tag der Woche 24 Stunden, sondern stehen auch mit unseren vielfältigen Onlineangeboten mit den Medienkonsumenten in Bayern in regem Austausch.

Aber worin unterscheiden wir uns von all den anderen Sendern und Medienhäusern in Deutsch­ land, die das auch machen? Es sind die Vielfalt, die Qualität und der Regional­bezug unserer Ange­ bote. Wir machen Programm für die Menschen in Bayern. Und genau darin liegt auch unser Wert – unser Programmwert.

15 Programmwert

Der Bayerische Rundfunk hat als öffentlich- recht­liches Medienhaus einen klaren gesellschaft­ lichen Auftrag: Wir sollen objektiv, unparteilich und ausgewogen unsere Programmangebote ge­ stalten und damit eine wichtige Aufgabe zur Wah­ rung der Demokratie in unserem Land erfüllen. Aufklärung, Meinungsbildung, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit, Respekt im Umgang mit den Menschen und kulturelle Teilhabe – für diese Werte stehen wir.

Wir möchten den Menschen das Wissen an die Hand geben, das sie brauchen, um an unserer de­mokratisch verfassten Gesellschaft teilhaben zu können. An dieser Befähigung zur Teilhabe muss sich unser Programmwert täglich mes­sen lassen.

Wir haben uns der Achtung der Menschen­würde verpflichtet. Deshalb stehen wir für eine möglichst barrierefreie Mediennutzung ein. Alle Menschen sollen über alle Wege den Zugang zu unseren Inhalten haben.

16 Programmwert

Wir agieren frei von externen Interessen und Beeinflussungen und stärken nicht zuletzt dadurch unsere Glaubwürdigkeit.

Wir setzen Themen, die auch nach kurzer Zeit nicht an Relevanz verlieren und berichten aktuell, transparent und verständlich – das verstehen wir unter Qualitätsjournalismus.

Wir haben uns der programmlichen Vielfalt und Ausgewogenheit verschrieben.

All das sind unsere Werte. Zusammen ergeben sie unseren Auftrag und den Wert unseres Programms.

17 Programmwert Qualitätsjournalismus

Sechsmal live: Voller Einsatz für die Aktualität Ein Tag mit Kirsten Girschick, Landtagskorrespondentin des Bayerischen Fernsehens

Mario Beilhack

Atomausstieg der Union und Vorstandsklausur der CSU im Kloster Andechs: Kirsten Girschick interviewt Ilse Aigner, Mitglied des CSU-Präsidiums und Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

18 Qualitätsjournalismus Programmwert

19 Programmwert Qualitätsjournalismus

Anruf bei Kirsten Girschick, Landtagskorrespondentin des Bayeri- Mehrere Live-Schalten sind geplant: „Tagesschau“, EinsExtra, schen Fernsehens. Der Termin stand schnell fest: Klausur des Phoenix, „Abendschau“, „Rundschau-Magazin“. Außerdem müssen CSU-Vorstands zur energiepolitischen Wende in Kloster Andechs Beiträge für die Nachrichtensendungen der ARD und des Bayeri- am 20. Mai 2011. Das Bayerische Fernsehen, auch im Auftrag der schen Fernsehens produziert werden. Sie sei froh, dass ihre beiden ARD, ist ganz vorne dabei. 12.00 Uhr Treffpunkt mit Frau Girschick Kollegen, Reporter Eckhart Querner und ihre Stellvertreterin Ste- im Freimanner Büro. Sie meint, das sei so ein Tag, an dem man phanie Stauss, ebenfalls vor Ort seien. Allein wäre die Arbeit an sich ein gutes von ihrer Arbeit machen könne, wenn es mal einem solchen Tag gar nicht zu bewältigen. so richtig rundgehe. Seit dem frühen Morgen hat zudem eine Crew von Technikern um Girschicks Hauptaufgabe ist die regelmäßige Berichterstattung den Aufnahmeleiter Fabian Stetter einen Satellitenübertragungs- aus dem bayerischen Landtag, darunter auch die Beobachtung der wagen (SNG) und ein Schnittmobil für den Einsatz vorbereitet. Oppositionsarbeit. So hat sie bereits über die leidenschaftlichen Hunderte Meter Kabel für Strom und elektronische Signale wur- Debatten im Parlament nach der Atomkatastrophe von Fukushima den verlegt. Ein fester Platz für Live-Schalten und Aufsager vor Ort berichtet. Heute allerdings dreht sich alles um die CSU. Die Partei- musste auch gefunden und eingerichtet werden. Seit mehr als ei- spitze, vorneweg der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vor- ner Woche sei man schon am Planen und Organisieren, damit alles sitzende Horst Seehofer, zahlreiche CSU-Minister des Bundes und klappt. Die Bestellungen für Beiträge und Schalten der ARD und des Freistaats sowie Bundes- und Landtagsabgeordnete kommen Phoenix seien aber erst seit einigen Stunden wirklich fix. nach Andechs. An dem Wochenende werde CSU-Geschichte von bundespolitischer Bedeutung geschrieben, meint Girschick. Die Nach 50-minütiger Fahrt kommen wir kurz vor 13.00 Uhr am „Hei- Berichterstattung für das Bayerische Fernsehen sowie für die ARD ligen Berg“ an. „Wir liegen gut in der Zeit“, meint Frau Girschick. sei deshalb besonders umfangreich, weil man ja auch der Bedeu- Die erste Live-Schalte für die „Tagesschau“ sei gegen 14.00 Uhr. Ab tung der CSU als eigenständiger Koalitionspartner der Bundesre- zu den Kollegen: Hallos und Begrüßung der Crew, Gespräche und gierung Rechnung tragen müsse. Schließlich wolle sich die CSU – Abstimmung mit den Reporterkollegen, den Kameramännern als die früher entschiedene Pro-Kernkraft-Partei – nun endgültig Jürgen Katzur und Andreas Schulte sowie dem Aufnahmeleiter. Es von der Atomkraft verabschieden. Ja, sagt die Reporterin, sie habe herrscht ein kollegialer und herzlicher Umgangston. Vertrautheit schon im Vorfeld mit einigen Vertretern des CSU-Vorstands ge- ist zu spüren, aber auch professionelle Anspannung. Die Lage wird sprochen. Seit Wochen verfolge sie schon das Thema, das immer- sondiert. Spielt das Wetter mit? Es ist heiß, ein Gewitter ist für den hin die CSU auf allen Ebenen umtreibe und entzweie. Ja, es gäbe späten Nachmittag angekündigt. „Mal schau’n.“ Kirsten Girschick Widerstand zu den Atomausstiegsplänen innerhalb der Partei- eilt, gefolgt von Kameramann Katzur und Aufnahmeleiter Stetter, spitze und dem von Parteichef Horst Seehofer vorgegebenen Aus- den Berg hinauf zum Standort für die Aufsager und Live-Schalten stiegsdatum 2022. „Das kann spannend werden.“ Mehr sagt sie vor der Andechser Klosterkirche. Die Kollegen Querner und Stauss dann nicht mehr. Die Zeit drängt. Kirsten Girschick packt ihre positionieren sich an der Auffahrt zum Klosterberg, um die eintref- Sachen im Büro zusammen und eilt zum Auto. Mit dabei: Unter- fenden CSU-Granden abzupassen. Girschick zieht ihr lachsfarbe- lagen, Notebook, Handy und Smartphone. nes Sakko an, macht Stell- und Sprechproben. In fünf Minuten geht es auf Sendung, die Satellitenleitung für die Live-Schaltung zur „Tagesschau“ nach steht bereits. Nebenan macht sich ein weiteres Fernsehteam eines privaten Nachrichtenkanals bereit. Schnell noch einmal Puder, dann folgt schon die Frage von „Tages­ schau“-Sprecherin Susanne Stichler zum Positionspapier der CSU: „Kirsten Girschick in Andechs, das Konzept sorgt für Unmut inner- Die Parteispitze trifft ein, halb der CSU, wo laufen denn genau die Konfliktlinien?“ Es folgt eine erste Antwort Girschicks. Dauer: 30 Sekunden. Zweite Frage, die Jagd der versammelten zweite Antwort. „Danke für diese erste Einschätzung. Kirsten Gir- Pressefotografen und schick in Andechs.“ Nächstes Thema … Girschick legt ihr Sakko ab, weiter geht’s zur Klosterauffahrt. Die Parteispitze trifft ein, die Fernsehteams nach Bildern Jagd der versammelten Pressefotografen und Fernsehteams und ersten O-Tönen kann nach Bildern und ersten O-Tönen kann beginnen. beginnen.

20 Qualitätsjournalismus Programmwert

Vertrautheit ist zu spüren, aber auch professionelle Anspannung.

oben: Kirsten Girschick in der Sprecherkabine des Bayerischen Landtags links: Bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer im Pressepulk, Kloster Andechs

21 Programmwert Qualitätsjournalismus

Es ist schwül und ein Blick in den Himmel verheißt nichts Gutes, Nach dem Auftritt in der „Abendschau“ eilt Girschick zum Schnitt- Gewitterwolken ziehen auf. Dräuender Himmel und drohende mobil, um ihren Beitrag für die „Tagesschau“-Ausgabe um 20.00 Uhr parteiinterne Auseinandersetzung, das passt eigentlich ganz gut zu schneiden und eine weitere Live-Schalte für Phoenix um 21.00 zusammen. Während Reporter Querner mit dem Kameramann Uhr vorzubereiten. Dann ist für das „Rundschau-Magazin“ im BR um Katzur schon einmal das einsetzende Wetterleuchten dreht, 21.45 Uhr ein Exklusivinterview mit Horst Seehofer geplant. Und macht sich bei den Technikern Nervosität breit. Mittlerweile hat irgendwie muss auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel unter- die Landtagskorrespondentin Girschick bereits live für EinsExtra gebracht werden, deren Ankunft für 21.00 Uhr vorgesehen ist. und Phoenix berichtet. Hoffentlich hält das Wetter noch für die Die kommt aber schon um 20.30 Uhr und will sich erst am nächs- „Abendschau“-Ausgabe. Erste Tropfen fallen und dann folgt ein ten Tag äußern. Immerhin gibt es Bilder: Abt mit Kanzlerin – die veritabler Wolkenbruch. Wird die Satellitenverbindung zum Sen- werden in den Beiträgen für das „Rundschau“-Magazin und in den dezentrum nach Freimann halten? Nach zehn Minuten lässt dann auch zu sehen sein. Indessen, um 21.30 Uhr der heftige Regen plötzlich nach. Es ist kurz vor 18.00 Uhr, die diskutiert die CSU noch immer – weder Parteichef Seehofer noch Satellitenverbindung steht. Reporterin Girschick hält sich bereit­ Generalsekretär Dobrindt können zur Schalte ins „Rundschau“- für die Fragen von „Abendschau“-Moderatorin Annette Betz. Magazin kommen. Kein Interview, mit der Bitte um Verständnis. Inzwischen haben Stephanie Stauss und Eckhart Querner für Kirsten Girschick muss jetzt deshalb in der Sendung erklären, „Rundschau“, „Abendschau“ und „Tagesschau“ bereits Beiträge was die Verzögerung bedeutet und wie die CSU sich in Sachen im Schnittmobil produziert und via Satellit überspielt. Atomkraft positioniert hat. Moderatorin Anouschka Horn ist zu- frieden. Die Debatte hinter den dicken Klostermauern von An- dechs dauert an. Die CSU-Spitze lässt sogar die Kanzlerin warten. Um 22.30 Uhr ist dann endlich Schluss: Generalsekretär Dobrindt und Umweltminister Söder verkünden den wartenden Journalis- ten, das Ausstiegsdatum 2022 stehe, die Parteispitze habe das energiepolitische Konzept verabschiedet. Andere Vorstandsmit- glieder dagegen laufen leise murrend an den wartenden Journa- listen vorbei. Reporterin Girschick bespricht mit ihren Kollegen noch den folgenden Tag, Lob wird verteilt. Müdigkeit stellt sich ein. Dräuender Himmel Es ist 23.00 Uhr, als Kirsten Girschick vom Heiligen Berg herab in ihr Auto steigt, um die Heimfahrt anzutreten. Morgen um 8.30 und drohende parteiinterne Uhr geht die Klausur weiter: Gegen Mittag dann Pressekonferenz Auseinandersetzung, das – dieses Mal mit der Bundeskanzlerin und dem Ministerpräsiden- ten. Bilanz dieses Tages: Sechs Live-Schalten und acht Beiträge­ passt eigentlich ganz gut vom Auftakt eines politisch wichtigen Ereignisses. zusammen.

Kirsten Girschick arbeitet seit 2010 als Landtags­korrespondentin des Bayerischen Fernsehens. Sie berichtet über die bayerische Landespolitik in aktuellen Sendungen, sowohl im Bayerischen Fernsehen als auch in der ARD. Dazu zählen auch die Berichterstattung über die Politik der Staatsregierung­ und der im Land­tag vertretenen Parteien sowie die Berichte von Klausurtagungen, Parteitagen­ und Delegierten­ versammlungen. Außerdem planen und koordinie- ren die Landtagskorrespondentin und ihre Stell­ vertreterin Stephanie Stauss für „Rundschau“ und „Abendschau“ Themen zur bayerischen Landes-­­ politik und organisieren die Berichterstattung von bundesweit relevanten parteipolitischen Ver­ anstaltungen wie zum Beispiel dem politischen Aschermittwoch aus Bayern.

22 Qualitätsjournalismus Programmwert

Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer trägt die Regierungserklärung zum Atomausstieg im Bayerischen Landtag vor.

23 Programmwert Qualitätsjournalismus

„Kontrovers“-Redaktionsleiter Andreas Bachmann (Bildmitte) und Moderatorin Ursula Heller sichten einen Beitrag für das Politmagazin „Kontrovers“.

Unbequem und aufregend Kontrovers – Das Politmagazin im Bayerischen Fernsehen

Philipp Gruell

24 Qualitätsjournalismus Programmwert

Kontrovers

„Kontrovers“ wird moderiert von Ursula Heller. Zweiter Moderator ist Andreas Bachmann, der gleichzeitig die Redaktion leitet. Unter dem Namen „Kontrovers“ gibt es die Sendung seit 2007. Zuvor hieß sie fast 30 Jahre „Zeitspiegel“.

Sie macht viel Arbeit und viel Ärger. Sie kostet viel Zeit und Geld. Die Autoren tauschten sich mit Experten des wissenschaftlichen Und sie hatte es nicht leicht in den vergangenen Jahren: die Re- Beirats der Bundesregierung und des Freiburger Ökoinstituts cherche. Heerscharen von PR-Managern treffen auf ausgedünnte aus. Interviewt wurden bayerische Bauern, die vor den Folgen von Redaktionen. Dazu kommt die enorme Beschleunigung des Me- Mais-Monokulturen warnen, und Imker, deren Bienen dadurch diengeschäfts durch das Internet. Doch gründliche Recherche ihre Nahrungsgrundlage verlieren. Spitzenpolitiker wie EU-Ener- ist der einzige Weg, Missstände und Fehlentwicklungen aufzude- giekommissar Günther Oettinger wurden mit den Recherchen cken. Deshalb steht für „Kontrovers“ diese journalistische Urtu- konfrontiert. gend im Mittelpunkt. Die Redaktion will nicht Geschichten aus den Tickern der Nachrichtenagenturen verfilmen, sondern selbst Am Ende entstand das halbstündige „Kontrovers extra“-Feature Themen setzen. „Der Biospritskandal: Klimapolitik in der Sackgasse“. Der Film ist eine Gemeinschaftsproduktion mit dem ARD-Schwestermaga- Ein hoher Anspruch, den die „Kontrovers“-Journalisten immer zin „report München“, das sich seit Jahren mit dieser Thematik be- wieder einlösen: So deckten sie die Machenschaften krimineller schäftigt. Ausgestrahlt im November 2010, lösten die Recherchen Spendensammler in deutschen Fußgängerzonen auf, brachten eine breite politische Diskussion aus. Im Juni 2011 bekamen nach dem Desaster um den HGAA-Kauf einen führenden Bayern- Mike Lingenfelser und Thomas Kießling dafür den Bayerischen LB-Mitarbeiter zum Sprechen oder belegten, dass Rechtsextreme Fernsehpreis, den Blauen Panther. mit einer verqueren Blut- und Bodenideologie die Ökobewegung unterwandern wollen. Außerdem wiesen sie schon frühzeitig auf Die Auszeichnung ist einer der Höhepunkte in der Sendungs­ die verheerenden Auswirkungen extensiver Biosprit-Produktion geschichte. Doch die Ziele von „Kontrovers“-Leiter Andreas Bach- auf die Natur hin. Bereits lange bevor die Debatte um E10-Benzin mann und seiner Redaktion sind für jeden Beitrag dieselben – und die Energiewende bundesweit die Schlagzeilen bestimmte, gleich ob halbstündige Dokumentation, fünfminütiger Magazin­ stellten sich „Kontrovers“-Autor Thomas Kießling und „report film oder Spitzenpolitiker-Interview. „Kontrovers“ will den Dingen München“-Redakteur Mike Lingenfelser die Frage: Welche Chan- auf den Grund gehen, unbequem sein, anregen – und aufregen. cen und welche Risiken birgt der Ausbau von Biokraftstoffen und Biogas?

Die Frage war der Ausgangspunkt einer aufwendigen Recherche: Die beiden wälzten Forschungsberichte und Gesetzestexte, spra- chen mit Informanten und bekamen Zugang zu vertraulichen Dokumenten. Sie trafen unter anderem den Münchner Biologie- professor Florian Siegert, der seit 15 Jahren gegen Brandrodungen im indonesischen Regenwald kämpft, wo Wälder für Ölbaum- plantagen vernichtet werden.

25 Programmwert Qualitätsjournalismus

Kontrovers gefragt!

Redaktionsleiter Andreas Bachmann und Moderatorin Ursula Heller sprechen über die Rolle und den Wert des BR-Politmagazins im digitalen Zeitalter.

Worin liegen Ihre Vorstellungen, was ein politisches Welche Zielgruppe beabsichtigen Sie mit Magazin im Bayerischen Fernsehen leisten muss/sollte? „Kontrovers“ anzusprechen? Bachmann: Wir wollen über Politik informieren und die Auswir- Bachmann: Natürlich wollen wir im Idealfall auch die Gruppe der kungen von Politik auf die Menschen erklären. Der Kern unseres „Entscheider“ ansprechen. „Kontrovers“ soll als Magazin in dieser politischen Magazins ist die bayerische Landespolitik. Wir wollen Gruppe genauso wahrgenommen werden wie etwa andere aber auch über den Tellerrand hinausblicken: Bundes- und auch Leitmedien auch. SZ-Redakteure schauen bereits jetzt während Europapolitik wirken sich ebenso auf das Leben der Menschen der Spätschicht nicht nur, was die bei „quer“ machen, sondern in Bayern aus und sind deshalb für uns von Belang. Dazu gehört auch, wer bei uns im Studio zu Gast ist. Darüber hinaus versuchen auch die politische Analyse von Wahlausgängen wie der von wir natürlich, alle politisch Interessierten und auch die, die nicht Baden-Württemberg im Frühjahr 2011. Wir gehen aber als Polit­ so sehr interessiert sind, zu erreichen. Junge Leute wollen wir magazin auch ganz bewusst harte, parteipolitische Themen an, durch Facebook und andere Onlineaktivitäten ansprechen oder indem wir beispielsweise fragen: Wie steht die bayerische SPD auch durch unsere Rubrik „Wahnsinn“. da, wie die CSU? Warum sollten sich die Zuschauer für „Kontrovers“ entscheiden? Würden Sie sagen, dass „Kontrovers“ Heller: Wir sind informativ, wir greifen aktuelle Themen auf, dafür politisch ausgewogen sein muss? wir sind anregend, wir sind gelegentlich auch aufregend. Bachmann: Selbstverständlich! Natürlich müssen wir politisch Das alles in einer schönen Bildsprache und flott präsentiert. ausgewogen sein. Wir müssen aber auch Haltung zeigen und Bachmann: Klar, wir sind vielleicht nicht so unterhaltend wie diese deutlich machen. Als eine Sendung des Bayerischen andere Formate, dafür eben „Kontrovers“ im besten Sinne Rundfunks sind wir ja einem bestimmten, öffentlich-rechtlichen des Wortes. Wertesystem gegenüber verpflichtet: Überparteilichkeit und Heller: Und auf alle Fälle nicht langweilig, sondern kurzweilig! Unabhängigkeit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind für uns hohe Güter. Welche Rolle spielt die Recherche im alltäglichen Heller: Für mich ist es ganz wichtig, dass wir kein Blatt vor den journalistischen Ablauf? Wie kommt man an Themen Mund nehmen und keine Scheu haben. Politik muss transparent und wie werden diese verarbeitet? gemacht und damit dem Bürger näher gebracht werden. Wichtig Bachmann: Wir verstehen uns natürlich auch als Recherchemaga- ist außerdem, Politik oder schwierige Sachverhalte verständlich zin, auch im Sinne von investigativer Recherche. Fakt ist aber auch, darzustellen, um den Leuten das Gefühl von Ohnmacht und Frust- dass eben die investigative Recherche richtig viel Geld kostet. ration zu nehmen. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass sie An Themen kommen wir aber auch durch Kontakte. Ich versuche mit ihren Anliegen ernst genommen werden. meine Mitarbeiter dahingehend zu motivieren, indem ich sage: Bachmann: Es muss aber auch darum gehen, unpopuläre Entschei- „Geht raus, trefft euch mit Leuten, geht auf Konferenzen, Sympo- dungen, die Politiker auch vertreten müssen, und die womöglich sien oder nehmt an Seminaren teil.“ Also dafür gebe ich schon keine Mehrheit in der Bevölkerung haben, verständlich zu machen Geld aus. Meine Leute sollen aber auch den Kontakt zu den Politi- und ggf. zu vertreten. Kurzum, wir können nicht nur als der reine kern suchen und mit ihnen reden. Oft berichten sie über Politik, „Bürgeranwalt“ auftreten. reden aber nicht mit den Menschen, die Politik machen. Unser Anliegen ist es doch, nicht die Zeitung abzufilmen, sondern selbst Themen zu suchen und diese dann bestmöglich aufzubereiten.

26 Qualitätsjournalismus Programmwert

„Kontrovers“-Moderatorin Ursula Heller ...

Natürlich wollen wir im Idealfall auch die Gruppe der „Entscheider“ ansprechen. „Kontrovers“ soll als Magazin in dieser Gruppe genauso wahr­ genommen werden wie etwa andere Leitmedien auch.

... und Redaktionsleiter Andreas Bachmann sprechen über das Profil ihrer Sendung.

27 Programmwert Qualitätsjournalismus

Welchen Stellenwert hat politischer Journalismus Das Stichwort „Facebook“ ist ja schon gefallen und Social im digitalen Zeitalter? Media-Plattformen erfreuen sich ungebrochenen Zustroms. Bachmann: Ich glaube, dass dieser immer wichtiger wird, gerade Aber warum muss ein Politmagazin wie „Kontrovers“ da auch im Magazinbereich. Wir reden ja immer von Aktualität, und präsent sein? es wird ja alles immer schneller durch das Internet. Wir können als Bachmann: Unsere Intention war im Grunde einfach die: Wir Magazin Hintergründe liefern und Dinge auch mal vertiefend wollten dadurch andere Zielgruppen erreichen. Jüngeres, nach- darstellen. So setzen wir in dieser schnelllebigen Zeit auch einen wachsendes Publikum für Politik und natürlich auch für unsere Gegenpol. Sendung begeistern. Außerdem nutzen wir die Möglichkeit Heller: Zu unserer 30-Minuten-Sendezeit kommen ja noch Zusatz- zum Dialog mit unseren Zuschauern. informationen auf unserer Homepage hinzu. Die Möglichkeit, Heller: Teilweise binden wir Fragen, welche uns über Facebook sich nach der Sendung weitere Informationen oder Hintergründe erreichen in die Sendung ein. Zum Beispiel in Form von Inter­ sowie längere Interviews anzusehen, wird sehr gut angenommen. viewfragen. Außerdem erfahren wir so, welche Themen für die Menschen wichtig sind, und können das in unsere redaktionelle Arbeit mit- Sehen Sie dadurch nicht auch eine gewisse Gefahr, dass einbeziehen. dem Magazin Fernsehzuschauer verloren gehen und diese dann im Internet, nur noch bei Facebook zu finden sind? Mobile Multimediageräte wie iPhone oder iPad werden in Bachmann: Ehrlich gesagt, wenn uns Zuschauer nicht mehr ein- unserer heutigen Informationsgesellschaft immer wichtiger. schalten und uns nur noch im Internet schauen, dann ist mir Wie würden Sie die Rolle dieser Medienvertriebswege das egal! Ich mache ja nicht Fernsehen, damit uns das Publikum einschätzen? zu Hause am Fernsehen guckt, ich mache eine Sendung damit Bachmann: Wir stellen alle unsere Filme online, es sind alle abruf- sie unsere Inhalte konsumieren. Wo die das tun, ist mir letzt- bar. Da die jüngere Zielgruppe uns leider nicht um 21.15 Uhr im endlich egal! Bayerischen Fernsehen schaut, müssen wir allein schon deshalb auf allen Vertriebswegen mit unseren guten Inhalten präsent sein. „Kontrovers“ wurde ja schon mit einigen Preisen und Wenn man sich die Liste unserer „Freunde“ bei Facebook anschaut, Auszeichnungen bedacht. Unter anderem erhielt die Sendung merkt man schnell, dass das zu 80 Prozent Leute sind, die nicht 2011 den bayerischen Fernsehpreis! Hat „Kontrovers“ damit Stammzuschauer des Bayerischen Fernsehens sind, und die ich schon alles erreicht? nur auf diese Weise erreiche: Ich schicke denen einfach einen Link Bachmann: Also der „Grimme-Preis“ fehlt uns noch in unserer und dann sehen sie den Film. Sammlung. Heller: Der „Deutsche Fernsehpreis“ wäre da noch – und: Holly- wood wir kommen! Bachmann: Spaß bei Seite, wir versuchen uns immer auch weiterzuentwickeln. Heller: Preis und Lohn für mich ist, wenn uns Leute schreiben und sagen: „Hey, das fand ich klasse und mutig von euch“ Wir erhalten „Für mich ist es ganz tolle Mails und Briefe, die uns bestätigen und uns Mut machen. Bachmann: Und eins muss man, glaube ich, immer bedenken: wichtig, dass wir kein Blatt Wir machen die Sendung nicht für den Intendanten oder sonst vor den Mund nehmen jemanden – wir machen sie für die Menschen! und keine Scheu haben.“ Das Gespräch führte Bernhard Paulus.

28 Qualitätsjournalismus Programmwert

Fünf Fragen an …

Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Leiter des Programmbereichs Politik

Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe Was bedeutet für Sie heutzutage Welche Bedeutung hat die aktuelle a) als Chefredakteur Qualitätsjournalismus? Berichterstattung im BFS? des Bayerischen Fernsehens? Qualitätsjournalismus hat vorrangig eine Welchen Nutzen haben die Menschen b) als Leiter des Programmbereichs Politik? Erkläraufgabe. Es ist gut und unverzichtbar, in Bayern davon? In beiden Fällen geht es um die Vermitt- dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender Die aktuelle Berichterstattung im Bayeri- lung von Information. In Zeiten der Globa- tiefschürfende Recherche und investigati- schen Fernsehen möchte und muss den lisierung und Verunsicherung vieler Men- ven Journalismus leisten. Es ist in hohem Zuschauerinnen und Zuschauern in Bayern schen ist dies eine besondere Herausfor­- Maße wünschenswert, wenn journalisti- ein maßgeschneidertes Informationsange- derung. Als Chefredakteur muss man neue, sche Qualitätsprodukte auch hohe Ein- bot bieten. Dies heißt konkret: Nachrich-­ moderne Erklärungsformen entwickeln, schaltquoten erzielen. Dies ist jedoch nicht ten aus Bayern, aus Deutschland und der die unseren Zuschauern oder Onlinenut- immer der Fall – und dann heißt es, sich Welt – zugeschnitten auf die Nutzer im zern immer schwerer durchschaubare im Zweifel für die Qualität zu entscheiden. Freistaat. Den Bedürfnissen der Menschen Zusammenhänge transparent machen. kommt dieses Angebot, wie es von „Rund- Der Chefredakteur darf nie müde werden, Wie fördern oder schützen Sie journalisti- schau“, „Rundschau-Magazin“ und „Rund- Anker der Verlässlichkeit im digitalen sche Qualität im Bayerischen Fernsehen? schau-Nacht“ gemacht wird, offensichtlich Meer zu werfen. Die Qualitätsdiskussion, wie wir sie im Bay- sehr entgegen. Unsere Nachrichtensen- erischen Fernsehen führen, ist keine Sache dungen erzielen Spitzenquoten. der Theorie oder irgendwelcher Kennzif- fern. Qualität wird jeden Tag neu erfunden Wo sehen Sie die Zukunft der durch die Leidenschaft und den klaren journalistischen Informations­angebote journalistischen Standpunkt der Kollegin- im BFS? nen und Kollegen. Qualitätsjournalismus Lineare und non-lineare Programme wer- ist zuallererst Handwerk! Es ist der tägli- den schnell zusammenwachsen. Unsere In- che, ja der unermüdliche Kampf gegen formationsangebote müssen auch den Schlendrian und Schluderei: Qualitätsjour- mobilen und zeitsouveränen Nutzer errei- nalismus ist Überwindung des inneren chen. Die journalistische Königsdisziplin Schweinehundes. der nächsten Jahre hat nur einen Namen: Erklärung, Erklärung, Erklärung.

29 Programmwert Qualitätsjournalismus

Vom Sendungs- bewusstsein zum Auftrag Der Qualitätsprozess im Bayerischen Fernsehen

Georg Scheller

Public Value und Programmqualität Inzwischen hat sich in allen öffentlich-rechtlichen Sendern die Er- kenntnis durchgesetzt, dass Qualität sehr wohl zu messen ist und Die intensive öffentliche Legitimationsdebatte um den öffentlich- die Messergebnisse auch Basis für einen Prozess zur Verbesserung rechtlichen Rundfunk zeigt, dass der gesetzliche Auftrag für den der Qualität sein können. Im Mittelpunkt des Qualitätsprozesses öffentlich-rechtlichen Rundfunk allein nicht (mehr) für dessen des Bayerischen Fernsehens stehen die vier Wertedimensionen Legitimation gegenüber der Gebühren zahlenden Öffentlichkeit „Programmwert“, „Bayernwert“, „Gesellschaftswert“ und „Unter- taugt. Es gilt eine grundsätzlich Frage zu klären: Ist der besondere nehmenswert“. Sie stehen für die Ansprüche, die die Gesellschaft öffentlich-rechtliche Wert, der „Public Value“ etwas, was die Gesell- an unser öffentlich-rechtliches System hat. Sie bilden gleichzeitig schaft schätzt – also ein hoher Marktanteil – oder ist er doch et- auch den Maßstab für das Gesamtprogramm. Der gesellschaftli- was, was gut und wichtig ist für die Gesellschaft? Dabei meint che Auftrag, der uns über die Rundfunkgesetzgebung gegeben „Gut und wichtig“ nicht das gute alte öffentlich-rechtliche „Sen- wurde, muss sich daran messen lassen. Dieser Auftrag spiegelt dungsbewusstsein“ – das gehört der Vergangenheit an. „Public sich aber nicht nur im Programm als Ganzes wider, sondern muss Value“ heute, das muss das Ergebnis eines Verständigungsprozes- auch in jeder einzelnen Sendung zu finden sein. Das bedeutet in ses sein zwischen Anbieter und Nutzer. Und dieser Prozess kann der Umsetzung, dass jede Fernsehredaktion einen ganz bestimm- nicht allein quantitativer Natur sein. Denn der Marktanteil allein ten Auftrag im Sinne des öffentlich-rechtlichen Gedankens hat. ist genau betrachtet nur ein sehr rudimentäres Zuschauer-Feed- Hier setzt der Qualitätsprozess des Bayerischen Fernsehens an. back: „Die Sendung hat mir gefallen und ich habe deshalb nicht weggezappt“ oder „Habe anderswo etwas Interessanteres gefun- den“ oder „Habe den Fernseher gar nicht erst eingeschaltet, weil Qualitätsprozess im Bayerischen Fernsehen ich was anders zu tun hatte.“ Es gilt – mehr als bisher – den qualitativen Aspekt des Programms herauszuarbeiten. In einem sogenannten „Sendungsprofil“ ist festgelegt, welchen Auftrag die Redaktion auf ihrem Sendeplatz erfüllen soll: es sind Diese besondere Qualität des öffentlich-rechtlichen Programms die inhaltlichen und auch formalen Merkmale einer Sendung. zu definieren und in der Konsequenz auch mess- und steuerbar zu Der erste Schritt im Qualitätsprozess besteht darin, zu überprüfen, machen, damit haben sich alle deutschen Fernsehsender in den ob der Auftrag, den die Redaktion hat, auch tatsächlich vom Zu- letzten Jahren sehr intensiv auseinandergesetzt. Dabei ging es schauer als solcher wahrgenommen wird. Um dies herauszufin- auch darum, wegzukommen vom jahrzehntealten Credo, dass den, werden aus dem Sendungsprofil spezifische, sendungstypi- Qualität immer nur subjektiv empfunden werden könne – vom sche Qualitätskriterien abgeleitet und 120 repräsentativ aus-­ Programmmacher wie auch vom Zuschauer. gewählten Zuschauern vorgelegt. In Zusammenarbeit mit der

30 Qualitätsjournalismus Programmwert

Medienforschung werden diese Zuschauer unmittelbar nach der Sendung angerufen und gebeten, die Qualitätskriterien auf einer Skala von 1 bis 5 zu bewerten. 5 heißt „Dieses Qualitätskriterium trifft voll und ganz zu“, 1 bedeutet, dass das Kriterium überhaupt Die fünf Schritte nicht zutrifft. Für jedes Kriterium ergibt das einen bestimmten in- im Qualitätsprozess terpretierbaren Wert. Alle so ermittelten Werte ergeben dann den sogenannten „Wertschätzungs-Index“; schließlich wird auf diese Weise gemessen, welche Wertschätzung der Zuschauer der Sen- dung entgegenbringt. Ergänzt werden die sendungsspezifischen Kriterien durch einen Katalog von allgemeinen Qualitätskriterien, die aus den vier Wertedimensionen abgeleitet werden und für Sendungsprofil alle Sendungen des Bayerischen Fernsehens gelten. Das Ge- samtergebnis ist dann ein Qualitätsprofil, welches Stärken und Welchen Auftrag hat die Redaktion? Schwächen einer Sendung ziemlich exakt widerspiegelt. Mit der Präsentation dieser Zuschauer-Einschätzung vor der Redak- tion kann der Qualitätsverbesserungsprozess starten.

Zusammenarbeit mit den Redaktionen Ist-Profil

Die Redaktion kann nun entscheiden, inwieweit sie die Erwar- Wie kommt der Auftrag beim Zuschauer an? tungen der Zuschauer erfüllen will, um dann bei der nächsten Zuschauerbefragung ein besseres Ergebnis – einen höheren Wert- schätzungs-Index – erzielen zu können. Um dieses Ziel zu errei- chen, erarbeitet die Redaktion Maßnahmen zur Verbesserung der Programmqualität. Das Besondere des Qualitätsprozesses des Bayerischen Fernsehens ist, dass sowohl Kameraleute als auch Soll-Profil CutterInnen daran teilnehmen. Fernsehen ist Teamwork und des- halb kann auch die Arbeit an der Verbesserung der Programm- Wie sieht das Ziel aus? qualität nur im Team geschehen. Das Qualitätsmanagement des Bayerischen Fernsehens begleitet diesen Prozess – von der Erar- beitung der Qualitätskriterien bis zu maßgeschneiderten Fortbil- dungsangeboten für alle am Prozess Beteiligten.

Massnahmenkatalog Die Qualitätsvereinbarung und der öffentliche Wert des Fernsehens Wie kann das Ziel erreicht werden?

Den vorläufigen Abschluss des Qualitätsprozesses bildet die soge- nannte „Qualitätsvereinbarung“ zwischen der Redaktion und der Fernsehdirektorin. Natürlich sollte sich der Erfolg dieses Qualitäts- prozesses langfristig auch in der Quotenentwicklung bemerkbar machen. Im Vordergrund steht aber die Auseinandersetzung mit Qualitätsvereinbarung dem Programmauftrag und der Frage, was das öffentlich-rechtli- che Fernsehen für die Gesellschaft wertvoll macht und welche Wie werden die Ziele verbindlich? Rolle die Redaktion dabei spielt. Über diesen Wert muss in einem ständigen Prozess das Einvernehmen mit dem Zuschauer gesucht werden. Es handelt sich dabei um nichts weniger als die ständige Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Programmmacher gegenüber ihren Zuschauern.

31 Programmwert Qualitätsjournalismus

32 Qualitätsjournalismus Programmwert

Das Salz in der Suppe BR-Hörfunkkorrespondenten in Berlin und im Ausland

Ralf Borchard

33 Programmwert Qualitätsjournalismus

Ist Merkels Koalition in der Krise? Wie ist die Wahlkampf- Israel-Korrespondent Torsten Teichmann verfolgt täglich die Spe- stimmung in den USA? Was passiert mit dem Wrack der Costa kulationen um einen Luftschlag gegen Iran. Er hat schon während Concordia? Fragen wie diese prägen täglich die BR-Radiopro- des Gaza-Kriegs und der jüngsten Libanon-Krise aus Israel berich- gramme. Antworten geben unsere Korrespondenten. Sie sind tet. Er lässt sich trotz aller Anspannung im Land nicht aus der das Herz der aktuellen Berichterstattung. Ruhe bringen. Südamerika-Korrespondent Julio Segador hat ein Jahr nach der Rettung der eingeschlossenen Bergleute in Chile mit Beispiel Merkel: Berlin-Korrespondentin Eva Corell war vor Kurzem Betroffenen gesprochen. Wie verkraften sie den kurzen Ruhm? mit der Kanzlerin auf Auslandsreise. Im Regierungsflugzeug hat Segador hat es erlebt. Südosteuropa-Korrespondent Jörg Paas ist sie Angela Merkel im Hintergrund-Gespräch erlebt. Zurück in der immer wieder in Ungarn unterwegs. Warum provoziert die Regie- Hauptstadt spricht sie mit Abgeordneten von Union und FDP. Und rung Orban die EU-Partner? Paas gibt Antworten. mit Vertretern der Opposition. Ist Merkel weiter unangefochten? Die Leiterin unseres Hauptstadtstudios kann es einschätzen. Die BR-Korrespondenten in Berlin und im Ausland haben einen unvergleichlichen Wissensschatz. Weltweit verfügt kaum ein Beispiel USA: Washington-Korrespondent Klaus Kastan war bei anderes Medienunternehmen über ein so dichtes Korresponden- den Vorwahlen der Republikaner in Iowa, Florida und anderen tennetz wie die ARD-Senderfamilie, zu der der BR gehört. Die Bundesstaaten. Er stand neben den potenziellen Herausforderern Korrespondenten sind das Salz in der Suppe, das Gewürz, das Barack Obamas. Hat gespürt, wie der Ton im Wahlkampf schärfer die Radio­programme des BR von der privaten Konkurrenz unter­ wird. Was ist zu erwarten, falls Obama verliert? Was kommt, wenn scheidet. Gerade in Zeiten globaler Vernetzung und einer Flut er noch einmal gewinnt? Unser Mann in den USA weiß Antworten. von Informationen ist es wichtig, das Wesentliche herauszufiltern, einzuordnen, einzuschätzen. Das tun unsere Korrespondenten. Beispiel Schiffswrack: Rom-Korrespondent Tilman Kleinjung war Sie vermitteln den BR-Hörern das Gefühl: Wer hier zuhört, weiß gleich nach der Havarie der Costa Concordia auf Giglio. Er hat mit Bescheid. Inselbewohnern gesprochen und mit Experten, die das Öl aus dem Schiff abpumpen. Er verfolgt seitdem die Ermittlungen zur Un- glücksursache. Trägt allein der Kapitän die Schuld? Unser Korres- pondent kann es einordnen.

Die Liste der Beispiele lässt sich fortsetzen: Brüssel-Korresponden- tin Birgit Schmeitzner war im Hauptquartier der NATO-Truppen in Afghanistan. Zieht die Bundeswehr wirklich 2014 aus Afghanistan ab? Unsere Korrespondentin ist skeptisch.

Teambild: die Hörfunkkkorrespondenten des BR: Hintere Reihe v. l.: Julio Segador (Studioleiter Buenos Aires), Ralf Borchard (Chef vom Dienst, München), Mercedes Riederer (Chefredakteurin, München), Torsten Teichmann (Studioleiter Tel Aviv), Sebastian Engelbrecht (Studio Tel Aviv), Mittlere Reihe v. l.: Wolfgang Vichtl (Redaktionsleiter Politik, Studios Berlin und Ausland, München), Klaus Kastan (Studioleiter Washington), Karla Engelhard (Studio Wien/Südosteuropa), Vordere Reihe v. l.: Jörg Paas (Studioleiter Wien/ Südosteuropa), Birgit Schmeitzner (Studio Brüssel) Tilmann Kleinjung (Studioleiter Rom), Stefan Troendle (Studio Rom)

34 Qualitätsjournalismus Programmwert

Die BR-Korrespondenten in Berlin und im Ausland haben einen unvergleichlichen Wissensschatz. Weltweit verfügt kaum ein anderes Medienunternehmen über ein so dichtes Korrespondentennetz wie die ARD-Senderfamilie, zu der der BR gehört.

35 Programmwert Qualitätsjournalismus

Israel-Korrespondent Torsten Teichmann beim Interview

Standorte der BR-Hörfunk­ korrespondenten

Berlin Brüssel Buenos Aires Rom Tel Aviv Washington Wien

36 Qualitätsjournalismus Programmwert

Fünf Fragen an …

Mercedes Riederer, Chefredakteurin und Leiterin des Programmbereichs B5 aktuell – Politik und Wirtschaft

Welche Bedeutung hat ein Informations- Was sind die wichtigen Kriterien für Wie viel Bayern gehört in die Nachrichten? programm im Internet-Zeitalter? Qualitätsjournalismus? Hier gilt die Leitlinie: Alles aus Bayern er- Radioinformation hat trotz der vielen On- Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Des- fahren und nichts in der Welt verpassen. line-Newsangebote nicht an Bedeutung halb geht Sicherheit vor Schnelligkeit, d. h. verloren, denn Radio hat ein wichtiges wir verlassen uns nicht nur auf eine Quelle. Welche Rolle spielt in einer Alleinstellungsmerkmal: Man braucht zur Reporterinnen und Reporter müssen un- globalisierten Welt noch ein eigenes Nutzung die Augen nicht. Mit Radio kann voreingenommen und vorurteilsfrei re- Korrespondentennetz? man sich schnell und neben anderen Tätig- cherchieren. Zur Recherche gehört immer Das Korrespondentennetz ist ein Marken- keiten informieren, z. B. im Bad, in der auch die Gegenrecherche. Kommentare zeichen unserer Informationssendungen. Küche oder im Auto. Die Radionutzung ist müssen klar als Meinung gekennzeichnet Der BR und die ARD entsenden die besten in den vergangenen Jahren sogar gestie- sein. Der große Journalist Herbert Riehl- Journalistinnen und Journalisten an die gen. So hat B5 aktuell die besten Hörerzah- Heyse hat auf die Frage „Was ist ein guter Brennpunkte dieser Welt. Sie liefern Infor- len seit dem Sendestart vor 20 Jahren. Viele Journalist?“ geantwortet: „Seine Kardinal- mationen aus erster Hand mit eigenem unserer Inhalte können aber auch online tugenden sind Fleiß und Glaubwürdigkeit, unverwechselbaren Blick. Hörerinnen und genutzt werden. Radio, wie es der BR an- er hat einen Hass auf das Vorurteil und Hörer wissen, dass sie sich auf diese Infor- bietet, ist eine ergiebige Quelle für „publi- eine nimmer endende Liebe zum Leser.“ mationen verlassen können. zistischen Mehrwert“, als Textquelle oder Dem ist nur hinzuzufügen: Das gilt auch als podcast, zu finden unter br.de. für Hörer.

Der BR möchte auch im Internet seine Informationskompetenz hervorheben, was ist hier geplant? Ein zentrales Aktualitätsangebot, in dem alle Informationen und Hintergrundbe- richte des BR gebündelt und klar aufzufin- den sind. Dieses Aktualitätsportal wird von den Redaktionen, die für Informatio- nen im Hörfunk und im Fernsehen stehen,­ gemeinsam erstellt – B5 aktuell, die „Rund­­- schau“ und das BayernCenter sowie die Onlineredaktion. Bisher musste man diese Informationen auf verschiedenen Seiten zusammensuchen.

37 Programmwert Qualitätsjournalismus

Früh am Morgen im Badezimmer beginnt der Alltag eines Nachrichtenchefs

Peter Biermann

Mein Tag als Chef vom Dienst (CvD) beginnt im Badezimmer, cher machen sollten? Haben wir schon konkrete Zahlen, was die pünktlich um 4.00 Uhr morgens. Dann schalte ich das Radio ein ausgefallenen Schulstunden betrifft? Wir wägen ab und diskutie- und höre auf Bayern 3 die Nachrichten, erstellt von einem Nacht- ren, welches Thema wo seinen Platz finden soll. Am Ende landen schicht-Kollegen aus meiner Redaktion. Ein erster Überblick,­ der Euro und Griechenland wieder einmal auf Platz eins, aber auch was der Tag an Ereignissen bereithält. die Themen aus Bayern bekommen einen prominenten Sendeplatz.

Knapp eine Stunde später sitze ich an meinem Platz im Sende- Koordination und Absprache – das sind die zentralen Aufgaben komplex von B5 aktuell und jetzt geht es ins Detail. Wie ist die des CvD von B5 aktuell. Nicht nur mit den Nachrichten-Kollegen Nachrichtenlage genau? Dutzende Agenturmeldungen und Be- stimme ich mich ab, sondern natürlich auch mit den B5-Moderato- richte der BR-Korrespondenten lesen; das Material sichten, wel- ren und mit den Redakteuren, die zuständig sind für unsere Sen- ches die B5-Planungsredakteure für den Tag vorbereitet haben. deplätze Bayern, Wirtschaft, Kultur und Sport. Was ist konkret auf Dabei kristallisieren sich schon die wichtigsten Themen heraus: jedem Platz geplant, welches Thema ist so wichtig, dass es auch der Dauerbrenner Griechenland, die Lage in Syrien, Zahlen aus einmal im Info-Block laufen sollte? Ein kurzes Gespräch mit jedem dem Kultusministerium zum Thema ausgefallene Schulstunden Kollegen, dann noch schnell ein Telefonat mit dem Hauptstadt- und der Produktionsstopp in einer Großbäckerei in Bayern. studio in Berlin. Der dortige Früh-Redakteur bereitet schon einen Beitrag vor über die Initiative einer Gruppe von CDU-Politikern, Welches Thema hat für unsere Hörer in Bayern welches Gewicht, Kinderlose stärker zur Kasse zu bitten. Auch dieses Thema plane welche Ereignisse werden heute den Tag prägen? Das bespreche ich in den ersten Info-Block ein. Nur noch zwanzig Minuten bis ich jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen, die ein paar Schritte zum Sendestart: Jetzt muss ich zügig daran gehen, mir die Bei- von meinem Arbeitsplatz entfernt die „klassischen“ Nachrichten träge anzuhören, die wir gleich senden werden. Im Schnelllauf für alle BR-Programme schreiben. Gibt es zu Griechenland wirklich wird ein „Audio“ nach dem anderen gecheckt. Fehler entdecke ich so viel Neues und Wichtiges, dass wir die Euro-Krise zum Aufma- ganz selten – die Studioredakteure haben gute Vorarbeit geleistet.

38 Qualitätsjournalismus Programmwert

Im Schnelllauf wird ein „Audio“ nach dem anderen gecheckt. Fehler entdecke ich ganz selten – die Studio­ redakteure haben gute Vorarbeit geleistet.

Per „Drag-and-drop“ am PC-Bildschirm wird der Sendeplan für die wo heute die Schwerpunkte der Berichterstattung in Bayern erste halbe Stunde ab 6.00 Uhr zusammengestellt – und dann liegen. Und immer wieder eine kurze Beratung mit den eigenen kann es losgehen. Der CvD hat jetzt erst einmal etwas Zeit, er kann Nachrichtenredakteuren: Wie ist die aktuelle Lage, stimmt die die eigene Sendung verfolgen, hören, ob die Moderationen zu den Reihenfolge unserer Themen noch? Kurz vor 10.00 Uhr entschei- Beiträgen passen, ob die Reihenfolge der Themen passt, ob die den wir uns, den Aufmacher zu wechseln: Ab sofort steht das Sendung „rund“ läuft. Dann aber muss schon die nächste halbe soeben ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Stunde geplant werden. Wieder Agenturmeldungen sichten, was Professoren-Gehältern ganz oben. hat sich getan, gibt es erwähnenswerte neue Ereignisse? Muss man möglicherweise einen Korrespondenten aus dem Bett klin- Die Redaktionskonferenz – pünktlich um 10.05 Uhr – rundet das geln und um einen Bericht bitten? Welche Interviews sendet Frühprogramm ab: Die Chefredakteurin Mercedes Riederer ist da- heute die „radioWelt“ auf Bayern 2, die man nachrichtlich verwer- bei, der Redaktionsleiter Max Stocker und alle an der Sendung Be- ten könnte? Und was plant das ARD/ZDF-Morgenmagazin, welche teiligten. Was ist gut gelaufen, was nicht so gut: Es gibt detaillierte Gespräche haben dort Informationswert? Auch wenn sich nicht Programmkritik und es wird debattiert, welche Themen B5 aktuell viel tut, wenn die Nachrichtenlage sich kaum verändert – eigent- an diesem Tag schwerpunktmäßig behandeln und eingehender lich ein Graus für Nachrichtenredakteure: Man kann immer wieder erklären sollte. Genau 25 Minuten ist für die Diskussion Zeit. Dann neue Aspekte finden, damit trotz Themenwiederholung im Halb- muss ich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz. Die Welt der Stunden-Takt das Programm frisch und neu klingt. Koor­dination Nachrichten dreht sich weiter; die nächste aktuelle Sendestunde und Absprache: So geht es auch in den Vormittag hinein. Gegen ist zu planen. 9.00 Uhr meldet sich der CvD des BR-Hauptstadtstudios und vereinbart mit mir die Beiträge, die den Tag über aus Berlin zu­ geliefert werden sollen. Kurz danach ein Gespräch mit einem­ Kollegen aus der Redaktion Landespolitik, in dem abgeklärt wird,

39 Programmwert Menschenwürde und Barrierefreiheit

„Ich taste mich an Grenzen vor.“ Ein Gespräch mit Evelyn Schels über Respekt und Vertrauen im Dokumentarfilm

Warum machen Sie eigentlich Dokumentarfilme? mal einen O-Ton hat und dann die Erzählerstimme aus dem „Off“ Der Dokumentarfilm bietet eine unglaubliche Authentizität. Ich kommt. Ich bemühe mich sehr darum, dass meine Protagonisten kann über Menschen Geschichten erzählen und diese dazu brin- von sich und von innen heraus erzählen. gen, dass sie sich selbst erzählen. Damit erlaube ich dem Betrach- ter, in eine andere Welt, in eine Familienkonstellation richtigge- Wie finden Sie Ihre Geschichten? hend hineinzublicken und diese Menschen zu erleben. Ich lerne Das ist ganz unterschiedlich. Ganz allgemein gesagt: Man hält die so auch, sie besser zu verstehen. Augen auf. Angefangen hat es damit, dass ich mich für Minder- heiten interessiert habe. Deshalb hab ich mich ja auch so für das Was bedeutet für Sie dabei „Haltung“? Porträt dieser algerischen Familie eingesetzt. Sie gehörte eben zu Auf jeden Fall muss man die Protagonisten mit größtem Respekt einer Gruppe von Menschen, von der ich glaubte, sie besser ver- behandeln. Die Haltung, die von mir eingenommen wird, vermit- stehen zu müssen. Ich finde, immer wenn kulturelle Überlagerun- telt sich ja indirekt: Was lasse ich die Leute sagen, wie stelle ich sie gen stattfinden, verschiedene Traditionen, z. B. eine östliche und dar, welche Auswahl der O-Töne treffe ich und wie vermitteln sie eine westliche zusammenkommen, dann entsteht ein sehr in­ sich dem Betrachter? Ich möchte, dass man gerade Minderheiten teressantes Spannungsfeld. Die Leute müssen sich neue Fragen zu verstehen lernt. Ich habe einmal eine algerische Familie in nach ihrer Identität stellen und sich neu verorten. Also, das sind Frankreich (Und die Liebe kommt später ... – Die Geschichte einer die Dinge, die mich sehr interessieren. Einwandererfamilie, BR 2007, 89 Min.) porträtiert , wo vieles we- gen der kolonialen Vergangenheit sehr viel dramatischer ist als Wie stellen Sie das Vertrauen zu Ihren Protagonisten her? in Deutschland. Ich glaube, dass man durch so eine Innenansicht Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass es entweder ziemlich einer Familie wiederum die große Geschichte besser verstehen schnell da ist oder aber es kommt nie, wobei mir letzteres, Gott sei lernt. Und der Mensch ist hier mehr als nur der „Araber“, der in Dank, noch nicht passiert ist. Bisher hat sich das Vertrauen immer kurzen Berichten oder Reportagen gezeigt wird, in denen er ein- eingestellt. In der Regel danken es einem auch die Menschen,

40 Menschenwürde und Barrierefreiheit Programmwert

Dokumentarfilme von Evelyn Schels: oben groß: „Barbara, die Frau des Yogi“ oben Mitte: „Aylin“ links: „Asiye und ihre Töchter“

41 Programmwert Menschenwürde und Barrierefreiheit

wenn man ihnen und ihrer Geschichte Aufmerksamkeit schenkt. ger Tiefenschärfe arbeite und das Team schön weit hinter mir Den Protagonisten gehört dabei meine ganze Empathie. Ich will habe. Ich selber bin dicht dran am Protagonisten. So versuche ich sie verstehen und sie durch den Film begleiten. Das hat natürlich die Zumutungen eines Drehs aufzulockern. Der Protagonist muss mit Vertrauen zu tun. Ich bemühe mich, sehr behutsam vorzuge- sich natürlich wohlfühlen. Das ist ganz wichtig. hen. Ich falle nicht mit der Tür ins Haus. Man muss Vertrauen aufbauen, durch Verständnis und Einfühlsamkeit. Menschen ha- Aber wenn Sie dann an einen Punkt kommen, wo es dem Pro- ben ein sehr feines Gespür, ob sie einem vertrauen können oder tagonisten weh tut, hören Sie dann auf oder machen Sie weiter? nicht. Das darf man nicht unterschätzen; und das hat nichts Nein, ich höre dann auf. Da gibt es für mich Grenzen. Es geht ja mit Intellekt oder Bildungsgrad zu tun. immer um die Konflikte und Brüche der Menschen, insbesondere bei den „Lebenslinien“. Da muss ich mich einfühlen. Ich möchte Sind Sie schon einmal einem „Schauspieler“ unter Ihren Prota- nicht, dass die Leute vor der Kamera in Tränen ausbrechen und gonisten aufgesessen, jemandem, der Sie in die Irre führen wollte, sich nicht mehr halten können. Das finde ich, geht nicht, das lehne einem Aufschneider oder Schwindler? ich ab. Ich bin keine Psychotherapeutin. Es ist sehr hart, das dann Nein. Das hält keiner lange durch. Dazu sind die Dreharbeiten aufzufangen, denn ich taste mich ja an Grenzen vor. zu intensiv. Selbst bei Leuten, die berühmt sind und die natürlich immer darauf bedacht sind, dass sie gut wegkommen. Es ist eben Das könnte aber für die Story doch besser sein? eine Frage des Vertrauens; und selbst, wenn Fragen nicht beant- Nicht unbedingt. Nein. Ich bin der Meinung, dass auch sehr viel wortet werden oder der Protagonist gereizt schaut und sagt: zwischen den Zeilen und auch assoziativ möglich ist. Ich muss die „Da sage ich jetzt nichts dazu“, dann ist das auch eine Aussage. Menschen nicht vorführen und das würde ich auch ablehnen. Also dazu respektiere ich sie zu sehr. Ich bin nicht der Meinung, dass Und ist es vorgekommen, dass Sie schon einmal instrumen- eine Geschichte interessanter und tiefer wird, wenn ein Mensch in talisiert wurden? Tränen aufgelöst gezeigt wird. Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Das habe ich noch nie so empfunden. Wenn einmal eine Träne fließt, dann ist das nicht das Problem.

Instrumentalisieren Sie die Menschen? Was wünschen Sie sich als Filmemacherin? Nein, auf keinen Fall. Meine Protagonisten und ich, wir haben ein Ich wünsche mir, dass ich weiterhin bei den „Lebenslinien“ und gemeinsames Ziel. Den bestmöglichen Film zu machen. Aber ich beim Dokumentarfilm für den BR die Produktionsbedingungen würde das niemals als instrumentalisieren bezeichnen. vorfinde, die es ermöglichen, hochqualitative Filme zu produ- zieren. Ich wünsche mir, dass das erhalten bleibt und weiterhin Für wen machen Sie Ihre Filme? im BR geschätzt wird. Dass wir Geschichten erzählen dürfen, die Für den Zuschauer. Ich muss doch alles dafür tun, dass der Zu- über Grenzen blicken, die thematisch eine Offenheit beinhalten. schauer die Protagonisten mag. Dass er Lust bekommt, sich auf Ich finde das ganz, ganz wichtig, und ich denke, das wird vom Zu- diese Reise zu begeben. Dass er Lust hat, in ein Leben oder eine schauer auch angenommen. Man hat mit dem Dokumentarfilm Familie deutlicher hineinzublicken. Ich bin ja als Zuschauer auch im Unterschied zur journalistischen Reportage ganz andere erzäh- gnadenlos. Wenn mich ein Film nach 20 Minuten immer noch lerische Möglichkeiten. Große gesellschaftliche Fragen können von langweilt, dann kann es schon sein, dass ich aus dem Kino gehe innen heraus erzählt werden. Um es deutlich zu machen: Wenn oder den Fernseher ausschalte. Ich finde das ganz wichtig. Ich man bei 100.000 Opfern sagt, es seien 100.000 Opfer, dann bleibt könnte auch sagen, ich will auf eine gewisse Art und Weise un- das lediglich eine Zahl. Wenn ich mir aber eine Lebensgeschichte terhalten. Warum auch nicht? aus den vielen herausgreife, diese mit allen Hintergründen inten- siv erzähle, wie die über den versuchten Ehrenmord an Aylin, dann Beschleicht Sie nicht manchmal das Gefühl, dass Sie Ihren ist das eben nicht nur eine weitere Geschichte zum Thema Ehren- Protagonisten sehr viel zumuten? mord, sondern es wird zu einer ganz eigenen. Wir fühlen mit ihr Das ist eine Frage, die ich mir selbst manchmal stelle und ich ent- mit, und sie zeigt uns ihre Stärke, und wir verstehen danach ein- schuldige mich dann auch und sage: „Entschuldigung, wir sind fach mehr. Weil es einen intimeren Blick gestattet. Den herzustel- jetzt wie eine Invasion in Ihre Wohnung eingedrungen. Aber wir len erfordert Zeit und Einfühlungsvermögen und auch die Mög- machen alles wieder ordentlich.“ Ich möchte keine Zumutung sein lichkeit, dass ich so arbeiten kann, wie ich arbeiten muss. und ich erkläre deshalb immer, warum etwas notwendig ist. Ich schränke auch die Technik ein, weil ich nicht der Meinung bin, dass Gibt es denn eine Gefahr, dass man so nicht mehr arbeiten kann? große Technik den Film besser macht. Ich richte es sehr gerne so Ja. Ich habe auch für andere Fernsehsender und Redaktionen ge- ein, dass die Kamera möglichst weit weg ist, sodass ich mit gerin- arbeitet. Es gibt Formate, wo alles sehr, sehr schnell gehen muss.

42 Menschenwürde und Barrierefreiheit Programmwert

Da erreicht man natürlich nicht diese Intensität. Man erreicht Lebenslinien auch nicht diese Vielschichtigkeit. Das ist sehr schade; denn ich habe ja auch eine Verantwortung gegenüber meinen Protagonis- Prägende Programmfarbe des Bayerischen Fernsehens ten. Ich kann denen ja nicht sagen, die Konditionen waren nicht ist die Reihe „Lebenslinien“. Deren guter Ruf reicht so gut, deshalb bekommen sie einen schlechten Film oder einen weit über die Landesgrenzen hinaus, ihr hohes Quali- mäßigen oder einen hingeschluderten. Das geht nicht. Man sollte tätsniveau wurde mehrfach ausgezeichnet. Gegen- sich schon überlegen, warum so etwas nötig ist beim öffentlich- stand der Sendereihe ist das menschliche Leben in rechtlichen Fernsehen. Das muss eigentlich nicht sein. Wir sind ja seiner Vielfalt. Erzählt werden Geschichten von schließlich kein Privatfernsehen und von Werbeeinnahmen ab- Menschen in Bayern und anderswo. Jeder Film folgt hängig. Wir sollten unseren Zuschauern doch das Bestmögliche den Wegen einer einzelnen Person und beleuchtet bieten. die besonderen Ereignisse und Einflüsse, die in ihrem Leben von entscheidender Bedeutung waren oder Heißt das für Sie als Filmemacherin, dass Sie mehr Zeit brauchen? immer noch sind. Einfühlsam und fern jeglicher Sen- Ich brauche nicht mehr Zeit, aber ich brauche die Zeit, die ich bei sationsgier wird gezeigt, wie dieser Mensch mit den „Lebenslinien“ und beim großen Dokumentarfilm im Moment Brüchen, Wendepunkten, Irrwegen, Hoffnungen und zugestanden bekomme. Wenn man die Möglichkeit hat, genauer Enttäuschungen umgegangen ist. Letztlich geht zu drehen und im Schnitt fünf Tage mehr hat, lohnt es sich. Ein es darum, wie jeder sein Leben meistert. Film wird dann besser. Oft sind es Winzigkeiten: ein kleine Umstel- lung in der Szenenabfolge, ein Satz an einer anderen Stelle. Das ist wie bei einem Diamanten, der geschliffen wird.

Verstehen wir die Welt dann besser? Ja. Der Dokumentarfilm ist – wenn man das Handwerk gut be- herrscht – ein großartiges Mittel, um die Welt besser zu verstehen, um den Zuschauer auf die Reise mitzunehmen und ihm fremde Welten zu zeigen.

Das Gespräch führte Mario Beilhack

Evelyn Schels ist eine gefragte Autorin. Ihre Spezialität: doku- mentarische Essays und Porträts u. a. für die „Lebenslinien“. Ihren ersten Porträtfilm für die Redaktion hat sie 1997 über eine Ballettmeisterin des Pariser Variété-Theaters Moulin Rouge gedreht. Mehr als zehn weitere „Lebenslinien“ sollten bis heute folgen. In all diesen Filmen zeigt sich die besondere Qualität der Autorin: die fast schon in- time Nähe zu ihren Protagonisten, die uns Zuseher nicht unberührt lässt. Zuletzt waren von ihr die „Lebenslinien“ „Ich bin stolz auf meinen Dialekt“ und „Aylin“ sowie „Salz im Mokka“, ein 90-minütiger Dokumentarfilm über eine türkische Einwanderer- familie, im Bayerischen Fernsehen zu sehen.

43 Programmwert Menschenwürde und Barrierefreiheit

Barrierefreies Fernsehen und Internet

Gabriele Krüger

Im Gegensatz zu anderen ARD-Sendern besteht das barrierefreie sehgottesdienste an Sonn- und Feiertagen. Hinzu kommen Volks- Angebot des Bayerischen Fernsehens nicht „nur“ aus Sendungen theater-Programme wie „Chiemgauer Volkstheater“ und „Der mit Videotext-Untertiteln, sondern auch aus einem großen An- Komödienstadel“ sowie Volksmusiksendungen wie „Melodien der gebot von „Hörfilmen“ (Audiodeskription). Zudem produziert und Berge“. Im Ersten Programm strahlt der Bayerische Rundfunk finanziert der Bayerische Rundfunk als einzige Landesrundfunk- u. a. folgende Sendungen mit Untertiteln aus: Fernsehfilme (ein- anstalt die Sendereihe „Sehen statt Hören“, die kostenfrei von schließlich „Tatort“ und „Polizeiruf“), Dokumentationen, ARD- allen Dritten Programmen übernommen wird. Ratgeber Geld und Gesundheit und auch die politischen Magazine „Weltspiegel“, „Report München“ und „plusminus“, sowie das Kulturmagazin „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“. Außerdem Videotext-Untertitelung Volksmusiksendungen wie „“. (für Gehörlose und Schwerhörige)

Das Bayerische Fernsehen hat das Volumen der Videotext-Unter- Audiodeskription/Hörfilme titelung im Jahr 2011 noch einmal ausgeweitet. Gegenüber dem (für Blinde und Sehbehinderte) Vorjahr 2010 betrug der Zuwachs rund 10 Prozent. Seit 2007 (73.000 Sende-Minuten mit VT-Untertiteln) wurde das Angebot Auch in Sachen Audiodeskription/Hörfilme hat der Bayerische mehr als verdoppelt: auf nunmehr ca. 180.000 Minuten Programm Rundfunk sein Leistungsvolumen erheblich gesteigert, von 2.500 mit Videotext-Untertiteln. Derzeit liegt der Anteil der für die ge- Minuten Neuproduktion im Jahr 2007 auf jeweils rund 4.000 hörlosen und hörbehinderten Zuschauerinnen und Zuschauer bar- Sendeminuten in den Jahren 2009 und 2010, also um rund 60 Pro- rierefrei zugänglichen Sendungen im Bayerischen Fernsehen im zent. Der Anteil der Hörfilme im Bayerischen Fernsehen liegt der- Hauptabendprogramm (zwischen 18.45 Uhr und 23.00 Uhr) durch- zeit im Hauptabendprogramm bei ca. 5 Prozent. Das Angebot um- schnittlich bei rund 75 Prozent und bei nahezu 40 Prozent im fasst vor allem Spiel- und Fernsehfilme, da bei diesen ohne die Gesamtprogramm. Das Angebot umfasst die erfolgreichsten Sen- Bildinformation das größte Verständnisdefizit in der Zielgruppe dungen des Bayerischen Fernsehens aus den Bereichen Bildung, der Sehbe­hinderten und Blinden herrscht. Bestückt werden somit Information und Unterhaltung, wie z. B. die Hauptausgabe der im Bayerischen Fernsehen besonders die Sendeplätze am Dienstag „Rundschau“ um 18.45 Uhr, alle Magazine und Dokumentationen und Mittwoch ab 21.45 Uhr und samstags ab 20.15 Uhr. Im Ersten auf dem 19.00- und 21.15 Uhr-Sendeplatz sowie Fernsehfilme und werden neben den Spielfilmterminen regelmäßig die Sende-­ Serien, die Daily „Dahoam is Dahoam“, aber auch Reportagen, Live- plätze am Sonntagabend (Tatort- und Polizeiruf-Erstsendungen) Sendungen wie „Fastnacht aus Franken“ und regelmäßig Fern- und am Mittwochabend (Fernsehfilm der Woche) bestückt.

44 Menschenwürde und Barrierefreiheit Programmwert

Auch in Sachen Hörfilme hat der Bayerische Rundfunk sein Leistungsvolumen erheblich gesteigert.

Wöchentliche Sendereihe Punkten erhalten. BIK ist ein Gemeinschaftsprojekt des DBSV „Sehen statt Hören“ (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.), des DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Als einziger Sender produziert und finanziert der Bayerische Rund- Beruf e. V.) und der DIAS GmbH. Das Projekt wird durch das Bun- funk darüber hinaus die wöchentliche Sendereihe „Sehen statt desministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Mit dieser Be- Hören“, die neben Untertiteln auch Ton und Gebärdensprache an- wertung gilt br.de als „gut zugänglich“ und erfüllt in hervorra­ bietet, sodass Menschen mit Hörbehinderung, die sich durch die gender Weise eines der zentralen Ziele des Relaunches. Natürlich zuweilen schnelle Textfolge überfordert sehen, auch die Möglich- darf auch hier die Entwicklung nicht stehen bleiben. Der Ausbau keit haben, am politischen, religiösen, kulturellen, sportlichen und der medialen Angebote im Internet sowie auch deren Verbreitung­ gesellschaftlichen Geschehen teilzunehmen. Der Bayerische Rund- über mobile Endgeräte muss möglichst barrierearm erfolgen und funk beschäftigt für die Sendereihe auch Hörgeschädigte und darf nicht zum Ausschluss von ganzen Bevölkerungsgruppen zwei Gebärdendolmetscher, um ein authentisches und auf die Ziel- führen. Darin liegt auch künftig eine große Herausforderung für gruppe optimal abgestimmtes Angebot bieten zu können. Zwar den Bayerischen Rundfunk. wird die Sendereihe von allen Dritten Programmen übernommen, doch die Finanzierung liegt fast ausschließlich beim Bayerischen Rundfunk.

Barrierefreies Internet und Trimedialität

Ein möglichst barrierearmer Zugang zu br.de war auch eines der zentralen Ziele des Relaunches im Frühjahr 2008. Im Rahmen der technischen und finanziellen Möglichkeiten hat die Multimedia- abteilung den Webauftritt des Bayerischen Rundfunks grundsätz- lich überarbeitet und dabei insbesondere den Bedürfnissen be­ hinderter Menschen Rechnung getragen. Das Angebot von br.de wurde 2008 vom Projekt „barrierefreiheit informieren und kom- munizieren“ (BIK) geprüft und hat 93,25 von 100 möglichen

45 Programmwert Programmvielfalt

Wenn im Hotroom die Temperatur steigt … … fallen draußen die Tore – Einblick in einen ganz normalen Fußballbundesliga-Samstagnachmittag von Heute im Stadion.

Lutz Bäucker

46 Programmvielfalt Programmwert

Fußballbundesliga, Saison 2007/2008. Am 29.03.2008 spielt der 1. FC Nürn- berg gegen den FC Bayern München. Die Moderatoren Edgar Endres (links) und Wolfgang Reichmann (rechts).

„Toooor in Nürnberg! Der Ausgleich für die Bayern! Führung für heiten: „Du, unseren Experten, den Olaf Thon, den musst du heut’ den FC !“ Manchmal fallen sie fast gleichzeitig, die Tore auch auf den neuen Berliner Trainer ansprechen!“ Gegen 13.30 Uhr für die bayerischen Mannschaften in der Fußballbundesliga, zeichnet Moderator Uwe ein Telefoninterview mit Rachid Azzouzi dann überschlagen sich die Ereignisse, dann steigt bei allen Betei- auf – der Manager der SpVgg Greuther Fürth gibt Einblicke ins ligten von „Heute im Stadion“ auf Bayern 1 der Blutdruck, werden Seelenleben des fränkischen Aufstiegsaspiranten. Dann werden Leitungen „aufgerissen“, Kommandos geschrien und Reporter die Aufgaben verteilt: Produzent Achim Hofbauer bereitet witzige, von der Leine gelassen. Diese Sendung lässt keinen kalt, diese informative O-Töne vor, Mitarbeiterin Christine Kellermann küm- Sendung zeigt alles, was Radio ausmacht: direkt, schnell, hautnah mert sich unter anderem um die Dritte Liga. „ fällt aus, und emotional. Gänsehaut ist immer dabei, Samstag für Sams- zuviel Schnee im Jahn-Stadion!“ tag, zwischen 15.00 und 19.00 Uhr auf Bayern 1. Die Crew der Bayern 1-Techniker wird instruiert und informiert, Es fängt ganz harmlos an, kurz nach zwölf am Samstagmittag sie prüft ein halbes Dutzend Leitungen zu den ARD-Reportern in kommt der Moderator in das Großraumbüro von Bayern 1: Mal ist den Stadien der Republik: „Hallo, Edgar Endres in Nürnberg, ich hör es Christoph Deumling, mal Uwe Erdelt. Ihre wichtigste Modera- dich nicht! Wo ist der Siems? Kein Ton aus Leverkusen! Ja, Hans- tionsunterlage ist der „Laufplan“, in dem auf rund 20 Seiten genau Peter Pull in München, danke, der ist da!“ beschrieben wird, was in welcher Sekunde passieren soll: „15.00 Uhr 45 Minuten 00 Sekunden: Abruf Reporter Karlheinz Kas beim Spiel SC Freiburg gegen FC Bayern, Sprechdauer 45 Sekunden!“

Die Moderatoren markieren sich die Anweisungen mit verschie- denen Farben, sie haben umfangreiche Informationen über Spiele und Spieler auf Karteikarten oder Manuskripten notiert, ihr Kopf ist „vollgestopft“ mit Statistik, nicht zu vergessen Anekdoten und Sprüche aus der zurückliegenden Fußballwoche: „Haben wir den Original-Ton vom griechisch singenden Otto Rehhagel?“ will Uwe Erdelt von Regisseur Florian Hecht wissen. „Haben wir!“, nickt der, „senden wir um 15 Uhr und 6 Minuten – pünktlich!“ Beide gehen den in tagelanger Kleinarbeit erarbeiteten Laufplan durch, passen ihn an tagesaktuelle Ereignisse an und besprechen Fein-

47 Programmwert Programmvielfalt

Jetzt noch die 15.00 Uhr-Nachrichten, dann ist es soweit – „Heute Beide Moderatoren verlassen sich blind auf ihr Team – anders im Stadion!“ ist „on air“, der erste Reporter meldet sich gleich live: geht’s gar nicht. „Kopilotin“ Sonja Weinfurtner sitzt immer direkt „In Mönchengladbach geht’s um die Wurscht – ich bin für Sie da- neben ihnen im Studio und füttert sie mit Toren, Zeiten und an- bei!“ ruft Wolfgang Reichmann ins Mikrofon. 25 Minuten später deren spielrelevanten Infos. Im „Hotroom“ steigt die Temperatur schaltet Bayern 1 in die Augsburger Arena: „Gerade pfeift der bis hin zur längst legendären ARD-Schlusskonferenz ab 16.55 Uhr – Schiedsrichter die Partie an“, schildert Reporter Thomas Katten- da sind alle Reporter zusammengeschaltet, sie dürfen sich ins beck die Szenerie, „der FCA muss heute endlich 3 Punkte holen!“ Wort fallen, wenn ein Tor fällt, ein Elfer gepfiffen wird, ein Spieler Nach 45 Sekunden ist Schluss mit Augsburg, „Heute im Stadion“ vom Platz fliegt. Reihum kommt jeder dran, für ein paar dichte, ruft Armin Lehmann auf Schalke, der darf 1 Minute und 30 Sekun- hoch emotionale Sekunden, die Bälle fliegen förmlich durch die den reden, danach ist – exakt um 15.36.00 Uhr – Detlev Lindner mit Luft. Je plastischer die Bilder der Radioreporter ausfallen, desto dem VfB dran, aber nur 35 Sekunden lang; denn plötzlich schreit besser können sich Hunderttausende von „Heute im Stadion“- Karlheinz Kas in Freiburg: „TorTorTor – Führung für die Bayern!“ Hörern vorstellen, was da gerade in den Stadien der Fußballbun- desliga passiert. Es wird gejubelt und gebrüllt, spitze Schreie fallen Die Sendung nimmt Fahrt auf: Hörer-Reaktionen werden einge- wie plötzliche Tore, Wortkaskaden rauschen wie scharfe Schüsse spielt, Uwe Erdelt würzt seine prägnanten Ausführungen mit rein ins Gehirn des Zuhörers – die Schlusskonferenz ist einfach diversen Original-Aussagen – ein Knopfdruck genügt, um sie abzu- das Herzstück der Sendung. Ihretwegen sitzt das Schulkind ge- spielen, das volldigitalisierte Bayern 1-Studio macht’s möglich. Der nauso wie der Ministerpräsident vorm Radio, schalten Menschen Regisseur hört fünf Reporterleitungen gleichzeitig ab, er muss weltweit ihr Internet ein und fiebern mit. blitzschnell Entscheidungen treffen: „Tor in Berlin, wir gehen rüber zu Guido Ringel! Nein, halt, Elfmeter für den Club, bitte Eddi!“

48 Programmvielfalt Programmwert

Fünf Fragen an …

Werner Rabe, Leiter des Programmbereichs Sport und Freizeit

Herr Rabe, Sie sind für den Sport im Fern- WM in Ruhpolding, sondern zuvor auch der nur im Sport so speziellen Rechtelage. sehen und im Hörfunk zuständig. Wie schon die WM im Frauenfußball in Nicht alle diese Aktionen werden übrigens gestaltet sich die bimediale Zusammen-ar- Deutschland gezeigt haben. Außerdem von den Sportfans so belohnt, wie sie es beit der beiden Redaktionen? hatte der „Blickpunkt“ früher ein Alleinstel- verdient hätten! Ungeachtet der räumlichen Trennung – TV lungsmerkmal am Montag. Heute gibt in Freimann, HF im Funkhaus – ist die bi- es über das ganze Wochenende verteilt Ob Fußball, Biathlon oder Ski Alpin, mediale Arbeit in den letzten Jahren lang- Talkrunden und Stammtische, haben die Spitzensport ist nicht nur hochprofessio- sam, aber sicher in Schwung gekommen Zeitungen ihr Sportangebot speziell mon- nell, sondern auch hochkommerziell und und hat sich in erster Linie bei Großereig- tags erheblich ausgeweitet und informie- damit auch anfällig für Skandale. Was nissen schon bewährt, wie zuletzt bei der ren sich mehr und mehr Menschen über bedeutet für Sie journalistische Qualität Biathlon-WM in Ruhpolding, als wir sogar Internet etc. Wir haben die Herausfor­ in der Sportberichterstattung und wie mit dem Livestream der Siegerehrungen derung „prime time“ angenommen, ob- gewährleisten Sie diese? schon trimedial gewesen sind, aber auch in wohl die zweite Liga gegen uns Fußball Die Kommerzialisierung des Sports wäre der Vorbereitung auf die Olympischen spielt und viele Menschen um diese Uhr- ohne Fernsehen nicht möglich gewesen. Winterspiele 2012 in Sotschi mit der ARD- zeit selbst noch in den Sportvereinen oder Wir bezahlen teure Rechte, um Topevents Federführung durch den Bayerischen Sportstudios aktiv sind. Wir müssen unser zu übertragen und auf Skandale zu reagie- Rundfunk. Profil verschärfen und hätten nichts gegen­ ren, wie wir es etwa im Radsport getan ha- eine etwas spätere Sendezeit einzuwen- ben. Es gilt den Spagat zwischen Präsenta- „Blickpunkt Sport“ am Montagabend – den, obwohl auch dann die Konkurrenz tion des Sports und der kritischen journa- über Jahrzehnte ein Muss für Sport- und groß sein würde. listischen Begleitung Tag für Tag zu schaf- Fußballfans – schwächelt. Haben sich fen. Auch das oft im Widerspruch zu einem die Fernsehgewohnheiten der Zuschauer Die Berichterstattung von großen, weit weniger kritischen Sportpublikum. verändert? Was braucht die Sendung – nationalen oder internationalen Sport- einen neuen Sendeplatz, ein neues Profil? events dominiert die Medien. Welche Rolle Digitalisierung und die Verbreitung des Die Zuschauer wollen Livesport, wollen spielen beim BR der Breitensport bzw. Internets sorgen für eine Vielfalt von Eventfernsehen, wie nicht nur die Biathlon- die regionale Sportberichterstattung? konkurrierenden Angeboten in der Sport- Wir leisten uns „Telegym“, das Magazin berichterstattung. Wie reagieren Sie als „freizeit“, die Kultsendung „Bergauf-Berg-­ Sportchef des BR auf diese multimediale ab“, die gesplittete „Sport in Bayern“-Sen- Angebotsvielfalt? dung aus München und Nürnberg und sind Wir wollen und werden multimedial dabei auch bei Sonderaktionen wie „Lauf 10“ der sein – soweit es uns möglich und erlaubt Kollegen der „Abendschau“, der BR-Radl- ist. Mein Traum in naher Zukunft: eine Tour oder der Medienpartnerschaft mit „Blickpunkt Sport“-App! den Special Olympics sogar live dabei. Im Fernsehen, im Hörfunk und online. Wer au- ßer uns berichtet über rund 50 Spor­tarten im Jahr? Mehr geht da nicht, auch wegen

49 Programmwert Programmvielfalt

Total lokal: Ein Tag hinter den Kulissen bei on3-südwild in Nürnberg on3-südwild, das junge TV-Programm des Bayerischen Rundfunks sendete bis 2012 jede Woche aus einer anderen Ecke Bayerns

Markus Putz

In 40 Städten pro Jahr macht der on3-Sendebus halt. Das Team reist seit 2008 durch alle bayerischen Regierungsbezirke und setzt zusammen mit jungen Leuten aus den Orten die Themen um, die in der Region im Gespräch sind und die Leute an dem Tag bewegen.

Seit 2010 ist auch on3-Moderatorin Sandra Rieß mit an Bord. Im Wechsel mit dem Moderatorenpaar Andi Poll und Vivian Perkovic ist Sandra Rieß mit Simon Schneller alle zwei Wochen mit dem 15-köpfigen Team und dem on3-Sendebus in einer anderen bayeri- schen Stadt zu Gast. Sandra Rieß und das Team nahmen uns in der Sendewoche aus Nürnberg einen Tag lang mit hinter die Kulissen der Live-Produktion.

9.00 Uhr Milchkaffee und Müsli – Der Tag am Sendeort Nürnberg beginnt für on3-Moderatorin Sandra Rieß und das Sendeteam mit einem gemeinsamen Frühstück im Hotel. Eine Woche im Sendeort leben und arbeiten hat für Sandra Rieß einen besonderen Charme: „Wenn ich mit „on3-südwild“ unterwegs bin, erinnert mich das ein bisschen ans Schullandheim. Kollegen fühlen sich nicht an wie Kollegen. Es ist ein großer Roadtrip mit Freunden durch Bayern.“

50 Programmvielfalt Programmwert

9.45 Uhr „Ich bin vor jeder Sendung ein bisschen nervös. Nur so kann ich Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem on3-Sendebus, schaut mich gut konzentrieren“, verrät Moderatorin Sandra Rieß. sich Sandra Rieß gerne noch die Stadt an: „So bekomme ich mit, was die Themen und Hotspots der jungen Leute in der Stadt 16.45 Uhr sind …“ Oft erhalte ich auch Anregungen für Moderationen oder Während der Live-Sendung steuert der verantwortliche Redakteur Interviews. So eine Recherche kann kein Mensch vom Telefon im Sendezentrum Freimann die Sendung und hält per Knopf im in München aus machen!“ Ohr Kontakt zu den Moderatoren vor Ort.

10.00 Uhr 17.00 Uhr Die Lokalzeitung ist tägliche Pflichtlektüre. Ein kurzer Plausch Lokale Musik am on3-Sendebus. Die gemeinsame Musikredaktion mit den Einwohnern ist für Sandra Rieß aber noch eindrucksvoller: von on3-radio, „on3-startrampe“ und „on3-südwild“ recherchiert „Wenn ich mit Leuten vor Ort quatsche, erzählen sie aus dem die größten Talente der Region, die dann die Chance zu Auftritten Bauch heraus, was sie ärgert oder begeistert. Heiße Adresse: der im Fernsehen, im Radio und auf on3.de bekommen. So manche Zeitungsverkäufer am Kiosk. Der kriegt immer den Gossip einer bayerische Newcomer-Band hatte ihren ersten TV-Auftritt bei Stadt mit.“ Der on3-Sendebus auf dem Nürnberger Aufseßplatz: „on3-südwild“. eine Woche lang ist er Arbeitsplatz des Teams, Anlaufstelle für Interessierte aus dem Ort und Schaltzentrale für die Live-Sendung. 17.05 Uhr Der Doppeldeckerbus ist ausgestattet mit einer kompletten Nach dem Auftritt geht es zum Interview. Die Newcomer-Bands Sende- und Tonregie, Schnitträumen, Arbeitsplätzen und Inter- können nicht nur ihre Musik einem großen Publikum präsentieren, netterminals. sondern auch ihre Meinung sagen.

10.30 Uhr 17.29 Uhr Telefonkonferenz mit dem verantwortlichen Redakteur in Mün- Junge Leute aus dem Sendeort bestimmen die Themen und kön- chen: Das Team entscheidet sich, das aktuelle Thema „Finanzkrise“ nen sich vor Ort in die Live-Sendung einbringen, per Webcam, heute in die Sendung zu nehmen. über soziale Netzwerke und natürlich auf on3.de. „Leute spontan in die Live-Sendung einzubeziehen, ist das Spannendste an „on3- 11.00 Uhr südwild“. So passieren Sachen, die du als Moderatorin nicht Aktuelle Themen lokal umgesetzt: Sandra Rieß und VJ Tatjana geplant hast – immer eine Herausforderung!“ Alekseeva drehen in der Nürnberger Innenstadt eine Umfrage: Wie fühlen sich die jungen Nürnberger von der Finanzkrise betroffen? 17.35 Uhr Allen Interessierten steht der on3-Sendebus offen. Sandra Rieß 12.30 Uhr führt zwei Nürnbergerinnen durch die kompakte Regie im oberen Zurück am on3-Sendebus: Das Team geht die Sendung noch ein- Stockwerk des Doppeldeckerbusses. „Die am häufigsten gestellte mal durch und legt Kamerapositionen fest. Frage der Leute: Schlaft ihr eigentlich in dem Bus? Die Antwort: Neiiiin!“ Trotz wochenlanger Planungen ist viel Platz für Spontanes: Ein junger Nürnberger Filmemacher bringt dem Team seinen neuen 17.45 Uhr Kurzfilm vorbei. Nach einer redaktionellen Prüfung steht fest: Der Gleich nach der Sendung schalten sich die Regie-Crew in Frei- Film wird in der heutigen Sendung laufen, der Filmemacher als mann, die Redaktion in München und das Sendeteam in Nürnberg Gesprächspartner eingeladen. zur Kritik-Konferenz am Telefon zusammen: Was lief gut? Was kann man in Zukunft noch besser machen? 14.00 Uhr Probedurchlauf der Sendung: Die Lichttechniker sorgen dafür, dass 19.00 Uhr die Moderatoren ins rechte Licht gesetzt werden. Letzter Schliff Gebackener Fränkischer Karpfen und Kellerbier: Lokale Spezialitä- an den Moderationen. ten stehen auf dem Speiseplan beim gemütlichen Ausklang eines anstrengenden Arbeitstages. Nach einer Vorbereitungswoche in 16.29 Uhr der Redaktion heißt es für Sandra Rieß und das Sendeteam dann: „Noch 5 Sekunden“. Aufnahmeleiterin Iris Riedel zeigt den Mode- nächster Halt: Sonthofen. ratoren die letzten Sekunden vor der Live-Sendung an. Gleich sind die Themen aus Nürnberg eine Stunde live in BR-alpha zu sehen.

51 Programmwert Programmvielfalt

52 Programmvielfalt Programmwert

53 Programmwert Programmvielfalt

Die Große Passion Aufzeichnungen von Jörg Adolph über die Oberammergauer Passionsspiele

Am Anfang meiner Recherche für diesen Film steht der Spielleiter (so wird der Regisseur in Oberammergau genannt) Christian Stückl vor zahlreich erschienener Lokalpresse und erklärt, dass der Jesus bisher in Oberammergau für seinen Geschmack immer ein wenig zu heilsgewiss aufgetreten sei: „Der kam auf die Bühne, als hätte er einen Korken im Hintern, auf dem Ich-bin-der-Messias steht.“ Spätestens nach diesem Satz wollte ich unbedingt seine Neuinter- pretation des Passionsspiels filmisch begleiten.

In Oberammergau ist die Passion keine einfache Sache. Das ganze Dorf redet überall mit, streitet sich auf Teufel komm raus und fin- det schließlich doch für die eine, große Aufgabe zusammen. Na- türlich musste auch unser Filmprojekt erst vom Gemeinderat ge- nehmigt werden, und ehrlich gesagt verstehe ich bis heute nicht, warum ich als evangelischer Nordhesse den Zuschlag erhielt. Beim „Die Große Passion“ zeigt nun in unkommentierten Szenen Filmen waren wir dann stets mittendrin – und außen vor. Die die beständige Arbeit am Mythos. Dabei macht der Film die Brü- perfekte Position für einen beobachtenden Dokumentarfilm also. che hinter der Schauseite des Bibelspektakels zum System und demontiert allzu eingeschliffene Wahrnehmungen. Die Passions- Am Beginn der Dreharbeiten, die sich über einen Zeitraum von spiele in Oberammergau sind unter der Leitung von Christian zwei Jahren, 200 Drehtagen und mehr als 300 Stunden Filmmate- Stückl längst keine fromme Folklore mehr, sondern ein lebendi- rial erstreckten, sitze ich bei den Text-Diskussionen zwischen Spiel- ges Laboratorium, um das christliche Abendland und sein bestim- leiter Stückl und dem Dramaturgen Otto Huber und komme mir mendes Narrativ zu erforschen. Ich wollte einen ebenso analyti- vor wie in einem Bibelgesprächskreis mit Raucherlaubnis. Kaum schen wie liebevollen Film machen, der der geleisteten Arbeit zu glauben, dass hier gerade die Passionsspiele im Kern entstehen und der epischen Dimension der Oberammergauer Passions- und in diesem Qualm solche Gedanken möglich sind. Im wöchent- spiele angemessen ist und dabei immer wieder deutlich macht: lichen Jour fixe des Leitungsgremiums bewahrheitete sich, dass „Die größte Geschichte aller Zeiten“ ist alles andere als einfach rund um die Passionsspiele alles eine handfeste politische und zu erzählen. wirtschaftliche Dimension hat.

Das war ja vor 2000 Jahren in Jerusalem nicht anders. Wie also inszeniert man „Jesus in der Basisdemokratie“, ohne wieder mit großer Geste und viel Geschrei die Händler aus dem Tempel zu vertreiben? All diese unterschiedlichen Erwartungen, die auf dem Spielleiter lasten. Der unüberbrückbare Graben zwischen Traditio- nalisten und Reformern. Das ganze Welttheater im Dorf ... Längst sind die Spiele für Christian Stückl selbst zur Passion in jeder Bedeutung des Wortes geworden: Leidenschaft. Unbedingtheit. Sein Kreuz.

54 Programmvielfalt Programmwert

linke Seite: Filmregisseur Jörg Adolph führt selbst die Kamera. links: „Kreuzanprobe“ für die Kreuzigungsszene während der Passionsspiele unten klein: Spielleiter Christian Stückl und sein Jesusdarsteller in einer Probenpause unten groß: Inszenierung der Kreuzabnahme als Pietà-Darstellung

55 Programmwert Programmvielfalt

rechts klein: Regisseur Christian Stückl nimmt in den Proben selbst das Kreuz. unten groß: der Einzug von Jesus in Jerusalem am „Palmsonntag“ als Massenszene im Passionsspielhaus Oberammergau

„Die größte Geschichte aller Zeiten“ ist alles andere als einfach zu erzählen.

56 Programmvielfalt Programmwert

Fünf Fragen an …

Andreas Bönte, Programmbereichsleiter Planung und Entwicklung Bayerisches Fernsehen

Wo sehen Sie für Ihren Programmbe- erfüllt sehen. In Zuschauergesprächen Im Vordergrund stehen die unterschied­ reich in den nächsten Jahren die größte vor Ort, durch Studien der BR-Medienfor- lichen Nutzungsbedürfnisse im Tagesver- Herausforderung? schung, im Austausch mit der Wissen- lauf – und wir werden zukünftig noch Darin, das Bayerische Fernsehen als Voll- schaft und den Gremien als Vertreter der mehr versuchen, mit unseren zu Medien- programm im Markt zu positionieren – Gesellschaft erlangen wir noch mehr nutzern gewordenen Zuschauern in eine und zwar für eine Gesellschaft, die sich Einblick in Qualitätsurteile. Art von „Ko-Produktion“ einzusteigen. stark verändert hat. Die Zuschauer erken- nen das Bayerische Fernsehen sofort und Worin liegt der spezifische, gesellschaft- Wie sieht das Sendeschema des Bayeri- lieben es für sein „entschleunigtes“ Pro- liche Wert der Fernsehprogrammangebote schen Fernsehens im Jahr 2030 aus? gramm. Das heißt, wir müssen genauso des BR? Über das Sendeschema 2030 machen wir unverwechselbar bleiben und gleichzeitig Einerseits liegt der Wert in dem, was wir uns keine Gedanken, dazu sind die Ent- noch mehr innovatives und geistreiches machen; Angebote, die die Zuschauer eben wicklungen im Fernsehmarkt zu unvorher- Programm für alle anbieten. nur bei uns finden. Im Rundfunkgesetz sehbar. Entscheidend sind vielmehr die steht deutlich, welche Funktionen wir auf kommenden fünf Jahre. Hier arbeiten wir Wie prüfen und sichern Sie die Programm- diese Weise zu erfüllen haben: Wir stützen am optimalen Mix aus Konstanz und Flexi- qualität des Bayerischen Fernsehens? die Demokratie, weil wir unabhängige, bilität. Das heißt, wir brauchen weiterhin Zunächst, indem gut ausgebildete Men- umfassende und für die Menschen in Bay- feste Plätze, weil Fernsehen ein Gewohn- schen mit Gespür für Themen Programm ern relevante Informationen in unter- heitsmedium ist. Aber dazwischen müssen machen. Erfahrung und Bauchgefühl sind schiedlichsten Formen anbieten. Wir bilden wir flexibler werden, um den Zuschauern aber nur das eine – wichtig ist, dass wir und wir unterhalten. Andererseits liegt der immer wieder thematische Strecken uns laufend zu den Vorstellungen von Qua- Wert in dem, was wir nicht machen: Bei und auch Unerwartetes anbieten zu kön- lität rückversichern. Dank des Wertschät- uns werden die Zuschauer keine respekt- nen. Das Schema der Zukunft wird sich zungsindex-Verfahrens haben wir ein oder anspruchslosen Programme finden. vom klassischen Kästchendenken verab- Werkzeug, mit dem wir direkt bei den Zu- So übernehmen wir Verantwortung für un- schieden müssen, gerade weil Inhalte auf schauern erfragen können, ob diese unsere sere Gesellschaft. allen Wegen zum Zuschauer gelangen. Qualitätsmaßstäbe im Programm auch Mit welcher Strategie begegnen Sie den Herausforderungen der neuen digi­ talen Medienwelt? Wir werden auch zukünftig nur mit Topin- halten punkten können. Und diese Inhalte können dann auch gerne „anders daher kommen“ Dass alle Ausspielwege sich ver- zahnen, daran ist nicht zu rütteln. Aus die- sem Grund bleibt es auch so wichtig, dass wir auf allen Ausspielwegen vertreten sind. Aber das passiert „hinter den Kulissen“.

57 Programmwert Programmvielfalt

Außenstimme: Orientierung! – Für welche Gesellschaft? Für welches Publikum?

Eine erste Diagnose aus soziologischer Sicht

Wer nach der Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Asymmetrie gewöhnt waren, an die Asymmetrie nämlich, dass Fernsehens fragt, wird erwartbare Antworten bekommen – etwa in diesen Öffentlichkeiten sagbare Argumente, akzeptierte ästhe- der Art, dass die Öffentlichen anders als das kommerzielle Fern- tische Standards und die kollektive Agenda festgelegt werden. sehen eine Grundversorgung in Information, Bildung, Kultur und Traditionell hätte man wohl gesagt: Bürgerlichkeit unterwirft sich Unterhaltung sicherzustellen haben und zugleich eine Orientie- in der Öffentlichkeit einem Allgemeinen und erfährt gerade rungsfunktion für die Gesellschaft wahrnehmen. Letztlich ist darin ihre Freiheit. diesen Antworten nicht zu widersprechen. Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Orientierungsfunktion heute erfüllt werden Exakt diese Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Wir leben inzwischen kann – und dabei spielt nicht nur die Tatsache eine Rolle, dass die in einer „post-bürgerlichen“ Gesellschaft. Übrigens stimmt die öffentlich-rechtlichen Medien große Teile der Gesellschaft gar manchmal bequeme Diagnose nicht, dass der öffentlich-rechtliche nicht mehr erreichen. Als Formel kann wohl gelten: Je jünger und Rundfunk seine Orientierungsfunktion schon deshalb nicht mehr je bildungsferner das Publikum, desto weniger wird es durch die erfüllen kann, weil die Privaten sich ausbreiten. Mir scheint, es ist gebührenfinanzierten Medien erreicht werden. eher umgekehrt. Die Privaten breiten sich in dieser Weise aus, weil wir in einer „post-bürgerlichen“ Gesellschaft leben. Mehr noch als diese Diagnose spielt freilich die Frage eine Rolle, was Orientierung in der heutigen Gesellschaft bedeuten kann und Wie muss das gebührenfinanzierte Mediensystem darauf reagie- soll. Orientierung ist, zugespitzt formuliert, ein bürgerliches Kon- ren? Wie lassen sich „post-bürgerliche“ Gesellschaften orientieren? zept, ein Konzept der bürgerlichen Gesellschaft. Orientierung ist Darauf gibt es keine kurze Antwort und erst recht kein endgültig dabei kein einseitiges Geschehen; denn orientieren kann nur der, schlüssiges Konzept. Zumindest aber sollte die Diagnose ernst ge- der auf ein Publikum trifft, das orientiert werden will, das orien- nommen werden, dass man nicht mehr für eine bürgerliche tierbar ist. Bürgerliche Öffentlichkeiten waren noch Öffentlichkei- Öffentlichkeit plant. ten, in denen zweierlei möglich war: Einerseits waren es Öffent- lichkeiten, in denen die Selektion von gesellschaftlich relevanten Themen in Politik, Kultur und Unterhaltung vorgenommen wurde. Was relevant war, wurde durch diese Öffentlichkeit bestimmt. Andererseits waren es Öffentlichkeiten, die an eine eigentümliche

58 Programmvielfalt Programmwert

Orientierung ist, zugespitzt formuliert, ein bürgerliches Konzept, ein Konzept der bürgerlichen Gesellschaft.

Armin Nassehi Professor Dr. Armin Nassehi ist Soziologe und lehrt seit 1998 am Institut für Soziologie der Ludwig- Maximilians-Universität München. Zuletzt erschie- nen von ihm die Bücher „Gesellschaft verstehen. Soziologische Exkursionen“ sowie „Mit dem Taxi durch die Gesellschaft. Soziologische Storys“ (beide Murrmann Verlag, Hamburg) und bei Suhrkamp die Taschenbuchausgabe von „Der soziologische Diskurs der Moderne“ ( 2009).

59 Programmwert Programmvielfalt

Wertebild

„Programmwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

60

Bayernwert Bayern in seiner Vielfalt

bayernwert

Bayerischer Rundfunk – das ist nicht nur der Name einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk­ anstalt in Bayern. Beim BR handelt es sich um das Medienhaus für die Menschen in Bayern. Mit seinen Inhalten will der BR alle Menschen in Bay­ ern gleichermaßen erreichen. Flächendeckend in allen Regionen Bayerns verankert, spiegelt der Bayerische Rundfunk Bayern, wie es wirklich ist: seine Traditionen und seine Identität ebenso wie den kontinuierlichen Wandel in Gesell­­­- schaft, Kultur und Natur.

Regionalität, Tradition, Identität und Wandel – das sind die Schlagworte, die für den Begriff „Bayernwert“ stehen.

65 bayernwert

Für eine starke Präsenz des Bayerischen Rundfunks im gesamten Freistaat sorgen neben der Zentrale in München, dem Studio Franken in Nürnberg und dem Studio Mainfranken in Würzburg auch die Korrespondentenbüros von Aschaffenburg bis Passau und von Hof bis Lindau. Die multimedial aus­gestatteten Korrespondentenbüros ermögli­-­ chen somit eine umfangreiche und tagesaktuelle Berichterstattung für alle aktualitätsbezogenen Formate und auf allen Kanälen – ob im Radio, Fern­ sehen oder online im Internet unter BR.de und mobil in Form von Podcasts oder Apps.

Mit Regelsendungen wie „Unser Land“ und „Wir in Bayern“ im Bayerischen Fernsehen oder „Zeit für Bayern“ in Bayern 2 und den Regional­ ­sendungen in Bayern 1 sowie anderen täglichen Formaten der fünf Radiowellen setzt sich der Bayerische Rund­ funk mit den Tra­ditionen und der Identität der ver­ schiedenen Regionen des Freistaats­ auseinander.

66 bayernwert

Der BR leistet in einer Zeit, die durch die Digitali­ sierung der Welt und die Auflösung traditioneller Milieus geprägt ist, einen wichtigen Beitrag zu Integration und Zusammenhalt der Gesellschaft. Indem er Bayern in seiner ganzen Vielfalt abbildet, wirkt er identitätsstiftend. Der Bayerische Rund­ funk will mit seinen Programmangeboten den Menschen in Bayern eine Heimat geben.

67 bayernwert regionalität

Franken 3 x 3: Studio Franken Mehrwert für den Norden Bayerns und Vorreiter in Sachen vernetzter Aktualität

Norbert Küber

Franken, Bayern und die Welt zubilden. „3 x 3“ ist dabei die Formel, journalistische Themen der drei Regierungsbezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken für die Zugegeben ein gewagter Dreisprung, aber im Studio Franken kann drei Ausspielwege Radio, Fernsehen und Online aufzubereiten. man ihn getrost machen. Denn hier entstehen Sendungen aus Aktualität, Zeitgeschichte, Kultur, Unterhaltung, Service – die der Region – für Franken, für Bayern und gelegentlich für die Welt. vielen Facetten der Region spiegeln sich in ebenso vielen Bildern, Regionalität ist: das Kleine im Großen, aber auch das Große im Tönen und Geschichten. Stoff genug, um diese Farben auch auf Kleinen. Regionalität bedeutet allerdings nicht: Provinzialität, Ab- verschiedenen Wegen zu den Menschen zu bringen. Dabei werden grenzung oder gar Ausgrenzung. Daher liefert das Studio Franken die traditionellen Medien Radio und Fernsehen zunehmend durch fränkische Themen auch für die gesamtbayerischen Sendungen Internet, Smartphone, iPad oder Twitter ergänzt. Auch da heißt in Hörfunk und Fernsehen zu. Und wenn sich die Menschen in es für das Studio Franken, mit seinen Inhalten präsent zu sein. England, Frankreich oder den USA für das „Memorium Nürnber- ger Prozesse“ oder den Nürnberger Eisbär Flocke interessieren, dann sieht man das auch in der „Tagesschau“ oder als Weltbild für Vernetzte Aktualität – oder: internationale Sender. Außerdem kann man von jedem Ort auf „Derfs a weng mehr sei?“ der Welt mit ein paar Klicks im Internet die fränkischen Online- seiten abrufen – mit einer Fülle an Informationen: von den aktu- Weil im Studio Franken die Menschen nah beieinander sind, die ellen Nachrichten bis zu aufwendig gestalteten Dossiers zur Wege zwischen den Fernseh-, Hörfunk- und Onlineredaktionen fränkischen Zeitgeschichte. kurz sind, weil man gut und schnell miteinander über die Region reden kann, war das Studio Franken schon früh Vorreiter für neue Wege der vernetzten, medialen Zusammenarbeit. Federführend Unser Auftrag: „Franken 3 x 3“ erprobte man hier das Konzept der Videojournalisten (VJs), die in einer Person recherchieren, drehen, schneiden und texten. Hier Der eindeutige und scheinbar leichte Arbeitsauftrag im Studio entstand gemeinsam mit den anderen „Regionalen“ aus ganz Franken lautet: die fränkische Region in ihrer ganzen Vielfalt ab­ Bayern, das neue „RegioOnline“-Konzept. Ein „Heimatportal“ im

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Internet, das die regionalen Informationen des BR noch gezielter, Damit können wir noch schneller sein, unsere Ressourcen effekti- noch näher an die Menschen bringen wird. Nach dem Motto ver nutzen und so noch besser informieren. Ein Weg, auf den sich „Wir sind ein Haus“ wird in der vernetzten Aktualität zukünftig die Regionalstudios schon gemacht haben und der zukünftig im gemeinsam für alle Ausspielwege geplant und recherchiert. gesamten BR eingeschlagen wird. Übergreifend und flächende- ckend schöpfen wir dabei aus vielen regionalen Quellen – und Im Redaktionsalltag sieht das dann z. B. so aus: Pro Tag ca. 150 das „aus erster Hand“. Wir öffnen Türen, die „Fremden“ vielleicht Termin- und Themenangebote aus den drei Regierungsbezirken – verschlossen blieben. einem Sendegebiet so groß wie Hessen – stellen die Planer vor die Qual der Wahl: Ist das regional oder muss das Thema großgespielt Insgesamt ergibt das eine bunte Mischung, geschöpft aus der Pro- werden? Machen das die Redaktion Mainfranken in Würzburg fessionalität und der großen Vertrautheit unserer Redaktionen mit oder die Kollegen in Nürnberg, oder sind die Münchner Kollegen der Region und ihren Bewohnern. Kurzum: ein echter Mehrwert schon dran? Dazu kommen die freundlichen Hinweise aus der für die Menschen in Franken und in ganz Bayern. Chefetage: Bitte den regionalen Proporz wahren! Bitte nicht im- mer nur weiche Themen! Nicht schon wieder soviel Landschaft! Bitte an Hörfunk und Online denken!

Alle diese Fragen lassen sich am besten klären, wenn alle Betei- ligten gemeinsam an einem Tisch, dem „Newsdesk“ sitzen. Die Themen werden von allen Seiten durchleuchtet, die jeweiligen Aspekte den spezifischen Ausspielwegen zugewiesen, und so das passende Medium mit den passenden Inhalten zusammenge- bracht. Dabei respektieren wir freilich auch weiterhin die unter- schiedlichen Stärken der einzelnen Medien und auch der Men- schen, die für die jeweiligen Bereiche arbeiten. Fernsehen, Radio und Online treten nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich.

Sendungen

So vielfältig wie die fränkische Landschaft, die Dia- lekte, Mentalitäten und Befindlichkeiten, so vielfältig ist das Programm, das im Studio Franken mit 3000 Sendestunden pro Jahr in Hörfunk und Fernsehen produziert wird.

Auswahl „Frankenschau aktuell“ „Frankenschau am Sonntag“ „Kabarett aus Franken“ „Asül für alle“ „Fastnacht in Franken“ „Ich mach’s“ (für BR-alpha)

br.de/franken

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Fünf Fragen an …

Martin Wagner, Leiter Studio Franken

Wie definieren Sie die Rolle des Gibt es auch mediale Unterschiede Das Studio Franken ist derzeit Vorreiter Studio Franken im BR? zwischen „Bayern“ und „Franken“? für das „trimediale“ Miteinander Als größter Standort des BR außerhalb Sagen wir mal so: Die Franken verstehen von Hörfunk, Fernsehen und Online. Münchens steht das Studio Franken mit sich selbst nicht als Bayern, sondern eben Welche Erfahrungen machen Sie? seinen rund 400 Mitarbeitern in Nürnberg als Franken und wollen so auch wahrge- Gute Erfahrungen, ehrlich gesagt. Hier sind und Würzburg exemplarisch für die regio- nommen werden. Das ist verständlich. die Kollegen nahe beieinander und uns ver- nale Kompetenz des BR. Wir sehen es als Kritisch wird hier deshalb die mediale Do- bindet ein gemeinsames Thema: Franken. unsere Aufgabe an, Franken in seiner ge- minanz der Altbayern gesehen, die das Wir bündeln unsere Kräfte, planen und re- samten Vielfalt darzustellen, wir machen Bild von Bayern prägen – vom Oktoberfest cherchieren gemeinsam und präsentieren es „sicht- und hörbar“. Wir verstehen uns bis zum FC Bayern. Wir versuchen, die frän- die Ergebnisse mediengerecht im Hörfunk, als „Kompetenzzentrum Franken". kische Befindlichkeit, die Feste und das im Fernsehen und im Internet. Ziel ist es, Lebensgefühl aufzunehmen und in den die journalistische Qualität weiter zu ver- Programmen des BR spürbar zu machen – bessern. schließlich sendet der BR für ganz Bayern, und dazu gehört auch Franken, auch wenn Wie wichtig ist das Internet für die das manche Franken gar nicht gerne hören. Regionalberichterstattung? Es ist nicht mehr wegzudenken. Wir müs- Wie weit kann/soll die sen auch im Internet mit unseren jour- Regionalisierung gehen? nalistischen Produkten präsent sein. So Da sind wir sehr gut aufgestellt: Kein Me- haben unsere Zuschauer und Zuhörer die dienunternehmen hat in Bayern ein so Chance, das, was sie im Radio oder Fern- umfangreiches Korrespondentennetz wie sehen verpasst haben, nachzulesen, zu hö- der BR. Wir haben Korrespondenten von ren oder zu sehen. Das wird heute einfach Aschaffenburg und Hof bis Rosenheim und von einem Medienunternehmen erwartet. Lindau. Damit können wir Bayern in seiner Außerdem kann so jeder, der unterwegs regionalen Vielfalt darstellen. Natürlich ist, schnell erfahren, was in der Heimat los denken wir immer darüber nach, ob man ist. Dafür sind wir da, der Bayerische Rund- da oder dort noch etwas tun muss – so ha- funk und das Studio Franken. ben wir jetzt einen Fernsehkorresponden- ten in etabliert. Aber wir können und wollen nicht mit der lokalen Kompe- tenz der Zeitungen konkurrieren.

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Abendschau bewegt! Nah am Menschen und informativ

Die „Abendschau“ ist das Flaggschiff für regionale Information die auch dank unseres Korrespondentennetzes Bayerns Vielfalt am frühen Abend und ist damit eine der zentralen Marken des widerspiegeln können. Wir achten darauf, dass unsere ausgewähl- Bayerischen Fernsehens. In 45 Minuten erfahren die Zuschauer ten aktuellen Nachrichtenbeiträge hintergründiger als die einer von Montag bis Freitag tagesaktuell, was die Menschen in Bayern klassischen Nachrichtensendung sind. Zur Auflockerung des Pro- beschäftigt. Wir haben Matthias Keller-May, Redaktionsleiter gramms laden wir prominente Gäste überwiegend aus Bayern ein, der „Abendschau“, fünf Fragen zu seiner Sendung gestellt. Musiker, Künstler, Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und dem gesamten öffentlichen Leben, die Spannendes Herr Keller-May, was ist das Besondere an der „Abendschau“? zu erzählen haben. Die „Abendschau“ berichtet über relevante Themen aus Bayern, über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Sport und Kultur bis hin zu Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zum Zuschauer? Brauchtum. Bei uns erfahren die Zuschauer in den 45 Minuten ta- Ein Kernelement der Sendung ist der Kontakt zum Zuschauer, vor gesaktuell, was die Menschen in Bayern bewegt. Die „Abendschau“ allem durch die Präsenz mit zwei Live-Übertragungswagen täg- zeichnet sich besonders durch ihre Genrevielfalt aus – von der lich, die im Norden und im Süden des Freistaats unterwegs sind. politischen Berichterstattung bis zur Unterhaltung (Musikgruppen, Wir kommen zu den Menschen vor Ort, wir kümmern uns um ihre Prominente), Sport und ausführlichem regionalen Wetterbericht Themen, wir nehmen somit ihre Anliegen auf. Zudem sind Besu- vor Ort. Dabei liegt der Fokus der Berichterstattung auf den Men- chergruppen jeden Tag eingeladen, unsere Sendung direkt im Stu- schen aus ganz Bayern. Die „Abendschau“ bildet ein Ereignis nicht dio mitzuerleben. Zunächst erhalten sie ausführliche Informa­ einfach nur ab, vielmehr werden in den Beiträgen Geschichten tionen über die Organisation und die Arbeitsweise der Redaktion, erzählt. Dabei stehen Menschen mit ihren Gefühlen und Befind- bevor sie direkt dabei sein können, wenn die Moderatoren die lichkeiten im Mittelpunkt. Wir decken innerhalb der Sendung die Sendung live präsentieren. Wichtige Elemente zur Zuschauer­ gesamte Palette des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauf­trags bindung sind auch Umfragen, fallweise TED-Umfragen oder On- in seiner Bandbreite ab. line-Votings sowie eigene Events.

Worauf muss man als Macher eines Regionalmagazins achten? Für welche Zielgruppe ist ein Regionalmagazin Für uns ist es wichtig, Bayern mit all seinen Facetten in unserem Ihrer Meinung nach relevant? Programm zu präsentieren. Wir legen großen Wert darauf, in alle Wir wollen möglichst große Teile der Bayerischen Bevölkerung Regionen Bayerns zu kommen mit unseren Reportagen, mit ansprechen. Im linearen Programm setzen wir verstärkt darauf, die den täglichen Live-Schaltungen sowie mit den Kurznachrichten, Zuschauer ab 30 Jahre für die Sendung zu gewinnen. Nach Er-

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kenntnissen der Medienforschung nimmt das Interesse am eige- Wo sehen Sie die „Abendschau“ im Jahr 2020? nen Umfeld und an regionalen Themen ab diesem Alter deutlich Ich sehe die „Abendschau“ auch in neun Jahren als eine Kernmarke zu. Dazu sollte auch die Platzierung der Sendung im Programm- des weiterhin starken öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rund- schema überprüft werden. funks. Das lineare Programm wird weiterhin ein Schwerpunkt blei- ben. Große Anteile der Nutzung werden sich dann im non-linearen Durch die Erarbeitung eines Wertschätzungs-Index für die Sen- Bereich abspielen. Und zudem wird die „Abendschau“ mit ihrer dung, durch den Kriterienkatalog für einen guten „Abendschau“- gesamten Bandbreite an Themen vom Zuschauer via Internet-An- Beitrag und vor allem natürlich durch Schulungen der Mitarbeiter bindung auf dem Fernseher gesucht und genutzt werden! haben wir an der Machart und der Qualität unserer Beiträge in- tensiv gearbeitet. Mit der Themenauswahl sowie durch eine jün- gere, „frische“ Gestaltung der Filme wollen wir auch jüngeres Publikum für unsere Sendungen gewinnen. Dafür sind zusätzlich die multimedialen Verbreitungswege von großer Bedeutung, um die Marke „Abendschau“ auch dem jüngeren Publikum nahe­ zubringen.

Wir decken innerhalb der Sendung die gesamte Palette des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags in seiner Bandbreite ab.

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Mehr Zeit für Hinter­ grund und Exklusivität Die BayernCenter-Recherchereporter

Nikolaus Neumaier

Komplexe Themen gründlich recherchieren, mit Zeit und ange- Das BayernCenter: messener Bezahlung – und mit der Aussicht auf exklusive Kompetenz auf einem Flur Geschichten. Damit das möglich ist, gibt es im BayernCenter seit dem Frühjahr 2011 den Dienst der Recherchereporter. „Kurze Wege – Bayern aus einer Hand“, so lautet das Motto des neuen BayernCenters im Funkhaus. Seit Mai Aktuell arbeiten etwa zehn Journalisten in der Regel zwei Wochen 2011 ist es die Heimat der Redaktionen Bayern, Landes- lang an einem oder mehreren Themen. Bei ihrer Arbeit werden politik München, Oberbayern und Schwaben. Zentrale diese Reporter auch von den Kollegen des Zeitungs- und Hörfunk- Anlaufstelle für den BR- und ARD-Hörfunk, immer archivs unterstützt. Sie klären ab, was zu einem Thema bereits wenn es um Bayern geht. Bewährt hat es sich bereits publiziert wurde. Dazu kommt das fundierte Spezialwissen der bei Großereignissen oder auch Katastrophen. Sämtli- einzelnen Reporter. Die ermittelten Ergebnisse führen dazu, dass che Programme können auf das Center als journalisti- die Recherchereporter des BayernCenters „Geschichten“ liefern, schen und logistischen Dienstleister zurückgreifen. Es die sonst im alltäglichen Betrieb nur schwer umsetzbar wären. ist aber auch zentraler Ansprechpartner für Wünsche von außen. Unter der Nebenstellennummer 10000 So haben sie aufgedeckt, dass bayerische Lehrer nicht immer so werden Fragen zu bayerischen Themen beantwortet frei reden dürfen, wie sie es gerne täten. Die Rechercheergebnisse und Anregungen entgegengenommen – und zwar je- wurden mit Verweis auf den BR auch von der Nachrichtenagen- den Werktag durchgehend von 6.00 bis 19.00 Uhr. Ein tur dpa und der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen. Unsere Chef vom Dienst im sogenannten „Hotroom“ koordi- Reporter haben nachgewiesen, dass Bayern auch nach dem Ab- niert Themen, Termine und Reportereinsätze. Ein klei- schalten von Kernkraftwerken nicht zusätzlich Strom aus Temelin ner Übertragungswagen mit einer mobilen Satelliten- beziehen muss. einheit hilft dabei, schnell und flexibel Beiträge vor Ort zu produzieren und Live-Schaltungen zu ermöglichen. Natürlich waren die Recherchereporter beim Lebensmittelskandal Auch die lang ersehnte räumliche Einheit von Redak- um die Großbäckerei „Müller Brot“ im Einsatz. Die journalistischen tion und Sendung ist im BayernCenter endlich Wirk- Ergebnisse fanden und finden ihren Niederschlag in allen Pro- lichkeit: Die sechsfachen Regionalnachrichten und grammen des Bayerischen Rundfunks. Die Recherchereporter im Mittagsmagazine auf Bayern 1 werden aus den unmit- BayernCenter zeigen, wie notwendig eigenständige BR-Geschich- telbar benachbarten Studios gesendet. Wie sich Radio- ten sind. Außerdem sprechen sie für die hohe journalistische themen künftig auch für Fernsehen und Online auf­ Kompetenz des Bayerischen Rundfunks. bereiten lassen, ist der nächste, wichtige Schritt in der Entwicklung des BayernCenters. Und da wollen wir auf jeden Fall ganz vorne mit dabei sein.

Franz Bumeder

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Fünf Fragen an …

Dr. Susanne Zimmer, Programmbereichsleiterin Bayern 1 – Bayern

Regionalität hat für den BR eine große Welche Kriterien machen ein Thema Wie gehen Sie bei der Musik auf die Bedeutung. Welche Rolle spielen dabei die zu einem Bayern 1-Thema? Wünsche der Bayern 1-Hörer ein? Korrespondenten in Bayern? Über allem steht die Frage: Bewegt ein Früher hat der persönliche Geschmack der Unsere Korrespondenten sind das Herz des Thema die Menschen in Bayern? Betrifft es Moderatoren oder Redakteure über das BR. Sie berichten über harte Fakten, sollen sie persönlich? Bringt Information zu die- Musikprogramm entschieden. Heute spie- aber auch das Lebensgefühl ihrer Region sem Thema unseren Hörern etwas, können len wird die Musik, die bei unseren Hörern vermitteln. Sie sind Ansprechpartner vor sie in einer für sie wichtigen Thematik mit- am beliebtesten ist. Dafür führen wir re- Ort und Bindeglied zwischen ihrem Be- reden oder mitentscheiden. Je näher nach gelmäßige Tests durch. Diese Ergebnisse richtsgebiet und dem gesamten Haus. Sie diesem Maßstab ein Thema an unseren und das Fachwissen unserer Musikredak- sind die Garanten für die Verankerung Hörern ist, desto höhere Priorität hat es für tion bestimmen dann das Musikprogramm. des BR in ganz Bayern. Bayern 1. Dazu kommt eine Reihe von Spezial­ sendungen wie die Volksmusik, um auch Wie schafft es Bayern 1, regional zu sein, Was ist für Bayern 1 gute – öffentlich- den Hörern gerecht zu werden, die der ohne dabei provinziell zu werden? rechtliche – Unterhaltung? Geschmack der Mehrheit nicht so stark Ein Programm, das die Lebenswirklichkeit Bei uns steht da akustische Vielfalt aus anspricht. seiner Hörer abbildet, wird für die Men- über 50 Jahren Musikgeschichte ganz schen zu einem Fenster in die Region, in oben. Wirklich große Hits sind zeitlos, sie der sie leben. Es bietet ihnen Teilhabe am verbinden, weil jede Generation diese Lie- Geschehen und Grundlage für ihre Mei- der für sich neu entdecken kann. Wir unter- nungsbildung zu regionalen und lokalen halten die Menschen aber auch draußen Themen. Provinzialität vermeidet Bayern 1 im Land – mit Familienfesten oder Live- durch die Konzentration auf die relevanten Konzerten. Die Hörer sollen wissen, welche regionalen Themen, die durch die wichtig­ Gesichter zu den Stimmen im Radio ge- sten überregionalen Nachrichten ergänzt hören, und das Bayern 1-Team soll wissen, werden. Wir blicken über den Tellerrand – für wen es Programm macht. Zur guten das beste Rezept gegen Provinzialität. Radio-Unterhaltung gehört natürlich auch eine Portion Humor. Dabei gilt für uns: Wir lachen mit den Hörern, nicht über sie.

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Die Regional- redaktionen München, Oberbayern, Schwaben und Ostbayern

München ist halt München! „Scoop“ heißt schlicht „a Riesng’schicht“

Wie hat es München doch glückhaft getroffen mit Bayern! Und Wovon träumt ein Journalist? In Amerika vom großen „Scoop“ – umgekehrt natürlich. Die barocke Hauptstadt und das seenreiche so nennt man den exklusiven Aufmacher, das Topthema des Voralpenland – sie sind füreinander geschaffen. Zwei Liebende Tages. Bei uns in der Regionalredaktion Oberbayern heißt der sind sie. . Nicht auszudenken, München „Scoop“ schlicht eine „Riesng’schicht“. hätte sich einst, als die Standortfrage anstand, zum Beispiel für die Lüneburger Heide entschieden. Woher nämlich nähme dann Solche „Geschichten“ fallen den Reporterinnen und Reportern die Stadt ihr berühmtes Lebensgefühl – ohne Bayern? Und auf dieses gesegneten Landstrichs zwischen Ingolstadt und Berchtes- dieses Lebensgefühl legen die Münchner sehr viel Wert, denn sie gaden, Garmisch-Partenkirchen und Mühldorf, oft direkt in den werden andernorts ja auch darum beneidet. Schoß. Die räumliche Ausdehnung und Einwohnerzahl Oberbay- erns garantieren automatisch, dass die Quelle kleiner und großer Das Team von Mittags in München – dem Stadtradio auf Bayern 1 – Sensationen des Alltags, im Guten wie im Schlechten, nie versiegt. hat es sich auf die Fahnen geschrieben, dieses ganz spezielle Le- bensgefühl jeden Tag aufs Neue einzufangen. Und dazu gehören Etwa am Abend des 31. Januar 2012, mitten in der feierlichen Ver- die Sicherheit auf der Wiesn, BMW oder die leidige Suche Münch- abschiedung eines Kollegen aus der juristischen Abteilung des BR. ner Eltern nach Betreuungsplätzen genauso wie die „Bussi-Bussis“, Ein Gerücht machte sich breit. In einer Großbäckerei südlich von der Streit um die dritte Startbahn oder das Flair der Biergärten. Freising, so lautete der Tipp eines nicht genannten Informanten, Dort, wo Einheimische wie Touristen von einem weiß-blauen baye- sei der Teufel los. Semmeln und Brezen würden da inmitten von rischen Himmel überwölbt werden, der an manchen Tagen so föh- Dreck und Ungeziefer produziert, man müsse mit der baldigen nig azurblau leuchtet. Mehr geht wohl auch in Rom, Florenz oder Schließung rechnen. Die zufällig anwesenden Juristen winkten ab: Venedig nicht. In einer Stadt wie München liegen die Themen auf „Ohne Zeugen, ohne fundierte Beweise, vergesst es!“ Die Nacht der Straße. Die Mittags in München-Reporter wollen aber nicht verstrich, aber am nächsten Morgen war ein Team von Oberbay- nur die ausgetretenen Pfade gehen, sondern auch die kleinen Ge- ern-Reportern ab fünf Uhr früh unterwegs, interviewte Kunden schichten aus den Seitengassen und die Menschen dahinter ins und Verkäufer vor leeren Regalen, nervte die staatlichen Ämter, Radio bringen – Geschichten ohne Hochglanzpolitur, aber mit viel sammelte Fakten, die sich bis Mittag zum „Müller Brot“-Skandal Bodenständigkeit! München ist ein Pflaster, das verpflichtet: Mit- verdichteten. Erst am nächsten Tag zogen die großen Zeitun- tags-in-München, das Stadtradio auf Bayern 1, will informieren – gen nach. Ob es sich um die Arbeitsplätze einer Raffinerie bei In- kompetent und hartnäckig, dabei aber immer fair. Und unterhalten golstadt, um den schrecklichen Mord an zwei Mädchen in Krailling – mit Esprit und „vui Gfui“, dabei aber nie platt. Denn München ist handelt, um Naziaufmärsche bei Altötting oder Polizeigewalt in halt München und die Welt ist bei Weitem nicht genug – wir wol- Rosenheim – nichts entgeht den wachsamen Augen und Ohren len schließlich wissen, was vor unserer eigenen Haustüre passiert! der professionellen Zeitzeugen in der Regionalredaktion Oberbay- ern. Vier strategisch über den Regierungsbezirk verteilte Korres- Anja Wolf, Redaktion München pondenten sind unermüdlich mit modernster Ausrüstung unter-

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wegs – und vom Münchner Funkhaus aus machen sich Tag und Ein Berichtsgebiet so groß wie Rheinland-Pfalz Nacht Spezialisten auf, um für die Mittagssendung und die zwölf stündlichen Nachrichtenfenster jedes Werktages aktuelle Berichte Morgens im Sitzungszimmer: Die Redakteure nehmen gerade zu liefern. Es sind „News-Junkies“ im besten Sinne, die mit besten Platz, das mausgraue Konferenztelefon läutet in die Runde. Kontakten zur Bevölkerung und stets hellwach das Leben in Ober- Aus seinem Lautsprecher tönt es: „Guten Tag, die Telefon-Konfe- bayern spiegeln – ohne Eitelkeit, objektiv, verantwortungsbewusst, renz wird aufgebaut!“ Es ist 8.40 Uhr, die BR-Büros in Landshut, immer menschlich und, Gott sei Dank, oft auch mit der nötigen Passau, Amberg, Weiden sowie für den Raum Deggendorf und Prise Humor. den Bayerischen Wald werden zugeschaltet. Die Tagesarbeit im Regionalstudio für Niederbayern und die Oberpfalz beginnt. Rudi Küffner, Regionalredaktion Oberbayern Zwei Dutzend Mitarbeiter halten im Regionalstudio Ostbayern des Bayerischen Rundfunks den aktuellen Betrieb für das riesige „Wie geht es weiter mit Manroland?“ Berichtsgebiet aufrecht. Hinzu kommen sechs BR-Büros in Nieder- bayern und der Oberpfalz – einem Gebiet, so groß wie Rheinland- Erst ein Gerücht. Dann Informanten mit Andeutungen. Eine Pfalz. Täglich rund um die Uhr ist das Studio für aktuelle Einsätze Pressestelle, die mauert. Recherchen, Hintergrundgespräche. Dann zu erreichen. Elfmal geht die Redaktion an jedem Werktag aus steht fest: Manroland, der Weltmarktführer bei Rollendruckma- dem Studio in der Regensburger Altstadt auf Sendung: Mit Bayern schinen steht vor dem Aus. Unsere beiden Augsburg-Korrespon- 1 – Regionalnachrichten und mit dem einstündigen Bayern 1-Ma- dentinnen Annemarie Ruf und Barbara Leinfelder recherchieren gazin Mittags in Niederbayern und der Oberpfalz. Immer wichtiger weiter, nutzen ihre guten Kontakte, während die Schwabenredak- werden seit Jahren die Zulieferungen des Studios an alle ande-­ tion in München die Kollegen der anderen Redaktionen über ren Radioprogramme des Bayerischen Rundfunks – besonders an der Tragweite dieser Entwicklung informiert: 6.500 Arbeitsplätze Bayern 2, Bayern 3 und B5 aktuell. Dazu kommt die Zusammen­ in Gefahr – 2.400 in Augsburg. arbeit mit der BR-online-Redaktion und mit dem Bayerischen Fernsehen. Seit Jahren drehen Mitarbeiter des Ostbayern-Studios Von der „radioWelt“ in Bayern 2 bis zu B5 aktuell steht fest: Das aktuelle Bilder für „Abendschau“ und „Rundschau“. Auch arbei-­­ ist ein Topthema, nicht nur für das regionale Mittagsmagazin aus tet eine eigene Fernsehreporterin im Ostbayern-Studio. Schwaben und die stündlichen Regionalnachrichten auf Bayern 1. Von der Betriebsversammlung bis zum Insolvenzantrag, vom In der Redaktionskonferenz hat inzwischen der Nachrichtenre­ Krisengipfel in der Fuggerstadt bis zur Entscheidung des Insolvenz- dakteur das Wort. Er ist seit fünf Uhr früh im Dienst und referiert verwalters sammelt die Schwabenredaktion die Wünsche aller über die wichtigsten Nachrichten des Morgens. Die zugeschalte- Kollegen aus dem Haus sowie der Hörfunkwellen der ARD und ten Korrespondenten berichten über die aktuelle Lage in ihren koordiniert den Einsatz der KorrespondentInnen vor Ort. Wie lange Kommunen. Der Chef vom Dienst mischt sich ein und erörtert die brauchen wir den Ü-Wagen? Muss das Studio in Augsburg perso- Termine. Das Magazin-Team präsentiert seine Sendung: Ein Auf- nell verstärkt werden? Können wir Kontakte für Hintergrundge- zug zur Landshuter Burg Trausnitz, Windräder in der Oberpfalz, spräche vermitteln? Sind alle Sender, alle Wellen und auch die Tourismusbilanz in Ostbayern, Internet-Übertragung aus dem Onliner gut versorgt? Gibt es wichtige Aspekte, die noch nicht be- Passauer Stadtrat, Neues zum geplanten Bayerischen Geschichts- leuchtet wurden? All diese Fragen beschäftigen in diesen Tagen museum in Regensburg, Unfälle, Prozesse sowie Beschlüsse in und Wochen die Redakteure der Schwabenredaktion – neben dem München, Berlin und Brüssel, die sich auf Niederbayern und die eingespielten Redaktionsablauf von der Sitzung bis zur Sendung. Oberpfalz auswirken – die ganze Palette des aktuellen Geschehens Und während schon alle Kollegen fragen: „Wie geht es weiter mit kommt in der Redaktionskonferenz zur Sprache. Es ist jetzt kurz Manroland?“, erinnert sich kaum noch einer daran, dass es die nach 9.00 Uhr. Die Redaktionskonferenz hat die wichtigen Termi­ne Hörer, Zuschauer und Online-Nutzer des BR als Erste erfahren ha- besetzt und die großen Themen sind vorbesprochen. Der Studio- ben, dass Manroland Insolvenz angemeldet hat. Halb so wild – leiter beendet die tägliche Besprechung mit den Worten: auch wir waren schon wieder mit einer ganz anderen Geschichte An die Arbeit! beschäftigt: Dass deutsche Kernkraftwerke künftig stärker gesi- chert werden sollen – Ergebnis einer Recherche unserer Korrespon- Gerhard Schiechel, Regionalstudio Ostbayern dentin Jenny Kramer in Gundremmingen. Interesse der Kollegen in BR und ARD garantiert.

Josef Böck, Schwabenredaktion

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Bayern anders Reporteralltag der BR-Landeskorrespondenten

Mit rotem Kopf in einer kleinen Pfütze gestöber an der Skischanze in Oberstdorf ging es kürzlich direkt weiter in eine Kunstausstellung. Peinlicher Nebeneffekt: Während Ein Gleitschirmspringer verfängt sich im Tragseil der Tegelberg- des Interviews im warmen Ausstellungsraum fingen meine bahn, zwanzig Menschen sitzen in einer Gondel fest, erst nach schneebepackten Stiefel an zu tropfen. Am Ende stand ich mit einer Nacht über dem Abgrund können sie befreit werden – das rotem Kopf mitten in einer kleinen Pfütze. Unglück am Tegelberg war meine Feuertaufe als frischgebackene Korrespondentin. Viktoria Wagensommer, Korrespondentin aus Kempten/Allgäu

Das BR-Programm im Viertelstundentakt mit neuen Informatio- nen zu versorgen, verlangt volle Konzentration und bietet eine Eine Geschichte mit zwei Enden Menge Nervenkitzel. Glücklicherweise passieren solche Unglücke aber nicht ständig und es bleibt genug Zeit für Porträts und Hin- Morgens um sieben piepst mein Handy. Die Nummer des Ab- tergründe. Als jüngstes Mitglied der Regionalredaktion Schwaben senders endet mit -999: Polizei! „Verkehrsunfall Kondrau/Wald- lerne ich die ganze Vielfalt der Korrespondentenarbeit gerade sassen. 40-Tonner-Lkw gegen Hausmauer. Erheblicher Fahr­­- erst kennen. zeug- und Gebäudeschaden.“ Ich kann das Drama nur ahnen, das sich dahinter verbirgt. Rasch packe ich Mikro und Kamera ein, Es gibt Tage, an denen ich dafür zuständig bin, Meldungen und prüfe die Akkus. Die gelbe Sicherheitsweste kommt obendrauf. aktuelle „Aufsager“ für die Nachrichten zu produzieren. Dann re- cherchiere ich vom Schreibtisch aus, telefoniere mit Politikern oder Auf dem Weg zu meinem Wagen noch ein Telefonat mit dem Stu- der Polizei und stimme mich mit den Münchner Kollegen ab. Nicht dio Ostbayern des BR in Regensburg: „So schnell wie möglich eine nur mit den Mitarbeitern aller Radiowellen des BR stehe ich in Nachrichtenminute für die Regionalnachrichten auf Bayern 1, für engem Kontakt: Mit Fernsehkollegin Michaela Neukirch teile ich Bayern 3 und B5 aktuell … Stell dich auf ein längeres Magazinstück mir in Kempten das Büro. Bei den täglichen Telefonkonferenzen für die Mittagssendungen ein … die Onliner brauchen Bilder.“ Ganz der Schwabenredaktion sitzen wir an einem Tisch, recherchieren schön viel auf einmal – aber irgendwann ist der Ablauf vor Einsät- gemeinsam und tauschen unsere Ergebnisse aus. Auch an „Groß- zen dieser Art Routine geworden. Um zehn nach sieben drehe ich kampftagen“, etwa als das Aus zweier Bundeswehrstandorte im den Zündschlüssel. Während der 90-Kilometer-Fahrt kommen die Allgäu bekannt wurde, hat sich diese Zusammenarbeit bestens Fragen. Was erwartet mich? Gibt es Verletzte, Tote? Wie nah soll bewährt. Den Großteil meiner Arbeitszeit bin ich aber als Reporte- ich ran? Wie nah möchte ich ran? In der Ausbildung habe ich ge- rin unterwegs. Mir gefällt es, spannenden Menschen zu begegnen lernt, dass Ethik im Journalismus wichtig ist. Inzwischen weiß ich, und deren Erlebnisse hautnah an die Hörer weiterzugeben. Lange- dass ich damit öfter konfrontiert bin, als mir lieb ist … Klick! Ver- weile ist ein Fremdwort: Mein Arbeitsalltag ist mit Eindrücken flixt, die Radarfalle am Ortsausgang habe ich zu spät gesehen. 30 gespickt, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Vom Schnee- Stundenkilometer drüber. Ein Fahrverbot in

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Interview für Interview, wie ein Puzzle, setzt sich die Geschichte hinter der Nachricht zusammen.

meinem Beruf? Fatal. In einiger Entfernung baut sich das Bild des Unglücks auf. Ich muss unwillkürlich schlucken. Der Sattelzug aus Tschechien hat sich in das Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses direkt an der Straße gebohrt. Der Polizist an der Unfallstelle be- antwortet freundlich meine Fragen. Auch die Nachbarn zeigen sich gesprächig. Sie erzählen mir, dass die Mieter im Erdgeschoss, ein Pärchen mit einem kleinen Kind, zum Glück vor wenigen Ta-­ gen ausgezogen sind. Interview für Interview, wie ein Puzzle, setzt sich die Geschichte hinter der Nachricht zusammen. Es ist eine Geschichte mit relativ glimpflichem Ende: Zwei Leichtverletzte, knapp 100.000 Euro Schaden.

Und wie so oft steckt dahinter noch eine weitere Geschichte: Die Anwohner fühlen sich durch den Unfall bestärkt und fordern, endlich mit dem Bau einer Ortsumgehung zu beginnen. Seit über 20 Jahren kämpfen sie darum. Was muss noch passieren, damit Politiker und Behörden in die Gänge kommen? „Bringen Sie das einmal!“ Ich lasse mir am Telefon von der Stadtverwaltung Wald- sassen den Sachstand erklären. Nebenher packe ich die Kamera aus, die „Abendschau“ braucht Fernsehbilder. Auf der Rückfahrt ins Korrespondentenbüro entspanne ich mich langsam. Die ersten Reportagen habe ich von unterwegs überspielt, sie sind bereits auf Sendung. Die längeren Berichte werde ich im Büro fertig machen. Einen Anruf habe ich jedoch noch vor mir: Polizei. Ob mir wegen der Radarfalle ein Fahrverbot droht, frage ich vorsichtig. Die Ant- wort beruhigt mich. Noch eine Geschichte, die für dieses Mal glimpflich ausgegangen ist.

Martin Gruber, Korrespondent Amberg

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Bayern 3-Dorffest Ein gemeinsames Ziel schweißt die Bayern zusammen

Marc Schindlbeck

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„Wo stehen zuerst drei Menschen in Schlafanzügen mit klingelnden Weckern auf dem Marktplatz?“

„Liebe Walkersbacher, liebe Gäste – jetzt ist es endlich so weit. Voting schafften – aus jedem Regierungsbezirk eines. Jetzt galt Der Moment, auf den wir so hingefiebert haben. Bitte begrüßt die es, möglichst viele Klicks für das eigene Dorf zu sammeln. Und der Superstars von Reamonn!“ Als Norbert Brenner, der frisch gekürte Teamspirit in den Gemeinden wuchs weiter an. Die einen bekleb- „König von Walkersbach“, die gigantische Bühne unter dem oh- ten sämtliche Straßen im Umkreis mit „Wahlplakaten“ („Gebt uns renbetäubenden Jubel von mehr als 15.000 Menschen verlässt, da Eure Stimme für das „Bayern 3-Dorffest“!), die anderen verteilten löst sich endgültig die Anspannung in seinem Gesicht – und man bei einem Fußball-Länderspiel im ausverkauften Nürnberger sieht nur noch Freude. Und Erleichterung. Stadion Tausende Flyer.

Sieben Wochen lang hatte zuvor Ausnahmezustand geherrscht Dann der emotionale Höhepunkt: Die vier Dörfer mit den meisten in der 120-Seelen- Gemeinde in der oberbayerischen Hopfenregion Online-Stimmen trafen sich im Halbfinale bzw. Finale wieder – live Hallertau. Und das alles, weil Norbert Brenner sein „Woikersch- im Radio und live vor Ort: „Unglaublich, welche Energie die Dörfer beck“ per E-Mail ins Rennen um das „Bayern 3-Dorffest“ geschickt entwickeln. Alle halten zusammen, jeder packt mit an. Es wird ge- hatte – gegen mehr als 500 andere bayerische Dörfer. „Dass wir meinsam gekämpft, gebibbert und gejubelt – oder auch geweint!“ am Ende wirklich gewinnen würden, davon hätte natürlich nie- So erlebte Bayern 3-Reporter Michael Medla die Gefühlsachter- mand zu träumen gewagt“, so Brenner. Es war sehr beeindru- bahn bei den Endspielen frühmorgens auf rappelvollen (!) Markt- ckend, welche Kräfte bei ihm, aber auch in vielen anderen bayeri- plätzen. Die Aufgaben, die den konkurrierenden Gemeinden mor- schen Gemeinden mobilisiert wurden. gens live aus dem Bayern 3-Studio gestellt wurden, hatten es in sich: knifflige Wortspiel-Rätsel, vertrackte Musikquizfragen und Die Bayern 3-Reporter waren bei ihren Besuchen immer wieder dazu stets die sogenannte „Dorfmission“, bei der alle Einwohner verblüfft, auf welche Ideen die Dorfbewohner kamen, um in die tatkräftig mithalfen: „Wer schafft zuerst drei Traktoren herbei, engere Auswahl zu kommen: Alphornbläser-Empfangskomitees, auf denen drei Musiker die Bayern 3-Verkehrsmelodie spielen?“ – singende Bürgermeister, rappende Jugendliche, Show-Kuhmelken, „Wo stehen zuerst drei Menschen in Schlafanzügen mit klingeln- spontane Flashmobs, dazu natürlich selbstgebackene Kuchen den Weckern auf dem Marktplatz? – „Welches Dorf schreit am und zünftige Brotzeiten. Am Ende kürte die Bayern 3-Redaktion lautesten?“ sieben Dörfer, die den Sprung in die nächste Runde, ins Online-

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Bayern 3-Reporter Martin Breitkopf beim Interview während des Dorffests in Knetzgau/Unterfranken

Thomas Paschen aus Inzell (Siegergemeinde 2010) erinnert sich: Am Morgen des 6. September 2008 steht die gigantische Bayern „Die Anspannung und die Nervosität waren enorm. Ich hatte mehr 3-Bühne auf der großen Wiese am Ortsrand von Walkersbach, als einmal Gänsehaut, als ich sah, wie sehr sich jeder einzelne In- überall wird noch gehämmert und gebohrt, die Landfrauen karren zeller engagierte und mitfieberte!“ Und Marco Depner, der „König Kuchen auf Bollerwagen an. Und immer wieder schallt „one, two – von Knetzgau“, das 2009 das „Bayern 3-Dorffest“ nach Unterfran- check, check“ durch den Ort. Die Aufregung steigt: Hält das Wetter, ken holte, ergänzt: „Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Ort war reichen die Parkplätze – und kommt überhaupt jemand? im Vorfeld enorm. Und ist es bis heute!“ Tatsächlich veranstaltet Knetzgau seit den tollen Erfahrungen aus dem Spätsommer 2009, Zehn Stunden später steigt Norbert Brenner ein letztes Mal die als 25.000 Bayern 3-Hörer in den Haßbergen (bei strömendem Bühnenstufen hinauf, um die Hauptattraktion des Tages anzukün- Regen) feierten, jährlich ein eigenes Livemusik-Festival. Und auch digen, die Chartstürmer von Reamonn. In diesem Moment gehen zum Finalgegner Irchenrieth in der Oberpfalz bestehen bis heute ihm bereits die ersten Erinnerungen durch den Kopf: Er denkt an enge Bande, die demnächst sogar als offizielle Gemeindepartner- 15.000 lachende Menschen, die gemeinsam ein friedliches, fröhli- schaft besiegelt werden sollen. „Diese vielen neuen, nachhaltigen ches Fest feierten; an den strahlenden Sonnenschein; an die vielen Freundschaften sind für mich der größte Erfolg des Bayern 3- Dörfer, die im Rennen um das Dorffest ausgeschieden waren, aber Dorffestes“, schwärmt Depner. Bayern 3 bringt die Menschen in heute mit Pauken und Trompeten einzogen, um mitzufeiern und den Dörfern und über Gemeindegrenzen hinweg zusammen. Walkersbach zu gratulieren; an die Würstchen, die irgendwann aus- verkauft waren und in Windeseile nachgelegt werden mussten; Als am 29. August 2008 feststeht, dass „Bayern 3-Dorffest“ und er denkt an „seine Woikerschbecka“, die Unglaubliches geleis- nur acht Tage später in der Hallertau steigen würde, da mischt tet hatten. Norbert Brenner weiß schon jetzt: Das „Bayern 3-Dorf- sich in den euphorischen Jubel auch schnell eine geschäftige Ziel- fest“ wird einen Ehrenplatz in der Gemeindegeschichte einnehmen. strebigkeit, die verblüfft. Alle packen bei den Arbeiten mit an: Einen Tag lang war Walkersbach der Mittelpunkt Bayerns. Diesen Festgelände präparieren, Buden Aufbauen, Parkplätze absperren Tag kann ihnen niemand mehr nehmen. Und das Gefühl, gemein- und Personal einteilen. „In den Tagen vor dem Dorffest sind wir sam etwas Großes auf die Beine gestellt zu haben, sowieso nicht. Walkersbacher zu einer echten Familie zusammengewachsen. Je- der hat gefragt: Was kann ich tun? So viel Dorfgemeinschaft war noch nie“, schwärmt Norbert Brenner. Binnen einer Woche stellt er gemeinsam mit Bayern 3 ein Familienfestival auf die Beine, das normalerweise mehrere Monate Vorbereitungszeit verschlingen würde. Und da der Eintritt frei ist, kann keiner abschätzen, wie viele Menschen die „größte Party des Jahres“ anlocken wird.

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„Unglaublich, welche Energie die Dörfer entwickeln. Alle halten zusammen, jeder packt mit an. Es wird gemeinsam gekämpft, gebibbert und gejubelt – oder auch geweint!“

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Traditionsbewusst, vielfältig und echt Unter unserem Himmel – Ein Sendeplatz wie Bayern

Johannes Pechtold

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Die ersten Noten der Anfangsmelodie „Üba d’Alma, da gibt’s Kalma ...“ von „Unter unserem Himmel“

Jeden Sonntag um 19.00 Uhr erklingt die Melodie von „Üba obachtung, Porträts von Landschaften und Menschen. Ergänzt d’Alma, da gibt’s Kalma …“. Sie kündet seit 1969 die Sendung wird das Programm durch Fernsehfilme, Spielfilme oder Volksstü- „Unter unserem Himmel“ im Bayerischen Fernsehen an cke. Bis heute findet sich in „Unter unserem Himmel“ eine far- und wurde zu einem Markenzeichen. bige Mischung von Filmen über Städte, Märkte und Dörfer, über Berge, Täler und Flüsse, über Bräuche und Traditionen und vor 42 Jahre sind in der kurzlebigen Medienwelt ein geradezu bibli- allem über Menschen. Erst durch sie wird eine Gegend, ein Ort sches Alter für eine Sendereihe. Der „Himmel“ ist dabei jung ge- lebendig und anschaulich, erst durch sie nehmen Stimmungen blieben – und das in einer Zeit, die leicht das Neue auch für das und Gefühle Gestalt an. Beste hält. Gerade im flüchtigen Fernsehgeschäft, das oft den schnellen Erfolg sucht, um sich im Beziehungsgeflecht von Ein- Die thematische Vielfalt, die individuelle Sicht Bayerns und seiner schaltquoten, politischen Interessen und wirtschaftlichen Zwän- Leute machen den Reiz der Filme aus. Sie stammen von Autorin- gen zu behaupten, mag ein so alter Programmplatz überraschen, nen und Autoren mit einer eigenen Handschrift, die es ehrlich mei- doch der „Himmel“ hat sich immer weiterentwickelt und neu nen mit den Menschen, die sie porträtieren, und mit dem Land, erfunden, in der Auswahl seiner Themen, in der Machart seiner das sie beschreiben. So können Filme entstehen, die ihre Protago- Sendungen. Er spürt dem Wandel in Bayerns Regionen nach, zeigt nisten weder vorführen noch wie Komparsen behandeln. Es sind abseits weißblauer Klischees die Menschen und ihr Befinden, so Filme, die Vertrautheit schaffen und behutsam einen ganz persön- wie sie sind, illustriert – mitunter auch kritisch – das Kurzlebige lichen Zugang zu ihrem Thema suchen, um einen Gedanken zu oder Umstrittene und verschließt sich nicht dem Neuen, wie eben entwickeln, eine Atmosphäre zu schaffen. auch seine Zuseher selbst. So erfreut sich von Beginn an die um- fangreiche „Unter unserem Himmel“-Internetseite großer Beliebt- heit mit ihren Zusatzinformationen, Archiven und Download- Möglichkeiten. Auch in Zukunft wird sich „Unter unserem Himmel“ den neuen digitalen Verbreitungswegen weiter öffnen, um der Nutzung der neuen Endgeräte zu entsprechen.

Inzwischen sind im „Himmel“ über zweitausend Dokumentationen und filmische Feuilletons mit höchstem Qualitätsanspruch ent- standen. Der weitgespannte Bogen umfasst die Vielfalt, die Bayern und seine Nachbarländer auszeichnet, vom Bergfilm bis zur Volks- musik, von der feuilletonistischen Reportage bis zur Langzeitbe-

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Eine Szene aus der TV-Serie „Zeit genug“ von Franz Xaver Bogner

Bayerische Kultserien 30 Jahre Zusammenarbeit mit Franz X. Bogner

Elmar Jäger

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Ein Dauerbrenner mit insgesamt 147 Folgen ist die zwischen 1990 und 2003 entstandene Serie „Café Meineid“.

Franz X. Bogner steht für bayerisches Lebensgefühl und boden- Ende der 80er-Jahre folgte die Serie „Zur Freiheit“ mit grimmigen ständige Anarchie. Er bevorzugt die kleine Form, seine Geschich- und komischen Lebensgeschichten kleiner Leute aus dem „Bauch ten sind scheinbar oft unspektakulär. Dabei zeichnet Bogner eine von München“ zwischen Schlachthof und Großmarkthalle. Im Mit- genaue Beobachtungsgabe und große Menschenkenntnis aus. telpunkt steht die knallharte Geschäftsfrau Paula – als ganz spezi- Sein Blick auf die Menschen in ihrer bayerischen Heimat wirkt im- fisches Sinnbild für Bogners Vorliebe für starke Frauenfiguren, wie mer authentisch. Er kann den „Leuten aufs Maul schauen“ und sie auch in seinen anderen Serien immer wieder herausstechen. ihre Haltung in Sprache übertragen. So entsteht eine einmalige Echtheit in seinen Dialogen. Alle seine Serien haben einen ganz Ein Dauerbrenner mit insgesamt 147 Folgen ist die zwischen 1990 eigenen spezifisch bayerischen Humor und spiegeln Bogners Lust und 2003 entstandene Serie „Café Meineid“. Basierend auf echten am Anarchischen. Er erzählt vom Ungewöhnlichen in den klei-­ Gerichtsfällen geht es in der Serie auf schmunzelnde Weise um nen Dingen und findet die Komik im Alltäglichen. eine ganz spezifische Form der bayerischen Rechtspflege. Wie für Franz X. Bogner typisch stehen nicht die großen Fälle, sondern die Franz X. Bogners erste Serien entstanden 1981, und in ihnen liegen kleinen Dramen des Alltäglichen im Zentrum. Dabei ist es für Rich- bereits viele Wurzeln für die späteren. So erzählt „Familie Meier“ ter Wunder nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Mit auf pointierte Weise von den kleinen existenziellen Problemen ei- feinsinniger Beobachtung findet er aber letztlich – meist seiner ner Münchner Kleinbürgerfamilie. Ursprünglich begleitete Bogner eigenen Logik folgend – immer zu einer zwar häufig ungewöhnli- „Familie Meier“ als Autor und Herstellungsleiter. Doch vor Drehbe- chen, aber doch nachvollziehbaren Form der Rechtssprechung. ginn fiel der vorgesehene Regisseur aus und Bogner musste selbst ins kalte Wasser springen. In der Serie „Zeit genug“ geht es um Oft sehr eigenwillig agiert auch die Hauptfigur in der Serie „Der den dickschädeligen jungen Willi aus Simbach am Inn, der zu sei- Kaiser von Schexing“, die skurril-amüsante Geschichten hinter den nem etwas schrulligen Onkel Ignaz nach München kommt und Kulissen eines Rathauses einer fiktiven bayerischen Kleinstadt dessen wohlgeordnetes Junggesellendasein durcheinanderbringt. erzählt. Nachdem es keinen anderen Kandidaten gab, soll Bürger- Der ganz große Durchbruch gelang Franz X. Bogner dann mit sei- meister Andi Kaiser zunächst nur als Marionette fungieren. Schnell ner einmaligen Serie „Irgendwie und Sowieso“ über das Lebensge- entwickelt der manchmal arg unbedarfte, aber optimistische und fühl der wilden 68er. Er selbst sieht die Serie als Dokument seiner lebensfrohe Andi seine eigenen Qualitäten und beginnt die Behör- Jugendzeit, wobei sich die Ereignisse von 1968 auch auf dem baye- denbürokratie auszuhebeln, wenn auch nicht immer erfolgreich. rischen Land spiegeln, wenngleich nicht ganz so weltbewegend So steht er in der fünften und vorerst letzten Staffel der Serie nicht wie anderswo. „Irgendwie und Sowieso“ wird von viel Musik getra- nur zwischen zwei Frauen, sondern gleich zwischen allen Stühlen. gen, ist mitreißend-lebendig und temporeich, gleichzeitig aber Gerade abgedreht wurden acht neue Folgen der Polizeiserie „Mün- auch heiter-melancholisch und durchsetzt mit vielen eindringlich- chen 7“. Wieder stehen Figuren im Mittelpunkt, denen der ge- ruhigen Momenten. Nach der Erstausstrahlung 1986 wird die Serie sunde Menschenverstand wichtiger ist als festgeschriebene Ver- im Bayerischen Fernsehen regelmäßig wiederholt und war hier fahrenswege. Auf originell humorvolle Weise beschreibt „München zuletzt ein Highlight im Sommerprogramm, kombiniert mit Son- 7“ den Arbeitsalltag der Polizisten in der Münchner Innenstadt. dersendungen zum 25-jährigen Jubiläum. Der heitere Melancholiker und Ur-Münchner Xaver Bartl und sein

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Szenen aus „Der Kaiser von Schexing“ und „Café Meineid“

junger Kollege Felix Kandler, der seine Wurzeln im Zockermilieu Für viele junge bayerische Filmemacher war und ist Franz X. Bogner der Münchner Peripherie hat, könnten unterschiedlicher nicht ein Vorbild. So ermutigte er Matthias Kiefersauer im Dialekt zu sein, doch gemeinsam sind sie unschlagbar. Nachdem die ersten schreiben und nahm ihn zeitweise in das Autorenteam von „Café Folgen der Serie zwischen 2004 und 2006 äußerst erfolgreich im Meineid“ auf. Sicher eine entscheidende Grundlage für Matthias Bayerischen Fernsehen gesendet wurden, wurden die acht neuen Kiefersauers Fernsehfilme und seine aktuelle Serie „Franzi“, die im Folgen im Frühjahr 2012 im Vorabendprogramm der ARD ausge- Frühsommer 2012 mit neuen Folgen wieder im Bayerischen Fern- strahlt, wo auch viele andere der Kultserien des BR seinerzeit ihre sehen zu sehen war. Auch Marcus H. Rosenmüller wurde stark be- Premiere erlebten. Weitere Folgen von „München 7“ befinden sich einflusst von Bogners Art des Erzählens. Seine Filme, aktuell die bereits in der Entwicklung, sodass wir mit Franz X. Bogner nun beiden vom BR koproduzierten Kinofilme „Sommer in Orange“ und quasi schon ins 31. Jahr der Zusammenarbeit gehen, dem hoffent- „Sommer der Gaukler“ (Start im Dezember 2011) wirken ebenso lich noch viele weitere folgen werden. bayerisch authentisch und echt, da auch er immer nah bei den Menschen bleibt und so seine Komik entwickelt.

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Fünf Fragen an …

Annette Siebenbürger, Leiterin des Programmbereichs Bayern und Unterhaltung Bayerisches Fernsehen

Fernsehkritiker beklagen die „Entertaini- rechtlichen Unternehmens, wie sie auch „Musikantenstadl“ mit dem neuen Musik- sierung“ oder „Boulevardisierung“ des im Rundfunkstaatsvertrag verankert sind. format „Good Vibrations“ sowie dem Event- öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Trifft Schließlich fußt unser Auftrag auf den vier format „Einfach magisch“ nur Formate in dieser Vorwurf auch auf das Programm inhaltlichen Säulen Information, Bildung, die ARD ein, die gar keinen bayerischen des Bayerischen Fernsehens zu? Kultur und Unterhaltung. Schwerpunkt haben. Ab 2014 kommt die Die kritisierte Entwicklung zu einer „Enter- Satire-Sendung „Die Klugscheißer“ ins Erste tainisierung“ bzw. „Boulevardisierung“ Muss Unterhaltung im Bayerischen und da haben wir mit Bruno Jonas (Nieder- kann ich für den Unterhaltungsbereich des Fernsehen bayerisch sein? bayern), Monika Gruber (Oberbayern) und Bayerischen Fernsehens nicht nachvollzie- Nicht ausschließlich, aber schwerpunkt- Rick Kavanian (multikulti) eine sehr bunte, hen. Als medialer Dienstleister besitzen bei mäßig durchaus. Schon durch den Namen regionale Mischung am Start. uns der Mehrwert für den Zuschauer und „“ ist der BR bereits die Qualität des Programms oberste Priori- als Sender aus Bayern für Bayern etabliert, Die Fernsehzuschauer werden immer älter – tät. Daher pflegen wir den Anspruch, dass der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit ein gesellschaftliches Phänomen, das vor Unterhaltung mehr als nur Entertainment einem klaren regionalen Schwerpunkt allem die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- sein muss. Unterhaltung bietet aber auch Programm zu produzieren. Gerade auch in anstalten stark betrifft. Wie reagieren Sie als die Möglichkeit, einem breiten Publikum der Unterhaltung kann eine so kulturell Unterhaltungschefin auf diese Entwicklung? Kultur wie auch wissenswerte Informa­ reichhaltige Region wie Bayern in unter- Meiner Ansicht nach gilt es, beide Seiten tionen nahezubringen. Dass uns dies im schiedlichsten Formaten widergespiegelt nicht zu vernachlässigen. Ziel ist es, ein Allgemeinen gelingt, zeigt sich in der ho- werden. Es ist zudem ein Prinzip des föde- qualitativ hochwertiges und vielseitiges hen Resonanz, mit der die ZuschauerInnen ralen Systems, dass die Dritten Programme Programm anzubieten, mit dem sowohl unseren neu entwickelten Formaten eben-­ eine eher regionale Prägung haben und jüngere wie ältere ZuschauerInnen etwas so begegnen wie unseren langjährigen. die jeweilige Kultur und die Themen des anfangen können. Formate, die eine hohe jeweiligen Bundeslandes abbilden, wäh- Akzeptanz bei einem älteren Publikum Aber ist Unterhaltung nicht das rend dem Zuschauer in der ARD nationale haben, werden wir daher weiterhin unver- Kerngeschäft des Mediums? Themen und überregionale Formate ändert anbieten. Daneben werden wir aber Ja, es gehört zum Kerngeschäft, ist jedoch angeboten werden. auch Sendungen erarbeiten (wie z. B. „mia nur ein Teil der Aufgaben eines öffentlich- san mia“), die idealerweise generationen- Müssen Unterhaltungsformate des BR in übergreifend eine Zielgruppe finden; denn der ARD immer „münchnerisch“ oder alle Zuschauer liegen uns bei der Programm- „oberbayerisch“ sein, um Erfolg zu haben? entwicklung am Herzen. Und es wird punk- Nein, absolut nicht! Die beiden ARD-Vor- tuell auch Sendungen geben, die wir spe­ abend-Serien „München 7“ aus der Landes- ziell für eine jüngere Zielgruppe ent­wickeln. hauptstadt und „Hubert & Staller“ aus der Da die TV-Nutzung von jungen Menschen Region Oberbayern wurden aus Qualitäts- zunehmend im Internet stattfindet, wer- gründen und nicht wegen der regionalen den wir den Onlinebereich zukünftig auch Schwerpunkte ausgewählt. Darüber hinaus in der Formatentwicklung verstärkt be- bringt der BR neben der ORF-Koproduktion rücksichtigen.

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„Vom Ohrwaschl direkt in den Bauch!“ Ein Porträt über „Mister Volksmusik“ Stefan Frühbeis

Ernst Vogt

Eisiger Wind bläst Stefan Frühbeis den Schnee ins Gesicht. Er eine Harfe. „Die Hüttenwirte ham sich auf d’Nacht erst hing’setzt stapft das Kaisertal zum Pfandlhof hinauf. Im Sommer eine ge- zum Harfespielen, wenn die letzten Seilschaften gesund zurück mütliche Wanderung, im Winter ein Härtetest. Denn das Ziel ist waren“, erzählt der Volksmusik-Chef. Das musikalische Können nicht der Gasthof, sondern liegt ein Stück weit höher. Dort, wo hatte er mitgebracht: Zehn Jahre lang hat er Klavier und Kirchen- der tiefe Schnee ein Höherkommen unmöglich machen wird. orgel gelernt. Zum Kontrabass und später zur Tuba kam er durch einen Zufall. Der Bassist der Eltern hatte sich bei der Waldarbeit Er sinniert über seine Leidenschaften: die Volksmusik und das mit einer Säge verletzt – die Adventssingen waren in Gefahr. Bergsteigen. Zwei Jahrzehnte lang hat er mit mir die Bergsteiger- Da hat ihm der Vater einen Kontrabass zu Weihnachten verspro- sendungen im BR-Hörfunk gestaltet und moderiert. Als Leiter der chen mit den aufmunternden Worten „Das ist nicht schwer: Geige Abteilung Volksmusik findet er Parallelen. „Gut miteinander zu lernt man und zur Bassgeige greift man.“ Eine Weichenstellung musizieren“, erzählt er, „das ist a bissl so wie eine Seilschaft, wo je- im Musikantenleben von Stefan Frühbeis, der später mit der Tuba der weiß, was er zu tun hat und wie er’s machen muss – nur deut- bei der „Haberer Tanzlmusi“ spielte und dann mehr als 30 Jahre lich ungefährlicher.“ Die Schritte werden kürzer beim Aufstieg lang mit dem Sousaphon in der „Veterinary Street Jazz Band“, die im knietiefen Schnee. Trotzdem ist die Tour nach Stefan Frühbeis’ aus der Tanzlmusi hervorging. Im Pfandlhof sind wir fast die einzi- Geschmack. Er mag das Kaisertal, den Blick auf die kühnen Fels- gen Gäste. Bei einem Achterl Rotwein denkt Stefan Frühbeis an gipfel des Wilden Kaiser. Den Weg zur Antoniuskapelle und weiter seinen musikalischen Werdegang. Ohne Klavier- und Orgelunter- bis Hinterbärenbad oder gar bis zum Stripsenjoch. Erinnerungen richt wäre das alles nicht möglich gewesen. Es erfüllt ihn mit Stolz, werden wach: „Auf abenteuerlichen Wegen ist die Harfe vom dass er sich jetzt im BR ganz der Volksmusik widmen kann. Es freut Stripsenjoch zu uns nach Hause gelangt“, weiß der Deisenhofe- ihn auch, dass diese Traditionssendung des BR nicht nur von den ner, „und jetzt steht sie im Alpinen Museum in München.“ Älteren, sondern auch von so vielen jungen Leuten gehört wird. Darunter sind viele, die ihn schon vom „Rucksackradio“ her kennen. Bayerische Volksmusik prägte seine Kindheit. Die Eltern probten Das schätzt der Radiomacher aus Leidenschaft, „denn da brauch i im Wohnzimmer – entweder mit der Geigenmusi oder mit dem mi net verstell’n, im Radio net, am Berg net und auch net beim Saitentrio – und durch das Heizluftsystem des Kachelofens über- Hoagart’n.“ trug sich die Musik in das Kinderzimmer. Mit dem Luftzugschuber konnte Stefan die Lautstärke regulieren. Im Elternhaus lagerten Stefan Frühbeis hat hohe Ansprüche an die Volksmusiksendun- teilweise mehr als 40 Instrumente und die Beschallung aus dem gen seiner Abteilung: „Die Leute in ihrem Denken und Fühlen dort „Probenraum Wohnzimmer“ hinterließ unauslöschliche Spuren. zu erreichen, wo sie daheim sind.“ Ihm gefällt es, wenn „die rich- Unsere Aufstiegsspuren im mittlerweile hüfttiefen Schnee rund tige Musik in der richtigen Situation vom Ohrwaschl direkt in den um die Antoniuskapelle werden bald nicht mehr sichtbar sein. Wir Bauch und in die Seele geht“. So wie bei einem echten Jodler drau- drehen um und steuern den Pfandlhof an. Die Hüttenstube – das ßen in den Bergen. Dort, wo er am besten klingt. Beim Abstieg mit ist der Platz, wo sich Bergsteiger und Volksmusikanten treffen, Blick auf die Lichter von Kufstein sind wir uns einig: „Volksmusik schmunzelt Stefan Frühbeis. Früher stand auf allen Kaiserhütten und Berge – das passt allemal gut zusammen.“

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„Die Leute in ihrem Denken und Fühlen dort zu erreichen, wo sie daheim sind.“

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Host mi? Sprach-Lust im Dialekt-Dschungel

Holger G. Dörner

Was ist ein Bumbmstöckla? Wo hat man seine Schlozerl? Wie wird ins Studio durchgestellt und muss beweisen, dass er im Hul- schmeckt ein Schambeeser? Wer hat mehr Spaß: Stroafdax oder zerla tatsächlich den (fränkischen) Schienbeintritt erkennt und Pfloutsch? Und warum muss man einen Buzzaschdenkl schlagen? im Hineikiel den (niederbayerischen) Unterrock. Doch wie ist aus Fragen, die eingefleischte „Host mi?“-Fans locker beantworten dem Benzinfeuerzeug ein „Petäterle“ geworden und aus dem können: Seit „Wir in Bayern“ im Mai 2008 das bayerische Wörter- Schwächling der „Lappeduddel“? Raten ins Programm genommen hat, haben die Zuschauer des Nachmittagsmagazins (15.30 bis 16.45 Uhr) schon über 650 Dia- Für derlei Etymologisches ist bei „Wir in Bayern“ Professor Rowley lekt-Rätsel gelöst – und ein Ende ist nicht in Sicht. zuständig – erst seine Erklärung macht aus „Host mi?“ mehr als ein Fernsehquiz, nämlich einen kleinen, aber höchst lehrreichen Wer seinen Opa „Haarl“ nennt, wie in Teilen der Oberpfalz üblich, und unterhaltsamen Kurs in Sachen Heimatkunde. Denn wer die oder in Oberbayern seinen „Untern“ einnimmt, wenn er Brotzeit Herkunft der Wörter kennt und die Bandbreite ihrer Bedeutung macht, der kann sich kaum vorstellen, dass diese Begriffe in an- erfasst, gewinnt oft überraschenden Einblick in bayerische Lebens- deren Regionen des Freistaats, ja manchmal schon in der Nachbar- art, in Historie und Kultur des Freistaats. Schnell lernt er, dass Bai- gemeinde, gänzlich unbekannt sind. Dabei ist Bayerns Reichtum risch ein Schmelztiegel ist, eine Sprache mit Einflüssen aus aller an Dialekten ganz einfach zu gewaltig, als dass irgendwer in der Herren Länder. „Petäterle“ zum Beispiel kommt, so der Professor, Lage wäre, den Überblick zu wahren über all die Feinheiten – und von „peut-être“, dem französischen „vielleicht“ – weil so ein mitunter auch Grobheiten – der bayerischen Sprache. Es sei denn, Benzinfeuerzeug halt mal geht und mal nicht. er wäre Mundartforscher – und angetreten, den gesamten „Wort- Schatz“ Bayerns zu heben. Wie Professor Anthony Rowley, ein aus So macht „Host mi?“ bei „Wir in Bayern“ täglich Lust auf Heimat. Großbritannien stammender Gelehrter an der Ludwig-Maximili- Und wer weiß: Vielleicht kommt ja das eine oder andere alte, fast ans-Universität zu München, der seit 16 Jahren an den ersten Bän- vergessene Wort auf spielerische Weise zu neuer Blüte? Damit den des „Bayerischen Wörterbuchs“ arbeitet – einem Großprojekt, auch in Zukunft kein „Loamsiader“ was zu „nammeln“ hat. das voraussichtlich erst 2070 mit der Veröffentlichung des zehn- Host mi? ten Bandes abgeschlossen sein wird. Wenn sich also einer ga- rantiert nicht verirrt im bayerischen Dialekt-Dschungel, dann der britische Professor. Und darum ist er auch Berater und letzte Host mi? Instanz bei „Host mi?“. „Host mi?“, das bayerische Wörter-Raten, Ein Spiel übrigens, das ganz und gar von der „Sprach-Lust“ der gibt’s täglich bei „Wir in Bayern“ Zuschauer lebt – sie sind es, die die Redaktion mit immer neuen, (Montag bis Freitag 15.30 – 16.45 Uhr). alten Wörtern aus allen Ecken Bayerns beliefern. Mit solchen, die Die Redaktion freut sich stets über neue, alte zumindest regional noch in aller Munde sind – und solchen, an Dialekt-Begriffe: [email protected] die sich auch die Älteren nur noch vage erinnern. Ob Hulzerla oder Ausführliches, alphabetisches Archiv der „Host mi?“– Hineikiel, Petäterle oder Lappeduddel: jeden Tag sind die „Wir in Wörter samt Erklärungen von Professor Rowley Bayern“-Zuschauer aufgerufen, anzurufen – und Dialekt-Kompe- unter: wirinbayern.de tenz zu zeigen. Live und im Gespräch mit Sabine Sauer oder Michael Sporer, denn: der erste Anrufer mit richtiger Antwort

92 Rätsellösungen: 1c/2a/3b/4b/5c/6a Der Selbstversuch! Host mi? c) Provokateur b) Musikinstrument a) Purzelbaum 6. Was einBuzzaschdenkl? ist c) ungeschickter Mensch b) Hypochonder a) Erbschleicher 5. Was einPfloutsch? ist c) Streifenpolizist b) Herumstreunerin a) Straftäter 4. Was einStroafdax? ist c) Sahnetorte b) Limonade a) Kalbsbraten 3. Was einSchambeeser? ist c) Zehen b) Finger a) Ohren 2. Was sindSchlozerl? c) kleinedicke Frau b) Pumpenschwengel a) krummerSpazierstock 1. Was einBumbmstöckla? ist T r adi t ion &i den t i t ä t ba y ernwert 93 bayernwert Wandel

Rainer Kaufmann führte die Regie bei den Dreharbeiten zum Heimatkrimi „Föhnlage“.

Für die Heimatkrimis unterwegs … Notizen einer Leidenschaft

Stephanie Heckner

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Rainer Kaufmann probt für „Föhnlage“ mit den Schauspielern Katharina Schubert und Jürgen Tonkel.

Der 14. September 2011 ist ein fast normaler Heimatkrimitag. Buch und auch den Romanautoren Klüpfel & Kobr gefällt es. Im Im Auto nach Berlin zur Premiere von „Föhnlage. Ein Alpenkrimi“ Allgäu werden die Drehorte gesucht. Eine Molkerei muss gefun- in der Bayrischen Vertretung dreht Gundi Ellert das Radio ein den werden und es stellt sich die Frage, ob das Motiv vom Haus bisschen lauter, als ihr Schauspielerkollege Thomas Schmauser Kluftinger aus dem ersten Allgäukrimi noch zur Verfügung steht. auf Bayern 1 von den laufenden Dreharbeiten zum „Bamberger Das Casting ist abgeschlossen und auch die Besetzung für Kluf- Reiter“ erzählt. tingers Vater ist gefunden. Viele Darsteller für kleinere Rollen kom- men wieder aus dem Allgäu. So spielt zum Beispiel Maria Kammel Gleichzeitig sitzt Romanautor Jörg Maurer im Zug nach Berlin die Mutter von Kluftinger. Sie ist im wahren Leben die Frau des und schreibt an einem neuen Fall für Kommissar Jennerwein. Auch Bürgermeisters von Altusried, wo Volker Klüpfel geboren ist und er bleibt auf langen Strecken lieber am Boden, als dass er fliegt. Kluftinger lebt. Realität und Fiktion. Im Leben der Redakteurin Heimatkrimiredakteurin Stephanie Heckner fliegt zusammen mit Heckner gehören diese beiden zusammen wie Kluftingers Kuhfell- Martin Feifel, dem Jennerwein-Darsteller, in dieselbe Richtung. clogs. Der Allgäukrimi „Erntedank“ wurde schon 2008 gedreht. Zwischen Tomatensaft und Salzigem statt Süßem schreibt sie das Es war der zweite Heimatkrimi in ihrer Reihe und es ist der erste, Pressehandout für den nächsten Kluftingerfilm. In zwei Wochen der nun flügge wird und mit „Milchgeld“ als neues For- ist Drehbeginn im Allgäu, wieder unter der Regie von Rainer Kauf- mat ins Erste wandert. mann, diesmal im Auftrag der Degeto und in Koproduktion mit dem BR. An dem Drehbuch zu „Milchgeld“ hat sie über ein Jahr in- Dort soll der neue Kluftingerfilm an einem Donnerstagabend zur tensiv mit den Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gearbei- besten Sendezeit ausgestrahlt werden. Das Dritte setzt damit ei- tet. Auf den letzten Metern mussten noch um die 100.000 Euro nen starken Impuls fürs Erste. Und auch wenn Kommissar Kluftin- eingespart werden, weil das Budget nicht reichte. Jetzt steht das ger als Charakter sein Allgäu nur ungern verlässt, die Zuschauer

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werden sich freuen, dass er demnächst auch bundesweit zu sehen Fortsetzung von „Sau Nummer vier“ mit Regisseur Max Färber- ist. Inzwischen sind alle „Föhnlage“-Mitstreiter in Berlin angekom- böck sein? Das Romanmanuskript von Christian Limmer wartet men. Auch Regisseur Rainer Kaufmann und die Schauspielerin Ka- auf die Lektüre. Parallel ist die Drehbuchadaption von „Dampf­ tharina Marie Schubert. In der Podiumsrunde, die Andreas Bönte nudelblues“ schon in Arbeit. Und auch über einen Heimatkrimi am nach der Filmvorführung moderiert, geht es um den Heimatbe- Starnberger See denkt Stephanie Heckner nach. Was wäre, wenn griff. Was ist Heimat eigentlich jenseits des Geografischen anderes am Starnberger See eine Leiche auftaucht, die aussieht wie Lud- als das gute Gefühl von Zugehörigkeit, das wir alle brauchen, be- wig II.? Wie wird die „Föhnlage“ bei der Ausstrahlung im Bay­ sonders dann, wenn wir so dermaßen mobil sind und ständig auf erischen Fernsehen ankommen? Achse? So wie vier Tage zuvor: Da war die „Föhnlage“-Familie nämlich noch in Garmisch-Partenkirchen. In Jörg Maurers nächstem Roman sollen die Graseggers wieder mitspielen! Die Graseggers: Gundi Ellert und Andreas Giebel zu- Über 800 Gäste fasst der Kongresshaussaal. Viele kamen in Tracht, rück aus Italien! Das wäre ein starkes Argument für eine Fortset- im Dirndl, in der Lederhose und mit „Pfosen“ („Wadlstrümpfe“ lernt zung des Alpenkrimis. Dabei ist Gundi Ellert eine gebürtige Ober- die zugereiste Nicole Schwattke) – ein Publikum, das besonders pfälzerin, die sich nichts mehr wünschen würde, als dass mal ein kritisch hinschaut. Dass die Zuschauer mit der „Föhnlage“ auch in Heimatkrimi in ihrer Heimat spielt. Und Andreas Giebel wäre Garmisch-Partenkirchen warm wurden, ließ nicht nur Rainer Kauf- die perfekte Besetzung für den Starnberger Kommissar Lu: Starn- mann aufatmen. Es war ein schöner Abend, der der Redakteurin berg – die reichen Leichen. „Dieser See. Ein Blau, das die Augen neben der Planung des Bühnenablaufs und einer Ansprache an die verwöhnt und gleichzeitig im Herzen weh tut. Weil es von einer Garmisch-Partenkirchener so nebenbei noch die Aufgabe stellte, leuchtenden Schönheit ist, der man nicht beikommt und der passende Haferlschuhe in Größe 45 für den Regisseur zu orga- man nicht trauen kann“. Das Konzept von Autor Sathyan Ramesh nisieren, der aus Berlin angereist war und dessen eigene Haferl- liest sich schon mal sehr gut. Aber was ist mit der Oberpfalz? schuhe in Frankfurt standen. Oder war’s München? Hatte der Intendant da nicht schon nachgefragt? Bald ist Weih- nachten. Da kann man sich was wünschen. Vielleicht einen zwei- Während in Thomas Schmauser und Teresa Weißbach bei ten Heimatkrimi pro Jahr? Wenn die Fiktion so viel Spaß macht, Regisseur Michael Gutmann für den fünften Heimatkrimi vor der dann ist es manchmal schwierig, Realität und Fiktion auseinander- Kamera stehen, läuft im Hinterkopf der Redakteurin während zuhalten. Dann freut man sich als Redakteurin so sehr über einen der Vorführungen des vierten Heimatkrimis zwischen Berlin und Kommissar Jennerwein, dem man wiederbegegnet, wie über ei-­ Garmisch-Partenkirchen schon ein anderer Film, und zwar der, in ne Zuschauerin aus Garmisch-Partenkirchen, die beim Anschauen dem es darum geht, sich entscheiden zu müssen. Eine Art Multip- des Films einen wunderbaren Abend hatte. le Choice der nächsten Heimatkrimi-Produktionsjahre. Denn pro Jahr kann der BR nur einen Film für die Reihe realisieren. Soll es die

An dem Drehbuch zum Heimat­ krimi „Milchgeld“ hat sie über ein Jahr intensiv mit den Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gearbeitet.

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Teambild zu „Föhnlage“ mit einem Teil der Crew und des Schauspielerensembles: Von links, vorne: Regisseur Rainer Kaufmann, Jürgen Tonkel (Rolle: Hauptkommissar Johann Ostler) und Georg Friedrich (Rolle: Karl Swoboda); Mitte: Martin Feifel (Rolle: Hauptkommissar Hubertus Jennerwein), Redakteurin Dr. Stephanie Heckner (PB Spiel – Film – Serie, Bayerischer Rundfunk), Katharina Schubert (Rolle: Kommissarin Nicole Schwattke), Gundi Ellert (Rolle: Ursel Grasegger), Andreas Giebel (Rolle: Ignaz Grasegger), Romanautor Jörg Maurer und Produzent Wolfgang Behr; hinten: Produzent Dietmar Güntsche

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Dahoam is Dahoam Unsere tägliche Geschichte. Von der ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch

Daniela Böhm

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„Der Cliff im A-Strang der 809 kommt in die rosa Seiten. Da war noch eine Änderungsleiche drin.“

„Der Cliff im A-Strang der 809 kommt in die rosa Seiten. Da „Bei der Kontrolle durch die Redaktion vor Ort sind viele Ding wich- war noch eine Änderungsleiche drin.“ Was für jeden Außenste- tig: Der umfassendste Punkt ist, dass die Dramaturgie stimmt. henden ziemlich kryptisch klingt, ist für die Macher von „Dahoam Zudem muss das Buch frei von Anfeindungen also „politically cor- is Dahoam“ ganz normaler Jargon. Hinter den Kulissen des Se- rect“, sein. Die Handlung und die verwendete Sprache müssen riendorfes Lansing arbeitet tagtäglich ein großes Dramaturgen- zu den Figuren passen. Und es darf keine Anschlussfehler geben, und Autoren-Team am Schicksal seiner Bewohner. Bevor sich die die zum Beispiel passieren können, wenn eine Geschichte über dramatischen oder lustigen Szenen vor der Kamera abspielen mehrere Wochen erzählt wird.“ Dass bei den vielen verschiedenen können, durchläuft ein Daily-Drehbuch einen langen Entwick- Fassungen penibel darauf geachtet werden muss, dass in den lungsprozess. Drehbüchern keine veralteten Informationen, sogenannte Ände- rungsleichen stehen, versteht sich von selbst. Erst danach wird Zuerst erarbeiten Headautor, Produzent und Producer zusammen das fertige Drehbuch an Regie und Schauspieler weitergeleitet. mit der Redaktion die groben Zukunftspläne der Figuren. Mit die- sen beschäftigt sich dann das Outliner-Team, das die Ideen weiter- entwickelt und aus ihnen emotionale Geschichten macht: Pro- Nur die Ziege macht, was sie will bleme und Konflikte gesellschaftlicher, familiärer und zwischen- menschlicher Art, inspiriert vom bayerischen Lebensgefühl, mit „Wir diskutieren während des ganzen Entstehungsprozesses viel Schwung und Humor umgesetzt. Pro Folge werden immer drei Ge- miteinander und auch der Regisseur, der das Buch später umsetzt, schichten gleichzeitig erzählt. Wenn die Stränge dann in einzel- hat durch die filmische Umsetzung Einfluss auf die Geschichten“, nen Szenen detailliert formuliert wurden, gehen die sogenannten sagt Daniela Boehm. Die Ergebnisse der Regiebesprechung wer- Outlines an die Dialogbuchautoren. Diese erarbeiten daraus dann den auf rosa Seiten festgehalten. Noch bunter wird’s, wenn ein erst das eigentliche Drehbuch, indem sie den Figuren die passen- Schauspieler erkrankt und Geschichten kurzfristig umgeschrieben den Sätze in den Mund legen. werden müssen. Da fallen viele feuerrote Änderungsseiten an. Je mehr Änderungen es gibt, umso bunter ist die letzte Buchfassung, die dann als verbindliche Vorlage in den Dreh geht. Nur ein einzi- „Und dann streiche ich drin rum.“ ges Wesen hält sich am Set nicht dran: Die tierisch zickige Haupt- darstellerin Frau Gregor. „Die Ziege sollte nur ein paar Meter von Daniela Boehm betreut als stellvertretende Redaktionsleitung A nach B gehen“, erinnert sich Daniela Boehm lachend. „Statt Serien im Ersten – Dailys „Dahoam is Dahoam“. Sie ist neben an- zu tun, was im Drehbuch stand, hat sie nur pausenlos gefressen.“ deren redaktionellen Aufgaben in die verschiedenen Stoffentwick- lungsprozesse bis zur Drehbuchfassung stark eingebunden und im steten Austausch mit Produzent, Producer und den Autoren.

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Heimat

Abseits der Klischees: abgründig

Ein Interview mit dem Regisseur Hans Steinbichler

Herr Steinbichler, Sie sind dafür berühmt, die gängigen begründet. Die beginnt im Kopf des Senders. Wenn dort jemand Heimatfilm-Klischees gnadenlos zu demontieren. sitzt, der – um mit dem BR zu sprechen – die Liberalitas Bavariae Was genau fasziniert Sie denn so an „Heimat"? erfasst hat und nach unten durchsickern lässt bis in die Redaktio- Dass man sie verlassen muss, um sie zu begreifen. Beim Verlassen nen, dann entsteht die Qualität, die ich meine. Das ist die kann ich den Blick auf die Abgründe und all das Schreckliche wer- Bedingung für das Gelingen von Heimatfilmen. fen, was sich dort abspielt. Aber immer im Licht der Liebe, denn ich liebe meine Heimat sehr und kann nur weggehen, um am Ende Gelingt denn dem BR die Abbildung jener heimatlichen Abgründe, wiederzukommen. die Sie so sehr schätzen – oder sitzt auch er in der Klischeefalle? Da muss ich jetzt vorsichtig sein, denn ich sitze buchstäblich In einem Interview sagten Sie einmal, „Heimatfilm kann im Glashaus. Ich bin nämlich auch gern pathetisch und muss stark mehr bieten als heile Welt“. daran arbeiten, in meinen Filmen nicht selbst Klischees zu trans- Die heile Welt der Nachkriegsheimatfilme ist eine Altlast des portieren. Aber schon im Vorabendprogramm sieht man: Es gibt Kriegs. Was konnte man denn den Leuten nach 1945 sonst bieten, eine Nachfrage nach Klischees und die wird gerne bedient. Und als sie nach Hause kamen in ein völlig zerstörtes Land, in dem zwar so sehr, dass man sich fragen muss, ob der öffentlich-rechtli- es keine Städte mehr gab? Man setzte fröhliche Menschen in die che Rundfunk noch seinen Kulturauftrag erfüllt. Das meine ich Heide und sagte: Das ist Heimat. Aber Heimat ist viel mehr. ganz ernst, und nicht snobistisch oder arrogant. Eine bayerische Heimat ist da, wo es wehtut. Daily-Soap ist ein Geniestreich in Sachen Quote und Audience- Flow, aber trotzdem muss sich ein Sender wie der BR auch etwas Aber was kann er denn nun mehr bieten? leisten, was wehtut. Sonst spürt er nichts mehr. Und wenn er Einer der größten Heimatfilmer ist für mich Pedro Almodovar. nichts mehr spürt, dann kann er nicht mehr abbilden, was abge- Was ist seine Heimat? Sein Schwulsein. Sein Leben in einer völlig bildet werden muss. verkehrten Welt. In Gedanken, die kein Mensch hat. Aber in dieser Heimat richtet er sich ein, die zieht er durch, die erzählt er einem Bayern wandelt sich – demografisch, politisch, gesellschaftlich. Publikum, das nichts mit ihr zu tun hat. Das noch nie einen Trans- Inwiefern müssen Film- und Fernsehmacher darauf reagieren? vestiten gesehen hat. Das Mehr-Können des Heimatfilms liegt da- Der BR sollte den Wandel abbilden – aber ohne sich selbst gleich rin, dass er die ureigenste Seele von einem Autoren zeigen kann. zwanghaft mitzuwandeln. Ja, er muss sich diesem omnipräsen­ten Deswegen sind diese Filme näher, enger, bewegender, ergreifender. Wandel gerade entziehen, ein Bollwerk gegen den Wandel sein. Aber nicht durch Sentiment und Beschränkung auf Rückschau und Wie entsteht denn Ihrer Meinung nach Qualität Brauchtumspflege. Sondern, indem er sich darauf besinnt, was im Genre „Heimatfilm“? Bayern ist: nämlich ein föderales Land mit verschiedensten Die Qualität eines Heimatfilms liegt in der Freiheit des Denkens Facetten.

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Hans Steinbichler (Jahrgang 1966) ist Regisseur und Drehbuchautor. In Filmen wie „Hierankl“ (2003) oder „Winterreise“ (2006) – übrigens beides BR-Koproduktionen – interpretierte er das Genre „Heimatfilm“ völlig neu – indem er konsequent die Abgründe hinter den beschaulichen Heile-Welt-Fassaden seiner bayeri- schen Heimat aufzeigt. Zuletzt führte Steinbichler Regie beim BR-Polizeiruf „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.

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unten: aus dem Film „Hierankl“ von Hans Steinbichler Rechte Seite: Ursula Gruber schrieb das Drehbuch zu „Sommer in Orange“ von Marcus H. Rosenmüller (Regie) Rechte Seite unten: Szene aus „Polizeiruf 110 – Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Regie Hans Steinbichler) mit Kommissar-Darsteller Matthias Brandt

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Abseits der Klischees: lebensnah und humorvoll

Ein Interview mit Drehbuchautorin Ursula Gruber

Ist „Sommer in Orange“ ein bayerischer Heimatfilm? bayerischen Film die Schauspieler das nicht beherrschen! Als ich anfing zu schreiben, habe ich überhaupt nicht in solchen Im Kern geht es doch darum, dass das Wesen dieser Heimat Kategorien gedacht. Aber die Geschichte spielt eben in Bayern und eingefangen wird. ich selbst habe – abgesehen von kurzen Ausflügen nach Amerika und England – mein ganzes Leben hier verbracht. Und so ist Finden Sie das in ausreichender Form im Programm tatsächlich ein bayerischer Heimatfilm herausgekommen. des BR wieder? Ich finde es wieder, aber oft leider nur nach Schema F – vor allem Ihr Film lässt den Retro-Charme der Achtzigerjahre aufleben – im dokumentarischen Bereich, aus dem ich ja stamme. Da würde ist Heimatfilm heute zwangsläufig mit Nostalgie verbunden? ich mir mehr Facetten wünschen. Nein, überhaupt nicht. Wenn ich mir die Filme von Regisseuren wie Hans Steinbichler oder Matthias Kiefersauer anschaue, die unter Welche Chancen hat gerade der BR, sich „heimatlich“ „Neue Heimatfilme“ firmieren, dann finde ich die eigentlich nicht zu profilieren? nostalgisch. Die Kompetenzen dazu hat der BR ja zur Genüge. Es geht eigent- lich nur darum, dass die Programmverantwortlichen genug Gerade im Heimat-Genre droht leicht die Klischeefalle. Mut und Risikobereitschaft haben. Und dem Zuschauer vielleicht Wie wappnet man sich als Macher dagegen? noch ein bisschen mehr zutrauen. Bayern wird in der restlichen Welt sehr einseitig als Dauer-Okto- berfest und Lederhosenland wahrgenommen, das hat mich schon Die Interviews führte Matthias Supé immer gestört. Aber gleichzeitig haben Klischees ja auch immer einen wahren Kern, und den sollte man sichtbar machen. Am bes- ten auf spielerische Art, zum Beispiel, indem man die Klischees so richtig überspitzt.

„Die Zeiten ändern sich – und wir uns mit ihnen“, sagt der Pfarrer am Ende von „Sommer in Orange“. Gilt das auch für Ursula Gruber den bayerischen Heimatfilm? (Jahrgang 1971), drehte Dokumentarfilme für BR- Sendungen wie „Menschen in Bayern“ und „Unter Ja, das stimmt. Die klassischen Heimatfilme der Fünfziger- oder unserem Himmel“, bevor sie sich aufs Schreiben Sechzigerjahre hatten nichts mit der Realität zu tun, die heutigen verlegte und mit dem Drehbuch zum Kinofilm dagegen schon. Trotzdem kann man – wie man es etwa bei den „Sommer in Orange“ (2011, Regie: Marcus H. Rosen- Filmen von Marcus H. Rosenmüller immer wieder sieht – einen müller) den Durchbruch schaffte. „Sommer in Orange“ ist eine BR-Koproduktion des Programm- Film zugleich authentisch und märchenhaft gestalten. Man kann bereichs Spiel – Film – Serie. völlig übertreiben und sogar Slapstick-Elemente einbauen. Das darf man sich schon rausnehmen.

Was macht einen guten Heimatfilm für Sie aus? Er sollte die Menschen ernst nehmen und so zeigen, wie sie sind. Dazu gehört übrigens auch die Sprache. Schlimm, wenn in einem

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Außenstimme: Wider das Plastikbairische!

Helmut Schleich über Bayern, das Bayerische Fernsehen und bayerische Politik

Herr Schleich, wie viel Bayern steckt in Ihrer Art von Kabarett? deutsch sprechenden Großmutter aufgewachsen bin, ich also früh In meiner Art von Kabarett steckt viel Bayern. Bayern ist ja mein gemerkt habe, dass man ein und denselben Sachverhalt sprachlich Herkunftsland, mein Lebensbereich und meine Heimat, auch völlig unterschiedlich ausdrücken kann. Das hat meine Sprach- wenn ich mit dem Wort sehr vorsichtig umgehe. In meiner kaba- und Dialektwahrnehmung sicher sehr geprägt und mir dadurch rettistischen Arbeit betrachte ich Bayern idealtypisch, indem ich auch viel Gefühl für das Parodistische gegeben. Es ist ja eines mei- gewisse Prozesse und Strukturen aufzeige, die auch anderswo in ner Markenzeichen geworden, dass ich mich schnell direkt in je- Deutschland nachvollzogen und ähnlich empfunden werden kön- manden und dessen Sprache hineinversetzen kann. Der Dialekt nen. Also, ich würde mich jetzt nicht als bayerischer Folklorist bietet dafür viele Ausdrucksmöglichkeiten. Er bringt auch manche verstehen. Sachen viel direkter auf den Punkt als die Hochsprache.

Bayern und Heimat, das ist ja für manche schon gleich-­ Würden Sie den Dialekt im bayerischen Kabarett als Chance bedeutend. Welche Rolle spielt für Sie Heimat? sehen, oder doch eher als „Abschreckung“ und damit „Abschalter“ Heimat ist ein großes, häufig missbrauchtes und insofern ein für Bürger anderer Bundesländer? Nach dem Motto: „Verstehen schwieriges Wort! Trotzdem fühle ich mich hier zu Hause, wenn- wir nicht, schalten wir weg!“ gleich ich mich in erster Linie als Münchner und weniger als Je bairischer ich auf der Bühne rede, desto mehr „Nordbürger“ bayerischer Kabarettist begreife. verabschiede ich. Aber ich beobachte da häufig eine eher geistige Blockade beim Zuschauer. Dialekt zu verstehen, ist ja in erster Linie Eng verknüpft mit der „bayerischen Heimat“ ist ja der Dialekt! eine intellektuelle Frage. Umgekehrt verstehe ich ja „Plattdeutsch“ Welche Rolle spielt für Sie der Dialekt? auch, wenn ich mich darauf einlasse. Und so versteht der Hambur- Die bayerische Sprache wird ja von sehr vielen als die schönste ger den bayerischen Dialekt auch, wenn er’s nur versucht. Außer- deutsche Mundart empfunden und für mich ist sie ein kabarettis- dem gibt’s im Norden genügend „Bayernfreaks“, die sich freuen, tisches Geschenk. Ich bin ja in Schongau geboren, also im baye- wenn sie Bairisch hören. Das hat für die was von Urlaub. risch-schwäbischen Dialektraum, aber schon im zarten Alter von acht Jahren nach München gekommen. Dort habe ich mir dann Diese Leute finden dann ein Stück Bayern im Fernsehen wieder. den oberbayerischen Dialekt angeeignet. Hinzu kam, dass ich Das suchen sie zumindest beim BR und zwar das authentische, in Schongau bei meiner aus dem Saarland stammenden, hoch- nicht das „Plastikbairisch“, wie es leider in Sendungen wie

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Kabarettist Helmut Schleich mit „Nicht mit mir!“ auf der Bühne im Münchner Lustspielhaus

„Dahoam is Dahoam“ zum Teil gesprochen wird. Wobei ich sagen Bildet das Bayerische Fernsehen Ihrer Meinung nach die muss, dass sich das gebessert hat … aber nur das! (lacht) gesellschaftliche Wirklichkeit Bayerns ab? Also, ich bin ja nicht der Programmdirektor des BFS. Aber ich finde Würden Sie im Hinblick auf die Medienlandschaft sagen, dass schon, dass das Bayerische Fernsehen in Teilen die bayerische und das Bayerische Fernsehen so etwas wie „Heimat“ sein kann? gesellschaftliche Wirklichkeit sehr gut abbildet. Es gibt in „Unter Dass die Leute das Bayerische Fernsehen mit dem Begriff der unserem Himmel“ und anderen Formaten sehr sehenswerte und Heimat verbinden? genaue Reportagen über und aus Bayern. Auch auf der fiktionalen Natürlich ist das Bayerische Fernsehen für viele Bürger Bayerns Ebene hat der BR Meilensteine gesetzt. Auf der anderen Seite gibt ein Identifikationskern. Und da vor allen Dingen das Unterhal- es eine bodenlose Art des Pseudobayerischen, wo man mit aller Ge- tungsprogramm des Bayerischen Fernsehens. Ich meine nicht nur walt versucht, den Menschen ein allzu klischeehaftes Bayernbild das Kabarett. Es gibt die uralte Tradition des Komödienstadels, reinzudrücken. Da gibt es Dailysoaps und Gameshows im deut- der ja ein Flaggschiff des Bayerischen Fernsehens ist. Aber es gibt schen Fernsehen, wo man schon sagen muss: Warum verkauft ihr auch andere Formate wie z. B. „Die Landfrauenküche“. die Leute für blöd? Auch wenn das intern vielleicht nicht immer so wahrgenommen wird, aber es gibt Zuschauer, die das so wahr- Das ist so erfolgreich, weil sich die Zuschauer wiederfinden und nehmen und sich darüber ärgern. sagen: „So ist unser Bayern, so erleben wir unser Bayern und so sehen wir uns auch gerne dargestellt!“ Ich glaube, dass das Bayeri- Sie meinen, man sollte ein gewisses Niveau halten?! sche Fernsehen manchmal trotzdem noch „hinterfotziger“ und Schon! Das Bayerische Fernsehen mit seinem Programm und sei- frecher sein dürfte. Wenn ich außerhalb Bayerns, in Hamburg oder nen Geschichten über Bayern; das ist doch eines der Markenzeichen! Nordrhein-Westfalen, Gastspiele gebe, werde ich immer wieder Beispielhaft sei da genannt: Serien wie „Monaco Franze“, „Irgend- auf das Kabarettprogramm im Bayerischen Fernsehen angespro- wie und sowieso“ oder das Volkstheater. Man sollte diese Tradition chen. Ich erlebe, dass das Kabarett am Donnerstag- und besonders wirklich hegen und pflegen. Ich zitiere ungern Helmut Kohl, aber am Freitagabend bundesweit sehr gut ankommt. Kabarett ist da entscheidend ist, was hinten rauskommt. Nicht jede BR-Serie, die mittlerweile das Markenzeichen des BR geworden. den Anspruch erhebt, hochwertig zu sein, ist es auch! Man sollte an Bayern und seine Geschichten glauben und das fürs Fernsehen umsetzen, damit ein möglichst vielschichtiges Bayernbild entsteht.

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Ich glaube, dass das Bayerische Fernsehen manchmal trotzdem noch „hinterfotziger“ und frecher sein dürfte.

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Im Bayerischen Fernsehen gibt es eine Vielfalt an Kabarettisten anstatt endlich einmal darüber zu reden, ob das wirklich unsere und Satirikern zu sehen. Wo würden Sie sich im Reigen von Vorstellung von Zukunft ist, mit immer noch mehr Flugzeugen Komikern wie Günter Grünwald, Ottfried Fischer und Monika immer noch schneller von A nach B zu kommen, anstatt über res- Gruber einordnen? sourcenschonendere und vernetztere Formen von Mobilität ernst- Ich habe viel Verschiedenes gemacht. Die „Spezlwirtschaft“ ist eine haft nachzudenken. Es gibt Linienflüge von München nach Nürn- Großstadtsitcom mit typisch städtischen Themen. Ich habe mich berg und Stuttgart, das ist schlichtweg krank! Die Diskussion um immer als schauspielernder Kabarettist begriffen, der mit und aus die dritte Startbahn riecht wieder einmal förmlich danach, dass es seinen Figuren heraus spricht. Auf diese Weise möchte ich poli- hier nicht um das Wohl des Landes geht, sondern darum, Geld tisch und gesellschaftlich relevante Aspekte satirisch verarbeiten. aus den öffentlichen Kassen in private Taschen zu pumpen. Ich denke, dass ich in meiner neuen Sendung „SchleichFernsehen“ dieses Profil zukünftig noch sehr viel stärker und präziser heraus- Würden Sie sagen, dass es zu wenig Kabarettprogramm im arbeiten kann. Bayerischen Fernsehen gibt? Es gibt viel Kabarettprogramm im BFS, es wird auch viel auspro- Ihr Programm „Nicht mit mir!“ bezeichnen Sie selbst als biert. Und weil ich ja ungern an dem Ast säge, auf dem ich sitze, „ultimative Form persönlichen Protests“. Bietet sich in Zeiten sage ich: Es kann nie genug Kabarett geben. Gut muss es halt sein! von politisch gewollten Großprojekten besonders geeigneter Stoff für Sie selbst und Ihre Kollegen? Das Publikum liebt Sie für Ihr Typenkabarett. Sie parodieren ja Momentan passiert so unglaublich viel und in einem so hohen gekonnt viele Persönlichkeiten aus allen Bereichen. Könnten Tempo, dass man selbst als Satiriker, der gewohnt ist, schnell zu Sie sich da auch einmal vorstellen, einen Kabarettkollegen oder reagieren, es kaum noch zu fassen bekommt. Es ist also wichtig, eine Kollegin wie Monika Gruber zu parodieren? worauf man sein Augenmerk legt. Man darf ja nicht anfangen, der Naja, den Ottfried Fischer parodiere ich ja schon. Ich bin ja das Ein- Themenlage hinterherzuhecheln. Also suche ich mir ein Über- zige, von Otti persönlich autorisierte Double. Die Monika Gruber thema. Zum Beispiel in meinem aktuellen Programm das Thema zu parodieren, das würde allein schon mit den Maßen schwierig Protest. Und dieser Protest kanalisiert sich dann auf verschieden- werden. (lacht) ste Wege. Ich kann das Argument, Wutbürger seien nur Spießer, die vor der eigenen Haustür keine Baustelle wollen, überhaupt Das Gespräch führte Bernhard Paulus. nicht nachvollziehen. Protest und Widerstand entzündet sich im- mer an Konkretem. Ich bin politisch in der „Wackersdorf-Zeit“ sozialisiert geworden. Damals hat man gesehen, wie mit Scheinar- gumenten wirtschaftlich Gewolltes einfach durchgedrückt wor- den ist, bis es die Wirtschaft plötzlich hat fallen lassen. Und natür- lich ist die „Dritte Startbahn“ wieder so ein Beispiel, wenngleich auch nicht so ein gefährliches wie eine atomare Wiederaufbe­ reitungsanlage. Da wird jetzt wieder der Wirtschaftsstandort Bay- ern ins Feld geführt und das Totschlagargument Arbeitsplätze,

Helmut Schleich 1983 gründete Helmut Schleich zusammen mit Christian („Fonsi“) Springer und Andreas Rüttenauer das Kabarett Fernrohr. Seit 1998 tritt er als Solokünstler auf. Seit 2001 kennen ihn BR- Zuschauer als „Heinzi Liebl“ aus der Serie „Spezl- wirtschaft“. Über Bayern hinaus bekannt ist er vor allem für seine gelungen Parodien von u. a. Ottfried Fischer, Papst Benedikt XVI. und Franz Josef Strauß. Sein parodistisches Talent zeigt er im Bayerischen Fernsehen in der Sendung „SchleichFernsehen“.

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Wertebild

„Bayernwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Gesellschaftswert Orientierung geben in einer komplexen Welt

gesellschaftswert

Was haben Ereignisse wie der „Arabische Frühling“, die Atomkatastrophe von Fukushima oder die Europäische Schuldenkrise mit unserem Leben in Bayern zu tun? Inwiefern sind wir davon betroffen? Was bedeuten diese Ereignisse und welche Gefah­ ren oder Risiken gehen davon für unser Leben in Bayern, Deutschland oder Europa aus? Kommen mehr Menschen nach Bayern, sind Arbeitsplätze gefährdet, kommt es bei uns zu einer Inflation oder Wirtschaftskrise? Müssen wir um die bestehende gesellschaftliche Ordnung fürchten? Das sind alles Fragen, die die Menschen beschäftigen, wenn sie die Nachrichten in den Medien verfolgen.

115 gesellschaftswert

Als öffentlich-rechtliche Anstalt ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Bayerischen Rundfunks, nicht nur die Menschen über solche Ereignisse zu informieren, sondern auch Antworten darauf zu finden.

Wir wollen Orientierung geben. Keine leichte Aufgabe – und oft gibt es keine klaren Antworten. Die Wirklichkeit ist komplex und verändert sich je nach Betrachtungsweise. Meinungen und Argumente prallen da aufeinander. Aber auch darin besteht unsere Aufgabe: den Meinungen, der Meinungsvielfalt einen Raum zu geben.

Wir belassen es aber nicht dabei, wir machen uns auch aktiv auf die Suche nach Antworten und neuen Perspektiven. Dafür stehen wir im Dialog mit der Politik, der Wissenschaft, den Kirchen und Religi­ onsgemeinschaften, den Verbänden und Vereinen.

116 gesellschaftswert

Wir suchen den Kontakt und den Austausch mit unseren Zuschauern und Zuhörern, mit den Nutzern unserer Internetangebote. Wir stellen uns und den Menschen in Bayern immer wieder Fragen wie: „Was ist das eigentlich ‚Bayern‘, die bayerische Ge­ sellschaft?“, „Was hält die Menschen hier zusam­ men?, „In welcher Gesellschaft leben wir?“ und „Wie wollen wir leben?“

Als Sender werben wir und treten wir ein für Offen­ heit und ein friedliches Miteinander in einer de­ mokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Bildung sowie die Förderung von Kultur und sozia­ lem Miteinander sind dafür die Grundlagen. Nur so erfüllen wir unseren gesellschaftlichen Auftrag, und nur so bleibt Bayern, was es immer schon war: bunt, vielfältig und lebenswert.

117 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

118 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Die Welt im Radio – radioWelt Das Bayern 2-Magazin bringt täglich die Hintergründe zu den Geschehnissen auf der Welt

Stefan Maier

„radioWelt“-Redakteurin Ulrike Beck klärt Details zu Nachrichtenmeldungen.

119 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Ein Name als Verpflichtung. Drei Mal täglich reist die Bayern 2- rauschfrei beim Hörer ankommt, also der Gesprächspartner „radioWelt“ um den Globus. Schaltet live nach Athen, begleitet möglichst nicht am Handy und schon gar nicht im Auto mit uns Drogenfahnder an der bayerisch-tschechischen Grenze, schaut telefoniert? Zeitunterschiede müssen bedacht sein. Und die Tele- einer Schuldirektorin über die Schulter, wie sie den Unterrichts- fonnummer muss natürlich stimmen, sonst kommt das Sendungs- ausfall bewältigt, spielt einen Kommentar aus Berlin zur Afgha- team ins Schleudern. Eine weitere Stärke der „radioWelt“: Die Ver- nistanstrategie oder einen aus Washington zum Wiederauf- netzung innerhalb des Bayerischen Rundfunks und in der ARD. stieg der amerikanischen Autoindustrie. Informationen und Interviewäußerungen werden selbstverständ- Und immer wieder exklusive Gespräche, von denen es nachher lich an andere Wellen, an br.de und an das Bayerische Fernsehen oft heißt: „sagte im Bayerischen Rundfunk“. Ministerpräsidenten weitergereicht. Korrespondentinnen und Korrespondenten in aller und Ministerinnen, Generalsekretäre und Generäle, Volkskundler Welt schätzen die Ideen und Anfragen und bei manchen hat man und Verbraucherschützer, gescheite Menschen, unterhaltsame das Gefühl, sie freuen sich schon auf unseren Anruf im Sommer. Menschen, normale Menschen. Wobei wir uns vor jedem Interview Dann geht es nämlich um die traditionellen Sommerserien, mit fragen: Was hat dieser Mensch zu sagen, wird man ihm gerne zu- denen die „radioWelt“ Sommergefühle aus aller Welt nach Bayern hören, werden unsere Hörerinnen und Hörer etwas mitnehmen? holen möchte. Es ist also eine riesige Bandbreite, die die Bayern 2- Wir, das sind erfahrene Redakteurinnen und Redakteure, Modera- „radioWelt“ abdecken darf – daheim im Freistaat, in Deutschland, torinnen und Moderatoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitar- in Europa und in der ganzen Welt. Die Arbeit wird uns niemals beiter. Immer auf der Suche nach den Themen aus aller Welt, die ausgehen: Überall passiert so viel Interessantes, warten so viele­ die Menschen hier in Bayern gerade bewegen. Oder für die wir spannende Gesprächspartner und gibt es so viel zu erklären sie bewegen wollen. Pressekonferenzen und Routinetermine in­ und zu hinterfragen. teressieren die „radioWelt“ nur am Rande.

Viel lieber fragen wir nach, wir schauen hinter den schönen Schein, wir analysieren, wir kommentieren. Und wenn uns ein Thema besonders am Herzen liegt und besondere Facetten bietet, dann widmen wir ihm eine Serie. Einen Tag oder eine Woche lang wird dann erklärt und hinterfragt. Die Serie „Wem gehört das Internet?“ war nur eine von vielen und selbstverständlich gab es weitere Informationen auf den Onlineseiten der „radioWelt“. Und nachhören kann man diese Serie immer noch. Eine Besonderheit der „radioWelt“ ist das Magazinformat. Beiträge und Interviews werden ergänzt durch fünf bis sechs liebevoll ausgewählte Musik- titel pro Stunde. Keine Hitparaden- und Chart-Musik, sondern Songs, die man nicht an jeder Ecke hört – getreu dem Bayern 2- Musikmotto „Legenden und Entdeckungen“. Und so ist auch die „radioWelt“-Musik weltoffen, entspannt, anspruchsvoll und the- matisch oft angebunden zu einem eben gehörten Inhalt. Das Informationen und Interview- wohl wichtigste Markenzeichen der Redaktion „radioWelt“ ist die kreative und sorgfältige Planung. äußerungen werden selbst­- verständlich an andere Wellen, Während die Sendungsteams aktuell agieren und erst die „radio- Welt“ am Morgen in der wichtigen Primetime und dann die „ra- an br.de und an das Bayerische dioWelten“ am Mittag und am Abend in den Äther schicken, zer- Fernsehen weitergereicht. brechen sich drei Stockwerke tiefer die Planerinnen und Planer den Kopf über die nächsten Tage. Welches Thema wird wichtig? Welches Thema wollen wir selbst setzen? Wie soll der Beitrag klingen, wer kann ihn realisieren, wird er rechtzeitig fertig? Und immer wieder der Ehrgeiz, passende und spannende Gesprächs- partner ans Telefon der „radioWelt“ zu holen. Und wenn wir eine Zusage bekommen: Wie stellen wir sicher, dass das Interview

120 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Fünf Fragen an …

Wolfgang Aigner, Programmbereichsleiter Bayern 2 – Kultur und Gesellschaft

Was bedeutet für Sie „öffentlich- den Onlineseiten und den Klangkörpern Was ist der „rote Faden“, der sich durch rechtliches“ Programm? wird der „Kultur“ aus Bayern und für Bay- das Programm von Bayern 2 zieht? Information, Bildung und Unterhaltung – ern täglich im BR mehr Platz eingeräumt Einfache Antwort: Qualität und Anspruch. diese drei Komponenten schreibt uns das als in irgendeinem anderen Medium. Beides prägt unser Programm – vom Rundfunkgesetz vor. Grundsätzlich unter- Wir sind eines der wichtigsten und größ- frühen Morgen bis spät in die Nacht. scheidet uns das von der kommerziell aus- ten Kulturinstitute im Freistaat. gerichteten Konkurrenz. Deshalb bieten wir auch Sendungen für Minderheiten an. Welche Bedeutung hat ein Programm Alles muss auf einem formalen und inhalt- wie Bayern 2 in Zeiten des vermeintlich lichen Niveau stattfinden, das zielgruppen- immer verfügbaren Wissens im Internet? gerecht ist und gleichzeitig in jedem Seg- Unsere „radioWissen“-Sendungen tau- ment die qualitative Marktführerschaft chen regelmäßig unter den in Deutsch- innehat. land meist genutzten Audio-Podcasts auf. Gleichzeitig erzielen diese Sendungen Kultur – auch dafür sind Sie als PBL Radioquoten, die für ein Minderheiten­ Bayern 2 zuständig. Welchen Stellenwert programm wie Bayern 2 erstaunlich hoch hat die Kultur im BR? sind. Wir können also mit diesem Angebot Neben Rezensionen, Kritiken oder Essays im linearen Programm genauso punkten gibt es Kunstformen, die ausschließlich wie im viel größeren Internetmarkt mit zum Medium Radio gehören: künstlerische dem Riesenvorteil der permanenten Features und die Hörspiele, ob klassisch Verfügbarkeit. oder experimentell. Diese Sendungen auf Bayern 2 machen einen wichtigen Teil Welche Rolle spielt die Quote dessen aus, was der BR seinem Publikum für Bayern 2? insgesamt an Kultur bietet. Zusammen Sendungen ohne Publikum sind nicht mit dem Bayerischen Fernsehen, BR-alpha, zu verantworten. Aber in den ohnehin „schwachen“ Randzeiten des Hörfunks, also zum Beispiel spät abends, darf es durchaus so anspruchsvoll oder ex- perimentell zugehen, dass auch „kleine“ Minderheiten zuhören wollen oder können. Das kann, darf und muss sich ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk leisten. Wer sonst sollte es tun?

121 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

122 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Expect the unexpected! – quer Fernsehen 2.0: Der Programmmacher und sein Publikum

Die größte Herausforderung für den öffentlich-rechtlichen Programmmacher ist sein Publikum.

Wolfgang Mezger

quer

„quer“ mit Christoph Süß – das kritische, satirische Magazin vom BR: donnerstags um 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen Wiederholungen: Freitag früh um 1.45 Uhr im Bayerischen Fernsehen sowie samstags um 13.15 Uhr bei

123 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Oft als scheues Reh bezeichnet, ist es in Wirklichkeit eher eine gesellschaftlichen, kulturellen Wandel wie auch Veränderungen Diva, die hinsichtlich ihres Fernseh-Konsumverhaltens an einer in der Mediennutzung und dem Sehverhalten aufspüren und ins Form der Persönlichkeitsspaltung leidet: der Kopf-Bauch-Schere. Programm implementieren. Dem Publikum auf’s Maul zu schauen Der Kopf will Relevantes, Forderndes, doch wenn es zum Schwur heißt aber nicht, ihm nach dem Mund zu reden. Der britische Er- an der Fernbedienung kommt, setzt sich meistens der Bauch mit folgsautor John Abbott hat einmal gesagt: „Autoren müssen Pfad- seinem Bedürfnis nach Behaglichkeit und leicht verdaulichen finder sein. Ihr Job ist nicht, das Publikum zu fragen, wo es hin Inhalten durch. will. Ihr Job ist es, das Publikum an Orte zu führen, von denen es niemals wusste, dass es dorthin wollte.“ Der Leitspruch der Steht der öffentlich-rechtliche Programmmacher mit seinem ge- „quer“-Programmmacher lautet: „Expect the unexpected!“. Die setzlichen Auftrag vor diesem Hintergrund auf verlorenem Posten Zuschauer sollen erwarten können, dass „quer“ zu den politisch- – verdammt entweder zum Minderheiten- oder minderwertigen gesellschaftlich-kulturellen Themen, die das Land, die Region oder Programm? Qualität oder Quote? die Gemeinde beschäftigen, inhaltlich und gestalterisch etwas Neues, Ungewöhnliches, Überraschendes einfällt. Dazu bedarf es Gerade kommerzielle Medien reduzieren – unter zunehmendem des Mutes, des sicheren Instinkts, der flachen redaktionellen Struk- wirtschaftlichen Druck – das duale System immer mehr auf die- turen und einer offenen Kritikkultur bei allen am Programm Be­ se Frage und liefern die Antwort gleich mit. So zieht die „Süddeut- teiligten. Was heute gelingt, kann aber morgen schon bloße Erin- sche Zeitung“ mitten in der Eurokrise psychologisch kontami- nerung an bessere Tage sein, wenn wir die Veränderung der medi- nierte Parallelen: „Der öffentlich-rechtliche und der private Rund- alen Rezeption unseres Publikums durch die digitale Revolution funk koexistieren in einer Währungsunion, ihr beider Zahlungs- nicht rechtzeitig in Programm und Markenpflege umsetzen. Schon mittel ist: die Quote.“ Aber ist das wirklich so? Gibt es wirklich nur in wenigen Jahren werden ganze Zuschauerschichten unser For- die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen mediokrer Massen- mat nicht mehr auf linearem Wege verfolgen. ware oder qualitativem Nischendasein? Oder kann es gelingen, Qualität und Quote gleichzeitig zu erreichen – und wenn ja: mit Das Publikum stellt uns also vor neue Herausforderungen. Keiner welchen Mitteln? weiß genau, wie die mediale Welt von morgen aussehen wird, aber eines ist sicher: Die Verbreitungswege unserer Inhalte werden Vielleicht kann ja das seit nunmehr fast 14 Jahre bestehende vielfältiger sein. Um in der Summe weiter erfolgreich zu bleiben, Format einen kleinen Fingerzeig in diese Richtung liefern. „quer“ werden wir zusätzlich zu einem überzeugenden linearen Auftritt bewegt sich als Format im politisch-gesellschaftlich-kulturellen unser Angebot auf alle passenden nonlinearen Plattformen erwei- Milieu, also in klassischen öffentlich-rechtlichen Bereichen, erreicht tern müssen. Der große Zuspruch für „quer“ in seinem Blog, bei in allen mir bekannten qualitativen Studien mit die höchsten Facebook, Twitter oder im ARD-YouTube-Channel ist eine Ermuti- Akzeptanzwerte im Bayerischen Fernsehen und erzielt seit Jahren gung, auch auf diesem Weg weiter die Fühler zu unserem Publikum herausragende, zweistellige Marktanteile auf einem Primetime- auszustrecken. Sendeplatz. Wenn es also „quer“ schafft, Qualität und Quote in Einklang zu bringen, hängt dies vielleicht damit zusammen, dass die Programmmacher (Redaktion, Autoren, Moderator) sich per- manent in die Zuschauerposition begeben, deren Wünsche und Bedürfnisse fortwährend neu ergründen, dass sie politischen,

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Quer durch die Social-Media-Welt

David Ziegler, Online-Redakteur und Community Manager bei quer, erzählt im Interview, wie die Redaktion Social Media ins Tagesgeschehen einbindet und nutzt.

Wie ist „quer“ eingestiegen ins professionelle Blogging? und freigeschaltet. Bei Berichten über komplexe juristische Fälle Wir haben im Herbst 2009 das „quer“-Blog gestartet, um dort alle erhalten wir mitunter kritische Fragen von fachkompetenten „quer“-Videos kommentierbar zu machen. Ein paar Monate später Zuschauern im Blog. Um solche Fragen zu beantworten und vor- kamen erst Twitter und später Facebook dazu, um unsere Themen gebrachter Kritik zu entgegnen, muss ich den Bericht noch einmal dorthin zu bringen, wo sich viele Nutzer und potenzielle Multi- anschauen, den zuständigen Redakteur anrufen, mitunter den plikatoren im Netz bewegen. Wir laden allerdings bei Facebook Autor kontaktieren oder sogar nachrecherchieren. und Twitter keine Videos hoch, sondern kündigen dort nur unsere Themen an beziehungsweise bewerben Videos, die auf unseren Inwiefern werden Reaktionen von Fans und Followern von „quer“ BR-Seiten liegen. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet unser En- ausgewertet und in die redaktionelle Planung mit einbezogen, gagement im ARD-YouTube-Channel. Dort werden unsere Videos zum Beispiel zur Generierung von Themenvorschlägen? jede Woche hochgeladen. So werden Menschen, die „quer“ nicht Wir schauen uns jeden Themenvorschlag an, der über Blog, Face- kennen, aber bei YouTube nach bestimmten Themen suchen, book oder Twitter an uns herangetragen wird. Es sind allerdings auf unsere Sendung aufmerksam. wenig brauchbare. Aber man kann über die sozialen Medien mit- unter schnell Betroffene suchen. Bei einem Bericht über sogenan- Auf Facebook haben Sie aktuell über 28.000 Fans, bei Twitter fast nte Geocacher, das sind Menschen die mit GPS-Geräten auf eine 11.000 Follower. Kommt über diese Kanäle auch viel Feedback? Art Schnitzeljagd gehen, haben wir innerhalb weniger Stunden Das ist sehr themenabhängig. Emotionale Themen wie Rauchver- einige bayerische Ansprechpartner für einen Bericht gefunden. bot, EHEC oder E10 generieren mehr Kommentare als der fünfte Bericht zur Eurokrise. Pro Woche erhalten wir etwa 10 bis 50 Reak- Welche Beobachtungen machen Sie im Hinblick auf die tionen bei Twitter. Reaktionen heißt hier: Antworten oder „Ret- Bedeutung von Social Media für den BR bzw. Ihre Redaktion? weets“ – so nennt man es, wenn unsere Twitter-Leser Meldungen Beliebte Medienmarken wie „quer“ können über soziale Medien von uns an ihre eigenen Leser weiterleiten. Bei Facebook sind es und die dortige Empfehlungskultur einem größeren Personen-­ 300 bis 1.500 Reaktionen pro Woche. Reaktionen heißt hier: Kom- kreis bekannt werden, jüngere Zielgruppen erschließen und vom mentare oder der Klick auf den „Gefällt mir"-Knopf. Feedback der Nutzer profitieren. Nicht nur der Inhalt des Feed- backs nützt uns, sondern auch unsere sichtbare Offenheit für Kri- Wieviel Zeit investieren Sie täglich/wöchentlich tik. Dass man uns per öffentlichem Kommentar kritisieren kann, ins Community Management? steht uns gut zu Gesicht und macht uns glaubwürdiger. Das reine Lesen, Freischalten, Bearbeiten und Beantworten von Kommentaren kann von einer bis im Extremfall acht Stunden Worin sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen pro Tag dauern. Meistens hält sich der Aufwand in Grenzen, aber in dem Bereich? wir sind darauf vorbereitet, auch viele Kommentare abarbeiten zu Das Beste aus kaum vorhandenem Budget zu machen. 28.000 können. Die Bearbeitungszeit soll möglichst kurz sein, auch z. B. „quer“-Fans auf Facebook – das sieht gut aus, ist aber weit unter samstags, wenn „quer“ auf 3sat wiederholt wird. Ein Extremfall Potential. Ich hoffe, dass wir in Zukunft mehr Ressourcen zur waren zum Beispiel die ersten 48 Stunden nach dem Rücktritt von Verfügung haben, um Zielgruppen unter 50 an unsere Sendung Karl-Theodor zu Guttenberg, in denen wir alleine im „quer“-Blog heranzuführen und zu binden. 600 vielfach sehr umfangreiche Kommentare erhielten. Jeder einzelne wurde gelesen, wo nötig von Unsachlichkeiten befreit Das Interview führte Kathrin Lucia Meyer

125 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Den Fragen der Zuschauer bei „Jetzt red i – Europa“ stellen sich sogar Europas Spitzenbeamte wie EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Eggenfelden/Niederbayern.

Auf Augenhöhe mit Europa Jetzt red i – Europa versteht sich als Sprachrohr der Bürger

Mario Beilhack

126 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Vor Ort im Saal erheben sich die Menschen, bilden Gruppen, diskutieren weiter mit den Politikern, holen sich Autogramme.

„Hund hama scho, sogt ma ja so schee in Bayern, aber bei da Bayern früher einmal auf die finanzielle Solidarität der Bundes­ Griechenlandkris’n ja wohl ned“, so setzt der Bauer Franz Reiter länder angewiesen gewesen sei, und warb so für den Kurs der ganz bairisch an, um EU-Energiekommissar Günther Oettinger Euro-Staaten in der Griechenlandfrage. Anerkennendes Raunen (CDU) mit einem ungewöhnlichen Vorschlag zur Lösung dieser und einige Lacher im Saal. Krise zu konfrontieren: Griechenland muss nicht die Eurozone verlassen, nein, man wertet einfach das griechische Eurogeld ab … Für die Redaktion war es gar nicht so einfach, einen Termin zu fin- den, an dem Günther Oettinger Zeit hatte und nach Bayern kom- Wir sind in Eggenfelden in Niederbayern, es ist ein Sonntagabend men konnte. Gerne hätte ihn die Planerin Annette Peter schon im im Hochsommer, und die Bürgersendung „Jetzt red i – Europa“ ist Frühjahr 2011 zu Gast in der Sendung gehabt – nach Fukushima vor Ort. Der Saal der örtlichen Musikschule ist bis auf den letzten und inmitten der Diskussion um den sofortigen Ausstieg aus der Platz gefüllt. Es ist eng und mit der Dauer der 90-minütigen Auf- Kernenergie. Das hätte auch der Moderatorin Irmtraud Richardson zeichnung steigt auch die Temperatur im Saal. Dennoch ist die At- gefallen: „Ein politisches Schwergewicht“ wie Oettinger erklärt mosphäre nach der ersten Aufgeregtheit beim Start der Sendung den Bürgern in Bayern Europas Haltung zur Nuklearwirtschaft. mittlerweile recht aufgeräumt. Alle anwesenden Bürger schauen Dazu kam es aber nicht. Stattdessen sprechen alle jetzt vom Euro gespannt auf den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden- und der Schuldenkrise innerhalb der Euro-Staaten. Aber ein Polit- Württemberg. Was wird wohl der Oettinger zu dem Vorschlag sa- profi wie Oettinger kann auch dazu Rede und Antwort stehen. gen. Der EU-Energiekommissar lächelt und sagt ganz klar: „Eine Schließlich vertritt er als EU-Kommissar nicht nur sein Fachressort,­ Abwertung hilft da nicht und ist außerdem gar nicht möglich.“ sondern sieht sich auch als Repräsentant der gesamten EU(-Kom- Dann huscht ein Lächeln über das Gesicht Oettingers, als er hin­ mission). An dem Abend ist er nicht der einzige Politiker, der den zufügt und daran erinnert, dass im Übrigen auch der Freistaat­ Bürgern Europa erklären und somit nahebringen soll.

127 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

„Hund hama scho, sogt ma ja so schee in Bayern, aber bei da Griechenlandkris’n ja wohl ned“

Bürger aus Eggenfelden

„Ein Abwertung hilft da nicht und ist außerdem gar nicht möglich.“

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie

128 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Zwei Europaabgeordnete, Manfred Weber (CSU) und Wolfgang Folge der Förderung von Biogasanlagen beklagt. Günther Oettin- Kreissl-Dörfler (SPD) wurden ebenfalls zur Sendung nach Eggen- ger erklärt ihr, dass es zwar ein gemeinsames europäisches Ziel felden eingeladen. Die Bürger löchern die Politiker aber nicht nur gäbe, nämlich den Anteil der regenerativen Energie an der Strom- mit Fragen zur Eurokrise. Schon lange haben sie hier verstanden, versorgung in allen Mitgliedsstaaten auf 20 Prozent zu erhöhen. dass Europäische Verordnungen und Richtlinien ihren beruflichen Die Umsetzung aber falle in die Zuständigkeit der Mitgliedsländer, wie privaten Alltag mitbestimmen. Sie beklagen den Bürokratie- also sei der deutsche Bundestag als Gesetzgeber hierfür verant- aufwand bei europaweiten Ausschreibungen für kommunale Bau- wortlich. Fragezeichen im Saal. Jetzt sind die beiden Moderatoren vorhaben, kritisieren umständliche Lkw-Fahrtzeitenregelungen gefragt. Was heißt das, wer ist jetzt Schuld daran, dass aus Land- oder regen an, endlich einen transparenten europäischen Arbeits- wirten zunehmend Energiewirte werden? Die EU, die Bundesre- markt zu schaffen, um auf diese Weise z. B. den Mangel an Lehr- gierung mit ihrer Mehrheit im Bundestag oder vielleicht am Ende lingen bzw. Lehrstellen abzufedern. Nicht immer finden sich für doch die Landesbehörden? Der EU-Abgeordnete Wolfgang Kreissl- eine Sendung auf Anhieb ausreichend Themen. Annette Peter Dörfler antwortet und sieht vor allem die Bundesregierung in der und die Redakteurin Helga van Ooijen waren bereits zwei Wochen Pflicht. Manfred Weber, nicht nur EU-Parlamentarier, sondern zuvor in Eggenfelden, um dort Bürger zu treffen und Themen zu auch Bezirksvorsitzender der CSU in Niederbayern, macht hinge- sondieren. Es soll sich ja nicht in jeder Sendung immer alles um gen klar, dass man zwar vermehrt auf den Einsatz regenerativer die gleichen politischen Fragen drehen: Dauerbrenner wie die Energie setzen müsse, um die energiepolitische Wende zu schaf- Ausweisung von Schutzgebieten nach der Europäischen Fauna- fen, aber eben auch die bäuerliche Kulturlandschaft schützen und Flora-Habitat-Richtlinie oder die Schädigung von Fischbeständen erhalten müsse … Nachdenkliche Mienen bei den Bürgern. Mittler- durch Kormorane. Helga van Ooijen meint: „Es kommt dabei auch weile sind knapp 90 Minuten der Aufzeichnungszeit um, Tilmann auf die richtige Mischung zwischen lokalen bzw. regionalen und Schöberl beginnt mit der Abmoderation, das Orchester der örtli- den ganz gro­ßen Themen an.“ Annette Peter ergänzt: „Wir müs- chen Musikschule spielt auf – im Fernsehgerät wird drei Tage sen auch alles gründlich nachrecherchieren, schon allein damit später an dieser Stelle der Abspann zu sehen sein. Vor Ort im Saal wir uns nicht in einer Sendung zum Lobbyisten lokaler, wirtschaft- erheben sich die Menschen, bilden Gruppen, diskutieren weiter licher oder parteipolitischer Interessen machen, und die Zuschauer mit den Politikern, holen sich Autogramme. Viele Fragen wurden uns das dann in E-Mails und Zuschriften um die Ohren hauen.“ beantwortet, neue Fragen aufgeworfen. Für manches Problem, das angesprochen wurde, gab es keine zufriedenstellende Lösung, Zusammen mit dem Redaktionsleiter Stephan Keicher und den aber immerhin hatten die Menschen für die Dauer einer Sen- beiden Moderatoren Irmtraud Richardson und Tilmann Schöberl dung das Gefühl, das man ihnen zuhört. sprechen sie die Themen für die jeweilige Sendung durch und legen die Schwerpunkte fest. Natürlich hängt das auch von den Politiker-Gästen ab. Eingeladen werden je nach Sendungsschwer- Jetzt red i – Europa punkt und Lage des (politischen) Terminkalenders Vertreter der Bayerischen Staatsregierung, Abgeordnete des bayerischen Land- Seit 1971 gibt es „Jetzt red i“ – die älteste Bürger- tags, des Europäischen Parlaments und Mitglieder der EU-Kom- sendung des Bayerischen Fernsehens und eine der mission. Da die richtige Mischung zu finden, sei gar nicht so leicht, aktuellsten zugleich. Da für Probleme bayerischer meint Stephan Keicher. Wichtig sei, dass man die Anliegen der Bürger längst nicht mehr nur politisch Verantwortliche Bürger ernst nehme und mit der Sendung dem Bürger die Mög- aus Bayern und Berlin zuständig sind, sondern auch lichkeit gebe, sich sozusagen von Angesicht zu Angesicht mit Eu- Abgeordnete und politische Beamte der Europäischen ropa-Politikern auseinanderzusetzen. „‚Jetzt red i – Europa‘ ver- Union, gibt es seit September 2005 zusätzlich zur steht sich als Sprachrohr der Bürger“, meint Keicher. Und welche traditionellen Sendung „Jetzt red i“ die erweiterte Rolle haben die Moderatoren? Sie fungieren als Anwälte, sollten Ausgabe „Jetzt red i – Europa“. Das Moderatorenduo nachfragen und eine Schneise durch den Dschungel europäischer Irmtraud Richardson – sie war lange Jahre Hörfunk- Kompetenzen, Richtlinien und Verordnungen schlagen. korrespondentin in Brüssel – und Tilmann Schöberl ist für die Sendung in Bayern unterwegs und fragt, Oft aber gibt es für die Anliegen keine klaren Antworten und auch was den Bürgern in Sachen Europa auf dem Herzen keine klaren Adressaten. Die Bürger im Saal und die Zuschauer liegt: Was läuft schief in Brüssel? Was könnte besser vor dem Fernsehgerät müssen dann erfahren, wie komplex politi- gemacht werden? Aber auch – was bringt die EU sche Prozesse und Zuständigkeiten gerade in Europa organisiert dem einzelnen Bürger? sein können. So geht es auch der Bäuerin Maria Maierhofer aus dem Rottal, die den Rückgang der bäuerlichen Landwirtschaft als

129 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Flagge zeigen Das Notizbuch und die Energiewende

Sachverstand nicht zu kurz. Den Boom der Solarenergie beobach- tet die Redaktion Wirtschaft und Soziales durchaus auch kritisch. Photovoltaik-Anlagen decken derzeit drei bis vier Prozent des Elek- trizitätsbedarfs. Das Zehnfache, dreißig Prozent, sollten es schon in wenigen Jahrzehnten sein, erklärt Professor Eike Weber vom Fraunhofer-Institut in Freiburg. Ein „Notizbuch“-Interview, das un- ter den Hörern durchaus­ gemischte Reaktionen hervorruft. So einfach könne man doch die Energiewende nicht herbeizaubern, schreibt zum Beispiel Peter K. in einer E-Mail an Bayern 2.

Grund genug für die Redaktion, nah dran zu bleiben an diesem vielgestaltigen Thema. So wird auch gefragt nach der Rentabilität von Geldanlagen in sogenannten Bürger-Solarparks oder Wind- Klaus Boffo parks. Wer früh eingestiegen ist – sei es als bloßer Anleger oder als „Solar-Landwirt“ – hat bislang gut an der Energiewende verdient. Aber acht Prozent Zinsen pro Jahr sind nicht mehr so sicher, wenn jetzt die Einspeisevergütung kräftig abgesenkt wird. Und aufge- Drei Redaktionen, eine Sendung: das ist das „Notizbuch“ auf passt! Acht Prozent Zinsen sind nicht dasselbe wie acht Prozent Bayern 2. Zwei Stunden werktäglich, in denen die Redaktionen Rendite. Denn das eingesetzte Kapital wird ja bei einer Investition Gesellschaft und Familie, Umwelt und Landwirtschaft sowie in Solar- oder Windkraftanlagen nach 20 Jahren nicht einfach Wirtschaft und Soziales nicht nur informieren und unterhalten wieder zu 100 Prozent ausbezahlt wie bei einem Sparbrief. wollen, sondern durchaus Flagge zeigen.

Zum Beispiel beim Thema Atomkraft: „Was wurde aus den Kin- Das Notizbuch dern von Tschernobyl?“, fragte der Familienfunk schon in den 90er- Jahren. Die gesundheitlichen Folgen der Strahlenbelastung oder will Anwalt sein für den Verbraucher, für den mündi- das weltweit ungelöste Problem der Atommüll-Endlagerung gen Patienten, und möchte Antworten geben für alle wurden dabei nicht nur aus Expertensicht diskutiert; Menschen Neugierigen. Wir weisen auf Missstände hin und mit ihren Ängsten ernst zu nehmen, sie mit ihren ganz persön­ fragen nach den Verantwortlichen. Erzählen von neuen lichen Gedanken zu Wort kommen zu lassen, ist Grundprinzip Lebensformen, von der flexiblen Familie, die nicht im- dieser Vormittags-Sendung. Als die Redaktion Umwelt und Land­ mer Mama, Papa, Kind heißen muss. Berichten über wirtschaft zum „Notizbuch“ hinzustieß, kam eine ganz neue, eine Vielfalt der Kulturen in Deutschland, die längst bodenständig-pragmatische Farbe ins „Notizbuch“: Holzpellets, Realität geworden ist. Sprechen über Umweltschutz Biogas, Erdwärme u.v.m.; welchen Beitrag können erneuerbare und Landwirtschaft, über gerechte Bildungschancen Energien zu unserer Versorgung leisten? Die Ratgeber-Rubrik – und über Sozialpolitik. Nicht Experten reden über täglich die letzte halbe Stunde im „Notizbuch“ – klärte über prak- Betroffene, sondern die Menschen kommen selbst zu tische Fragen wie den Wechsel des Stromanbieters auf, und un-­ Wort. Menschen mit ihren Geschichten, spannend ter der Überschrift „Energiewende selbstgemacht“ erfuhren die und einzigartig. „Das Notizbuch“ spricht über Themen, Hö­rerinnen und Hörer detailliert, wie viel Strom sich im Haushalt bietet Gespräche und Meinungen. Leben? Eben! sparen lässt, wenn man nur sorgfältig mit der Energie umgeht. „Das Notizbuch“: Montag bis Freitag von 10.05 bis Bei allem umweltpolitischen Impetus aber kommt wirtschaftlicher 12.00 Uhr auf Bayern 2.

130 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Fünf Fragen an …

Werner Reuß, Leiter des Programmbereichs Wissenschaft – Bildung – Geschichte

Wo sehen Sie für die nächsten Deshalb gehören zum Pro­ rische Jahrtausend“ versuchen sehmacher bieten wir Videos in Jahre den Schwerpunkt Ihrer grammbereich Sendungen wie wir z. B. auch in der Geschichtsre- einer bestechenden Qualität, wie Arbeit? „Querbeet“, „Gesundheit“, „LaVita“, daktion, unsere Gegenwart aus der man sie sonst im Netz sehr lange „Bildung“ ist ein Kernauftrag des „Geschichte“, „natureXclusiv“, Vergangenheit heraus zu erklären. suchen muss. Wir wissen aber Bayerischen Rundfunks und im Ge- „Faszination Wissen“ etc. In unserer Sendung „Gesundheit“ auch, dass Jugendliche nach wie setz ausdrücklich genannt. Den versuchen wir aufzuklären, Tipps vor ganz gerne fernsehen. Wir nehmen wir sehr ernst, besonders, Wie gewährleisten Sie die Pro- zur Prophylaxe zu geben. „Faszina- müssen und wollen also beides an- was die Qualität unserer Angebote grammqualität für Ihren Bereich? tion Wissen“ wiederum erklärt uns bieten: Neue Vermittlungsformen betrifft. Wir beobachten aber sehr Wichtig ist der eigene hohe An- nicht nur die Neuheiten in Wissen- im Netz und klassisches, modern genau das veränderte Mediennut- spruch, ein Sendeplatzprofil und schaft und Technik, sondern setzt gemachtes Fernsehen. zungsverhalten unserer Zuschauer/ eine permanente, sowohl redak­ sich auch mit Chancen und Risiken Innen, das uns vor eine besondere tionsimmanente als auch – in re­ auseinander. Und nicht vergessen: Was bedeutet „Barrierefreiheit“ Herausforderung stellt: Wir müs- gelmäßigen Abständen – externe das große, zumeist bewusst kom- im Zeitalter trimedialer Medien­ sen mehr im Internet anbieten, Evaluierung. Dabei geht es nicht plementär ausgerichtete Angebot angebote? ohne auf ein qualitätsvolles Ange- nur um die Professionalität des von BR-alpha. Barrierefreie Angebote sind wich- bot im Fernsehen verzichten zu Handwerks, sondern auch um die tig für alle Menschen mit Ein- können. Nur die „formale Bildung“, Relevanz der Themen und ihre Wie lassen sich Ihrer Meinung schränkungen ihrer Sinneswahr- also unsere curricularen Angebote, inhaltliche Aufbereitung. Zudem nach jüngere Zuschauer für The- nehmungen. Nur mit diesen wird sich mehr und mehr im Inter- müssen wir – wo möglich – Bezüge men aus der Welt der Natur- und Angeboten kann eine Teilhabe am net finden müssen, weil dieses Me- zum Alltag unserer Zuschauer/In- Geisteswissenschaften gewinnen? politischen, wirtschaftlichen, ge- dium den sich stets ändernden und nen berücksichtigen und/oder her- Jüngere Zuschauer/Innen suchen sellschaftlichen und kulturellen vielfältigen Arbeitszeitmodellen stellen. Wir müssen was zu sagen oft knappe und modern aufberei- Leben gewährleistet werden. Wir am ehesten entgegenkommt und haben: anschaulich, verständlich, tete Informationen aus Natur und werden und wollen unsere klassi- die Inhalte dauerhaft vorhält. Aber nützlich, aber auch freundlich, Umwelt, aus Wissenschaft und schen Angebote wie Videotextun- unser Bildungsauftrag ist nicht nur charmant und – im besten Sinne Technik, aus Kultur und Gesell- tertitelung und Audiodeskription auf die „formale“ Ausbildung, auf des Wortes – unterhaltend; d. h., schaft, aber auch für Schule und aufrechterhalten. Zudem wollen die Vermittlung von Kenntnissen, wir müssen mit den Menschen ins Beruf. Und junge Mediennutzer wir die einzigartige Sendung „Se- Fähigkeiten und Fertigkeiten be- Gespräch kommen und vor allem sind gute Gradmesser für „Trends“ hen statt Hören“, eine Art „Bayeri- schränkt, sondern umfasst auch die unsere Protagonisten respektvoll und neue Möglichkeiten. Aber wir sches Fernsehen kompakt“, fort­ „intentionale“, also die informelle behandeln. müssen nicht jedem Trend hinter- setzen. Das Internet bietet neue und inzidentelle Bildung. herhecheln. Der Spagat zwischen Chancen, wenn man nur an den Halten Sie die bestehenden dem Erhalt des Bewährten und Ausbau barrierefreier Angebote in Angebote zur Meinungsbildung dem notwendigen Neuen in Tech- der Mediathek oder auch den ver- und Orientierung im Bayerischen nik, Form und Inhalt stellt uns vor mehrten Einsatz der Gebärden- Fernsehen für ausreichend? besondere Herausforderungen: sprache bei VoD-Angeboten denkt. Grundsätzlich finde ich die Ange- Wir wollen ja nicht nur modern, Wir sind in Gesprächen mit den bote des BR sehr gut. Der Versuch, ansprechend und „unterhaltend“, entsprechenden Verbänden und Orientierung zu geben, findet in sondern auch möglichst umfas- bemühen uns, alle Ausspielarten den allermeisten Programmen send, verlässlich und glaubwürdig optimal für die Verbesserung und statt und wird von allen Redaktio- informieren und berichten. Da den Ausbau barrierefreier Ange- nen als wichtiger Auftrag verstan- spielt das Internet natürlich eine bote zu nutzen. den. Mit Angeboten wie „Das Baye- große Rolle. Als professionelle Fern-

131 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Bühne der Politik: München im 20. Jahrhundert Mit der Sendereihe Das Bayerische Jahrtausend schildert der BR die großen historischen Zeitströmungen, die die Städte, Regionen und Menschen in Bayern über zehn Jahrhunderte hinweg prägten. In der letzten Folge der zehnteiligen Reihe steht München im Mittelpunkt.

Mario Beilhack

132 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

„München leuchtete“, schreibt Thomas Mann zu Beginn des Super-8-Kamera. Es flattern die bunten Fahnen der Spiele, auf 20. Jahrhunderts und kann noch nicht ahnen wie grausam und dem olympischen Gelände tummeln sich Menschenmassen – eine grell dieses Leuchten bisweilen noch sein würde. In dem ein- Art Riesenpicknick-Happening zwischen Turm, See und Berg. Und drucksvollen Filmessay (Idee und Buch: Christian Lappe, Redaktion dann der Schock: die Geiselnahme israelischer Sportler durch Geschichte und Gesellschaft) führt uns Erzähler Udo Wachtveitl palästinensische Terroristen. Wieder steht München im Zentrum durch München als Ort politisch-medialer Inszenierungen im eines Weltkonfliktes, wieder gehen Bilder um die Welt. Wieder 20. Jahrhundert. wird die Stadt zur Bühne einer politisch-medialen Inszenierung. Die nicht aufgearbeitete Vergangenheit scheint die Stadt ein- Es sind bestimmte Straßenzüge wie die Ludwigstraße oder der geholt zu haben. Königsplatz, die für diese politischen Inszenierungen die ideale Bühne bieten. München steht im Licht der großen Politik und lie- Schnitt, letzte große Szene: Der Sarg mit dem Leichnam des Mini- fert von Anfang an die Bilder dazu: Wir sehen den bejubelten Aus- sterpräsidenten Franz-Josef Strauß wird – begleitet von Abord- zug des königlichen Leibregiments aus der Residenz, vorbei an der nungen der Polizei und der Bundeswehr – durch die Ludwigstraße Feldherrnhalle auf die Ludwigstraße im Jahre 1914. Münchens zum Siegestor gezogen. Ein letztes Mal im 20. Jahrhundert werden Grundstein als Film- und Medienstadt war bereits gelegt, als noch die Münchner Zeugen einer großen Inszenierung. Sie suggeriert, vor dem ersten Großen Krieg erste „Filmstudios“ im Süden auf dass eine große politische Ära zu Ende gegangen ist. München bot dem Gelände der heutigen -Film entstanden. im 20. Jahrhundert immer wieder nicht nur einen Schauplatz der Geschichte, sondern wie keine zweite Stadt Bayerns eine Bühne Die BR-Dokumentation greift diese Bilder auf, mischt sie mit Re- für die Politik. enactment-Szenen und Auftritten des Erzählers Udo Wachtveitl an den jeweiligen Originalschauplätzen. Auf diese Weise zeigt der Das Resümee der großen München-Dokumentation zieht der Film, wie München zu einer Spielstätte für die politischen Um- Filmerzähler Udo Wachtveitl: „Die Geschichte Münchens im wälzungen des 20. Jahrhunderts werden konnte. 20. Jahrhundert zeigt, dass es die eine Geschichte nicht gibt, und es eine Deutungshoheit über die Geschichte nicht geben darf. Die Stadt schien sich geradezu für jedwede Art der politisch- Der Blick auf das Ganze und der Perspektivenwechsel helfen, sich medialen Inszenierung zu eignen: Antikriegsdemonstration auf ein Bild von der Geschichte zu machen und zu verstehen, was der Theresienwiese unter dem wachenden Auge der Bavaria im einmal geschehen ist.“ Herbst 1918, dann Revolution und Räterepublik. 1923 folgt der Hitlerputsch, und nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 Fahnenschwüre und Soldatenaufmärsche auf dem Königsplatz. Die Kameras waren einmal mehr nicht nur Zeugen des Gesche- hens, sondern sie wurden gezielt eingesetzt und damit wieder zu einem festen Bestandteil der propagandistischen Inszenierung von Politik.

Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes 1945 zeigen die ersten bewegten Bilder aus einem befreiten Deutschland eine Fronleichnamsprozession entlang der in Trümmern liegen- den Pracht- und Aufmarschallee, der Ludwigstraße. Erzähler Die Geschichte Münchens im Wachtveitl erklärt dem Zuschauer, wie München neu ersteht und die Trümmer der Stadt allmählich an den Rand verschwinden, 20. Jahrhundert zeigt, dass es die wo sie zu einem Schuttberg wachsen, der Jahre später München eine Geschichte nicht gibt, und wieder zum Leuchten bringen sollte: 1965 dann die zündende Idee, das Olympische Feuer nach München zu holen. Die Stadt es eine Deutungshoheit über die bekommt den Zuschlag. Sportlich, friedlich und heiter sollen Geschichte nicht geben darf. sie werden, die Sommerspiele. Die Dokumentation zeigt einen Modellsegler, der seine Kreise über das im Bau befindliche Olym- piagelände zieht. Natürlich ist der Himmel blau. Schnitt: Wir sehen eine typische Kleinfamilie der Endsechziger im Olympia- park spazieren gehen, der Vater filmt den Ausflug mit seiner

133 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

134 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Udo Wachtveitl mit Autor Matthias Sebening und Kameramann Holger Neuhäuser auf der Theresienwiese

135 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

Heinrich II. ist mit seiner Gemahlin Kunigunde nach Bamberg gekommen, Das Bayerische Jahrtausend um dort der Weihe des Ecksteins des Bamberger Doms beizuwohnen. Zehn bayerische Städte, zehn Jahrhunderte und zehn Paradigmen stehen im Zentrum der Sendereihe „Das Bayerische Jahrtausend“. Zehn Filme charakteri- sieren historische Marksteine vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, die prägend waren für die Entwicklung des Freistaats in seiner heutigen Form. Udo Wachtveitl, bekannt aus dem Münchner „Tatort“, begleitet den Zuschauer durch „Das Bayerische Jahrtausend“ – als Spurensucher und als Fragender. Mit Spielszenen, Computeranimationen und Inter- views entsteht ein zeitnahes und authentisches Bild der jeweiligen Epoche.

So wird am Beispiel Bamberg und seinem Dom der Wandel im mittelalterlichen Denken aufgezeigt (11. Jh.). Würzburg steht für das Phänomen der Terri- torialisierung (12. Jh.), das Thema „Fernhandel“ ist für Regensburg im 13. Jahrhundert bedeutend, in der niederbayerischen Herzogresidenz Straubing entwi- ckelt sich im 14. Jahrhundert die Schriftlichkeit der Besitz- und Rechtverhältnisse, und Nürnberg wird mit seinen Erfindungen und höchster Handwerkskunst berühmt (15. Jh.). Welthandel, Kapitalismus und Globa- lisierung tauchen im Augsburg des 16. Jahrhunderts auf, während in Ingolstadt im Zeitalter des Dreißigjäh- rigen Krieges das öffentliche Recht und eine bayeri- sche Behördenorganisation entstehen (17. Jh.). Erlan- gen profitiert nach dem Willen seines Landesherrn im Zeitalter der Vernunft vom Erfinderfleiß seiner Glau- bensflüchtlinge (18. Jh.) und Fürth von der Eisenbahn, die die Industrialisierung mit sich bringt (19. Jh.).

136 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Fünf Fragen an …

Walter Schmich, Programmbereichsleiter Bayern 3 – Jugend

Wie kann die Jugend vom Wert des gen erreichen kann. Fakt ist aber, dass die aus un­terschiedlichen Regionen in öffentlich-rechtlichen Rundfunks über- Musik gerade bei den jugendlichen Hörern ganz Bayern stammen, sollen ihre Her- zeugt werden? eine sehr große Rolle spielt Man hat gute kunft nicht verheimlichen und dürfen auch Wir bieten den Jugendlichen mit den In- Chancen, ein „breites, junges Publikum“ zu mal in fränkisch, schwäbisch oder altbai- halten unserer Jugendsendungen und vor erreichen, wenn man in einem Programm risch mo­derieren. Zudem haben wir in un- allem mit musikalischer Newcomer-Förde- rund um die Uhr „die Jugendlichen“ gezielt serer wichtigsten Sendung, den Bayern rung auf verschiedenen Ausspielwegen mit Moderatorinnen und Moderatoren an- 3-Frühaufdrehern, die ja von einem Dreier- wesentlich mehr als unsere privaten Mit- spricht, die auch die Sprache der Jungen Team moderiert werden, auch ganz be- bewerber. Aber es ist wichtig, dass das, was sprechen. wusst auf einen konsequent bairisch spre- wir machen, auch bei den Jugendlichen chenden Moderator („Fleischi“) gesetzt. ankommt. Dazu müssen wir mit unseren Ist Radio für die Jugend überhaupt noch Inhalten dorthin, wo sich Jugendliche auf- ein wichtiges Medium? Mit Sendungen wie „Mensch, Otto!“ halten, und zwar sowohl im realen als Auf alle Fälle. Sämtliche Zahlen aus der sprengt Bayern 3 das klassische Format auch im virtuellen Raum. Wir müssen auf Medienforschung zeigen uns, dass die Ra- einer Popwelle auf. War das ein Risiko? Großveranstaltungen mit überwiegend dionutzung in Bayern steigt. Auch bei den Die damalige Entscheidung war nicht ganz jugendlichem Zielpublikum wie „Rock im Jugendlichen wird nach wie vor ein hohes ohne Risiko, da man uns prophezeit hatte, Park“ präsent sein und parallel dazu soziale Maß an Radionutzung nachgewiesen. mit einem derart hohen Wortanteil in der Netzwerke wie „Facebook“ nutzen, um Selbst wenn wir vor allem in dieser Ziel- Stunde würde die Quote sicher sinken. Ein Jugendliche anzusprechen. gruppe zusätzliche Konkurrenz durch MP3- öffentlich-rechtliches Hörfunkprogramm Player haben. Wie in allen anderen Ziel- muss sich aber auch trauen, andere Wege „Die Jugend“ ist keine homogene Ziel- gruppen auch, ist vor allem die persönliche zu gehen und einen gewissen Mehrwert gruppe, genauso wenig wie „die Erwachse- Ansprache ein wichtiger Pluspunkt, den zu bieten. In dem Fall waren uns Konzept nen“. Kann es da überhaupt ein Programm gerade der MP3-Player nicht bieten kann. und Inhalt der Sendung wichtiger als für alle geben? Insofern sind starke Radio-Personalitys der Quotendruck. Das Schöne an der Ge- Ein Jugendprogramm wird immer Kom­ als Moderatoren wichtig. schichte ist schließlich, dass wir heute so- promisse eingehen, genauso wie man mit gar mehr Hörer in dieser Sendezeit haben Bayern 3 auch nicht alle 30- bis 50-Jähri- Wie wichtig ist für Bayern 3 die als mit dem vorherigen Angebot, einer Ver­ankerung in Bayern? Musiksendung. Der Hörer honoriert also Wir wollen „Radio aus Bayern für Bayern“ unseren Mut zum Risiko. machen und versuchen regelmäßig, in allen sieben Regierungsbezirken präsent zu sein. Regionale Themen sind für unsere Hörerinnen und Hörer von großer Bedeu- tung, und so versuchen­ wir mit den Inhal- ten in unserem Programm die ganze regio- nale Vielfalt Bayerns abzudecken. Auch unsere Mode­ra­torinnen und Moderatoren,

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Tragisch, skurril, aber auch komisch Mensch, Otto! – der etwas andere Talk

Thorsten Otto

138 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

Da sitzt er nun vor mir, sehr aufrecht, lächelt und ich suche in Bei welchem Thema fühlt er sich wohl? Was mag er gar nicht?) seinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er in einer anderen fließen natürlich in die fünfseitige Akte ein, mit der ich mich auf Welt lebt. Dr. Peter Schmidt hat das Asperger-Syndrom, eine jeden Gast vorbereite. Und nur, wenn ich eine konkrete Vorstel- besondere Form des Autismus. Blitzschnell kann der promovierte lung vom jeweiligen Gast habe, kann ich mich zu seinem Kern vor- Geophysiker komplizierte Integrale im Kopf berechnen, ist aber tasten, zu dem, was ihn ausmacht. Als „Skelett“ des Gesprächs schon damit überfordert, ein Küchenmesser zu bedienen. Auch ist dient unser „Mensch, Otto!“-Lebenslauf, den wir für jeden Gast er nicht in der Lage, die Mimik seiner Mitmenschen zu deuten. verfassen. Gleichzeitig ist er hochbegabt: IQ 148 – Einstein hatte auch nicht mehr. Für Menschen, die nichts von seinem „Asperger“ wissen, Das Motto von Peter Schmidt, „Wer neue Wege gehen will, muss ist er der komische Kauz, der das Obst quadratisch anordnet und ohne Wegweiser auskommen“, ist dann auch in der Sendung der in Stress-Situationen zu tänzeln beginnt. Ein Blick hinter die Schlüssel zu seiner Welt: In der ist der Atlas mit seinen Straßen „Mauer“ von Peter Schmidt muss faszinierend sein und somit und Linien sein liebstes Buch. Gefühle wie Liebe etwa empfindet ist er der ideale Gast für „Mensch, Otto!“. er nicht selbstverständlich, sondern musste er erst mithilfe von Filmen wie „Vom Winde verweht“ analysieren und entschlüsseln. Weit mehr als 600 Geschichten haben wir erzählt seit dem Sende-­ In Schmidts Leben gilt ausschließlich das gesprochene Wort; start im Oktober 2008, tragische, skurrile, aber auch komische denn Ironie ist ihm genauso fremd wie vielsagende Blicke oder Geschichten von Menschen, die alles sein dürfen – nur nicht lang- Sprachbilder. „Der Satz einer Lehrerin ‚Von dem könnt ihr euch weilig! Eine der meistgestellten Fragen an unser kleines Team: eine Scheibe abschneiden‘ hat mich in meiner Schulzeit in Panik Wie kommt ihr bloß an all diese unterschiedlichen Gäste? Die Ant- versetzt, ich habe gedacht, die holen jetzt ihre Messer raus.“ wort ist ganz einfach: Recherche, Recherche und nochmal Recher- che! Unsere beiden Redakteurinnen Franziska Paskuda und Marion Mit 40 erst hat Peter Schmidt begriffen, was es bedeutet, einem Fuchs sind unermüdlich auf der Suche nach Menschen, die eine anderen einen „Bärendienst“ zu erweisen. Nur ansatzweise kann spannende Lebensgeschichte haben. An dieser Stelle geht ein gro- ich mir vorstellen, wie schwierig der Alltag für ihn trotz seiner ßes Dankeschön an die aufmerksamen Bayern 3-Hörer, die uns enormen Begabung immer wieder sein muss. Auch die Reise zu regelmäßig interessante Personen vorschlagen, die dann bei uns nach München war für ihn eine einzige Anstrengung, aber „Mensch, Otto!“ im Idealfall zum ersten Mal öffentlich über ihr da er so vor einer großen Öffentlichkeit für mehr Verständnis für Leben sprechen. Natürlich sollte ein Gast nicht nur eloquent sein Autisten werben konnte, „hätte sich das alles gelohnt“. Allein im und farbig erzählen können, er sollte auch in der Lage sein, den Dezember 2011 ist das Gespräch mit ihm knapp 20.000 Mal als Hörern mit seiner Geschichte Mut zu machen, eine neue Perspek- Podcast runtergeladen worden. Das Hörer-Feedback zur Sendung tive zu eröffnen oder sie einfach nur zum Nachdenken anzure- war überwältigend, exemplarisch die Mail von Schülerin Anna: gen. Er sollte sein wie Dr. Peter Schmidt. „Musste die Matheaufgabe links liegen lassen, bin restlos be- geistert vom Gast, vielen Dank für die Sendung!“ Und wir? Wir „Thorsten Otto, der Name klingt dunkel, fast schwarz“, sagt er bedanken uns bei unseren Gästen. in seinem merkwürdig gleichmäßigen, leicht abgehackten, aber nicht unsympathischen Tonfall. „Das geht ja gut los“, denke ich mir, aber bevor ich nachfragen kann, klärt er mich auf: „Das ist keine Wertung, es ist nur so, dass jedes Wort für mich eine bestimmte Farbe und einen bestimmten Klang hat.“ Als Synästhetiker hat Peter Schmidt eine Vorliebe für bestimmte Zahlen, nach denen er auch sein Hochzeitsdatum ausgerichtet hat. Als wir die Aufzeich- nung fünf Minuten vor der vollen Stunde beginnen wollen, kann er seine Unruhe nur mühsam verbergen. „Die Fünf ist keine gute Zahl, vielleicht können wir noch ein paar Minuten warten.“

Da ist es sehr hilfreich, dass ich aus dem Vorgespräch meiner Redakteurin mit Herrn Schmidt weiß, dass es bei ihm bestimmte Eigenheiten gibt, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Diese Vorgespräche sind bei besonderen Gästen wie Herrn Schmidt noch wichtiger als die detaillierte Zeitungs- und Internetrecher- che; denn diese fernmündlichen Eindrücke (Wie spricht er?

139 Gesellschaftswert Meinungsvielfalt und orientierung

„Es gibt keine einfachen Antworten“ Theo.logik auf Bayern 2 hilft bei der Orientierung im Deutungswirrwarr

Wolfgang Küpper

Kürzlich hat jemand gemeint, als Hörfunk-Journalist für den Be- wundersam Göttliches. Das Nachdenken über Religion aber ist reich Religion und Kirche zu arbeiten, das müsse doch das reinste schwieriger geworden. Weil nicht jeder heute einfach nur glaubt, Abenteuer sein. Was es da allein bei den vielen Reisen in alle was die Eltern oder die Großeltern geglaubt haben. Weil in einer Welt zu erleben gebe! global vernetzten Welt unzählige Deutungen des Lebens mitein- ander konkurrieren und jeder zwangsläufig selbst denken, prüfen, Nun, zu den Journalisten, die sehr viel reisen, gehöre ich nicht. ausprobieren, nachspüren, diskutieren und meditieren muss. In jedem Jahr gibt es in Deutschland einen Kirchentag, und nach Rom komme ich als Kirchen-Redakteur auch ab und an. Das Kon- Auf viele dieser Fragen gibt es keine einfachen Antworten, auch klave und die Wahl von Benedikt XVI. habe ich aus unmittelbarer nicht im Hörfunk. Aber wir versuchen, mit unseren Sendungen Nähe miterlebt. Beeindruckend war es, den Papst auf seinen Rei- Angebote zu liefern, die bei der Orientierung im Deutungswirr- sen in die USA nach Washington, New York und ein Jahr später warr helfen könnten. Im Jahr 2008 ist so – zusätzlich zu unserem nach Israel zu begleiten. Eingeprägt hat sich die Szene in Nazareth,­ bestehenden Programmangebot – „Theo.logik“ in Bayern 2 ent- als ich am Straßenrand stand und über eine mobile Satelliten- standen, zu hören montags zwischen 21.00 und 22.00 Uhr. Gleich- Einheit – sie lässt sich in einem Rucksack verstauen – live für meh- sam aus dem Nichts konnten wir eine neue Sendung erfinden. rere ARD-Anstalten geschildert habe, wie Juden, Muslime und Einzige Vorgaben: keine reine Tagesaktualität abbilden, keine Wo- Christen in der Stadt Jesu friedlich miteinander leben und wie chenchronik aufzeichnen, sondern selbstständig Themen aus dem der Gottesdienst des Papstes an diesem Tag verlaufen war. Bereich Religion, Theologie, Kirche, Philosophie finden, entwickeln und umsetzen. Ein ausgesprochen spannender, schöpferischer Die direkte, unmittelbare Berichterstattung von großen Ereignis- Prozess ist auf diese Weise entstanden. Im Abstand von sechs bis sen ist unerlässlich und wichtig. Aber abenteuerlicher – und damit acht Wochen werden bei uns die Schwerpunktthemen für „Theo. mindestens genauso wertvoll – scheint mir das zu sein, was jeden logik“ in der großen Redaktionsrunde geplant. „Frei schwebend“, Tag, Woche für Woche in einer Fachredaktion Religion und Kirche ohne einengende Fesseln kann jeder, der an der Sendung mit­ kreativ geleistet wird, damit ein hörenswertes Programm ent- arbeiten möchte, seine Ideen einbringen: steht. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Nachdenken, über Gott und die Welt, über Sinn und Unsinn, über Greifbares und

140 meinungsvielfalt und orientierung gesellschaftswert

„Die Kirche im Dorf. Leben und Leiden auf dem Land“, „In guten wie in schlechten Zeiten … Wer lässt sich heute wann binden?“, „Christenverfolgung. Gewalt im Namen des Glaubens“, „Schänder Gottes. Die katholische Kirche und der sexuelle Missbrauch“, „Menschenwürde. Unantastbar!“, „In- und auswendig. Wir sind, was wir erinnern“, „Frauenarbeit und Männerseelsorge. Wird der Glaube immer weiblicher?“, „Fair statt prekär. Wie familienfreund- lich sind die Kirchen als Arbeitgeber?, „Ein Jahr danach. Der Arabi- sche Frühling und die Religion“ – Die Liste der Themen ist noch um einiges größer, und Woche für Woche kommt ein neues hinzu.

An einem Montag im April 2011 ging es in „Theo.logik“ um „Frei- heit und Verantwortung“. Mein Studiogast an diesem Abend hieß Joachim Gauck. Ohne zu zögern hatte er unsere Einladung ins Münchner Funkhaus angenommen, damals noch als „ehemaliger Bundespräsidenten-Kandidat“. Genau ein Jahr später haben wir das Gespräch mit dem jetzt amtierenden Bundespräsidenten wiederholt und uns mächtig gefreut.

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Nachdenken, über Gott und die Welt, über Sinn und Unsinn, über Greifbares und wundersam Göttliches.

141 Gesellschaftswert migration und integration

Ihr seid wir. puzzle – das InterKulturMagazin des BR

Özlem Sarikaya

142 migration und integration gesellschaftswert

„Was wissen wir Deutschen schon über uns Türken“, mit diesem Die „puzzle“-Macher Satz bringt es der türkischstämmige Kabarettist Fatih Cevikkollu auf den Punkt: Wir wissen oft zu wenig vom „Anderen“. Dabei „puzzle“ besteht aus einem Redaktions- und Autorenteam mit ist der „Andere“ vielleicht gar nicht so anders. Und vielleicht ist und ohne Migrationsgeschichte. Unabhängig von der Herkunft etwas, das anders ist, eigentlich ganz gut, vielleicht kann man der Sendungsmacher ist es gerade bei einer Sendung mit Themen, daraus etwas für sich gewinnen. die mit vielen Vorurteilen behaftet sind, wichtig, dass jeder Ein- zelne eine Sensibilität besitzt. Die „puzzle“-Macher legen Wert auf Wir sind alle geprägt und geleitet von Vorurteilen. Und unsere genaues Hinschauen. Sie achten darauf, dass z. B. betende Men- Gesellschaft denkt oft in Gegensätzen, unterscheidet zwischen schen in einer Moschee nicht aus einer Perspektive gefilmt wer- „Ihr“ und „Wir“, steckt Menschen in Schubladen: die Türken, die den, von der aus man nur die Gesäße der Betenden sieht. „puzzle“ Griechen, die Deutschen, die Christen, die Moslems ... Dabei scheut sich auch nicht davor, Menschen, die aufgrund ihrer Mi­ ist es heute nicht mehr so einfach, eindeutige Zuordnungen vor­-­ grationsgeschichte unsicher in der Beherrschung der deutschen zu­nehmen. Vieles lässt sich heute nicht mehr trennen. Türkisch- Sprache sind, trotzdem vorzustellen. Ein Akzent ist kein Makel und und Griechischstämmige sind auch Deutsche, viele Deutsche auch macht einen Menschen nicht weniger interessant oder ihn nicht Moslems ... Dieses Selbstverständnis ist einer der Pfeiler des In­ weniger zum Experten seines Faches. Auch die Drehorte müssen terKulturMagazins „puzzle“. Kulturschaffende mit einer Zuwande- nicht zwangsläufig der ersten Idee, die einem durch den Kopf rungsgeschichte wie der Kabarettist Fatih Cevikkollu, der Schrift- geht, entsprechen. So sieht sich etwa ein jüdischer oder muslimi- steller Nicol Ljubic, der Rapper Samy Deluxe und viele andere scher Autor genauso wenig automatisch in einer Synagoge oder leben nicht zwischen den Kulturen, sondern zumeist mit ver­ einer Moschee wie ein Christ zwangsläufig in einer Kirche. In je- schiedenen Kulturen. Sie haben Bindestrichidentitäten: Sie sind dem Fall ist es wichtig, zu differenzieren. Und die oberste Maxime Deutsch-Türken, Afro-Bayern, Schwarze Deutsche ... eben so, von „puzzle“ ist es, den Menschen mit all ihrer Unterschiedlich-­ wie sich unsere Protagonisten selbst definieren. keit auf Augenhöhe zu begegnen. Kulturelle Vielfalt in Deutsch- land macht vor allem viel Spaß!

Gesellschaft als Puzzle Hallo Almanya! Erste deutsch-türkische Das Bild der Migranten, das in den Medien gezeichnet wird, ist Infotainmentshow im deutschen Fernsehen oft negativ behaftet. Menschen mit Zuwanderungsbiografien nur als Opfer oder Täter darzustellen, entspricht nicht der Realität, Die Infotainmentshow „Hallo Almanya!“ hat die kul- nicht unserem gesellschaftlichen Alltag. „puzzle“ zeigt den kultu- turelle Vielfalt Deutschlands auf ganz besondere und rellen Reichtum unserer Gesellschaft in all seinen Facetten. Ein einzigartige Weise gewürdigt: Der Bayerische Rund- Puzzle besteht aus vielen verschiedenen Einzelteilen, mit verschie- funk hat zusammen mit der TRT, der öffentlich-rechtli- denen Formen und Nuancen. Und fehlt ein Teil, so ist das Gesamt- chen Rundfunkanstalt der Türkei, den 50. Jahrestag des bild nicht vollständig. „puzzle“ betrachtet unsere Gesellschaft deutsch-türkischen Anwerbeabkommens mit einer als eine Einheit, in der sich die Menschen mit unterschiedlichen Fernsehshow gefeiert: Eingeladen waren prominente Sprachen und Temperamenten ergänzen, sich gegenseitig beein- Gäste wie Schauspielerin und Schriftstellerin Renan flussen und prägen. Demirkan, der Touristikunternehmer Vural Öger, die Macherinnen des Kinoerfolgs „Almanya – Willkommen in Deutschland“, die Schwestern Yasemin und Nesrin Heimat und Identität Samdereli, oder Erhan Önal, der durch seinen Aufstieg in den Profi-Kader des 1. FC Bayern der erste türkisch- Mit der Einteilung der Menschen in Nationalitäten, mit Diskussionen­ stämmige Spieler in der Fußball-Bundesliga wurde. um Integration, Assimilation oder Leitkultur hält sich „puzzle“ nicht auf. Vielmehr zeigt „puzzle“ einige Blüten der Begegnung der Kultu- ren in unserem Land: afrikanische Dirndl, fränkische Kirchweihmu­­ ­- sik auf russischen Rap, den Geschmack der alten vietnamesischen Heimat, preisgekrönte deutsche Gastarbeiter-Fashion, „koscherer“ Humor in deutschen Kinos ... Es geht um Identität und Heimat und um ein Bild der Bayern und Deutschen, das vor über 50 Jahren, als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, ein anderes war.

143 Gesellschaftswert migration und integration

„Typisch griechisch, oder?“ Eleni Iliadou und Interkulturalität im Hörfunk

Sybille Giel

„Differenzieren, differenzieren, differenzieren! Wenn es um Einwanderung und kulturelle Vielfalt geht.“

144 migration und integration gesellschaftswert

„Sieh mal, Sybille, ‚kopftuchtragende, unterdrückte Muslima‘ – Vielfalt gewann. Das Feature über die Kinder der ersten Gastar­ ­ das ist auch wieder so ein Klischee über türkische Frauen, da dür- beiter erzählt, wie sie in der Heimat, meist bei Verwandten, zu- fen wir nicht drauf reinfallen!“, sagt Eleni Iliadou mit Nachdruck. rückbleiben mussten. Wenn sie dann Jahre später endlich zu ihren In schnellen klaren Worten erklärt sie der Runde von Autoren, die Eltern nach Deutschland kamen, wurden sie oft enttäuscht: Die sich in ihrem Büro zusammengefunden haben, warum sie es so Eltern arbeiteten pausenlos und hatten keine Zeit für ihre Kinder. wichtig findet, dass Journalisten ganz genau hinschauen: „Diffe- Für die Kollegen mit einer eigenen Einwanderungsgeschichte renzieren, differenzieren, differenzieren! “ Die temperamentvolle gehörte das zum Allgemeinwissen, für deutsche Radiomacher Griechin – ist das jetzt auch ein Klischee? – ist Kopf und Seele des war das zunächst Neuland. Sechs Jahre ist das nun her. Interkulturellen Ressorts. Eleni Iliadou kann sehr streng und lei- denschaftlich sein, wenn es um ihre Themen geht, um Einwande- Zurück ins Hier und Jetzt des Jahres 2012: Montag 11.30 Uhr, Zeit rung und kulturelle Vielfalt. für die Sitzung für das tägliche Magazin „Notizbuch“ auf Bayern 2: Was könnte Ende der Woche für die Diskussion „Notizbuch“-Frei- Es ist Montag, kurz nach 10.00 Uhr, Sitzung im Interkulturellen tagsforum spannend sein? „Europäisches Jahr für Aktives Altern“, Res­sort in der Redaktion Gesellschaft und Familie. Themen für das liest die Moderatorin Jutta Prediger vor. Wie könnten wir das allge- Interkulturelle Magazin in B5 am Sonntag werden gesucht, heiß meinverständlich machen? Vielleicht mithilfe der Frage: Wie wol- diskutiert, wieder verworfen, noch mal neu gedacht und schließ- len wir im Alter leben? Als WG, in einem Seniorenheim und wie lich für gut befunden. „‚Der Russe ist einer, der Birken liebt‘ – das sieht beispielsweise das Leben im Alter für jemanden aus, der zwei ist der neue Roman von Olga Grjasnowa, der muss in die Sen- Heimaten hat, z. B. München und Izmir? Genau da sind sich alle dung“, meint Roswitha Buchner. Sie hat Islamistik studiert und einig, es ist wichtig, das Thema „Migration“ miteinzubeziehen, das lebt immer einige Zeit in Istanbul. Andre Vincze, ein Ungar, der in Thema Alter eben nicht nur aus dem „deutschen“ Blickwinkel zu Belgien aufgewachsen und nun in München verwurzelt ist, kennt betrachten. Konkret heißt das: In die Diskussionssendung kommt den Witz, der hinter dem Titel steckt: „Russen umarmen angeb­- ein Studiogast aus Niederbayern, einer aus München, und der lich Birken, wenn sie zu viel Wodka getrunken haben!“ Gelächter dritte Gast ist geboren in Südspanien, lebt aber seit seinem elften in der Runde. Die junge Schriftstellerin Grjasnowa ist in Aser­ Lebensjahr in München. Sie werden von ihren unterschiedlichen baidschan geboren und in Deutschland groß geworden. Wünschen und Hoffnungen fürs Alter erzählen.

In ihren Romanen geht es um die eigene Identität, um die Suche Damit dieses Denken bald für alle Redaktionen selbstverständlich nach Zugehörigkeit in einer Gesellschaft, und natürlich um das wird, findet der nächste Termin von Eleni Iliadou an diesem Mon- Spiel mit Klischees und Vorurteilen. Themen, die den Journalisten, tag bei den BR-Volontären in der Ausbildungsredaktion statt. Mit die selbst oft eine Einwanderungsgeschichte haben, ganz vertraut den Nachwuchsjournalisten geht es um sensible Berichterstat- sind. In den letzten neun Jahren hat Eleni Iliadou so ein Team auf- tung, aber auch um Basiswissen zum Thema Migration. Das Semi- gebaut, das sich um all die gesellschaftlich relevanten Themen nar ist ein Baustein der BR-Ausbildung geworden. Bei der intensi- rund um Einwanderung und Integration kümmert. Das war nicht ven Diskussion mit den jungen Journalistinnen und Journalisten immer so. In ihrem ersten Leben im BR war sie Leiterin der Griechi- kommt dann bei Eleni wieder diese Mischung aus Leidenschaft, schen Redaktion, einer der drei „Ausländerprogramme“ des BR, Strenge und Temperament auf – typisch, griechisch oder Klischee? die Sendungen in der jeweiligen Muttersprache für die erste Ge- neration der Gastarbeiter gemacht hat. Bis diese Sendungen abge- schafft wurden und plötzlich italienische, griechische und spani- sche zusammen mit den deutschen Radiomachern der Redaktion Gesellschaft und Familie die Aufgabe zu lösen hatten, ein inter- kulturelles Programm zu entwickeln. Der Anfang war nicht ein- fach, aber dafür umso spannender: Die „Deutschen“ und die „Aus- länder“ haben gemeinsam um Themen gerungen, auch mal ge- stritten über „unterdrückte muslimische Frauen“ oder das deut- sche Bildungssystem, und sich dann immer wieder darauf geeinigt, wie wichtig es ist, Geschichten von Menschen zu erzählen, damit die Geschichte der Einwanderung nichts Fremdes bleibt. Ein Hö- hepunkt war, als das so entstandene Feature von Eleni Torossi „Verlassen und auf sich selbst gestellt – Die Kinder der Gastarbei- ter“ den Civis-Preis, den europäischen Medienpreis für kulturelle

145 gesellschaftswert kultur, bildung und soziales engagement radioWissen Nicht nur Podcast – Spitzenreiter auf Bayern 2

Susanne Poelchau

Was haben der Heilige Gral, die schöne Alma Mahler, Friedrich radioWissen der Große und der Lotuseffekt gemeinsam? Sie alle waren kürz­- lich Thema in „radioWissen“! Für viele Hörerinnen und Hörer ist „radioWissen“ ist einem Urgestein der Radiogeschichte die Sendung zum festen Bestandteil des Tagesablaufs geworden. entwachsen: dem Schulfunk, gegründet im September 1947. Ausgewählte Beiträge werden für den Einsatz Erna K. hört besonders gern beim Bügeln zu, also bei Hausarbei- im Unterricht multimedial aufbereitet und zur ten, die ohne „radioWissen“ einfach keinen Spaß machen. Die letzte kostenfreien Nutzung angeboten. Im Internet finden Sendung, die ihr im Ohr geblieben ist, drehte sich um bayerische Lehrkräfte umfangreiche Materialien zum Lehrplan Wirtshauskultur. Dass man so viel über den Stammtisch lernen wie Arbeitsblätter, Quizfragen, Kreuzworträtsel, kann, hat sie überrascht. Für Ernst P., bettlägerig, ist „radioWissen“ Bilder und Audios. ein Tor zur Welt. Er lässt sich am liebsten überraschen von den Themen. „radioWissen“ vermittelt Basis- und Hintergrundwissen „radioWissen“ immer werktags von 9.00 – 10.00 Uhr zu nahezu allen Themenbereichen: Geschichte, Musik, Literatur, und 15.00 – 16.00 Uhr auf Bayern 2. Philosophie, Religion, Psychologie, Politik, Wirtschaft, Biologie oder Landeskunde. Die Themenvielfalt, das profunde Wissen und die aufwendige Gestaltung der Beiträge – das ist es, was viele zum Hören einlädt und zum Weiterhören verführt. Dabei zählen nicht nur die älteren Semester aus der alten Schulfunk-Tradition zum Hörerstamm – immer mehr junge Leute nutzen das zeitunabhän- gie Angebot von Podcasts und sind begeistert von dem Programm. Keine andere Sendung im Bayerischen Rundfunk wird so häufig als Podcast gehört wie „radioWissen“. Wurden im Oktober 2011 die Beiträ­ge 900.000 mal als Podcast heruntergeladen, über- schritt „ra­dioWissen“ im Januar 2012 schon die Millionengrenze um 150.000. Die Studentin Valerie nimmt zum Joggen ihren „iPod“ und „radioWissen“ mit. Am liebsten sind ihr Psychologiesendun- gen, sagt sie: „Meine Fachzeitung für die Ohren!“ Er bekomme durch „radioWissen“ Stoff für ,Partytalk‘, erzählt ein Ingenieur­ und er meine das gar nicht abfällig. Aber auch, wenn keine Partystim- mung herrscht, wenn z. B. Finanzkrisen das Land erschüttern, haken wir von „ra­dioWissen“ nach: Was sind die Grundlagen der Finanzökonomie, wie funktionieren eigentlich Börsen? Auch hier beweisen die Downloads, dass sich Vermittlung von Grund-­ wis­sen und Aktualität wunderbar ergänzen können.

146 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

Fünf Fragen an …

Dr. Sabine Scharnagl, Leiterin des Programmbereichs Kultur und Familie

Wo sehen Sie in Zukunft die Schwerpunkte Welchen Stellenwert wird neben der Das Thema Glaube bewegt die Zuschauer, im kulturellen Programmangebot des Hochkultur die Popkultur einnehmen? wie es beim Papstbesuch zu sehen war. Bayerischen Fernsehens? Im Sinne von populärer Kultur nimmt sie Wo sehen Sie den gesellschaftlichen Auf- Ich sehe inhaltlich die gleichen Schwer- jetzt schon einen entscheidenden Platz ein. trag der BR-Kirchenredaktion in einer punkte wie im Moment. Wir müssen uns Ob bei Literaten oder Musikern – es wird säkularen Gesellschaft mit einer Vielzahl als Sender positionieren, der neben klassi- immer auch versucht, populäre Protagonis- von Glaubensangeboten? scher Musik, bildender Kunst und Literatur ten zu finden. Popkultur im Sinne von Lena Ich glaube gar nicht, dass es eine solche auch einen weiteren Kulturbegriff vertritt. machen eh schon alle anderen, darin sehe Vielzahl von Glaubensangeboten in der Dazu gehören ganz zentral Sendungen, ich nicht unsere Aufgabe. Gesellschaft gibt. Sie dürfen das nicht mit die die Lebenswirklichkeit der Zuschauer den ganzen esoterischen Religionsersatz- abbilden wie zum Beispiel „Gernstl unter- Welche innovativen medialen Plattformen maßnahmen verwechseln! Die Aufgabe ei- wegs“ oder „Stationen“. Selbstverständlich halten Sie hierbei für sinnvoll und möglich? ner Sendereihe wie „Stationen“ besteht gehört auch die bayerische Kultur in all Verschiedene Sendungen brauchen unter- darin, den Zuschauern in einer sich immer ihren Ausprägungen zu unserem Thema. schiedliche mediale Plattformen. „quer“ rascher verändernden Welt Orientierung und „Stationen“ etwa müssen verstärkt und Anhalt zu geben. Also den Menschen Mit welchen Themen und Formaten lassen bei den Social Networks aktiv sein und so bei der Erkenntnis zu helfen, dass es jen- sich junge Zuschauer an den BR binden? den Zuschauern die Möglichkeit der Betei- seits aller materiellen Dinge auch noch die Mit allen Themen und Formaten, wenn Sie ligung liefern. Für andere Sendungen ist eigentlichen Werte gibt, die das Leben auf gute und unverzopfte Art präsentiert die permanente Abrufbarkeit in der Media- eines Menschen ausmachen. werden. thek oder noch viel besser bei YouTube von großer Bedeutung, ich denke da zum Bei- spiel an die Sendereihe „Traumhäuser“.

147 gesellschaftswert kultur, bildung und soziales engagement

„Habe wieder euer „Carpaccio“ gesehen – einfach wunderbar.“

Gustava Gräfin Hohenthal, Zuschauerin

„Capriccio – the last defenders of public television“

Chris Dercon, Tate Modern London

„Diese Sendung hat höchstes Niveau, ist vielseitig, inspirierend, aufdeckend, kreativ, mitreißend, aufklärend, informativ und regt gleichzeitig zum Nachdenken, zum Widerstand, zum Anschauen, zum Genießen an. Eine qualitativ hochwertige, gleich- zeitig aber auch sehr unterhaltsame Kultursendung wie „Capriccio“ sollte einfach für ein größeres Publikum angeboten werden!“

Angelika Brogsitter-Finck, Zuschauerin

„Ihr seid ja selbst Künstler!“

Ruth Maria Kubitschek, Schauspielerin und Schriftstellerin

148 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

„Ich freue mich, wenn ich an Donnerstagen spät nach Hause komme und noch bei „Capriccio“ zuschalten kann. Die Beiträge sind alle spannend, weil sie so vielfältig sind: Kunst, Kultur, Filmbesprechungen, Lebens- arten – ich kann diese Sendung wärmstens empfehlen.“

Ingvild Goetz, Kunstsammlerin

„Ich bin sehr glücklich darüber, dass der BR seinem Publikum das Kulturmagazin „Capriccio“ anbietet – allem Trachten nach größtmöglichen Zuseherquoten auch bei den Öffentlich-Recht- lichen zum Trotz. Das gebührenfinanzierte Fernsehen sollte für umfassenden Qualitätsjournalismus stehen, und „Capriccio“ zählt für mich zu den Produktionen, die dieses Versprechen einlösen. Restlos zufrieden bin ich mit dem Status quo allerdings nicht: Leider ist „Capriccio“ das einzige Kulturmagazin des Bayerischen Fernsehens – und wird um 22.30 Uhr doch relativ spät ausgestrahlt.“

Anne Sophie Mutter, Musikerin

Capriccio

Die Redaktion: Sylvia Griss und Franz Xaver Karl. Jede Woche neu stellen sie sich der Herausforderung, das Kulturgeschehen in Bayern und der Welt in 30 Minuten zu zeigen: überraschend, innovativ, mit un- gewöhnlicher Bildsprache, genauen Recherchen und einer eigenen Haltung. Die Texte, die Bilder, die Musikalität machen „Capriccio“ so besonders. Das Kulturmagazin wäre nicht möglich, ohne ein festes Team außergewöhnlicher Autoren, die mit ihrer Kreativität und ihrem Einsatz Woche für Woche das Besondere wollen.

149 gesellschaftswert kultur, bildung und soziales engagement

Elfriede Jelinek

Kunst für Radio und Internet Hörspiel und Medienkunst heute

Katarina Agathos und Herbert Kapfer

150 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

Seit dem Jahr 2000 realisiert die Redaktion Hörspiel und Me­ stands“. Mit Alexander Kluges „Chronik der Gefühle“ und Elfriede dienkunst vielbeachtete Großproduktionen. Am Anfang stand Jelineks „Neid“ ist die Reihe bei den Gegenwartsautoren ange- Der Zauberberg, auf der Grundlage von Thomas Manns 1924 er- kommen. Daneben entstanden weitere Großproduktionen, etwa schienenem Jahrhundertroman. Auf die Bayern 2-Ursendung „Moby-Dick“ von Herman Melville und „Die Serapions-Brüder“ von und Hörbuchedition folgten Übernahmesendungen in fast allen E.T.A. Hoffmann. ARD-Kulturprogrammen. Die 20 Stunden umfassende Produk­- tion „Der Mann ohne Eigenschaften.Remix“ (2004) sollte neue Innovation braucht Spielfelder und Weitblick. So ist seit Septem- Zugän­­ge zu Robert Musils großem Außenseiterwerk eröffnen. ber 2010 Michaela Meliáns virtuelles Denkmal memoryloops.net Nicht nur die zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten Roman- online. 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933– teile, sondern auch der wissenschaftlich aufgearbeitete Nachlass 1945 mit zusätzlichen 175 englischsprachigen Audio-Tracks. Es bildeten die Grundlage des Hörspiels, das in enger Zusammen­ wurde in Kooperation mit der Landeshauptstadt München reali- arbeit mit dem Robert-Musil-Institut Klagenfurt entstand. siert. Die Tonspuren verweisen auf Orte innerhalb der ehemaligen „Haupt­stadt der Bewegung“, sie verdichten sich auf der Webseite Diese Großproduktion steht im Kontext einer Reihe, die sich mit in ei­ner von der Künstlerin gezeichneten Topgrafie. Michaela wichtigen deutschsprachigen Erzählwerken des 20. Jahrhunderts Melián, für ihre BR-Hörspiele „Föhrenwald“ und „Speicher“ preis­ auseinandersetzte – Franz Kafkas „Der Process“, Hermann Brochs ge­krönt, entwickelte in ihrer Arbeit originäre Erzählweisen, die in „Die Schlafwandler“ und Peter Weiss’ „Die Ästhetik des Wider- Memory Loops Niederschlag fanden. Es ist ein mehrmediales

Gegenwartsliteratur für’s Radio: Filmemacher, Schriftsteller und Essayist Alexander Kluge im BR-Studio

151 gesellschaftswert kultur, bildung und soziales engagement

Multimediale Kunst: Unter dem Label „Techno fossil“ sind Videos und Hörstücke versammelt, die sich mit der eigenen Zeitstruktur produktiv auseinander­ setzen. Hierbei geht es nicht um Zeit als inhaltliches Thema, sondern um den spielerischen Umgang mit dem Phänomen Zeit als formales Element. Mehr davon: Bayern 2-„artmix.galerie archiv“ http://bit.ly/PrY5yh

Werk, das stadt- und weltgeschichtliche Ereignisse zum Gegen- folgt. Inzwischen etablierten sich neben der kommerziellen Sekun- stand hat und sich regional wie global entfaltet – ein Beispiel rele- därverwertung zwei weitere Distributionsvarianten. Zum einen vanter Medienkunst und ein nachhaltiges, öffentlich-rechtliches ist dies intermedium rec. – die von der Redaktion edierte CD-Reihe Gedächtnisprojekt, das der BR über einen langen Zeitraum­ online publiziert seit 2000 neue und historische Soundtracks –, zum an- halten wird. deren der 2008 eröffnete, von der Hörerschaft stark genutzte Hör- spiel-Pool bei BR.de bzw. bayern2.de. Dieser bietet BR-Eigenpro- Die Redaktion Hörspiel und Medienkunst versteht sich als Produk­- duktionen als Download an, primär solche, die nie als Hörbücher tions- und Distributionslabor in einer multimedialen Welt. Ein Bei- auf den Markt kamen. spiel: Aus dem großen Angebot an Einreichungen junger Künst­- ler zu den Wettbewerben der artmix.galerie generiert sich der au­ Bayern 2-Sendung, intermedium rec.-CD, Hörbuch, Hörspiel Pool diovisuelle „user generated content“. Neue Beiträge werden auf und artmix.galerie sind einander ergänzende Distributionsformen, der Website und im hör!spiel!art.mix auf Bayern 2 vorgestellt. Mit die zusammen dafür sorgen sollen, öffentliches Programmver- der „Ursendung“ auf Bayern 2 beginnt auch die Geschichte jeder mögen möglichst vielen Nutzergruppen zur Verfügung zu stellen. neuen Hörspielproduktion, der oft die Hörbuchveröffentlichung­

152 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

Fünf Fragen an …

Axel Linstädt, bis 2012 Leiter des Programmbereichs BR-Klassik und künstlerischer Leiter des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD

Welche Bedeutung hat die Marke Grob gesagt, ein Unterscheidungsmerk- Warum hat der BR ein eigenes Klassik- BR-Klassik für den Bayerischen Rundfunk? mal zwischen Mensch und Tier. Überleben Label ins Leben gerufen? Eine sehr große, jedoch nicht nur für den kann man auch ohne Musik, doch leben Unter anderem, um die nicht-lineare, also BR, sondern auch für die gesamte ARD. bzw. das Leben genießen nur mit ihr. Viel- zeitsouveräne Nutzung unserer Klassik- Denn der BR besitzt die größte Klassik- leicht hat Nietzsche ja recht, wenn er sagt: Programme zu ermöglichen und um nicht Kompetenz der ARD. Die Marke BR-Klassik Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. wie der Zwerg Alberich auf seinem Pro- umfasst vielerlei: zwei Orchester, einen grammschatz zu sitzen, sondern ihn mit Chor, musica viva, Klassik in Hörfunk, Fern- Hat denn klassische Musik überhaupt vielen Interessierten zu teilen. Die zahlrei- sehen und online, ein eigenes Label und eine Zukunft? chen Auszeichnungen für das Label sind Publikationen wie das BR-Klassik-Magazin. Selbstverständlich, denn sie ist von über- eine Bestätigung für unser hohes künst- Der BR hat das ARD-weit beste Orchester, zeitlicher Schönheit und weitgehend lerisches, technisches und programmliches und in der Radio-Szene ist BR-Klassik unabhängig von Moden. Durch diese Ei- Know-how. ein Unikat und somit etwas Besonderes, genschaft, aber auch durch die Tatsache, nämlich die einzige echte Klassikwelle der dass Musik verklingt, sie also transitorisch ARD. Sie bietet ein 24-Stunden-Programm ist und immer wieder neu interpretiert und bringt täglich für alle Kulturwellen der werden muss, vermag sie, Lust aufs Wie- ARD das 6-stündige ARD-Nachtkonzert. derhören zu wecken, lebendig zu bleiben und dabei den Bogen in die Zukunft zu Ist dieses Klassik-Vollprogramm ein Luxus? spannen. Gewiss ist es ein Luxus, aber in erster Linie doch ein wichtiges Lebensmittel. Kultur, Sie sind auch künstlerischer Leiter des und klassische Musik gehört da als we- Internationalen Musikwettbewerbs der sentlicher Bestandteil dazu, ist immer Lu- ARD. Welchen Stellenwert hat diese xus, aber andererseits unbedingte Not- Veranstaltung? wendigkeit! Sie gehört weltweit zu den wichtigsten Wettbewerben. Der ARD-Musikwettbe- werb ist vielleicht sogar, weil er kein Spezi- alwettbewerb, sondern einer mit jährlich wechselnden Fächerkombinationen ist, der bedeutendste der Welt. Das sagen jeden- falls viele Kandidaten und Juroren. Mit dem Musikwettbewerb betreibt die ARD Nachwuchspflege auf höchstem Niveau.

153 gesellschaftswert kultur, bildung und soziales engagement

U21 – Deine Szene. Deine Musik. U21 sprengt das Radio, ist trimedial

Susanne Prinz

154 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

U21 – Deine Szene. Deine Musik

„U21 – Deine Szene. Deine Musik“ „U21“ – Lounge am Lenbachplatz oder in Zusammen- Die Radiosendung, immer mittwochs ab 21.03 Uhr arbeit mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks Publikum erlaubt „cOHRwürmer“, ein Konzert zum Mitsingen

„U21 – Das Verhör“ Der Jugendradiotag Das Video zur Sendung, jeden Monatsanfang Jedes Jahr Ende September an einem einzigen Tag 12 Stunden Jugendliche am Mikrophon: „So klingt meine „U21 – Vernetzt“ Stadt“ – jede Stunde eine andere bayerische Stadt sprengt das Radio, ist trimedial. Statt Fernsehen oder mit anderen Moderatoren und „Machern“, von „U21“ Radio oder Radio im Fernsehen ein neues Format in Zusammenarbeit mit der Programmredaktion alle drei Monate, mittwochs 21.03 Uhr Bildungsprojekte gecoacht und begleitet.

„U21 – On Tour“ E-Mail: [email protected] Sondersendungen zu („U21“-)Events aus besonderen br.de/u21 Locations, etwa zur Langen Nacht der Musik:

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Und … Action! Klappe. Kamera läuft. Auf dem roten Teppich vor Daher der Redaktionsname: „U21 – Deine Szene. Deine Musik.“ einer mit Plakaten dekorierten Wand sitzen die beiden Moderato- Und deshalb hat das Team in vielen Experimenten eigene Events ren auf schwarzen Sitzwürfeln und plaudern mit ihren Gästen. entwickelt: Klassikpartys, Klassik im Club, Klassik als Lounge und Klassik in Schulen, Vereinen oder Theatern. Mit dem Ü-Wagen ist Zwei junge Musiker sind mit riesigen Marimbaphonen in das klei- die Redaktion auch detektivisch unterwegs, um aufzuzeichnen, ne Studio gekommen und haben noch anderes Schlagwerk mit- was sich vor Ort an junger Musik-Szene entwickelt. gebracht. Im Raum findet sich kaum noch ein Quadratzentimeter freier Platz. Es ist heiß. Die Scheinwerfer heizen das kleine Studio auf, lassen die herumliegenden Kabel unangenehm nach Gummi Junge Stars und Trends riechen. Überall stehen und liegen technische Geräte herum, die hier sonst für andere Produktionen gebraucht werden. Vier Kame- Stars finden, bevor sie Stars sind, Musiktrends entdecken, noch ras filmen das alles: die Ecke zum Plaudern, die Live-Musik und das bevor sie Trends werden, oder besser noch: Trends mitbestimmen wilde Technikchaos. Ein Kollege vom Fernsehen schüttelt den Kopf. und Musiker zu Stars machen. Das sind die Ziele. Die Liste der „Was für eine Werkstatt“. Doch die Crew freut’s: „So soll es sein“. Live-Studiogäste und interviewten Musiker zeigt, dass das gelingt. Wir sind in der Multimedia-Regie des Münchener Funkhauses. Es Darunter finden sich Namen, die auf dem Weg zur Weltkarriere geht um Klassik und junge Menschen. Und: Hier wird gerade Ra-­ sind oder sie gerade geschafft haben: Violonist David Garrett, die dio gemacht: „U21“ – Deine Szene. Deine Musik. beiden Cellisten Maximilian Hornung und Daniel Müller-Schott, Bratschist Nils Mönkemeyer, Opernsängerin Danielle de Niese und Violonistin Arabella Steinbacher. „U21 – Das Verhör“, so heißt der Grenzen sprengend und trimedial – „U21 – Vernetzt“ Videopodcast zur Sendung, mit einem ungewöhnlichen Interview- konzept. Keiner kennt die Fragen, auch der Interviewer nicht. Er Die Redaktion von „U21“ sprengt die Grenzen des Mediums, wenn bekommt sie in einem verschlossenen Umschlag. Da kann es dann es sein neues multimediales Format „U21 – Vernetzt“ produziert. passieren, dass er mit Bällen beworfen, geohrfeigt oder auch ge- Das läuft auf dem gleichen Sendeplatz am Mittwoch, alle drei küsst wird. Monate im Radio und gleichzeitig als Videostream im Internet. Mit Berichten und Reportagen, mit Skype-Gesprächen und einem kochenden Kritiker, mit Videoclips und Ausschnitten aus Fernseh- Leidenschaft für Musik produktionen. Trimedial. Gestemmt wird es aus eigener Kraft vom „U21“-Team. „U21“ sendet jeden Mittwoch ab 21.03 Uhr aus dem „U21“ sucht Kontakt zu jungen Menschen. Etwa in Projektsemina- Funkhaus: Klassik als Musik von heute mit völlig anderer Musik ren oder durch die Zusammenarbeit mit Schulen, Hochschulen von heute, ein einzigartiger Musikmix von Renaissance bis Rap. und Institutionen. Besonders gut und konsequent gelingt die Junge Moderatoren präsentieren diese Mischung für junge Hörer, Anbindung an die Jugendszene alljährlich Ende September beim mit Themen aus der jungen (Musik-)Szene, mit Live-Musik und Jugendradiotag. Zwölf Stunden lang stehen Jugendliche am Mi- oft mit Schülern als Studiogästen. Die sitzen dann zwischen Ka- krophon und moderieren „ihre“ Stundensendung unter dem Motto beln, Musiker- und Moderatorenbeinen auf dem Boden. „So klingt meine Stadt“. Eine Woche lang haben „U21“-Mitarbeiter sie „ausgebildet“, dann bis zur Sendung betreut und begleitet. Damit jeder BR-Klassik-Hörer ganz authentisch erfahren kann, Kuschelig und ein wenig eng wie junge Menschen die Musikkultur von heute wahrnehmen, be- werten und abbilden. Leidenschaft für Musik – insbesondere Im Studio ist es kuschelig – und ein wenig eng. Vielleicht strebt für klassische Musik – steht im Mittelpunkt von „U21“. Spaß und die Redaktion deshalb so nachdrücklich hinaus in die Welt. Dahin, Ernsthaftigkeit, Konzentration und Lockerheit sollen sich die wo junge Musiker nachwachsen: in Konzertsälen und Schulaulen, Waage halten. Deshalb lautet das pädagogische Konzept hinter Gemeindesälen und Vereinsheimen, Musikhochschulen und Clubs. allem, dass es keines gibt. Dafür aber Bekenntnis, Sinnlichkeit, Wo das junge Publikum zu finden ist. „U21“ will Teil der Szene sein, Freude, Begeisterung und Emotion. will sie abbilden und anschieben, sie entdecken und fördern.

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Leidenschaft für Musik – insbesondere für klassische Musik – steht im Mittel- punkt von „U21“.

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„U21“ sendet jeden Mittwoch ab 21.03 Uhr aus dem Funkhaus: Klassik als Musik von heute mit völlig anderer Musik von heute, ein einzigartiger Musikmix von Renaissance bis Rap.

Der Dreiklang des Bayerischen Rundfunks

Mit dem gut aufeinander abgestimmten len sowie in Asien und Amerika erhalten Rundfunks unter Nikolaus Harnoncourt Angebot seiner drei Klangkörper leistet der stets euphorische Kritiken. Den Rang des oder Puccinis „La Bohème“ mit Anna Netre- Bayerische Rundfunk einen wesentlichen Orchesters spiegelte schon in der Vergan- bko und Rolando Villazón erhielten inter- Beitrag zum bayerischen Kulturleben. genheit die imposante Reihe internatio- nationale Auszeichnungen. naler Gastdirigenten wie Solti, Bernstein, Symphonieorchester des Giulini, Sawallisch oder Kleiber. Aber nach Münchner Rundfunkorchester Bayerischen Rundfunks wie vor lockt das Symphonieorchester des Wahrscheinlich widmet sich kein zweites So zählt das 1949 gegründete Symphonie- Bayerischen Rundfunks mit Muti, Mehta, bayerisches Orchester ähnlich flexibel un- orchester des Bayerischen Rundfunks zu Blomstedt, Haitink, Salonen, Welser-Möst terschiedlichsten Repertoirebereichen wie den führenden Orchestern weltweit. Einer oder Harding die Dirigenten-Elite nach das Münchner Rundfunkorchester. Oberste Umfrage unter internationalen Kritikern Bayern. Priorität haben neben der Wiederentde- zufolge rangiert das Symphonieorchester ckung unbekannter Werke Fantasie und als einziges Rundfunkorchester unter den Chor des Bayerischen Rundfunks Vielfalt in Sachen Musikvermittlung. Das ersten zwanzig weltweit auf Platz Sechs. Auch der Chor des Bayerischen Rundfunks Spektrum reicht von konzertanten Opern Zum Selbstverständnis gehörte von Beginn – Motto: „Gesang beflügelt“ – gehört zu und raffiniert aufbereiteten Operetten über an die Pflege zeitgenössischer Musik: Im den besten seiner Art. 1946 gegründet voll- Crossover-Projekte, Kinder- und Jugend­ Rahmen der Reihe „musica viva“ führten zog sich sein künstlerischer Aufstieg paral- konzerte, unterhaltsame Themenabende, Strawinsky, Milhaud, Hindemith, Kagel oder lel zu dem des BR-Symphonieorchesters; geistliche Musik der Moderne in der Reihe Berio am Pult des Orchesters eigene Wer- auch für ist der BR-Chor „Paradisi gloria“ bis zum Schwerpunkt ke auf, und bis heute sind regelmäßige maßgeblicher Partner. Die künstlerische Filmmusik. Dieses vielseitige Profil verleiht Uraufführungen selbstverständlich. Die Leitung übernahm 2005 der Niederländer dem Orchester eine einzigartige Stellung Tradition der international renommierten Peter Dijkstra. Im Zusammenwirken mit in der Kulturszene unseres Landes. Mit Orchesterchefs reicht von den Orchestern des BR sowie in A-cappella- der Produktion eines Lehár-Zyklus oder über Rafael Kubelík, Sir und Konzerten erarbeitet der bekennende „Anti- unbekannter Opern- und Konzertliteratur bis zu Mariss Jansons, der seit Spezialist“ vielfältige Programme von der auch auf CD setzte , künstle­ 2003 Chefdirigent von Chor und Sympho- mittelalterlichen Motette bis zur zeitge- rischer Leiter seit 2006, neue Akzente. Kon- nieorchester des Bayerischen Rundfunks nössischen Musik, vom Oratorium bis zur zerte und Produktionen mit Ausnahme- ist. Unter seiner Leitung hat das Orchester Oper. Regelmäßig gastiert der Chor bei künstlern wie Vesselina Kasarova oder ein künstlerisches Niveau erreicht, das europäischen Spitzenorchestern wie den Bobby McFerrin unterstreichen den Ruf weltweit keine Konkurrenz scheuen muss. Berliner Philharmonikern oder dem Lucerne des Orchesters als gefragter Partner inter- Die auch beim Label BR-Klassik dokumen- Festival Orchestra. CD-Einspielungen wie nationaler Stars. tierten Konzerte in München und Bayern, Schumanns „Das Paradies und die Peri“ mit in den führenden europäischen Metropo- dem Symphonieorchester des Bayerischen

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Sternstunden – Wir helfen Kindern Sternstunden reagiert schnell und fördert nachhaltig

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„Sternstunden-Gala“ mit BR-Moderatorin Sabine Sauer

Die Benefizaktion des Bayerischen Rundfunks wurde 1993 initiiert. fall. Der Bayerische Rundfunk veranstaltete gemeinsam mit In den letzten 19 Jahren konnten mit einem Spendenaufkommen Sternstunden für den 21. Juli 2011 einen Spendenaktionstag, an von 138 Millionen Euro über 2.000 Projekte, die meisten davon in dem Hörfunk und Fernsehen in seinem Programm auf eine der Deutschland und vorwiegend in Bayern, aber auch weltweit, schlimmsten Dürreperioden Ostafrikas und den damit verbun­ unterstützt werden. denen verheerenden Zuständen in den Flüchtlingslagern auf­ merksam machten und Spenden sammelten. Ziel von Sternstunden ist es, die Lebensbedingungen kranker, be- hinderter und in Not geratener Kinder und Jugendlicher nachhal- Ein besonderer und 2011 zum achten Mal wiederkehrender­ Höhe- tig und dauerhaft zu verbessern. Der eigens gegründete Förder- punkt im Spendenjahr war der „Sternstunden-Tag“ des Bayeri- verein reagiert dort, wo Not ist, schnell und unbürokratisch. Dies schen Rundfunks, der einen Tag lang sein Programm ganz für geschieht jedoch niemals ohne sorgfältige Prüfung der Hilfsmaß- den guten Zweck zur Verfügung stellte. So berichteten auch am nahmen und anschließendem intensiven Controlling über die Freitag, 9. Dezember 2011, von 6.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr ordnungsgemäße Verwendung der Spendengelder und der Arbeit­ nachts zahlreiche prominente Moderatoren und Paten in Hör­funk- mit den Kindern. und Fernsehsendungen über die unterschiedlichsten Projekte und Aktionen von „Sternstunden – Wir helfen Kindern“. Bei Sternstunden wird jede Geldspende garantiert ohne Abzug an bedürftige Kinder weitergegeben, da die Sponsoren der Sparkas- Parallel dazu nahmen freiwillige Helfer in den drei Spendenzen­ senfinanzgruppe alle Verwaltungskosten der Benefizaktion tragen tralen in Unterföhring, im Münchener Funkhaus und erstmals auch und Sternstunden wirtschaftlich haushaltet. Dank des hohen Be- in Nürnberg den ganzen Tag über Spenden entgegen. Das Gesamt- kanntheitsgrades und Renommees der Sternstunden wurde auch ergebnis wurde dann im Rahmen der großen dreistündigen „Stern-­ das Aktionsjahr 2011 erneut mit einem Rekordergebnis von 13 stunden-Gala“ mit Moderatorin Sabine Sauer, vielen musikalischen Mil­lionen Euro abgeschlossen. Top-Acts und prominenten Sternstunden-Paten aus der Nürn­ berger Frankenhalle bekannt gegeben. Hinzu kommen weitere 15,6 Millionen Euro aus der Sternstunden- Sonderaktion für die hungernden Menschen in Ostafrika. Erstmals organisierten die Sternstunden eine Soforthilfe im Katastrophen-

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Außenstimme: Wann ist eigentlich Heimat?

Klaudia Wick, Fernsehkritikerin

Am intensivsten beheimatet fühle ich mich seit einiger Zeit nalfenster ein Heimatgefühl bedient, das im geografischen zwischen den Gemüsebeeten in meinem Schrebergarten. Der liegt Sinne nicht mehr meines ist und im biografischen Sinne auch kurioserweise inmitten der Berliner West-City, gleich am „Hans- nie meines war. Oder nach München, wo sie wie hier bei uns Rosenthal-Platz“, der so heißt, weil dort lange der RIAS beheima- daheim (bairisch = „dahoam“) gegen den Ausbau des örtlichen tet war, wo Hans Rosenthal Unterhaltungsfachmann war, wenn er Airports kämpfen. Statt wie weiland in Frankfurt „Startbahn nicht für das ZDF „Dalli Dalli“ moderierte, was für mich während West“ (= meine politische Vergangenheit) geht es dort halt um meiner niederrheinischen Kindheit ein wichtiges und bis heute eine sogenannte „Startbahn drei“. Ob das einen Unterschied gern erinnertes Stück Fernsehheimat ist. macht? Für die Familie Gröll aus Attaching, die wegen der hefti- gen Luftwirbel der Düsenjets dann aus versicherungstechnischen Heimat ist für meine Generation kein geografischer Ort mehr, Gründen ihre Dachziegel am Haus festschrauben müsste, natür- sondern eine komplexe Konstruktion. Romantische Zuschreibun- lich schon. Für mich als virtuelle Anrainerin aber eben nicht. gen (... meine Salatherzen ...), mediale Erinnerungen (... Sie finden: Das war Spitze! ...) und soziale Wirklichkeiten (... meine Postan- Stichwort „Globalisierung“: Was ist eigentlich bayerisch daran, schrift ...) mischen sich zu einem diffusen Gefühl, das im besten wenn Sigmund Gottlieb mit seinen fachkundigen Studiogästen in Fall Identität, manchmal nur Geborgenheit, selten beides gleich- der „Münchner Runde“ die Eurokrise diskutiert? Streng genom- zeitig verspricht. Schon meine Mutter und sogar meine Großmut- men ist das ja gerade kein regionales Thema wie zum Beispiel der ter waren übrigens Zugezogene. Der Krieg hatte sie ins Rheinland muntere Kochwettbewerb der „Landfrauenküche“. Dort wettei-­ „verschlagen“, wie man so sagte. Die mobile Gesellschaft ist also fern Dagmar Lutzenberger aus Schwaben, Christine Schmidt-Kons in Wahrheit keine allzu moderne Erfindung, die neuen Medien aus der Oberpfalz, Anita Wallraff aus Unterfranken, Dagmar Hart- machen es uns nur um so vieles leichter, die eigene Herkunft als leb aus Oberfranken, Claudia Fenzel aus Niederbayern, Barbara etwas zu betrachten, das sich auch in der Fremde jederzeit wieder Neuner aus Oberbayern und Margit Hausmann aus Mittelfranken hervorholen, ansehen und mit einem Mausklick bei Facebook mit um den Titel, und sie köcheln dafür Ravioli (kommen die nicht anderen teilen lässt. Oder simpel ausgedrückt: Manchmal gucke aus Italien?), backen Mozzarella im Zucchinimantel (???) oder eine ich mir das „WDR-Fernsehen“ einfach nur wegen des rheinischen Aprikosentarte (klingt französisch im Abgang), die dem Alfons Singsangs der Moderatoren an. Manchmal ziehe ich aber auch Schuhbeck besonders gut schmeckt. Der übrigens anderentags für einen Abend nach Brandenburg, wo der RBB in seinem Regio- die Spieler des FC Bayern bekocht. Aber eben nur „auswärts“.

162 kultur, bildung und soziales engagement gesellschaftswert

Klaudia Wick lebt in Berlin und schaut fern, seit sie laufen kann. Seit 20 Jahren schreibt sie auch darüber. Früher in der taz, heute in der „Berliner Zeitung“, der „Frankfurter Rundschau“ oder in „epd medien“.

Wo immer das dann halt ist. Was im Fernsehen „auswärts“ ist, matgefühl als der RBB-Bericht über den Brandenburger Dennis bestimmt nicht die landsmannschaftliche Zugehörigkeit, sondern Tilwitz und seine „erste mobile Mosterei“. Die testet mein Heimat- die Heimatkonstruktion im Kopf des Zuschauers. Viele, die mit sender im „knallharten Dreistufentest“. Für mich macht er das dem Privatfernsehen aufgewachsen sind, fühlen sich nun vor al- nicht. Aber vielleicht für einige der anderen, überwiegend schon lem bei RTL daheim. Wer wie ich in den Sechzigerjahren mit dem berenteten 150.000 Schrebergärtner, die in der Hauptstadt noch Fernsehen im Wohnzimmer aufgewachsen ist, fremdelt noch wie zu Omas Zeiten gärtnern. eine Weile – ja: vielleicht lebenslang! – mit der Vorstellung eines mobilen „TV to go“. Wenn Zuhause wiederum dort ist, wo die Wenn sich aber nun der Begriff „Heimat“ im „Global Village“ zum Freunde auf einen warten, dann müsste das Fernsehen doch Pluraletantum erklärt, das nicht mehr eine klar begrenzte geo- ei­ne ziemlich große Heimat sein. „Host mi“? grafische Region beschreibt, sondern ein waberndes individuelles Konstrukt, was wird dann schlussendlich aus dem guten alten Schon seit einer Weile zeichnet sich ab, dass Heimat zu etwas Regionalfernsehen? Es wird wohl als „unique“-Beheimatung mit werden könnte, das sich mehr und mehr in Jahresringen statt in seinen alten Zuschauern peu à peu aussterben (müssen). Und sich Ländergrenzen organisiert. Wir wollen uns von unseren Medien als gut erschlossenes, aber wenig besiedeltes Zuzugsgebiet einem generationengerecht „angesprochen“ fühlen, und diese Ansprache Wandervölkchen anbieten (können), das Familie, Herkunft und verlangt zuförderst nach identifikatorischen Bezügen: Gleichalt- die traditionelle Bauweise gerade für sich entdeckt und übrigens rigkeit (ZDFneo), Klassenzugehörigkeit (Harald Schmidt), gemein- schon längst keinen Rucola mehr kauft, sondern wieder Rauke isst. same Seherfahrungen (Mad Men!) konstruieren die gedachte Weil der Bayernwert so höher klingt. Und das eben doch etwas Sehgemeinschaft im heutigen Zielgruppenfernsehen stabiler als mit Heimat zu tun hat. der Allgäuer Dialekt oder der Geschmackssinn für Frankfurter Äppelwoi aus jenen Zeiten, in denen sich die „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands“ ganz selbstverständlich in Regionen konstituierte. Wenn ich in „Querbeet“ der süddeutschen Sabrina Werner beim „Urban Gardening“ zusehe und darüber staune, wie sie aus ihrem Balkon ein Tomaten-Biotop formt, dann ist das sicher näher an meinem Neuberliner Schrebergartenhei-

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Wertebild

„Gesellschaftswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Unternehmenswert Qualität und öffentlich-rechtlicher Auftrag

unternehmenswert

Was ist das Unternehmen Bayerischer Rundfunk wert? 10 Milliarden, 15 Milliarden oder gar 150 Milliarden Euro? Was bei einem kommerziellen Sender jederzeit bezifferbar ist, das entzieht sich bei einem öffentlich-rechtlichen Sender selbst­ verständlich der Quantifizierung. Der Wert des Un­ ternehmens BR ist ein ganz anderer: Es geht nicht um Gewinnspannen und Private-Equity-Investments, sondern um den Wert der Institution Bayerischer Rundfunk für die Menschen und die Gesellschaft in Bayern. Es geht um den „public value“.

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Public Value hört nicht bei den Angeboten auf, vielmehr beginnt er bereits bei der Organisation, die Qualität hervorbringt. Die Qualitätsdiskussion hat deshalb neben den Programmangeboten auch den ganzen Sender zum Gegenstand. Der öffent­- lich-rechtliche Programmauftrag verpflichtet den Bayerischen Rundfunk, die Menschen in Bayern flächendeckend und auf allen Verbreitungswegen mit seinen Programminhalten zuverlässig zu er­ reichen. Deshalb setzt der BR auf hohe technische und inhaltliche Standards, steht im Dialog mit der Gesellschaft und fördert Talent und Kreativität. Seine Produkte sind preisgekrönt und als Arbeit­­­- geber und Produzent ist der BR enorm wichtig für die bayerischen Medienstandorte München und Nürnberg.

170 unternehmenswert

Aus dieser durch Gebührenfinanzierung privile­ gierten Position heraus will der Bayerische Rund­ funk die Qualität seiner multimedialen Angebote entsprechend dokumentieren. Der BR versteht sich dabei als „Mittler“ und „Katalysator“, der Qualität möglich macht. Qualität ist dabei nicht absolut, sondern immer in Relation zu den Anforderungen­ zu verstehen. Deshalb befinden wir uns darüber im intensiven Diskurs, intern wie extern.

Qualität muss als beständiger Prozess „betrieben“ werden, weil der Wettbewerb auf allen Kanälen und medialen Plattformen größer wird. Der beson­ dere Unternehmenswert des Bayerischen Rund­ funks muss sich daran messen lassen.

171 unternehmenswert Talent und kreativität

Die journalistische Elite – die Volontäre des BR Seit 25 Jahren besteht die Volontärsausbildung im Bayerischen Rundfunk, und Ludwig Maaßen, Leiter der Ausbildungsredaktion bis August 2012, war von Anfang an dabei. Im Mai 2012 wurden zwölf Bewerber für den 24. Volon­ ­ tärskurs bestimmt. Ganze zwei Jahre dauert das Volontariat. Ein Gespräch mit Ludwig Maaßen über Qualität in der journalistischen Ausbildung.

Herr Maaßen, das Volontariat beim Bayerischen Rundfunk gibt es Wenn Sie die Volontärsausbildung beim BR vergleichen mit seit 1987. Wie wichtig ist die journalistische Ausbildung dem BR? der Ausbildung bei anderen Sendern, wo steht sie da? Gibt es Das Volontariat ist Teil der Personalentwicklung im BR. Die Wer­ Unterschiede? tigkeit kann man den Zahlen entnehmen: Wir haben im Jahr etwa Den größten Unterschied gibt es einerseits zum ZDF, weil es dort 250 bis 300 Hospitanten oder Praktikanten, aber nur zwölf Vo­ keinen Hörfunk gibt, andererseits zum , weil lontäre. Das heißt: Es handelt sich um eine Elite. Wir suchen die es dort kein Fernsehen gibt. Das ZDF und der BR haben beide die Besten aus dem Kreis der Praktikanten aus und fördern sie nach Volontariatszeit verlängert: Das ZDF von 15 auf 18 Monate, der BR einem ausgeklügelten System. Das besteht aus Trainings- und Re- von 18 auf 24. Der Hessische Rundfunk will 2013 mit einem er­- daktionsaufenthalten. Und die sind ineinander verschränkt so ­neu­erten, zweijährigen Volontariat beginnen. Die journalistische wie bei einem Reißverschluss. Wir machen das deshalb, weil nach Ausbil­dung beim BR ist sonst nur vergleichbar mit der anderer einer Strecke intensiven Trainings die Aufnahmefähigkeit erschöpft großer ARD-Rundfunkanstalten: NDR, WDR, MDR, SWR. Da spielen ist und die Leute auch Redaktionspraxis brauchen. Sie sollen die wir auf jeden Fall in der oberen Liga. Letztlich geht es ja darum, redaktionellen Abläufe kennenlernen und das im Training Gelernte den neuen Entwicklungen im Medienbetrieb Rechnung zu tragen. in der Praxis umsetzen. Wie wichtig dem BR das Volontariat ist, Das sind wir unseren Volontären wie unseren Redaktionen schul- können Sie daran erkennen, dass er die notwendigen finanziellen dig; und es ist notwendig für eine solide, nachhaltige journalisti- Mittel zur Verfügung stellt. sche Ausbildung.

172 talent und kreativität unternehmenswert

Volontäre des Kurses V21 in einem Ludwig Maaßen, Leiter der Ausbildungsredaktion Seminar über journalistische Ethik bis August 2012

Worauf legen Sie bei der Ausbildung der Volontäre „Rundschau“. Da gibt es eine Pressekonferenz. Zu der fahren wir besonderen Wert? dann mit Teams und fertigen parallel zur richtigen „Rundschau“ Ziel ist eine hohe Qualität des Journalismus, d. h. sorgfältige Pla- Nachrichtenbeiträge. Die werden dann im Anschluss intensiv mit nung statt Chaos, gründliche Recherche, ideenreiche Umsetzung der Redaktion besprochen. Die Volontäre sollen lernen, zuverlässig, und die bestmögliche Produktion für alle Ausspielwege, die es schnell sowie ressourcenschonend zu arbeiten und dabei auch heutzutage gibt. Früher gab es ja nur Hörfunk und Fernsehen, nicht das Publikum aus den Augen zu verlieren. aber heute ist natürlich auch der Onlinebereich wichtig. Was hinzukommt, ist die optimale Nutzung der Ressourcen. Optimal Wie garantieren Sie eine hohe Qualität in der Ausbildung? heißt: Ich muss sie kennen, ich muss geübt sein, d. h. sie auch Durch den Einsatz guter Trainer und die sehr sorgfältige Auswahl zeitsparend einsetzen, aber trotzdem qualitativ arbeiten. Man der Volontäre. Wir versuchen, unter den Bewerbern die besten muss nicht am Anfang schon der Schnellste sein, aber die Zeit, in zu finden. Wenn wir wissen, dass wir Nachwuchs in bestimmten der man sei­ne Arbeit erledigen soll, spielt schon eine Rolle, und Redaktionen brauchen, dann haben die Leute, die entsprechende an der Schraube drehen wir auch. Aber es geht dabei auch um die Voraussetzungen dafür mitbringen, größere Chancen, genom-­ Inhalte, also darum: Was will ich sagen und wie sage ich es? Die men zu werden. Qualität heißt auch: Sachkompetenz. Wir können­ Volontäre müssen lernen, gut und schnell zu arbeiten. Wir üben zwar nicht unbegrenzt schulen, aber wir machen all die Dinge, das beispielsweise für das Fernsehen in Zusammenarbeit mit der von denen wir erkannt haben, dass sie wichtig sind. Zum Beispiel

173 unternehmenswert Talent und kreativität

Die Volontäre sollen lernen, zuverlässig, schnell sowie res­ sourcen schonend zu arbeiten und dabei auch nicht das Publikum aus den Augen zu verlieren.

juristische Berichterstattung und Recht für Journalisten. Wir füh- Ausbildung. Wir bringen den Volontären aber auch bei, neue Sen- ren Seminare zur Wirtschafts- und Auslandsberichterstattung dungen zu konzipieren und zu realisieren. Sie konzipieren im Laufe durch. Ethik ist wichtig. Wir haben außerdem ein Seminar, das des Volontariats mehrere neue Formate. Also, das üben wir schon nennen wir: „Das politische Bayern“. Da geht es um den Landtag, allein deshalb, damit die nicht Angst davor haben, etwas Neues zu die Staatskanzlei, also staatliches Handeln und politische Institu­ machen, sondern damit sie sich darauf freuen. Früher war das im tionen in Bayern. Es geht um Wissen, Urteilsvermögen und die Fra- BR ja so: Man fürchtete sich in den Redaktionsleitungen vor neuen gen: Was ist wichtig, was ist nicht wichtig? Zum Ausbildungspro- Ideen. Heute werden die neuen Ideen der Volontäre mehr geför- gramm gehört auch ein einwöchiger Studienaufenthalt bei den dert; die Redaktionen sind offener für Anregungen. Journalistenkollegen in Berlin sowie in Brüssel. Die Volontäre sol- len nicht nur sehen, riechen und schmecken, wie dort Politik und Wenn Sie sich etwas für Ihre Volontäre wünschen könnten, Berichterstattung funktionieren, sondern auch miterleben, in wel- was wäre das? chem Umfeld und unter welchem Druck die Kollegen arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass mehr von ihnen als feste Redak- teure angestellt werden, weil das Haus einfach mehr davon hat, Wenn Sie nach über 20 Jahren rückblickend schauen, haben als wenn es Leute nimmt, die das Haus nur durch eine Hospitanz Sie jetzt das Gefühl, dass das Volontariat bzw. die Volontäre zur von zwei Monaten oder gar noch weniger kennengelernt haben. Verbesserung der Programmqualität beigetragen haben? Sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen? Da geht es ja auch um Investitionen ins Personal – Stichwort Eindeutig ja. Schon als der Rundfunkrat in den 1980ern das Volon- „human capital“ – , die man getätigt hat … tariat anregte, hat er ja das verbunden mit einer Aufforderung, Auch das natürlich. Man hat viel Geld reingesteckt, die Leute ken- die Qualität der Journalisten zu verbessern. Es gab damals keine nen das ganze Haus und es lohnt sich auf jeden Fall für den BR. systematische Journalistenausbildung der Sender. Also war die Immer mehr Redaktionsleiter sehen das zum Glück mittlerweile Qualität der Journalisten eher dem Zufall geschuldet. Als wir das auch so. Volontariatsprogramm aufgelegt haben, haben wir gesagt, der BR ist der letzte Sender, der ein Volontariat einrichtet, dafür soll es Das Gespräch führte Mario Beilhack jetzt aber das beste werden.

Wie geht es für die BR-Volontäre nach ihrer Ausbildung weiter? Was kommt danach? Zwei Drittel der Ex-Volontäre landen beim Fernsehen, leider zu wenige als Redakteure, sondern die meisten als Beitragsmacher. Aktuelle Berichterstattung ist natürlich Schwerpunkt Nr. 1 der

174 talent und kreativität unternehmenswert

Anja miller

Seit 1. September 2012 ist Anja Miller Leiterin der Aus- bildungsredaktion. Ihre Karriere beim BR begann 1993 als Reporterin für den Hörfunk. Daran schloss sich ein Volontariat an (1996 – 1997). Zuletzt war sie stellver­ tretende Redaktionsleiterin im ARD-Mittagsmagazin. Wir haben Frau Miller zu ihrer neuen Funktion kurz befragt:

Frau Miller, wie sehen Sie Ihre Rolle als neue Leiterin der Ausbildungsredaktion? Bewährtes erhalten und Neues ermöglichen! Ich weiß bis heute sehr zu schätzen, was ich im Volontariat ge- lernt habe – sowohl, was das klassische journalistische Handwerk in Radio und Fernsehen betrifft als auch die politischen, juristischen und wirtschaftlichen Semi- nare. Wichtig für mich waren auch der Teamgeist und die konstruktiven Auseinandersetzungen in der Volon- tärsgruppe – da lernt man nicht nur fürs Berufsleben. Da sich der Journalismus derzeit, bedingt durch die di- gitale Revolution, in einer enormen, sehr spannenden Umbruchphase befindet, wird die Ausbildung dem noch stärker Rechnung tragen. Wir wollen, dass die Vo- lontäre nicht nur planen, filmen, reportieren, intervie- wen, moderieren, texten und erklären, sondern ganz selbstverständlich auch twittern und bloggen. Im Ver- änderungsprozess BR können die Volontäre durch ihre trimediale Ausbildung außerdem wichtige Schnitt­ stellen managen und Redaktionen im crossmedialen Arbeiten unterstützen.

175 unternehmenswert Talent und kreativität

Universell – Heimat im Film

Josef Mayerhofer und Sebastian Stern haben gleich drei Dinge gemeinsam: Sie stammen beide aus Niederbayern, haben beide an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert und dort das Studium mit einem abend- füllenden Spielfilm erfolgreich abgeschlossen. Drei gute Gründe für Julia Rappold, Nachwuchsförderreferentin­ des FilmFernsehFonds Bayern mit den beiden jungen Filme­ machern ein Gespräch über Heimat, Film und filmische­ Heimat zu führen.

176 talent und kreativität unternehmenswert

Die beiden Spielfilme „Mischgebiet“ von Josef Mayerhofer damals festgestellt, dass es in Bayern einige Schülerfilmwettbe- und „Die Hummel“ von Sebastian Stern sind Koproduktionen werbe gab. Und da sind wir uns immer wieder begegnet. des Bayerischen Rundfunks und erhielten Förderung durch Mayerhofer: Wir haben uns dort immer getroffen und uns über ganz den FilmFernsehFonds Bayern. handwerkliche Dinge ausgetauscht. Wir waren ja Autodidakten.

Eure beiden Abschlussfilme, „Mischgebiet“ und „Die Hummel“, Wo seid ihr aufgewachsen? spielen ja in Niederbayern. Mussten sie auf dem Land spielen, Mayerhofer: Ich bin in Vilsbiburg aufgewachsen. in einer bestimmten Region, oder hätten eure Filme auch in der Stern: Also ich bin in Teisnach und Viechtach im Bayerischen Wald Stadt spielen können? aufgewachsen. Schon damals haben wir da auch ein Filmfest Stern: Ich mag es gerne, wenn Filme verortet sind, und die Schau- organisiert. Daraus wurde dann das heutige Viechtacher Kurzfilm- plätze nicht anonym oder austauschbar sind. In meinem Fall war fest. Da liefen auch schon Filmbeiträge von Josef. es für die Geschichte, wo es um das Wahren von Schein und Fas- Mayerhofer: Unbedingt merken! Geheimtipp. sade geht, sehr wichtig, dass es der Mikrokosmos einer Kleinstadt ist. Es hätte jetzt rein von der Handlung auch eine Stadt in Hessen Habt ihr sofort gewusst, da gibt es eine Filmschule in München, oder Baden-Württemberg sein können. Es musste aber dennoch bei der ihr euch bewerben wollt? stimmig sein und da war es für mich leichter, etwas in einer Ge- Mayerhofer: Ich bin wirklich sehr unbedarft an die Sache ran­ gend anzusiedeln, in der ich mich selbst auskenne und von der ich gegangen. Ich wusste schon mit etwa 16, dass ich Film studieren beim Schreiben bestimmte Gegebenheiten vor Augen habe. will. Ich wusste vage, dass es eine Filmhochschule in München gibt. Und da viele Leute aus meiner Umgebung nach München Glaubt ihr, dass eure Film dadurch authentischer wurden, zum Studieren gingen, war für mich ganz klar, dass ich da auch gerade weil ihr die Region so gut kennt? hingehe. Es hat ja dann auch gleich geklappt und so bin ich Stern: Ja mit Sicherheit. Es hilft, die Welt des Films so stimmig wie irgendwie reingerutscht. möglich hinzubekommen. Also, mir war es in diesem Fall nicht so Stern: Der Josef war ja ein Jahr vor mir an der HFF und da wir uns wichtig, dass der Film in Bayern spielt, mir war es wichtig, dass bereits kannten, kam es dann auch dazu, dass ich mal bei ihm die im Film dargestellte Welt stimmig ist! war und wir dann meine Bewerbungsaufgabe zusammen ange- Mayerhofer: Bei mir war die Region schon wichtig. Es war mir schaut haben. wichtig, ein Bayernbild herzustellen, das ich bisher aus Filmen nicht kannte. Mir ging es darum, ein Heimatbild zu schaffen, das ambivalenter ist und das dadurch auch ein Mehr an Schönheit Die Hummel gewinnt, als wenn man es zu schnell verklärt oder krampfhaft in einen bestimmten Plot hineinzwingt. Das habe ich aus meinen Kinofilm, 87 Minuten Erfahrungen mit Dokumentarfilmen gelernt. Und doch ist „Misch- gebiet“ für mich nicht nur ein Film über eine bestimmte Region Inhalt: „Die Hummel“ ist eine lakonische in Bayern, sondern ein Film über Provinz an sich. Die Strukturen Komödie rund um einen Vertreter für und Mechanismen im Film könnten durchaus auch woanders Schönheitsprodukte in einer spielen. Das „Mischgebiet“ gibt es überall. Dort trifft etwas aus- niederbay­erischen Kleinstadt. gehöhlt Traditionelles auf globale Strukturen und frisst sich auf. Regie: Sebastian Stern Für mich war aber auch das Bairische wichtig, weil ich es für eine Buch: Sebastian Stern, Peter Berecz sehr schöne Filmsprache halte. Der Dialekt bietet mehr Kino als Kamera: Sven Zellner das leider viel zu oft verwendete Hochdeutsch. So eine Dialekt- Schnitt: Wolfgang Weigl farbe fehlt bei ganz vielen Filmen im deutschen Sprachraum, ob- Ton: Udo Steinhauser wohl es den Film musikalischer macht und zur Verortung beiträgt. Redaktion (BR): Natalie Lambsdorff Stern: Ich schätze es, wenn ein Film beispielsweise in München Nachwuchsförderung FFF Bayern spielt und ich dabei auch wirklich München sehen und spüren kann. Produzenten: Ralf Zimmermann, Mark von Seydlitz Darsteller: u. a. Jürgen Tonkel, Inka Friedrich, Ihr seid beide in Niederbayern aufgewachsen. Michael Kranz, Steffi Reinsperger, Erzählt doch, wie ihr zum Film gekommen seid? Gerhard Wittmann, Christian Pfeil Stern: Deine Frage ist insofern lustig, da wir beide uns schon seit der Jugend, also seit unseren filmischen Anfängen kennen. Wir haben beide bereits als Schüler hobbymäßig Filme gemacht und

177 unternehmenswert Talent und kreativität

Fühltet ihr euch an der HFF gut aufgehoben? So wird das immer eine Mischung aus Fremdbeobachtung und ei- War das Umfeld dort für eure Arbeit inspirierend? gener Vorstellung. Aber ich komme dabei ohne dokumentarischen Mayerhofer: Was mir sehr gut an der HFF gefallen hat, war, dass Anteil nicht aus. Ich bin besser im Finden als im Erfinden, also man den autodidaktischen Weg weitergehen durfte, dass man mehr der Bastler als der Architekt am Reißbrett. sich dort weiter ausprobieren durfte. Ich bin ja der Meinung, dass man Filmemachen nicht wie in der Schule lernen kann, sondern Was bedeutet für euch heute der „Heimatfilm“? man muss es selbst probieren, verinnerlichen und entdecken. Würdet ihr sagen, dass eure Filme Heimatfilme sind? Bei mir in der Dokumentarfilmabteilung habe ich auch sehr viel Mayerhofer: Heimatfilm heute bedeutet die Suche nach einer von den anderen Kommilitonen gelernt. Wir waren eine ganz Verwurzelung, ohne dass darauf im Film eine Antwort gefunden unterschiedliche Truppe, die sich am Anfang erst beäugt hatte. werden muss. Das Wesentliche ist dieser Prozess der Suche, der Die einzige Verbindung war das gemeinsame Interesse am Film. in allen seinen Facetten dokumentiert wird! Das darf dann auch Unser Jahrgang hat sich ganz gut zusammengerauft und wir scheitern oder kann auch ruhig schiefgehen. Die Berührung, die haben noch einen guten Kontakt untereinander. Daraus haben emotionale Aufladung entsteht durch diese Suchbewegung der sich gute Freundschaften und auch sehr fruchtbare Arbeitsbe- Protagonisten im Film. ziehungen entwickelt. Stern: Ich glaube, wenn man über Bayern oder Deutschland hin- ausschaut, dass ganz viele US-amerikanische Filme Heimatfilme War das bei dir auch so, Sebastian? sind, ohne dass wir da groß darüber nachdenken müssen. Das Stern: Ja, auf jeden Fall! Ich finde auch, dass man genauso viel von Westerngenre ist der Heimatfilm schlechthin und wäre undenkbar seinen Mitschülern lernte wie durch die Lehrangebote. Man ist ohne die Verbindung zum Begriff „Heimat“. Ganz viele Filme des halt ständig in einem Austausch. Wir haben nie gegeneinander Weltkinos sind Filme, die sich mit Fragen von Verwurzelung, Tradi- gearbeitet. Wir waren ja alle ganz unterschiedlich und wussten tion und Verortung beschäftigen. Heimat ist für mich ein ganz genau, wer was für Filme machen wollte. Dabei haben wir uns ge- universelles Thema. Deshalb tue ich mir auch so schwer von einem genseitig ausgeholfen und das ist auch jetzt noch so: Wenn ich „Neuen Heimatfilm“ zu sprechen, da auch in Deutschland der Probleme mit meinem Drehbuch habe, dann gibt es den Tomek „Heimatfilm“ nie weg war. oder Christian, mit denen ich dann darüber reden kann. Die wissen genau, was mich als Filmemacher umtreibt. Mischgebiet (International: Mixed Use Zone) Woher nehmt ihr die Inspiration für eure Themen? Wie viel hat das mit euren eigenen Erfahrungen zu tun? Kinofilm, 87 Minuten Mayerhofer: Ich fand es sehr interessant, als ich gelesen habe, dass Inhalt: Eine fiktive Ortschaft irgendwo in Helmut Dietl seine Münchner Geschichten in L.A. geschrieben ha- Niederbayern, umgeben von Mais-­ ben soll. Ich weiß jetzt nicht, ob das stimmt. Man muss vielleicht feldern und Einkaufsarealen. Nach woanders sein, um sich in Gedanken an einen bestimmten Ort Jahren kehrt der Rockgitarrist und begeben zu können. Dann ist man in der Lage, sich daran zu erin- Weltenbummler Simon auf den nern, und kann alles aufschreiben. Aber dennoch glaube ich, dass Bauernhof seines Vaters zurück. man einen Teil der Geschichten, die man erzählt, selbst erlebt ha- Zeitgleich verschwindet Simons ben muss. Bei mir geht es da um Stimmungen oder Atmosphären. Nichte Marie vom Hof. Die Wiederse- Die bilden die erste Inspirationsquelle. Dann kommen erst die hensfreude weicht schnell aufkom- Personen dazu. mender Sorge und Misstrauen. Regie u. Buch: Josef Mayerhofer Sebastian, woher kommt deine Inspiration? Kamera: Petra Wallner Stern: Aus Beobachtungen im echten Leben. Als Filmemacher geht Ton: Peter Kautzsch, Michi Hinreiner man mit einem anderen Blick durchs Leben. Dazu gehört es, neu- Schnitt: Jörg Elsner gierig zu sein und nachzufragen, sodass man sich ein Reservoir an Produzent: Rainer Schmidt Geschichten und menschlichen Handlungsweisen zulegt, die man Produktions­ltg.: OnnO Ehlers dann im richtigen Moment abrufen kann. Natürlich recherchiere Redaktion (BR): Petra Felber ich auch gezielt, wenn mich ein bestimmtes Milieu, eine bestimm- Nachwuchsförderung FFF Bayern te Welt interessiert. Erst dann beginne ich es auch mit Leben auf- Darsteller u. a.: Michi Marchner, Eva Sixt, zufüllen. Ich stelle mir dann vor, wie würde ich mich oder eine Stephan Zinner, Gerhard Wittmann, bestimmte Person sich in einer bestimmten Situation verhalten? Rudolf Waldemar Brem

178 talent und kreativität unternehmenswert

Josef Mayerhofer

Stimmt. Aber lange Jahre hat man einfach diesen Begriff gescheut. Wenn ihr einen Wunsch hättet an eure Filmpartner BR oder FFF, Mayerhofer: Heimat wurde oft einseitig, verklärend besetzt. Hei- wie würde der lauten? mat wurde zu propagandistisch aufgefasst und auch eingesetzt. Mayerhofer: Ich würde mir wünschen, dass die Akteure in der Film- Stern: Was jetzt neu ist, ist, dass das Bekenntnis zu den Wurzeln, zu branche weiterhin ihre Offenheit gegenüber kleinen Projekten Heimat oder auch zu Bayern etwas Jugendliches und Cooles ha- oder Filmen, die etwas wagen, beibehalten. Es kann ja nicht scha- ben kann. Was sich auch abseits des Films beobachten lässt, wenn den, seinen Blick etwas mehr zu weiten, auch für Formen des do- man an den Erfolg von Zeitschriften wie „Muh“ oder auch an den kumentarischen Films. einer Band wie „La BrassBanda“ denkt. Stern: Ich wünsche mir eine Kontinuität des Vertrauens. Über ein Filmprojekt baut sich ja ein Vertrauensverhältnis auf. Man lernt Aber es gibt doch weiterhin große politische Probleme auf der sich kennen, man vertraut sich und am Ende steht ein Film. Ich Welt, mit denen man sich befassen sollte. wünsche mir deshalb partnerschaftliche Strukturen zwischen Stern: Das stimmt und deshalb mag ich es als Filmemacher auch Filmschaffenden und Redakteuren, die über ein Projekt hinausge- gerne, wenn man große universelle Themen herunterbricht und hen und so eine weitere Zusammenarbeit an Folgeprojekten er- im Modellmaßstab der Heimat zeigen kann. Wie zeigt sich die möglichen. Verunsicherung gegenüber der Welt im Leben einer Kleinstadt? Das ist ein Erzählprinzip, das ich wahnsinnig gerne mag. Das Gespräch führte Julia Rappold

Fühlt ihr euch am Filmstandort München gut aufgehoben? Stern: Ja. Ich möchte hier bleiben, weil es hier gute Strukturen für Filmschaffende gibt und ich mir hier während meines Stu- diums ein Netzwerk aufbauen konnte. Für meinen Abschlussfilm „Die Hummel“ war das ganz wichtig, um diesen überhaupt ver- wirklichen zu können. Mayerhofer: Bei „Mischgebiet“ war das ähnlich. Ich habe dafür so- wohl vom BR als auch vom FFF großen Rückhalt und viel Unter- stützung bekommen. Für mich gibt es deshalb gar keinen Grund, München oder Bayern den Rücken zu kehren.

Sebastian Stern und Julia Rappold

179 unternehmenswert Talent und kreativität

Wummern im Ohr Impressionen aus der Welt eines Tonmeisters

Norbert Joa

Täuscht es, oder hat Wilfried Hauer größere Ohren als unsereins – oder meint man es nur, weil man weiß, er ist Tonmeister? Hier im Studio 10 des Funkhauses schließt er manchmal für einen Moment die Augen, um die Geschichte besser sehen, spüren zu können, den Hörsinn noch weiter zu schärfen.

Vor ihm: Monitorboxen, Doppelbildschirme, ein 16-Kanal-Misch- pult für die Mikrofone jenseits der Trennscheibe, ein digitales Pult. Faszinierend präzise – so lassen sich Mischungen um hundertstel Sekunden verschieben, zahllose Effekte kreieren. Und doch: Auch früher hat es meisterhafte Klangmischungen gegeben, auf Band, die sich Können und Intuition verdankten. Er hat sie im Ohr, aus später fauchende Gischt und der wummernde Diesel des Minen- 41 Berufsjahren. suchbootes – noch als wehrpflichtiger Matrose hört er eine Ab- schlusssendung der Nürnberger Schule für Rundfunktechnik (SRT), Eben füllen Stimmen großer Schauspieler den Raum: Thomas entert daraufhin einen Ü-Wagen, trifft auf einen Tontechniker, der Thieme, Peter Fricke, Brigitte Hobmeier, Karin Anselm – alle im die Stones gemischt hat und hört seine innere Stimme sagen: Dienste von James Joyce. Ein Hörspiel entsteht: „Dubliner“, unter „Genau das will ich auch machen“. der Regie von Ulrich Lampen. Sprachblasen wandern in Kolonnen über den Schirm vor Susanne Herzig – „eine begnadet konzen­ Nach der SRT hat er 1971 im BR Studio Bonn als Tontechniker dann trierte Kollegin“, sagt Hauer. Eben fiel ihr zugleich mit dem Regis- zwar nicht Mick Jagger unterm Schneidemesser, dafür aber die seur auf, dass beim Wort „enthüllen“ die Endung fehlt. Beide Herren Brandt, Schmidt, Genscher und Strauß. Auch nicht schlecht. tragen kastenförmige, sehr teure, sehr gute Kopfhörer. „Enthüll … Früh geht ihm auf: „In jeder Stimme steckt eine ganze Welt.“ Wil- das klang nicht schön, so ausgehustet“, meint Ulrich Lampen, fried Hauer entwickelt sein Ohr weiter für den Klang – ob Sport, „davon haben wir sicher noch andere Fassungen.“ Volksmusik oder den Pop. „Gottlob habe ich alle Fehler gemacht und so viel gelernt“, sagt er. Überhaupt, dieses endlose dazulernen Beider Manuskript ist übersät mit Strichen und Notizen der Auf- dürfen … wie müsste im Radio Tatort der Kiosk klingen – wo müss- nahmetage – das Rohmaterial umfasst 11.737 Takes. Jede Stimme ten welche Mikrofone stehen für die Standlfrau Gisela Schnee­ wurde dreifach aufgezeichnet: mit einem modernen Studiomikro- berger? Und wenn sich ein Paar im Bett unterhält, sollte man es fon, einem älteren dynamischen und einem Kondensatormikro-­ doch auch im Bett aufnehmen – nicht wahr? Klingt echter. Und so fon aus den 40er-Jahren! So lassen sich die Stimmen im Sinne der spielte einmal eine schreckliche Vergewaltigungsszene aus Kriegs- Dramaturgie verfremden und bleiben doch erkennbar. „Wir produ- tagen tatsächlich im schweren Studioholzschrank. zieren hier für die Klangverliebten“, sagt Wilfried Hauer, „Liebloses wird ja schon genug produziert.“ Wie würde er wohl klingen, der Noch ein Tag und die „Dubliners“ sind vertonte Geschichte. Und „Soundtrack des Lebens von Wilfried Hauer“, Jahrgang 47, Ton- dann? Bringt er die „Sauwaldprosa“ von Uwe Dick zum Klingen – meister? Als Zehnjähriger erfüllt ihn die Stimme von Carl-Heinz wieder zwölf Teile, wieder 50 Studiotage. Und dann – geht Wilfried Schroth alias „Dickie Dick Dickens“, Chicagos gefährlichster Gang­ Hauer in den Ruhestand, nach 41 Jahren Klangarbeit. Vielleicht ster – 51 Folgen, damals ein Radiostraßenfeger … zehn Jahre kommt er ja noch ab und an … Stille.

180 talent und kreativität unternehmenswert

Wir produzieren hier für die Klangverliebten“, sagt Wilfried Hauer, „Liebloses wird ja schon genug produziert.“

181 unternehmenswert kompetenz und wertschätzung

Die Stiftung Prix Jeunesse Eine einzigartige Qualitätsinitiative für gutes Kinderfernsehen

Kirsten Schneid

Qualität im Kinder- und Jugendfernsehen weltweit zu fördern und Neben den Hauptpreisen gibt es Sonderpreise von UNICEF und auszuzeichnen – das ist die Aufgabe der Stiftung Prix Jeunesse. UNESCO sowie einen Förderpreis für junge Talente zu gewinnen. Alle zwei Jahre veranstaltet sie zu diesem Zweck im Bayerischen Informationseinheiten zum jeweiligen Festivalthema bieten Rundfunk den Prix Jeunesse International. weiteren intensiven und aktuellen Input.

Dieses weltweit einzigartige Festival bringt mehr als 400 Kinder- Die Stiftung zeichnet jedoch nicht nur höchste Qualität im Kinder- fernsehexperten aus allen Teilen der Welt zusammen, um eine fernsehen aus. Sie fördert auch das Know-how von Kinderfern- Woche lang gemeinsam die besten Kinderprogramme zu schauen, sehmachern weltweit durch Fortbildungsarbeit vor Ort. Mit dem intensiv zu diskutieren und zu bewerten. Am Ende der Festival- Prix-Jeunesse Koffer, der die besten Kinderprogramme des letzten woche werden die begehrten Prix-Jeunesse-Trophäen vergeben, Festivals enthält, organisiert die Stiftung in Kooperation mit inter- die für höchste Qualität im Kinderfernsehen stehen. nationalen Partnerorganisationen jährlich ca. 40 – 50 Workshops für Kinderfernsehproduzenten rund um den Globus und trägt auf diese Weise die Inspiration des Münchner Festivals und das Ver- ständnis für Hochqualität im Kinderfernsehen hinaus in die Welt.

Aber auch Kinder und Jugendliche in Deutschland, und insbeson-­ dere in Bayern, profitieren von der Qualität der Prix-Jeunesse-Pro- gramme: Mit dem „Prix-Jeunesse-Koffer für Kids“ können Schulen und Freizeiteinrichtungen interkulturelle Medienbildung für junge Menschen anbieten. Die Stiftung Prix Jeunesse wurde 1964 vom Bayerischen Rundfunk, dem Freistaat Bayern und der Stadt Mün- chen gegründet. In späteren Jahren kamen als weitere Mitglieder das ZDF, die BLM und Super RTL hinzu.

182 kompetenz und wertschätzung unternehmenswert

Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungs­ fernsehen Mehr als nur eine Institution – IZI steht für Qualität im Kinder- und Jugendfernsehen

Maya Götz

Der Auftrag des IZI ist, mit seiner wissenschaftlichen Forschungs- Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Bera- und Dokumentationstätigkeit zur Förderung der Qualität im tung von Redaktionen. Gemeinsam werden neue Formate entwi- Kinder-, Jugend- und Bildungsfernsehen beizutragen. Im Zentrum ckelt und Rezeptionsstudien zu öffentlich-rechtlichen Sendungen stehen die kulturelle Bedeutung des Fernsehens für Kinder und durchgeführt. So entstanden u. a. Formate wie Willi wills wissen, Jugendliche sowie der Bildungsauftrag der Rundfunkmedien und die Sendung mit dem Elefanten oder Kikaninchen. BR-Sendungen dessen zeitgemäße Realisierung. wie „Karen in Action“, „Checker Can“ oder „Klasse Segel Abenteuer“ wurden so gezielt auf Attraktivität und Wissensvermittlung hin Das IZI dokumentiert seit seiner Gründung 1965 den internatio­ getestet und in Zusammenarbeit mit der Redaktion verbessert. nalen Forschungsstand und erschließt die relevante Fachliteratur in der größten, im deutschsprachigen Raum erstellten Spezial- Das IZI veranstaltet regelmäßig nationale und internationale Datenbank. Mit Rezeptionsstudien und Medienanalysen erweitert Tagungen und Workshops, in denen gemeinsam mit Redaktionen das IZI den internationalen Forschungsstand, insbesondere im aktuelle Themen für ein attraktives, qualitätsorientiertes Kinder-, Bereich Kinder und Fernsehen. Jugend- und Bildungsprogramm diskutiert werden. In Vorträgen stellt das IZI seine Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vor In Zusammenarbeit mit internationalen WissenschaftlerInnen und berät diverse Fachzeitschriften im Bereich Medienkonsum von werden aktuelle und öffentlich relevante Themen erforscht, zum Kindern und Jugendlichen, Medienkompetenzförderung und Beispiel, wie Kinder Katastrophen wie die in Fukushima wahr- Qualitätsprogramme. nehmen oder wie Fernsehen Kinder mit Migrationshintergrund gezielt beim Deutschspracherwerb unterstützen kann. Neben Mehr Infos zu IZI unter: www.izi.de Qualitätsprogrammen werden auch aktuelle Trends und Problem- bereiche untersucht. Dies geht von Studien zur Faszination von Castingshows bis zur Problematik von sogenannten „Scripted- Reality“-Formaten, die Kinder meist nicht als Fiktion erkennen.

183 unternehmenswert kompetenz und wertschätzung

Faszination Tiere und Natur BR-Naturfilmproduktionen zählen zu den beliebtesten Formaten im Fernsehen

Jana Mudrich

184 kompetenz und wertschätzung unternehmenswert

„Am Ende sieht der Zuschauer einen faszinierenden Hochglanz- Film, ein preisgekröntes Meisterwerk.“

„Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Bären pro Quadratkilo- Diese abenteuerliche Expedition ins Land der Extreme steht am meter wie hier in Kamtschatka, und kein Mensch auf dieser Welt Anfang der Arbeit für die BR-Redaktion „Tiere und Natur“. Am kennt so viele wie Vasili. Dass er noch lebt, obwohl er täglich Ende sieht der Zuschauer einen faszinierenden Hochglanz-Film, im Bärenland rund um den Kurilensee unterwegs ist, liegt daran, ein preisgekröntes Meisterwerk. Der Film „Expedition 50° Auf dem dass er sein Leben lang Jäger war oder Wilderer – je nachdem, Breitengrad der Extreme – Kamtschatka“ von Felix Heidinger er- wen man dazu befragt“, erzählt BR-Naturfilmer Felix Heidinger, hielt, neben anderen Auszeichnungen, beim Internationalen Na- als er von einer abenteuerliche Expedition zu den Bären auf der turfilmfestival GreenScreen in Eckernförde den Hauptpreis für russischen Halbinsel zurückkommt. „Bei unserem ersten Rund- die beste Geschichte. Die Jury lobte vor allem die „eindrucksvolle gang entlang des Sees führt uns Vasili bis auf wenige Meter an Darstellung einer Expedition, die geradlinig und vor allem spür­- eine Bärin mit ihrem Jungen heran. In dieser unmittelbaren bar authentisch erzählt wird.“ Begegnung unternimmt er nichts, um das Tier einzuschüchtern oder zu vertreiben. Stattdessen beginnt er beruhigend auf Um solche Produkte zu schaffen, müssen wir uns an höchsten die Bärin einzureden – wie jemand, der mit seiner Hauskatze Qualitätskriterien messen. Erfolgreich sind auf dem Gebiet des spricht. ‚Marusch, Mariechen, bleib ganz ruhig … hab keine Premium-Tier- und Naturfilms nur diejenigen Filme, die dem inter- Angst Mariechen.‘“ nationalen Vergleich standhalten, erklärt , Leiter der Redaktion „Tiere und Natur“. Es gilt, sich neben Werken engli- scher, amerikanischer und asiatischer Fernsehanstalten und Pro-

185 unternehmenswert kompetenz und wertschätzung

duktionsfirmen zu behaupten. Der Tier- und Naturfilm sei das auf HD produziert. Zunehmend kommen auch Zeitraffer-, Mini- einzige Genre, in dem es der BR mit einer solch anspruchsvollen und Highspeed-Kameras, Makrooptiken, Licht- und Kamerakräne, Konkurrenz aufnähme, so Zimmermann. Der Redaktion sei es HD-Teleobjektive sowie ferngesteuerte Kameras über und unter gelungen, sich in diesem immer härter werdenden weltweiten Wasser zum Einsatz. Es bedarf einer immer aufwendigeren und Wettbewerb einen festen Platz zu erobern. kostenintensiveren Ausstattung, um starke Bilder einzufangen und so der Natur möglichst nahezukommen. Dies gelingt mit aufwendigen Ko- und Eigenproduktionen, die sich sowohl durch packende Dramaturgie als auch durch zukunfts- In Zusammenarbeit mit dem Produktionsbetrieb setzt die Redak- weisende technische Ausrüstung auszeichnen. Felix Heidinger tion so neue Standards beim Equipment der Teams und bei der dazu: „Um die Erhabenheit der Bären zu zeigen, die mehrere hun- Perfektionierung der Bildsprache. Voraussetzung für hervorragen- dert Kilo wiegen und dabei sprinten wie Hunde, braucht man eine de Dokumentationen ist aber die Lust an der Herausforderung. Highspeed-Kamera. Nur so lässt sich veranschaulichen, mit wel- Autoren und Aufnahme-Teams müssen sich immer wieder in cher Wucht diese Kraftbündel rennen, welche Menge Wasser ihre unvorhersehbaren Situationen bewähren: Wie weit darf sich das massigen Körper emporschleudern und wie die gejagten Lachse Team bei Dreharbeiten einer wilden, unberechenbaren Tierart über das Wasser hinausschießen. Es geht darum, die Dramatik nähern? Wie lassen sich in schwierigen Situationen die spektaku- der Bewegungen einzufangen und erlebbar zu machen.“ lärsten Beobachtungen filmen? Wo finden sich die Protagonisten, die Zugang zu fremden und unwegsamen Territorien verschaffen? Innerhalb der ARD zeichnet sich der BR dadurch aus, dass solche Ob Dreharbeiten auf unbekanntem Gelände gelingen, hängt oft ambitionierten Tier- und Naturfilmprojekte überhaupt möglich von Erfahrungswerten ab – manchmal spontane Entscheidungen sind. Ähnliche Produktionen entstehen nur noch im WDR und und meistens sorgfältiges Abwägen von Risiken und Chancen. NDR. Die BR-Redaktion „Tiere und Natur“ hat im Laufe der letzten Es zählt die Bereitschaft, lange Expeditionen unter rauen Bedin- Jahre eine uneingeschränkte Fachkompetenz aufgebaut: Natur- gungen auf sich zu nehmen. Und es zählt die Fähigkeit, einzelne filmproduktionen des BR sind längst zu einem Markenzeichen des Einstellungen minutiös vorzubereiten, zu proben und unter wi- Hauses geworden. Zuschauerbefragungen und Untersuchungen drigen Umständen umzusetzen. „Manchmal ahnt man nicht, was der BR-Medienforschung zeigen, dass Tier- und Naturfilme zum auf einen zukommt. Bei unserer Expedition nach Kamtschatka Kernauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender gerechnet werden. wussten wir zunächst nicht, ob wir Vasili, der uns zu den Bären Udo Zimmermann meint: „Unsere Dokumentationen gehören führen sollte, vertrauen konnten. Ob er Gefahrensituationen zu den beliebtesten Programmangeboten, die auf den BFS-Sende- würde meistern können. Es lag in meiner Verantwortung, dies plätzen die mit Abstand höchste Akzeptanz in den Dritten er- richtig einzuschätzen“, erzählt Felix Heidinger. reicht.“ Bestätigung und Ansporn sind natürlich die zahlreichen Auszeichnungen: Allein 2011 erhielten acht BR-Produktionen 14 Dank ihrer erfahrenen Autorinnen und Autoren verfügt die Redak- Preise auf renommierten Festivals für Natur- und Tierfilme. tion über das Know-how, um eine große thematische Bandbreite abzudecken. Die Kompetenz, die sich die Filmemacher in exoti- Produktionen aus der Reihe „Welt der Tiere“ gehören auf dem schen Regionen erarbeitet haben, lässt sich auch auf Projekte in internationalen Markt zu den meistverkauften Programmen der Mitteleuropa anwenden. Dabei rücken andere Schwerpunkte und Telepool. Außerdem zeichnen sich die Filme durch eine hohe Re- Motive in den Fokus. Besonders reizvoll ist es, die heimische Fauna pertoirefähigkeit aus: In den Dritten gehören „Welt der Tiere“ und und Flora in ihrer faszinierenden Vielfalt darzustellen – auf ver- „natur exklusiv“ zu den am meisten wiederholten Sendungen. trautem Gebiet neue Perspektiven und Einsichten zu offenbaren. Jede Neuproduktion wird etwa 15-mal ausgestrahlt. Durch die Rea- In jedem Fall geht es darum, das Bewusstsein für Tier- und Natur- lisierung von mehrteiligen Reihen wie „Expedition 50°“, „Big Five schutz zu schärfen. Die Filme sollen – sofern dies möglich ist – Südamerika“ und „Das Mittelmeer“ ist die Redaktion zudem Bezüge schaffen zwischen dem Umgang mit der Tier- und Natur- weiter in den Premium-Bereich des Tier- und Naturfilms vorge- welt in anderen Ländern und in der heimischen Umgebung. Auf drungen. Grundlage ist da die Zusammenarbeit mit NDR und diese Art leisten sie einen Beitrag zu einem reflektierten und WDR sowie mit . Sie ermöglicht es, hochkarätiges Programm umsichtigen Umgang mit dem Leben auf unserer Erde. für exklusive Primetime-Sendeplätze zu liefern („natur exklusiv“/ BFS, „Erlebnis Erde“ / ARD, „Entdeckungen“ / arte).

Um weiterhin in der ersten Liga der Tier- und Naturfilmproduktion mitzuspielen, sind ständige technische Neuerungen notwendig. Eigen- und Koproduktionen werden bereits seit mehreren Jahren

186 kompetenz und wertschätzung unternehmenswert

Die Formate der Redaktion „Tiere und Natur“ setzen unterschiedliche Schwerpunkte. natur exklusiv

Die Langzeitbeobachtungen finden über mindestens ein Jahr hinweg statt. Schauplätze sind sowohl exotische als auch vertraute Regionen. In der Reihe „Wildes Deutschland“ sollen daher herausragende Naturräume unserer Heimat als Blue-Chip-Produk- tionen dargestellt werden. Flugaufnahmen zeigen die Landschaft in eindrucksvoller Brillanz aus der Vogel- perspektive. Modernste Aufnahmetechniken geben dem Film einen „Hochglanzlook“, die sonst nur BBC-Produktionen bieten. (51 Sendeplätze im BFS, 7 Sendeplätze in der ARD, 7 Sendeplätze auf Arte)

Welt der Tiere

Dramatische Tiergeschichten, Tierschicksale zum Mitfühlen und Geschichten von außergewöhnlichen Mensch-Tier-Beziehungen bilden den Schwerpunkt in diesem Format. (35 Sendeplätze im BFS)

Nashorn, Zebra & Co – Die Doku-Soap aus dem Münchner Tierpark

Tierfilmer Felix Heidinger und Jens-Uwe Heins sind immer mit dabei, wenn es im Münchner Tierpark Hellabrunn etwas zu erleben gibt – und sie sind immer ganz nah dran am Geschehen. Das Ergebnis sind unzählige anrührende Geschichten von Tieren und Menschen: banale und bedeutende, amüsante und traurige. (40 ARD-Sendeplätze/Staffel)

Zeit für Tiere

Auf diesem Sendeplatz stehen die zahmen Tiere im Mittelpunkt. „Zeit für Tiere“ ist die einzige Sendung im BFS, die sich mit Haustieren, deren Aufzucht, Haltung und Pflege befasst. Hier geht es darum, wie wichtig und wertvoll das Zusammenleben mit Tieren für viele Menschen ist. Ein wichtiger Aspekt ist der Service- Charakter der Berichte und Reportagen. Sie vermitteln Aufschlussreiches, Hintergründiges und Aktuelles rund Tiere in freier Wildbahn möglichst „hautnah“ zu er- um Eigenschaften, Bedürfnisse und die Erziehung leben, darin liegt für viele Zuschauer der Reiz von Tierdokumentationen. Hochspezialisierte Filmteams der Haustiere. (47 Sendeplätze im BFS) mit viel Erfahrung und Bewusstsein für die Wunder dieser Welt machen die Bilder von „Pinguin“ und „Bär“.

187 unternehmenswert kompetenz und wertschätzung

Sozial und verantwortungsvoll – der BR als Arbeitgeber In Zeiten der Krise ist der BR als Arbeitgeber ein verlässlicher Sozialpartner

Stefan Bossle, Karl Teofilovic

188 kompetenz und wertschätzung unternehmenswert

Der BR ist sich bewusst, dass er nur dauerhaft erfolgreich sein kann, wenn sich seine Beschäftig­ ten wertgeschätzt fühlen.

Der Bayerische Rundfunk beschäftigt Menschen quer durch zahl- Der BR ist sich bewusst, dass er nur dauerhaft erfolgreich sein reiche Berufsgruppen: Journalisten und Autoren, Rundfunk- und kann, wenn sich seine Beschäftigten wertgeschätzt und motiviert Fernsehtechniker, Musiker, Verwaltungsfachleute, IT-Experten, fühlen, sie engagiert ihrer Arbeit nachgehen und sich mit dem Juristen sowie unterschiedlichste Handwerker. Sogar ein Diplom- Unternehmen identifizieren. Agraringenieur steht auf der Gehaltsliste. Loyalität, Vertrauen und Offenheit, Engagement, Kommunikations- Für all diese Menschen bietet der BR einen sicheren Arbeitsplatz, fähigkeit und soziale Kompetenz sind zentrale Werte, die überall vorbildliche Sozialleistungen, flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreu- im BR gefördert und gelebt werden. Außerdem versucht der BR eine ung und vieles mehr. Der Bayerische Rundfunk strebt die gleich- optimale „Work-Life-Balance“ sicherzustellen: Jahres-, Arbeitszeit- mäßige Vertretung von Frauen und Männern in allen beruflichen und Lebensarbeitszeitkonten sind dabei ebenso selbstverständlich Bereichen und auf allen hierarchischen Ebenen an. Er fördert wie Gleitzeit und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Daneben schult eine offene und kommunikative Unternehmenskultur. der Bayerische Rundfunk seine Führungskräfte regelmäßig im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – ganz im Sinne Im Jahr 2011 wandte der BR für seine festen und freien Mitar- des Leitbilds „Die Menschen im BR“. beiterinnen und Mitarbeiter mehr als 460 Millionen Euro auf (Ge- hälter, Leistungsvergütungen und Sozialleistungen inkl. Altersver- Familienbelange nehmen einen hohen Stellenwert ein: Der Bay- sorgung). Diese Summe – die in die öffentlichen Kassen und die erische Rundfunk gewährleistet Familienzuschlag zum Gehalt, private Wirtschaft zurückfließt – erhöht sich noch einmal, wenn Geburtsbeihilfe, Zusatzurlaub bei Geburt oder Krankheit des Kin- man die Arbeitsplätze bei BR-Tochtergesellschaften hinzurechnet des, Kontakthalteprogramm/Fortbildung während der Elternzeit sowie die Jobs, die durch BR-Aufträge in bayerischen Unterneh- und die Anrechnung von Elternzeit auf die Altersversorgung. Der men gesichert werden. BR trägt mitarbeiterorganisierte Kindergärten, er vermittelt und berät bei der Betreuung des Nachwuchses. Auch eine Spontan- Da etablierte Ertragsmodelle durch das Internet und die Digita- und eine Notfallbetreuung gehören zum Sozialangebot des BR – lisierung seit einiger Zeit massiv infrage gestellt sind, wächst der genauso wie die betriebliche Wiedereingliederung für Menschen, ökonomische Druck auf Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie die längere Zeit krank waren. Bei der Pflege von Angehörigen lässt auf die elektronischen Medien immens. Aufgrund dieser Tatsache der BR seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht alleine – es sowie einbrechender Werbeeinnahmen und hoher Renditeerwar- gibt Beratung und Unterstützung. tungen von Investoren haben viele Medienunternehmen in den vergangenen Jahren Arbeitsplätze abgebaut. Der Bayerische Rund- funk ist diesen Zwängen derzeit noch nicht so massiv ausgesetzt. Deswegen – und wegen seiner Unternehmenskultur – sind die etwa 4.900 Arbeitsplätze des BR ebenso sicher wie die Vorsorge für die Ruheständler. Der Bayerische Rundfunk ist – gerade in Zeiten der Krise – ein sehr verlässlicher Sozialpartner am Medien- standort Bayern.

189 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Die Möglichmacher Die Produktions- und Technikdirektion des BR sorgt für die professionelle, kreative, technische und wirtschaftliche Umsetzung von allen Produktionen des BR im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet

Wolfgang Haas

In einer schnelllebigen Informationsgesellschaft ist Live-Berichter- Bayerischen Rundfunk als „Marke“ und eine Unterscheidbarkeit stattung mit Event-Charakter unverzichtbar. Dazu stehen den Re- gegenüber anderen „beliebigen“ Angeboten soll durch eine daktionen die BR-eigenen Personal- und Sachressourcen jederzeit eige­ne Handschrift gewahrt bleiben. und auch kurzfristig zur Verfügung.

Ob im Umfeld von München und Nürnberg, ob in den Regional- Möglichmacher und Berater studios oder in den Produktionsaußenstellen von Fernsehen und Hörfunk, die Präsenz vor Ort mit geschulten Mitarbeiter/-innen Die Hörfunk-, Fernseh- und Multimediaproduktionsbereiche, wie und entsprechendem technischen Equipment (Fernseh- oder auch die gesamte Produktions- und Technikdirektion mit den tech- Hörfunk-Ü-Wägen, SNG-Fahrzeugen, mobile Schnittplätze etc.) nischen und planerischen Einheiten und der Programmverbrei- ermöglicht eine aktuelle nationale und internationale Berichter- tung, mit all ihren festen und freien Mitarbeiter/-innen sehen sich stattung auch als Dienstleister für die ARD. Erst die Zusammen- als die Möglichmacher: Für jede redaktionelle Anforderung wollen arbeit mit den Bereichen Fernseh-, Hörfunk- und Multimediapro- wir die passende Lösung aus einer Hand anbieten und mit Quali- duktion der Produktions- und Technikdirektion sorgt aber dafür, tätstandards für künstlerisches, handwerkliches, technisches dass alle Produktionen des Bayerischen Fernsehens und BR-alpha, und wirtschaftliches Handeln überzeugen. des Hörfunks und im Internet höchst professionell und in bester Qualität umgesetzt werden. Dabei sehen sich „Produktion und Technik“ als kompetente Bera- ter, professionelle Dienstleister und verlässliche Partner für die Redaktionen in Fernsehen und Hörfunk. So werden technologische Unsere Mission Entwicklungen nicht nur begleitet, sondern auch selbst initiiert, um schließlich im Produktionsalltag überführt zu werden. Die Als Leitlinie gilt für uns: Die Produkte des BR sind stets in einer Einführung und Umsetzung von HDTV ist ein gelungenes Beispiel Form zu produzieren und zu senden, die sowohl den redaktio­ dafür, wie technische Innovationen – trotz knapper werdender nellen Erwartungen als auch dem öffentlich-rechtlichen Auftrag Finanzmittel – den Mitarbeitern im BR in kurzer Zeit zugänglich entsprechen. Dabei ist das vielseitige Know-how zu erhalten und gemacht werden. Ein weiteres Beispiel ist die führende Rolle des stetig weiterzuentwickeln, um den Anforderungen der unter- BR in der Entwicklung und Einführung innovativer und effizienter schiedlichen Genres gerecht zu werden. Die Identität mit dem Technologien in den Bereichen Digitalradio, Klangerlebnis (Sur-

190 investition und wertschöpfung unternehmenswert

round-Sound), Datenverwaltung und Anwendung sowie in der Verkehrs-Telematik. Alle diese technischen Neuerungen müssen aber schnell erlernbar und einfach anzuwenden sein. Vor dem Hin- tergrund multimedial vernetzter Arbeitsweisen (s. u. Trimediale Herausforderung) spielen standardisierte Arbeitsabläufe eine zu- nehmend größere Rolle. Innerhalb der Produktions- und Technikdi- rektion sorgen deshalb die jeweiligen Anlagetechniken für die einwandfreie Funktion aller wichtigen Systeme im Sende- und Produktionsbetrieb.

Trimediale Herausforderung

Die Digitalisierung der Medien wirft neue Fragen auf: Wie sehen Konzepte für Produktion und Technik bei einer medienübergrei- fenden redaktionellen Arbeitsweise aus? Wie wirkt sich die Tri­ medialität auf Fernseh-, Hörfunk- und Onlineproduktionen aus? Welche technischen Infrastrukturen sind zukünftig zu schaffen, wenn zwischen PC, TV und Radio immer weniger unterschieden wird? Welche Herausforderungen entstehen durch die zuneh- mende Anzahl an mobilen Empfangsgeräten? Wie die konkreten Antworten auch immer aussehen werden, der Einsatz neuer Tech- niken und deren Integration in die bereits vorhandene Infrastruk- tur sowie passende Informations- und Schulungsangebote wie auch Qualifizierungsmaßnahmen für Kollegen/-innen in den Fachabteilungen und in den Redaktionen gehören bereits heute zu den ständigen Aufgaben. Mit der Produktion der „Rundshow“ verwirklichten Mitarbeiter aus den Bereichen­ Fernsehen sowie Produktion und Technik ein bislang in Deutschland einzigartiges trimediales Pilotprojekt. Die Erfahrungen dazu bilden schon jetzt eine gute Basis für die multi­mediale Zukunft des BR.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement

Die Bereiche von „Produktion und Technik“ leisten einen unver- zichtbaren Beitrag für die Menschen in Bayern, indem sie diesen Zugang zu einer großen Vielfalt von Programmen auf den ver- BR-Sendetechnik heißt: Zugang zu einer großen schiedensten Verbreitungswegen sowie über unterschiedlichste Vielfalt von Programmen und Inhalten auf ver­ Empfangsgeräte ermöglichen – und zwar unabhängig von Zeit schiedensten Verbreitungswegen für unterschied- und Ort. Damit der BR aber seine Stellung in einem sich rasch ver- lichste Empfangsgeräte ermöglichen – und zwar unabhängig von Zeit und Ort. ändernden Markt erfolgreich behaupten kann, wird es immer mehr auf ein umfassendes und nachhaltiges Qualitätsmanage- ment ankommen. Dieses Qualitätsmanagement ist eine der wich- tigsten Aufgaben neben den komplexen technischen Herausfor- derungen, die es für den BR zu bewältigen gilt.

191 unternehmenswert investition und wertschöpfung

BR auf allen Kanälen Programmdistribution, Programmverbreitung und Wettbewerbsfähigkeit in einer fragmentierten und hybriden Medienwelt

Helwin Lesch

192 investition und wertschöpfung unternehmenswert

Öffentlich-rechtliche Rund­ funkangebote werden nicht mehr nur über Antenne, Kabel oder Satellit konsumiert, sondern auch zunehmend im Internet und auf mobilen Geräten nachgefragt.

„Public Value“ bedeutet für Produktion und Distribution des spruch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen, Bayerischen Rundfunks, die Angebote des Bayerischen Fernsehens der auch solche Programmangebote verbreiten muss, deren quan- überall dort empfangbar zu machen, wo sie der Zuschauer und titativer Markterfolg überschaubar, deren Beitrag zum „Public Zuhörer zu Recht erwartet, und dies in einer wettbewerbsfähigen Value“ und Profil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber be­ Ausprägung und technischen Qualität. Diese beiden Forderungen sonders hoch ist. Während die Politik bisher versuchte, diese Inte­ in Zeiten der Digitalisierung und der Verschmelzung linearer ressensgegensätze durch sogenannte „Must-Carry-Regelungen“ und nicht-linearer Verbreitungsnetze und Angebote zu erfüllen, zu überbrücken, zeigt sich in einem Umfeld aus zunehmender stellt einen öffentlich-rechtlichen Sender vor große Herausfor- Diversifizierung der Verbreitungswege, der Konvergenz mit dem derungen. Internet und einer Vielzahl neuer Plattformbetreibern, dass diese Ansätze auf die Dauer zu kurz greifen. Die Lösung liegt für den Leitlinie für die Distribution unserer Programme sind die Erwar- öffentlich-rechtlichen Rundfunk daher in einem Paketgedanken, tungen unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die Präsenz der vorsieht, die öffentlich-rechtlichen Programme den Plattform- des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei beobachten wir seit betreibern nur gebündelt zur Verfügung zu stellen. So ist es bei- mehreren Jahren eine deutliche Fragmentierung der Märkte. spielsweise im April 2010 gelungen „T-Home“, also einen der größ- Öffentlich-rechtliche Rundfunkangebote werden nicht mehr nur ten Anbieter von internetbasiertem Fernsehen (IPTV) davon zu über Antenne, Kabel oder Satellit konsumiert, sondern auch zu- überzeugen, dass auch das „Bayerische Fernsehen – Nord“, über nehmend im Internet und auf mobilen Geräten nachgefragt. IPTV verbreitet werden muss. Gleichzeitig steht besonders der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor der Aufgabe, für gleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land Neben der Präsenz auf allen relevanten Märkten spielt die Wett­ zu sorgen, also seine Programme auch in solchen Regionen an­ bewerbsfähigkeit der dargebotenen Produkte eine zentrale Rolle. zubieten, die aufgrund ihrer dünnen Besiedelung oder anspruchs- „Public Value“ bedeutet unter dieser Perspektive, dass der öffent- vollen Topografie besondere Kostenbelastungen in der Versor­- lich-rechtliche Rundfunk im Hinblick auf die Bedienbarkeit und gung mit sich bringen. Nutzbarkeit seiner Angebote eine besondere Verantwortung trägt. Dies gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen (vgl. „Barrie- Besondere Fragen für die Präsenz öffentlich-rechtlicher Angebote refreiheit“), sondern für die Gesamtheit der Bevölkerung. Öffent- werfen Plattformbetreiber auf. Plattformbetreiber bündeln Pro- lich-rechtliche Angebote sollen auch in Zukunft von der breiten gramme verschiedener, öffentlich-rechtlicher oder privater Sender Masse der Teilnehmer und nicht nur von technik-affinen „early und verbreiten diese als Paket. Dies betrifft sowohl unsere Fern- adopter“ genutzt werden können. Nutzerfreundlich gestaltete li- seh- als auch unsere Hörfunkangebote. Aus wirtschaftlich nach- neare und nicht-lineare Angebote des Bayerischen Rundfunks kön- vollziehbaren Gründen orientieren sie sich bei dieser Auswahl an nen dazu beitragen, eine digitale Kluft in der Fähigkeit zur Nutzung deren unmittelbarem Erfolg im Markt. Dies kann jedoch im Wider- dieser neuen Angebote in unserer Gesellschaft zu überbrücken.

193 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Insbesondere der Erhalt von Empfangsmöglichkeiten, die einen unkomplizierten und anonymen Zugriff durch den Teilnehmer er- möglichen, ohne Verschlüsselung auskommen, und keine proprie- tären Endgeräte oder besondere Vertragsbedingungen vorsehen, sind dem Bayerischen Rundfunk dabei ein hohes Anliegen.

Wettbewerbsfähigkeit im Sinne des „Public Value“ bedeutet auch, dass die technische Qualität und gestalterische Vielfalt der dar­ gebotenen Produkte nicht hinter das Angebot des Marktes zurück- fallen darf. Hier sind hybride Darstellungsformen des Rundfunks, also Kombinationen aus dem linearen Fernsehangebot mit nicht linearen, internetbasierten Zusatzinformationen (Stichwort: „HbbTV“) zu nennen. Der Bayerische Rundfunk hat sehr früh die Bedeutung dieser Technik, sowohl für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als auch für die Nutzbarmachung des Informations- und Programmvermögens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf verschiedenen Verbreitungswegen erkannt und als erster 2010 hybride Angebote auch über Antenne verfügbar gemacht.

Leitender Gedanke ist, dass gerade in der portablen und mobilen Nutzungssituation, die wir über die Antenne erreichen, die Nach- frage nach Zusatzinformationen besonders hoch ist. In die glei-­­­ che Richtung weist der Schritt des Bayerischen Rundfunks, seine „Rundschau“ in einer „100-Sekunden-Version“ auch mobil ver­ fügbar zu machen. Beim Digitalradio hat sich die ARD zusammen mit den Endgeräteherstellern auf eine Mindestauswahl von Zu- satzdiensten, deren Empfangbarkeit mit allen DAB+ Radios sicher- gestellt ist (sogenanntes „Minimal Set“ mit Dynamic Label, Verkehrsdaten und EPG), geeinigt. Darüber hinaus bieten viele Empfänger­ auch die Möglichkeit, erweiterte Zusatzdaten (z. B. Slideshows) darzustellen.

Wettbewerbsfähigkeit im Sinne des „Public Value“ bedeutet schließlich auch, leistungsfähige Netzinfrastrukturen in- und au- ßerhalb des Hauses bereitzustellen. Innerhalb eines Sendeun­ ternehmens eröffnen „Media360Grad-Programme“ neue Möglich­ keiten, den Vertrieb von Inhalten über eine Vielzahl von Platt­- formen konsequent an den Zuschauerwartungen und Markerfor- BR-Sender am Wendelstein: dernissen auszurichten und flexibel zu steuern. Außerhalb des oben: Sendetechnik rechts: Techniker im Controlroom Hauses sind insbesondere unsere gut ausgebauten Netzinfrastruk- des Senders turen zur Signalkontribution, also für die Zu- und Ausspielung von Beiträgen, Sendungen und Daten von wachsender Bedeutung. Diese breitbandigen Leitungen sind in Zeiten immer kürzerer In- formationszyklen und wachsender Qualitätsanforderungen eine wichtige Säule für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen im Programm und erlauben eine aktive­ Erfüllung des Programmauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

194 investition und wertschöpfung unternehmenswert

195 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Qualität auf Mausklick – die BR-Mediathek Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen rund um die Uhr zum Abruf bereit

Dennis Lohmann und Petra Zinth

Sabine will ihre „Rundschau“ auch in Australien live sehen, Sebastian hat einen Videolink zu „on3-südwild“ bekommen, Rudi hat bei Google „Bruno Jonas“ eingegeben und ist auf eine Menge Bayern 3-Audios gestoßen, Brigitte hat die letzte „quer“-Sen-­ dung verpasst und Niki will sich fürs Auto ihr persönliches Best of aus dem Bayern 2-Angebot auf ihr Smartphone laden.

Unterschiedliche Gründe, aber ein Ziel: In der BR-Mediathek finden­ diese Internetnutzer, was sie suchen: Audios und Videos aus allen Programmen des Bayerischen Rundfunks stehen dort zum Abruf zur Verfügung oder können live gehört bzw. gesehen werden. Praktisch von jedem internetfähigen Computer, rund um die Uhr, und bald auch via HbbTV auf dem heimischen Flatscreen-Fern­ seher oder unterwegs auf dem Smartphone. Ein Service, der beim BR schon fast Tradition hat: Der Heimatsender folgt dem Nutzer, ganz gleich wohin dieser unterwegs ist, gemäß dem Motto: „Mein BR“.

Begonnen hat es im Jahr 2005. Als erster Sender der ARD versam- melte der BR seine Audios zum Runterladen in einem Podcast- Center. Damit war der Grundstein gelegt, auf dem ein sich weiter- In der BR-Mediathek stehen zu jeder Tages- und hin dynamisch entwickelndes Angebot aufgesetzt werden konnte. Nachtzeit Audios und Videos aus allen Programmen des Bayerischen Rundfunks zum Hören. Mittlerweile werden bis zu zwölf Millionen Audio- und Video­ dateien pro Monat in der BR-Mediathek „Podcast“ abgerufen, Ten- denz weiter steigend. Seit 2009 haben die Fernsehredaktionen einen eigenen Bereich für ihre Videos in der BR-Mediathek und

196 investition und wertschöpfung unternehmenswert

auch dieses Angebot fand auf Anhieb regen Zuspruch. Mittler- dürfen zwei typische Mediennutzer noch lange nicht aus dem weile ist bereits jeder zweite Download der „Top20“ in der BR-Pod- Zentrum der Ressourcenplanung geschoben werden: Annette cast-Welt ein Programmvideo. Intensiv gefragt sind bei den Audios auf der Couch vor ihrem Fernseher und Gerhard mit seinem Radio und Videos jene Angebote, die jeweils bis zu einer Woche davor in in der Küche oder im Auto. Sie hören wie früher per einmaligem einem der BR-Radio- oder Fernsehprogramme gesendet wurden. Knopfdruck die altbekannten Radio- und Fernsehprogramme des Aber das ist nur eine aktuelle Momentaufnahme. Die älteren Bei- BR über Kabel, Satellit oder terrestrisch – und diese Nutzungsform träge spielen zwar quantitativ bereits eine bedeutende Rolle. Ihr wird auch in den nächsten Jahren noch den Löwenanteil bilden. besonderer Wert liegt aber in ihrer strategischen Bedeutung als Die BR-Mediathek bleibt ein zentrales Beispiel für den Wandel und sogenannter „Long Tail Content“. Vor allem diese Beiträge sind es, die Erweiterung der Vertriebspalette des klassischen Rundfunks. die bei den thematischen Suchen für das Gros der Treffer sorgen. Dazu gehören natürlich auch die mittlerweile schon klassische In allen Nutzungsszenarien gilt: Die Bedeutung der Mediatheken Website des BR, die Blogs oder die zahlreichen Aktivitäten im Be- wird weiterhin steigen, aber die Geschwindigkeit und der Fokus reich Social Media. Das Entscheidende dabei ist: Verbreitungs- des Bedeutungszuwachses kann nur geschätzt werden. wege, Medien oder Plattformen werden miteinander vernetzt. Sie können nicht gegeneinander aufgewogen oder in Konkurrenz zu- Welche Beschleunigung die nicht-lineare Nutzung von Audios und einander gesehen werden. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich und Videos zum Beispiel durch Audio- und Video-Empfehlungen in so- stärken sich gegenseitig. Die neuen multimedialen Angebote sind zialen Netzwerken erfahren kann, ist schon heute deutlich spür- eine Erweiterung unseres Auftrags, qualitativ hochwertige, öff­ bar. Der BR ist dank seiner hochwertigen Hörfunk- und Fernsehbei- entlich-rechtliche Inhalte anzubieten. Darin liegt unsere Zukunft, träge für eine Entwicklung in Richtung nicht-linearer Nutzung und in die müssen wir weiterhin investieren. grundsätzlich gut gerüstet. Inhaltlich verfügt der BR in vielen The- menbereichen über das beste und umfangreichste Material. Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen aktuell über „BR.de“ rund um die Uhr zur Verfügung. Ein Teil wird nach Ablauf der gesetzlich möglichen Verweildauer wieder gelöscht. Dafür kommen ständig­ neue dazu. Letztlich wird ein erheblicher Anteil am Gesamtsen­ devolumen des BR im Web publiziert. Dieser Anteil wird gewiss weiter wachsen. Ebenso muss die BR-Mediathek an neue multime- diale Trends angepasst werden. Die Nutzerführung ist zu verbes- sern und die technische Qualität zu optimieren. Nur dann kann die BR-Mediathek mit den Mediatheken anderer großer Sender Schritt halten. Außerdem sind neue Ausspielwege wie HbbTV und neue Qualitätsstufen wie HD-Audios und -Videos zu berücksichtigen. Freilich sind die Finanzen knapp. Vor diesem Hintergrund ist bei der Verteilung der Ressourcen ein dynamisch balanciertes Verhält- nis zu finden zwischen dem Anteil für die originäre Produktion der Inhalte und dem Anteil für dessen Verbreitung, die auf den im- Mittlerweile werden bis zu mer wichtigeren Plattformen außerhalb des klassischen Radio- und Fernsehprogramms erfolgt. zwölf Millionen Audio- und Video­ dateien pro Monat in der BR- Ausbaumöglichkeiten für die BR-Mediathek gibt es viele. Dahin­ter stehen jedoch komplexe und damit auch aufwendige technische Mediathek „Podcast“ abgerufen, Anforderungen. Vor allem bei den Videos sind komplexe Rechte- Tendenz weiter steigend. klärungen zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Fülle der ebenfalls wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft ist also bei der BR- Mediathek keine „Big Bang“-Strategie angezeigt. Der BR wird die- sen wichtigen Service schrittweise optimieren und ausbauen. Maßgebend ist dabei die weitere Entwicklung der Nutzung von Radio- und Fernsehbeiträgen über das Internet. Denn bei allen Erfolgen der Mediatheken mit ihrem wachsenden, zeitunabhängi- gen, vom Nutzer selbstbestimmten Audio- und Videokonsum

197 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Auch (das ist) „Unser Wert“ Der BR als Medienunternehmen

Stefan Bossle und Karl Teofilovic

Als viertgrößte ARD-Anstalt spielt der BR nicht nur am Medien­ des Medienstandorts Bayern. Aufträge und Investitionen sind der standort Bayern eine wesentliche Rolle, sondern auch in Deutsch- Treibstoff für den Motor einer Volkswirtschaft – rund 475 Millionen­ land. Er beschäftigte 2011 etwa 4.900 fest angestellte und feste Euro für bezogene Leistungen und Material ließ der Bayerische Rund-­ freie Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und verfügt über sieben funk 2011 in den ökonomischen Kreislauf fließen. Dadurch werden größere Standorte. Im Herzen Münchens steht das Funkhaus, zuverlässig Arbeitsplätze in Bayern gesichert – ein nicht zu vernach- sozusagen die Zentrale des BR. lässigender Faktor in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Und nicht zuletzt wirkt der BR als technischer Innovationsmotor, was sich Dort angesiedelt sind die Hörfunkprogramme, die Intendanz, die ebenfalls positiv auf die wirtschaftliche Bilanz des Freistaats auswirkt. Juristische Direktion, weite Teile von Verwaltung und Technik so- wie die ARD-Programmdirektion. An den Standorten Freimann und Unterföhring befinden sich die Einrichtungen des Bayerischen Wirtschaftsfaktor BR Fernsehens und von BR-alpha. In stehen Sendeanlagen des Bayerischen Rundfunks. Hinzu kommen das Studio Franken in Ungeachtet der schwierigen Wirtschafts- und Finanzbedingungen­­ Nürnberg, das Regionalstudio Mainfranken in Würzburg und das hat der BR seine Investitionsquote in den vergangenen Jahren mit Regionalstudio Ostbayern in Regensburg. Der Bayerische Rund- über vier Prozent der Gesamtaufwendungen konstant gehalten. funk unterhält außerdem 20 Korrespondentenbüros in allen Teilen Im langjährigen Mittel investiert der Bayerische Rundfunk etwa des Freistaats und hat Hörfunk- bzw. Fernsehkorrespondenten in 40 – 45 Millionen Euro im Jahr. Ein Beispiel: Im Wirtschaftsplan 2012 Berlin. Im Ausland ist der BR präsent mit Hörfunk-/Fernsehkor­ sind Investitionsmittel von etwas mehr als elf Millionen Euro für respondentenbüros in Wien, London, Paris, Brüssel, Rom, Tel Aviv, die Einführung von HD-TV und eines neuen HD-Aufzeichnungs- Washington und Buenos Aires sowie in Istanbul und Teheran. An systems eingeplant, zur technologischen Umrüstung und Anpas­ ­ allen diesen Standorten werden Menschen beschäftigt, Sozial­ sung der Sende- und Produktionssysteme im Fernsehen – ins­ leistungen erbracht, Steuern bezahlt. Überall, wo der Bayerische gesamt wurden dafür in den vergangenen Jahren knapp 40 Millio-­ Rundfunk vertreten ist, erteilt er Aufträge an die Wirtschaft – an nen Euro bereitgestellt. Investitionen stellen Ausgaben dar, die Handwerker, an Dienstleister, an produzierende Unternehmen. für „dauerhaftere“ Projekte oder Anschaffungen gedacht sind. Da- Die wirtschafts- und medienpolitische Bedeutung des BR spiegelt neben fließt Geld aus vielen anderen (kurzfristigeren) Aufträgen sich auch in seinen Tochtergesellschaften und Unternehmensbe- in den Wirtschaftskreislauf. So steckt der Bayerische Rundfunk teiligungen wider. Die Bayern Digital Radio GmbH, die Bayerische rund 50 Millionen Euro jährlich in die Produktion von Fernsehfil- Medien Technik GmbH und das Institut für Rundfunktechnik (IRT) men und Serien. Nimmt man alle Aufträge zusammen, die der BR sind führend bei der Entwicklung von DAB. Die Bavaria Filmkunst 2011 der Filmwirtschaft erteilte, ergibt sich eine Gesamtsumme GmbH, die Degeto Film GmbH und die Telepool GmbH spielen eine von über 175 Millionen Euro. Bei den Investitionen der kommen-­ wesentliche Rolle bei dem Bemühen, Bayern für Filmschaffende den Jahre liegt der Schwerpunkt weiter auf Projekten der digitalen attraktiv zu halten. Die BRmedia GmbH ist einer der wichtigsten und vernetzten Hörfunk-, Fernseh- und Sendetechnik, u. a. auch Partner für die Werbewirtschaft. Hinzu kommen die Stiftung Prix zur Realisierung der Trimedialität. Vor diesem Hintergrund gibt der Jeunesse und die Stiftung Zuhören, die sich um Kinderfilm und Bil- BR für den Umbau von Studios bei Hörfunk und Fernsehen sowie dung – vor allem von Kindern und Jugendlichen – bemühen. Diese für technische Nachrüstungen und Updates an allen Standorten Unternehmen und Institutionen erbringen einen wichtigen Bei- immer wieder mehrstellige Millionensummen aus. Auch dadurch­­ trag für die Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Innovationskraft sichert der BR Existenzen in Wirtschaft und Handwerk.

198 investition und wertschöpfung unternehmenswert

Fünf Fragen an …

Bettina Ricklefs, Leiterin des Programmbereichs Spiel – Film – Serie

Mit welchen Sendeformaten und Themen stärker zusammenwachsen. Dabei wird schätzung dürfen wir nicht übersehen, lassen sich schon heute die Zuschauer der Repertoiregedanke eine wichtige Rolle dass wir finanziell nicht mehr aus dem Un- von morgen binden? spielen. Unsere Kino- und Fernsehfilme im endlichen schöpfen können. Der Konflikt – Mit starken attraktiven Marken und ver- linearen Fernsehen besitzen großes Poten- einerseits noch mindestens drei Jahre ein- lässlich hoher Qualität – wie etwa mit un- zial dank ihres ästhetischen, stilistischen gefrorene Etats, andererseits der Wunsch seren wertvollen Kinderfilmen, unseren und technischen Niveaus und bleiben auch nach Qualität – wird zur Herausforderung. Kinofilmen, Dokumentationen sowie Mitt- nach Erstausstrahlung wertbeständig. Es Mut und Risikobereitschaft sind gefragt. wochsfilmen, die mit zeitgeschichtlichen entsteht wiederholbares Programm. Die- Wir werden vielleicht in der Quantität, Themen und spannenden, anspruchsvollen ses Repertoire hat essenziellen Wert für die nicht aber in der Qualität Abstriche ma- wie auch gut recherchierten Inhalten mit Zukunft. Die Mehrfachnutzung hochwer­ chen. Es geht uns um eine zuverlässige Alltagsbezug Anerkennung beim Publikum tiger Programme ist mehrfache Wert- und nachhaltige Qualitätsgarantie, dass finden. Gleichwohl müssen wir an Allein- schöpfung. Filme eben lebendig bleiben, wichtige, stellungsmerkmalen arbeiten und diese kulturel­le Impulse geben können und kommunizieren. „Heimat“ ist so ein wichti- Inwiefern ist denn der bayerische Heimat- dass so künstlerische Nachhaltigkeit ge- ger Themenkomplex, der im Wettbewerb begriff leitend bei der Auswahl von Stoffen schaffen wird. mit dem zunehmend globaler werdenden für den überregionalen ARD-Einsatz? TV-Markt eine große Chance hat. Vorstell- Der Heimatbezug war in der Vergangen- Stichwort „Qualität durch Nachwuchs­ bar wäre für mich auch, den Zuschauer heit wichtig und wird auch in Zukunft eine förderung“: Welches Gewicht werden Sie künftig in den Themen- und Formatfin- wichtige Rolle spielen. Sicherlich ist die re- ihr in Zukunft einräumen? dungsprozess stärker einzubinden. Aber gionale Verwurzelung in einer zunehmend Die Nachwuchsförderung ist und bleibt vor allem gilt es, immer neugierig zu sein, globalisierten Welt entscheidend, sollte eine der wichtigsten Säulen in unserem sich niemals auf Bewährtes zu verlassen. aber immer nur ein Merkmal bei der Aus- Programm. Wir wollen jungen Autoren und wahl von Filmstoffen sein. Wenn ein Film- Regisseuren den Raum geben, das Per­- Welche medialen Plattformen halten stoff gut ist, werden wir ihn natürlich nicht sön­liche, Unverwechselbare ausfindig zu Sie dabei für geeignet? aufgrund eines fehlenden Heimatbezugs machen, die eigene Handschrift zu entwi- In den kommenden Jahren werden beim ablehnen, das erste und letzte Kriterium ckeln, die eigene Sicht auf die Welt zu BR Hörfunk, Fernsehen und Internet immer sollte immer die Qualität des Stoffes sein. vermitteln und zu den verschiedenen sozi- alen und politischen Milieus Position zu Der BR zeichnet sich als Koproduzent beziehen. Davon erwarten wir uns einen wegweisender, oft preisgekrönter Produk- neuen Blick – auch auf Bekanntes und eine tionen aus. Welchen Stellenwert wird neue, filmische Sicht auf Themen. das in Zukunft haben? Wir wollen unseren guten Ruf als Ko- produzenten in den kommenden Jahren verfestigen und erweitern. In der Vergan- genheit wurden wir dafür mit zahlrei-­ chen Preisen belohnt. Doch bei aller Wert-

199 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Bleibende Werte Der Bayerische Rundfunk als Filmproduzent

Harald Steinwender

200 investition und wertschöpfung unternehmenswert

Filme erfüllen verschiedene Funktionen für unsere Gesellschaft: derungsanstalt (FFA) bereit, die den deutschen Film und die Sie sind Kunstform und Massenmedium, Unterhaltungsware Filmwirtschaft unterstützt, er kooperiert mit der Hochschule für und Wirtschaftsgut, zugleich immer Spiegelbild ihrer Entstehungs­- Fernsehen und Film München (HFF) und beteiligt sich damit an zeit, im besten Fall sogar herausragende Zeitzeugnisse. Wenn der Nachwuchsförderung, er ist Gesellschafter der Telepool GmbH, sich zukünftige Generationen fragen werden, wer wir waren, wie die weltweit Filme vertreibt. Weiterhin engagiert sich der BR bei die Menschen im 20. und frühen 21. Jahrhundert gelebt, gedacht Nachwuchsfestivals, in der Partnerschaft auf dem Filmfest Mün- und gefühlt haben, dann finden sie Antworten in den Filmen chen für den „Förderpreis Deutscher Film“, durch die Unterstüt- unserer Zeit. zung der Regensburger Kurzfilmwoche und des Internationalen Festivals der Filmhochschulen. Das sind wohlgemerkt nur einige So erzählt ein Spielfilm wie Florian Henckel von Donnersmarcks Beispiele. Selbst durch den Einkauf von Spielfilmlizenzen, die mit „Das Leben der Anderen“ nicht nur heutigen Zuschauern etwas mehr als 500 Programmstunden eine wichtige Säule der Pro- über das Leben in der DDR, er wird späteren Generationen auch grammgestaltung des Bayerischen Fernsehens sind, profitieren zeigen, wie die Deutschen 15 Jahre nach dem Ende der zweiten Verleiher und Filmindustrie, die aus den Kinoerlösen allein nie ihre deutschen Diktatur begannen, ihre Vergangenheit zu reflektieren. Projekte finanzieren könnten. Moderne Heimatfilme wie Marcus H. Rosenmüllers „Wer früher stirbt ist länger tot“ und Hans Steinbichlers „Hierankl“ entwerfen Dieses Engagement wird nicht nur in Deutschland, sondern auch das Konzept „Heimat“ ganz neu aus einer regionalen Perspektive. international wahrgenommen. Die Preise und Auszeichnungen, Eine internationale Koproduktion wie Michael Hanekes Parabel die BR-Koproduktionen erhalten haben, sind schon Legion – allen „Das weiße Band“ stellt bedeutende Fragen nach den histori-­­ voran der Oscar 2007 für „Das Leben der Anderen“ und die „Gol- schen und politischen Folgen autoritärer Strukturen. dene Palme“ auf dem Filmfestival Cannes 2009 für „Das weiße Band“. Allein im Jahr 2010 gab es mehr als 100 deutsche und inter- All diese Filme sind in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen nationale Preise für Auftrags- und Koproduktionen des BR. Rundfunk entstanden, der seit Jahrzehnten ein geschätzter Part- ner der deutschen Filmwirtschaft ist. Der BR engagiert sich für Natürlich ist die Beteiligung des BR am deutschen und interna-­ Spiel- und Dokumentarfilme auf unterschiedliche Weise: als Ko­- ­tio­nalen Film nicht völlig uneigennützig und in der Regel an die pro­duzent von Filmen, die von Anfang an für eine Kinoauswertung Auswertungsrechte für das deutsche Fernsehen gekoppelt. Dabei­ geplant sind, mal federführend wie bei „Sophie Scholl – Die letzten können das Bayerische Fernsehen, die ARD und arte von der Tage“, mal als einer von mehreren ARD-Sendern, die sich gemein- hohen Repertoirefähigkeit der BR-Produktionen profitieren. Aber sam an einem Projekt beteiligen wie an „Der Baader Meinhof Kom-­ auch die Programmgestaltung bietet in Zeiten schwankender plex“. Mitunter werden auch herausragende Fernseh-Auftrags­ Kinobesucherzahlen Spiel- und Dokumentarfilmen eine Nische, produktionen wie Dani Levys „Alles auf Zucker!“, eine Produktion in der sie ein größeres Publikum erreichen können. So stehen den des WDR und des BR, im Kino ausgewertet. 660.000 deutschen Kinobesuchern von „Das weiße Band“ 4,3 Mil- lionen Zuschauer bei der Erstausstrahlung im Ersten am 3. Okto- Allein im Jahr 2011 kamen eine Vielzahl von qualitativ hochwer­ ber 2011 gegenüber. Auch das ist Teil der Vermittlung von Film- tigen Filmen mit BR-Beteiligung in die deutschen Kinos und auf kunst und ein Weg, die Filmkultur Deutschlands zu beleben. Eine Festivals zur Uraufführung, darunter Florian Cossens „Das Lied in Filmkultur, die im Übrigen in ihrer heutigen Form ohne das Enga- mir“, Philipp J. Pamers „Bergblut“, Marcus H. Rosenmüllers „Som- gement der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nicht mehr mer in Orange“, Christian Züberts „Dreiviertelmond“, Maggie existieren würde. In diesem Sinn leistet der Bayerische Rundfunk Perens „Die Farbe des Ozeans“, Chris Kraus’ „Poll“ und Roman Po­ seit Jahrzehnten konstant auf hohem Niveau einen bedeutenden lanskis „Der Gott des Gemetzels“ sowie Dokumentarfilme wie Beitrag zum deutschen Film, der als kulturelles Gedächtnis unserer Gereon Wetzels „El Bulli – Cooking in Progress“ und Cyril Tuschis Gesellschaft einen unverzichtbaren bleibenden Wert darstellt. „Der Fall Chodorkowski“. Eine Auswahl, die sich sehen lassen kann, deren Qualität für sich spricht und die in ihrer Vielfalt vom Kunst- film bis zum populären Sujet, vom Melodram bis zur Komödie auch die Vielfalt des deutschen Kinos widerspiegelt.

Hinzu kommen die Leistungen des BR als Mitglied und Partner bedeutender Institutionen der deutschen Filmwelt. Der BR ist Ge­ sellschafter des FilmFernsehFonds Bayern (FFF) und damit an der Filmförderung in Bayern beteiligt, er stellt Mittel für die Filmför­

201 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Außenstimme: Vertrauen hat einen Preis

Dr. Klaus Unterberger ist Leiter des Public-Value-Kompetenz- zentrum in der ORF-Generaldirektion, verantwortlich für Maßnahmen der ORF-Qualitätssicherung und der internen und externen Kommunikation zu Fragen des öffentlich- rechtlichen Profils.

Dr. Klaus Unterberger Dr. Klaus Unterberger ist Leiter des „Public-Value- Kompetenzzentrums“ in der ORF-Generaldirektion und dort u. a. zuständig für Maßnahmen der Qualitätssicherung. Er arbeitet seit 1982 für den Österreichischen Rundfunk und war als Redakteur und Moderator für zahlreiche Sendereihen u. a. „Argumente“ und „Bürgeranwalt“ tätig.

202 investition und wertschöpfung unternehmenswert

Wer öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen soll, muss sich ver­ Transparenz lassen können, dass nicht nur die Qualität, sondern auch die Rech- nung stimmt. Das gilt insbesondere für den ORF und wohl auch Wer weiß schon, wem Pro7/Sat1 gehört? Wem gegenüber sich den BR, die aus Gebührenmitteln finanziert werden. Daher ist es ProgrammdirektorInnen von RTL rechtfertigen, wenn nicht ihren­ – von entscheidender Bedeutung, unserem Publikum glaubwürdig zumeist – anonymen Investoren? Der Vergleich macht sicher: nachzuweisen, dass Gebühren sinnvoll investiert verwendet, un- Nur öffentlich-rechtliche Medien machen mit der Transparenz sere Programme und Aktivitäten wirtschaftlich effizient umge- gegenüber der Öffentlichkeit ernst. Gebührenzahler/innen sollen setzt und von wirksamer Kontrolle begleitet werden. Der ORF hat wissen, WER in den Kontrollgremien mitbestimmt, wann und daher im Rahmen seines Qualitätsmanagements neben jenen warum richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden. Im Kategorien, die sich unmittelbar auf die Programmproduktion be- Gegensatz zu kommerziellen Medien stellt der öffentlich-rechtli- ziehen einen „Unternehmenswert“ definiert, der drei wesent­­- che Rundfunk sicher, dass Vertreter der Gesellschaft mitreden liche Leistungskriterien ausweist: und mitbestimmen, auch wenn das manchmal zu Auseinanderset- zung, Kritik und Konflikt führt. Diese Verlässlichkeit in Überprüf- barkeit und Transparenz muss auch wahrnehmbar umgesetzt wer- Kompetenz den: durch umfangreiche Unternehmenskommunikation, durch ein funktionierendes Beschwerdemanagement, durch seriöse und Qualität ist mehr als eine Behauptung. Daher verpflichten sich kompetente Produktinformation und nicht zuletzt durch bürger- öffentlich-rechtliche Medien zu einem System von kontinuierlicher nahe Initiativen, die unter Beweis stellen, dass der Begriff „Rund- Analyse, interner und externer Evaluierung, die garantieren, dass funk der Gesellschaft“ auch tatsächlich gilt. die gesetzlichen Funktionsaufträge erfüllt und entsprechende Qualitätsstandards in redaktioneller Arbeit und Produktionstech- nik eingehalten werden. Dazu gehören verbindliche Programm- Innovation richtlinien, ein Verhaltenskodex für Journalist/innen, die Koopera- tion mit der Wissenschaft, der Dialog mit Expert/innen sowie der ORF und BR bewegen sich in einem herausfordernden Umfeld: Zu- intensive, internationale Austausch von Erfahrung und Know-how nehmende Konkurrenz, neue Kommunikationstechnologien und mit Partnern in der EBU (European Broadcasting Union). Auch eine zu Recht anspruchsvolle Öffentlichkeit machen Entscheidun- wenn sich nicht alles in Zahlen und Daten fassen lässt: Kompetenz gen notwendig, die auf die Zukunft ausgerichtet sind: HDTV, Video ist eine überprüfbare Eigenschaft. Ausbildung und Weiterbildung on Demand, Onlinekommunikation, aber auch die Programment- der Mitarbeiter/innen stellen sicher, dass die originäre Qualität wicklung in Fernsehen und Radio erfordern crossmediales Den-­­ öffentlich-rechtlicher Medienproduktion auch erkannt und wirk- ken, das zu radikalen Veränderungen bereit ist. Die Innovationsge- sam umgesetzt wird. Eben weil öffentlich-rechtliche Medien mehr schwin­digkeit hat sich im digitalen Zeitalter vervielfacht. Öffent- als nur „just business“ sind, ist auch Sozialkompetenz relevant: lich-rechtliche Unternehmen müssen daher auch „über ihren Fra­gen der Gleichbehandlung, Rechte und Pflichten der Mitarbei- Schatten springen“ und ihre Navigation auf neue Horizonte statt ter/innen, interkulturelle Kompetenz, programmwirksame Ele- auf alte Gewissheiten ausrichten. Innovation ist dabei eine „Erin- mente wie Jugendschutz, Barrierefreiheit und Humanitarian Broad­ nerung an die Zukunft“, die den geltenden Auftrag der Gesell- casting drücken aus, dass Public Value bedeutet, zuweilen auch schaft mit den Ansprüchen der Medienwelt von morgen verbindet. eine Haltung einzunehmen und eine soziale Dimension zu bean- Das alles hat einen Preis: Vertrauenswürdige Information, an- spruchen, die öffentlich-rechtliche Medien von kommer­- spruchsvolle Unterhaltung, kulturelle, regionale, ethnische, inter- ziel­ler Konkurrenz unterscheidet. nationale Vielfalt, überprüfbare Kompetenz auf Klick und Knopf- druck ist nicht gratis. Der Unternehmenswert öffentlich-rechtlicher Medien sollte deutlich machen, dass die Gebührenfinanzierung­ eine sinnvolle Investition in Medienqualität ist. Dass Fernsehen, Radio und Online mehr sind als Geschäftsmodelle. Dass Public Ser- vice auch in Zukunft eine öffentliche Aufgabe ist, die dem demo- kratischen Diskurs und vor allem den Anliegen und Interessen der Menschen nützt.

203 unternehmenswert investition und wertschöpfung

Wertebild

„Unternehmenswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Impressum

Herausgeber Bildnachweise S. 101 o.: BR / Majestic / Mathias Bothor Bayerischer Rundfunk S. 7: BR / Ralf Wilschewski S. 101 u.: BR / Claussen+Wöbke+Putz Ulrich Wilhelm (Intendant) S. 9: BR / Foto Sessner Filmproduktion GmbH Verantwortlich: Andreas Bönte S. 16 / 17 / 19 / 21: Mario Beilhack S. 102: BR / Majestic / Mathias Bothor (Programmbeauftragter Bayerisches Fernsehen) S. 22 / 23: BR / Bernhard Paulus S. 105: BR / Bernhard Paulus S. 25: Mario Beilhack S. 107: BR / Bernhard Paulus Redaktion S. 27: BR / Foto Sessner S. 116: Denis Pernath Georg Scheller (Leitung) S. 30 / 31: Denis Pernath S. 117: BR / Robert Scharold Mario Beilhack S. 32: BR / Theresa Högner S. 119: Denis Pernath S. 33: Denis Pernath S. 120: BR / Bernhard Paulus Konzept & Gestaltung S. 34: Privat / Torsten Teichmann S. 122: BR / Bernhard Paulus fpm factor product münchen S. 35: BR / Ralf Wilschewski S. 124: Mario Beilhack S. 39 o.: BR / Christoph Mukherjee S. 129: BR / Foto Sessner In Zusammenarbeit mit S. 39 u. und re.: BR / Evelyn Schels S. 130: BR / Ulrich Group Redaktionen des Hörfunks und Fernsehens S. 41: Mario Beilhack S. 132 / 133: BR / Daniel Ritter Produktions- und Technikdirektion S. 44 o. und u. li.: BR / Claudia Becher S. 134 li. o.: BR / Ulrich Group BR-Marketing S. 44 u. re.: BR / Friedl Ritter S. 134 re. o.: BR / Ulrich Group S. 45: BR / Claudia Becher S. 134 u.: BR / Ulrich Group Druck S. 46: BR / Claudia Becher S. 135: BR / Uta Kellermann Aumüller Druck GmbH & Co. KG S. 47: BR Bildarchiv S. 136: Denis Pernath S. 48: BR / Matthias Kestel S. 140: BR / Gerald von Foris / Graf Verlag Stand S. 50 / 51: BR / Matthias Kestel S. 145: BR / Marco Orlando Pichler November 2012 S. 52: BR / Benedikt Geisenhof / if... Cinema S. 148: BR / Wilfried Petzi S. 53 o. li.: BR / Gerald von Foris / if… Cinema S. 149: BR / Wilfried Petzi S. 53 o. re.: BR / if... Cinema S. 150 alle Fotos: BR / Rössler S. 53 u.: BR / Benedikt Geisenhof / if... Cinema S. 151: BR / Ulrike Kreutzer-Schertler S. 54 o.: BR / Gerald von Foris / if… Cinema S. 152: BR S. 54 u.: BR / if... Cinema S. 153: BR S. 55: BR / Sessner S. 155: BR S. 57: Privat / Armin Nassehi S. 156: BR S. 67: Susanne Kolibius S. 158: Getty Images S. 69: BR / Ralf Wilschewski S. 159: BR / Ralf Wilschewski S. 71: BR Bildarchiv S. 161: Privat / Klaudia Wick S. 73: BR / Gerhard Blank S. 171: Mario Beilhack S. 74: BR Bildarchiv S. 173: Denis Pernath S. 78 o.: BR / Markus Konvalin S. 173: BR S. 78 u.: BR / Uli Dambeck S. 174: BR / Hendrik Heiden S. 79: BR Bildarchiv S. 177 o.: Mario Beilhack S. 80: BR Bildarchiv S. 177 u.: Mario Beilhack S. 81 u. li.: BR Bildarchiv S. 178: Mario Beilhack S. 81 u. re.: BR / Markus Konvalin S. 179: Denis Pernath S. 82: BR S. 180: BR / Prix Jeunesse S. 84 o.: BR / Infafilm S. 182: BR / Felix Heidinger S. 84 u.: BR / Günther Reisp S. 183: BR / Jens-Uwe Heins S. 86 li.: BR / Günther Reisp S. 185 o.: BR / Jens-Uwe Heins S. 86 re.: BR / Foto Sessner S. 185 u.: BR / Jens-Uwe Heins S. 87: BR / Theresa Högner S. 186: Denis Pernath S. 89: BR S. 189: Denis Pernath S. 91: Denis Pernath S. 190: BR / Ralf Wilschewski S. 92: BR / Jürgen Olczyk S. 193: BR / Ralf Wilschewski S. 93: BR / Jürgen Olczyk S. 194: Max Hofstetter S. 95: BR / Theresa Högner S. 197: BR / Theresa Högner S. 96 o.: BR / Marco Orlando Pichler S. 198 li. o.: BR / piffl medien S. 96 u.: BR / Marco Orlando Pichler S. 198 re. o.: BR / X-Verleih S. 97: BR / Marco Orlando Pichler S. 198 li. u.: BR / Wiedemann & Berg S. 99: BR / Raphaela Film S. 198 re. u.: BR / Jürgen Olczyk S. 100: BR / BR / Avista Film / Walter Wehner S. 200: Privat / Klaus Unterberger