Körpersprache Wird Entdecl<T
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Wer hat bisher wirklich gewußt (außer denen, wissens», sie einzudringen versucht - beide die es vielleicht noch gesehen haben), was triebgestörte Hirnwesen. Meyerhold meinte, als er die «Biomechanik» Ebenso unvergeßlich für mich und der inten- als neue körperliche Theatersprache forderte sivste körperliche Ausdruck der inneren Situa- Körpersprache und praktizierte? Das Aufregende an der Auf- tion: die Szene zwischen Isabella und Claudio, führung Peter Zadeks (sie hat mit seinen frü- in der er Todesangst empfindet und sie ihn heren Arbeiten wenig zu tun, sie zeigt ihn wie- sterben heißt, weil sie es nicht vermag, ihre wird derum auf dem Wege und zugleich bei Resul- «Ehre» für ihn zu opfern. Die beiden hocken taten angelangt) ist die Erfindung, die Entwick- auf dem Boden, er schmiegt sich an sie, fast in lung, die Fixierung, die Realisierung einer Kör- sie, wenn er seine Angst herausstößt, sie, zu- entdecl<t persprache für das Schauspieltheater. (Die vier nehmend befremdet, schiebt sich schließlich von Hauptwörter wurden hingeschrieben, um die hinten, sitzend an den Sitzenden, schlingt ihre Schwierigkeit des Unternehmens zu kennzeich- Beine um seine Schenkel und drückt diese nen.) Aber bitte kein Mißverständnis: diese Schenkel auseinander und herunter, ihn (wenn Peter Zadek inszeniert eine freie Version Sprache stellt keinen totalitären Anspruch, nie- man so will) hart «dem Tode öffnend». Hier von Shakespeares »Maß für Maß» mand ist gezwungen, sie anzuwenden, und es hat sich ihre Leidenschaft zur bigotten Hysterie am Bremer Theater mag sein, daß sie mit dieser einen Aufführung verfälscht, ihre Kleinmädchen-Zagheit, die vorm nicht nur entstand, sondern auch vergeht. (In Opfer der Jungfräulichkeit scheut, äußert sich der Aufführung selbst wird - das gehört zu mit infantiler, verklemmter Härte: «Der Teifi ihren Eigenarten, auf die noch einzugehen sein verkleidet sich auch in heilige Gestalten und wird - der ästhetische Kanon, den sie selbst von Henning Rischbieter verdeckt sogar den Pferdefuß sehr geschickt und setzt, auch wieder zerstört.) listig und wirkt wie ein echter Heihger. Da muß es Angelo gelernt haben. Kannst du dir Beispiele iür Biomechanik vorstellen, Claudio: Wenn ich mit ihm in die Heia gehe, bist du frei.» Eine Körpersprache, kein Ballett, kein Aus- druckstanz, keine Pantomime - keine gestische Sperrs Bearbeitung Stilisierung. Beispiele müssen her: Die Spieler, die Angelo und Eskalus darstellen, springen Das Zitat verlangt, von der Bearbeitung des von entgegengesetzten Seiten, einander an den Stückes zu reden. Daß Shakespeare nicht so ge- Händen haltend, auf einen Stuhl, stehen da spielt wird, wie es im Buche steht, ist schon oben, exponiert, eng voreinander, mit kreischen- deuthch geworden. Was sprachlich geschah, den Stimmen hecheln sie gegeneinander: nach läßt sich schwarz auf weiß nachprüfen: das des Herzogs angeblicher Abreise auf einem en- Programmheft enthält den Text der Überset- gen Herrschaftssitz miteinander konkurrierend. zung und Bearbeitung des Stückes durch Martin Zweitens: Lucio und seine schwangere Freundin Sperr, Peter Zadek und Burkhard Mauer. Sperr Julia, vom drakonischen Sittengesetz betroffen, hat (mit seinen dreiundzwanzig Jahren offen- stehen vorm Stephansdom am Pranger: Sie ste- bar ohne viel Federlesens der Meinung: «wir hen Kopf auf Stühlen, durch ihre gegrätschten können den Shakespeare ändern, wenn wir ihn Beine sprechen die Pranger-Wächter in breitem, ändern können») sich der Schwierigkeiten ent- wie zitiertem, schleimig-gemütlichem Wiene- schlagen, vor denen etwa Ludwig Berger und risch. Drittes, leicht mißzuverstehendes Beispiel: Bertolt Brecht standen, als sie Ende der zwan- Lucio, in dieser Aufführung kein Untugend- ziger Jahre das gleiche Stück bearbeiten woll- Bold, sondern die harte, erregte Stimme der ten. Darüber hat Ludwig Berger im August- Gegner der Bigotterie, trifft den in Kutte und Heft dieser Zeitschrift berichtet. Berger sprach Kapuze vermummten Herzog (das einzige ver- von drei Schwierigkeiten: i. Isabella unter- wendete Kostüm). Er erkennt ihn und nutzt die nimmt keinen Versuch, ihren Bruder zu retten, Verkleidung des andern aus, um ihm die Wahr- auch nicht durch scheinbares Nachgeben gegen- heit zu sagen, er «führt ihn an der Nase her- über Angelo. 2. Daß Mariana statt Isabella mit um» : der Schauspieler ergreift die Nase des an- Angelo schläft, und wie diese Vertauschung dern und zieht ihn hinter sich her, in Bögen arrangiert wurde, erfährt man nur berichts- über die Bühne. (Hier ist also auf eine naive weise. 3. Der Schluß ist unbefriedigend: Angelo Weise körperlich «Ernst» gemacht mit einer kommt glimpflich davon, der Zuschauer mag inneren Situation.) zweifeln, ob Mariana, die der Herzog dem An- Bewähren aber muß sich diese Körpersprache gelo antraut, mit dem Psychopathen glücklich im Zentrum der Aufführung, bei den Szenen wird. Bühne von Wilfried Minks der Isabella. Sie ist hier ein leidenschaftliches Wie hat sich Sperr der Schwierigkeiten ent- Wesen: fast immer setzt sich ihre Emotion, die schlagen? Indem er den Herzog ins Zwielicht in sich die widerspruchsvollen Möglichkeiten setzte, ihn, Angelo und auch Eskalus zu bös- des Zorns, des Mutes, aber auch der Bigotterie artigen Herrschern machte. Sie sind eine Cli- birgt, in Bewegung um: zuckender Kopf, daß que. Lucio vertritt das Volk, das die Bigotterie die Haare fliegen, rollende Schultern, aus dem als Herrschaftsmittel nicht will. Isabella hat an Schultergelenk geschleuderter, hinweisender, beiden Sphären teiL sie ist - wie oben geschil- anklagender Arm. Sie springt, ihres Bruders dert - eine von einem großen Widerspruch ge- Claudio Leben fordernd, an Angelo hoch, spannte, fast zerrissene Figur. Die Sache geht der auf dem Stuhl steht, bohrt ihren fordernd schlecht aus: der Herzog läßt es zu, daß Clau- gereckten Zeigefinger fast in dessen Nase. Auf dio hingerichtet wird, er tötet Angelo und Ma- dem Höhepunkt ihrer Auseinandersetzungen, riana und bemächtigt sich der Isabella. Er über- als Isabella die Hingabe und Angelo die Be- tyrannt den Tyrannen. gnadigung endgültig verweigert, sind sie inein- ander verschlungen, die Darstellerin der Isa- Spannung, Überspannung, Zerstörung bella um den Kopf, die Brust des Angelo-Dar- stellers geschlungen, sie für ihn ein kreischen- Aber hier ist einzuhalten. Dieser Verlauf der des Opfer ebenso wie ein Alpdruck, er für sie Sache geht aus dem Bremer Programmheft her- ein Hartkopf, in dessen Schädel, Sitz des «Ge- vor, wesentliche Schritte sind dabei nur aus den 24 kursiv gedruckten Szenenanweisungen zu ent- nenen Buch von Chargesheimer und Walser Peter Zadek über seine Arbeitsweise nehmen. Die aber stellen, einem beigefügten «Theater, Theater») im Hinblick aufs Theater Auf dem Plakat steht «Maß für Maß». Damit ver- Zettel zufolge, keine «notwendigen Bestand- überlegt und gefordert haben - bei aller Ver- bindet sich für den Zuschauer eine gewisse Erwar- teile der Bearbeitung» dar, sondern nur solche schiedenheit und auch Gegensätzlichkeit läuft tung. Die wird in dieser Inszenierung nicht erfüllt der «Bremer Szene». Und im Kursivdruck er- es hinaus auf etwas, was in dieser Aufführung werden. scheint außerdem auch ein noch weit radikalerer realisiert ist: knappe zwei Stunden begibt sich Ich habe angefangen, eine einigermaßen realistische Inszenierung von dem Stück zu machen. Dabei Eingriff: nach dem Gespräch zwischen Isabella durch Form nur mühsam gesicherte mensch- habe ich nach vierzehn Tagen Arbeit festgestellt, und Claudio in der Todeszelle (Bild 18), nach- liche Realität auf einer Bühne vor Publikum - daß die Vorgänge auf der Bühne den Vorgängen dem der Herzog Mariana als ehemalige Ver- keine Abstraktion, keine Stilisierung, sondern meiner Fantasie nicht entsprechen. Daroufhin habe lobte Angelos vorstellte (Bild 19), nachdem er Konkretes, nicht Spiel, sondern Identifikation ich mich entschlossen, neu anzufangen und rück- sichtslos nur das zu inszenieren, was von der (Bild eine merkwürdige Ansprache hielt, die und Steigerung der Identifikation - aber auch 20) Fantasie bestimmt wird, das, was beim Lesen endet «Und die Größe ist in einen Kampf gegen keine Verfestigung, keine Botschaft, schneller von «Maß für Maß» in der Fantasie geschieht. falsche Meinungen gezwungen, der ihr jede Abbruch der Steigerungen, Unterlaufen der ei- Größe in Taten versperrt» - nach alledem wird genen Expression um der Ehrlichkeit willen, Dieser Inszenierung liegt also kein «Stil» zugrunde, der «dicke Herzog» hinter der Szene «vom Volk schließlich sogar jene Zerstörung des ästheti- keine Theorie, keine bewußte ästhetische Haltung. Statt dessen eine subjektive intuitive Arbeit, von ermordet» - so eine Ansage-, und die Kupplerin schen Kanons am Ende. Bild zu Bild entwickelt mit dem einzigen Bestreben, Frau Meier erscheint in der Kutte des Herzogs, Wenn diese Aufführung von irgendwoher An- genau das auf die Bühne zu stellen, was mir bei krächzend, sie beherrscht, sie arrangiert, sie de- regungen empfangen hat, dann vom Living der sehr langen und detaillierten Vorarbeit an dem moliert den Schluß - das forcierte, dilettantisch Stück eingefallen war. Theatre. Auch dort gibt es körperlichen Aus- Erst die Begegnung mit dem Stück, mit dem Bear- wirkende, enervierende Getue des männlichen druck ohne Anleihe bei Ballett, Ausdruckstanz beiter, Martin Sperr - dann die Begegnung mit den Darstellers in der Kutte - er tritt mit Füßen um oder Pantomime, dort gibt es Exaltationen der Schauspielern und ihrer Fantasie. Die Fantasie sich, die Stimme ist unangenehm angespannt, Gliedmaßen als Entsprechung des seelischen