MASARYKOVA UNIVERZITA

Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

BAKALÁŘSKÁ DIPLOMOVÁ PRÁCE

2016 Kateřina Holišová

Masarykova Univerzita

Filozofická fakulta

Katedra germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Německý jazyk a literatura

Kateřina Holišová

Lulu als Femme fatale, oder als eine missbrauchte Kindfrau? Zur Aufführungstraditionen einer Monstertragödie.

Bakalářská diplomová práce

Vedoucí práce: PhDr. Zdeněk Mareček, Ph.D.

2016

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig geschrieben habe und nur die angeführte Literatur und Quellen verwendet habe.

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Kateřina Holišová

Brno, den 28. 4. 2016

An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Betreuer, PhDr. Zdeněk Mareček, Ph.D., für seine Geduld und zahlreiche Ratschläge bedanken.

Inhaltverzeichnis

1. Zielsetzung der Bachelor Arbeit ...... 1 2. Eine listige Verführerin ...... 3 2.1. Was ist eine Femme fatale? ...... 3 2.2. Femme fatale in Werken von Frank Wedekind ...... 5 3. Vom Dramentext zur Theateraufführung ...... 6 4. Monstertragödie auf der Bühne im HaDivadlo ...... 9 4.1. Lulu in Bearbeitung von Martin Porubjak ...... 9 4.2. Porubjaks Lulu in Medien ...... 14 5. Lulu in Bearbeitung von Vladimír Strnisko ...... 16 5.1. Lulu als elegante Dame im Činoherní klub ...... 16 5.2. Die Monstertragödie in Tschechien. Ein Presseecho...... 20 6. Lulu auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses in .... 23 6.1. Lulu in Bearbeitung von Peter Zadek ...... 24 6.2 Lulu-Inszenierung in deutschen Medien ...... 27 7. Schluss ...... 30 8. Literaturverzeichnis ...... 31 8.1. Primärliteratur und Quellen ...... 31 8.2. Sekundärquellen ...... 31 8.3. Internetquellen ...... 35

1. Zielsetzung der Bachelor Arbeit

Schönheit und Verführung sind zwei Elemente, die nicht nur die Werke von Autoren der Vergangenheit inspirierten. Auch die Autoren von heute greifen bevorzugt auf das Thema der Entkoppelung von Liebe und Verführung zurück. In einer Welt des Scheins gewinnt die Schönheit und Verführung gegenüber der Liebe an Bedeutung. Warum ist Wedekinds Lulu nicht vom Spielplan der heutigen Bühnen verschwunden, wenn das Thema Schönheit und Verführung in den letzten 100, genauer 118 Jahren (die Uraufführung von Der Erdgeist fand 1898 im Ibsen-Theater im Krystallpalast in Leipzig statt) eine so gravierende Verwandlung erfahren hat?

In meiner Bachelorarbeit werde ich mich dem Werk des berühmten deutschen Dramatikers Frank Wedekind widmen. Obwohl Wedekind davon überzeugt war, dass kein Mann entdecken kann, was die Frauen empfinden, wurde er von diesem Geheimnis der Weiblichkeit der Frauen fasziniert. Dass seine Aufmerksamkeit die Prostituierten, also „die gefallenen Frauen“ gewonnen haben, schlägt sich auch in seinen Lulu-Dramen nieder. Diese Tragödie gilt als Wedekinds Hauptwerk und ihre Inszenierung halten nicht nur deutsche, sondern auch tschechische Regisseure für eine Herausforderung, sodass sie in verschiedenen Textfassungen in die Spielpläne aufgenommen wurde. Wedekinds Lulu diente außerdem als Vorlage für das Libretto der gleichnamigen Oper von Alban Berg. Auf dieses Musikwerk geht diese Bachelorarbeit aber nicht ein.

Das Ziel dieser Arbeit ist die Beantwortung der Frage, ob Lulu als Femme fatale bezeichnet werden kann, oder ob sie in Wirklichkeit nur eine missbrauchte Kindfrau ist? Den Schwerpunkt dieser Bachelorarbeit bilden die Analysen von drei Inszenierungen. Die erste wurde von Jan Porubjak im Ha Divadlo in Brno aufgeführt. Die zweite Bearbeitung ist von Stanislav Strnisko, und wurde 1994 in Činoherní klub in Praha aufgeführt, und im dritten Fall handelt es sich um die Version von Peter Zadek im Hamburger Schauspielhaus.

Am Anfang meiner Arbeit möchte ich den Begriff Femme fatale kritisch hinterfragen und dessen Charakteristik mit der Figur Lulu vergleichen.

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Zu Wedekinds bedeutendsten Werken zählen Büchse der Pandora und Erdgeist, die durch die Protagonistin frei verbunden sind. Diese Dramen wurden im Jahre 1913 in der „Lulu“- Tragödie zusammengeführt. Deswegen möchte ich auch darauf aufmerksam machen, welche Szenen aus der ersten Fassung Erdgeist und welche aus Büchse der Pandora übernommen wurden und welche Änderungen gemacht wurden. Da zwischen dem Teil 1 und Teil 2 insgesamt 21 Jahre liegen, ist zu fragen, ob bzw. wie sich der Charakter der Hauptfigur Lulu zwischen Erdgeist und Büchse der Pandora entwickelte.

Den Hauptteil soll die Analyse der bereits erwähnten Aufführungen bilden. Hauptsächlich wird sich mein Augenmerk auf unterschiedliche Darstellungen der Hauptfigur Lulu richten.

Für diese Bachelorarbeit bieten das Prager Theaterinstitut und seine reiche Sammlung von Kritiken eine wichtige Informationsquelle. Darum versuche ich abschließend die Rezeption der tschechischen Aufführungen zu rekonstruieren.

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2. Eine listige Verführerin

Die verführerische, Männer ins Unglück stürzende Frau war auch in der Naturalismuspoche und in dem anschließenden Fin de siècle ein häufiges Thema literarischer oder künstlerischer Werke, sei es Gerhart Hauptmanns Tänzerin Ingigerd Hahlstrøm in seinem Roman Atlantis, sei es die Titelheldin in dem französisch geschriebenen Einakter Salomé von oder die Barfußtänzerin Rosa Fröhlich in Heinrich Manns Roman Professor Unrat . Wegen ihrer Schönheit und ihren Charme verlieren die Männer ganz und gar den Kopf. Sigmund Freud erklärte Otto Weiningers Erfolg mit seinem frauenfeindlichen Buch Geschlecht und Charakter (1903) mit der Kastrationsangst, auf die er auch den Antisemitismus zurückführte. Für Weiniger gibt es nur zwei Frauentypen ‒ Mütter und Hetären1 und die großen Frauenhasser wie Schopenhauer, Nietzsche, Wedekind, Strindberg und Karl Kraus teilen diese krasse Zweiteilung mit ihm.

2.1. Was ist eine Femme fatale?

Manche Autoren schildern eine Frau als ein Wesen, dass die Männer völlig hinreißen kann. Bei anderen Verfassern ist eine solche verlockende Frau wie ein Teufel in weiblicher Gestalt beschrieben. Einen naturalistisch aufgefassten Typ einer Verführerin nannte Karl Schönherr in seinem Drama aus dem Jahre 1914 direkt Der Weibsteufel. Als Femme fatale bezeichnet man eher Verführerin aus dem städtischen Milieu. Das Adjektiv „fatale“ kommt ursprünglich aus dem Latein und bedeutet

1 WEININGER, Otto. Geschlecht und Charakter: Eine prinzipielle Untersuchung. 19. unveränd. Aufl. Wien und Leipzig: V. Braunmüller, 1920. [online]. S. 108: W ist nichts als Sexualität, M ist sexuell und noch etwas darüber. Daselbst, S. 303: Die merkwürdige Analogie der großen Hetäre zum großen Verbrecher, d.i. eben zum Eroberer; die intime Beziehung der kleinen Dirne zum moralischen Ausbunde der Menschheit, dem Zuhältertum; jenes Gefühl, das sie im Manne wachruft, die Absichten, die sie in betreff seiner hegt, am meisten endlich die Art, wie sie im Unterschiede von der Mutter den Koitus empfindet – all das vereinigt sich dazu, jene Ansicht zu bekräftigen. Wie die Mutter ein lebensfreundliches, so ist die Prostituierte ein lebensfeindliches Prinzip. URL: http://www.k- faktor.com/files/geschlecht-und-charakter.pdf. Letzter Zugriff am 25. 4. 2016.

3 schicksalhaft.2 In Wörterbüchern lassen sich verschiedene Definitionen des Begriffs Femme fatale finden. Im Lexikon Motive der Weltliteratur wird dieser Frauentyp dämonische Verführerin genannt. In diesem Fall wird „der Frau eine unwiderstehliche Anziehungskraft und ein magisch-dämonischer Charakter zugeschrieben , durch die sie den Mann nicht nur erotisch an sich bindet, sondern ihn auch von seinen höheren Interessen und Aufgaben ablenkt, seine Moral untergräbt und ihn meist ins Unglück stürzt“.3 Trotzdem kann der Typus der Femme fatale nicht ausschließlich negativ bewertet werden. Eine objektivere Beschreibung solcher Frau findet man bei Carola Hilmes:

„Die Femme fatale fasziniert durch ihre Schönheit und das in ihr liegende Versprechen auf Glück, einen Wunsch nach leidenschaftlicher Liebe. Gleichzeitig wird sie aber auch als bedrohlich empfunden.“4

Das Motiv der Femme fatale kommt in der Literatur seit der babylonischen Urzeit vor. Bereits in der Bibel ist Eva als Verführerin Adams dargestellt. In der Weltliteratur sind verschieden berühmte Femme fatales vertreten wie zum Beispiel Celinde von Andreas Gryphius, Kleopatra aus Anthony and Cleopatra von oder Gräfin Orsina in Lessings Emilia Galotti. Gerade im Fall von Orsina, die als Gemischter Charakter hervorsticht, ist Frenzel allelrdings mit der Zuordnung sehr vorsichtig:

„Nicht dämonisch, nur leidenschaftlich und mit einem Einschlag nach der „schönen Seele“ hin ist die durch ihr Schicksal als Verlassene [der Marwood aus Miß Sara Sampson] verwandte Gräfin Orsina [...]”5

2STROHMAIER, Alena. Mythos Femme fatale. Wien, 2008. Diplomarbeit. Universität Wien. Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Betreuerin Univ.-Prof. Dr. Hide Haider-Pregler. [online]. URL: http://othes.univie.ac.at/3156/1/2008-12-17_0305724.pdf. Letzter Zugriff am 20. 4. 2016.

3FRENZEL, Elisabeth. Motive der Weltliteratur: ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 4. überarb. und erg. Aufl. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1992, S. 774. Kröners Taschenausgabe. ISBN 3-520-30104-0.

4 HILMES, Carola. Die Femme fatale: ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur. Stuttgart: Metzler, c1990, S. XIII. ISBN 34-760-0691-3.

5 FRENZEL, Elisabeth. Motive der Weltliteratur: ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 4. überarb. und erg. Aufl. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1992, S. 745. Kröners Taschenausgabe. ISBN 3-520-30104-0. 4

2.2. Femme fatale in Werken von Frank Wedekind

Über Wedekind ist bekannt, dass er ein passionierter Bewunderer von Frauen war. Es kann daher nicht überraschend sein, dass er gerade verführerische Frauen gerne in die Hauptrollen seiner Werke besetzt hat. Lulu aus Büchse der Pandora und Erdgeist wird traditionell zu den weltbekannten Repräsentantinnen der Femme fatale in der modernen Literatur gezählt. In sie verliebte sich kopflos eine ganze Reihe von Männern, deren Leben Lulu rücksichtslos ruinierte. Ein sehr ähnlicher Typus kann ebenfalls in einem weiteren Drama von Wedekind Frühlings Erwachen bemerkt werden. Obwohl Elsa nur eine kleine Figur in der Kindertragödie ist, unterscheidet sie sich deutlich von den anderen. Genauso wie Lulu hat auch Elsa längere Zeit mit Künstlern verkehrt und das Leben von Bohemiens gelebt. Dahinter steckt die Tatsache, dass die beiden Frauengestallten von ursprünglich einer Figur ausgehen. Diese stellt Ella aus Elins Erweckung dar. Dieses Versdrama war zwar als Fragment publiziert, aber die Probleme wurden erst in Frühlings Erwachen und Lulu deutlich formuliert.

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3. Vom Dramentext zur Theateraufführung

Heutzutage werden die Werke der deutschsprachigen Moderne in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr oft auf der Bühne großer Theater inszeniert. Diese Werke werden vor allem wegen der perfekten Arbeit mit der Sprache und der Konfrontation mit allgegenwärtigem Naturalismus geschätzt. Das reicht aber nicht, um sie sie auch zum festen Bestandteil des Theaterrepertoires zu nachen. Für die Bühne sind diese Werke meistens nicht mehr verwendbar oder nicht mehr aktuell genug. Zu solchen Werken kann man auch die Monstertragödie Frank Wedekinds zählen. Es dauerte lange, bis sie in der Form, die wir heute kennen, inszeniert wurde. Trotzdem gehört sie heute zu einem der erfolgreichsten Dramen Wedekinds.

Lulu,dieses Sexualmythos und eine Ikone der Schönheit zugleich, ist weltweit bekannt. Es handelt sich um Wedekinds berühmteste Figur. „Sie verdankt ihren Status als Ikone vor allem der nachhaltigen Rezeption der Stücke Erdgeist und Die Büchse der Pandora.“6 Es kann deswegen nicht überraschend sein, dass diese Figur 1892, während Wedekinds Aufenthalt in Paris, entstanden ist. Er war von Paris bezaubert. Vor allem wegen dessen Eleganz und Raffinements. Und nicht nur diese Eigenschaften, sondern auch Wedekinds zahlreiche Besuche in Moulin Rouge spiegeln sich in der Lulu-Figur. Die Doppeltragödie Lulu, die den gleichen Namen wie ihre weibliche Hauptprotagonistin trägt, kann man immer wieder auf dem Spielplan neben Wedekinds weiteren Werken wie z. B. Frühlings Erwachen oder Der Marquis von Keith finden. Der Text besteht aus zwei Teilen. Der umgearbeitete erste Teil dieser Monstertragödie, Erdgeist, erschien 1895. Der zweiten Teil Büchse der Pandora wurde ein paar Jahre nach seiner Buchausgabe wegen unzüchtiger Passagen beschlagnahmt. Die ursprüngliche Version der Lulu-Dramen wurde aber lange nicht publiziert.

6 Die Erotik der femme fatale. TATAR, Maria. Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. 1. Aufl. : Berlin university, 2007, S. 819. ISBN 9783940432124.

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„Die >Urfassung< mit dem Titel Die Büchse der Pandora. Eine Monstertragödie geht auf das Jahr 1894 zurück.“7 Diese Fassung wurde aber erst 1988, als die Rechte frei waren, bekannt, weil Wedekinds Verleger sich nicht wagte, mit diesem Stück an die Öffentlichkeit zu treten.

Zuerst waren Wedekinds Versuche um eine Inszenierung seiner Dramen ohne Erfolg. Erst als er als Dramaturg am Münchner Schauspielhaus wurde, kam es zu einer erfolgreichen Premiere des Teils Erdgeist (1898). Obwohl er dazu keine Ausbildung hatte, begann sich Wedekind für seine Stücke als Regisseur und Schauspieler zu engagieren. In dieser Inszenierung trat er in der Rolle von Dr. Schöning auf. Während der Erdgeist erfolgreich aufgeführt wurde, wurden seine anderen Dramen, inklusive Die Büchse der Pandora nicht allzu positiv wahrgenommen. Wegen der Zensur konnten gewisse Stücke dieses Autors gar nicht erscheinen, bei manchen konnte man nur die zensurierte Fassung aufführen. Die Büchse der Pandora gehört zu einem von diesen Stücken. Ihre Uraufführung gab es 1904 im Intimen Theater in Nürnberg. Nach dieser Aufführung wurde nicht nur die Buchausgabe von diesem Drama beschlagnahmt, sondern auch weitere Aufführungen gleich verboten. Seine Bekanntschaft mit Karl Kraus führte aber dazu, dass ein Jahr später dieses Drama aufgrund seiner Initiative in Wien als private Aufführung für eine geschlossene Gesellschaft wieder einstudiert wurde. Tilly News, spätere Frau Wedekinds, hat die Rolle von Lulu übernommen, Karl Kraus spielte die Rolle des Prinzen Kungu Poti und der Autor selbst stellte Jack the Ripper dar. Auch wenn man diese Premiere als einen Erfolg interpretieren kann, musste Wedekind weiter mit der Zensur kämpfen. Zu dem ersten Prozess wegen der Veröffentlichung der „Pandora“ kam es noch im denselben Jahr. Während Erdgeist bereits mehrmals aufgeführt wurde, musste Die Büchse der Pandora 14 Jahre (bis 1918) auf ihren Erfolg warten.

Wedekind musste in beiden Dramen viele Textäderungen hinnehmen. Bis heute beschäftigt viele Forscher die Frage nach der Identität von Wedekinds Lulu. Um ein Missverständnis bei der Aufführung zu vermeiden und um die Hauptfigur Lulu besser zu charakterisieren, wurde Wedekind dazu gezwungen, die Texte zu

7GUTJAHR, Ortrud. Frank Wedekind [online]. Würzburg: Königshausen, c2001. ISBN 38-260-2077- 4. [online]. Letzter Zugriff am 9. 4. 2016. URL: https://books.google.cz/books?id=OGRqD8yS1pcC&pg=PA183&lpg=PA183&dq=gutjahr+wedekind &source=bl&ots=FfJffTIFtz&sig=RMC3yOK- Hpq9EA1mj5vJ0wMOTO8&hl=cs&sa=X&ved=0ahUKEwiB7rT3poHMAhUpCpoKHUltBkgQ6AEI KjAC#v=onepage&q=gutjahr%20wedekind&f=false. 7 bearbeiten. So erhielt Erdgeist nachträglich den berühmten Prolog. „Sie wird als Tier beschrieben, wild und schön, und als Schlange, […], verführt und vergiftet.“8 Trotz dieser Ergänzung des Textes blieb immer noch ein großer Raum für verschiedene Interpretationen. Es muss auch die Tatsache erwähnt werden, dass Erdgeist und Die Büchse der Pandora später von Wedekinds Tochter Kadidja zu einer fünfaktigen Bearbeitung zusammengefügt wurden. Diese Bearbeitung nahm dann u. A. Oscar Fritz Schuh als Vorlage für seine Inszenierung. Eben diese Bearbeitung löste eine große Diskussion aus, ob Wedekind überhaupt noch spielbar ist. Friedrich Luft hat sich über diese Bearbeitung folgend geäußert: „Es geht ganz und gar nicht mehr ... man wohnte einem sinnlosen Wiedererweckungsversuch bei ... wehte der dramatische Modergeruch immer merkbarer von der Szene. Der Abend war verloren ...“9

Im Jahr 1988 ist endlich die erste unzensierte Fassung auf die Bühne gekommen. Für die Uraufführung war Peter Zadek zuständig. „Dieser Text hat nicht mehr viel gemein mit Kadidja Wedekinds entstellender Bearbeitung, die den Bühnen immer wieder als Vorlage gedient und damit das Wedekind-Bild nach 1950 auf fatale Weise geprägt hat.“10 Wenn man diese ursprüngliche Fassung von Wedekinds Monstertragödie mit dem bearbeiteten Texten Erdgeist und Büchse der Pandora vergleicht, merkt man sehr schnell, dass die Veränderungen das Ergebnis der Zensur waren und nicht wegen dem Publikumsgeschmack, wie es oft präsentiert wurde, vorgenommen wurden. Seitdem hat sich diese Ur-Fassung von Lulu auf den Bühnen durchgesetzt und die Gunst der Zuschauer gewonnen.

8 Die Erotik der femme fatale. TATAR, Maria. Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. 1. Aufl. Berlin: Berlin university, 2007, S. 818. ISBN 9783940432124.

9 Geht ganz und gar nicht mehr. Der Spiegel. 6. 8. 1992. [online]. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21977612.html. Letzter Zugriff am 9. 4. 2016

10Wdekind im Rampenlicht. FLORACK, Ruth. Frank Wedekind. München: Heinz Ludwig Arnold, 1996, S. 10. Text Kritik. ISBN 3-88377-539-8. 8

4. Monstertragödie auf der Bühne im HaDivadlo

Die Lulu-Inszenierung wurde am 4. April 2007 im HaDivadlo in Brno uraufgeführt. Für die Regie war Martin Porubjak zuständig. Seine Beziehung zum Brünner kulturellen Geschehen begann schon in den 60er Jahren.11 Er ist auch für seine positive Beziehung zum deutschen Theater wohl bekannt. Er selbst war auch als Übersetzer tätig und hat sogar mehr als 50 Theaterstücke (z. B. von B. Brecht, A. Schnitzler, F. Schiller oder F. Wedekind) aus dem Deutschen ins Tschechische übersetzt. Nicht nur deutsche Dramen versuchte er auf die slowakische und tschechische Theaterbühne zu bringen. Er dient auch als Autor von Theaterstücken. Für einige fand er die Vorlage gerade bei deutsch schreibenden Schriftstellern. In Brno und Bratislava wurde sein Theaterstück Parazit aufgeführt, für das er in dem Werk von F. Schiller Inspiration fand. In seiner Regie wurde unter anderem im Theater Brett in Wien Antigona von Sofokles inszeniert. Dass das deutsche Theater sein ganzes Leben beeinflusste, bestätigt auch die Tatsache, dass auch sein Lebensmotto eine Replik ist, die aus einer von Arthur Schnitzlers Dramen stammt.12

4.1. Lulu in Bearbeitung von Martin Porubjak

Die Inszenierung von Martin Porubjak beginnt auf einer schwarzen Szene. In der Mitte steht nur eine Requisite, ein Stuhl. Ondřej Havlík, der für die Musik verantwortlich ist, kommt in die Mitte der Bühne und erklärt den Zuschauern, dass sich der erste Akt im Atelier abspielt. Rechts soll das Porträt der gestorbenen Gattin Dr. Schönings hängen, links dann ein Porträt von Lulu. Tatsächlich sind aber diese Gemälde auf der Szene nicht, der Zuschauer muss sie sich nur vorstellen. Die Szene bleibt während der ganzen Inszenierung fast unverändert.

11 SUCHÁ, Lenka. Zemřel slovenský divadelník Martin Porubjak. 31. 3. 2015. Brněnský deník. [online]. URL: http://brnensky.denik.cz/kultura_region/zemrel-slovensky-divadelnik-martin-porubjak- 20150331.html. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Jeho vztah k brněnskému divadelnímu a kulturnímu dění ale začal už v šedesátých letech […].

12 Slovenské národné divadlo, Martin Porubjak . [online]. URL: http://www.snd.sk/?detail- 1&meno=porubjak-martin. Letzeter Zugriff am 8. 4. 2016. 9

Diese schöne Dame steht immer an der Grenze zwischen einer Femme fatale und einem missbrauchtem Kind. Porubjak wollte in seiner Bearbeitung vor allem die das Kindliche der Hauptfigur in den Vordergrund stellen. Deshalb hat er sich bei der Besetzung der Darstellerin Lulu für eine junge, derzeit 26 jährige Schauspielerin Jana Plodková entschieden. Diese kleine zarte Blondine weckt schon bereits durch ihr Aussehen Assoziationen zum kleinen Kind hervor, dass sich in der Femme fatale Lulu immerzu versteckt. Wenn sie auf der Bühne steht, sieht sie sogar wie eine Porzellanpuppe aus. Für die meisten Figuren hat sie ebenso die Funktion eines Spielzeugs. Jeder will sie besitzen und nach eigenen Vorstellungen zu einer Idealfrau verändern. Genauso wie es Wedekind in der ursprüngliche Vorlage schrieb, trägt Lulu auch in dieser Bearbeitung verschiedene Namen. Jeder Mann will sie anders nennen. So ist sie Lulu, Nely, Eva oder Káťa. Um das Kindliche an ihr zu verstärken, schrieb das Autorenteam in das Regiebuch einige Kinderreime hinzu. Zum ersten Mal ist einer davon im zweiten Akt zu hören. Lulus Vater Schigolch kommt sie besuchen, bei ihr Geld leihen und fragen, wie sie mit dem neuen Mann zufrieden ist. Wenn sie ihn sieht, springt sie in seine Arme wie ein kleines Mädchen. Beide beginnen die Kinderreime zu murmeln, ohne dass man verstehen kann, was sie sagen. Es ist aber sowieso nicht nötig. Sie dienen nur dazu, Lulus Beziehung zu ihrem Vater auszudrücken. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass sie eine ähnliche Beziehung zu Dr. Schöning hat. Im Unterschied zu der ursprünglichen Vorlage, wo sich Wedekind mehr auf die Linie des Liebesverhältnisses zwischen Lulu und Dr. Schöning konzentriert, wird es in dieser Bearbeitung ihre Beziehung mehr aus der anderen Perspektive gezeigt. Obwohl es sich zwischen ihm und Lulu um eine Liebesbeziehung handelt, verhält sie sich zu ihm anders als zu ihren restlichen Ehemännern. Als sie zum ersten Mal verwitwet ist, zeigt sie überhaupt keine Trauer. Auch zum zweiten Mal, als Maler Schwarz Selbstmord begeht und sich die Kehle durchschneidet, fühlt sie nichts. Die beiden Männer haben für sie nichts bedeutet. Nichts mehr als einen Eintrag beim Standesamt oder einen Ehering in der Schublade. Aber als Dr. Schöning sie informiert, dass er eine andere Frau heiraten wird, benimmt sich Lulu plötzlich wie ein kleines herrschsüchtiges Mädchen. Zuerst glaubt sie ihm gar nicht, dass er ihre Liebesbeziehung beenden will. Nachdem sie aber begreift, dass er es wirklich ernst meint, gerät sie in Wut. Das alles geschieht aus Angst, dass sie jemanden verlieren könnte, den sie das ganze Leben kennt und der für sie eine gewisse Sicherheit darstellt. Lulus Eigenschaften wie

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Gefügigkeit und Verletzbarkeit verstärken nur den Eindruck, dass sie immer noch ein Kind ist, das keine Verantwortung übernehmen will, nicht einmal für sich selbst sorgen will.

Zugleich wollte Regisseur Porubjak Lulus verführerische Ausstrahlung nicht schwächen, obwohl er sie sie zu einer gefügigen Puppe machte, mit der die Männer gern spielen. Diese Mischung aus Naivität und Durchtriebenheit ist gelungen, weil Plodková die Kunst der Verführung zur Perfektion brachte. Vor allem in der Szene mit Gräfin Geschwitz, war es sehr deutlich. Plodková kommt auf die Bühne nur in Unterwäsche bekleidet und beginnt sich vor den Augen ihres Mannes und Gräfin Geschwitz langsam anzuziehen. Sie beginnt dabei fast zu tanzen. Sie lässt die Gräfin ihren Körper und ihre Schönheit bewundern. Sie liebt die Aufmerksamkeit, egal ob sie von Männern oder Frauen kommt. In solchem Moment ist sie nämlich kein Kind mehr, sondern eine erwachsene und verführerische Frau. Eine Femme fatale.

Was auch bemerkenswert ist, dass der Text vom kreativen Team radikal verkürzt wurde. Sie machten aus einem Stück, der sogar bis zu drei Stunden dauern kann, nur eine 120 Minuten lange Inszenierung. Porubjak musste dann mehr Wert auf andere Elemente der Inszenierung legen. Eine besondere Stellung hat die Beatbox eingenommen. Gleich bei dem Auftritt der ersten Figuren auf der Szene, erweckt gerade die Musik das Interesse bei den Zuschauern. Töne, welche Ondřej Havlík nur mithilfe des eigenen Mundes schafft. Als erste treten Dr. Schöning und Schwarz auf die Szene. Sie schauen nach rechts, wo das Porträt von Dr. Schönings verstorbener Gattin sein sollte. Wenn sie dann nach rechts anschauen, wo das Porträt von Lulu hängen soll, beginnt Ondřej Havlík die Wörter „I love you“ zu singen. Das soll bereits das erste Signal für Lulus Schönheit und Attraktivität sein. Obwohl der Zuschauer noch nicht weiß, wie Lulu aussieht, kann er es sich ganz einfach vorstellen. Wenn Lulu später in das Atelier reinkommt, kann man das Lied „I love you my dear“ wieder hören. Ganz in weiß angekleidet kommt sie in die Mitte der Bühne und steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller anwesenden Männer. Porubjak hat jeder Figur eine Melodie zugeordnet. Man kann sogar behaupten, dass diese Melodie das Leben der einzelnen Figuren darstellt. Immer wenn die Gestalten auf die Bühne kommen, hört man die Töne, die zur Charakterisierung der Figuren dienen. Die Melodie des Liedes „I love you“, die in dem ganzen Stück ein Kennzeichen für Lulu ist, zeugt beispielweise nicht von Lulus Beziehungen zu

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Männern, sondern wie die Männer Lulu sehen. Ganz ohne die Repliken der Figuren wird veranschaulicht, welche Gefühle zu dieser Frau ihre Bewunderer hegen. An dieser Stelle ergibt sich auch die Frage, ob Porubjak seine Lulu mithilfe dieses Liedes doch als Femme fatale charakterisieren wollte. Sie kann in dem Raum ohne Bewegung und schweigend stehen, sie muss gar nichts machen und trotzdem wird nur über sie gesprochen. Dem Sohn von Dr. Schöning, Alwa, ist die bekannte Melodie aus dem Musical von Andrew Lloyd Webber Phantom of The Opera zugeordnet. Nach meiner kritischen Ansicht könnte es sich um eine Andeutung an die Geschichte von Phantom und Christine handeln. Obwohl Christine sichtbare Zuneigung zum Phantom zeigt, entscheidet sie sich schließlich für Sicherheit und Zukunft mit Ralph. Lulu gibt ebenso immer jemandem anderen Vorzug, obwohl Alwa seine Liebe Lulu mehrmals erklärt.

Durch die Beatbox von Ondřej Havlík werden aber nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren näher bestimmt. So wird dann beispielsweise auch Sex dargestellt, ohne dass sich die Schauspieler überhaupt anfassen müssen. Nur mit Geräuschen und Seufzern wird die Situation so nahe gebracht, dass kein Zuschauer bezweifeln kann, was gerade passiert. Insgesamt verzichtete Porubjak auf den Kontakt zwischen einzelnen Figuren. Wenn er in der ersten Szene darstellen will, wie reizend Lulu für den Künstler Schwarz ist, benutzt er auch Musik. Anstatt sie in den Armen zu nehmen und leidenschaftlich anzufassen, sitzen sie nebeneinander und sagen erregt ihre Repliken. Das Ganze wird mit einem lauten Herzschlag untermalt. Das schlagende Herz von Schwarz, dass die Zuschauer dank Ondřej Havlík hören können, ruft perfekt die gewünschte Situation hervor und zeigt die Gefühle vom Schwarz zur Lulu. Sogar wenn eine Figur in der Theateraufführung stirbt, spielt die Musik eine wichtige Rolle. Wie schon erwähnt wurde, jede Figur hat ihre eigene Melodie. Und diese Melodie hört man ebenso, wenn die Figur stirbt. Sie klingt nur immer langsamer und langsamer - genau so, wie ein kaputter Plattenspieler. Den Rest des Stückes erschallt sie dann nicht mehr.

Neben dem Musikelement ist es nötig auch die Kostüme zu erwähnen. Die dienen als zweiter und genauso wichtiger Bestandteil dieser Bearbeitung. Zuzana Štefunková verzichtete völlig auf die szenischen Bemerkungen, die man in der ursprünglichen Vorlage finden kann. Schon in der ersten Szene soll Lulu das Kostüm von Pierrot tragen. Stattdessen erscheint Plodková aber auf der Bühne in einem langen weißen

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Kleid. Diese Farbe trägt sie als einzige dann während des ganzen Stückes. Es bringt das Gefühl hervor, dass Lulu gar nicht in die gleiche Welt wie die anderen gehört. Die weiße Farbe symbolisiert wahrscheinlich ein Tabula Rasa, das jeder nach seiner Laune bemalen kann. Gleichzeitig mutet diese Farbe bei den Zuschauern an, dass Lulu ganz unschuldig ist. Als ob sie für ihre Handlungen gar nicht zuständig wäre. Alle Männer, die in ihrem Leben eine gewisse Rolle spielen, sind in dem gleichen Anzug gekleidet, als ob sie in ihren Augen gleich geschätzt würden. Alle sind für Lulu nur ein Mittel, dem sie verdankt, genug zum Essen zu haben und schön gekleidet zu sein. Diese weibliche Gestalt nimmt ihre Liebe einfach nur als ein Mittel zum Überleben. Die Kupplerin Casti-Piani tritt im Unterschied zu Lulu ganz in Schwarz gekleidet auf. Sie hat völlig andere Priorität und Vorstellungen über das Leben. Lulu ist immer noch ein naives Mädchen, Casti Piani will aus jeder Situation etwas gewinnen. Deswegen wurden für die Kleidung dieser beiden Frauen Kontrastfarben benutzt. Die schwarze Farbe soll ebenso veranschaulichten, wie das Leben von Lulu enden könnte. Sie versucht Lulu zu überzeugen, oder sogar zu zwingen, den ältesten Beruf der Welt auszuüben. Obwohl das Lulu scharf ablehnt, wird sie später durch die Umstände dazu doch gezwungen. Insgesamt sind alle Kostüme modern und unterstreichen sehr gut das ganze Konzept, mit der Bearbeitung des Stückes das Interesse junger Leute an Lulu zu wecken.

Es lohnt sich selbstverständlich noch auf die interessante Tatsache hinzuweisen, dass in der ganzen Theateraufführung nur drei Farben vorkommen. Die Farben Weiß und Schwarz sind bereits oben erwähnt. Die bilden die Grundlage für alle Kostüme und die Szene. Die dritte Farbe ist Rot. Es ist nicht besonders überraschend, dass sich die Autoren gerade für Rot entschieden haben. Diese Farbe ist immer mit Liebe, Sucht und Erotik verbunden. Hier wird sie ebenso zur Darstellung von Erotik und Sünde gebraucht. Einmal sieht man rotes Betttuch, wenn Lulu und Schwarz in dem Atelier allein bleiben und es zur ersten erotischen Szene kommt. Später in der Form eines Tuches auf dem Tisch, wenn Lulu und Alwa ein großes Abendessen haben. Dieses Abendessen soll ein Symbol für Sex sein. Sogar wenn sich dann die Figuren auf der Szene gar nicht küssen oder berühren, die rote Farbe und die Beatbox von Ondřej Havlík sagen mehr als alle Wörter und Gesten.

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Obwohl es sich um ein sehr provozierendes Stück handelt, war es in Brno mit keinem Skandal verbunden. Lulu in Bearbeitung von Porubjak bewährt sich ihren Charme. Diese Tatsache wird auch von den Zuschauern geschätzt.

4.2. Porubjaks Lulu in Medien

Zum zweiten Mal wurde Lulu in der Tschechischen Republik im Jahre 2007 aufgeführt. Diesmal entschiedet sich der Regisseur Martin Porubjak dieses kontroverse Drama den Zuschauern in Brno im HaDivadlo zu zeigen. Die Kritiken erschienen in verschiedenen Zeitungen (u. a. MF Dnes, Hospodášřské noviny…) sowie auf Internetseiten.

Im Unterschied zur ersten Einführung in Prag konzentrieren sich die meisten Kritiken auf die Arbeit des Regisseurs und befassen sich nicht mit den schauspielerischen Leistungen. Da sich Porubjak entschied, den originalen Text radikal zu kürzen, ergibt sich die Frage, ob diese Entscheidung der Inszenierung gut tat, oder nicht.

Der Regisseur Martin Porubjak versuchte im HaDivadlo nicht herauszufinden, wer die schöne Lulu denn eigentlich sei und ihre Geheimnisse entdecken13, schrieb Vladimír Čech in Hospodářské noviny. Seine Lulu sei sogar ein bisschen monoton und damit ein Kontrast zu anderen, impulsiveren Figuren. Das kann bei den Zuschauern den Eindruck erwecken, dass diese Femme fatale nur eine Fiktion ist.

Luboš Mareček aus MF DNES wollte in seiner Kritik vor allem die Veränderung Lulus hervorheben. Während die erste Hälfte den Charakter einer Groteske besitzt und Lulu als launenhaftes Mädchen dargestellt wird, verändert nach der Pause Porubjak markant die Atmosphäre. Am Ende verleiht er Lulu sympathisch-

13 ČECH, Vladimír. HaDivadlo nezbavilo Lulu záhadnosti. Hospodářsjé noviny. 12. 4. 2007. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Režisér Martin Porubjak se ale v HaDivadle nesnažil přijít na kloub tomu, kdo krásná dívka Lulu je, a strhnout z ní škrabošku záhadnosti. 14 menschliche Züge und zählt auf die Empathie des Zuschauers, der durch die Wehrlosigkeit, ja sogar Reue der Prostituierten, gerührt wird.14

Dieser Bruch in der Mitte der Inszenierung wurde positiv auch in Lidové Noviny bewertet. Die erste Hälfte sei angenehm, witzig, eine ins Absurde sich entwickelnde Komödie15, stellte Kateřina Bartošová in ihrer Kritik fest. Nach der Pause kam ein großer Sprung. Lulu sei nicht mehr eine erregende und geheimnisvolle Marionette ohne Persönlichkeit, sondern ein missbrauchtes Wesen.16

Wie schon bereits bemerkt wurde, das szenische Element, das in dieser Aufführung eine Abwechslung bringt und für das jüngere Publikum interessant erscheinen muss, ist die Musik. Alle Effekte, Tone und Musikinstrumente wurden nur mit Hilfe der Beatbox durchgeführt, für die Ondřej Havlík zuständig war. Er hat die Rolle eines Glossators, der mithilfe seiner Beatbox die Atmosphäre bilde, das Geschehen auf der Bühne verspotte, strichweise sogar synchronisiere17, bemerkte Jitka Páleníková.

Zusammenfassend wurde diese Bearbeitung fast in allen Kritiken positiv bewertet. Es ist gelungen, einem mehr als 100 Jahren altem Stück, Lebendigkeit und Aktualität zu verleihen.

14 MAREČEK, Luboš. Brněnská Lulu strhne publikum s sebou. MF Dnes. 21.4 2007. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Porubjak tak nakonec Lulu polidšťuje a sází na diváky, které prostitutčina bezbrannost a bezmála kajícnost dojme.

15 BARTOŠOVÁ, Kateřina. Čím vzrušuje stoletá Lulu?. Lidové Noviny. 20. 4. 2007. Übersetzt von K.H.; Originaltext: První polovina radikálně proškrtaného textu (ze dvou set stran zbyla asi pětina) je příjemná, vtipná, k absurditě směřující komedie […]

16 Ebd.. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Chladná Lulu už není vzrušující tajemnou loutkou bez osobnosti, ale zneužitou bytostí, jíž byla vzata duše

17 PÁLENÍKOVÁ, Jitka. Lulu podľa vôle mužov. Kumšt. 24. 11. 2007. Übersetzt von K.H.; Originaltext: […] Ondřej Havlík v úlohe akéhosi glosátora, který pomocou beatbohu vytvárá atmosféru, ironizue diane, miestami ho dokonca dabuje […] 15

5. Lulu in Bearbeitung von Vladimír Strnisko

Die erste Bearbeitung von Lulu in der Tschechischen Republik hatte ihre Premiere am 17. 4. 1994 im Činoherní klub in Prag. Aber bereits ein Jahr vorher wurde dieses Stück in Bratislava einstudiert. In Prag übernahm die Regie Vladimír Strnisko, der damals auch als Direktor und künstlerischer Chef im Činoherní klub tätig war. Die Übersetzung kommt, gleich wie im HaDivadlo, von Josef Balvín, der sich mit der ursprünglichen fünfaktigen Version beschäftigte, „also mit der durch die Zensur nicht entstelltem Text ohne spätere Allegoriesierungen und symbolische Beschreibungen“.18 Für die Dramaturgie war František Fröhlich zuständig. (Annotation)

5.1. Lulu als elegante Dame im Činoherní klub

Wedekind situierte den Anfang seines Dramas in einem Atelier. Lulu kommt dort regelmäßig zu posieren. Ihr Ehemann Goll will sie in einem Kostüm von Pierrot abgebildet haben. Im Unterschied zu der Inszenierung in Brno, wo die Szene minimalistisch nur mit einem Stuhl inszeniert wurde, entschied sich Strnisko für eine voll ausgestattete Szene. Ganz vorne steht eine Staffelei, die mit Pierrot-Kostüm bedeckt ist. In der Mitte der Bühne ist ein Stuhl, auf dem Lulu später sitzt und hinter dem ihr Bild versteckt ist. In der Bearbeitung von Porubjak wurde den Zuschauern dieses Bild gar nicht gezeigt und man sieht Lulu erst, wenn Sie auf die Bühne kommt. In der Bearbeitung von Strnisko wird den Leuten die Möglichkeit gegeben, die Hauptfigur schon durch das Porträt kennen zu lernen. Dieses Porträt von Lulu hebt vor allem ihr Gesicht und Arme hervor. In dieser Pose ist Lulu einem sterbenden Schwan ähnlich. Und diese elegante Haltung und Charme behält sie bis zum Schluss, auch wenn siedann ganz am Boden ist und in London als Prostituierte arbeitet.

18 HOŘÍNEK, Zdeněk. Lulu jako hravé dítě. Divadelní noviny. 30. 5. 2010. [online]. URL: . Letzter Zugriff am 8. 4. 2016. Übersetzt von K.H.; Originaltext: [… ] tedy text nezkreslený tlakem cenzury […] text bez pozdějších alegorizací a symbolických opisů. 16

Die Hauptrolle wurde mit der Schauspielerin Ivana Chýlková besetzt. Es hat auch etwas damit zu tun, dass „Vladimír Strnisko im Prager Činoherní Klub behauptet, dass Lulu vor allem eine Frau und ein Opfer ist“.19 Auch deswegen hat er keine so eine junge Schauspielerin wie Porubjak in diese Rolle besetzt. Während Jana Plodková als Lulu auf die Zuschauer mehr wie ein zerbrechliches Mädchen wirkt, dass von Männern nur missbraucht wird, sieht Chýlková wirklich schon wie eine Dame aus. Als sie in dem Pierrot-Kostüm auf die Szene kommt, vermisst sie nicht Noblesse und Nonchalance. Sie bewegt sich leicht wie eine Tänzerin, auch die Frisur und das Make-up verstärken ihre zärtliche, weibliche Seite. Während im Hadivadlo Lulu wirklich nur wie ein Mädchen wirkt, das in die Welt der Erwachsenen hineingezogen wurde, stellt Chýlková diese Figur als eine selbstbewusste Frau dar, die weiß, was sie will. Als ein gutes Beispiel dafür ist der Moment, als Dr. Schöning zu Lulu kommt und die Liebesbeziehung beenden will. Lulu glaubt ihm gar nicht und wenn sie feststellt, dass er ein junges 16-jähriges Mädchen heiraten soll, verspottet sie ihn sogar und fragt ihn, was er mit diesem Kind machen will. Sie selbst fühlt sich gar nicht mehr wie ein Kind. Das wird zusätzlich in der Szene mit ihrem Vater Schigolch stark betont. Wie bereits erwähnt wurde, hat Plodková als Lulu Schigolch immer mit Freude begrüßt. Porubjak benutzt sogar gewisse Sprüchlein, um diese Vater-Tochter Beziehung zu unterstreichen. Laut Strnisko befindet sich diese Beziehung auf einer völlig anderen Ebene. Wenn Petr Nárožný zum ersten Mal in der Rolle von Schigolch zu Lulu kommt, sieht sie ihn fast verächtlich an. Man kann sogar behaupten, dass sie angeödet ist, wenn sie ihn sieht. Sie fragt ganz ohne Interesse, was er von ihr will, ihre Augen schauen aber in eine völlig andere Richtung. Wenn er seine Tochter anfassen will, schlägt sie ihn. Das kann auch ein Beweis dafür sein, dass es ihr jetzt gut geht und der Vater, der Bettler, für sie nicht mehr gut genug ist. Sie muss sich ihm gegenüber nicht zum Dank verpflichtet fühlen. In dem Moment ist sie wirklich eine erwachsene Frau, die ihren Vater nicht mehr braucht.

Obwohl es den Anschein erwecken könnte, dass sie mit ihrem Leben zufrieden ist, ist es nicht wahr. Sie fühlt sich bei jedem Ehemann als ein Opfer. Für Schwarz ist Lulu

19LINDOVSKÁ, Naďa. LULU – démon alebo obeť?. ASPEKT. 3/1994. [online]. URL: . Letzter Zugriff am 8. 4. 2016. Übersetzt von K.H.; Originaltext:Vladimír Strnisko v pražskom Činohernom klube tvrdí, že Lulu je predovšetkým žena-obeť. 17 nur ein Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, für Goll ist sie Zerstreuung, wenn sie für ihn jeden Abend tanzt.

Es ist offensichtlich, dass sich Strnisko auf die weibliche Seite von Lulu konzentrierte. Er hat für die Rolle nicht eine 20-jährige Schauspielerin gewählt, den Zuschauern wird auch nicht das Alter von Lulu, wie im HaDivadlo, offenbart. Strnisko hat sich nicht für so eine radikale Verkürzung des ursprünglichen Textes wie Porubjak entschieden. Und gerade die Repliken von anderen Figuren, die in HaDivadlo gestrichen wurden, dienen perfekt dazu, auch die nicht auf den ersten Blick sichtbare Tatsachen ausdrücken. Gleich im ersten Akt, in dem Atelier von Schwarz, sprechen Alwa und Goll über ein neues Theaterstück. Alwa will, dass Goll mit ihm auf die Theaterprobe geht und deshalb verrät er ihm, dass in der Inszenierung viele junge Mädchen tanzen werden. Das regt Goll, Lulus Ehemann, auf. Diese Situation soll auch ein Signal für die Zuschauer sein, dass Lulu sehr jung ist, obwohl sie nicht so aussehen muss.

Wie bereits erwähnt wurde, trägt Lulu im HaDivadlo in Brno ausschließlich weiße Farbe. Das unterstützt bereits auf den ersten Blick das Gefühl, dass sie einzigartig ist. Das wurde in Praha ganz anders interpretiert. Als großer Vorteil spielte dabei Ivana Chýlkovás Größe. Auf der Szene erschient niemand größer als sie. Alle ihre Ehemänner und Liebhaber sind neben ihr klein und das verstärkt nur den Eindruck, dass Lulu eine einzigartige und unkonventionelle Frau ist. Auch Kostüme für Chýlkovás Lulu verdienen erwähnt zu werden. In Prag war dafür Irena Marečková zuständig. Sehr bedeutend ist dabei die Tatsache, dass das Kostüm des Pierrots, in dem Lulu auf dem Gemälde abgebildet ist, beibehalten wurde. Pierrot ist eine männliche Figur aus dem französischen Theater; stumm, weiß geschminkt, sehr oft naiv und melancholisch. Hier kann man sogar mehrere Verbindungen mit Lulu sehen. Obwohl Lulu im Unterschied zu Pierrot nicht stumm ist, haben ihre Wort keine große Bedeutung für ihre Liebhaber. Sie will nur, dass sich jemand auch für sie interessiert, ohne dass sie sich ändern oder anpassen muss. Stattdessen wird sie als eine Frau inszeniert, von der alle immer etwas wollen. Aus Naivität lässt sich diese weibliche Gestalt den Namen ändern und sich vorschreiben lassen, wie sie leben soll. Aber auch andere Kostüme, die Lulu durch das ganze Stück trägt, unterstreichen ihren aktuellen Zustand. Wenn Sie mit Schwarz verheiratet ist, trägt sie nur einen langen roten Morgenmantel. Das deutet den Luxus an, in dem Lulu gerade lebt. Sie

18 hat genug Geld und keine Verpflichtungen. Sie ist nur eine Zerstreuung für ihren Ehemann.

Ein weiterer interessanter Punkt in dieser Inszenierung, der ebenso hervorgehoben sein sollte, ist die Musik. Obwohl sie nicht so auffällt wie die Beatbox in der Brünner Bearbeitung , bildet sie einen wichtigen Teil des Stückes. Gleich am Anfang kommt ein Mann auf die Bühne, der ein Lied über Lulu singt. Diese groteske Melodie wird dann vor jedem Akt gespielt, nur mit anderen Wörtern. Dank diesem Lied wissen wir immer in welchem Zustand sich Lulu gerade befindet. Das sich gerade Strnisko für solch eine kleine Groteske entschieden hat, hängt bereits mit dem ursprünglichen Drama Büchse der Pandora zusammen. Wedekind selbst stellte Lulu 1902 mit der Hilfe des Zirkusprinzipals als schönes wildes Tier vor, das dressiert wird. Dieser tanzende Mann in der Inszenierung aus Činoherní Klub ist dem Prinzipal sehr ähnlich. Mit witzigen Wörtern beschreibt er die Situation, sorgt für Entspannungund lockt die Zuschauer zu dem nächsten Akt. Strnisko wollte aber die Groteske und Übertreibung auch in anderen Momenten der Vorstellung beibehalten. Der Sohn von Dr. Schöning ist ein gutes Beispiel dafür. Von Anfang an ist er eine komische Figur in dieser Theateraufführung. Er wirkt nicht ungeschickt oder plump, was typisch für die Groteske ist. Stattdessen ist er verrückt und in manchen Momenten sogar pervertiert. In der Szene, wo Lulus aktueller Ehemann, der Maler Schwarz, Selbstmord begeht, geht er sich mehrmals lächelnd seine Leiche anschauen. Er will darüber sogar ein Theaterstück schreiben.

Es ist anzumerken, wie das ganze Stück endet. Bei der Aufnahme der Inszenierung aus HaDivadlo fehlt leider der letzte Akt, deswegen konnte ich mich nicht auf das Treffen von Lulu und ihren Mörder Jack the Ripper konzentrieren. Wenn sich Lulu in London befindet und als Prostituierte arbeitet, kommen Kunden zu ihr, die eigentlich ihre toten Liebhaber sind. Am Ende des Stückes kommt zu Lulu ihr letzter Kunde, Jack the Ripper. Er wird von Dr. Schöning dargestellt. Dr. Schöning ist die Figur, die Lulu als kleines Mädchen vor dem Leben auf der Straße rettete und später für sie sogar einen Ehemann findet, damit sie Aussichten auf eine bessere Zukunft hat. Am Ende spielt der gleiche Schauspieler die Figur, die Lulu ebenso in gewissem Sinne rettet. Obwohl sie ermordet wird, ist es für sie eine Art Erlösung vom Leben, damit sie nicht mehr die Plagen der Prostitution ertragen muss. So schließt sich der Kreis. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass in der ganzen Bearbeitung von

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Strnisko die Männer ein weißes Make-up tragen. Das soll ein Symbol dafür sein, dass sie alle für Lulu in ihrem Leben eine nicht besonders wichtige Rolle spielten. Sie waren nur Figuren auf dem Weg zu ihrem eigenen Ende. Je mehr Liebesbeziehungen sie erlebt, desto mehr ist sie sich sicher, dass sie nichts mehr vom Leben erwarten kann.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich in Prag um eine gut durchdachte Inszenierung handelte. Obwohl die Aufführung von Strnisko ziemlich lang war, war sie nicht schleppend oder langatmig. Dafür kann man vor allem der Hauptdarstellerin gratulieren, weil sie diese sehr komplizierte Rolle gut spielte und den Zuschauern das Bild von einer bis zum bitteren Ende selbstbewussten Frau präsentierte.

5.2. Die Monstertragödie in Tschechien. Ein Presseecho.

Lulu wurde auf den tschechischen Bühnen bis heute nur drei Mal aufgeführt. Zum ersten Mal konnte man die Tragödie Lulu in der Tschechischen Republik erst im Jahre 1994 zu sehen. Gleich nach der Aufführung im April 1994 im Činoherní klub wurde diese Inzensation auch mehrmals rezensiert.

Man sagt, dass jede Inszenierung genauso gut ist, wie ihre Hauptdarstellerin. In der Rolle der jungen Lulu erhielt Ivana Chýlková ein mehrfaches Lob von vielen Kritikern.

Radka Prchalová schrieb in ihrer Rezension, Chýlkovás Auffassung von Lulu entspricht genau der Charakteristik von Karl Kraus. Bemerkenswert ist auch der Wechsel von tragischen Szenen und grotesken Momenten. Zwar wurde diese Inszenierung vom Publikum nicht begeistert aufgenommen, trotzdem bestätigte aber die Aufführung, dass der Text aus der Feder Frank Wedekinds ihren Reiz nicht verloren hat.20

20 PRCHALOVÁ, Radka. „… Láska je její život“. Večerník Praha. 19. 4. 1994. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Inscenace Lulu bude […] přijata velmi nejednoznačně. Přesto se však domnívám, že životaschopnost Wedekindova textu i po stu letech prokazuje. 20

Andere Kritiker waren ebenfalls der Meinung, dass dieses Werk auch heutige Zuschauer ansprechen könne. Der Grund, weswegen es nicht viel früher zu einer Aufführung kam, lag in dem puritanischen Geschmack der Theaterlandschaft.

Richard Emil zählt auch zu denen, die die Leistung von Ivana Chýlková positiv bewertet haben. Sie habe Lulus Leben in unbarmherziger Weise und auf perfekte Art überzeugend dargestellt. Nur am Ende blieb ihr noch so viel Energie und Kraft, die alle in dem Saal im Zweifel gelassen hat, wie das Stück endet.21

In der Lidové noviny (19. 4. 1994) wurde auch Irena Marečková erwähnt, die für die Kostümarbeit zuständig war. Es ist ihr gelungen, durch die Kostüme nicht nur die schauspielerische Leistung von Chýlková zu unterstützen, sondern auch die Verwandlung Lulus dadurch zu zeigen.

Obwohl die Hauptdarstellerin gut ist, wie in mehreren Kritiker konstatiert wurde, bedeutet das nicht, dass die gesamte Inszenierunh positiv bewertet wurde. Interessanterweise gibt es sogar völlig gegensätzliche Meinungen, wenn es um die Darstellerin der Lulu geht.

Vor allem der erste Teil der Inszenierung sei weitschweifig, es fehle am Tempo […]22, bemerkte Vladimír Hulec in seiner Kritik. Nicht nur, dass die Radikalität von Wedekinds Text nur dank der adäquaten Übersetzung von Josef Balvín behalten wurde, sondern auch die Leistungen einzelner Schauspieler seien nicht genug ausdrucksvoll. Von Anfang an ist Chýlková auf der Bühne zu ergeben und das lässt ihrer Figur keinen Raum für eine Verwandlung in der zweiten Hälfte der Vorstellung.

Sehr ähnlich äußerte sich zu dieser Bearbeitung von Lulu Vladimír Mikulka. Obwohl die Inszenierung einen provokativen Titel trage, ist sie überraschend lang.23 Weil diese Bearbeitung voll von schauspielerischen Klischees ist, lockt sie zuverlässig einen durchschnittlichen Zuschauer herbei.

21EMIL, Richard. Vzestupný pád uhrančivé Lulu. Práce. 20. 4. 1994.

22HULEC, Vladimír. Ivana Chýlková jako femme fatale. MF Dnes. 3. 5. 1994. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Zvlášť první část inscenace je rozvleklá, chybí jí tempo

23MIKULKA, Vladimír. Hra na odvážnost. Denní telegraf. 21. 4. 1994. Übersetzt von K.H.; Originaltext: Navzdory volbě provokativního titulu inscenace udivila nejvíce zdlouhavou nezáživností […]. 21

Obwohl manche Kritiken Vorbehalte zur diesen Version von Vladimír Strnisko hatten, wurde sie, gleich wie die Bearbeitung aus Brno, eher positiv aufgenommen.

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6. Lulu auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg

Im Deutschen Schauspielhaus Hamburg wurde diese Monstertragödie bereits 1988 uraufgeführt. Als Vorlage wurde zum ersten Mal der unzensierte Text genommen. Die Regie übernahm Peter Zadek, der bereits in Bremen das Theaterstück Frühlings Erwachen, inszenierte. Bevor diese Lulu-Version veröffentlicht wurde und die zusammengefassten Dramen Büchse der Pandora und Erdgeist von den Theaterbühnen verschwunden sind, hat das ein ganzes Jahrhundert gedauert. Zadek erinnert sich an seine erste Begegnung mit der Urfassung des Dramas mit Worten:

„Plötzlich (im Sommer 1986) liegt die eigentliche LULU auf dem Tisch, die Urfassung. DIE BÜCHSE DER PANDORA. EIN BUCHDRAMA. Eckig, nicht perfekt, obszön, pubertär, nicht mehr geleckt, unschick. Szenen und Charaktere fehlen. Das Ding ist aus einem Guss, klar, sauber, ganz nah bei FRÜHLINGSERWACHEN. Fünf Akte. Ein Abend, nicht ein zusammengestoppeltes Stück, das eigentlich sieben Stunden laufen sollte.“24

Es bedeutet für Zadek einen großen Aufwand, dieses Stück zu einstudieren. Dass es ihm gelungen ist bestätigt die Tatsache, dass nicht nur die Hauptprotagonisten, sondern auch der Regisseur selbst für dieses Stück gelobt wurden. Für diese Aufführung Lulus erhielt Zadek den Fritz-Kortner Preis.

24 CATANI, Stephanie. Das fiktive Geschlecht: Weiblichkeit in anthropologischen Entwürfen und literarischen Texten zwischen 1885 und 1925. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005. ISBN 3826030990. [online]. URL: https://books.google.cz/books?id=ONcgeG9gAW8C&pg=PA192&lpg=PA192&dq=zadek+lulu+urau ff%C3%BChrung&source=bl&ots=VXNusscIre&sig=- h4ZJNILiI3zFTe_BhLqIhD1p2s&hl=cs&sa=X&ved=0ahUKEwi4ksOp07vLAhWLCHMKHYa4Dro Q6AEIODAE#v=onepage&q=zadek%20lulu%20urauff%C3%BChrung&f=false. Letzter Zugriff am 20. 4. 2016. 23

6.1. Lulu in Bearbeitung von Peter Zadek

Beide Bilder, die sich in dem Atelier von Schwarz befinden sollen, sind bereits vor dem Vorhang platziert. Im Unterschied zur Bearbeitung dieses Stückes im Činoherní klub, wo Lulu auf dem Gemälde sehr elegant und zart veranschaulicht wurde, sieht sie auf dem Bild in dieser Aufführung nicht so gepflegt aus. Auf den ersten Blick sehen ihre Haare zerzaust. Das weckte bereits Zweifel, ob sie ein so wunderschönes Geschöpf ist, wie sie dann in dem Gespräch von Dr. Schöning und Maler Schwarz beschrieben wird. Wenn sich der Vorhang hebt, kann man auch den Rest des Ateliers sehen. Ganz hinten steht ein Sofa, in der Mitte der Bühne dann ein kleiner Tisch mit einem Stuhl drauf. Auf diesem Stuhl sitzt später Lulu, wenn sie zu posieren kommt. Neben dem Tisch steht dann noch einen Paravent hinter dem sie sich umziehen kann.

Die Hauptfigur Lulu wurde von dargestellt. Obwohl Peter Zadek in die Rolle eine 28 jährige Schauspielerin besetzt hatte, wollte er nicht, dass Lulu eine Dame ist. „In der LULU ein Kind ist [sic]25 und keine erwachsene Frau.“26 Und diese Schauspielerin entsprach vollkommen seiner Vorstellung.

Diese weibliche Gestalt wurde in Zadeks Version dieser Tragödie völlig anders dargestellt, als auf den tschechischen Bühnen. Bereits als sie zum ersten Mal auf die Bühne kommt, ist der markante Unterschied unübersehbar. Anstatt einer schönen, selbstbewussten und vor allem zauberhaften Dame, wie Lulu von Dr. Schöning und Maler Schwarz beschrieben wird, erscheint in dem Atelier eine gekrümmte Frau mit einem Kaugummi im Mund. Wenn sie dann auf dem Stuhl sitzt und posiert, schämt sie sich überhaupt nicht, sich auf dem Hintern zu kratzen. Obwohl sie schon länger nicht auf der Straße lebt, merkt man immer noch an, aus welchem Milieu sie kommt. Lulu fehlt in dieser Bearbeitung auf den ersten Blick die Grazie und gute Erziehung. In dieser Theateraufführung ist sie eher einem großem Kind ohne Scham als einer jungen Dame ähnlich. In der Inszenierung kommen mehrere Momente vor, die diesen Ausdruck nur verstärken. Als Dr. Schöning ihr mitteilt, dass er bald ein anderes Mädchen heiraten will, benimmt sie sich wie ein dickköpfiges kleines Kind,

25 Die Wortfolge ergibt sich daruas, dass es im Interview vorher einen dass-Nebensatz gab.

26 Abschied von Peter Zadek: Susanne Lothar; „Ich Worde ständig rot“. Hamburger Abendblatt. 5. 8. 2009. [online]. URL: http://www.abendblatt.de/kultur-live/article107541140/Ich-wurde-staendig- rot.html. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016.

24 das mithilfe aller möglichen Mittel durchzusetzen versucht, was es möchte. Während im Činoherní klub Lulu eher das Unverständnis mit seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, läuft sie in der Bearbeitung von Zadek auf der Bühne herum, zieht sich nackt aus, legt sich auf den Boden und tritt wild um sich. Nicht nur ihr Trotz und Widerspenstigkeit entspricht Zadeks geplanter Vision, dass sie keine erwachsene Frau verkörpern soll. Als sie ihren ersten Ehemann verliert, kommt sie auf die Bühne ganz nackt und fragt Schwarz, ob er ihr mit Anziehen helfen kann. In der Bearbeitung des Regisseurs Strnisko aus Prag rief Lulu mit diesen Wörtern bei den Zuschauern das Gefühl hervor, dass sie den Maler Schwarz verführen will. In Hamburg kommt sie ganz nackt auf die Bühne und wirf ihre Klamotten auf den Boden. Damit wird veranschaulicht, dass sie nicht selbständig ist. Sie kann nicht allein bleiben, sie braucht immer Hilfe von jemandem, auch wenn es um so banale Sachen wie das Ankleiden geht.

Außer dem Kindlichen und ihrer verspielten Seite, die die Zuschauer gleich bemerken, ist Lulu in der Aufführung von Zadek auch einem gut dressierten Tier ähnlich. Bereits in der Büchse der Pandora wurde über diese Frau als über ein wildes Tier gesprochen. Obwohl der Prolog in dieser Inszenierung fehlt, hat Zadek darauf nicht völlig verzichtet, Lulu mit einem Tier zu vergleichen. Wenn ihr erster Ehemann Goll leblos auf den Boden fällt, zieht sie ihn aus und beschnüffelt ihn, wie ein kleiner Hund. Auch als dann ihr Vater Schigolch zu ihr kommt, um etwas Geld zu erbetteln, benimmt sie sich in manchen Momenten völlig wie ein Welpe. Sie liegt ihm bei den Füßen, und wenn er weg gehen will, zerrt sie an seinen Mantel. Immer wenn sie jemand, der eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt, verlassen will, gibt sie nach. Bei Schigolch geht es um den Mantel, bei Dr. Schöning um seine Krawatte. Das verstärkt nur das Gefühl, dass für sie diese Männer in ihrem Leben wichtig sind, oder dass sie sich in ihrer Nähe gut fühlt. Sie fühlt sich ohne sie unsicher. Sie will nicht einmal einen Moment allein bleiben. Genauso wie ein Hund, der seinem Herrchen vertraut. Mit diesem Verhalten zeigt sie ebenso ihre Anpassungsfähigkeit. Wie ein Tier lässt sie sich dressieren, sie lässt sich von ihren Ehemännern ihr Leben diktieren.

Für Bühnenbild und Kostüme war Johannes Grützke zuständig. Während im Činoherní klub Lulu in dem Atelier als Pierrot auf die Bühne kommt, wie es eigentlich in der Vorlage von Wedekind steht, sowohl in Brno, als auch in Hamburg hat das Kreative Team ein anderes Kostüm für Lulu gewählt. Wie schon erwähnt

25 wurde, war es im HaDivadlo das weiße Kleid. Die weiße Farbe begleitet dann Lulu bis zum Ende des Stückes. Im Hamburger Schauspielhaus kommt sie auf die Szene nur in einem grünen Badeanzug mit nackten Schultern angezogen. Auf dem Kopf hat sie ein Käppchen, gleich wie Soldaten es tragen, und in der Hand hält sie die amerikanische Flagge. Dieses Kostüm ähnelt einem Pin-up Poster der 50er Jahre. Solche Poster betonen die Weiblichkeit. Lulu sieht in diesem Kostüm wie eine erwachsene Frau aus, obwohl es nicht ihrem Verhalten entspricht. Das hängt auch damit zusammen, dass Zadek in den Rollen von Lulus Ehemännern ältere Schauspieler besetzte. Sie wählen für Lulu weibliche Klamotten, damit sie nicht mehr als ein Kind aussieht, sondern als eine reizvolle junge erwachsene Frau. Eine weitere Tatsache, die erwähnt sein sollte, ist, dass Zadek der einzige von diesen drei Regisseuren ist, der sie auch nackt spieln lässt. Es kann natürlich damit zusammenhängen, dass Inszenierungen auf deutschen Theaterbühnen meistens mehr gewagt sind. Da das tschechische Publikum nicht gewöhnt ist Nacktheit auf der Bühne zu sehen, würde eine solche Bearbeitung wahrscheinlich zum Skandal führen. Auf den Theaterbühnen in Deutschland ist Nacktheit eine ganz übliche Sache. Fast die ganze erste Hälfte des Stückes bewegt sich Susanne Lother auf der Bühne nackt. Ihre Nacktheit soll aber nicht nur die Erotik und Erregung darstellen, von der diese Inszenierung voll ist. Es geht nicht nur um den enthüllten Körper, sondern auch um ihre Seele. Im Unterschied zu Lulu bleiben alle Ihre Ehemänner in allen Szenen vollständig angezogen. Dieser große Unterschied verstärkt dann nur ihre Verletzbarkeit.

Die Musik in dieser Bearbeitung ist nicht so ausdruckvoll und wichtig wie die Beatbox, für die sich Porubjak in seiner Version entschieden hat. Zadek benutzt Musik wirklich nur in den Momenten, wenn sie helfen kann, die Situation besser zu beschreiben oder die Beziehungen zwischen den Figuren besser zu erklären. Als Beispiel kann man die Szene nennen, wo Schigolch zu Lulu kommt. Sie zieht ihm seine Schuhe aus und beide singen ein Kinderlied zusammen. Es sieht so aus, als ob sie für diesen Moment in ihre Kindheit zurückkehren würde. Dieses Lied hat eine ähnliche Funktion, wie die Kinderreime in der Bearbeitung aus Brno. Es stellt dar, dass sich Lulu immer noch als ein Kind fühlt, das die Liebe des Vaters braucht.

Eine weitere interessante Tatsache ist, dass Zadek in seiner Bearbeitung mehrere Sprachen verwendet. Für mehrere Sprachen hat sich auch Porubjak in seiner

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Bearbeitung dieser Tragödie entschieden. In diesem Fall war das aber aus dem Grund, dass der Schauspieler Marián Chalány in seiner Rolle (Maler Schwarz) mehr überzeugend war, wenn er slowakisch, also in seiner Muttersprache, sprach. Auf einer Seite ist es für die Zuschauer in Hamburg schwieriger, das Drama zu verstehen, als wenn alle Repliken in Deutsch wären. Andererseits wird mithilfe von verschiedenen Sprachen gut gezeigt, wo sich Lulu gerade befindet. Als sie in Frankreich ist, werden die meisten Repliken auf Französisch gesprochen, als sie sich dann in London befindet, spricht sie mit ihren Kunden Englisch. Dieser Sprachwechsel hilft auch dazu Dynamik in dieses ganz langen Stück bringen.

Wie schon bemerkt wurde, wurde im Činoherní klub die Rolle von Jack the Ripper von demselben Schauspieler gespielt wie die von Dr. Schöning. In dieser Aufführung aus Hamburg wurde es anders gemacht. Zadek hat darauf verzichtet, den gleichen Schauspieler für beide Rollen zu benutzen, obwohl es so bereits Wedekind beabsichtigte. Das kann damit zusammenhängen, dass für Zadek alle Männer in Lulus leben eine genauso große und wichtige Rolle spielen und Dr. Schöning keine besondere Stellung hat. Alle haben sie beeinflusst. Deswegen wurde auch ihr Mörder, Jack the Ripper, durch einen jungen Schauspieler dargestellt, der als Repräsentant aller Männer in Lulus Leben dienen soll.

Obwohl das Stück immer noch ein kontroverses Thema behandelt, wurde diese Bearbeitung, trotz einiger negativen Kritiken in Medien, nicht nur von den Zuschauern geschätzt. Die Lulu-Inszenierung, die die Aufführung des Jahres wurde, war einer der größten Erfolge von Peter Zadek.

6.2 Lulu-Inszenierung in deutschen Medien

„Man spielt in Hamburg die „Urfassung“ des Stücks zum ersten Mal auf dem Theater – jenen „Lulu“-Text also, der noch ganz frei zu sein scheint vom Druck der Zensur und Selbstzensur.“27 Das, was von der Premiere solch eines kultigen Textes erwartet wurde, wurde nicht ganz erfüllt. Kritisiert wurden nicht nur die Figuren, denen eine

27 HENRICHS, Benjamin. In der Provinz der Sinne. Zeit Online. 19. 2. 1988. [online]. URL: http://www.zeit.de/1988/08/in-der-provinz-der-sinne. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016. 27 gewisse Schärfe fehlte, sondern es wurde auch beanstandet, dass es dem Drama. Obwohl Zadek einen ganz starken Anfang lieferte und eine interessante Vision für das Ende plante, zog sich der Rest der Vorstellung langsam dahin. Man kann nicht sagen, dass es sich um ein misslungenes Stück handelt, aber eher um eine Inszenierung, die nicht unter die Haut geht.

Während die tschechischen Inszenierungen ohne große Probleme angenommen wurden, sorgte die deutsche Bearbeitung von Peter Zadek bereits vor ihrer Aufführung für einen Skandal. Dieser zensurfreie Text wurde mit einem entsprechenden Plakat ergänzt, für das der bekannte österreichische Maler und Grafiker Gottfried Helnwein zuständig war. Es wurde nicht nur in deutschen (u. a. Der Spiegel, Westdeutsche Allgemeine…), sondern auch österreichischen Medien (z. B. Neue Kronen-Zeitung) mehr als die Inszenierung selbst behandelt. „Es zeigt in einer Art retuschiertem Realismus den entblößten Unterleib einer Frau. Davor steht, perspektivisch verkleinert ein Mann; es ist der Schauspieler Heinz Schubert in der Rolle des Schigolch.“28

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28Provozierende Plakate. Westdeutsche Allgemeine. 13. 2. 1988. [online]. URL: http://www.helnwein- archiv.at/171/lulu_hamburger_schauspielhaus_1988.html. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016.

29 HELNWEIN, Gottfried. Plakat zur Zadeks Lulu-Inszenierung. 1988. [online]. URL: https://frlcharlie.wordpress.com/2014/12/07/lulu-theaterlieblingsakate/. Letzter Zugriff am 11. 4. 2016. 28

Dies erregte einen großen Unwillen. Manche hielten es einfach für Pornografie und es entstand sogar die Frage, ob das Plakat eher frauenfeindlich oder männerfeindlich ist. Kultursenator Ingo von Münch sagte, dass für ihn persönlich dieses Plakat unerträglich frauenverachtend sei. Er hoffe, die Inszenierung werde besser als das Plakat.30 Trotz dieser Welle von Protesten behauptet Helnwein, dass dies total zur Inszenierung von Zadek passe, die auch nicht schüchtern sei.31 Er habe dabei "mit Protesten nie gerechnet" und finde das Motiv sowieso nur "bieder".32

30Blick in den Unterleib. Abendzeitung, München. 11. 2. 1988. [online]. URL: http://www.helnwein- archiv.at/172/lulu_hamburger_schauspielhaus_1988.html. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016.

31 Ebd.

32MELCHART, Erwin. Der kleine und die Riesin. Neue Krone Zeitung. 16. 2. 1988. [online]. URL: http://www.helnwein-archiv.at/260/lulu_von_frank_wedekind_hamburg_1988.html. Letzter Zugriff am 8. 4. 2016. 29

7. Schluss

Das Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit war, drei verschiedene Inszenierungen der Monstertragödie Lulu von Benjamin Franklin Wedekind zu analysieren. Anhand dieser Analysen versuchte ich zu untersuchen, ob die Hauptfigur Lulu als Femme fatale charakterisiert werden kann, oder ob es sich nur um ein missbrauchtes Mädchen handelt. Um diese Frage zu beantworten, habe ich mich nur auf einige wiederholt vorkommenden Szenen und ihre Beziehungen zu gewissen Figuren aus den verschiedenen Bearbeitungen konzentriert, die nach meiner kritischen Meinung diese weibliche Gestalt gut beschreiben oder charakterisieren. Obwohl Lulu in jeder Aufführung anders dargestellt wird, behält sie ein bisschen von beidem − sie ist durchtrieben und einfältig zugleich. Dank dieser ambivalenten Möglichkeit, also Lulu entweder als Kind oder eher als erwachsene Frau zu interpretieren, ist dieses Drama auch heutzutage nicht nur für Regisseure, sondern auch für Zuschauer sehr attraktiv.

Ich bewertete in einem Teil der Arbeit auch das Presseecho vor allem der Inszenierungen von Porubjak und Strnisko. Obwohl sich die Rezensionen, wenn es um die Bewertung der Darstellerin in der Hauptrolle handelt, deutlich unterscheiden, wurden beide Bearbeitungen eher positiv bewertet und damit nur die Aktualität dieses mehr als hundert Jahre alten Stückes bestätigt.

Auf das geplante Kapitel, dass Strniskos und Porubjkas Lulu zwischen den ersten Teil Erdgeist und dem zweiten Teil Die Büchse der Pandora verorten sollte, musste aus Zeitgründen verzichtet werden. Man kann in der Diskussion bei der Verteidigung noch darauf eingehen.

Gewiss zählte Frank Wedekind zu den meist gespielten Dramatikern seiner Zeit. Seine Werke sind aber auch nach hundert Jahren immer noch aktuell. Deswegen können wir seine Dramen immer wieder in Spielplänen sowohl größerer als auch kleinerer Theater finden.

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8. Literaturverzeichnis

8.1. Primärliteratur und Quellen

WEDEKIND, Frank. Werke. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1996. ISBN 3-423-59031-9.

WEDEKIND, Frank: Lulu [DVD]. Regie: Martin Porubjak. HaDivadlo Brno. Die Uraufführung im Brno am 4. 4. 2007.

WEDEKIND, Frank: Lulu [DVD]. Regie: Peter Zadek. Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Die Uraufführung im Hamburg 1988.

WEDEKIND, Frank: Lulu [DVD]. Regie: Vladimír Strnisko. Činoherní Klub Praha. Die Uraufführung im Praha am 17. 4. 1994.

8.2. Sekundärquellen

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