Herausgegeben vom Deutschen Akademischen Austauschdienst in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Deutsch als Fremdsprache

Nr. 4 27. Jahrgang August 2000

Inhalt Artikel Siegfried Gehrmann Lerntheoretische Defizite der Zweitsprachenerwerbsforschung am Beispiel der Phonetik 337 Susanne Günthner Grammatik der gesprochenen Sprache – eine Herausforderung für Deutsch als Fremdsprache? 352

Didaktik DaF / Tamás Kispál Aus der Praxis Sprichwörter in einem phraseologischen Wörterbuch 367 Heidi Rösch Migrationsliteratur im DaF-Unterricht 376 Margarete Ott Textanalyse als individualisierendes Verfahren zur Optimierung schriftsprachlicher Kompetenzen in der Fremdsprache 393 Gabriele Thelen-von Damnitz Internetgestützter DaF-Unterricht ganz anders 407 Jörg Braunert Grammatik in berufssprachlichen Lehrwerken oder: Kann der DaF-Anfänger berufssprachlich einsteigen? 414 Malte Jaspersen Radio-Magazin ›Nipponia Nippon‹. Entwicklung kommunikati- ver Fähigkeiten im Deutschunterricht. Ein Beispiel 428 Peter Hohenhaus Zur Verwendung humoristischen Materials im DaF-Unterricht 433

(Fortsetzung umseitig) 336

Berichte Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht in neuem Gewand – und mit gesenktem Preis! 449 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenun- terrichts: Resolution zur Fremdsprachenausbildung an Universi- täten 449 Germanistik im anglophonen Westafrika. Bericht vom 4. Kon- greß der NATOG (Nigerian Association of Teachers of German) (Michael Aulbach, Dakar) 450 Internationale Lexikographiekonferenz vom 30. März bis 1. April 2000 an der Universität Helsinki (Finnland) 454

Über die Autoren 460

Abstracts 462 337

Lerntheoretische Defizite der Zweitsprachen- erwerbsforschung am Beispiel der Phonetik

Siegfried Gehrmann

0. Einführung 3. den spekulativen Charakter der in der Seit den 70er Jahren wird in der phoneti- Aussprachelehre häufig eingesetzten schen Lehr-Lernforschung immer wieder Methoden, die nach Kelz »aufgrund das »Dilemma der Aussprachelehre« persönlicher Beobachtung und Erfah- (Barry 1975), ihre »Rückständigkeit […] – rung einzelner Sprachlehrer und nur in verglichen mit der pädagogischen Pro- Teilbereichen aufgrund einer Analyse blematisierung anderer Lernziele inner- des Lernprozesses entstanden [sind]« halb des fremdsprachlichen Unterrichts« (Kelz 1976: 106; vgl. hierzu auch Barry (Thurow 1977: 12) beklagt. Paradigma- 1975 und Gehrmann 1999). tisch hierfür steht die grundlegende Ar- Im folgenden wird den Ursachen dieses beit von Kelz (1976: 2) über Phonetische lernprozeßbezogenen Dilemmas der Aus- Probleme im Fremdsprachenunterricht, der spracheschulung nachgegangen. Hierbei den damaligen Forschungsstand zum wird deutlich, daß sowohl die Marginali- aussprachlichen Lernen in dem lapidaren sierung der Phonetik im Fremdsprachen- Satz zusammenfaßt, daß »das größte De- unterricht und -studium als auch das Me- fizit in dem Teilbereich des Zweitspra- thodendefizit in der Aussprachelehre chenerwerbs zu beklagen [ist], der die Folge einer theoretisch unzureichenden Aneignung einer korrekten Aussprache Konzeptualisierung des phonetischen Er- zum Ziel hat« (Kelz 1976: 2). werbsgeschehens ist, die aus der Perspek- An dieser Einschätzung der Forschungs- tive der jüngeren Geschichte der Disziplin und Lehrsituation im Bereich der Aus- betrachtet auf zwei wesentlichen theoreti- sprachelehre hat sich bis heute kaum schen Vorentscheidungen über den Cha- etwas geändert. rakter phonetischen Lernens beruht. Dies Autoren, die Defizite in der Erforschung ist zum einen die Orientierung der Aus- aussprachlicher Lehr-Lernprozesse be- spracheschulung an der Phonologie und klagen, beziehen sich vor allem auf drei hier insbesondere an der Kontrastiven Er- Teilgebiete: werbsanalyse, zum anderen die Auffas- 1. die Marginalisierung der Phonetik im sung von neurobiologischen und/oder Fremdsprachenunterricht und im entwicklungspsychologischen Grenzen Fremdsprachenstudium (z. B. Breitung oder Erschwernissen der Ausspracheer- 1994: 11; Kohler 1995: 16f.); lernung im Alter. 2. die ungenügende Erforschung und un- Beide Ansätze haben die Aussprache- terrichtliche Darstellung von richtiger lehre maßgeblich beeinflußt, indem sie Prosodie, richtiger Gesamtlautung (Ar- ein vom Lerner und vom konkreten arti- tikulationsbasis) und richtiger Erzeu- kulatorisch-motorischen Lernprozeßver- gung und Setzung der sprachcharakte- lauf weitgehend abstrahierendes Ver- ristischen und paralinguistischen Si- ständnis aussprachlichen Lernens in der gnale (z. B. Ungeheuer 1970; Kelz 1976); Phonetik etablierten, in deren Folge eine

Info DaF 27, 4 (2000), 337–351 338

Lernprozeßanalyse des phonetischen Er- lernerzentrierten, motorisch-kognitiven werbsgeschehens einschließlich einer dif- Grundlegung des zweitsprachlichen ferenzierten lerntheoretischen und -psy- Ausspracheerwerbs (Kap. 3). Die Dimen- chologischen Begründung der in der sion eines solchen Ansatzes für die Ana- Aussprachelehre eingesetzten Methoden lyse aussprachlicher Lernvorgänge wird nicht mehr notwendig erschien. abschließend dargelegt und aus der Ge- Es wird die These vertreten, daß ohne eine schichte der Phonetik entwickelt (Kap. 4). Revision beider Konzepte und ohne eine Neuorientierung der Ausspracheschulung 1. Phonologische Erwerbshypothesen am Innenaspekt phonetischen Lernens, und -ziele im Ausspracheunterricht d. h. an dem, wie der Lerner phonetische Als besonders konsequenzreich für die Reize in der Zielsprache intern verarbeitet, Ausspracheschulung hat sich die mit der speichert und in der artikulatorischen Aus- kontrastiven Analyse verbundene Erwar- führung kognitiv kontrolliert, das metho- tung erwiesen, durch einen linguistischen dische Defizit in der Aussprachelehre nicht Sprachvergleich der in Frage kommenden überwunden werden kann. Von einer sol- Sprachen Strukturdivergenzen und -iden- chen Neuorientierung ist die phonetische titäten zwischen Ziel- und Ausgangsspra- Zweitsprachenerwerbsforschung derzeit che feststellen und auf diese Weise interfe- noch weit entfernt, da zu jedem der oben renzfreie und interferenzanfällige zweit- angeführten Aspekte noch grundlegende sprachliche Aussprachebereiche vorhersa- Arbeiten über den sensomotorischen pho- gen zu können (vgl. exemplarisch die Auf- netischen Informationsumsatz im Lerner stellung von Schwierigkeitshierarchien fehlen bzw. dieser von den bisherigen Ana- und Fehlertypologien bei Moulton 1962, lyseverfahren in der Phonetik nicht oder Stockwell/Bowen 1965 und Kufner 1971). unzureichend erfaßt wird. Nach der starken Version der Kontrastiven Die nachfolgende Betrachtung skizziert Analyse entstehen Lernschwierigkeiten zunächst die theoretische und unter- immer dann, wenn der Grad der Ähnlich- richtsmethodische Tragweite systemlin- keit zwischen den phonologischen Daten guistischer Ansätze in der Aussprache- beider Sprachen abnimmt und strukturun- schulung (Kap. 1) sowie die Bedeutung terschiedliche Elemente überwiegen: der Altersvariable für den Aussprache- unterricht (Kap. 2). Aus der Kritik so- »We assume that the student who comes in wohl des phonologischen Erwerbsmo- contact with a foreign language will find dells als auch der »Altershypothese« in some features of it quite easy and others extremely difficult. Those elements that are der Phonetik wird das lernprozeßbezo- similar to his native language will be simple gene Dilemma der Ausspracheschulung for him and those that are different will be herausgearbeitet als das Fehlen einer difficult« (Clado 1957: 2)1.

1 Die Kontrastivhypothese wurde erstmals von Fries (1945) und Lado (1957) in den Fremdsprachenunterricht eingeführt. Zur psychologischen Literatur des »transfer of training« vgl. Lado (1972). Vereinfacht besagt die hier verwendete Transfer-Theorie, daß frühes Lernen bzw. früher Gelerntes auf späteres Lernen bzw. später Gelerntes einen Einfluß ausübt. Dieser ist positiv oder lernerleichternd (»positive transfer«), wenn die neue Lernaufgabe der alten extrem ähnlich ist; der Einfluß ist negativ oder lernerschwe- rend, wenn die Ähnlichkeit der neuen Lernaufgabe mit der alten abnimmt (»negative transfer«). Bei absoluter Unähnlichkeit ergibt sich »zero transfer«. Was unter Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit genau zu verstehen ist, wird von Lado nicht weiter ausgeführt. 339

Nicht weniger nachhaltig beeinflußte die mehr gewichtig genug erscheint, der Phonem-Orientierung als Lernziel den Phonetik mehr als einen marginalen Platz Ausspracheunterricht. Da der Lerner im im Fremdsprachenunterricht und -stu- Kontext »phonemischer Richtigkeit« die dium einzuräumen. fremde Aussprache bereits kennt und beherrscht, 2. Das Alter als kritischer Erwerbsfaktor »wenn er sie so hört und spricht, daß er für vollständigen Ausspracheerwerb dabei sämtliche phonemischen Einheiten dieser Sprache verwendet, d. h. daß er alle 2.1 Das neurobiologische Erklärungs- phonemischen Kontraste als spezifisch pho- nemische Einheiten erfaßt und sprechend modell benutzt« (Lado 1971: 57), Nach der auf Lenneberg (1972) zurückge- konnte unter diesem Lernziel – entspre- henden These einer »kritischen Periode« chend der Marginalisierung der Ausspra- für den Spracherwerb besteht ein enger cheschulung im Fremdsprachenunter- Zusammenhang zwischen cerebraler Or- richt – der Lernstoff erheblich reduziert ganisation, Hirnreifung und der Mög- werden. Entsprechend lautet die Emp- lichkeit, die Erst- und Zweitsprache mü- fehlung, die für die laufende Kommuni- helos und vollständig zu erwerben. Diese kation schwerwiegenden phonologi- Fähigkeit nimmt mit der Pubertät konti- schen von den weniger bedeutsamen nuierlich ab. Akzente in der Fremdspra- phonetischen Fehlerquellen zu trennen che, die im Alter zwischen 11 bis 14 und die Phoneme im Fremdsprachenun- Jahren auftreten, bleiben in der Regel terricht erstrangig und dauerhaft zu üben erhalten und Fremdsprachen müssen (z. B. Borowsky 1973: 227; Eismann 1976: nach der Pubertät bewußter und mit an- 178; Gutschow 1979: 33) und eventuell gestrengter Mühe gelehrt und gelernt die nicht die Verständigung beeinträchti- werden (Lenneberg 1972: 217, 223). genden subphonemischen Varianten im Lenneberg erklärt dieses Phänomen mit Unterricht zu übergehen (z. B. Gutschow dem Hinweis auf die Lateralisierung der 1974: 36; Piepho 1970: 35). Sprachfunktion, die mit der Pubertät ab- Im Kern wird damit bereits einer lernpsy- geschlossen ist, und mit der abneh- chologischen und an internen Verarbei- menden Plastizität des Gehirns. Solange tungsprozessen sich orientierenden Be- die cerebrale Dominanz nicht vollständig trachtung aussprachlichen Lernens eine ausgebildet ist, können Funktionsstörun- Absage erteilt, da einerseits Lernschwie- gen der einen Hirnhälfte von der ge- rigkeiten systemhaft aus dem phonologi- sunden anderen Hirnhälfte ausgeglichen schen Vergleich zwischen Ziel- und Aus- werden. Später ist dies nicht mehr gangssprache abgeleitet werden können, möglich. Die sich rapide verschlechternde während andererseits die Aufgabenstel- Prognose für die Genesung aphasischer lung der Ausspracheschulung unter dem Störungen nach der Pubertät dient Len- Lernziel »phonemische Richtigkeit« nicht neberg als Beleg für diese Annahme1.

1 Nach Lenneberg (1972: 186) wird mit der Zeit um die Pubertät ein Wendepunkt hinsichtlich der Genesungsaussichten für erworbene Aphasien erreicht. Während in früher Kindheit (4–10 Jahre) erworbene Aphasien in der Regel wieder vollständig überwunden werden, wobei die Genesung mehrere Jahre – aber gewöhnlich nicht über die Pubertät hinaus – dauern kann (182), lassen nach der Pubertät erworbene Aphasien oder Symptome, die auf dieser Entwicklungsstufe noch nicht vollständig verschwunden sind, gewöhnlich blei- 340

Lenneberg schließt hieraus auf die Exi- chenerwerb oder sie halten wie Oyama stenz einer »kritischen Periode«, die mit (1976) die Existenz einer »sensitive period der Lateralisierung der Sprachfunktion […] for acquisition of a nonnative phono- zusammenfällt und die neben unter- logical system« (261) für wahrscheinlich1. schiedlichen Heilungsaussichten für Von hier aus ist es schließlich nur noch Aphasien auch Folgen für den Erst- und ein Schritt, die Marginalisierung der Zweitsprachenerwerb umfaßt. Aussprachelehre im Fremdsprachenun- Für die Aussprachelehre ist diese Hypo- terricht zu bestätigen und erneut einzu- these insofern von Bedeutung, als die mit fordern. Da Erwachsene Kindern in Be- der Pubertät irreversibel gewordene zug auf die Ausspracheerlernung quasi Hirnorganisation zahlreiche empirische »hirnbiologisch« unterlegen sind, Kinder Untersuchungen zu erklären vermag, die unter 10 Jahren jedoch die fremde belegen, daß das aussprachliche Erlernen Aussprache (nach Lenneberg) mühelos der Zielsprache mit dem Alter des Ler- und vollständig erwerben können, er- nenden korreliert. Je jünger die Lerner scheint eine ausführliche und vertiefende sind, desto höher ist das jeweils zu errei- Ausspracheschulung in der Fremd- chende und erreichte Ausspracheniveau sprache didaktisch nicht mehr gerecht- in der Zielsprache. Umgekehrt nimmt die fertigt2. Auch aus dieser Sicht macht es Ausspracheleistung in der Zielsprache daher wenig Sinn, den aussprachlichen mit zunehmendem Alter ab. Akzentfrei- Lernprozeß zu problematisieren und – heit ist nach diesen Befunden in der Regel wie hier gefordert – hinsichtlich der inter- nur bis zum 10. Lebensjahr möglich (vgl. nen Verarbeitung phonetischer Informa- hierzu exemplarisch die Untersuchungen tionen durch den Lerner empirisch und von Asher/García 1969; Ervin-Tripp theoretisch zu untersuchen. 1974; Fathman 1975 und Oyama 1976). Dies legt eine Interpretation der Befunde 2.2 Das Alter als Erwerbshindernis nach Lennebergs Lateralisierungsmodell In den Auswirkungen weniger radikal nahe. (weil ohne biologische Grenzziehung) Einige Autoren wie Asher/García (1969) und in abgeschwächter Form taucht die sprechen in diesem Kontext auch von »Altershypothese« in der Literatur auch einer »prepuberty biological predisposi- als sozial- und entwicklungspsychologi- tion« (335) für den phonischen Zweitspra- sches Erklärungsmodell für aussprachli-

1 bende Spuren zurück (186). Patienten im Alter von 15 bis 18 Jahren haben zunehmend die gleiche Prognose für die Genesung wie erwachsene Patienten. Innerhalb von fünf Monaten noch nicht verschwundene Symptome sind in der Regel irreversibel (179). 1 Vgl. hierzu auch Bruner (1973): »Wir wissen nicht, ob Sprache nach einem bestimmten Alter überhaupt noch erlernt werden kann; wir wissen allerdings, wenn eine Sprache bis zum Alter von 10 bis 11 Jahren nicht gelernt wurde, wird sie phonetisch nie mehr so gut beherrscht werden können, wie das bei einem Sprecher der Fall ist, der in einem bestimmten Sprachraum aufwuchs« (172). 2 So Zabrocki (1966) als Ergebnis von Untersuchungen über die abnehmende Wahrschein- lichkeit, sich die lautliche Substanz einer Fremdsprache im Erwachsenenalter akzentfrei aneignen zu können: »Es lohnt sich nicht bei älteren Personen die Spracherlernung vom Lautlichen anzufangen. Die von uns durchgeführten Experimentalkurse haben diese These voll bestätigt. Nach den vorläufigen Ergebnissen sind es nur 30% der Lernenden, die sich im Alter von 30 bis 50 Jahren bei größten Anstrengungen des Lehrers nach einem Jahr die lautliche Substanz einigermaßen angeeignet haben« (25). 341 che Erwerbsunterschiede zwischen favourable disposed student in a language Kindern und Erwachsenen auf. Nach classroom«. (MacNamara 1976: 179) dieser Hypothese erlernen Kinder eine Ebenso sollen Kinder Erwachsenen ge- fremde Aussprache in der Regel nicht genüber hinsichtlich der Fertigkeit über- nur deshalb schneller und leichter als legen sein, »Klangnuancen der menschli- Erwachsene, weil sie unter dem stärkeren chen Sprache zu hören und nachzuah- sozialen Druck der »peer group« leben, men« (Schmidt 1927: 100) und selbst un- sich so rasch wie möglich sprach- und gewohnte Laute und Lautverbindungen aussprachekonform zu verhalten, um in der Zielsprache »mühelos« und nicht von der Altersgruppe ausgeschlos- »gleichsam spielerisch« reproduzieren zu sen zu werden, sondern sie verfügen können (Metzke 1978: 218). auch über die größere Anzahl ziel- Einige Sprachlerntheoretiker ziehen hier- sprachlicher Kontakte, in denen zur Auf- aus den Schluß, daß nach dem zehnten rechterhaltung der Kommunikation die Lebensjahr häufig auftretende Akzente Beherrschung der Zielsprache unbedingt Folgen eines kognitiven Fähigkeits- notwendig ist. Erwachsene leben dage- sprungs sind (Krashen 1975). Nach dieser gen eher in einer muttersprachlich be- auf der Entwicklungspsychologie Piagets stimmten Umgebung und verhalten sich beruhenden Hypothese (vgl. Piaget/In- Sprachfehlern gegenüber toleranter als helder 1958) ist die Pubertät Zeitpunkt Kinder1. der Herausbildung formallogischer konzeptueller Denkoperationen, wäh- »A child suddenly transported from Mont- real to will rapidly learn German no rend sich gleichzeitig die affektive Ein- matter what he thinks of the Germans. stellung der Heranwachsenden zum Indeed, when he makes his first appearance Nachahmungslernen verändert. Der on the street and meets German children he Lerner wird verwundbar (»feeling of vul- is likely to be appalled by the experience. nerability«), ist abgeneigt sich zu offen- They will not understand a word he says; baren (»reluctance to reveal himself«, they will not make sense to him when they speak, and they are likely to punish him by Krashen 1975: 221), und »die Bereitschaft, keeping him incommunicado. Yet his andere nachzumachen, [ist] nicht mehr learning will be the envy of even the most so bedingungslos« (Mägiste 1988: 34)2.

1 Nach Knapp-Potthoff (1982: 154) bringen Erwachsene im Unterschied zu Kindern auch einen Begriff davon ein, »wie schwer das Sprachelernen fallen kann, und stellen sich entsprechend nachsichtig gegen alle ein, die sich dieser Mühe unterziehen. Sie sind aus diesem Grund auch zurückhaltender mit ihren Ansprüchen an diesen Zielzustand […].« 2 Korrespondierend hierzu verhalten sich ältere Schüler und Erwachsene in fremdsprach- lichen Kommunikationssituationen in der Regel gehemmter als Kinder, bzw. es treten Rollenkonflikte auf und die Bereitschaft, die muttersprachliche Identität aufzugeben, wird geringer (vgl. hierzu zusammenfassend Singleton 1989: 189–207; Vogel/Vogel 1975: 39). Dies betrifft den Ausspracheerwerb in besonderer Weise, da die Annahme einer neuen fremdsprachlichen Lautung, wie im Phonetikunterricht häufig zu beobach- ten ist, von vielen älteren Lernern nicht nur insgesamt als »Imitieren« empfunden wird, als ein »Nachäffen […], das den Nachahmenden lächerlich macht« (Schmidt 1927: 100) und das aus der Perspektive des Älteren noch zu den »kindliche[n] Verhaltensweise[n]« (Bleidistel 1992: 133) gehört, sondern es bedeutet auch ein Aufgeben von eigenen Aussprachegewohnheiten, die besonders tief mit der Persönlichkeit und muttersprach- lichen Identität des Lerners verbunden sind. »Viele, die anders, nämlich fremdsprachlich hören, intonieren und artikulieren können, wollen es im Grunde nicht. Sie fühlen sich peinlich berührt, betreten, ja geniert, die 342

Nach Meinung vieler Autoren wirkt sich bei älteren Lernern die Spracherlernung diese Veränderung in der kognitiven und vom Lautlichen anzufangen (siehe Fuß- affektiven Ausstattung der Lerner un- note 1 auf Seite 339) und/oder über das günstig auf den Zweitsprachenerwerb Lernziel phonemischer Richtigkeit im aus. Akzente und aussprachliche Lern- Ausspracheunterricht hinauszugehen. schwierigkeiten, so die Schlußfolgerung, werden jetzt immer wahrscheinlicher 3. Das lernprozeßbezogene Dilemma und Fremdsprachen müssen von nun an der Ausspracheschulung mit Mühe gelernt werden. Diese Einschätzung entspricht weitge- »Conditional learning seems to be as its hend der Vernachlässigung phonetischer peak at birth and to decline with age, con- Lernfragestellungen im Fremdsprachen- ceptual learning as its low point at birth and unterricht. Diese Einstellung muß jedoch to increase with age. At what point does verwundern, wenn man bedenkt, daß conceptual learning outweigh conditional weder die »Altershypothese« noch das learning? Tentatively we believe that age ten approximately is the dividing line, that phonologische Erwerbsmodell in der before this age speech habits in the first Zweitsprachenerwerbsforschung unwi- language are not so fixed as to interfere dersprochen geblieben ist. seriously with the learning of new speech So belegen zahlreiche empirische Unter- habits. It has been noted, for exampel, that suchungen, daß der Zeitpunkt der Late- foreigners who come to the United States before age ten approximately, learn to speak ralisierung der Sprachfunktion weit von English without an accent. Those who come der Pubertät liegt: entweder bereits bei later usually speak with an accent, which is Geburt (Molfese/Freeman/Palermo the more marked the older they were on 1 1975; Kinsbourne 1975) oder zwischen arrival«. (Andersson 1960: 302f.) dem dritten und fünften Lebensjahr (Ber- Zwar sind diese Faktoren im Unterschied lin et al. 1973; Dorman/Geffner 1974), so zu Lennebergs Lateralisierungskonzept daß zumindest neurobiologisch die Pu- nicht mehr spracherwerbskritisch – als bertät nicht mehr als Schnittpunkt für externe oder interne Lernhindernisse las- einen mühelosen und vollständigen sen sie sich durch Unterricht ausgleichen Spracherwerb angesehen werden kann. und überwinden (Arndt/Stewart 1981; Untersuchungen wie die von Neufeld Edmondson/House 1993: 177) – dennoch (1979), Neufeld/Schneiderman (1980) legen sie es nahe, daß der erwachsene oder Olson/Samuels (1973) zeigen Lerner gegenüber dem kindlichen Aus- darüber hinaus, daß Jugendliche oder spracheerwerb ein defizitärer Lerner ist Kinder die Phonetik einer Fremdsprache und daß es sich deshalb auch kaum lohnt, nicht prinzipiell schlechter erlernen als

1 muttersprachlichen Gewohnheiten zu verlassen und plötzlich ›anders‹ zu sein. Gelingt einem Lernenden der Absprung, lobt ihn der Lehrer, reagiert er u. U. verlegen, schämt sich. Er ist aus dem Gleis geraten. Es ist etwas geschehen, was sich eigentlich nicht schickt. Dieses ›Aus-dem-Gleis-Geraten‹ ist ein wichtiges Ziel des Phonetikunterrichts (Dieling 1992: 24). 1 Vgl. hierzu auch das Modell der »konkurrierenden kognitiven Systeme« von Felix (1982 und 1985). Danach bildet sich mit der Pubertät neben dem schon vorhandenen, angeborenen Spracherwerbsmechanismus (= nicht dem Bewußtsein zugänglich) ein zweites allgemein-kognitives Verarbeitungssystem als bewußte Problemlösungskompe- tenz heraus. Dieses tritt in Konkurrenz zu den angeborenen sprachspezifisch-kognitiven Strukturen und verhindert vollständigen Zweitsprachenerwerb. Kritisch zu diesem Modell: Vogel (1989: 127f.) und Edmondson/House (1993: 155). 343

Kinder. Nach Neufeld und Neufeld/ 1. Die Kernthese, daß Strukturverschie- Schneiderman ist auch für Erwachsene denheit notwendig zu Lernschwierig- eine »native-like-proficiency« möglich1. keiten führen muß und Strukturähn- Ebenso ist der Erwerbsfaktor »Alter« nach lichkeit Lernerleichterung bedeutet, ist Vogel (1989: 129ff.) und Vogel/Vogel empirisch nicht nachweisbar, vielfach (1975: 39) hinsichtlich der Konsequenzen ist es umgekehrt (vgl. Briere 1968: 73; für zweitsprachliche Lernprozesse keines- Kelz 1976: 95). wegs ausschließlich negativ zu bewerten, 2. Die Gleichsetzung linguistisch be- vielmehr verfügen Erwachsene aufgrund schriebener Sprachkontraste und -ähn- eines zunehmenden kognitiven Kapazi- lichkeiten mit lernpsychologischen tätszuwachses und einer gegenüber jün- Prozessen (Transfer, Interferenz) und geren Lernern größeren Lern- und Erfah- Erlebniszuständen (Lernschwierigkei- rungszeit auch über Lernvorteile, die sich ten) ist methodisch und theoretisch positiv auf den Zweitsprachenerwerb aus- falsch bzw. ist es weitgehend unbe- wirken. Konzeptuell ausformuliert ist die- kannt, wie Ähnlichkeiten und Unter- ser Gedanke in Vogels (1989) Modell einer schiede zwischen Sprachen wahrge- kontinuierlichen »kognitiven Reife« als nommen und verarbeitet werden Funktion des Lern- und Erfahrungsalters. (Bausch/Kasper 1979: 6; Bausch/ Ältere Kinder, so Vogels Schlußfolgerung Raabe 1978: 58). aus diesem Modell, lernen erfolgreicher 3. Der muttersprachliche Sprachbesitz des und schneller als jüngere (131) und Er- Lerners ist zwar eine entscheidende, wachsene wiederum eine zweite oder aber nicht der einzig wesentliche Steue- weitere Sprache unter sonst gleichen Be- rungsfaktor beim Zweitsprachener- dingungen relativ schneller als Kinder, werb. Der Lerner rekurriert zusätzlich und zwar auch im natürlichen Erwerb- auf bereits erworbene Fremdsprachen skontext (253: Anm. 27). sowie auf den schon verfügbaren Und schließlich gilt auch die kontrastive sprachlichen Ausschnitt (Bausch/Kas- Erwerbshypothese in ihrer starken, pro- per 1979: 7f.; Heindrichs/Gester/Kelz gnostischen Version als widerlegt. Die 1980: 131ff.). Hinzu kommen nicht-lin- nachfolgenden Argumente werden von guistische Variablen wie die personale vielen Autoren geteilt (vgl. exemplarisch Struktur des Lerners, das Alter, die Bausch/Kasper 1979; Bausch/Raabe Lernumgebung oder die Abhängigkeit 1978): der Ausspracheleistung von Lehrmate-

1 In der Untersuchung von Olson/Samuels (1973) wurden Schüler von Elementarschulen (9,5 bis 10,5 Jahre), Junior High School (14 bis 15 Jahre) und College-Studenten (18 bis 26 Jahre) in bezug auf den phonologischen Erwerb von Deutsch als Fremdsprache getestet. Jede Gruppe wurde drei Wochen in der Zielsprache unterrichtet. Im Aussprachetest zeigten sich die beiden älteren Lerngruppen den jüngeren Lernern signifikant überlegen. Neufeld (1979) und Neufeld/Schneiderman (1980) berichten von einem 18stündigen, ausschließlich auf phonetisches Material (Intonation und Artikulation) ausgerichteten Videotraining für Japanisch, Chinesisch und Eskimosprachen, daß über 50% der unterwie- senen erwachsenen, englischsprachigen Studierenden eine »native-like-proficiency« für die prosodischen und artikulatorischen Merkmale erreichten. Getestet wurden Wortwie- derholungen von 1 bis 12 Silben. Neufeld/ Schneiderman folgern hieraus, »that adults may be able to achieve native-like-proficiency in the prosodic and articulatory features of a second language in a relatively short time and without serious disruption to the second language teaching program« (1980: 105). 344

rialien, von Lehrern, von Lernzielen chen und sensomotorischen Komponen- und -methoden (= FU-Faktoren-Kom- ten selbst Ursache des Dilemmas ist und plexion), die von der Kontrastiven Ana- daß eine mit traditionellen Mitteln ausge- lyse nicht erfaßt werden (zur FU-Kon- stattete phonetische Lehr-Lernforschung text-Komponente in bezug auf die Aus- sich dieser Besonderheit phonetischen sprachelehre vgl. Barry 1975: 3ff.; Bie- Lernens nur unzureichend anzunähern ritz/Grotjahn 1977: 8ff.). vermag. 4. Kontrastive Analysen sind notwendig Was aussprachliches Lernen von allen statisch, weil sie zwei voll ausgebildete anderen Teilgebieten des Zweitsprachen- Sprachsysteme (L1 – L2) miteinander erwerbs unterscheidet, sind artikulato- vergleichen. Der Zweitsprachenerwerb risch-motorische und auditive Lernvor- verläuft dagegen dynamisch über die gänge. Genau an dieser Stelle liegt das Formulierung lernphasenspezifischer lernprozeßbezogene Defizit der Ausspra- Hypothesenbildungen und -revisio- chelehre. nen. Darin eingeschlossen sind Fehler Während die Zweitsprachenerwerbsfor- nicht primär Indiz für Defizite, son- schung physiologische Prozesse der dern »entwicklungsspezifische« Not- Spracherlernung aufgrund ihrer psy- wendigkeiten (Wode 1993: 82f.) im chisch-kognitiven Orientierung in der fremdsprachlichen Lernprozeß. Regel nicht thematisiert, werden Sprach- Wenn aber, wie oben aufgezeigt, weder wahrnehmungs- und motorische Lern- die Kontrastive Analyse noch die »Al- prozesse in der Ausspracheschulung nur tershypothese« aussprachliche Aneig- insoweit berücksichtigt, als sie Lernpro- nungsvorgänge ausreichend zu erklären bleme darstellen, die methodisch über- vermögen und beide Ansätze auch keine wunden werden können – nicht jedoch Auskunft darüber geben, wie der Lerner hinsichtlich möglicher lernerseitiger arti- phonetische Reize in der Zielsprache in- kulatorischer und auditiver Erwerbsstra- tern verarbeitet und artikulatorisch-mo- tegien oder hinsichtlich des sensomotori- torisch lernt, dann stellt sich die Frage schen phonetischen Informationsumsat- nach den lerntheoretischen und unter- zes im Lerner. Das heißt aber, daß eine richtsmethodischen Grundlagen der Innenaspektierung phonetischen Ler- Ausspracheschulung neu bzw. müßte zu- nens, die das äußerlich wahrnehmbare allererst die Frage geklärt werden, Verhalten des Lerners in Beziehung setzt warum es der phonetischen Lehr-Lern- zu den internen Prozessen der Auf- forschung bislang nicht gelungen ist, nahme, Verarbeitung und Speicherung überzeugendere phonetische Lernmo- zielsprachlicher phonetischer Informa- delle zu entwickeln und warum der er- tionen, in der Aussprachelehre nicht wachsene Lerner – trotz der oben ange- mehr erfolgt, was zur Folge hat, daß führten grundlegenden Einwände – in lernerseitige Hypothesenbildungen im der Aussprachelehre auch weiterhin als aussprachlichen Bereich nur noch unzu- defizitärer aussprachlicher Lerner gilt. reichend erfaßt werden können und aus- Offenbar hat das »Dilemma der Ausspra- sprachliche Lernvorgänge für den Lehrer chelehre« tiefere Ursachen als die Margi- und Lerner im Kern unkontrolliert ver- nalisierung eines Randgebietes des laufen. Fremdsprachenunterrichts oder einzelne Insofern besteht in der Tat ein Dilemma: Forschungsdefizite. Es scheint vielmehr, Da der Lehrer nicht weiß, wie der Lerner als ob der Gegenstand mit seiner eigen- zielsprachliche artikulatorische und aku- tümlichen Doppelstruktur von sprachli- stische Hypothesen aufbaut und korri- 345 giert, verläßt er sich bei der unterrichts- deutlich, warum sich die phonetische methodischen Steuerung des Ausspra- Lehr-Lernforschung bislang dieser Fra- cheerwerbs notwendig auf Unterrichts- gestellung entzogen hat. beobachtungen und -erfahrungen. Hier- durch vermag er zwar einzelne Lerndefi- 4. Das Motorik-Problem in der Ausspra- zite auszugleichen, nicht jedoch aus- cheschulung als bewegungswissen- sprachliche Aneignungsprozesse gezielt schaftliche Problemstellung zu unterstützen und zu lenken. Motorische Lernfragestellungen sind in Die Ursache für dieses unterrichtsmetho- der Geschichte der Phonetik selbst nicht dische und theoretische Defizit liegt of- neu. Bereits um die Jahrhundertwende fenbar in der besonderen motorischen wurde auf die Notwendigkeit einer mo- Struktur der Ausspracheerlernung. Diese torisch-mechanischen Schulung der Arti- bedarf einer gesonderten physiologi- kulationsorgane hingewiesen, um die im schen und motorisch-kognitiven Lern- erwachsenen Alter muttersprachlich ver- prozeßanalyse, die jedoch zur Zeit weder festigte Artikulationsmuskulatur aufzu- in der phonetischen noch in der Zweit- lockern und die artikulatorische »Treffsi- sprachenerwerbsforschung vorliegt. Eine cherheit« in der Zielsprache zu erhöhen. Extrapolierung auditiven phonetischen Jespersen (1904: 6) hat hierfür den Begriff Lernens auf die Motorik des Aussprache- der »Artikulationsgymnastik« geprägt. erwerbs erscheint dabei aufgrund der Forchhammer (1928: 80ff.) nennt entspre- unterschiedlichen Aufgabenstellung von chende Trainingseinheiten »sprachphy- artikulatorischer Bewegungskoordina- siologische und phonetische Elementar- tion und akustischer Sprachwahrneh- übungen«. Eines der Hauptziele dieser mung und der Kanaldifferenz zwischen Übungen ist die Ausbildung einer »inne- motorischer und auditiver sprachlicher ren Organ- und Muskelempfindung« Bewegungskontrolle in der Phonetik (Forchhammer 1928: 81) als Vorausset- ebenso wenig möglich wie die Annahme zung einer bewußten Steuerung der Arti- eines automatischen artikulatorischen kulatoren. (Artikulationsgymnastische Lernens aufgrund auditiver oder kogniti- Ansätze finden sich auch bei Jones 1918; ver Lehr-Lernhilfen im Ausspracheunter- Gerlach 1924/25, Stack 1966 und Kloster richt. Jensen 1970). Im folgenden wird ein möglicher Lö- Eine zweite Gruppe sensomotorischer sungsansatz für dieses motorisch-lern- Übungen repräsentieren taktil-kinästhe- theoretische Defizit der Ausspracheschu- tische und akustische Demonstrations- lung gekennzeichnet. Dieser ist interdis- techniken zur Hervorhebung einzelner ziplinär ausgerichtet und definiert aus- Artikulations- und Schallmerkmale. Ziel sprachliche Lernvorgänge grundlegend dieser Maßnahmen ist es, das allgemeine als motorische Lernvorgänge, die sich – phonetische Beurteilungs- und Differen- bezogen auf die kognitiven Komponen- zierungsvermögen für aussprachliche ten der Bewegungskontrolle und der in- Reize in der Zielsprache zu erhöhen und ternen Organisationsstruktur motori- die Wahrnehmungsfähigkeit für die sen- schen Lernens – nicht prinzipiell von somotorischen Rückkoppelungen des anderen motorischen Verhaltensformie- Sprechprozesses zu verbessern. Beispiel- rungen wie z. B. im Sport unterscheiden. haft hierfür ist Walters (1908) Empfeh- Erst unter dieser allgemeinen, bewe- lung, die Vibration der Stimmlippen bei gungswissenschaftlichen Fundierung Stimmhaftigkeit durch Anlegen der aussprachlicher Erwerbsvorgänge wird Hände an den Kehlkopf (Kopf, Ohren, 346

Nase) zu »fühlen« (in Fortführung u. a phonetischer Reizverarbeitung sich diese bei Hübner 1929, Martens 1965, Kelz 1982 Übungen beziehen, wie sie den Prozeß und Rausch/Rausch 1993). der lernerseitigen phonetischen Hypo- Weniger häufig werden dagegen in der thesenbildung beeinflussen, oder in wel- Ausspracheschulung körpermotorische chen Erwerbsfolgen sich die Aneignung Ansätze eingesetzt, in denen Sprechvor- neuer geordneter Bewegungsabläufe in gänge durch Körperbewegungen unter- der Ausspracheschulung vollzieht. stützt und/oder Artikulationsmerkmale Das Fehlen einer solchen Prozeßanalyse einzelner Laute durch Spielhandlungen des lernerseitigen motorischen Erwerbs- für den Lerner sinnlich erfahrbar hervor- verhaltens läßt sich nur zum Teil mit dem gehoben werden (z. B. Keßler 1994; Mül- Vorherrschen neurobiologischer oder ler 1996). phonologischer Orientierungen in der Und schließlich werden in der phoneti- Ausspracheschulung erklären oder auf schen Literatur immer wieder sportmoto- einen durch auditive Lehr-Lerntradi- rische mit artikulatorischen Lernvorgän- tionen in der Aussprachelehre bedingten gen verglichen, um auf die besonderen systemischen Ausschluß von motori- motorischen Erwerbsprobleme der Aus- schen Lernfragestellungen aus der Pho- spracheerlernung hinzuweisen (z. B. Jes- netik zurückführen1. Vielmehr zeigt sich persen 1904; Pimsleur 1963; Rausch/ hierin ein generelles Theoriedefizit in der Rausch 1993). Erforschung aussprachlicher motorischer Es ist bezeichnend für den gegenwärti- Lernprozesse, das an die Grenzen des gen Forschungsstand in der Phonetik, Selbstverständnisses des Fachs als daß trotz der oben angeführten Versuche, sprachliche und sich mit sprachlich-pho- Motorik und Ausspracheerwerb aufein- netischen Lernvorgängen beschäftigende ander zu beziehen, es in der phoneti- Disziplin führt. schen Lehr-Lernforschung bislang nicht Damit wird auch verständlich, warum zu einer motorisch-kognitiven Erwerbs- die Motorik des Ausspracheerwerbs zu analyse aussprachlicher Lernvorgänge den Randgebieten der Phonetik gehört. gekommen ist. Zwar werden durch mo- Fragt man nach den tieferen theoriege- torische Übungsprogramme wie das der schichtlichen Ursachen dieser Marginali- Artikulationsgymnastik, des körpermo- sierung eines für das Verständnis aus- torischen Lernansatzes oder durch senso- sprachlicher Lernvorgänge eigentlich motorische Aussprachehilfen einzelne zentralen Wissensgebietes, stößt man auf artikulatorische Teilhandlungen des das Problem der Konzeptualisierung der Sprechbewegungsablaufes eingeübt oder menschlichen Bewegungsproduktion Verhärtungen der Sprechmuskulatur ge- durch Theorien des motorischen Verhal- lockert; dennoch bleibt unklar, auf wel- tens, das auch im Kernbereich der wis- che Komponenten sensomotorischer senschaftlichen Beschäftigung mit moto-

1 Vertreter einer auditiv ausgerichteten Ausspracheschulung gehen davon aus, daß perzeptive Prozesse den produktiven grundsätzlich vorausgehen müssen und daß deshalb die Hörschulung im Mittelpunkt des Ausspracheunterrichts stehen muß. Stabile fremdsprachliche Hörmuster einmal vorausgesetzt, wird die Aussprache in der Regel durch Nachahmung der vom Lehrer vorgesprochenen Laute gelernt. Erst wenn dies nicht gelingt, werden kognitive Lehr-Lernhilfen eingesetzt (vgl. exemplarisch Börner 1989; Gutschow 1979; Rausch/Rausch 1993). Kritisch hierzu u. a. Barry (1975); Gehrmann (1999); Pimsleur (1963); Velickova (1976). 347 rischen Aktionen, der Bewegungswissen- rischen Bewegungsabläufen bereits ange- schaft, nicht ausreichend geklärt ist legt. Daß diese Inbeziehungsetzung dann Daß der Rekurs auf die Bewegungswis- nicht zu einer systematischen Untersu- senschaft trotz dieser Einwände ein ge- chung des Verhältnisses von sportmotori- eigneter Zugang zum Innenaspekt senso- schem und phonetischem Lernen geführt motorischer phonetischer Reizverarbei- hat, läßt sich zum einen mit einer unzu- tung darstellt, ist auf den integralen An- reichenden motorischen Theoriebildung spruch dieses Wissenschaftszweiges zu- in der Bewegungswissenschaft erklären, rückzuführen, sich auf alle Bereiche des zum anderen mit einer disziplin-theoreti- menschlichen Bewegungslernens zu be- schen Weichenstellung, aussprachliches ziehen und die körperexternen wie -in- Lernen in der Phonetik nicht interdiszi- ternen Prozesse der menschlichen Bewe- plinär im Kontext der kognitiven Regula- gungsproduktion – einschließlich der Ar- tion menschlicher Bewegungshandlun- tikulationserlernung – gleichermaßen zu gen zu diskutieren und Sprechen insge- beschreiben. Es kann deshalb erwartet samt als Teil menschlicher Bewegungstä- werden, daß eine bewegungswissen- tigkeit auszuweisen. schaftliche Fundierung aussprachlicher Ein solcher Zugang hätte einen Paradig- Lernvorgänge auch Auskunft darüber men-Wechsel in der phonetischen Lehr- gibt, welche allgemeinen kognitiven Lernforschung in Richtung produktions- Komponenten und Prozesse dem senso- orientierter sensomotorischer und regu- motorischen (phonetischen) Informati- lationstheoretischer Konzepte zur Folge onsumsatz zugrunde liegen und wie der gehabt. Hierzu fehlten jedoch historisch Vorgang der Ausspracheerlernung als die notwendigen lern- und bewegungs- eine Form menschlichen Bewegungsler- theoretischen Voraussetzungen. nens theoretisch zu konzeptualisieren ist. Damit sind wir bei dem Ausgangspunkt Mit den Informationsverarbeitungs-An- der Arbeit. Der spekulative Charakter sätzen von Bernstein (1975) und Schmidt der in der Ausspracheschulung einge- (1975, 1988) liegen hierzu in der Bewe- setzten Methoden ist, so die Schlußfolge- gungswissenschaft zwei Motorik-Mo- rung der vorliegenden Darlegungen, delle vor, die einen grundlegenden Ein- Folge einer bislang nicht geleisteten mo- blick in das System der kognitiven Kon- torisch-kognitiven Grundlegung des trolle und Steuerung menschlicher Bewe- zweitsprachlichen Ausspracheerwerbs. gungshandlungen geben. Sofern artiku- Ohne die Aufarbeitung dieses Defizits ist latorisches Lernen motorisches Lernen das »Dilemma der Aussprachelehre« ist, sollten sich zumindest Grundzüge nicht auflösbar. des motorischen Systems der Sprachpro- Erst auf dieser Grundlage können auch duktion im Rahmen dieser Modelle dar- aussprachliche Erwerbsunterschiede stellen lassen (vgl. hierzu grundlegend zwischen Erwachsenen und Kindern er- die Ausführungen von Gehrmann 1999 neut problematisiert werden. So wäre zu über die koordinations- und lerntheoreti- fragen, inwieweit der langsamere und schen Grundlagen des zweitsprachlichen mühevollere Ausspracheerwerb von Er- Ausspracheerwerbs). wachsenen Resultat einer sich nicht an In der phonetischen Literatur ist die internen Verarbeitungsprozessen des Möglichkeit einer bewegungswissen- Lerners orientierenden Ausspracheschu- schaftlichen Konzeptualisierung aus- lung ist, also durch Unterricht selbst pro- sprachlicher Lernvorgänge in dem Ver- voziert wird. Oder anders formuliert: So- gleich zwischen sprech- und sportmoto- lange noch Unklarheit darüber herrscht, 348 wie der Lerner artikulatorische Anwei- Bleidistel, Andreas: Neurolinguistische sungen des Lehrers in motorische Im- Aspekte des Spracherwerbs und des Sprach- pulse der Zielsprache umsetzt und moto- gebrauchs. Bochum: AKS-Verlag, 1992. risch-kognitiv lernt, sind Fragen nach der Börner, Wolfgang: »Ausspracheübungen«. 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Grammatik der gesprochenen Sprache – eine Her- ausforderung für Deutsch als Fremdsprache?

Susanne Günthner

1. Einleitung noch alles andere als geklärt (hierzu auch Mit der kommunikativen Wende in der Thurmair 1997; Reershemius 1998). Fremdsprachenforschung und -didaktik Betrachtet man den Erwerb der »kommu- bahnte sich zugleich eine Hinwendung nikativen Kompetenz« weiterhin als das zur Vermittlung alltagssprachlicher Kom- Hauptziel des Fremdsprachenunter- petenzen, zur Mündlichkeit und damit richts, so ist eine Auseinandersetzung zur Arbeit mit Alltagsdialogen an. Die mit Erkenntnissen der Gesprochene- Auseinandersetzung mit Grammatik und Sprache-Forschung erstrebenswert. De- die Grammatikvermittlung traten in den ren Analysen grammatischer Strukturen Hintergrund. Kommunikative Kompe- im tatsächlichen kommunikativen Ge- tenz – so die Grundannahme – kann durch brauch sind für die Deutsch als Fremd- sprache-Forschung und -Vermittlung in- dialogisches Handeln und kommunika- sofern von Relevanz, als die Ausrichtung tive Übungen erworben werden. Gram- an grammatischen Strukturen in der matik wurde als von den kommunikati- Sprachwirklichkeit, und damit die Orien- ven Fertigkeiten losgelöste »Nebensache« tierung an der Alltagssprache und ihrer behandelt.1 situationsspezifischen Variabilität, den In den letzten zehn Jahren haben Fragen Interessen an einem kommunikativ ori- der Grammatikvermittlung im Fremd- entierten Sprachunterricht entgegen- sprachenunterricht wieder stärkere Be- kommen. achtung gewonnen (siehe u. a. Gross/ Im vorliegenden Beitrag möchte ich An- Fischer 1990; Harden/Marsh 1993; Red- knüpfungspunkte zwischen der Gespro- der 1995; Völzing 1995; Thurmair 1997). chene-Sprache-Forschung und dem Fach Marlene Rall (1990: 23) schreibt im Hand- Deutsch als Fremdsprache aufzeigen und buch zum Lehrwerk Sprachbrücke 1: zugleich mögliche Frage- und Problem- »Grammatik ist nicht mehr ein Tabu. felder umreißen. Dabei werde ich veran- Über Grammatik darf gesprochen wer- schaulichen, daß grammatische Fertig- den«. Doch ist das Was und Wie der keiten und grammatisches Wissen we- Grammatikforschung und -vermittlung sentliche Bestandteile der kommunikati- im Bereich Deutsch als Fremdsprache ven Kompetenz sind; Alternativen wie

1 Siehe u. a. Jenny Thomas (1983: 100), die in ihrem einflußreichen Artikel »Cross- Cultural Pragmatic Failure« die Grammatik als außerhalb des »language in use« stehend betrachtet.

Info DaF 27, 4 (2000), 352–366 353 etwa »grammatische Regeln oder kom- 1. Die Frage nach den Unterschieden zwi- munikativer Fremdsprachenunterricht« schen geschriebener und gesprochener entpuppen sich als Scheinalternativen Sprache: und verdecken wesentliche Frage- und Hierbei werden die unterschiedlichen Problemfelder im Zusammenhang mit Bedingungen der Produktion und Re- der Fremdsprachenvermittlung (hierzu zeption mündlicher und schriftlicher auch Helbig 1993: 21). Sprache diskutiert. Aspekte wie die räumliche Kopräsenz der Teilnehmen- 2. Zentrale Fragestellungen bei der Er- den und die Synchronisierung zwi- forschung der Strukturen gesprochener schen Sprecherin und Hörer, die dialo- Sprache gische Einbettung von Sprache in ein Auch wenn es seit dem 19. Jahrhundert Gespräch, zeitliche Flüchtigkeit und Ir- immer wieder Versuche bestimmter For- reversibilität sowie kognitive Elemente schungsrichtungen sowie einzelner (wie Erinnerungsvermögen) sind alle- SprachwissenschaftlerInnen gab, gespro- samt Faktoren, die hier zu erwähnen chene Sprache zum Ausgangspunkt ihrer sind. Untersuchungen zu machen (hierzu zäh- 2. Fragen nach den Funktionen grammati- len neben dialektologischen und phoneti- scher Strukturen: schen Arbeiten die im 19. Jhd. innerhalb Grammatische Strukturen werden der Umgangssprachenforschung ent- nicht losgelöst von ihren Funktionen standenen Arbeiten zur gesprochenen untersucht, sondern als Ressourcen be- Sprache), so kam erst mit der sog. »prag- trachtet, die SprecherInnen zur Kom- matischen Wende« der Linguistik in den munikation von Bedeutung zur Verfü- 70er Jahren und durch den Einfluß der gung stehen. Konversations- und Diskursanalyse, der 3. Aspekte des Zusammenhangs grammati- funktional-pragmatischen Grammatik- scher Strukturen und Gattungen bzw. theorie und der funktionalen Syntax eine Textsorten: systematische Zuwendung zur gespro- Hierbei wird der Frage nachgegangen, chenen Sprache auf (hierzu u. a. Auer inwiefern bestimmte Grammatikphä- 1993a; Günthner 1998). Dabei zeigte sich, nomene (wie Verbspitzenstellung, hi- daß auch die gesprochene Sprache Regel- storisches Präsens, Hauptsatzstellung haftigkeiten aufweist, die zugleich in en- in Nebensätzen etc.) gattungsspezi- gem Zusammenhang mit spezifischen fisch verwendet werden, bzw. inwie- Diskurs- und Kognitionsfaktoren ste- fern die Funktion einer grammatischen hen.1 Die Gesprochene-Sprache For- Form je nach Textgattung variiert.2 schung greift bei ihren Analysen gram- 4. Fragen nach Variabilität und Normiert- matischer und interaktiver Verfahren in heit: Alltagskonversationen u. a. folgende Fra- Auch wenn es sich (wie bereits Beha- gestellungen auf, die für die Fremdspra- ghel 1924 ausführte) bei der Gramma- chenforschung und -vermittlung rele- tik des gesprochenen Deutsch keines- vant sind: wegs um ein von der geschriebenen

1Siehe u. a. die Arbeiten von Weiss (1975), Auer (1993a, b; 1997), Ehlich (1986; 1991), Hoffmann (1991, 1992), Rehbein (1992), Scheutz (1997), Schlobinski (1992, 1997), Günthner (1993, 1996), Selting (1993, 1994), Uhmann (1997) sowie die einführende Darstellung von Schwitalla (1997). 2Siehe hierzu u. a. Sandig (1991), Schlobinski (1992), Günthner (1998). 354

Sprache getrenntes System handelt,1 so mündlichen Sprachspielen«, die IDS- zeichnen sich dennoch grammatische Grammatik (Zifonun et al. 1997) be- Phänomene und Regelhaftigkeiten in schreibt die Grammatik von »Text und der gesprochenen Sprache ab, die von Diskurs« und geht hierbei u. a. auf Spezi- traditionellen Grammatiken und auch fika gesprochener Sprache ein, die Lern- Lernergrammatiken entweder igno- ergrammatik Grammatik mit Sinn und Ver- riert oder aber als »ungrammatisch« stand (Rug/Tomaszewski 1997) hat ein deklariert werden. Dieser Umstand, eigenes Kapitel zur »Gesprochenen Um- daß wir in unserer gesprochenen All- gangssprache« und Grammatik in Feldern tagssprache syntaktische Strukturen (Buscha u. a. 1998) geht ebenfalls gele- verwenden, die sich von den Normen gentlich auf Strukturen des gesproche- der deutschen Standardgrammatik ab- nen Deutsch ein. heben, hat zu neuen Reflexionen über Auch aus Deutschlehrwerken sind an der grammatische Normbildung und Auf- Alltagssprache orientierte Dialoge und gaben einer Grammatik geführt (San- Hörtexte nicht mehr wegzudenken.2 dig 1973, Hoffmann 1998). Durch das Lesen und Hören dieser Ge- All diese Fragestellungen sind von Rele- sprächsepisoden sollen Lernende mit vanz für die Deutsch als Fremdsprache- Phänomenen des gesprochenen Deutsch Forschung wie auch für einen Deutsch- vertraut gemacht und in die Lage ver- unterricht, der bestrebt ist, grammatische setzt werden, an mündlicher Kommuni- Strukturen im Zusammenhang mit ihrem kation in der Zielsprache erfolgreich teil- Gebrauch zu vermitteln und sich dabei zunehmen. Allerdings vermißt man in an der tatsächlichen Sprachwirklichkeit den meisten – auch neueren – Lehrwer- (schriftlich wie auch mündlich) zu orien- ken spezielle Einheiten zu Unterschieden tieren (vgl. hierzu Redder 1990; 1995). zwischen dem gesprochenen und ge- schriebenen Deutsch (Deutsch Aktiv 3 ist 3. Gesprochene Sprache in Lehrwerken meines Wissens das einzige Lehrwerk, Die pragmatische Wende und der damit das eine eigene Einheit mit Übungen zu einhergehende Anspruch der Berück- grammatischen Unterschieden im ge- sichtigung der Sprachwirklichkeit im schriebenen und gesprochenen Deutsch Diskurs haben u. a. in der Sprachwissen- enthält). schaft dazu geführt, daß grammatische Eine detaillierte Betrachtung von Lehr- Strukturen in Zusammenhang mit ihrem werkdialogen und Hörtexten verweist Gebrauch in der Alltagssprache berück- auf eine Spannbreite, die von relativ au- sichtigt werden und daß neuere Gram- thentischen Gesprächen bis zu stark kon- matiken mittlerweile die Ergebnisse der struierten, künstlichen Dialogen reicht. Gesprochene-Sprache-Forschung in ihre Schauen wir uns exemplarisch einen Dia- Darstellungen zur Grammatik des Deut- log an, der dem Lehrwerk Wege (einem schen einbeziehen: So hat Weinrichs Text- Deutsch als Fremdsprache-Lehrbuch für grammatik (1993: 819ff.) ein spezielles die Mittelstufe und Studienvorbereitung) Kapitel zur »Syntax des Dialogs« und entstammt und als Hörtext auf Kassette damit zum »Gebrauch der Sprache in präsentiert wird:

1 Hierzu auch Klein (1985). 2 Zur Authentizität von Lehrwerkdialogen siehe auch Weijenberg (1980), Redder (1990). 355

Mensaessen (Gespräch) halb 2 kommst, kommst du auch ziem- A: Kommst du mit zur Nassestraße – zur lich schnell dran. Mensa? B: Vielleicht, aber außerdem widern mich B: Nein, wirklich nicht, auf den Fraß kann diese Räume an, diese langen Tische, ich verzichten. Davon krieg ich immer diese ganze unpersönliche Atmosphäre. nur Magenschmerzen. Man sitzt oft so isoliert herum und schiebt sich das Zeug in den Mund. A: So schlimm ist es ja nun auch nicht. Ich A: Klar, die kommen fast alle in Cliquen in find’ das Mensaessen eigentlich ganz die Mensa. Deswegen hab’ ich dich ja o. k., und vor allem ist es billig. Du zum Beispiel gefragt, ob du mitkommst. brauchst ja auch nicht unbedingt immer den billigen Eintopf essen, oder? B: (zögernd/unwillig): Ach, ich weiß nicht. B: Oft reicht’s aber nur zu diesen 3 Mark A: Also, weißt du was? Wer wirklich Kohl- für den Eintopf. Uhh, wenn ich an dieses dampf und wenig Geld hat, der geht Zeug denke: die Bockwurst, die Erbsen, einfach in die Mensa. Es gib nun mal oder dieser klebrige Nudelsalat – igitt, keine Alternative. So, ich hab’ Hunger. und was es sonst noch an Unverdauli- Tschüss. chem gibt – ich sag’s dir, das liegt mir danach noch stundenlang im Magen. (Auf prosodische Merkmale dieses als A: Ja, aber zum Bauchfüllen ist sogar der Hörtext präsentierten Alltagsdialogs, wie Eintopf o. k., und der kostet eben nur 3 die unnatürlich wirkende Intonation, die Mark. Außerdem kannst du ja auch ab- langen Pausen zwischen den Sprecher- wechseln. Ich find’ eigentlich schon das Stammessen ganz lecker – und echt bil- wechseln und die teilweise sehr mar- lig, 3 Mark 80. kierte Akzentuierung, werde ich nicht B: Ach komm, hör doch auf, das bißchen näher eingehen.) Salat, das ständig verkochte Gemüse Dieser Dialog ist insofern bezeichnend und diese ewigen Kartoffeln. Das hängt für zahlreiche (konstruierte) Lehrwerk- mir zum Hals raus. Und das Fleisch dialoge, als er gewisse Aspekte gespro- taugt wirklich wenig, ist viel zu fett. chener Sprache aufgreift und teilweise A: Bist Du aber verwöhnt! Du hast wohl daheim täglich Steaks oder so was be- sogar überstrapaziert, andere Aspekte kommen. Ich find’ das Stammessen gesprochener Sprache dagegen fehlen. So wirklich akzeptabel. Und außerdem: finden sich im vorliegenden Text fol- Das Essen 2 im 1. Stock zu 5 Mark ist ja gende für das gesprochene Deutsch typi- auch im Angebot. Und darüber kannste sche Erscheinungen: nun wirklich nicht motzen. In den Stu- dentenlokalen in der Innenstadt ist das – Modalpartikeln: »ja«, »aber«, »eben«, Essen wirklich nicht viel besser – nur »doch«, »halt«, »mal«; viel teurer. – Dialogpartikeln: »ja aber«; B: Und was machen, wenn man sich die 5 – Interjektionen und Ausrufe wie »uhh«, Mark auf Dauer nicht leisten kann? »igitt«, »ach komm«, »Ach ich weiß A: Also, das kannst du dir doch sehr wohl nicht«; leisten. Gib halt einfach nicht so viel Geld für Zigaretten aus – und leist’ dir – elliptische Sätze wie »Und was machen, dafür ein Mensaessen 1. Klasse. Das ist wenn man sich die 5 Mark auf Dauer viel gesünder. nicht leisten kann?«; B: Ja, dann ist da noch die elend lange – Linksversetzungen wie »Und der Vita- Warterei, die blöden Schlangen. Da geht mingehalt, der ist sowieso gleich Null«; ’ne Menge Zeit drauf. – Verbspitzenstellungen wie »ist viel zu A: Du scheinst ja ein echt fleißiger Student fett«; »wollt ja nur mal fragen«; zu sein. Nur keine Viertelstunde verlie- ren. Und im übrigen – such’ dir halt die – Vor-Vorfeld-Konstruktionen. Hierzu zäh- Zeiten aus, wo der Andrang nicht so len Adverbiale im Vor-Vorfeld wie: groß ist. Wenn du kurz vor 12 oder nach »Und außerdem: Das Essen 2 im 1. 356

Stock zu 5 Mark ist ja auch im Ange- Konventionen und Strukturen gesprochener bot«, »Und im übrigen – such dir halt Sprache, die häufig aufgegriffen werden: die Zeiten aus, wo der Andrang nicht •Modalpartikeln (aber, denn, doch, halt, ja, so groß ist«, »Klar, die kommen fast alle mal, schon, etc.); in Cliquen in die Mensa«. Es finden • Dialogpartikeln (ja, also, ach nein, naja, sich aber auch komplexe Strukturen ach was, etc.); wie Adverbialsätze in der Vor-Vorfeld- • Interjektionen (nein!, unglaublich!) und Position: »wenn ich an dieses Zeug expressive Ausrufe (Einfach toll!); denke: die Bockwurst, die Erbsen, oder • elliptische Sätze, wie Ich auch, Mal se- dieser klebrige Nudelsalat – igitt, und hen, Eigentlich schon; was es sonst noch an Unverdaulichem • Vokative, wie »Du, ich habe gestern gibt – ich sag’s dir, das liegt mir danach abend den ›Fitzcarraldo‹ von Werner noch stundenlang im Magen«. Herzog gesehen«. Darüber hinaus zeichnet sich der Dialog Diese Elemente, die typische Bestandteile durch für das gesprochene Deutsch typi- von Lehrwerkdialogen bilden, scheinen sche Enklisen (»reichts« und »kannste«) eng verwoben mit unseren Vorstellungen und Apokopen bzw. Tilgungen des gesprochener Sprache zu sein. Schwa-Lautes in Endsilben (»ich find’«, »leist’ dir«, »hab’ ich«, »ich hab«) aus. Er Konventionen und Strukturen gesprochener ist ferner angereichert mit bestimmten Sprache, die gelegentlich aufgegriffen wer- lexikalischen Elementen und Phrasen, den: Hierunter fallen einerseits Aspekte dialo- die eine informelle Situation kommuni- gischen Sprechens, wie: zieren, wie »Fraß«, »hängt mir zum Hals • Satzabbrüche; raus«, »ach komm, hör doch auf«, »die • sprecherbezogene Elemente, wie Kor- blöden Schlangen«, »Bauchfüllen«, »mot- rekturen, Zögerungselemente, gefüllte zen«, »o. k.«, etc. Pausen; Andere typische Phänomene gesproche- • hörerbezogene Elemente, wie Hörersi- ner Sprache – insbesondere dialogische gnale (sowohl Zeichen, die signalisie- Aspekte wie Hörersignale, Zögerungs- ren, daß man aufmerksam zuhört, wie partikeln, Überlappungen, Neubeginne auch Zeichen, die markieren, daß man etc. – fehlen dagegen ganz, was dazu den Redezug übernehmen will); beiträgt, daß der Hörtext sehr konstruiert • interaktive Elemente: Überlappungen, und unnatürlich klingt. Kämpfe um das Rederecht; Eine Durchsicht der Dialoge in den Lehr- • kollaborative Konstruktionen, wie werken der Grundstufe II und Mittel- A: »Jeder Verleger muß Rücksicht neh- stufe von Deutsch aktiv, Lernziel Deutsch, men«. Stufen, Themen neu, Unterwegs und Wege, B: »Damit er Geschäfte macht …«. die allesamt betonen, daß sich ihre dialo- Diese interaktiven Aspekte mündlicher gischen Texte an original gesprochene Kommunikation findet man vor allem in Texte anlehnen, ergibt folgendes Bild:1 Lehrwerken, die tatsächlich authentische

1 Die folgende Auflistung der Phänomene gesprochener Sprache versteht sich keineswegs als vollständige Liste sämtlicher Merkmale gesprochener Sprache. Einen guten Über- blick über Aspekte des gesprochenen Deutsch liefert Schwitalla (1997). 357

Texte (z. B. Rundfunkinterviews etc.) sprochenen Sprache (wie Linksversetzun- wiedergeben. gen, Adverbialsätze im Vor-Vorfeld, Verb- Zu denjenigen Strukturen gesprochener spitzenstellungen, etc.) auftreten, diese je- Sprache, die gelegentlich in Lehrwerk- doch in keinem der genannten Lehrwerke dialogen aufgegriffen werden, gehören systematisch erläutert werden. Dies er- andererseits auch folgende syntaktische staunt umso mehr, als sie ja teilweise von Verfahren: den bislang erworbenen, an der Schrift- • Ausklammerungen, wie »Es fing mit sprache orientierten grammatischen Thomas an, einem Freund«; Strukturen abweichen. Die einzigen Phä- • (eigentliche und uneigentliche) Verb- nomene gesprochener Sprache, die in den spitzenstellungen, wie »Kann ich ver- Lehrwerken systematisch aufgegriffen zichten auf den Fraß«, »Bin ja vorbe- und geübt werden, sind Modalpartikeln. straft«; Ferner werden manche dieser Strukturen • Linksversetzungen, wie »Aber Charlys (wie die Verbspitzenstellung) in einigen Schwester, die hat einen Freund, der Dialogen geradezu überstrapaziert und in arbeitet als Redakteur….«; Kontexten verwendet, die über die im • Freie Themen, wie »Diese Hausarbeit, tatsächlichen gesprochenen Deutsch vor- mir ist das alles zuviel«; zufindenden hinausreichen. Andere • Adverbien, Adverbialausdrücke und Aspekte, die typisch für das gesprochene Adverbialsätze im Vor-Vorfeld, wie Deutsch sind, fehlen dagegen. Die Ursa- »Also ganz ehrlich: Das Eintrittsgeld ist chen dafür, daß bestimmte Phänomene zu schade dafür«; »Also, wenn ich mirs des gesprochenen Deutsch gehäuft aufge- so überlege: schlecht wäre es für uns griffen werden, andere dagegen nur selten zwei nicht«; auftreten und wieder andere systematisch • die Verwendung der Artikelwörter der, ausgespart bleiben, werden weder in den die, das als Personalpronomen; Lehrwerken noch in den Lehrerhandbü- • Inhaltssätze, die ohne einleitendes daß chern thematisiert. Sie scheinen wohl zum bzw. ob stehen, wie »Heute wissen wir: Teil darin zu gründen, daß man aus didak- Frauen können genauso gute Inge- tischen Erwägungen die Lernenden nicht nieure sein«. überfordern will. Dies erklärt jedoch nicht die auffällige Diskrepanz zwischen dem, Konventionen und Strukturen gesprochener was man in den Dialogen bzw. Hörtexten Sprache, die vollständig ausgeklammert wer- an grammatischen Strukturen gesproche- den: ner Sprache tatsächlich vorfindet (z. B. • Verbzweitstellung in Adverbialsätzen Linksversetzungen, Freie Themen, Verb- (insbesondere in weil- und obwohl-Sät- spitzenstellungen und Vor-Vorfeld-Kon- zen); struktionen), und dem, was in den Lehr- • nicht-standardsprachliche Possessiv- werken bzw. Grammatikdarstellungen konstruktionen, wie »der Maria ihr tatsächlich aufgegriffen und erläutert Haus«, »dem Bäcker sein Hut«; wird. (In einem Gespräch, das ich mit Deutsch als Fremdsprache-Lehrenden • Apokoinu-Konstruktionen (»Dreh- und einem Lehrwerkautor zu diesem sätze«), wie »das war der Film war Thema führte, wurde betont, daß ein we- das«. sentliches Problem im Zusammenhang Zusammenfassend zeigt sich somit, daß in mit Strukturen des gesprochenen Deutsch den Dialogen und Hörtexten zwar ge- darin liege, daß man als Deutschleh- wisse syntaktische Phänomene der ge- rende/r zu diesem Bereich »nichts an der 358

Hand habe« bzw. keine Ergebnisse vorlä- subordinierende Teilsätze durch Endstel- gen, »die didaktisch aufbereitet werden lung des finiten Verbs und liefert somit könnten«. Ein Defizit, dem sich die ein relativ klares syntaktisches Signal der Fremdsprachenforschung zu stellen hat.) grammatischen Inkorporation eines Teil- Das systematische Fehlen bestimmter satzes in einen andern (vgl. König/Van syntaktischer Strukturen des gesproche- der Auwera 1988). Folglich erfordern nen Deutsch, wie der Verbzweitstellung auch – so die deutsche Grammatik – in Adverbialsätzen, verweist auf ein Kausal- und Konzessivsätze, die durch weiteres Problem, mit dem ein an der »subordinierende« Konjunktionen wie gesprochenen Sprache orientierter weil und obwohl eingeleitet werden, die Deutsch als Fremdsprache-Unterricht Endstellung des finiten Verbs: konfrontiert ist: das Problem grammati- »Sie ist schon nach Hause gegangen, weil scher Normen. Dies betrifft die Frage, sie starke Kopfschmerzen hatte.« inwiefern syntaktische Strukturen, die »Ich gehe spazieren, obwohl es heftig reg- zwar für das gesprochene Deutsch ty- net.« pisch sind, doch von den an der Schrift- sprache orientierten Grammatiken als Im gesprochenen Deutsch treten jedoch »ungrammatisch« eingestuft werden, in gehäuft weil- und obwohl-Konstruktionen einem kommunikativen Unterricht ih- auf, die diese grammatische Norm miß- ren Platz haben oder außen vor bleiben achten und die sogenannte Hauptsatz- sollen.1 stellung aufweisen: »Der hängt total an ihr. (–) weil (.) der macht 4. Aspekte des gesprochenen Deutsch doch alles für sie. » am Beispiel der Verbzweitstellung in »Ich trinke noch ein Glas. (–) obwohl (.) ich weil- und obwohl-Konstruktionen hab ja schon zwei getrunken«. Anhand des im gesprochenen Deutsch Im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht weit verbreiteten Phänomens der Verb- stehen die Lehrenden somit vor der para- zweitstellung in Nebensätzen möchte ich doxen Situation, daß sie bei Lernenden nun Aspekte grammatischer Normen Konstruktionen korrigieren (müssen), und deren Relevanz für den Deutschun- die zum Repertoire gesprochen-sprachli- terricht näher beleuchten und zugleich cher Strukturen im Deutschen gehören mögliche Fragestellungen aufzeigen, die und denen die Deutschlernenden außer- sich aus den Ergebnissen der Gespro- halb des Unterrichts ständig begegnen. chene-Sprache-Forschung für den Trotz ihrer weiten Verbreitung in der ge- Deutsch als Fremdsprache-Unterricht er- sprochenen Sprache werden diese syn- geben. taktischen Konstruktionen von zahlrei- Das Deutsche, das Verbzweitstellung als chen Grammatiken zur deutschen Spra- grundlegende Wortstellung in selbstän- che (Brinkmann 1971; Heidolph/Flä- digen Satzkonstruktionen hat, markiert mig/Motsch 1984; Admoni 1982; Duden

1 Mit der Frage »Welches Deutsch lehren wir?« befaßt sich u. a. das Jahrbuch DaF (1997). Zwar liegt hierbei der Fokus weniger auf den Unterschieden zwischen geschriebenem und gesprochenem Deutsch als auf regionalen Varietäten; dennoch wird auch in diesem Zusammenhang das Problem der Diskrepanz zwischen den an der Schriftsprache orientierten Grammatiken und Lehrwerken und dem tatsächlich gesprochenen Deutsch angesprochen, vgl. Krumm (1997). Mit diesem Problem hat der Deutsch als Fremdspra- che-Unterricht umzugehen. 359

Grammatik 1984;1 Duden Sprachbera- lungsvarianten (Verbzweit- und Ver- tungsstelle; Helbig/Buscha 1986; Hent- bendstellung) in weil- und obwohl-Kon- schel/Weydt 1994), von Lernergrammati- struktionen haben im gesprochenen ken (wie der Mittelstufengrammatik Deutsch bestimmte kommunikative Wege (Latour 1988/92), Helbig/Buschas Funktionen, die durchaus zu beschreiben (1981) Deutsche Grammatik – Ein Handbuch und folglich auch zu vermitteln sind. Die für den Ausländerunterricht oder Rug/To- folgenden Untersuchungsergebnisse ba- maszewskis (Latour 1997) Grammatik mit sieren auf meinen empirischen Analysen Sinn und Verstand) und Deutschlehrwer- zu weil- und obwohl-Konstruktionen im ken noch immer ignoriert oder aber als gesprochenen Deutsch (vgl. hierzu ungrammatisch abgehandelt. Die Gram- Günthner 1993, 1996, 1999). matik mit Sinn und Verstand hat zwar ein spezielles Kapitel zur Grammatik der ge- 4.1 Weil-Konstruktionen mit Verbend- sprochenen Umgangssprache, in dem und Verbzweitstellung spezifische Tendenzen des gesprochenen Verbendstellung in weil-Sätzen wird in Deutsch aufgezeigt werden, doch beim der gesprochenen Sprache primär dann Thema Konjunktionen wird die Verb- verwendet, wenn eine enge inhaltsbezo- zweitstellung in weil- und obwohl-Sätzen gene Anbindung zwischen dem Haupt- mit keinem Wort erwähnt. Die einzige satz und der mit weil gelieferten Begrün- Lernergrammatik, die meines Wissens dung markiert wird. In diesen Fällen auf Verbzweitstellung in weil-Sätzen kann der mit weil eingeleitete Nebensatz (nicht jedoch auf obwohl-Sätze) eingeht, – wie bei Subjunktoren üblich – sowohl ist die Grammatik in Feldern (Buscha u. a. dem Hauptsatz vorangestellt (»weil sie 1998: 57). Allerdings sind die Ausführun- krank ist, bleibt sie zuhause«) wie auch gen zu den Funktionen der Verbzweit- nachgestellt sein (»sie bleibt zuhause, stellung in weil-Sätzen unzureichend. Mir weil sie krank ist«). ist außerdem kein Deutsch als Fremd- sprache-Lehrwerk bekannt, das auf die Dagegen wird die Verbzweitstellung in Hauptsatzstellung in weil- und obwohl- weil-Konstruktionen verwendet, in de- Konstruktionen im gesprochenen nen nur eine lose Anbindung markiert Deutsch eingeht. Eine Ausnahme bildet werden soll bzw. in denen die mit weil die IDS-Grammatik (Zifonun u. a. 1997), eingeleiteten Begründungen nicht auf die eine Grammatik von »Text und Dis- der Inhaltsebene, sondern im epistemi- kurs« darstellt und die »Spezifika gespro- schen oder sprechaktbezogenen Bereich chener Sprache aufgreift« (siehe auch Ei- liegen. senbergs 1989 erschienenen Grundriß der deutschen Grammatik). 4.1.1 Weil mit Verbzweitstellung zur Mar- Doch handelt es sich bei weil+Verbzweit- kierung einer epistemischen Begründung: stellung und obwohl+Verbzweitstellung Im Falle einer epistemischen weil-Kon- nicht etwa um Performanzentgleisungen, struktion liefert der weil-Satz die Infor- unkonzentriertes Sprechen oder sonstige mation, die zur Schlußfolgerung im vor- Schludrigkeiten, sondern die Verbstel- ausgegangenen (Teil)-Satz führt:

1In der Duden-Grammatik (1995: 397) wird bereits auf den in der »gesprochenen Umgangssprache« zunehmenden Gebrauch von weil mit »Voranstellung des finiten Verbs« hingewiesen, der jedoch als »standardsprachlich nicht korrekt« bezeichnet wird. 360

Kaffeeklatsch Aussage, sondern auf die Sprechhand- 42B: er hängt einfach total an ihr. (–) lung selbst, die der/die SprecherIn so- 43 weil ich merk das immer wieder. eben ausgeführt hat. Eine Verbendkonstruktion wäre hier Betrachten wir hierzu folgendes Beispiel: nicht möglich bzw. würde eine andere Kino Lesart implizieren: 18H: und was gibts außer Cinema Para- * er hängt total an ihr, weil ich das immer diso. wieder merk. 19 weil (–) DEN hab ich schon gesehen. Der weil-Satz wäre dann die Begründung Mit der weil-Äußerung begründet der dafür, weshalb er an ihr hängt. Sprecher, weshalb er die vorausgehende Auch im folgenden Beispiel liefert die Frage gestellt hat. weil-Äußerung die Wissens- und Erfah- Im folgenden Ausschnitt begründet die rungsgrundlage, die zu der in der vor- Sprecherin mit der weil-Äußerung ihre ausgegangenen Äußerung dargelegten vorausgegangene Bitte bzw. Aufforde- Schlußfolgerung führt. rung: Frühstück Telefon 12A: der hat sicher wieder gsoffen. (–) 1 Anne: gehst du grad mal ans Telefon. (–) 13 weil(.)sie läuft total deprimiert durch 2 weil (.) ich kann grad nicht weg. die Gegend. Mit der Äußerung »weil – sie läuft total 4.1.3 Weil mit Verbzweitstellung zur Mar- deprimiert durch die Gegend.« signali- kierung einer losen Verbindung zwischen siert der Sprecher, daß das Deprimiert- dem weil-Satz und der vorausgehenden Äu- sein der Protagonistin die Grundlage für ßerung: seine vorausgehende Vermutung (»er hat Betrachten wir hierzu folgenden Ge- sicher wieder gsoffen«) darstellt. Die Ver- sprächsausschnitt: bendstellung würde dagegen eine andere Yang Lesart nahelegen: »der hat sicher wieder 54A: daß nicht die MÄNNER sagen, gsoffen, weil sie total deprimiert durch 55 DU machst DAS und ICH mach DAS. die Gegend läuft«. Die Tatsache, daß »sie 56 weil=die=Männer=bestimmen=in=unse- deprimiert durch die Gegend läuft«, rer=Welt=wer= wäre dann der Grund für »sein Trinken«. welche=Arbeit= tut; Während also im Satz mit der Verbend- 57 und es geht darum, stellung ein bestimmter Sachverhalt (»sie 58 daß bei daß die Arbeit von Frau und Mann läuft total deprimiert durch die Gegend«) als Grund für einen anderen Sachverhalt Der weil-Satz in Zeile 56 ist nicht als (»der hat wieder gsoffen«) dargelegt Begründung des vorausgehenden und wird, wird im Satz mit der Verbzweitstel- damit als Teil der zitierten Rede zu ver- lung die Schlußfolgerung des Sprechers stehen, sondern hier meldet sich wieder (»der hat wieder gsoffen«) von einem die Sprecherin selbst zu Wort. Sachverhalt auf einen anderen geäußert. Auch im folgenden Transkriptausschnitt liefert der weil-Satz nicht etwa eine Be- 4.1.2 Weil mit Verbzweitstellung zur Mar- gründung für die vorausgehende Äuße- kierung einer Begründung im Sprechaktbe- rung, sondern er wird hier im Sinne einer reich: parenthetischen Begründung lediglich Hier bezieht sich der weil-Satz nicht etwa für einen bestimmten Teilbereich des vor- auf den Sachverhalt der vorausgehenden angegangenen Teilsatzes herangezogen: 361

Koedukation 57 Jahre hinein ein reines Mädchen- 55D: als das noch ein reines Mädchengym- gym[nasium;] nasium war, 58K: [ahja.] 56 weil (.) das war bis eh ich glaub ja bis 59D: da hatte es nen sehr sehr guten Ruf. in die fünfzger

Überblick über die Ergebnisse der beiden Konstruktionstypen (weil mit Verbend- und weil mit Verbzweitstellung) im gesprochenen Deutsch: weil mit Verbendstellung weil mit Verbzweitstellung Diskursfunktion Markierung einer engen Anbin- Markierung einer losen Anbindung dung zwischen Haupt- und weil- zwischen Haupt- und weil-Satz Teilsatz primär für Begründungen auf der primär für Begründungen auf der Sachverhaltsebene epistemischen und Sprechaktebene sowie bei nur losen Verbindungen zur vorausgehenden Äußerung. Formale Merkmale syntaktische Nebensatztransformationen sind Hauptsatzphänomene können auf- Merkmale möglich, wie die Umwandlung in treten (wie Linksversetzungen: einen Fragesatz oder in eine Adver- »Ich bin am Sonntag zu Hause, weil bialphrase (»Aufgrund ihrer Krank- meine Mutter (.) die feiert ihren heit bleibt sie zu Hause«) Siebzigsten«) Position des Initial- nur Finalposition möglich weil-Teilsatzes (»Weil sie krank ist, bleibt sie zu (*»weil es kommt ein guter Film, Hause«) was machst du heute abend«) und Finalposition (»Sie bleibt zu Hause, weil sie krank ist«) sind möglich pragmatische weil-Teilsatz liegt im Skopus der il- getrennte illokutionäre Kräfte; Merkmale lokutionären Kraft des Hauptsatzes weil leitet eigene Sprechhandlungen ein

4.2 Obwohl-Konstruktionen mit Verb- traditionellen Sinne verwendet wird: er end- und Verbzweitstellung kommt, obwohl er keine Lust hat, wird ob- Auch bei obwohl fungiert die Verbstellung wohl mit Verbzweitstellung in der gespro- in der gesprochenen Sprache als Mittel, chenen Sprache in einer anderen Funk- unterschiedliche Bedeutungen zu signa- tion verwendet, nämlich als Diskursmar- lisieren. Während obwohl mit Verbend- ker zur Signalisierung einer Korrektur- stellung als Konzessivkonjunktion im handlung1:

1 Bei Diskursmarkern handelt es sich um typische Elemente der gesprochenen Sprache, die primär pragmatische Funktionen innehaben, indem sie dem Rezipienten Verstehens- anleitungen geben, in welcher Beziehung das Folgende zum vorausgehenden Diskurs bzw. zur vorausgehenden Handlung steht. Eine zentrale Funktion von Diskursmarkern stellt die Markierung einer Korrekturhandlung dar; hierzu u. a. Hölker (1990), Fraser (1996). 362

1. »Ich komme dann morgen um zwei. (–) der Äußerung des ersten Sprechers ver- Obwohl (.) ich kann erst um drei«; wendet werden: 2. »Ich trinke noch ein Bier. (–) Obwohl (.) ich hab schon zwei getrunken«. Sommerhitze 1K: das is echt s’BESTE BIER. (–) Würde im Falle von »Ich trinke noch ein 2 ich mein von den alkoholfreien. Bier. obwohl (.) ich hab schon zwei getrun- 3(–) ken« Verbendstellung stehen, so hätten 4H: hhm. obwohl es gibt schon BESSERE. wir eine konzessive Lesart: »Ich trinke 5 zum Beispiel BECKS is bei weitem TRINKBARER. noch ein Bier, obwohl ich schon zwei getrun- ken hab«, bei der sowohl »ich trinke noch Diese sprecherübergreifende Verwen- ein Bier« wie auch »ich habe schon zwei dung von obwohl zur Markierung einer getrunken« als gültig präsentiert werden. Nichtübereinstimmung kann als dialogi- Doch im vorliegenden Falle des korrekti- sche Weiterentwicklung des korrektiven ven obwohl liegen zwei getrennte Hand- obwohl betrachtet werden. lungen vor: Mit der obwohl-Äußerung Obwohl eignet sich insofern als Vorlauf- wird in einem zweiten Schritt die voraus- element einer Nichtübereinstimmung, gehende Äußerung bzw. Sprechhand- als es keinen expliziten Dissens (wie nein lung (»Ich trinke noch ein Bier«) in ihrer oder stimmt nicht) artikuliert, sondern Gültigkeit zurückgenommen. aufgrund des potentiellen Zugeständnis- Während also obwohl-Konstruktionen mit ses (des rhetorischen Einräumungscha- Verbendstellung zur Markierung konzes- rakters) eine abgeschwächte und ge- siver Relationen verwendet werden, die- sichtsschonendere Form der Dissensmar- nen obwohl-Konstruktionen mit Verb- kierung darstellt (siehe S. 363). zweitstellung dazu, die Gültigkeit der Diese Ergebnisse zur Verwendung der vorausgehenden Äußerung einzuschrän- beiden Verbstellungsvarianten in weil- ken bzw. diese vollständig zu korrigie- und obwohl-Konstruktionen in der ge- ren. So korrigiert H im folgenden Ge- sprochenen Sprache werfen Fragen des sprächsausschnitt mit der obwohl-Äuße- möglichen Einbezugs von Spezifika rung seine vorausgehende Ablehnung mündlichen Sprechens in den Deutsch des Angebots einer Tasse Tee: als Fremdsprache-Unterricht auf. Ein Deutschunterricht, der beabsichtigt, sich Grüner Tee am tatsächlichen Gebrauch von Sprache 44E: willsch mal proBIERe? im Alltag zu orientieren, sollte diese 45H: hm. ich mag kein grünen Tee. Verbstellungstypen und ihre Funktionen 46 (0.5) durchaus thematisieren und in diesem 47H: obwohl (–) GEB mir doch mal ne (–) h’ halbe Tasse voll. Zusammenhang auf Unterschiede zwi- schen syntaktischen Konstruktionen im Wie bei weil-Konstruktionen mit Verb- gesprochenen und geschriebenen zweitstellung, so leiten auch obwohl-Äu- Deutsch aufmerksam machen. Be- ßerungen mit Verbzweitstellung – wie stimmte grammatische Ressourcen (wie das vorliegende Beispiel veranschaulicht die Verbstellung) werden im gesproche- – eigene Sprechhandlungen ein. Hier nen und geschriebenen Deutsch teilweise wird mit obwohl ein Imperativ bzw. eine unterschiedlich verwendet: So kommt Aufforderung eingeführt. das korrektive obwohl mit Verbzweitstel- Das korrektive obwohl kann aber auch lung spezifischen Anforderungen ge- von einem zweiten Sprecher zur Signali- sprochener Sprache entgegen, indem es sierung einer Nichtübereinstimmung mit soeben gemachte Äußerungen ein- 363

Übersicht der obwohl-Konstruktionstypen (obwohl mit Verbend- und Verbzweitstellung) im gesprochenen Deutsch: obwohl mit Verbendstellung obwohl mit Verbzweitstellung Diskursfunktion konzessives obwohl: korrektives obwohl: trotz scheinbar widersprüchlicher ein Perspektivenwechsel findet Informationen werden die beiden statt. Mit dem Äußern des obwohl- Sachverhalte (im Haupt- und Ne- Satzes wird die vorausgehende bensatz) als gültig vorgestellt Sprechhandlung korrigiert Formale Merkmale Gültigkeit der bleibt erhalten wird teilweise bzw. vollständig kor- vorausgehen- rigiert den Äußerung (bzw. der Infor- mation im Hauptsatz) syntaktische Nebensatztransformationen sind Hauptsatzphänomene können auf- Merkmale möglich (wie Umwandlungen in treten (wie Linksversetzungen Fragesätze und Adverbialphrasen) »meine Eltern sind noch ziemlich jung. obwohl(.) meine Mutter die (.) wird dieses Jahr auch schon sech- zig«) Position des Initial- nur Finalposition ist möglich obwohl-Satzes (»obwohl es heftig regnet, gehe ich spazieren«) wie auch Finalposition (»ich gehe spazieren, obwohl es hef- tig regnet«) sind möglich pragmatische obwohl-Teilsatz liegt im Skopus der getrennte illokutionäre Kräfte; Merkmale illokutionären Kraft des Hauptsat- obwohl kann u. a. eigenständige Fra- zes gesätze und Imperative einleiten schränkt bzw. korrigiert – in geschriebe- zung mit Erkenntnissen der Gespro- nen Texten findet sich obwohl mit Verb- chene-Sprache-Forschung unabdingbar. zweitstellung lediglich im Zusammen- Eine solche Auseinandersetzung eröffnet hang mit Formen sekundärer Mündlich- zugleich neue Arbeitsbereiche für die keit, d. h. der Rekonstruktion dialogi- Deutsch als Fremdsprache-Forschung: scher Sprache (z. B. in Interviews, Werbe- • Die Ermittlung der Spezifika des ge- texten etc.), sowie in der E-Mail-Kommu- sprochenen Deutsch (von informellen nikation. Alltagsgesprächen bis zu formellen in- stitutionellen Interaktionen); 5. Schlußfolgerungen • Fragen der didaktischen Umsetzung Sofern wir einen Deutsch als Fremdspra- dieser Ergebnisse im Deutsch als che-Unterricht fordern, der die Sprach- Fremdsprache-Unterricht: wirklichkeit und damit auch die gespro- – Welche Phänomene gesprochener chene Alltagssprache berücksichtigen Sprache sollen wann in die Lehr- soll, scheint mir eine Auseinanderset- werkdialoge integriert werden? 364

– Welche Phänomene gesprochener Buscha, Joachim u. a.: Grammatik in Feldern. Sprache sind typisch für welche Text- München: Verlag für Deutsch, 1998. gattungen und sollten folglich in Zu- Duden Grammatik der deutschen Gegenwarts- sprache. Mannheim; Leipzig; Wien; Zü- sammenhang mit den betreffenden rich: Dudenverlag, 1995. Gattungen vermittelt werden? Eisenberg, Peter: Grundriß der deutschen – Auf welche Phänomene gesproche- Grammatik. Stuttgart: Metzler, 1989. ner Sprache kann aus welchen Grün- Helbig, Gerhard; Buscha, Joachim: Deutsche den verzichtet werden (z. B. Neuan- Grammatik. Ein Handbuch für den Auslän- fänge, Zögerungsmarkierungen)? derunterricht. Leipzig: VEB Verlag, 1981. Helbig, Gerhard; Buscha, Joachim: Deutsche – Welche Phänomene gesprochener Grammatik. Leipzig: VEB-Verlag, 1986. Sprache sind explizit und systema- Heidolph, Karl Erich; Flämig, Walter; tisch zu erläutern (z. B. Modalparti- Motsch, Wolfgang: Grundzüge einer deut- keln, Diskurspartikeln, Linksverset- schen Grammatik. Berlin: Akademie-Ver- zungen, Vor-Vorfeldkonstruktionen, lag, 1984. Verbspitzenstellung, Verbzweitstel- Hentschel, Elke; Weydt, Harald: Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin: de Gruy- lung in Kausal- und Konzessivkon- ter, 1994. struktionen)? Latour, Bernd: Wege. Mittelstufen-Grammatik • Auseinandersetzung mit grammati- für Deutsch als Fremdsprache. München: schen Normen und dem Problem der Hueber, 1988/1992. Diskrepanz zwischen den an der Rug, Wolfgang; Tomaszewski, Andreas: Grammatik mit Sinn und Verstand. Mün- Schriftsprache orientierten Grammati- chen: Klett, 1997. ken und dem tatsächlich gesprochenen Weinrich, Harald: Textgrammatik der deut- Deutsch. schen Sprache. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag, 1993. Zifonun, Gisela; Hoffmann, Ludger; Strek- Literatur ker, Bruno: Grammatik der deutschen Spra- che. Band 1–3. Berlin; New York: de Gruy- Lehrwerke ter, 1997. Deutsch aktiv 3. Ein Lehrwerk für Erwachsene. Mittelstufe. Berlin: Langenscheidt, 1990. Weitere Literatur Lernziel Deutsch. Deutsch als Fremdsprache. Auer, Peter: »Über«, Lili. Zeitschrift für Lite- Grundstufe 2. München: Hueber, 1989. raturwissenschaft und Linguistik 90/91 Sprachbrücke. Deutsch als Fremdsprache. (1993a), 104–138. Handbuch für den Unterricht. München: Auer, Peter: »Zur Verbspitzenstellung im Klett, 1990. gesprochenen Deutsch«, Deutsche Sprache Stufen. Kolleg Deutsch als Fremdsprache. 3 (1993b), 193–222. München: Klett, 1995. Auer, Peter: »Formen und Funktionen der Themen neu 3. Lehrwerk für Deutsch als Vor-Vorfeldbesetzung im gesprochenen Fremdsprache. München: Hueber, 1994. Deutsch«. In: Schlobinski, Peter (Hrsg.): Unterwegs: Lehrwerk für die Mittelstufe. Syntax des gesprochenen Deutsch. Opladen: Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Langen- Westdeutscher Verlag, 1997, 55–92. scheidt, 1998. Behaghel, Otto: Deutsche Syntax. Eine ge- Wege: Deutsch als Fremdsprache. Mittelstufe. schichtliche Darstellung. Band II: Die Wort- München: Hueber, 1992. klassen und Wortformen. Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Grammatiken 1924. Admoni, Wladimir: Der deutsche Sprachbau. Ehlich, Konrad: »Funktional-pragmatische 4. Auflage. München: Beck, 1982. Kommunikationsanalyse – Ziele und Ver- Brinkmann, Henning: Die deutsche Sprache. fahren«. In: Hartung, Wolfdietrich Gestalt und Leistung. Düsseldorf: Pädago- (Hrsg.): Untersuchungen zur Kommunika- gischer Verlag Schwann, 1971. tion – Ergebnisse und Perspektiven. Berlin: 365

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Didaktik DaF / Praxis

Sprichwörter in einem phraseologischen Wörterbuch1

Tamás Kispál

1. Einleitung (Duden 11, Hessky/Ettinger 1997, Müller Sprichwörter sind nach einer alten Defi- 1994, Schemann 1993) sowie zwei Wör- nition von Friedrich Seiler (1922: 2) »im terbücher in neuer Auflage (Agricola Volksmund umlaufende, in sich ge- 1992, Röhrich 1991/1992). Außerdem schlossene Sprüche von lehrhafter Ten- gibt es z. B. noch folgende bekannte phra- denz und gehobener Form«. Sprichwör- seologische Wörterbücher (Friederich ter sind Gegenstand der Phraseologie 1976, Görner 1979, Schemann 1989a), von und der eher volkskundlich orientierten denen Görner (1979) und Schemann Parömiologie. Nach den Merkmalen (1989a) onomasiologisch gegliedert sind. »Stabilität« und »Idiomatizität« lassen sie Von diesen phraseologischen Wörterbü- sich der Phraseologie, der linguistischen chern kann man die Sprichwort-Wörter- Disziplin der festen Wortverbindungen bücher (z. B. Beyer/Beyer 1984, Simrock zuordnen. Von Phraseologismen unter- 1846, Wander 1867–1880) trennen, die halb der Satzgrenze (z. B. jmdm. einen ausschließlich oder hauptsächlich Bären aufbinden) unterscheiden sie sich, Sprichwörter enthalten (vgl. Mieder weil sie satzwertig sind. Sie werden auch 1989). Sie sind mitunter nur Sprichwortli- als »Mikrotexte« behandelt, weil sie im sten ohne oder mit sehr wenigen Anga- Gegensatz zu den sog. festen Phrasen ben. Von den neun von mir untersuchten (z. B. Da liegt der Hund begraben.) kein phraseologischen Wörterbüchern gibt es Kontextverweiselement enthalten. nur vier, in denen auch Sprichwörter In der deutschsprachigen lexikographi- kodifiziert wurden (Duden 11, Röhrich schen Literatur gibt es heute mehrere 1991/1992, Schemann 1989a, Schemann wertvolle phraseologische Wörterbücher. 1993). Der vorliegende Beitrag be- In den 90er Jahren erschienen z. B. vier schränkt sich auf die Deutsche Idiomatik wichtige neue Idiomatikwörterbücher von Schemann (1993). Dieses Wörterbuch

1 Der vorliegende Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Vortrags, den ich am 9.4.1999 auf dem IX. Ungarischen Kongreß der Angewandten Linguistik an der Universität Veszprém gehalten habe.

Info DaF 27, 4 (2000), 367–375 368 zeichnet sich gegenüber anderen phra- verhält es sich auch im untersuchten seologischen Wörterbüchern durch seine Wörterbuch von Schemann. Für Sche- kontextorientierte Bedeutungsdarstel- mann (1993: XII) gelten nämlich »alle lung aus und somit stellt es auch für den Einheiten, die kontextgebunden sind«, DaF-Lerner ein wertvolles Nachschlage- als ›idiomatisch‹. werk dar. Das Wörterbuch hat einen ziemlich um- fassenden Vorspann vor dem Verzeichnis 2. Deutsche Idiomatik: Inhalt und Auf- der »Redewendungen«. Nach »Zeichen- bau erklärung und Benutzerhinweise« (IX–X) Die Deutsche Idiomatik enthält ca. 35000 kommt die »Einleitung« (XI–XXI), der phraseologische Einheiten, wobei das At- eine 70seitige »wissenschaftliche Einfüh- tribut »phraseologisch« und besonders rung in die (deutsche) Idiomatik« (XXIII– das im Titel enthaltene Wort »Idiomatik« CXIII) und eine ausführliche »Idiomatik- in einem sehr weiten Sinne verstanden Bibliographie« (CXV–CLIX) folgen. Da- werden muß. (Diese Zahl steht auf dem bei ist allerdings anzumerken, daß so- hinteren Buchdeckel. Schemann (1993: wohl die wissenschaftliche Einführung XII) schreibt in seiner Einleitung von als auch die Bibliographie die von Sche- rund 32.000 Redewendungen.) In der ein- mann vertretene weiteste Auffassung der schlägigen phraseologischen Literatur Idiomatik widerspiegeln. wird eine Verbindung als phraseologisch Im Idiomatikverzeichnis sind die Stich- betrachtet, wenn sie Polylexikalität, syn- wörter der Wendungen alphabetisch ge- taktische und semantische Irregularitä- ordnet, und zwar in derselben Form, ten sowie Lexikalisierung aufweist (vgl. wie sie in der jeweiligen Wendung vor- Burger 1982: 1). Die idiomatischen festen kommen, z. B. Wer zuerst kommt, mahlt Wortverbindungen (z. B. das fünfte Rad am zuerst. unter dem Lemma kommt, ob- Wagen) werden zum Zentrum, die kom- wohl auch das Stichwort kommen im munikativen Formeln (z. B. Schwamm Wörterbuch enthalten ist, Es wird nicht/ drüber!) oder die Kollokationen (z. B. nichts so heiß gegessen, wie (es) gekocht jmdm. Hilfe leisten) werden z. B. zur Peri- (wird). unter gegessen, obwohl auch das pherie der Phraseologie gerechnet. Stichwort essen lemmatisiert ist. Die Sprichwörter gehören in der germanisti- Stichwortauswahl ist durch wortarten- schen Phraseologieforschung – wenn spezifische Prinzipien geprägt. Hat der überhaupt zur Phraseologie (vgl. dage- Ausdruck ein Substantiv, bestimmt dies gen Fleischer 1994) – meist zur Phraseolo- die alphabetische Einordnung, sonst gie im weiteren Sinne (Palm 1995: 3f.). zählen in der folgenden Reihenfolge das Burger (1998: 15) lehnt allerdings eine Verb, das Adjektiv, das Adverb, Prono- strikte Unterscheidung zwischen Phra- mina, Interjektionen, Partikeln usw. als seologismen im engeren und im weiteren Stichwörter (XVIff.). Schemann (XIXf.) Sinne ab, und in Burger (1998: 39) behan- begründet das Vermeiden der sonst üb- delt er Sprichwörter als die wichtigste lichen Grundform (Substantiv im Nomi- Gruppe der satzwertigen Phraseologis- nativ Singular, Verb im Infinitiv) damit, men (vgl. auch ebd.: 100ff.). daß die Bedeutung der Komponenten in Nach den Merkmalen »Polylexikalität« den »Idiomen« nicht mit ihrer »Grund- und »Stabilität« kann man eigentlich jede bedeutung« identisch ist und daß dies feste Kombination von zwei Wörtern auch der sprachlichen Intuition folge. (z. B. an sich, wenn auch, so daß) zur Phra- Bei DaF-Lernern folgt jedoch die Kodifi- seologie rechnen (Burger 1998: 16). So kationsform wahrscheinlich nicht der 369 sprachlichen Intuition. Wenn man z. B. des zur allgemeinen Materialbasis: eine den Wortlaut des Sprichworts Es wird kritische Durchsicht einer großen Zahl nicht/nichts so heiß gegessen, wie (es) ge- zeitgenössischer und auch einiger älte- kocht (wird). nicht genau weiß, könnte rer Texte, eine ›gemischte‹ Lektüre von man es auch unter dem Stichwort essen Zeitungen und Zeitschriften, eine konti- suchen. Dort gibt es aber keinen Verweis nuierliche Beobachtung der mündlichen auf dieses Sprichwort, was allerdings Sprache, die Auswertung der aktuellen von diesem Wörterbuch auch nicht un- allgemeinen und idiomatischen Wörter- bedingt zu erwarten ist. Die Art der bücher des Deutschen und die wesentli- Stichwortansetzung kann auf jeden Fall chen wissenschaftlichen und vorwissen- für nichtdeutschsprachige Wörterbuch- schaftlichen Materialien zur Idiomatik benutzer m. E. kaum begründet werden. und ihren Grenzgebieten. Diese Vielfalt Die Einordnung der Redewendungen der Quellen kann man auf jeden Fall unter einem Stichwort ist ziemlich kom- begrüßen, besonders vor dem Hinter- pliziert. Die An- und Einordnungsprinzi- grund, daß die meisten Wörterbuch- pien erläutert Schemann (XV) in 14 Punk- schreiber einfach voneinander abschrei- ten. Darauf wird hier nicht näher einge- ben. Neben der Auswertung der aktuel- gangen. Es soll nur bemerkt werden, daß len Wörterbücher des Deutschen hat das Finden einer Wendung unter dem Schemann also noch zahlreiche wichtige Stichwort trotz der angeführten Prinzi- Quellen berücksichtigt. Die zitierten pien langwierig sein kann. Die drei Quellen beziehen sich wohl auch auf die Sprichwörter im Wörterbuchartikel Hund kodifizierten Sprichwörter. Im Wörter- (Ein toter Hund beißt nicht mehr. – Hunde, buch habe ich etwa 150 Sprichwörter die bellen, beißen nicht! – Den letzten beißen gefunden. Bei 35000 Wendungen ist die Hunde.) sind z. B. unter den 59 Wen- diese Zahl ziemlich gering. Zum Ver- dungen mit Hund an drei verschiedenen gleich: im Idiomatik-Duden, im 11. Band Stellen zu finden. Die Sprichwörter sind im Wörterbuch konsequent mit kleinen der zwölfbändigen Duden-Reihe (Du- Anfangsbuchstaben geschrieben. Mit der den 11), gibt es nach meiner Zählung vielfältigen (jedoch begrenzten) Variati- 300 Sprichwörter unter den 10000 Wen- onsmöglichkeit der Sprichwörter im dungen. Schemann (1993) enthält drei- Kontext kann das Fehlen der großen An- mal so viele Einträge und nur halb so fangsbuchstaben zwar begründet wer- viele Sprichwörter. Wichtiger als die den. Als Gründe für große Anfangsbuch- Quantität ist jedoch eindeutig, welche staben könnten allerdings die Über- Sprichwörter in einem Wörterbuch ko- schaubarkeit und die Abgrenzung der difiziert werden. Seit 1996 liegt eine Li- Sprichwörter im Wörterbuchartikel an- ste von 57 Sprichwörtern vor, die sich geführt werden. nach empirischen Untersuchungen als die bekanntesten deutschen Sprichwör- 3. Sprichwörter in der Deutschen Idio- ter herausgestellt haben (vgl. Baur/ matik Chlosta 1996; Baur/Chlosta/Grzybek 1996). Auch wenn diese Liste natürlich 3.1 Sprichwortauswahl nicht als absolut gilt, ist es auffallend, Bei der Aufnahme des Materials ist auf daß die Hälfte (28) der 57 Sprichwörter die von Schemann (XI) in der Einleitung in die Deutsche Idiomatik nicht aufge- angegebenen Quellen hinzuweisen. Der nommen wurde. Die folgenden Sprich- Wörterbuchautor erwähnt dort folgen- wörter sind z. B. nicht kodifiziert: 370

Morgenstunde hat Gold im Munde.1 muttersprachler ohnehin nicht oder nur Ohne Fleiß kein Preis. mit Vorsicht empfohlen werden kann

Viele Köche verderben den Brei. (vgl. Baur/Chlosta 1996, Kispál 1999). Da Übung macht den Meister. das Wörtchen »selten« die einzige Häu- Der Idiomatik-Duden weist auch hier figkeitsangabe im Wörterbuch darstellt, eine bessere Position auf. Dort fehlen nur ist bei den auf diese Weise nicht markier- drei Sprichwörter von der erwähnten Li- ten Sprichwörtern anzunehmen, daß sie ste. Einige Sprichwörter, die zwar nicht in nach dem Wörterbuchautor häufig be- der empirischen Liste enthalten, aber nutzt werden. Das sollte auch die geringe wohl weitbekannte Sprichwörter sind, Zahl der kodifizierten Sprichwörter be- wurden in Schemann (1993) aufgenom- stätigen. men: Neue Besen kehren gut. 3.2 Sprichwortangaben Man muß das Eisen schmieden, solange es Bei den Sprichwörtern sind außer even- (noch) heiß ist. tuellen Häufigkeitsangaben (wie »sel- Einem geschenkten Gaul guckt/(schaut) ten«) noch Angaben zur Variation und man nicht ins Maul. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. zum Stil zu finden. Ziemlich viele Sprich- wörter sind in mehreren möglichen Vari- Beachtenswert ist es, daß zu zwölf anten angegeben. Davon sind die relative Sprichwörtern die Markierung »selten« Stabilität und die Variationsfreudigkeit hinzugefügt wurde: von Sprichwörtern abzulesen. Varianten Wenn der Berg nicht zum Propheten werden entweder durch die gewohnten kommt, muß der Prophet wohl zum Berge Mittel wie Schrägstrich und Klammern kommen. (Lieber einen Spatz/(einen Spatzen/den Spat-

Wes Brot ich eß/esse, des Lied ich sing(e). zen) in der Hand als eine/(die) Taube auf dem Mit Geduld und Spucke … (fängt man eine Dach.) oder durch das Wörtchen »eher« Mucke). Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. markiert. Letzteres gibt auch über die Heute mir, morgen dir. öfter verwendete Variante Aufschluß. Ein toter Hund beißt nicht mehr. Statt des Sprichworts Gegen Dummheit ist Eine Katze fällt immer (wieder) auf die kein Kraut gewachsen. sollte man z. B. nach Pfoten. dem Wörterbuch »eher« die Form Gegen Wer zahlt, bestimmt die Musik./Wer die Musik bestellt, bestimmt das Fest. Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Rache ist Blutwurst. verwenden. Rache ist süß. Etwa ein Fünftel der kodifizierten Sprich- Es ist nicht alle Tage Sonntag. 2 wörter gehören nach Schemann nicht zur Wie du mir, so ich dir. Standardsprache. Die meisten markier- Dieses Zeichen kann auch den fremd- ten Sprichwörter werden nach dem Wör- sprachigen Deutschlerner auf die be- terbuch umgangssprachlich verwendet schränkte Verwendung dieser Sprich- (z. B. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. wörter aufmerksam machen, obwohl das – Einem geschenkten Gaul guckt/(schaut) Verwenden von Sprichwörtern für Nicht- man nicht ins Maul. – Eine Hand wäscht die

1 Dieses Sprichwort ist nach Mieder (1997) das populärste deutschsprachige Sprichwort. Das Lemma Morgenstunde und zwei Redewendungen mit diesem Stichwort wurden in Schemann (1993) aufgenommen, das Sprichwort jedoch nicht. 2 Es ist merkwürdig, daß das als »selten« markierte Sprichwort Wie du mir, so ich dir auch in der Liste der 57 bekanntesten deutschen Sprichwörter enthalten ist. 371 andere.). Aber auch Sprichwörter der sa- in welchem Fall ein Beleg und wann ein loppen (z. B. Geld stinkt nicht.) oder der konstruiertes Beispiel angeführt wurde. gehobenen Sprache (z. B. Dem Glücklichen Nach den bisher (besonders aus der Per- schlägt keine Stunde.) finden sich im Wör- spektive des DaF-Lerners) meist als defi- terbuch. Die Einstellung des Sprechers zitär eingestuften Merkmalen des Wör- markieren die Bezeichnungen terbuchs wird im folgenden veranschau- »path«(etisch) (z. B. Noch ist/Es ist noch licht, was alles der Benutzer (auch der nicht aller Tage Abend.), »iron«(isch) (z. B. fortgeschrittene Deutschlerner) im Wör- Keine Rose ohne Dornen.) oder terbuch aus dem Kontext von Sprichwör- »scherzh«(aft) (z. B. Rache ist Blutwurst.). tern erschließen kann: Die im Wörterbuch verwendeten Stilan- – Sprichwörter können im Kontext in gaben sollte man allerdings mit Vorsicht einer von dem lexikographisch kodifi- akzeptieren, denn diese Markierungen zierten Wortlaut abweichenden Form stimmen bekanntlich mit denen in ande- auftreten. Die Beispiele zeigen diese Ein- ren Wörterbüchern bei denselben Einträ- bettung der Sprichwörter in den Kontext: gen oft nicht überein. Das gilt auch für Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Re- Sprichwörter. Teilweise liegt das an der gel! (51) verschiedenen Interpretation der jeweili- Es ist halt nicht alles Gold, was glänzt. (278) gen stilistischen Markierungen und am Laßt uns den Tag nicht vor dem Abend

Mangel an empirischen Untersuchungen loben. (828) zur stilistischen Markiertheit von Sprich- (Hervorhebungen T. K.) wörtern. – Sprichwörter sind polysituativ (Grzy- Bei den Wendungen stehen keine Bedeu- bek 1984: 222), d. h. ein Sprichwort kann tungsangaben im Schemann (1993). Die in vielen verschiedenen Kontexten, Situa- Kernbedeutung sollte durch das Beispiel tionen vorkommen. Für das Sprichwort illustriert werden und das Beispiel sollte Den letzten beißen die Hunde. werden z. B. »den Wörterbuchbenutzer in die Lage zwei verschiedene Situationen im Wör- setzen, von dieser Kernbedeutung aus terbuch angegeben: die Redewendung in dem ihr gemäßen 1. »… Es ist besser, wir hauen ab! Diese Kontextrahmen zu benutzen« (Schemann Sauferei wird ein teurer Spaß sein – 1993: XV; Schemann 1991: 1026). Inwie- und den letzten beißen die Hunde! – Was, weit der Kontext im Wörterbuch dem der letzte soll die ganze Zeche bezah- fremdsprachigen Benutzer bei der Be- len? Das ist doch nicht möglich!« deutungserschließung (oder Sinner- 2. »… Jetzt aber raus! Wenn ich in zwei schließung) von Sprichwörtern behilflich Minuten noch jemanden in der Klasse sein kann, ist fraglich. Man kann jeden- sehe, hagelt’s Strafarbeiten. Raus, sage falls der Feststellung von Hessky/Ettin- ich – den letzten beißen die Hunde! – Was ger (1997: XVIII) zustimmen, daß die passiert denn mit dem letzten, Herr Benutzung von Schemann (1993) solide Hoffmeister? – Frag nicht so blöd! Sprachkenntnisse verlangt, »um die je- Raus!« (376) weilige Bedeutung der Redewendungen – Sprichwörter können viele kommuni- aus den Beispielsätzen rekonstruieren zu kative Funktionen ausüben. Sie können können«. Das Wörterbuch ist also für im Text u. a. als Warnung, Überredung, Deutschlerner im Anfängerstadium nicht Argument, Bestätigung, Trost fungieren geeignet. Es ist schade, daß die Kontex- (Röhrich/Mieder 1977: 81). Die Poly- tangaben keine Hinweise auf die Quelle funktionalität (Grzybek 1984: 222), die enthalten. Daher kann man nicht wissen, sich in dieser Fülle von pragmatischen 372

Funktionen ausdrückt, charakterisiert wohl problematischer als z. B. in einem auch einzelne Sprichwörter. Der Wörter- Zeitungsartikel: buchbenutzer sollte wissen, daß die in Als Einleitung einer Argumentation: Schemann (1993) angegebene Funktion »… Papa, das siehst du vollkommen falsch! nur eine der vielen möglichen kommuni- – Aha, das Ei will mal wieder klüger sein als die kativen Funktionen des jeweiligen Henne! Ich habe mich mit diesem Thema Sprichworts darstellt: schon beschäftigt, Ulla, da warst du über- haupt noch nicht geplant.« (148) Sprichwort als Ratschlag: Als Abschluß einer Argumentation: »… Wie soll ich mich entscheiden? Auf der einen Seite das Angebot von Schuckert und »Schließ dein Rad ab, Junge! Selbst in einem Co. – hochinteressant, wenn auch noch so ruhigen Viertel läßt man ein Fahrrad nicht ganz sicher –, auf der anderen eine doch abends nicht unabgeschlossen drau- todsichere Sache bei Kreudel – ein Routine- ßen stehen. Gelegenheit macht Diebe.« (246) beruf … – Wenn ich dir raten darf: lieber – Manchmal genügt bloß die Andeutung einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.« (774) auf ein Sprichwort und man assoziiert sofort das Sprichwort. Vgl. das folgende Sprichwort als Bestätigung: Beispiel aus dem Wörterbuch: »Er machte bei der Vorstellung einen blen- »Er hat sich also wieder mit diesen leichten denden Eindruck! Aber wie sich bald her- Mädchen eingelassen? Wo er doch hoch ausstellte, täuschte dieser Eindruck. Er ar- und heilig versprochen hatte, in Zukunft beitet schlecht und ist auch persönlich nicht ein anderes Leben zu führen! – Nun ja, du zuverlässig. – Es ist halt nicht alles Gold, was weißt ja: Der Geist ist willig …/Der Geist ist glänzt.« (278) willig, aber das Fleisch ist schwach.« (242) – Sprichwörtern können typische meta- – Der Kontext soll auch, »wo es geraten sprachliche Kommentare vorangestellt scheint, den Bedeutungskern zusätzlich werden. Auch solche Formulierungen durch Quasisynonyma im Beispieltext« sind in den Sprichwortkontexten des paraphrasieren (Schemann 1993: XVf.). Wörterbuchs zu finden: Dies gilt jedoch vor allem für Redewen- »wie der Volksmund sagt: ›Der Apfel fällt dungen, bei denen synonyme Redewen- nicht weit vom Stamm.‹« (29) dungen im Kontext vorkommen können »Nach dem Motto: ›Liebe geht durch den (vgl. Greciano 1987: 196ff.). Wegen der

Magen.‹« (489) allgemeinen Funktion der Sprichwörter, »wie es so schön heißt: Kleinvieh macht auch einen Gedanken in Kürze und Prägnanz Mist.« (415) »wie das Sprichwort sagt: ›ein Unglück zu formulieren, kommt es bei ihnen aller- kommt selten allein‹« (886) dings selten zu einer solchen Paraphra- sierung. In der Umgebung eines Sprich- – Sprichwörter können an verschiedenen wortes kommen also nur selten andere Textstellen stehen. Auch dies wird an den (quasi)synonyme Sprichwörter oder Va- zitierten Kontexten deutlich. Dabei muß rianten vor (das erste Beispiel). Dort kann man allerdings den Unterschied zwi- es sich eher (wahrscheinlich auch nicht schen schriftlichen und mündlichen Tex- oft) um eine Umschreibung mit eigenen ten berücksichtigen. In einer empirischen Worten handeln (das zweite Beispiel): Untersuchung zum Vorkommen von Sprichwörtern in Tageszeitungen sind 1. »Nun ja, viel taugt diese Platte ja nicht die meisten Sprichwörter in der Artikel- mehr. Aber sie ist schließlich ein Ge- schenk. Und wie sagt man: Einem ge- mitte aufgefunden worden (Chlosta et al. schenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. – 1993). In einem mündlichen Text ist je- Und einem geschenkten Barsch guckt doch die Festlegung von Textpositionen man nicht? – in die Kiemen!« (225) 373

2. »An der alten Weisheit ›Eile mit Weile‹ ist doch eine auch für Nichtmuttersprachler wirklich was dran. Denn wenn man we- sehr anschauliche Methode. Bei den nig Zeit hat oder glaubt, wenig Zeit zu Sprichwörtern ist die Bedeutung zwar haben, sollte man die Dinge wirklich mit Bedacht angehen und jegliche Hektik aus dem angegebenen Kontextbeispiel vermeiden. Sonst macht man nur unnö- verschiedentlich zu erkennen, aber die- tige Fehler, die letztlich genau das kosten, ses Verfahren bietet dem Wörterbuchbe- was man nicht hat – Zeit.« (150) nutzer eine vielseitige Hilfe. Dadurch wird die aktive Funktion des Wörter- 4. Zusammenfassung buchs deutlich, weil sich viele Sprich- Die Deutsche Idiomatik von Schemann ist wortmerkmale im Kontext erkennen las- in der deutschen phraseologischen und sen: Variationsfreudigkeit, Polysituativi- lexikographischen Literatur von großer tät, Polyfunktionalität, metasprachliche Bedeutung. Mit seinem unfangreichen Kommentare, Andeutung durch ver- Material gehört dieses Wörterbuch näm- kürzte Sprichwortformen, Paraphrasie- lich zu einem der größten und wichtig- ren im Kontext. In jedem Fall sollte aber sten deutschen phraseologischen Wörter- darauf hingewiesen werden, daß das Bei- büchern der 90er Jahre. Es zeichnet sich spiel immer nur ein mögliches Beispiel auch durch seine umfassende wissen- ist. Es gibt noch viele mögliche typische schaftliche Einführung und Bibliogra- Beispiele. Dieses Wörterbuch kann folg- phie aus. Die recht weite Auffassung der lich in gewissem Maße sowohl zur Wör- Phraseologie und der Idiomatik im Wör- terbuchdidaktik als auch zur Sprichwort- terbuch trägt jedoch der Forschungslage didaktik einen bedeutsamen Beitrag lei- der germanistischen Phraseologie nicht sten. Rechnung. Bezüglich der Sprichwortbehandlung läßt das Wörterbuch einiges zu wün- Literatur schen übrig. Die Anzahl der aufgenom- menen Sprichwörter ist relativ gering. Wörterbücher Die Auswahl der Sprichwörter entspricht Agricola, Erhard: Wörter und Wendungen. nicht den Ergebnissen der empirischen Wörterbuch zum deutschen Sprachgebrauch. Neufassung der 14. Auflage. Mannheim; Sprichwortforschung. Die Häufigkeits- Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag, markierung »selten« ist jedoch zu begrü- 1992. ßen. Die ungewöhnliche Anordnung der Beyer, Horst; Beyer, Annelies: Sprich- Lemmata und die Einordnung der Wen- wörterlexikon. Sprichwörter und sprich- dungen unter den Stichwörtern kann – wörtliche Ausdrücke aus deutschen Samm- zumindest für nichtmuttersprachliche lungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegen- wart. Leipzig: Bibliographisches Institut, Deutschlerner – problematisch sein. Die 1984. variationsreiche Lemmatisierung der Duden 11 = Redewendungen und sprichwörtli- Sprichwörter und die enthaltenen Stilan- che Redensarten. Wörterbuch der deutschen gaben sind vorteilhaft. Es sollte aller- Idiomatik. Bearbeitet von Günther Dros- dings auf ein vorsichtiges, nicht rückhalt- dowski und Werner Scholze-Stubenrecht. loses Akzeptieren der stilistischen Mar- Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Du- kierungen aufmerksam gemacht werden, denverlag, 1992 (Der Duden in 12 Bän- den, 11). weil diese Kennzeichungen in den ver- Friederich, Wolf: Moderne deutsche Idiomatik. schiedenen Wörterbüchern sehr unter- Alphabetisches Wörterbuch mit Definitionen schiedlich beurteilt werden. Die Darstel- und Beispielen. 2., neubearbeitete Auflage. lung der Wendungen im Kontext ist je- München: Hueber, 1976. 374

Görner, Herbert: Redensarten. Kleine Idioma- zum Vorkommen von Sprichwörtern in tik der deutschen Sprache. Leipzig: Biblio- den Tageszeitungen ›Die Welt‹, ›Frank- graphisches Institut, 1979. furter Allgemeine Zeitung‹ und ›Süd- Hessky, Regina; Ettinger, Stefan: Deutsche deutsche Zeitung‹«, Wirkendes Wort 43 Redewendungen. Ein Wörter- und Übungs- (1993), 671–696. buch für Fortgeschrittene. Tübingen: Narr, Fleischer, Wolfgang: »Phraseologismus und 1997. Sprichwort: lexikalische Einheit und Müller, Klaus: Lexikon der Redensarten. Gü- Text«. In: Sandig, Barbara (Hrsg.): Euro- tersloh: Bertelsmann, 1994 phras 92. Tendenzen der Phraseologiefor- Röhrich, Lutz: Das große Lexikon der sprich- schung. Bochum: Brockmeyer, 1994, 155– wörtlichen Redensarten. 3 Bände. Freiburg 172 (Studien zur Phraseologie und Parö- im Breisgau; Basel; Wien: Herder, 1991/ miologie, 1). 1992. Gréciano, Gertrud: »Idiom und Text«, Deut- Schemann, Hans: Synonymwörterbuch der sche Sprache 15 (1987), 193–208. deutschen Redensarten. Unter Mitarbeit Grzybek, Peter (Hrsg.): Semiotische Studien von Renate Birkenhauer. Straelen: zum Sprichwort. Simple Forms Reconsidered Straelener Manuskripte Verlag, 1989a. In I. Kodikas/Code – Ars Semeiotica 7.3/4 unveränderter Fassung erschienen als: (1984). PONS Synonymwörterbuch der deutschen Grzybek, Peter: »Überlegungen zur semio- Redensarten. Stuttgart: Klett, 1992. tischen Sprichwortforschung«. In: ders. Schemann, Hans: PONS Deutsche Idiomatik. (Hrsg.): Semiotische Studien zum Sprich- Die deutschen Redewendungen im Kontext. wort. Simple Forms Reconsidered I. Kodi- Stuttgart: Klett, 1993. kas/Code – Ars Semeiotica 7.3/4 (1984), Simrock, Karl: Die deutschen Sprichwörter. 215–249. Frankfurt am Main: Brönner, 1846. (Nach- Hausmann, Franz Josef; Reichmann, Oskar; druck Stuttgart: Reclam, 1988). Wiegand, Herbert Ernst; Zgusta, Ladislav Wander, Karl Friedrich Wilhelm: Deutsches (Hrsg.): Wörterbücher. Dictionaries. Dic- Sprichwörter-Lexikon. 5 Bände. Leipzig: F. tionnaires. Ein internationales Handbuch zur A. Brockhaus, 1867–1870. (Nachdruck Lexikographie. 1. Teilband. Berlin; New Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge- York: de Gruyter, 1989 (Handbücher zur sellschaft, 1964). Sprach- und Kommunikationswissen- schaft, 5.1). Sekundärliteratur Kispál, Tamás: »Sprichwörter im Fremd- Baur, Rupprecht S.; Chlosta, Christoph: sprachenunterricht«, Deutschunterricht »Sprichwörter: Ein Problem für Fremd- für Ungarn 14 (1999), 23–34. sprachenlehrer wie -lerner?!«, Deutsch als Mieder, Wolfgang: »Das Sprichwörter- Fremdsprache 33 (1996), 91–102. buch«. In: Hausmann Franz Josef; Baur, Rupprecht S.; Chlosta, Christoph; Reichmann, Oskar; Wiegand, Herbert Grzybek, Peter: »Das Projekt ›Sprich- Ernst; Zgusta, Ladislav (Hrsg.): Wörter- wörter-Minima im Deutschen und bücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein in- Kroatischen‹: What is worth doing – do ternationales Handbuch zur Lexikographie. it well!«, Muttersprache 106 (1996), 162– 1. Teilband. Berlin; New York: de Gruy- 179. ter, 1989, 1033–1044 (Handbücher zur Burger, Harald; Buhofer, Annelies; Sialm, Sprach- und Kommunikationswissen- Ambros: Handbuch der Phraseologie. Ber- schaft, 5.1). lin: de Gruyter, 1982. Mieder, Wolfgang: ›Morgenstunde hat Gold Burger, Harald: Phraseologie. Eine Einfüh- im Munde‹: Studien und Belege zum popu- rung am Beispiel des Deutschen. Berlin: lärsten deutschsprachigen Sprichwort. Wien: Erich Schmidt, 1998 (Grundlagen der Edition Praesens, 1997. Germanistik, 36). Palm, Christine: Phraseologie. Eine Einfüh- Chlosta, Christoph; Grzybek, Peter; Stanko- rung. Tübingen: Narr, 1995. vic-Arnold, Zorica; Steczka, Andreas: Röhrich, Lutz; Mieder, Wolfgang: Sprich- »Das Sprichwort in der überregionalen wort. Stuttgart: Metzler, 1977 (Sammlung Tagespresse. Eine systematische Analyse Metzler, 154). 375

Sandig, Barbara (Hrsg.): Europhras 92. Ten- cher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein interna- denzen der Phraseologieforschung. Bochum: tionales Handbuch zur Lexikographie. 1. Teil- Brockmeyer, 1994 (Studien zur Phraseo- band. Berlin; New York: de Gruyter, 1989, logie und Parömiologie, 1). 1019–1032 (Handbücher zur Sprach- und Schemann, Hans: »Das phraseologische Kommunikationswissenschaft, 5.1). Wörterbuch«. In: Hausmann, Franz Josef; Seiler, Friedrich: Deutsche Sprichwörter- Reichmann, Oskar; Wiegand, Herbert kunde. München: Beck, 1922 (Nachdruck Ernst; Zgusta, Ladislav (Hrsg.): Wörterbü- München 1967). 376

Migrationsliteratur im DaF-Unterricht

Heidi Rösch

0. Einleitung als Fremdsprache (DaF), was die Situa- Zur Annäherung an eine Gattungsbe- tion in anderssprachiger Umgebung stimmung sind die Begriffe Migrantenlite- meint, wird Migrantenliteratur dadurch ratur, Migrationsliteratur und interkultu- zu einer Literatur des Deutschen als relle bzw. interlinguale Literatur hilfreich. Zweitsprache. In der Forschung bezieht Diese lassen sich nicht trennscharf von- sich das Interesse an dieser Literatur einander unterscheiden, sondern weisen nicht nur auf Erwerb, Gebrauch und Ver- – vorgestellt als drei Kreise – deutliche mittlung, sondern auch auf Kritik und Schnittmengen auf: die Konzeption einer zweiten, anderen, vielleicht auch neuen deutschen Sprache. Der Begriff der Migrantenliteratur basiert auf einem offenen, dem Konzept des Migranten- Migrations- kreativen Schreibens verwandten Litera- literatur literatur turbegriff, der philologisch umstritten, didaktisch aber durchaus brauchbar ist, um auch die im Unterrichtskontext ent- stehenden Texte ernst nehmen zu kön- nen.

Der Begriff Migrationsliteratur läßt sich Interkulturelle / als Literatur über Migration umschreiben. Interlinguale Dieser Gattungsbegriff ist im Prinzip of- Literatur fen auch für einheimische Autoren und legt Migranten- beziehungsweise Min- derheitenautoren nicht darauf fest, Mi- Der Begriff Migrantenliteratur orientiert grationsliteratur zu schreiben. Denn er sich im Unterschied zur Exilliteratur an geht vom Text und seinem Gegenstand der Aufnahmegesellschaft als Ort der Li- aus, läßt alle Schreibsprachen gelten und teraturproduktion und ihrer Rezeption betont Formen mehrsprachigen Schrei- und läßt sich als Literatur von Migranten bens. Dieser Literaturbegriff basiert auf bzw. Minderheiten umschreiben, d. h. es der Kritik an einem germanozentrischen findet eine Orientierung an der Autoren- oder eurozentrischen Literaturbegriff biographie und z. T. auch an der Schreib- und sucht nach Spezifika einer Literatur sprache (der Aufnahmegesellschaft) der Fremde, wie Franco Biondi (vgl. 1991) statt. In Anlehnung an die Unterschei- dieses Genre genannt hat, um zu beto- dung zwischen Deutsch als Zweitsprache nen, daß diese Literatur die Fremde als (DaZ), was sich auf eine deutschspra- literarischen Ort zu gestalten sucht. Diese chige Umgebung bezieht, und Deutsch Literatur bewegt sich in und auch zwi-

Info DaF 27, 4 (2000), 376–392 377 schen zwei oder mehreren Kulturen, Sprache. Insofern geht es im DaF-Unter- Sprachen, manchmal auch Zeiten1. richt weniger um die Semantisierung der Um den Literaturbegriff darauf zu fokus- einzelnen Wörter als um die Auseinander- sieren, habe ich unter Verweis auf Rolf setzung mit dieser Zweitspracherwerbssi- Ehnerts Begriff von einer Literatur, die tuation. So kann ein Transfer auf die Situa- wandert (vgl. 1988) den Terminus interkul- tion von DaF-Lernenden stattfinden, in- turelle bzw. – um den sprachlichen dem die Lernenden ihren eigenen Er- Aspekt zu betonen – interlinguale Litera- werbshintergrund (ggf. auch den außer- tur entwickelt. Dieser Begriff geht eben- halb des Unterrichts) und den (zukünfti- falls vom Text aus, ist allerdings weniger gen) Gebrauchswert dieser Sprache re- fixiert auf das Thema als vielmehr auf die flektieren. Zusätzlich können sie das von Form des Schreibens. Wird außerdem der Aras Ören vorgeschlagene Verfahren Rezeptionsprozeß untersucht und reflek- praktizieren und z. B. in einer Tourismus- tiert, so ist dieser Zugang zur Literatur region mit Deutschen oder nach einem nicht nur, aber besonders auch für die Besuch in deutschsprachiger Umgebung Didaktik von großer Bedeutung. oder nach der Rezeption eines Films, Hör- Ich beschäftige mich mit der Schnitt- spiels, einer Nachrichtensendung oder nach dem Surfen im Internet etc. ebenfalls menge aus Migranten- und Migrationsli- Wörter zusammentragen, um daraus – teratur und konzentriere mich dabei auf vielleicht über die im Text von Aras Ören Texte mit interkulturellem bzw. interlin- gewählte Form hinaus – ein Gedicht oder gualem Gehalt. Um deutlich zu machen, einen kurzen Text zu schreiben. wie Migrationsliteratur als Gegenstand in den DaF-Unterricht integriert werden Das bin ich mir schuldig von Ivan Tapia könnte, orientiere ich mich an den drei Bravo (1983: 233) spielt mit trennbaren großen Bereichen der DaF-Didaktik: und nicht-trennbaren Verben, die er kon- Sprache, Literatur und Landeskunde und sequent vertauscht. zeige die je spezifische Funktion von Mi- Bevor ich ein Wort spreche aus grationsliteratur exemplarisch auf. nachdenke ich gründlich darüber Mir soll laufen unter kein Fehler damit ich nicht falle auf 1. Sprachliche Aspekte vor einem so erlesenen Publikum Schreiben in Deutsch als Zweitsprache als unkundiger Trottel zeigt sich nicht nur an der Verwendung der sich benimmt immer daneben einer einfachen, aber wirkungsvollen Seine konsequente Vertauschaktion wirft Sprache, sondern meint auch die Refle- die Frage auf, ob er die Attribute »erlese- xion des Zweitspracherwerbsprozesses: nen« beim sprachbeherrschenden Publi- Das sind: Wörter – Mach dir: Gedichte von kum und »unkundiger Trottel« beim Aras Ören (1983: 6) hält die ersten Sprach- DaZ-Sprecher nicht auch vertauscht eindrücke von Arbeitsmigranten in meint und damit das normverliebte Ver- deutschsprachiger Umgebung fest. Aras halten von Sprachbeherrschern ironisiert. Ören signalisiert durch die Auswahl des Im DaF-Unterricht läßt sich dieses Ge- Vokabulars die z. T. sehr eng gesetzten dicht ohne Titel präsentieren und zu- Grenzen für Erwerb und Gebrauch dieser nächst als Medium einer Fehlersuche

1 Auf den Faktor Zeit hat Galsan Tschinag (vgl. z. B. 1995; 1997), der aus einer Nomaden- kultur der Mongolei in die seßhafte Kultur der DDR kam, auf einer Tagung zur Migrationsliteratur in Dresden hingewiesen. 378 und Fehlerinterpretation (!) nutzen. Dafür eignen sich auch Gedichte wie Nachdem das Prinzip der systematischen Jandeln für Ausländer von Gino Chiellino Normverstöße durchschaut ist, kann im (1987: 83), der eine traditionelle Konjuga- Lesegespräch die Bedeutung von »erlese- tionsübung aufgreift, die in der Regel an nem Publikum« und »unkundigem Trot- einem Verb durchgespielt wird, hier aber tel« hinterfragt werden. Unter Einbezie- mit wechselnden Verben erfolgt: hung des Titels wird diskutiert: Was ist er ich wandel sich schuldig? Korrekt Deutsch zu spre- du handelst chen oder den Sprachbeherrschern zu er jandelt zeigen, daß sein Deutsch so, wie es ist, zu oder sie jandelt wir mandeln akzeptieren ist oder …. – der Phantasie ihr gandelt sind hier keine Grenzen zu setzen. sie jandeln Während der Autor dieses Gedichts sehr oder auch nicht. bewußt mit Normverstößen umgeht, gibt Dieses Gedicht läßt sich in Gruppen in- es auch Migrationstexte mit Normabwei- szenieren, bevor der Text im Unterricht chungen, die wohl eher unbewußt ent- semantisiert wird. Nach der ›Vorfüh- standen sind und daher nicht als Aus- rung‹ wird überlegt, woran sich die Ler- druck künstlerischer Freiheit zu deuten nenden bei ihrer Inszenierung orientiert sind. Auch wenn diese Normabweichun- haben (Klang, Bedeutung, Abfolge der gen weder das Verständnis noch die Qua- Verben, der Pronomen etc.) und welche lität des Textes beeinträchtigen, werden Deutung des Gedichts darin zum Aus- sie nach meiner Erfahrung in der Lehrer- druck kommt.1 ausbildung besonders von Sprachbeherr- Zum Abschluß schreiben die Lernenden schern als störend wahrgenommen. Ich ein eigenes Gedicht. Diese Schreibauf- deute dies als Indiz dafür, daß gerade gabe kann sehr offen gehalten werden, Texte von DaZ-Autoren unter der Prä- um das ›Prinzip des Jandelns‹ für Aus- misse sprachlicher Korrektheit gelesen länder zu erproben. Denkbar ist aber werden. Im Unterricht kann dies zu einem auch ein Rückbezug auf die eingangs Gespräch über die Qualität von und die erwähnte Konjugationsübung, derer sich Einstellung zu Fehlern in der eigenen und Gino Chiellino hier auf ironisch-sarkasti- einer fremden Sprache ausgebaut werden, sche Weise bedient. Die Lernenden sind in dem sich Lernende und Lehrende über aufzufordern, auch andere DaF-didakti- ihr jeweiliges Selbst- und Fremdverständ- sche Übungstypologien einzubeziehen, nis unterhalten. Dann geht es nicht mehr die vielleicht über rein systematisierende nur um die Auseinandersetzung mit dem Übungen hinausgehen und kommunika- Gedicht, sondern auch um die Reflexion tive, handlungsorientierte Übungsfor- der aktuellen Lehr-Lernsituation im DaF- men wie Rollen- und andere Spiele, Si- Unterricht oder auch im DaF-Studium. mulationen von Situationen oder Diskus-

1 Da in Lesegesprächen zu diesem Gedicht immer wieder die Frage aufgeworfen wird, ob die erste Zeile – ich wandel – grammatisch korrekt ist oder es nicht ich wandle heißen müßte, läßt sich für den Fall, daß auch die Lernenden dies ansprechen, über die Freiheit des Lyrikers diskutieren, z. B. die Auslaute der Zeilen anzugleichen, um ein Reim- schema zu erhalten, oder über das Recht auf Normverstöße sprechen, denn natürlich kommt es auch vor, daß Lyriker des Deutschen als Zweitsprache auch schlicht Fehler machen, wie mir Gino Chiellino auf meine Nachfrage bezüglich eines anderen Textes in einem Brief lakonisch mitteilte. 379 sionen über bestimmte Themen einer Re- schaft wie agiert. Während sein lyrisches flexion aus der DaF-Lernenden-Perspek- Ich vielleicht etwas ziellos (herum)»wan- tive zu führen. delt«, »handelt« sein Gegenüber. Bezo- In den genannten Gedichten schwingt gen auf die jeweiligen Gruppen wird bereits eine Reflexion der deutschen seine Wortwahl ausgesprochen indiffe- Sprache aus der Perspektive von DaZ- rent: Mandeln und gandeln klingen zwar Sprechern mit, die in eine Kritik an dieser ähnlich und sind wie jandeln eine m. E. Sprache und ihren Beherrschern über- regional geprägte Wortneuschöpfung geht. Das zeigt sich auch an dem Gedicht (Gino Chiellino lebt in Augsburg), doch Sprachübung von Adel Karasholi (1984: was genau damit gemeint ist, bleibt den 29ff.), der anhand einer Übung zu dem Rezipienten überlassen. Klar wird aber, Verb halten mit den verschiedensten At- daß die beiden Gruppen Unterschiedli- tributen und Vorsilben zeigt, wie sehr der ches tun und sich ihre Aktivitäten von Prozeß des Deutschlernens eine Assimi- der der Einzelnen unterscheiden, wäh- lation an die fremde Sprachumgebung rend das Handeln der 3. Personen im darstellt. Daß diese Assimilation vom Singular und im Plural mit demselben Lernenden eine Selbstverleugnung und Verb – jandeln eben – bezeichnet wird, Beschränkung fordert, zeigt der Hinweis was bedeuten kann, daß nicht nur er auf die zurückgehaltene eigene Meinung. (Ernst Jandl?), sondern auch sie und viele Damit hält Adel Karasholi seinen DDR- andere Gedichte im Stile Ernst Jandls Mitbürgern gleichzeitig einen Spiegel schreiben oder es bleiben lassen. vor, der ihnen ihre Ordnungsliebe, Obrig- Noch provozierender formuliert Gino keitstreue und Selbstbeschränkung pla- Chiellino die Diskrepanz zwischen den stisch vor Augen führt. In der zweiten unterschiedlichen gesellschaftlichen Strophe wird der Rückzug aus dieser Gruppen in dem Gedicht Sklavensprache allumfassenden Kontrollsituation ange- (1984: 71): deutet, der in ein Warten auf »bessere mit mir willst Zeiten« übergeht und zu der absurden du reden Selbstbehauptung führt, eine Person und halte sich an den eigenen Schultern fest. ich Auch diese vermeintlich subjektive Er- soll kenntnis zeichnet eine verbreitete Ver- deine Sprache weigerungsstrategie in der DDR-Gesell- sprechen schaft nach. Der Autor bzw. sein lyrisches Der Autor demonstriert durch die Über- Ich scheint verschmolzen zu sein mit all nahme einer ›Herrensprache‹ im Text, denjenigen Bürgern und Bürgerinnen der wie mit DaZ-Sprechern umgegangen DDR, die wie er zur ›inneren Emigration‹ wird und daß sie ein solcher Sprachge- bereit sind. brauch zu Sklaven macht. Bei einer inter- An dieser Einheimischen wie Eingewan- nationalen Fortbildung von DaF-Lehrern derten gemeinsamen Haltung gegenüber machte mich ein Schweizer anhand die- dem System zeigt sich m. E. ein deutli- ses Gedichts auf die Arroganz der Deut- cher Unterschied zur BRD-Immigrations- schen gegenüber dem Schweizer und literatur, die eine sehr viel schärfere Österreichischen Deutsch aufmerksam. Trennlinie zwischen Einheimischen und Hier ist vielleicht auch ein Hinweis auf Eingewanderten zieht. So zeigt auch das »DDRsch«, wie es die Dresdener Gino Chiellino in Jandeln für Ausländer Sprachwissenschaftlerin Dagmar Blei durch die Wortwahl, wer in dieser Gesell- (vgl. 1992) genannt hat, sinnvoll, das 380 nach ihren Aussagen zunehmend dem dekonstruiert die verschiedenen Funkti- westlich dominierten Einheitsdeutsch onsbereiche von Sprachen als Regional-, angeglichen wird. Durch die Erinnerung Amts- und – wie er sagt – Fremdsprache. daran, daß auch Deutsch im Plural zu So spricht Gino Chiellino im kalabresi- denken ist, plädiere ich weniger für mehr schen Teil des Gedichts e paroe (Chiellino sprachliche Vielfalt im DaZ/DaF-Unter- 1987: 59) von einer engen Verbindung richt, die in jüngeren DaF-Lehrwerken zwischen Sprache und Leben, die im ita- auch bereits umgesetzt wird, als vielmehr lienischen Teil dadurch durchbrochen dafür, über Dominanzen auch innerhalb wird, daß die (Regional-) Sprache sich einer Sprache nachzudenken. jetzt von der der anderen unterscheidet. Migrationsliteratur ist aber auch mehr- Im deutschen Teil findet erstaunlicher- sprachige und interlinguale Literatur. Einige weise wieder eine Annäherung an das Migrationsautoren schreiben zwar in Leben statt, denn zu einer Fremdsprache / zwei Sprachen, aber nicht dieselben wurde das Leben / in der Fremde gehört es / Texte. Adel Karasholi läßt seine arabi- uns wieder. schen Gedichte ins Deutsche übertragen Dieses und die anderen ähnlich gestalte- und umgekehrt, weil er meint, wenn er es ten Gedichte eignen sich in jedem selber täte, entstünde keine Übersetzung, Deutschunterricht zum Transfer auf die sondern ein anderes Gedicht. Ähnlich eigene Sprachsozialisation, die die Ler- verfährt Yoko Tawada (vgl. z. B. 1996; nenden auffordert, ein Gedicht in den 1998), die in Japanisch und in Deutsch Sprachen ihres Lebens zu schreiben. schreibt. Doch es gibt auch Autoren, die Nach meinen Erfahrungen transportie- denselben Text in zwei Sprachen schrei- ren zumindest einige der Texte von Ler- ben. Aysel Özakin hat einzelne Gedichte nenden das prestigebehaftete Verhältnis (vgl. Rösch 1995: 79ff.) und den Roman zwischen Regionalsprachen, Dialekten mavi mask – Die blaue Maske sowohl in und vor allem zwischen der Mehrheits- türkischer als auch in deutscher Sprache und den Minderheitensprachen inner- (mit-)verfaßt. Dabei entstehen zwei un- halb einer Gesellschaft. Der Einsatz die- terschiedliche Texte, in denen Textpassa- ser Texte führte bei einer Fortbildung gen fehlen, verändert wurden oder völlig mit norditalienischen Lehrkräften für andere Inhalte transportiert werden. Deutsch in Trento zu einer Grundsatz- Meine Erklärung dafür ist, daß Aysel debatte über diese Regionalsprache, ihre Özakin nicht nur in zwei Sprachen, son- Sprecher und das Verhältnis zwischen dern auch für zwei verschiedene Leser- Nord- und Süditalien. Daran wird deut- kreise schreibt. Im DaF-Unterricht mit lich, wie sehr der Lehr-Lernkontext die entsprechend sprachkompetenten Ler- Didaktik dieser Literatur dominiert. Ich nenden lassen sich beide Fassungen in- hatte – ganz im Gegensatz zu einer ähn- haltlich und sprachlich vergleichen und lichen Fortbildung mit deutschen DaF- im Lesegespräch klären, ob sprachliche, Lehrern – Schwierigkeiten, das Lesege- kulturelle oder auch landeskundliche spräch in Italien auf den deutschen Text Aspekte diese Unterschiede rechtfertigen zu lenken. oder gar nötig machen. Wie anders dagegen die Sprachsoziali- Gino Chiellinos dreisprachige Gedichte sation der in Deutschland aufgewachse- beginnen in Kalabresisch, fahren in Italie- nen Kinder von (Arbeits-) Migranten nisch fort und enden in Deutsch. Er ver- verläuft, zeigt José Oliver, Kind andalu- arbeitet in diesen Gedichten nicht nur sischer Arbeitsmigranten, im Schwarz- seine eigene Sprachsozialisation, sondern wald und damit allemannischen Sprach- 381 raum aufgewachsen und mittlerweile 2. Literarische Aspekte durch Reisen in spanischsprachige Län- Migrationsliteratur bietet als Gegen- der Lateinamerikas geprägt. In frühen wartsliteratur eine zeitgenössische Gat- Gedichten bindet er die ›Sprachen sei- tungsvielfalt: Neben gedruckter Prosa nes Lebens‹ an entsprechende Personen- (Krimis, Romane, Satiren, Kurzge- gruppen, d. h. Arbeitsmigranten träu- schichten etc.) gibt es Hörspiele bzw. men auf ihrem heimflug (vgl. Oliver Hörbücher wie die von Rafik Schami, 1989: 21–22) andalusisch; alte kameraden der seine Texte selbst liest und damit (vgl. Oliver 1989: 40) geben ihre nationa- seinem Publikum eine gesprochene Va- listischen Parolen allemannisch wieder. riante des Deutschen als Zweitsprache In späteren Gedichten vollzieht er einen liefert, und Filme wie 40 qm² Deutschland spanisch-deutschen Sprachvergleich aus oder Paradies kaputt von Tefik Başer, die der Perspektive eines Spaniers aus einen audiovisuellen Eindruck vom Le- Deutschland (vgl. Oliver 1991b: 30), der ben in Deutschland vermitteln. Auch Lima bereist. Bilderbücher eignen sich aufgrund ihrer In skurrile begegnung (vgl. Oliver 1991b: Bimedialität nicht nur für die Arbeit mit 29) betreibt José Oliver eine Art Sprach- Kindern und zukünftigen DaF-Lehrern, vergleich, indem er auf den anderen sondern durchaus auch für die Arbeit Plural im Spanischen hinweist, die Un- mit Erwachsenen. Im Bereich Lyrik exi- terscheidung zwischen amar y querer stieren innovative Formen wie die audi- (dem Lieben mit und ohne sexuelle tive Poesie von José Oliver, der seine Komponente) und die nuancen der esel Gedichte mit Gitarre und Gesang beglei- bezogen auf die Identität als poeta (Dich- tet und diese auch als Hörkassetten an- ter), europeo (Europäer) und peruano (Pe- bietet, oder die konkrete Poesie von ruaner) reflektiert: burro wird als Fruttuoso Piccolo, der seine Lyrik visua- Schimpfwort gebraucht, asno ist der lisiert. In tesa, braccio, mano – Kopf, Arm, hochsprachliche Ausdruck und mula Hand (1985: 20–21) wird nur die deut- meint Maultier. Im DaF-Unterricht in sche Fassung bildlich gestaltet, was die spanischsprachiger Umgebung, beson- ders natürlich in Lateinamerika, wo die- beschriebene Situation, die sich nur auf ses Gedicht entstanden ist, lassen sich Deutschland bezieht, als starr und karg die spanischen Textstellen leicht ent- erscheinen läßt. Daß das karge Dasein in schlüsseln und zu der Aufgabe entfal- Deutschland, das seine Arbeitsmigran- ten, den anderen Plural zu erklären und ten in den sechziger Jahren in betriebli- die Nuancen des Liebens und der Esel chen Wohnheimen kaserniert hat, auch ins Deutsche zu übertragen. Interessan- in italienischer Sprache benannt wird, ter ist es allerdings, eine skurrile Begeg- deute ich als Semantisierungshilfe für nung mit der deutschen Sprache aus der italienische Arbeitsmigranten, die die Perspektive der DaF-Lernenden zu kon- deutsche Sprache nicht beherrschen, struieren. Das verschiebt die Perspek- oder als Strategie gegen eine illusionäre tive des Sprachvergleichs und offenbart Vorstellung der Daheimgebliebenen Besonderheiten des Deutschen gegen- vom Leben in Deutschland. über dem Spanischen oder einer ande- Zur Reflexion dieser Gestaltungsart läßt ren Erstsprache. Denn selbstverständ- sich das Gedicht auch im DaF-Unter- lich ist ein solches Gedicht auch außer- richt als Text in zwei Sprachen zunächst halb des spanischen Sprachraums im ganz frei von Visualisierungen präsen- DaF-Unterricht einsetzbar. tieren. 382 tesa, bracchio, mano Kopf, Arm, Hand occhi aperti Augen auf gambe all’ingiú Beine nach unten illuminazione nella stanza Beleuchtung im Zimmer il letto Das Bett un armadio-muro ein Wandschrank e pensieri und Gedanken. io sono in Germania Ich bin in Deutschland. Die Lernenden gestalten einen der Texte gegenseitiges oder auch Verstehen der je – oder auch beide – als Bild und reflektie- fremden Gruppe unterstützen und z. T. ren ihre Sprachwahl, ihre Bildgestaltung auch zwei Leserollen anbieten. Aus der und vergleichen sie schließlich mit dem DaF-Perspektive werden in solchen Tex- Original. Wird das Gedicht stärker unter ten Deutsche als Einheimische betrachtet sprachlichen Gesichtspunkten didakti- und die eigene ethnische Gruppe wird als siert, so kann den Lernenden auch das Minderheit erfahrbar. Da DaF-Lernende Gerüst des visualisierten Originaltextes in ihrem Land Einheimische sind, aber mit vorgegebenen Linien präsentiert u. U. die gleiche Nationalität oder ethni- werden, auf das sie wahlweise die Worte sche Zugehörigkeit haben wie die Min- des italienischen oder des deutschen Tex- derheiten im Text, stellt sich die Frage, tes schreiben. Sie begründen ihre Sprach- wie sie mit den angebotenen Leserollen wahl, bevor sie sich mit der des Autors umgehen und ob sich vielleicht vorhan- auseinandersetzen. Im zweiten Schritt dene Stereotypien über sogenannte verfassen sie – ebenfalls in zwei Sprachen Deutschländer1 verfestigen. – ein Gedicht, das mit den Worten Io sono Gerade in Texten von Autoren aus islami- in Italia – Ich bin in Italien endet. (Findet schen, agrarischen oder schlicht struktur- der DaF-Unterricht nicht in Italien statt, schwachen Ländern fällt auf, daß die so kann wahlweise das entsprechende Autoren ihre Herkunftskultur in der DaF-Lernland genannt werden.) Nach- Emigration neu zu sehen beginnen. Das dem die Lernenden ihre Gedichte vorge- führt nur selten zu Verklärungen, öfter zu tragen haben, reflektieren sie, aus wel- Erklärungen (im Sinne von Vermittlungs- cher Perspektive sie sie verfaßt haben – versuchen) und manchmal auch zu einer aus der eines daheim gebliebenen Italie- Auseinandersetzung mit Eurozentrismus ners, eines nach Italien immigrierten Ar- nicht nur in Deutschland, sondern auch beitsmigranten, Geschäftsmannes, Touri- im Herkunftsland. Diese läßt sich im sten oder eines (potentiellen) Auswande- DaF-Unterricht aufgreifen, denn es un- rers. terstützt eine kulturelle Selbstreflexion, In der migrationsliterarischen Prosa sind die Aspekte einer kulturellen Fremdrefle- folgende Erzähltechniken entwickelt xion einschließt und nicht bei einer sim- worden: Doppelseitige Empathie (statt plen Täter-Opfer-Konstruktion stehen einseitiger Kulturvermittlung), d. h. daß bleibt. sich migrationsliterarische Texte auf min- Denn antirassistische, antieurozentristi- destens zwei ethnische, sprachliche, reli- sche und antilinguizistische Erzähltech- giöse oder kulturelle Gruppen beziehen, niken gehen über eine bloße Dominanz-

1 Im Türkischen heißen Emigranten Almancalar, im Italienischen Germanesi etc. 383 kritik hinaus und konstituieren Alternati- – bearbeitet werden, um das Prinzip des ven, indem Minderheitenangehörige zu ironisierenden, politisch-provozierenden Protagonisten werden, die zentralen Sprachspiels im Kontext der Migrations- Textaussagen z. T. in einer diskriminier- literatur zu erarbeiten. ten Sprachvarietät zum Ausdruck ge- Gerade kommerziell erfolgreiche Migra- bracht oder an außereuropäische Orte, tionsautoren wie Rafik Schami und in Figuren, Stoffe und Plots gebunden wer- jüngster Zeit auch Kemal Kurt greifen die den. Statt einer Multi-Kulti-Idylle, die in arabische beziehungsweise die türkische vielen Texten einheimischer Autoren Erzähltradition, zum Teil auch literari- zum Teil sehr plakativ zum Ausdruck sche Figuren (wie Keloğlan), nicht nur kommt, werden kulturelle und sprachli- auf, sondern reflektieren sie im Kontext che Diversität gestaltet, zum Teil auch im deutscher Rezipienten und europäischer Spannungsverhältnis zwischen Univer- Erzählentwicklungen. Emine Sevgi Öz- salismus und Kulturalismus ausgelotet damar, die mit dem Ingeborg-Bachmann- und zu einer interkulturellen Utopie ent- Preis ausgezeichnete Autorin, verwendet faltet. in ihren Romanen nicht nur eine deutsch- Außerdem weist Migrationsliteratur eine türkische Mischsprache, sondern über- spezifische Intertextualität auf, indem sie nimmt türkische Redewendungen und stoffliche, thematische, sprachliche, stili- Koranstellen in die deutsche Sprache. Za- stische oder motivische Bezüge zur Lite- fer Senocak (vgl. 1991, 1994) verwendet raturtradition in den Herkunftsländern, in seinen Gedichten eine türkisch ge- aber auch zur deutschen Literatur her- prägte Metaphorik und bedient sich »der stellt. Gino Chiellino bezeichnet einen komplizierten metrischen Strukturen Gedichtband als Gespräche mit Hölder- arabischer Ghaselen« (Günter Trittner in lin, Celan, Brecht, Andersch, Kalenko, Orlowa, Makanin, Kirsch, Kunert, Gry- der Südwestpresse, vgl. Senocak 1991, phius, Anders (vgl. 1987: 1). Daß er diese Rückseite), um seine Gedichte zu rhyth- Lyriker explizit benennt, erscheint Erich misieren. Fried (vgl. 1992: 84) in seiner Laudatio für Wie schon bezogen auf sprachliche den immigrierten Kollegen fremd1. Diese Aspekte ausgeführt, fordert auch das Er- Gespräche stellen eine migrationsliterari- kennen einer solchen Intertextualität bi- sche Auseinandersetzung mit anerkann- oder multiphilologische Kompetenzen, tem deutschen bzw. europäischem ›Lite- die DaF-Lehrer in der Regel nicht ausge- ratur- und Kulturgut‹ dar, die im DaF- bildet haben. Um diese Inkompetenz Unterricht nachvollzogen werden kann. konstruktiv zu wenden, können Leh- Insofern sollte zum Beispiel das bereits rende im Unterricht die Sprach-, Litera- genannte Jandeln für Ausländer von Gino tur- und Kulturkompetenz der Lernen- Chiellino (1987: 83) nur im Vergleich zu den nutzen. Im DaF-Studium gilt es, sol- einem Original-Jandl-Gedicht – z. B.: che Kompetenzen zumindest exempla- lechts und rinks kann man nicht velwechsern risch auszubilden.

1 Seine Bezüge zu anderen Migrationsautoren (wie Aras Ören, vgl. 1987: 25) benennt er nicht explizit. Offenbar geht er hier davon aus, daß sie sich den an der gegenwärtigen Migrationsliteratur Interessierten ohne ›Nachhilfe‹ erschließen. Andere Migrationsauto- ren wie Eleni Torossi oder José Oliver nennen dagegen auch Migrationsautoren, wenn sie sich in ihrem Text auf diese beziehen oder ihnen den Text widmen. 384

3. Landeskundliche Aspekte schen Einheimischen und Eingewander- Als Gegenwartsliteratur greift Migrati- ten in »« dar. Im DaF-Unterricht onsliteratur aktuelle Themen auf. So sind läßt es sich als Lückentext präsentieren, Gedichte entstanden mit Titeln wie Leben d. h. ohne Titel, ohne Pronomen und ohne in zwei Welten von Aysel Özakin (1985: 14– das Nicht am Ende der ersten und ohne 16), Integration von José Oliver (1989: 42), das Auch am Ende der zweiten Strophe. Kulturidentität und – derzeit aufgrund der Die Lernenden ergänzen zunächst die Debatte um die doppelte Staatsbürger- Subjekte, dann die Objekte, was einer sim- schaft hochaktuell – Doppelte Nationalitä- plen Sprachübung gleichkommt und tenmoral von Zehra Çirak (1991: 94, 91). gleichzeitig eine inhaltliche Auseinander- Da dieselben Themen – z. T. sogar unter setzung mit dem Text anregt. Nach der dem gleichen Titel – von unterschiedli- Annäherung an das Original stellt sich die chen Migrationsautoren bearbeitet wer- Frage der fehlenden Wörter am Ende der den, lohnt sich ein Vergleich, so daß die beiden Strophen. Die Vorschläge der Ler- Vielfalt der Minderheitenperspektive nenden werden aus dem Text oder dem deutlich wird. Werden hier Begriffe oder von ihnen intendierten Kontext begrün- Themen aufgegriffen, die sich aus einem det. Anschließend wird geklärt, für wen öffentlichen Diskurs über Migranten bzw. die Pronomen stehen. Nach meiner Erfah- Minderheiten ergeben, greifen Migrati- rung berührt die Diskussion schnell die onsautoren in anderen Texten auch allge- Frage des Geschlechterverhältnisses und meingesellschaftliche Ereignisse auf wie damit auch die der gesellschaftlichen die deutsche Einheit, zu der José Oliver Hierarchie, was durch die Frage nach dem (1991a: 332) schreibt: als die MAUER fiel Geschlecht des Autors bzw. der Autorin […] wußte ich […] die Mauer steht. Bleibt zu unterstützt werden kann. Durch Bekannt- fragen, welche Mauer er meint, die zwi- gabe des Titels wird nicht nur der Ort schen Deutschen und Deutschen, die zwi- benannt, sondern auch der Kontext (Indu- schen Einheimischen und Eingewander- strie)-Produktion, Wirtschaftsmacht ten oder eine ganz andere? Deutschland, ggf. vielleicht auch bereits Diese Texte belegen, daß die Migrations- Arbeitsmigration nach Deutschland in die autoren beginnen, Themen aus einer be- Diskussion gebracht. Letztgenanntes wird wußten Minderheiten- und damit im po- durch die Frage nach der Nationalität des litischen Sinne Betroffenenperspektive Autors bzw. der Autorin verstärkt oder heraus zu reflektieren und sich ein Mit- ergänzt. Dadurch gewinnt nun auch die spracherecht zu nehmen, das ihnen bis- ethnische Komponente für die Deutung lang nicht unbedingt zugestanden wird. der gewählten Pronomen und auch der im Im landeskundlichen DaF-Unterricht Text verwendeten Verben an Bedeutung. können sie zusätzlich im Vergleich zu In diesem Gedicht wird das ungleiche, Mediendebatten oder pädagogischen hierarchische Verhältnis zwischen zwei Überlegungen diskutiert werden. Gruppen dekonstruiert, ohne daß diese Migrationsliteratur wirft zwar eine deutli- explizit genannt werden. Das eröffnet im che Minderheitenperspektive auf Unterricht weitreichende Spielräume. Deutschland, doch sie tut es nicht mit dem Zehra Çirak spürt in Allianz (1991: 16–17) Holzhammer, sondern gestaltet diese Per- einer internationalen Handelsbeziehung spektive literarisch verfremdet. Made in nach. Sie beginnt das Gedicht folgender- germany von Aras Ören (vgl. 1983: 17) stellt maßen: Auf deutsch heißt die Hand Hand / sich mir als Liebesgedicht getarnte Aus- auf türkisch heißt sie el / so ein Handel. einandersetzung mit dem Verhältnis zwi- Damit verwischt sie die Grenzen nicht 385 nur zwischen den Sprachen und folgt die Lernenden in den Text hineinholt, eine den Spuren dieses deutsch-türkischen aktive und kreative Rezeption unterstützt, Handels. Der Handel beginnt mit dem einen lernendenzentrierten Sprachge- Austauschen, Schütteln, Vermehren und brauch forciert und dadurch den DaF- Ausbeuten von Händen. Er geht durch Unterricht kommunikativ gestaltet. An- eine Währungsfusion voran und blüht im schließend kann die im Gedicht genannte Tourismus. Noch trägt der Handel, doch Entwicklung einer Handelsbeziehung ein Handelspartner gerät auf Abwege. zwischen der Türkei und Deutschland Seine Machenschaften charakterisiert zum Beispiel durch das Schreiben von Zehra Çirak mittels Sprachschöpfungen Verhandlungsprotokollen oder Geschäfts- wie den ›neuen Verben‹ gesellschaftet, ge- briefen zwischen fiktiven oder auch realen setzbucht, mannt die Frau etc. Sie führen zu Handelspartnern (in der Türkei und in Händeln und schließlich zum Zerwürf- Deutschland) außertextuelle Elemente nis. Entsprechend trennt Zehra Çirak die verstärken. Sollten dort andere als im Ge- Streithähne und deren Sprachen am Ende dicht angesprochene Erfahrungen gesam- des Gedichts wieder und benennt die melt worden sein, so können die Bedin- unterschiedlichen Erfahrungen mit dem gungen dafür untersucht und das Gedicht gemeinsamen Handel: Während das entsprechend umgeschrieben werden. deutsche Fazit – der Handel reibt sich die Jüngere Migrationsgedichte sprechen Hände – den Handelsprofit anspricht, Globalisierungsprozesse an wie Gino Chi- drückt die türkische Redewendung eline ellino in dem Gedicht come together (1992: sağlîk ein Lob für gute, in der Regel aber 77), in dem Multi-Kulti-Werbestrategien kommerziell wenig Erfolg versprechende als solche dekonstruiert werden. Die Ge- Handarbeit (z. B. für Kochen) aus. dichte von José Oliver, die auf seiner Reise Im DaF-Unterricht kann dieses Gedicht durch Peru entstanden sind, zeigen Versu- verzögert präsentiert werden, wobei die che einer nicht paternalistischen Begeg- einzeiligen Aussagen über den Handels- nung zwischen einem Besucher aus einem verlauf die Einschnitte markieren. Sie kön- Land der ersten in einem Land der dritten nen entweder als Auftakt für das Kom- Welt, denn der »Spanier aus Deutschland« mende, das die Lernenden antizipieren, (Oliver 1991b: 30), wie sich der Autor in bevor sie mit dem Originaltext konfron- einem der Gedichte in Übernahme der tiert werden, oder aber als Zusammenfas- peruanischen Perspektive selbst bezeich- sung des bereits Gesagten verstanden net, ergründet das Land, stellt zwei fragen werden, das die Studierenden dann para- an die geschichte (1991b: 16) und beschreibt phrasieren. Dieses operationale Verfahren la esperanza – die hoffnung nicht nur in der ist besonders wichtig, um die genannten Landessprache, sondern auch voller Em- Wortschöpfungen nicht nur semantisch, pathie für die arme peruanische Bevölke- sondern auch grammatikalisch (als ›Verbi- rung als ein gelegenheitsjob / an jeder ecke sierung von Nomen‹) nachzuvollziehen (Oliver 1991b: 70). und auch die landeskundlichen Anspie- Im entsprechenden DaF-Lernland ergibt lungen auf die Werbung der Allianz-Versi- sich ausgehend von diesen Texten unter cherung, das ironisch gedeutete Emanzi- Umständen ein spezifischer Blick auf die pationsbestreben und die (deutsche) Bü- aus der Perspektive der DaF-Lernenden rokratie zu erfassen. Das Verfahren der eigenen Gesellschaften – nämlich die ei- verzögerten Präsentation dient hier nicht nes Besuchers aus einer anderen Welt. nur als Semantisierungshilfe, sondern ist Doch auch Gedichte wie Eigentum von ein literaturdidaktisches Verfahren, das Zehra Çirak (1991: 86), die sich nicht 386 eindeutig auf eine Gesellschaft beziehen, das Original immer noch ohne Titel, aber sondern vielmehr durch die Sprachwahl mit der zweiten Strophe – ggf. nach Klä- eine entsprechende Beziehung herstellen, rung der Redewendungen ›mein Gott steh’ lassen sich durchaus auch im Kontext mir bei‹, ›ach du meine Güte‹ – einbezogen. von Globalisierung lesen. Das Gedicht Im Lesegespräch wird überlegt, was die beginnt mit einer Aufzählung von Sub- Autorin, deren Namen bisher noch nicht stantiven wie Heimat, Land, Landsleute, bekannt gegeben worden ist, hier proble- die die Autorin durch das Possessivpro- matisiert und ob die Lernenden ihrer nomen mein zu ihrem Eigentum erklärt. Sichtweise folgen. Nachdem ein Titel ge- Wird dieses Gedicht als nur-deutsche Mi- sucht wurde, erfahren die Lernenden Na- grationsliteratur gelesen, liegt darin eine men und Kurzbiographie der Autorin so- Provokation, da eine Eingewanderte Be- wie den Originaltitel. Sie überlegen, ob griffe wie Heimat, Land etc. (in deutscher sich dadurch an der Deutung des Gedichts Sprache und damit bezogen auf ihre Auf- etwas verändert und formulieren Fragen nahmegesellschaft) zu ihrem ›Eigentum‹ an die Autorin, den Text, die Mitlernenden erklärt. Gleichzeitig enttarnt sie die deut- oder die (deutsche) Lehrperson. Zum Ab- sche Sprache als eine dem (Privat-) Eigen- schluß übertragen die Lernenden das Ge- tum verpflichtete, da sie ja entsprechend dicht in ihre Erstsprache und gehen der dem üblichen Sprachgebrauch nicht von Frage nach, ob dieser besitzergreifende unserem Land, unserer Geschichte etc. Sprachgebrauch nur im Deutschen oder spricht. Durch die zweite Strophe – mein universell üblich ist und was daraus für Gott steh mir bei daß mir alles bleibt / da das Zusammenleben von Menschen aus kommt einfach ein anderer mit seinem mein / unterschiedlichen Ländern (in einer Ge- und nichts bleibt mir mehr / nichts von mir – sellschaft, einer Staatengemeinschaft oder ach du meine Güte – kritisiert sie diese Art weltweit) folgt. von Besitzstandsdenken und zeigt seine Folgen (Streit, Krieg, Konkurrenz) auf. 4. Fazit Im DaF-Unterricht erhalten Lernende zu- Migrationsliteratur im DaF-Unterricht ist nächst nur die Substantive und legen in kein neues Konzept, sondern kann in Gruppen daraus ›ein Gedicht‹, damit eine jeden DaF-Unterricht integriert werden. Verständigung über die Bedeutung der Für den Einsatz von Gedichten und kur- einzelnen Worte stattfinden kann. Nach- zen Prosatexten empfiehlt Mechthild dem die Ergebnisse in Beziehung zu dem Borries (1995) eine intensive, z. T. verglei- Originalgedicht, das ohne die Possessiv- chende und kreative Textarbeit, die auf pronomen, ohne Titel und ohne die zweite die Auseinandersetzung mit landes- Strophe präsentiert wird, gesetzt worden kundlichen, geschichtlichen und sozialen sind, schließen die Lernenden die Lücken Veränderungen in Deutschland zielt. Da- im Originalgedicht, wobei sie nur eine bei sollte die Arbeit mit Migrationslitera- Wortart verwenden dürfen. Sie überlegen, tur die Reflexion entsprechender Ent- welche dies sein kann, welche Konse- wicklungen im eigenen Land unbedingt quenz die verwendeten Wortarten (Arti- einschließen und ist im Kontext von Glo- kel, Possessivpronomen, Adjektive) hin- balisierungsprozessen weiter zu denken. sichtlich der Textaussage haben und ob es Neben Sprachreflexion, Wortspielereien, möglich ist, sich auf ein Wort für alle Fremdheits- und Identitätsthematik, die Lücken zu einigen (z. B. immer dasselbe Borries (vgl. 1995: 26) vorschlägt, gilt es, Adjektiv, dasselbe Possessivpronomen, die hier aufgezeigten Besonderheiten der dieselbe Artikelform). Anschließend wird Sprachkritik, des multi- und interlingua- 387 len Schreibens sowie der multiplen Inter- rade im DaF-Unterricht in Ländern mit textualität zu ergänzen (vgl. Rösch 1995). einer der BRD vergleichbaren Gesellschaft – Migrationsliteratur unterstützt Sprach- sinnvoll, zur Reflexion der Situation von reflexion nicht nur bezogen auf die Minderheiten im eigenen Land anzure- deutsche Sprache, sondern auch bezo- gen. Im DaF-Unterricht der ehemaligen gen auf den Erwerb und die Vermitt- Anwerbeländer oder auch in Ländern mit lung einer Zweit- oder Fremdsprache, großer Auswanderungsbewegung bietet auf Sprachsozialisation und Mehrspra- sich die Reflexion von Emigrationsprozes- chigkeit sowie das Verhältnis zwischen sen aus dem eigenen Land nach Deutsch- Sprachen und Sprachgemeinschaften. land an. Überall ist es sinnvoll, die Immi- – Migrationsliteratur unterstützt einen gration von Deutschen ins eigene Land zu produktiven Umgang mit Literatur thematisieren, indem zum Beispiel ausge- und regt z. T. sehr direkt zum kreativen wählte Texte in das DaF-Lernland transfe- Schreiben an. Allerdings sollten die riert bzw. die Übertragbarkeit auf die ei- produktiven Verfahren die Spezifik der gene Gesellschaft diskutiert werden. Dies Form, der Intertextualität und nicht ist immer dann sinnvoll, wenn die Lernen- nur die des Inhalts berücksichtigen. den stereotype Vorstellungen über die – Im landeskundlichen DaF-Unterricht deutsche Sprache und Deutschland äu- eignet sich Migrationsliteratur zu einer ßern und das Problem des Machtverhält- Annäherung an Deutschland (aus einer nisses zwischen Minderheit und Mehrheit Minderheitenperspektive) und an Län- als nur deutsches Phänomen deuten. Ich der, aus denen Menschen nach Deutsch- habe für den Unterricht in deutschspra- land immigriert sind oder mit denen chiger Umgebung zu dem Gedicht nicht Deutschland wirtschaftliche oder touri- nur gastarbeiterdeutsch von Franco Biondi stische Beziehungen unterhält. Dabei (vgl. 1983: 84–87), das den Zweitspracher- kommen migrantenspezifische Orte werb eines Arbeitsmigranten in unter- und Situationen (Ausländerbehörde, schiedlich gestalteten Strophen als Prozeß Sprachkurs, schlecht bezahlte Arbeit, vom sprachlich und literarisch Einfachen Handelsbeziehungen etc.) vor, die sich zum Komplexen nicht nur nachzeichnet, auch für eine außertextuelle Bearbei- sondern dekonstruiert, daß die Steigerung tung eignen. der Sprachkompetenz nicht zwangsläufig Die Arbeit mit Migrationsliteratur ist in- ›Integration‹ bedeutet, sondern vielmehr sofern adressatenbezogen, als sie die Einblicke in vorhandene Diskriminierung DaF-Lernenden u. a. als potentielle Mi- und Ausgrenzung eröffnet, folgende granten anspricht. Sie vermittelt nicht ein Schreibaufgabe formuliert: Stellen Sie sich spezifisches Deutsch (wie etwa Fachspra- vor, der Ich-Erzähler kommt ins Gefäng- chenunterricht oder Wirtschaftsdeutsch), nis und schreiben Sie seine Verteidigungs- sondern thematisiert DaZ-spezifische rede. Eine ehemalige Studentin hat dies im Spracherfahrungen, -reflexionen und DaF-Unterricht in den USA erprobt und zeigt Wege zum kreativen, produktiven mir die Texte ihrer Lernenden gezeigt. Sie und provokativen Umgang mit der deut- bestätigten durchweg das Bild eines ›aus- schen Sprache und ihren Beherrschern länderfeindlichen‹ Deutschland, was mei- auf. Unter diesem Gesichtspunkt liefert nes Erachtens so nicht stehen bleiben Migrationsliteratur auch einen Beitrag zu kann. Deshalb empfehle ich für den DaF- ›german studies‹. Unterricht in Ländern, in denen das Ste- Doch Migrationsliteratur bleibt nicht fi- reotyp von einem nationalistischen, ja fa- xiert auf Deutschland, deshalb ist es ge- schistischen Deutschland sehr lebendig 388 ist, eine ergänzende oder auch alternative Chiellino, Carmine: Am Ufer der Fremde. Transferübung des Gedichts in das DaF- Literatur und Arbeitsemigration 1870–1991. Lernland. Stuttgart: Metzler, 1995. Ehnert, Rolf: »Literatur der europäischen Migrationsliteratur fordert zur phasen- Arbeitsmigration«. In: Ehnert, Rolf; Hop- weisen Einbeziehung der Erstsprache im ster, Norbert (Hrsg.): Die emigrierte Kultur. DaF-Unterricht auf: So verlangen v. a. die Wie lernen wir von der neuen Kultur in der mehrsprachigen und interlingualen Texte Bundesrepublik Deutschland? Ein Lese- und zumal in den entsprechenden DaF-Lern- Arbeitsbuch. Band 1. Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 1988, 101–114. ländern ein zweisprachiges Vorgehen. Fischer, Sabine; McGowan, Moray (Hrsg.): Diese Situation verändert die traditionel- Denn du tanzt auf einem Seil. Positionen len Rollen von Lehrenden und Lernenden deutschsprachiger MigrantInnenliteratur. dann, wenn die Lehrenden die Erstspra- Tübingen: Stauffenburg, 1977. che der Lernenden nicht oder nur rudi- Fried, Erich: »Laudatio zu Verleihung des mentär beherrschen und deshalb sichtbar Adelbert-von-Chamisso-Preises 1987 an Gino Chiellino«. In: Chiellino, Gino: Sich wird, daß sich ihre Rolle als Sprachbeherr- die Fremde nehmen. Gedichte 1986–1990. scher und -vermittler nur auf eine Sprache Kiel: Neuer Malik Verlag, 1992, 82–93. bezieht. Ich persönlich nehme in einer Iwasaki, Eijiro; Shichiji, Yoshinori (Hrsg.): solchen Situation die Rolle der Lernenden Begegnung mit dem »Fremden«. Grenzen – an und überlasse den Lernenden die Rolle Traditionen – Vergleiche. Akten des VII. 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Wierschke, Annette: Schreiben als Selbstbe- Oliver, José: Weil ich dieses Land liebe. Ge- hauptung. Kulturkonflikt und Identität in dichte. Berlin: Das Arabische Buch, den Werken von Aysel Özakin, Alev Tekinay 1991a. und Emine Sevgi Özdamar. Frankfurt a. M.: Oliver, José: Vater unser in Lima. Gedichte. Verlag für Interkulturelle Kommunika- Tübingen: heliopolis, 1991b. tion, 1996. Ören, Aras: Ich anders sprechen lernen. Wörter Zielke-Nadkarni, Andrea: Migrantenlitera- und Bilder. Illustrationen von Wolfgang tur im Unterricht. Der Beitrag der Migran- Nieblich. Berlin: Kreuzberger Hefte, 1983. tenliteratur zum Kulturdialog zwischen Özakin, Aysel: Die blaue Maske. Roman. Aus deutschen und ausländischen Schülern. dem Türkischen von Carl Koß. Frankfurt Hamburg: Kovac, 1993. a. M.: Luchterhand, 1989 und 1991. Özakin, Aysel: Mavi Maske. 1988. (Originalausgabe zu dem Roman Die Quellennachweis blaue Maske.) Başer, Tefik: 40 qm² Deutschland. Spielfilm Özakin, Aysel: Du bist willkommen. Ge- 1986. dichte. Hamburg: Buntbuch, 1985 Başer, Tefik: Paradies kaputt. Spielfilm 1989. Özdamar, Emine Sevgi: Mutterzunge. Erzäh- lungen. Berlin: Rotbuch, 1990, Köln: Kie- Biondi, Franco: »Nicht nur gastarbeiter- penheuer & Witsch, 1998. deutsch«. In: Ackermann, Irmgard Özdamar, Emine Sevgi: Das Leben ist eine (Hrsg.): In zwei Sprachen leben. München: Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam dtv, 1983, 84–87. ich rein aus der anderen ging ich raus. Köln: Bravo, Ivan Tapia: »Das bin ich mir schul- Kiepenheuer & Witsch, 1992 und 1994. dig«. In: Ackermann, Irmgard (Hrsg.): In Özdamar, Emine Sevgi: Die Brücke vom gol- zwei Sprachen leben. München: dtv, 1983, denen Horn. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 233. 1998. Chiellino, Gino: Mein fremder Alltag. Ge- Piccolo, Fruttuoso: Arlecchino »Gastarbeiter«. dichte. Kiel: Neuer Malik Verlag, 1984. Gedichte und Collagen. Hannover: Post- Chiellino, Gino: Sehnsucht nach Sprache. Ge- scriptum, 1985. dichte. Kiel: Neuer Malik Verlag, 1987. Schami, Rafik: Murmeln meiner Kindheit. Ge- Chiellino, Gino: Sich die Fremde nehmen. schichten aus Damaskus. Frankfurt a. M.: Gedichte 1986–1990. Kiel: Neuer Malik Network; Zweitausendeins, 1995 (3 CDs Verlag, 1992. oder 3 MCs mit mehreren Geschichten Çirak, Zehra: Flugfänger. Gedichtband mit aus dem Buch Der Fliegenmelker). Illustrationen von Jürgen Walter. Karls- Schami, Rafik: Erzähler der Nacht. Frankfurt ruhe: edition artinform, 1987. a. M.: Network; Zweitausendeins, o. J. (3 CDs oder 3 MCs, Musikalische Beglei- Çirak, Zehra: Vogel auf dem Rücken eines tung: Istanbul Orient Ensemble). Elefanten. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1991. Schami, Rafik: Bobo und Susu. Der Löwe Benillo. Hamburg: Jumbo, 1998 (1 MC). Karasholi, Adel: Daheim in der Fremde. Ge- Senocak, Zafer: Das senkrechte Meer. Ge- dichte. Leipzig; Halle: Mitteldeutscher dichte. Berlin: Babel, 1991. Verlag, 1984. Senocak, Zafer: Fernwehanstalten. Gedichte. Kurt, Kemal: Wenn der Meddah kommt. Illu- Berlin: Babel, 1994. striert von Ulrike Mühlhoff. Hamburg: Tawada,Yoko: Talisman. Von der Mutterspra- Dressler, 1995. che zur Sprachmutter. Tübingen: Konkurs- Kurt, Kemal: Als das Kamel Bademeister war – buch, 1996. Keloglan’s lustige Streiche. Berlin: Edition Tawada,Yoko: Verwandlungen. Tübingen: Orient, 1998. Konkursbuch, 1998. Oliver, José: Aufbruch. Berlin: Arabisches Tschinag, Galsan: Eine tuwinische Geschichte Buch, 1989 (auch als Hörkassette) und und neue Erzählungen. München: A1, 1995. 1997. Tschinag, Galsan: Im Land der zornigen Oliver, José: Heimatt? und andere fossile Winde. Frauenfeld: Im Waldgut, 1997 und Träume. Berlin: Das Arabische Buch, 1989. 1998. 390

Anhang: Gedichte Doppelte Nationalitätenmoral Die Socken Jandeln für Ausländer rot mit weißem Stern im Sichelmond die Schuhe schwarz rot gold ich wandel du handelst für viele ist es wie ein warmer Fuß er jandelt im kalten Schuhwerk oder sie jandelt für andere wir mandeln ein Doppelknoten ihr gandelt in einem sie jandeln nur schnürsenkellangen Leben oder auch nicht aber das (Chiellino 1987: 83) auf heißem Boden (Çirak 1991: 91) Sklavensprache Sprachübung mit mir willst I du reden Ich halt den Mund und Ich halt mich rechts ich Ich halt mich links soll Ich halt mich an die Vorschrift deine Sprache An die Norm die Ordnung den Befehl sprechen Und die richtige Reihenfolge Ich halte nichts von der Ungeduld (Chiellino 1984: 71) Ich halt mich zurück mit meiner Meinung Ich verhalt mich ruhig wie eine Maus e paroe Ich halt euch mir von Leibe e paroe Ich halt eine Katze einen Hund eranu de nostre Oder ein Buch e cu ille a vita II poi la lingua Ich halt das Feuer nicht in meinen Hände se fece diversa Bis sie brennen quella degli altri Ich behalt mir das Recht vor zu einer Fremdsprache Mich auszuschweigen zur rechten Zeit wurde das Leben Ich halt den Atem an in der Fremde gehört es Bis der Gestank vorüberzieht uns wieder Ich halt mich an in meiner Raserei Ich halt mich aufrecht in Grenzen (Chiellino 1987: 59) Ich erhalt mich für bessere Zeiten Ich halt mich fest als die MAUER fiel An meinen eigenen Schultern war ich nicht drauf gefaßt II als die MAUER fiel Ich halt die Stellung mußte ich mich fassen Ich unterhalt mich mit meinem Vorrat als die MAUER fiel An Hoffnung war ich fassungslos froh Ich behalt mir das Recht vor zu schreien als die MAUER fiel Zur rechten Zeit und die nationalhymne Ich halt den Vögeln meine Rede angestimmt wurde Unter freiem Himmel wenns nötig ist wußte ich Ich halt wenigstens als die MAUER fiel Mir gegenüber die MAUER steht Mein Wort (Oliver 1989: 32) (Karasholi 1984: 29–31) 391 skurrile begegnung Made in Germany mein wörterbuch Ich liebe Dich hat eselsohren: Ich liebe Dich die spanische sprache Ich liebe Dich Du liebst mich nicht kennt einen anderen plural und Ich brauche Dich Ich brauche Dich erlebt mindestens zwei begreifbare ausdrücke Ich brauche Dich im lieben Du brauchst mich auch amar y querer (Ören 1983: 17) die spanische sprache kennt einen anderen plural Eigentum und Meine Heimat mein Land hegt in ihrem wortschatz meine Landsleute meine Sprache die nuancen der esel meine Geschichte mein Krieg mein Sieg soy poeta meine Sehnsucht mein(e) Frau (Mann) mein por eso soy burro Kind soy europeo mein Haus mein Hab und Gut meine Zu- por eso soy asno kunft soy peruano meine Meinung mein Recht meine Person por eso soy mula mein Nachbar mein Feind in meiner Zeit (Oliver 1991: 29) mein Gott steh mir bei daß mir alles bleibt da kommt einfach ein anderer mit seinem mein und nichts bleibt mir mehr nichts von mir – ach du meine Güte (Çirak 1991: 86)

Allianz Auf deutsch heißt die Hand Hand auf türkisch heißt sie el so ein Handel der Handel hat begonnen Hände tauschen aus und schütteln andere sie vermehren sich im Gerangel und schieben sich gegenseitig zu was sie aus anderen schöpfen der Handel geht voran die Lira geht durch Mark und Bein die Mark besteigt die Lira die Lira will gebären die Mark erzieht das Balg der Handel blüht Sommeraustausch und Erholung am Meer dort bekommen wir Sonne viel und Wärme viel und noch mehr noch mehr fürs gute Geld der Handel trägt ein Handel verträgt und kommt ab bezieht und bilanziert braucht eine Hand (Ören 1983: 6) einigt sich mit dem kleinen Finger 392 firmt und richtet über den Daumen weg schifft sich ein, schult sich gesellschaftet mit dem Ring der Allianz spannt sich aus und verüblicht sich gesetzbucht mit geordnetem Unterschied er kämpft mit seinesgleichen mannt die Frau süchtig die Hand des anderen im Mund und emanzipiert sich vertritt und treibt er Geister aus platzt aus sich heraus der Handel reibt sich die Hände und registriert in sich hinein es gibt Händel eline saglîk er reist mit dem Zeigefinger (Zehra Çirak 1991: 16–17) tesa, braccio, mano occhi aperti gambe all’ingiú illuminazione nella stanza il letto un armadio-muro e pensieri io sono in Germania (Picollo 1985: 20–21)

wir waren unzertrennlich unser Dorf Das bin ich mir schuldig lag hinter einem Berg der Berg lag hinter Bevor ich ein Wort spreche aus einer Stadt die Stadt lag hinter einem Meer nachdenke ich gründlich darüber das Meer lag dahinter lag die Stadt dahinter Mir soll laufen unter kein Fehler lag der Berg damit ich nicht falle auf vor einem so erlesenen Publikum (Senocak 1991: 90) als unkundiger Trottel der sich benimmt immer daneben come together nel mondo dei colori di Benetton (Bravo 1983: 2) and learn to live as friends im Lande der Nichtraucher wo die Fremde wie Farben von Benetton geraucht wird (Chiellino 1992: 77) 393

Textanalyse als individualisierendes Verfahren zur Optimierung schriftsprachlicher Kompetenzen in der Fremdsprache

Margarete Ott

0. Einführung mündliche Fertigkeiten in der Fremd- Die schriftliche Textproduktion spielt sprache zu erwerben, dabei wurde je- ohne Zweifel im wissenschaftlichen Be- doch häufig die Entwicklung der schrift- reich eine herausragende Rolle. Daher lichen Sprachkompetenz vernachlässigt, dürfte es fraglos richtig sein, im Rahmen so daß für viele Studierende der Germa- einer universitären Fremdsprachenaus- nistik (und das gilt teilweise auch für bildung nicht nur der rezeptiven, son- deutsche) die schriftliche Textproduktion dern auch der produktiven schriftlichen an sich schon eine erhebliche Schwierig- Sprachkompetenz eine gebührende Be- keit darstellt. Schreiben, das in vielerlei achtung zukommen zu lassen. Die Not- Hinsicht – psychologisch, kommunikativ, wendigkeit einer gezielten Vermittlung normativ – etwas völlig anderes ist als des Deutschen als fremder Wissen- Sprechen, erfordert eine spezifisch schaftssprache wird zunehmend disku- schriftsprachliche Kompetenz, um den tiert (z. B. Schäfer/Siegel 1998; Ehlich gültigen Normen, bei deren Nichtbeach- 1999), wobei Ehlich zu Recht betont, daß tung ein Text als nicht gelungen einge- es im Bereich Deutsch als Fremdsprache stuft wird, entsprechen zu können. neben dem Erwerb der Fachterminologie Wenig ausgebaute allgemeine schrift- – die im Prinzip von allen Studierenden, sprachliche Kompetenzen erschweren es gleich welcher Sprachherkunft, erlernt den Studierenden, Zugänge zur ›alltägli- werden muß – v. a. um den Erwerb der chen Wissenschaftssprache‹ zu finden, »alltäglichen Wissenschaftssprache« die ja am Konzept der Schriftlichkeit ori- geht, also um das, »was sozusagen ›zwi- entiert ist. schen den Fachtermini‹ steht« (Ehlich 1999: 7). 1. Schriftsprachliche Kompetenz ist Nun ist bei ausländischen Studierenden nicht eine logische Folge mündlicher der Germanistik häufig zu beobachten, Sprachkompetenz daß die mündliche Sprachproduktion Aus psychologischer Sicht ist Schreiben kaum Probleme zu bereiten scheint, die als ein »komplexer, multidimensioneller Ergebnisse bei schriftlichen Arbeiten da- Prozeß« (vgl. Schneuwly 1996: 31) zu gegen oft weniger zufriedenstellend aus- sehen. Zielnorm des Schreibens sind in fallen. Sicherlich zu Recht wurde in jün- den meisten Fällen nicht individuell ge- gerer Zeit v. a. innerhalb der schulischen staltete Produkte, sondern Texte, die sich Fremdsprachenausbildung verstärkt an »bereits vorfindlichen Ordnungen« Wert darauf gelegt, kommunikative (vgl. Feilke/Portmann 1996: 9) orientie-

Info DaF 27, 4 (2000), 393–406 394 ren. Texte sind komplexe Phänomene, Der Weg zu einem fachlich angemesse- deren Spezifik sich aus dem Zusammen- nen Schreiben führt also über die Fähig- wirken verschiedener sprachlicher und keit, relevante Kriterien von Fachtexten formaler Komponenten ergibt. Ein bewußt wahrnehmen und bewerten zu Schreiber muß also Fertigkeiten auf ver- können (vgl. Schäfer/Siegel 1998: 696). schiedenen Ebenen erworben haben, um Texte erfolgreich produzieren zu können. 2. Kriterien der Textproduktion Ein gelungener Text zeichnet sich da- Die Anforderungen, die an einen Text durch aus, daß er neben eher allgemein- gestellt werden, könnte man zunächst gültigen schriftsprachlichen Merkmalen einmal drei verschiedenen Bereichen zu- auch textsortenspezifische aufweist. Die ordnen (ich orientiere mich bei der Ent- Besonderheit schriftlicher deutscher wicklung des vorgestellten Analysera- Texte kann der Fremdsprachenlerner sters an dem Zürcher Textanalyseraster; nicht aus seinen mündlichen Fremdspra- vgl. Nussbaumer 1996: 108ff.): chenkenntnissen ableiten, und eine Über- – »Richtigkeit entsprechend der Sprach- tragbarkeit eventuell vorhandener Kom- norm« (s. 2.1) petenzen aus der Muttersprache ist nur – »Inhaltliche Vollständigkeit und Struk- bedingt gegeben, da die Textsorten im turiertheit« (s. 2.2) Deutschen formal, inhaltlich und auf der – »Angemessenheit bezüglich der Formulierungsebene z. T. anderen Nor- Schriftsprachlichkeit und der Text- men unterliegen. Divergierende Schreib- sorte« (s. 2.3) konventionen bezüglich wissenschaftli- Als weiterer wesentlicher Punkt käme cher Textsorten gibt es nicht nur bei sehr die Forderung nach inhaltlich sinnvol- unterschiedlichen Sprachkulturen, son- len bzw. überzeugenden Aussagen ent- dern bereits bei relativ nah beieinander sprechend der gestellten Aufgabe oder liegenden. dem (selbst) erhobenen Anspruch hinzu. Diesen Punkt möchte ich hier Im Sinne einer prozeßorientierten jedoch ausklammern, da es sich dabei Schreibdidaktik könnten in der Vermitt- immer um einen subjektiven und aufga- lung des Deutschen als Fremdsprache bengebundenen, aber einzelsprachlich Wege eröffnet werden, die zu einem bes- relativ unabhängigen Anspruch han- seren Schreiben von Fachtexten führen, delt. indem Studierende in die Lage versetzt werden, die eigenen und fremde Schreib- 2.1 Richtigkeit entsprechend der produkte zu analysieren und kritisch zu Sprachnorm beurteilen. Was Baurmann (1993: 314) für »Richtig« schreiben heißt zweifellos die Schule fordert, hat sicherlich auch auch, orthographisch und grammatisch Gültigkeit für die universitäre Ausbil- richtig schreiben. Dem Fremdsprachen- dung: lerner des Deutschen bereiten anfäng- »Zumindest ein hinreichend selbständiges, lich die Rechtschreibregeln genauso wie in Ansätzen versiertes Schreiben bedarf so- dem Muttersprachler Schwierigkeiten. mit des ständigen Vergleichens und Beur- Aber diese Probleme werden normaler- teilens. Für die Didaktik und Methodik des weise (mit Unterstützung entsprechen- schulischen Schreibens bedeutet dies, daß der Lehrgänge) mit der Zeit gemeistert. die Hinführung zur Textproduktion nicht nur das Schreiben, sondern auch die Eigen- Dagegen stellen Syntax und Morpholo- beurteilung des Geschriebenen zu vermit- gie den Fremdsprachenlerner vor viel teln hat.« größere Probleme, da er nicht oder nicht 395 in dem Maße wie der Muttersprachler 2.3 Angemessenheit bezüglich Schrift- auf ein internalisiertes Regelbewußtsein sprachlichkeit und Textsorte (Sprachgefühl) zurückgreifen kann. Die Schriftsprache als solche und die Eventuell vorhandene Defizite treten zu- Fachsprache im besonderen stellt be- dem in der schriftlichen Textproduktion kanntermaßen an Lexik und Syntax in deutlich zutage. Ob zum Beispiel Adjek- Texten bestimmte Anforderungen, die tive oder Substantive die korrekte Kasus- sich vom mündlichen Sprachgebrauch endung aufweisen, läßt sich in der fort- unterscheiden. Richtig schreiben heißt laufenden Rede kaum feststellen, wird also auch, sich schriftsprachlich bzw. aber im schriftlichen Text offensichtlich. fachsprachlich angemessen auszudrük- Syntax- und Formulierungsfehler (For- ken. Zu dieser Problematik gibt es zahl- mulierung im Sinne von lexikalischen reiche Untersuchungen, in denen u. a. Einheiten, die mehr als ein Wort umfas- festgestellt wurde, daß es Kindern, die in sen), die im Mündlichen als wenig stö- einer positiven schriftkulturellen Umge- rend empfunden werden oder rasch kor- bung aufwachsen, erheblich leichter fällt, rigiert werden können, beeinträchtigen sich schriftsprachlich korrekt auszudrük- einen schriftlichen Text in erheblichem ken, als solchen, die wenig mit Schrift- Maße. sprache in Berührung kommen. Daraus kann u. a. die Schlußfolgerung gezogen werden, daß schriftsprachliche Kompe- 2.2 Inhaltliche Vollständigkeit und tenz nicht als ›Nebenprodukt‹ der münd- Strukturiertheit lichen quasi von alleine entsteht. Aus der Zwar wird auch in der mündlichen Sicht des Fremdsprachenlerners heißt Sprachproduktion Vollständigkeit inso- dies, daß eine bewußte Begegnung mit weit verlangt, als sie für das Verstehen der Schriftsprache – rezeptiv und produk- unerläßlich ist. Aber es gibt in dialogi- tiv – erforderlich ist. Schriftsprache muß schen Redeformen zahlreiche kontextu- in ihrer Unterschiedlichkeit zur mündli- elle Hilfen (sprachlicher und nicht- chen Sprache erfahren und erkannt wer- sprachlicher Art), die mit dazu beitragen, den. daß das kommunikative Ziel erreicht Ein weiterer fundamental wichtiger Ge- wird. Im schriftlichen Text dagegen muß sichtspunkt ist die Angemessenheit be- alles (vom Produzenten) gesagt werden. züglich der Textsorte, die im universitä- Dies bedeutet, daß Texte so konzipiert ren Bereich immer auch eine fachsprach- sein müssen, daß sie sozusagen fraglos liche Komponente aufweist. Die Ent- verständlich sind. So entsprechen z. B. scheidung für eine bestimmte Textsorte Meinungsäußerungen, die nicht begrün- zieht weitere Konsequenzen nach sich, det werden, nicht den Anforderungen denn es gibt Normierungen auf allen schriftlicher Texte. Erwartet wird viel- textuell relevanten Ebenen. Für be- mehr, subjektive Ansichten so darzule- stimmte Situationen schriftsprachlichen gen, daß sie nachvollziehbar sind. Auch bzw. fachsprachlichen Handelns stehen sog. Gedankensprünge können das Ver- also Modelle zur Verfügung, d. h. Grund- ständnis beeinträchtigen. Schriftliche muster. »Sie sind zwar flexibel, können Texte sollten also konsequent und lük- an die jeweilige schriftsprachliche Situa- kenlos aufgebaut sein und eine innere tion angepaßt werden, sind zugleich aber Strukturierung aufweisen, die auch in auch stabil: sie bestimmen, was sagbar der äußeren Form zum Ausdruck ist« (Schneuwly 1996: 30). Um hier die kommt. spezifischen produktiven Kompetenzen 396 zu erwerben sind Texterfahrungen im chen und fachbezogenen Sprachen dar« Sinne kritisch reflektierter Rezeption und (Schwanzer 1981: 215). Typisch für die insbesondere Schreiberfahrungen not- formale Struktur der deutschen Wissen- wendig. schaftssprache ist so z. B. die Tendenz zur Entpersonalisierung und zur Nominali- 3. Qualitative Fehleranalyse anhand sierung, verbonominale Fügungen und eines Analyserasters die Bevorzugung des Präsens, eine diffe- Eine qualitative Fehleranalyse, wie sie im renzierte Modalität durch lexikalische folgenden vorgestellt wird, bietet die und syntaktische Mittel und eine vorherr- Möglichkeit, sich der besonderen schrift- schende Thema-Rhema-Gliederung (vgl. sprachlichen und textuellen Anforderun- Beneš 1981). Des weiteren kennzeichnend gen einer gegebenen Schreibaufgabe be- ist eine enge Satzverflechtung durch ver- wußt zu werden und seine individuellen stärkten Einsatz von Kohäsionsmitteln Fehlerschwerpunkte zu erkennen. (Dressler 1983: 52) sowie eine typische Um zu einem handhabbaren Instrument Ausprägung der Lexik. für qualitative Fehleranalysen als Grund- Für Studierende sind Seminararbeiten lage der Textoptimierung zu kommen, eine übliche Form schriftlicher Textpro- lassen sich aus den oben genannten An- duktion. Ich habe versucht, ein dafür forderungen Kriterien ableiten und zu ei- relevantes Analyseraster zu entwickeln, nem Raster zusammenstellen, das als anhand dessen beurteilt werden kann, ob Analyseinstrument dienen kann. Dabei die Produkte fachsprachlichen, sachlogi- muß in Betracht gezogen werden »daß für schen und formalen Ansprüchen genü- unterschiedliche Textsorten unterschiedli- gen, die man berechtigterweise an die che Dimensionen der Textqualität domi- Textsorte Seminararbeit stellen kann. Es nant sind, wenngleich die Grunddimen- handelt sich jedoch keineswegs um ein sionen wohl für alle Texte prinzipiell Gül- ausgefeiltes Instrument, sondern eher tigkeit haben« (Nussbaumer 1996: 107). um ein grobes Raster, das ermöglichen Im universitären Kontext können die An- soll, offensichtliche Mängel zu orten und forderungen insofern präzisiert werden, zu klassifizieren. Ein detaillierteres Ra- als es sich bei den zu schreibenden Texten ster zu entwickeln ist schon deshalb nicht im allgemeinen um solche handelt, die sinnvoll, weil Seminararbeit, die sich an wissenschaftssprachlich zu formulieren der jeweiligen Aufgabenstellung orien- sind. Dabei ist davon auszugehen, daß die tieren muß, viel weniger als geschlossene deutsche Wissenschaftssprache – unge- Textsorte verstanden werden kann als achtet spezifischer fachsprachlicher Aus- beispielsweise Lebenslauf oder Bewerbung. prägungen – sich sprachlicher Mittel be- Bei dem hier vorgestellten Analyseraster dient, »die allen wissenschaftlichen Fach- zur qualitativen Fehleranalyse geht es in sprachen gemeinsam sind« (Beneš 1981: erster Linie nicht darum, Fehler als Defi- 186). Schwanzer (1981) spricht von syn- zite zu markieren, sondern diese bewußt taktisch-stilistischen Universalia in wis- zu machen und dadurch Möglichkeiten senschaftlichen Fachsprachen: Sachbezo- der Textoptimierung zu eröffnen. Wenn genheit, Eindeutigkeit, Klarheit, Effizienz man davon ausgeht, daß Schreiben lern- und Ökonomie werden im Deutschen bar ist, könnte dieses Raster den Studie- durch konkrete sprachliche Mittel reali- renden als »Instrument der Wahrneh- siert. »Die konkreten sprachlichen Aus- mung und der Verhandlung von Qualitä- drucksmittel und -formen stellen die for- ten an eigenen und fremden Texten« malen Universalien der wissenschaftli- (Nussbaumer 1996: 106) dienen. 397

3.1 Analyseraster 3.1 Die Makrostruktur sollte textsorten- spezifische Merkmale (Titelblatt, In- 1. Richtigkeit entsprechend der Sprach- haltsverzeichnis, deutlich erkennbare norm und markierte Gliederung, einfüh- 1.1 Orthographie rende und abschließende Textteile, Li- 1.2 Morphologie teraturverzeichnis) aufweisen. 1.3 Syntax 3.2 Die einzelnen Teiltexte sollten (je 1.4 Lexik nach Umfang) eine inhaltliche und 2. Inhaltliche Vollständigkeit formale Gliederung aufweisen. 2.1 Ausführlichkeit 3.3 Eine kohärente Darstellung des Tex- 2.2 Textaufbau tes, hergestellt durch verschiedene 2.3 Explikationen sprachliche und formale Mittel, ist eine erwartbare Anforderung bezüg- 3. Angemessenheit bezüglich der Schrift- lich dieser Textsorte. sprachlichkeit und der Textsorte 3.4 Die sprachlichen Mittel (z. B. Wort- 3.1 Makrostruktur des Gesamttextes wahl, Tempus, Satzbau, Modus) soll- 3.2 Struktur der Teiltexte ten so ausgewählt sein, daß sie sowohl 3.3 Rezipientenführung der Schrift- bzw. Fachsprache als auch 3.4 Angemessenheit der sprachlichen der Textsorte angemessen sind. Mittel 3.5 Wissenschaftliches Arbeiten erfor- 3.5 Richtigkeit und Genauigkeit dert Genauigkeit und Gewissenhaf- 3.6 Ästhetische Angemessenheit tigkeit. Im Rahmen einer Seminarar- beit ist so z. B. zu erwarten, daß Zi- 3.2 Anmerkungen zu einzelnen Raster- tate korrekt wiedergegeben werden punkten und Recherchen gewissenhaft erfol- 1.4 Es geht hier um die semantisch rich- gen. tige Verwendung von Einzelwörtern 3.6 Erwartbar sind eine angemessene und Formulierungen, d. h. lexikali- Variabilität in Lexik und Syntax so- schen Einheiten, die mehr als ein Wort wie Komplexität der Sprache. umfassen (Funktionsverbgefüge, Kol- lokationen, idiomatische Redewen- 4. Analyse eines Teiltextes einer Semi- dungen) sowie deren der Sprachnorm nararbeit entsprechende Kombination. Im folgenden wird ein Text vorgestellt, 2.1 Hier gilt der Grundsatz: so explizit der anschließend anhand des Rasters wie nötig, so implizit wie möglich. analysiert wird. Weder ausschweifende und um- ständliche Formulierungen oder Ein- 4.1 Der Text fachstsätze würden der Textsorte Se- Der vorliegende Text stellt den abschlie- minararbeit gerecht. ßenden Teil einer Seminararbeit im Rah- 2.2 Der Text sollte konsequent und lo- men eines Lexikologie-Seminars im Fach gisch nachvollziehbar aufgebaut Germanistik dar, das an einer ungari- sein. schen Universität durchgeführt wurde. 2.3 Meinungen sollten sachlich begrün- Die Aufgabe bestand darin, Einträge zu det und Erklärungen präzise formu- acht gegebenen Stichwörtern in ein- und liert werden. Banale Feststellungen zweisprachigen Wörterbüchern verglei- ohne Informationswert sollten mög- chend zu analysieren. Die an diesem Se- lichst vermieden werden. minar teilnehmenden Studierenden be- 398 fanden sich größtenteils im vierten Studi- lage. Verändert ist nur die Schrifttype enjahr. Die Abschrift folgt genau der Vor- und der Zeilenabstand.

Seite 1: Auf dem ersten Blick kann man feststellen, daß 5 Wörter mindestens in einem der Wörterbücher nicht zu finden sind. Ich habe keinen Zusammenhang gefunden, warum diese Wörter in den Wörterbüchern nicht aufgenommen wurden. Bei der Übersetzung aus der Fremdsprache in die Muttersprache (passiv) und aus der 5 Muttersprache in die Fremdsprache (aktiv) verwendet man die zweisprachigen Wörterbücher. Der Benutzer des zweisprachigen Wörterbuchs sucht nach einem semantischen und stilistischen Äquivalent, das in einen Text ohne Informationsverlust einsetzbar werden soll, die etymologischen stilistischen und fachsprachlichen Angaben sind für die 10 Übersetzer nicht wichtig, wenn sie zu keiner Bedeutungsdifferenzierung und stilistischen und syntaktischen Änderungen führen. Wie die Wörterbücher dieser Funktion entsprechen, habe ich anhand der Beispielwörter untersucht. Erklärung zu der Tabelle: Aufbau und Inhalt von Wörterbuchartikeln 15 Unter 8 Beispielwörter kommen nur 2 in beiden Wörterbüchern vor. Die Lemmata enthalten im allgemeinen grammatische Angaben (Artikel, Genitiv Singular, Nominativ Plural) und ein ungarisches Äquivalent, damit wir die deutsche Wörter ohne Informationsverlust verstehen. Aber nicht alle Wörterbuchartikel sind nach diesem Regel aufgebaut. 20 Es gibt Wörter, die im Wörterbuch nicht zu finden sind, zum Beispiel kein zweisprachiges Wörterbuch enthalt das Entlehnungswort »Freak«, obwohl immer mehr englische Wörter in die deutsche Sprache übernommen werden. Für das Wort »Fiaker-Milli« wurde kein Aquivalent angegeben, man soll die Lemmata »Fiaker« und »Milli« nachschlagen. Mit der Hilfe des Wörterbuchs von Halász Elöd 25 habe ich die richtige Übersetzung gefunden, Fiaker-Milli wird auf ungarisch »tejes kocsi« heißen. Es kommt oft vor, daß ein Wort mit seinem Synonym erklärt wird, z. B.: »Gründerzeit« = »Gründerjahre«. Die Bedeutungserklärung finden wir unter dem Lemma »Gründerjahre«. Auch die Fachwörter werden gekennzeichnet /z. B.: »Fluchtpunkt 1. (ép.) iráypont 2. 30 (geod.) eltünési pont, iránypont/, damit wir ohne Fachwissen das Wort verstehen. Die weiteren Lemmata erwähne ich nicht, weil sie auf der gleichen Weise aufgebaut sind. Seite 2: Nach diesem kurzen Überblick stelle ich fest, daß die Deutsch-ungarische Wörterbücher weiter aktualisiert werden sollen, weil sie einige Wörter noch immer nicht enthalten und der Inhalt der Wörterbuchartikel für die Benutzer nicht immer vollständig ist. 5 Darunter verstehe ich, wenn man kein ungarisches Äquivalent für ein deutsches Wort bekommt und deswegen bei der Übersetzung Schwierigkeiten hat. Wenn es nicht um eine Übersetzung, sondern um die Rezeption eines deutschen Textes oder wortsemantische, phraseologische Schwierigkeiten geht kann man das 10 einsprachige Wörterbuch zu Hilfe rufen. 399

Wenn wir die 8 Beispielwörter im Langenscheidts Größwörterbuch und im Duden Universal Wörterbuch nachschlagen, finden wir Bedeutungserklärungen, die in einen Text ohne Informationsverlust nicht einsetzbar sind. Aber die Fortgeschrittenen bekommen mehrere Informationen über ein Wort, weil im einsprachigen Wörterbuch 15 außer den grammatischen Angaben und semantischen Erläuterungen auch etymologische, stilistische, fachliche und phonetische Angaben angegeben werden, die obwohl für einen Übersetzer überflüssig sind, wenn dadurch keine Bedeutungsdifferenzierung entsteht. Zusammengefaßt: durch die entgegengesetzte Benutzungssituation entstehen makro- 20 und mikrostruktuelle Unterschiede zwischen den einsprachigen und zweisprachigen Wörterbüchern. Die Wörterbuchartikel der 8 Beispielwörter habe ich aus den einsprachigen Wörterbüchern in der Tabelle eingetragen, damit wir die Unterschiede zwischen den Wörterbüchern besser sehen. 25 Die Mikrostruktur des Einsprachigen Wörterbuchs besteht aus 3 Komponenten: Repräsentation – Explikation – Demonstration. Bevor ich die beiden einsprachigen Wörterbücher miteinander vergleiche, mache ich eine Tabelle mit der Komponenten der Mikrostruktur und kennzeichne, in wievielen Wörterbuchartikeln die Komponenten vorkommen. [Es folgt eine vergleichende Liste mit quantitativen Angaben zu einzelnen Kompo- nenten der Mikrostruktur = Seite 3] Seite 4: Nach der Analyse stelle ich fest, daß das Duden Universal Wörterbuch über ein Lemma den Benutzern mehr Informationen liefert, als das Langenscheidts Wörterbuch. Das erstere Wörterbuch ist benutzerfreundlicher, weil es mehr etymologische, 5 stilistische Angaben, Angaben zur Herkunft und Beispielssätze enthält, damit wir über die Wörter mehr erfahren. Wenn wir die Lemmata in der Tabelle durchlesen, sehen wir gleich den Unterschied zwischen den einsprachigen und zweisprachigen Wörterbüchern und auch zwischen dem Duden und Langenscheidts und dem Halász und Akadémiai Wörterbuch. 10 Die Unterschiede zwischen den beiden Wörterbuchtypen ergeben sich aus den pragmatisch bedingten Benutzungssituationen.

4.2 Die Analyse 4.2.1 Richtigkeit entsprechend der Sprachnorm Eine Analyse dieses Textes – entspre- chend dem vorgestellten Analyseraster Zu 1.1 Orthographie und Interpunktion – könnte wie im folgenden dargestellt Die drei hier einzuordnenden Falsch- aussehen. Sofern die nicht normgemä- schreibungen könnten z. T. auch Tippfeh- ßen Schreibungen explizit aufgeführt ler sein. Die Interpunktion entspricht bis werden, wird Seite und Zeile in der auf wenige Ausnahmen der Sprachnorm. Abschrift in folgender Form angegeben: 2/14 = Seite 2, Zeile 14. Korrekturvor- Zu 1.2 Morphologie schläge sind in Klammern (…) beige- Die hier zu nennenden Normverstöße fügt. sind auf falsche Genus- oder Kasusan- 400 nahme zurückzuführen oder auf Nicht- 4.2.2 Inhaltliche Vollständigkeit beachtung des Plurals. Zu 2.1 Ausführlichkeit 1/15 Beispielwörter (Beispielwörtern) Der Text ist einerseits nicht genügend 1/17 die deutsche (deutschen) Wörter explizit, denn z. T. sind die Bezüge zwi- 1/19 nach diesem (dieser) Regel schen einzelnen Aussagen unklar (zum 2/1 D(d)eutsch-ungarische (-ungari- Beispiel: Seite 2, Zeile 19–24). Anderer- schen) Wörterbücher seits ist der Text an mehreren Stellen zu ausführlich durch ausschweifende For- 2/11 im (in) Langenscheidts Großwör- mulierungen oder Wiederholungen. terbuch Hierzu einige Beispiele: 2/28 eine Tabelle mit der (den) Kompo- 1/20 Es gibt Wörter, die im Wörterbuch nenten nicht zu finden sind, zum Beispiel 4/2 als das (0) Langenscheidts Wörter- kein zweisprachiges Wörterbuch buch (besser: als das Wörterbuch enthält das Entlehnungswort von Langenscheidt) »Freak«, obwohl …. (Kein zwei- sprachiges Wörterbuch enthält …) Zu 1.3 Syntax 1/24–26 Mit der Hilfe des Wörterbuchs Es gibt nur ein Beispiel einer nicht norm- … »tejes kocsi« heißen. gemäßen Syntax, wobei ein Nominal- (Die Übersetzung von Fiaker-Milli komplex getrennt wurde. heißt nach dem Wörterbuch von 2/22 Die Wörterbuchartikel der 8 Bei- Halász Elöd auf ungarisch »tejes spielwörter habe ich aus den ein- kocsi«.) sprachigen Wörterbüchern …. Zu 2.2 Textaufbau (Die Wörterbuchartikel aus den Ein schlüssiger Textaufbau ist nicht einsprachigen Wörterbüchern (durchgehend) festzustellen. Dies fällt habe ich …) umso mehr negativ ins Gewicht, als auch äußere Gliederungsmerkmale fehlen Zu 1.4 Lexik bzw. nicht konsequent durchgeführt sind 1/1 auf dem (den) ersten Blick (vgl. 3.2). Es werden z. B. inhaltliche Teil- 1/2 keinen Zusammenhang (Grund) aspekte an verschiedenen Stellen des Tex- gefunden tes angeführt, ohne daß die Notwendig- 1/8 einsetzbar werden (sein) soll keit dieses Vorgehens einsichtig wäre. So 1/15 Unter (Von) …… finden sich beispielsweise Aussagen über das Vorkommen der vorgegebenen Stich- 1/21 Entlehnungswort (Entlehnung/ wörter an mehreren Stellen. Fremdwort) 1/23 man soll (muß) Zu 2.3 Explikationen 1/24 mit der (0) Hilfe des Wie die folgenden Beispiele zeigen, wer- den zum Teil überflüssige Begründungen 1/31 auf (in) der gleichen Weise gegeben: 2/10 zu Hilfe rufen (nehmen) 1/2 Ich habe keinen Zusammenhang 2/14 mehrere Informationen über ein gefunden, warum …. Wort (zusätzliche Informationen 1/30 … damit wir ohne Fachwissen das zu einem Wort) Wort verstehen. 2/17 die obwohl (jedoch) für einen Erklärungen sind teilweise nicht präzise Übersetzer überflüssig sind formuliert, z. B. 2/5 und 6. Es fehlen des 401

öfteren erwartbare Erläuterungen, oder ein neuer Gesichtspunkt behandelt sie werden nur in oberflächlich allgemei- wird. Doch auch hier gibt es Ausnah- ner Form gegeben, z. B. 2/erster Ab- men (z. B. Seite 2, 2. Satz). Eine weitere schnitt und 18–20; 4/1–6. Untergliederung durch eine Leerzeile erfolgt nur an zwei Stellen und ist folg- 4.2.3 Angemessenheit bezüglich der lich nicht konsequent durchgehalten. Schriftsprachlichkeit und der Textsorte Teilüberschriften gibt es nicht bis auf eine Ausnahme (1/14), wodurch aber Zu 3.1 Makrostruktur eher eine weitere Beeinträchtigung der Bei der vorliegenden Seminararbeit sind Textstruktur entsteht. Da kein konse- drei Hauptelemente erkennbar: eine quenter Textaufbau (vgl. 2.2) vorhanden kurze Einleitung, ein tabellarischer Ver- ist, ist eine konzise formale Strukturie- gleich der Wörterbuchartikel und ab- rung nicht zu leisten. Einleitende und schließend eine vergleichende Darstel- abschließende Textelemente sind unan- lung und Beurteilung der verwendeten gemessen kurz bzw. inhaltsleer und Wörterbücher (= vorliegender Teiltext). nicht klar abgegrenzt. Die Einleitung umfaßt elf teilweise un- Inhaltliche Hauptelemente sind Aussa- vollständige Zeilen. Dies entspricht vier gen zu den a) zweisprachigen und den b) Sätzen. Im tabellarischen Vergleich wer- einsprachigen Wörterbüchern neben c) den zuerst die Einträge der einsprachi- vergleichenden Elementen. Sie erschei- gen Wörterbücher (2 Seiten) und an- nen nicht geordnet und konzentriert son- schließend die der zweisprachigen (1 dern verstreut an verschiedenen Stellen, Seite) zu den vorgegebenen Lemmata ohne daß sachlogische Gründe erkennbar dargestellt. wären. Zum Beispiel: Bei dem abschließenden Vergleich han- zu a) 1/20–32; 2/1–6 delt es sich um den hier analysierten Teiltext. Im Gegensatz zum vorangehen- zu b) 2/8–18 und 22–24; Tabelle (= Seite den Hauptteil werden hier zuerst die 3); 4/1–6 zweisprachigen und danach die einspra- zu c) 1/1–11; 2/19–24; 4/7–1 chigen Wörterbücher vergleichend dar- Zu 3.3 Rezipientenführung gestellt. Die Makrostruktur ist aus der Präsenta- Rezipientenführung, die im wesentlichen tion des Textes erschließbar. Die einzel- durch sprachliche Kohäsionsmittel er- nen Teile sind jedoch nicht durch formale reicht wird, ist im vorliegenden Text nur Markierungen deutlich gekennzeichnet. in Ansätzen geleistet. Es ist nicht immer Es gibt keinerlei Überschriften oder nu- ohne Probleme feststellbar, wovon die merische Kennzeichnungen. Seitenzah- Rede ist. Auf der Satzebene ist Kohärenz len sind ebenfalls nicht vorhanden, und teilweise realisiert, da Verknüpfungen es fehlt ein Literaturverzeichnis. Folglich vorgenommen wurden (v. a. durch Kon- ist der Arbeit auch kein Inhaltsverzeich- junktionen). Viele Sätze stehen jedoch nis vorangestellt. relativ unverbunden nebeneinander (z. B. Seite 1, Satz 2 und 3; 2/22–29 = 3 Sätze). Zu 3.2 Struktur des vorliegenden Teiltextes Die einzelnen Abschnitte des Teiltextes Unter formalem Aspekt erfolgt die Glie- sind bis auf wenige Ausnahmen sprach- derung des Textes durch unvollendete lich nicht aufeinander bezogen. Es fehlen Zeilen und Leerzeilen. Die unvollende- einleitende, hinführende und abschlie- ten Zeilen zeigen (fast immer) an, daß ßende Sätze. 402

Zu 3.4 Angemessenheit der sprachlichen Subjektivität oder die Relativität der Aus- Mittel sage zum Ausdruck zu bringen. Es werden zahlreiche Wortformen und Zu 3.5 Richtigkeit und Genauigkeit Formulierungen verwendet, die eher der Aufgrund der Kürze und der Ausschnitt- mündlichen Sprache zuzuordnen sind. haftigkeit des Teiltextes sind diesbezüg- Auffällig ist z. B. der häufige Gebrauch lich kaum Aussagen zu machen. Bei der von finden, den ich hier nicht im einzel- vergleichenden Liste (= Seite 3, nicht hier nen auflisten möchte. aufgeführt) sind Mängel in der Genauig- Als weitere, eher dem mündlichen Dis- keit der Darstellung festzustellen, da die kurs zuzuordnende Beispiele wären zu quantitativen Zuordnungen zu den ein- nennen: zelnen Komponenten nicht durchgehend 1/26 Es kommt oft vor, …. nach demselben Prinzip erfolgen. 2/5f. … kein ungarisches Äquivalent für ein deutsches Wort bekommt und Zu 3.6 Ästhetische Angemessenheit deswegen bei der Übersetzung Durch oft wiederholte Formulierungen, Schwierigkeiten hat. die zudem teilweise schriftsprachlich un- 2/13f. Aber die Fortgeschrittenen bekom- angemessen sind, entspricht der Text men … kaum der Forderung nach einer gewissen 2/23f. … damit wir die Unterschiede zwi- Variabilität des Ausdrucks. Die Komple- schen den Wörtern besser sehen. xität des Textes scheint – aufgrund häufi- 2/27f. … mache ich eine Tabelle ger Verwendung von Hypotaxen – eher 4/7 … in der Tabelle durchlesen, sehen gewährleistet. Dieser positive Eindruck wir gleich … wird jedoch dadurch relativiert, daß in Unüblich für die Textsorte Seminararbeit den Teilsätzen des öfteren verzichtbare ist der hier vorwiegend verwendete per- Aussagen artikuliert werden (vgl. 2.1). sönliche Stil (häufige Verwendung der 1. Person Singular), die ein weiteres Indiz 4.3 Ergebnisse der Teiltextanalyse für die Orientierung an der Mündlichkeit Daß eine gut ausgebildete Basiskompe- darstellt. Zudem fällt der unmotivierte tenz in der Fremdsprache vorhanden ist, Wechsel zwischen man, wir und ich nega- läßt sich daraus schließen, daß auf der tiv auf. Angemessener wäre ein entperso- Ebene ›Richtigkeit der Sprachnorm‹ in nalisierter Stil. Zum Beispiel: den Teilbereichen Orthographie und Syn- 1/1 … kann man feststellen ➝ ist fest- tax kaum Fehler auftreten. Im Teilbereich zustellen Morphologie gibt es einige Normver- 1/5 … verwendet man ➝ werden …. stöße, die jedoch nicht auf allgemeine verwendet Regelunkenntnis zurückzuführen sein 1/25 … habe ich die richtige Überset- dürften, da vergleichbare Fälle in der zung ➝ Die richtige Übersetzung Mehrzahl richtig geschrieben sind. Es ist …. zu finden. dürfte sich eher um fehlendes Problem- 2/1 Nach diesem kurzen Überblick bewußtsein im konkreten Fall handeln. stelle ich fest, … ➝ kann entfallen Im Teilbereich Lexik werden einige Ein- Der Nebensatz müßte in diesem zelwörter nicht entsprechend der Sprach- Fall in einen Hauptsatz umgeformt norm eingesetzt. Etwas häufiger sind werden. Fehler, die auf die inkorrekte Verwen- In einigen Fällen müßte anstatt des Indi- dung einzelner lexikalischer Teilkompo- kativs textsortenentsprechend eher der nenten bei komplexen Formulierungen Konjunktiv verwendet werden, um die zurückzuführen sind. 403

Auf der zweiten Ebene des Analysera- nicht zu beanstanden. Aus dieser Tatsa- sters ist festzustellen, daß der Text in che könnte man schließen, daß ein Pro- allen Teilbereichen Mängel aufweist. Ei- blembewußtsein hinsichtlich der Schrift- nerseits wird zu ausführlich, aber wenig sprachlichkeit und der Textsorte nicht informativ formuliert, andererseits feh- angemessen entwickelt ist bzw. nicht len erwartbare Erläuterungen. Auch der entwickelt werden konnte. Die geringe Textaufbau erfolgt nicht konsequent. sprachliche Variabilität im vorliegenden Die hier festgestellten Defizite können Text dürfte ihre Ursache nicht nur im m. E. nicht alle als typisch für Fremd- mangelnden Problembewußtsein hin- sprachenlerner angesehen werden, da es sichtlich dieser Forderung haben, son- sich hier um von der jeweiligen Einzel- dern auch darin, daß die relevanten sprache relativ unabhängige textuelle schriftsprachlichen Mittel nur in be- und daher übertragbare Kompetenzen schränktem Maße zur Verfügung ste- handelt. hen. Die Schriftsprachlichkeit im allgemeinen jedoch und die Textsorte im besonderen 4.4 Vergleich mit anderen Seminararbei- stellen Anforderungen, denen hier nur ten teilweise Rechnung getragen wurde. So- Ein Vergleich mit anderen Arbeiten aus wohl der Gesamttext als auch der Teiltext diesem Seminar zeigt, daß die Mehrzahl lassen eine deutlich erkennbare Gliede- der vorgelegten Texte ähnliche Mängel rung vermissen. Seitenzahlen, Inhalts- aufweist wie der oben analysierte. Ortho- verzeichnis und Literaturverzeichnis graphie, Morphologie und Syntax ent- sollten selbstverständlich sein, sind hier sprechen weitgehend der Norm. Im Be- aber nicht vorhanden. Die für schriftliche reich der Lexik gibt es Normverstöße vor Texte charakteristische Aufhebung der allem dann, wenn mehrgliedrige lexikali- gemeinsamen Sprechsituation, die eine – sche Einheiten (Formulierungen) ver- in der vorliegenden Seminararbeit nur in wendet werden. Ansätzen gelungene – Rezipientenfüh- Innerhalb der zweiten Rasterebene sind rung erfordert, die ausschließlich in dem bei einem Großteil der Arbeiten Defizite ›Text auf dem Papier‹ (Nussbaumer) ge- festzustellen, insbesondere jedoch inner- leistet werden muß, ist wiederum eine halb der dritten (Angemessenheit bezüg- allgemeine schriftsprachliche Fähigkeit. lich der Fachsprachlichkeit und der Sie kann jedoch insofern als für Fremd- Textsorte), wobei es sich – wie bereits sprachenlerner besonders schwierig be- oben erwähnt – nicht nur um spezifische trachtet werden, als der Muttersprachler Probleme der Fremdsprachenlerner han- eher über die in diesem Zusammenhang delt. Daß die erforderliche Strukturie- relevanten lexikalischen und syntakti- rung des Textes größtenteils nicht gelei- schen Mittel und Formulierungsmuster stet wurde, kann z. B. nicht auf fehlende verfügt. Kompetenz in der Fremdsprache Die verwendeten sprachlichen Mittel Deutsch zurückgeführt werden. Richtig- sind vielfach gekennzeichnet durch eine keit und Genauigkeit (3.5) und Rezipien- Nähe zur Mündlichkeit, die für die Text- tenführung (3.3) betrifft dagegen sowohl sorte Seminararbeit nicht angemessen ist. allgemeine textuelle als auch spezifisch Im mündlichen Diskurs (auch im Rah- fremdsprachliche Fähigkeiten. Drei Bei- men eines Lexikologie-Seminars) wären spiele zu 3.5 aus den vorliegenden Arbei- die meisten dieser Formulierungen ten mögen dies verdeutlichen: 404

1. Innerhalb eines Textes taucht sowohl ist die bewußt herbeigeführte Auseinan- »Kaffeefahrt« als auch *»Kaffefahrt« dersetzung mit den linguistischen und auf. formalen Erfordernissen relevanter 2. *»mst zu sehr hohem Preis« wird inter- Textsorten unabdingbare Grundlage für pretiert als ›mit zu sehr hohem Preis‹ die Ausbildung notwendiger schrift- anstatt ›meist zu sehr hohem Preis‹. sprachlicher und fachsprachlicher Fähig- 3. Ein gegebenes Stichwort wird als nicht keiten. Es dürfte also ein legitimes Anlie- verzeichnet im Wörterbuch genannt, gen innerhalb eines Germanistikstudi- obwohl es tatsächlich eingetragen ist. ums sein, Studierende in die Lage zu In den beiden ersten Fällen ist die Fehllei- versetzen, ihre spezifischen schrift- stung wahrscheinlich ausgelöst durch sprachlichen Fähigkeiten in der Fremd- nicht ausreichende Sprachbeherrschung, sprache Deutsch in Bezug auf für sie hätte aber vermieden werden können, relevante Texte zu erweitern und zu opti- wenn das Prinzip der Richtigkeit und mieren, indem sie die Möglichkeit haben, Genauigkeit wissenschaftlichen Arbei- sich mit genuin studiumsrelevanten tens beachtet worden wäre. Eindeutig Textsorten auseinanderzusetzen. Es muß gegen dieses Prinzip verstößt das dritte in diesem Zusammenhang auch gefragt Beispiel. werden, was Studierende während ihres Die Angemessenheit der sprachlichen Germanistikstudiums wirklich lernen Mittel (3.4), die sowohl Angemessenheit sollten, was vorrangig im Studium geför- bezüglich der Schrift- und Fachsprach- dert werden sollte. Wenn man die neue- lichkeit als auch Angemessenheit bezüg- ren Veröffentlichungen über Schreibse- lich der Textsorte betrifft, wird bei fast minare liest, hat man den Eindruck, daß allen vorliegenden Arbeiten nicht genü- vor allem praktische Tätigkeiten (wie gend berücksichtigt. Formulierungen z. B. Kochrezepte aufschreiben) und wie »ich hatte folgende Wörter«, »ich bin selbstreflexive und ästhetische Erfahrun- damit einverstanden«, »finde ich nicht gen (mit dem Ziel literarischen Schrei- praktisch«, »was ich gut finde«, »wirklich bens) Grundlage der Textproduktionen mehr«, »ganz lang« fallen auf durch ihre sind. Daß studienrelevante Textsorten Nähe zur Mündlichkeit. Auch erwart- wie z. B. Seminararbeiten nur in den we- bare Forderungen hinsichtlich Variabili- nigsten Fällen ›von selbst‹ gelingen, habe tät und Komplexität von Syntax und ich zu zeigen versucht. Daß vieles davon Textstruktur werden von den meisten jedoch lernbar ist und auch gelernt wer- Texten nicht erfüllt. den muß, wird schon dadurch deutlich, daß sich Schreiben auch hier an vorfindli- 5. Schriftsprachliche und textsortenspe- chen Ordnungen orientiert. Das vorge- zifische Kompetenzen müssen erwor- stellte Textanalyseraster erlaubt es, Spra- ben werden che und Struktur eines Textes differen- Schriftsprachliche und textsortenspezifi- ziert wahrzunehmen, und es eröffnet so sche Kompetenzen zu entwickeln ist ein die Möglichkeit, differenziert darüber zu Prozeß, der vor allem dann erfolgreich reden. Dies wiederum kann als Basis für verläuft, wenn ein aktiver – d. h. hand- eine gezielte individualisierte Textopti- lungs- und produktionsorientierter – mierung dienen: Umgang mit relevanten Textsorten er- »An Texten ist einzelnes einzeln benennbar möglicht wird. Für Fremdsprachenlerner, und in seiner Qualität beurteilbar. Mein die in der Regel einen weit eingeschränk- Text kann in gewisser Hinsicht mangelhaft teren Zugang zu deutschen Texten haben, sein und hat doch in gewisser Hinsicht 405

Qualitäten. […] Was einzeln benennbar und 3. Die Texte werden ausgetauscht. Die beurteilbar ist, kann vielleicht auch ein anhand des Analyserasters (+/– Kor- Stück weit einzeln geübt und gelernt wer- rekturtext) gemachten Wahrnehmun- den.« (Nussbaumer 1996: 107) gen werden thematisiert, diskutiert Erarbeitung und Einübung der »alltägli- und Lösungen vorgeschlagen. chen Wissenschaftssprache« und ihrer 4. Die Texte werden in Kleingruppen dis- formalen Kriterien sollte also »unter Nut- kutiert (peer evaluation). Die entdeck- zung der Resultate, die tagtäglich in der ten Fehlerschwerpunkte und relevante Praxis entstehen« (Ehlich 1999: 22), erfol- Lösungsvorschläge werden anschlie- gen, wie dies z. B. mittels der vorgestell- ßend im Seminar diskutiert und über- ten Kriterien möglich ist. Die Studieren- arbeitete Fassungen angefertigt. den können so eigene und fremde Semi- Es geht also hierbei um eine studieninte- nararbeiten analysieren und durch grierte Sprachqualifizierung innerhalb Selbstevaluation und/oder peerevalua- der Fachseminare. Sprachpraktische Se- tion (vgl. Krohn 1997: 157) Verantwor- minare haben einen festen Standort im tung für eigene Lernprozesse überneh- Curriculum und sind unverzichtbar für men. Durch die selbst erarbeiteten Lö- den Aufbau grundlegender Sprachkom- sungen wird ein effizienteres Lernen ge- petenzen. Sie müssen m. E. aber durch währleistet als durch vorgegebene Anlei- eine wissenschaftssprachliche Qualifizie- tungen. Voraussetzung ist allerdings, daß rung innerhalb der Fachseminare ergänzt ein kompetenter Berater und/oder ge- werden (die sich nicht auf die Vermitt- lungene Vergleichstexte zur Verfügung lung der Fachterminologie beschränkt), stehen. Zudem muß vor der endgültigen wenn das Germanistikstudium im Aus- Abgabe einer Seminararbeit ein zeitlicher land mit dem Ziel verbunden ist, die Freiraum zur Überprüfung und Überar- Studierenden in die »alltägliche Wissen- beitung des (vorläufigen) Textes vorhan- schaftssprache« des Deutschen einzufüh- den sein. Es ist aber auch möglich, bereits ren. Daß es nicht leicht sein wird, dies an abgeschlossene Arbeiten anhand des den Universitäten zu realisieren, da ja Analyserasters zu bearbeiten, um daraus dafür kostbare Studienzeit abgegeben für zukünftige Aufgaben zu lernen. werde müßte, darauf weist Ehlich hin Die praktische Umsetzung innerhalb ei- (1999: 23). nes Seminars kann auf verschiedene Weise erfolgen. Hierzu einige Vorschläge: Literatur Baurmann, Jürgen: »Zur Didaktik und Me- 1. Nach einer ersten Durchsicht der Ar- thodik des Schreibens«. In: Baurmann, beiten werden durch den Seminarleiter Jürgen (Hrsg.): Homo Scribens: Perspekti- Fehlerschwerpunkte bestimmt, für die ven der Schriftlichkeitsforschung. Tübingen: dann gemeinsam Lösungsvorschläge Niemeyer, 1993, 299–318. erarbeitet werden. Anschließend er- Beneš, Eduard: »Die formale Struktur der Fachsprachen in syntaktischer Hinsicht«. folgt die Kontrolle und Optimierung In: Bungarten, Theo (Hrsg.): Wissen- des eigenen Textes. schaftssprache. München: Fink, 1981. 2. Eine gut gelungene Arbeit dient in Ver- Bungarten, Theo (Hrsg.): Wissenschaftsspra- bindung mit dem Analyseraster als che. München: Fink, 1981. Grundlage der Selbstevaluation und Dressler, Wolfgang U.: »Textuelle Kohäsi- onsverfahren in der Wissenschaftsspra- individuellen Textoptimierung. Die er- che«, Fachsprache 5 (1983), 51–57. arbeitete Lösung wird zur Diskussion Ehlich, Konrad: »Alltägliche Wissenschafts- gestellt. sprache«, Info DaF 26, 1 (1999), 3–24. 406

Ebenfalls erschienen in: Barkowski, sen?« In: Feilke, Helmuth; Portmann, Hans; Wolff, Armin (Hrsg.): Alternative Paul R. (Hrsg.): Schreiben im Umbruch. Vermittlungsmethoden und Lernformen auf Stuttgart: Klett, 1996, 96–112. dem Praxisprüfstand; Wissenschaftssprache Schäfer, Stefan; Siegel, Martin: »Textkon- – Fachsprache; Landeskunde aktuell; Inter- zeption und Wissenschaftsspracher- kulturelle Begegnung – Interkulturelles Ler- werb«, Info DaF 25, 6 (1998), 695–701. nen. Beiträge der 26. Jahrestagung DaF 1998 Schneuwly, Bernhard: »Der Nutzen psycho- (Materialien Deutsch als Fremdsprache, logischer Schreibforschung für die Di- 52). Regensburg: FaDaF, 1999, 1–30. daktik des Schreibens«. In: Feilke, Hel- Feilke, Helmuth; Portmann, Paul R. (Hrsg.): muth; Portmann, Paul R. (Hrsg.): Schrei- Schreiben im Umbruch – Zur Einleitung. ben im Umbruch. Stuttgart: Klett, 1996, 29– Stuttgart: Klett, 1996, 7–13. 39. Krings, Hans P.: »Schreiben in der Fremd- sprache – Prozeßanalysen zum ›vierten Schwanzer, Viliam: »Syntaktisch-stilistische skill‹«. In: Antos, Gerd; Krings, Hans P. Universalia in wissenschaftlichen Fach- (Hrsg.): Textproduktion. Ein interdisziplinä- sprachen«. In: Bungarten, Theo (Hrsg.): rer Forschungsüberblick. Tübingen: Nie- Wissenschaftssprache. München: Fink, meyer, 1989, 377–436. 1981, 213–230. Krohn, Dieter: »Leistungsbewertung Tütken, Gisela; Neuf-Münkel, Gabriele schriftlicher Texte zwischen Produkt- (Hrsg.): Schreiben im DaF-Unterricht an und Prozeßorientierung: Eine Problem- Hochschulen und Studienkollegs. I. For- skizze«. In: Kupetz, Rita (Hrsg.): Vom schungsergebnisse – Didaktische Konzeption gelenkten zum freien Schreiben im Fremd- – Übungsformen. Vorträge der Fachtagung sprachenunterricht: Freiräume sprachlichen vom 4.9.–7.9.1991 in Göttingen (Materia- Handelns. Frankfurt a. M.: Lang, 1997, lien Deutsch als Fremdsprache, 37). Re- 153–164. gensburg: FaDaF, 1993. Ludwig, Otto: »Vom diktierenden zum Tütken, Gisela; Neuf-Münkel, Gabriele schreibenden Autor«. In: Feilke, Helmuth; (Hrsg.): Schreiben im DaF-Unterricht an Portmann, Paul R. (Hrsg.): Schreiben im Hochschulen und Studienkollegs. II. Aufga- Umbruch. Stuttgart: Klett, 1996, 16–28. ben und Übungen (Materialien Deutsch als Nussbaumer, Markus: »Lernerorientierte Fremdsprache, 38). Regensburg: FaDaF, Textanalyse – Eine Hilfe zum Textverfas- 1993. 407

Internetgestützter Landeskunde-Unterricht ganz anders

Gabriele Thelen-von Damnitz

1. Einleitung Guangdong durch das Goethe-Institut in Beim Landeskundeunterricht in China Hongkong ein Computer zur Verfügung waren immer Grenzen gesetzt, was die gestellt. Das Ziel sollte hierbei sein, die Behandlung von aktuellen Nachrichten mediale Zusammenarbeit mit dem Fest- und die Recherche interessanter politi- land auszubauen. Nach einer längeren scher, wirtschaftlicher und kultureller Vorbereitungsphase, die auch die Fortbil- Themen betraf. China lag, was dies an- dung von Kräften der Deutschabteilung betraf, doch immer noch am »Ende der einschloß, wurde im März 1998 in einer Welt« – und der erschwerte Informati- feierlichen Übergabe die mediale Zusam- onszugriff konnte auch nicht durch Zei- menarbeit besiegelt (vgl. Goethe intern 2/ tungsabonnements (die doch häufig 1998: 66–67). zwei Wochen zu spät kommen) oder Damit stand der Deutschabteilung eine Büchersendungen wirklich ausgegli- Email-Adresse zur Verfügung, über die chen werden. Aber nun, im Zeitalter der die Lehrkräfte Informationen für den Un- Medien und der Entwicklung von Infor- terricht abfragen konnten. Gleichzeitig mationsgesellschaften, scheint sich dies- wurde damit die Zusammenarbeit mit bezüglich eine Wende anzukündigen. dem Goethe-Institut nun über E-mail er- Die weltweite Vernetzung sprengt Gren- heblich erleichtert. Längerfristig war je- zen und verbindet Menschen, wie man doch vorgesehen, Projekte zu organisie- auch hier an der Fremdsprachenhoch- ren, an denen nicht nur Lehrkräfte, son- schule in Guangzhou seit einem Jahr in dern auch Studierende beteiligt werden zunehmen-dem Maße merken kann. Als sollten. Nach einigen Überlegungen der ein Beispiel für die Möglichkeiten, die aus dem Kollegium gebildeten »Medien- ein Internet-Zugang für den Unterricht gruppe« zeichneten sich drei Schwer- bringen kann, soll hier der Landeskun- punkte ab: deunterricht an der Fremdsprachen- hochschule im Studienjahr 1998/99 be- 1. Erarbeitung des Wissens zur Erstellung schrieben werden. einer Homepage mit dem Ziel, eine neue Homepage für die Deutschabtei- 2. Hintergrund für die Vernetzung und lung zu gestalten; damit verbundene Möglichkeit der me- 2. Einarbeitung in die Benutzung des In- dialen Arbeit im Deutschunterricht an ternets für die Studierenden des Magi- der Fremdsprachenhochschule Guang- sterstudiengangs; zhou 3. Landeskundeunterricht, gestützt durch Im März 1998 wurde der Deutschabtei- die medialen Möglichkeiten des Inter- lung der Fremdsprachenhochschule nets.

Info DaF 27, 4 (2000), 407–413 408

Von diesem in China zum ersten Mal Internet-Adressen und Suchmaschinen realisierten Pilotprojekt, seinen Erfolgen angegeben, mit denen sie selbständig ar- und Mißerfolgen soll im folgenden be- beiten konnten. Eine ausführliche Be- richtet werden. Mit dem Landeskunde- schreibung von Material, das im compu- unterricht, gestützt durch Internetzu- tergestützten DaF-Unterricht verwendet gang, wurde im 3. Jahrgang im WS 1998 werden kann, findet man bei Eva Breindl mit einer Klasse von 20 Studierenden (1998). begonnen. Der Unterricht erstreckte sich Gleich in den ersten Stunden gab es über zwei Semester. Schwierigkeiten. Es stellte sich die Frage, inwieweit man von effizienter Unter- 3. Internet im Landeskundeunterricht richtsarbeit sprechen konnte, zumal die Probleme mit dem Server, Stromausfall 3.1 Vorbereitungsphase im 1. Semester: oder Druckerprobleme doch recht häufig Einführung der Studierenden in das In- auftraten und sehr lästig waren. Außer- ternet, Recherche online dem bestand die Sorge, daß die Studie- Durch die Bemühungen des Leiters der renden, wenn technische Probleme zu Deutschabteilung bestand im 1. Semester großen Verzögerungen führten, die Lust die Möglichkeit, für alle Studierenden im verlieren könnten. Zusätzlich zeichneten Medienzentrum der Universität für zwei sich Probleme ab, mit denen anfänglich Stunden in der Woche einen Computer nicht zu rechnen gewesen war: Viele mit Internet-Zugang zur Verfügung zu Nachrichten und Arbeitsanweisungen stellen. Viele Studierenden hatten zwar im Internet sind auf Englisch. Die Studie- bisher mit Datenverarbeitungsprogram- renden verfügen zwar über solide Eng- men am Computer gearbeitet, aber kei- lischkenntnisse, doch der rasche Wechsel nerlei Erfahrung mit Internet und E-mail. von der einen in die andere Fremdspra- Die Auswertung meiner Befragung er- che war anfänglich für sie sehr ermü- gab, daß vor dem Unterrichtsbeginn dend. zwar alle Studierenden über Computer- Aber nach drei Wochen waren die techni- kenntnisse verfügten, aber nur 25% schen Probleme weitgehend gelöst, au- schon mit Internet gearbeitet hatten. Zu- ßerdem hatten die Studierenden die er- nächst mußten daher die technischen De- sten Adressen erfolgreich aufgesucht, E- tails erklärt und die Konfiguration einge- mails verschickt und Informationen aus- stellt werden etc. gedruckt. Eine kurze Befragung der Stu- Für mich als Lehrkraft war die Verwen- dierenden zeigte, daß sie immer noch mit dung des Internets im Unterricht ge- Eifer dabei waren. nauso neu. Ich hatte zwar privat seit einiger Zeit Internet-Anschluß, aber mit 3.2 Arbeitsaufträge im internetgestütz- dieser Form der Medienpädagogik keine ten Landeskundeunterricht Erfahrung. Zunächst erschien es daher In der gleichen Klasse standen noch zwei sinnvoll, die Studierenden in einer Art weitere Unterrichtsstunden zur Verfü- Experimentierphase sich selbständig mit gung – also insgesamt zwei Unterrichts- der neuen Technik vertraut machen zu einheiten –, die sich aneinander anschlos- lassen. Deshalb bekamen sie zunächst sen und die nun aufeinander abgestimmt nur weit gesteckte Arbeitsaufträge wie werden konnten. z. B.: »Suchen Sie für sich interessante Der Arbeitsauftrag im Landeskundeun- Meldungen aus der Tagespresse«. In den terricht am Ende des ersten Semesters ersten zwei Stunden wurden ihnen einige bestand darin, Referate zu beliebigen 409

Themen, allerdings nach Absprache, an- schwindigkeit der Studierenden erheb- zufertigen und möglichst aktuelles Mate- lich gesteigert hatte. Natürlich geschah rial sowohl in den Printmedien als auch dies nicht über Nacht, ohne Schwierig- im Internet zu recherchieren. (Das Anfer- keiten und völlig ohne Hilfe durch eine tigen von Referaten, die Erstellung von Lehrperson. Thesenpapieren und deren Präsentation In Einzelgesprächen vor dem Computer im Plenum war schon im 2. Jahr geübt versuchten wir gemeinsam zu erarbei- worden.) Die neuen Möglichkeiten durch ten, nach welchen Kriterien man pas- die Suche im Internet zeigten sich schon sende Artikel zu einem Thema aussu- daran, daß die Frage nach aktuellem Ma- chen kann, inwieweit in deutschen Zei- terial nicht mehr verneint werden mußte: tungen Überschrift und Artikel zusam- Die Studierenden verfügten mit Hilfe des menpassen oder eben auch nicht und Internets plötzlich über eine Fülle von wie man sich schnell von Schlüsselwort Material, was aber zunächst auch Pro- zu Schlüsselwort in einem Text bewegen bleme schaffte: Für die Studierenden kann. Der große Unterschied zu frühe- stellte sich die Frage, wie sie aus der ren Versuchen, ihre Lesefertigkeit zu Materialflut für sich geeignetes Material verbessern und traditionelles Lesever- auswählen sollten und wie sie (in mög- halten zu verändern, war, daß die Stu- lichst kurzer Zeit) möglichst viel an Ma- dierenden nicht erst zu dieser Leseform terial bearbeitet konnten? geführt werden mußten, sondern sie Von Lehrkräften normalerweise in Fach- von sich aus danach fragten, weil sie so diskussionen in China erörterte Fragen, gespannt und interessiert waren, in den nämlich wie die Studierenden ihre Lese- zwei Stunden möglichst viel Material geschwindigkeit verbessern können, wie auszusuchen. man sie dazu bringen kann, ohne Hilfe Das gesuchte Material wurde von den des Lexikons längere Texte zu lesen, wur- Studierenden in kurzen Referaten zu- den nun von den Studierenden selbst sammengefaßt und kommentiert und in gestellt und ohne Verbote seitens einer den daran anschließenden zwei Unter- Lehrkraft (z. B. Wegnahme des Lexikons) richtseinheiten im Plenum diskutiert. gelöst: Die Studierenden waren hoch mo- Auf diesem Weg konnten wir das politi- tiviert, Material schnellstmöglich zu le- sche und wirtschaftliche Geschehen in sen, und zwar nach der Devise: Zeit ist Deutschland zeitgleich mitverfolgen. Geld! Kursorisches Lesen wurde von ih- nen praktiziert, aber nicht, weil die Lehr- 3.3 Zwischenergebnisse nach dem er- kraft es nützlich fand, sondern weil es die sten Semester einzige Möglichkeit für sie war, Material Nach diesem Semester bestand der Ein- schnell zu bewältigen. Texte, die bisher druck, daß sich auch das Verhältnis der von ihrer Länge her im Landeskundeun- Studierenden zur Lehrerin verändert terricht inakzeptabel gewesen wären, hatte: von der klassischen Lehrerrolle vielleicht widerwillig als Hausaufgabe weg zur beratenden Funktion. Lerner- vorbereitet worden wären, wurden selb- zentrierter Unterricht war durch das ständig erarbeitet. neue Medium ganz selbstverständliche Nach dem ersten Semester entstand so- Wirklichkeit geworden. Während des Se- mit der Eindruck, daß der Internet-Un- mesters hatten sich die Studierenden in terricht mit seiner Geschwindigkeit nicht rasanter Geschwindigkeit in die Technik nur im Medienzentrum angekommen zur Internetbenutzung eingearbeitet, sich war, sondern die Lern- und Lesege- selber Quellen und Adressen erschlossen 410

(vgl. die Liste mit den von den Studieren- – mindestens vier Wochen lang regelmä- den empfohlenen Adressen am Ende des ßige Suche im Internet; Artikels). Die Lehrperson war nicht mehr – alle Materialien, die geeignet erschie- diejenige, die die »Macht« in Form von nen, mußten ausgedruckt werden; ausgesuchten Informationen besaß, son- – alle Gruppenmitglieder mußten min- dern sie hatten das »Machtmittel« selber destens 4 Artikel zu jedem Thema su- in der Hand, was sie zu selbstbewußten, chen; aufgeschlossenen und kritischen Diskus- – von diesen Artikeln mußten als fortlau- sionspartnern machte. fende Hausaufgabe Zusammenfassun- gen geschrieben werden. 3.4 Überlegungen für den Landeskun- Die Gruppen trafen sich im anschließen- deunterricht im 2. Semester auf Grund den Landeskundeunterricht, verglichen der vorherigen Beobachtungen ihre Artikel und brachten sie in eine Durch die Möglichkeit der Online-Re- strukturierte Ordnung. Ziel war, ein Re- cherche hatte sich das Interesse der Stu- ferat in jeder Gruppe anzufertigen, ge- dierenden an dem deutsch- und eng- meinsam die Einleitung zu formulieren, lischsprachigen Tagesgeschehen erheb- die Hauptpunkte auszuarbeiten und ei- lich gesteigert. Die Bereitschaft, Texte nen Schluß zu formulieren sowie Fragen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade für die weiterführende Diskussion im selbständig zu recherchieren und zu be- Plenum zu überlegen. Im Anschluß arbeiten, war sehr groß, und die techni- daran hielt jede Gruppe ihr Referat vor schen Voraussetzungen waren auch für dem Plenum und übergab der Lehrper- das 2. Semester gegeben, die Unter- son die Arbeit in schriftlicher Form. Fol- richtsform weiter auszubauen. Aus un- gende Probleme tauchten bei der Arbeit terrichtspädagogischer Sicht war jedoch auf: deutlich geworden, daß die Studieren- den – jeder für sich oder im Einzelge- 3.4.1 Probleme bei der Suche spräch mit der Lehrperson – doch mehr Die Studierenden hatten zum Teil bis zu oder weniger alleine vor dem Computer je 20 Artikel gesucht, und um sicher arbeiteten. Dies erschien für die weitere genug Material zu haben, diese dann Unterrichtsarbeit nicht sinnvoll. Für das auch ausgedruckt. Die Wahl der Artikel nächste Semester wurden daher vier war nach Überschriften erfolgt, aber es von den Studierenden vorgeschlagene bestand eine große Unsicherheit, ob die Themenschwerpunkte festgelegt, zu de- von ihnen gewählten Artikel wirklich nen sie in Gruppenarbeit Referate erstel- passen würden. Die Eingabe von Stich- len sollten: worten in die Suchmaschinen war auch –Der Kosovo-Konflikt nicht reibungslos verlaufen: Es mußte erst herausgefunden werden, welche – Die doppelte Staatsbürgerschaft Kombinationen von Eingabewörtern Er- – Der Ausstieg aus der Atomenergie gebnisse brachten. Die gefundenen Arti- – Die Europäische Währung. kel waren oft zu lang, um sie »schnell Der Arbeitsauftrag an die Gruppen um- durchzulesen«, eine Erkenntnis, die zu- faßte folgende Punkte: nächst entmutigend wirkte. Um die Ma- – Eingrenzung des Themas und Formu- terialflut einzugrenzen, entschieden sich lierung in einer Fragestellung; die Studierenden zunächst für die Bear- – Informationssuche in allen zur Verfü- beitung möglichst aktueller Meldungen gung stehenden Medien; zu ihren Themen. 411

3.4.2 Gliederungsprobleme mulieren. Hier zeigte sich das Problem, In den ersten Stunden trafen sich die daß die einzelnen Gruppenmitglieder Studierenden in Gruppen, um die Unter- sich teilweise zu wenig mit Themen- punkte ihrer Referate festzulegen. Jetzt punkten der anderen Gruppenmitglie- ergab sich die Schwierigkeit, daß die Ar- der auseinandergesetzt hatten. Das er- tikel sich ähnelten, aber nicht alle das schwerte die gemeinsame Formulie- Material der ganzen Gruppe gelesen hat- rung der Einleitung und die Herstel- ten und sie außerdem von Woche zu lung der Sinnzusammenhänge im Refe- Woche immer wieder neues und damit rat. zusätzliches Material fanden. Anfänglich unterteilten die Studierenden 3.4.4 Sprachliche Schwierigkeiten ihr Referat in zu viele Unterpunkte, aus Bei der Bearbeitung der Artikel waren Angst, daß doch etwas ihrer mühsam die Studierenden weitgehend auf sich bearbeiteten Informationen verlorenge- gestellt. Sprachlich stellte die Zeitungs- hen könnte. Erst nach einigen Wochen, sprache der gehobenen deutschen nachdem alle mehr Informationen über Presse hohe Ansprüche an sie. Außer- das Thema besaßen, wurden die Einzel- dem fehlte ihnen häufig das Hinter- punkte zu Gunsten größerer Sinneinhei- grundwissen, um Namen und Ereig- ten aufgegeben. nisse, die für das Verständnis der Arti- Nachdem die Unterpunkte festgelegt kel wichtig waren, richtig einordnen zu worden waren, sollten die gesuchten können. Artikel diesen Punkten zugeordnet und von einzelnen Gruppenmitgliedern 3.5 Die Rolle der Lehrperson übernommen werden. Auch dies erwies Wie schon angedeutet, hat sich die Rolle sich als Schwierigkeit, setzte aber eine der Lehrkraft im Rahmen dieses Unter- rege Diskussion in Gang und forderte richts mehr zu der des »Beraters und alle Gruppenmitglieder auf, über das Partners« gewandelt. Es war wichtig, bei von ihnen bereits Gelesene zu diskutie- der Auswahl der Artikel zu helfen und ren und zu reflektieren. Die Auswahl an den Diskussionen der Gruppen über der Artikel nach Titeln hatte sich hierbei die Strukturierung des Materials teilzu- als unergiebig erwiesen. Gerade die Ar- nehmen. Eine Einführung in die Referats- tikel, die aus der Tagespresse entnom- technik hatten die Studierenden aller- men worden waren, ähnelten sich zu dings schon im 2. Semester erhalten, so sehr, so daß nun eine vertiefte Suche zu daß die Grundlagen für diese Projektar- den Themenpunkten im Archiv der Zei- beit vorher gelegt waren. tungen unerläßlich war. Diese gezielte Suche zwang aber die Gruppenmitglie- 3.6 Ergebnisse der, sich umfassender mit der Thematik Die im 1. Semester gemachten Beobach- zu beschäftigen. tungen hatten sich bestätigt und vertieft: Die Referate hatten sehr gute Qualität, 3.4.3 Probleme mit Gruppenarbeit die jeweilige Problemstellung des The- In den Gruppen sollten die Texte nicht mas wurde z. T. kritisch an Hand vielfäl- nur diskutiert, sondern die einzelnen tiger Materialien erarbeitet. Die Diskus- Punkte mit Überleitungen in einem Re- sionen im Anschluß daran waren frucht- ferat zusammengefügt werden; außer- bar für alle. Natürlich gibt es immer dem sollten die Teilnehmer gemeinsam Präsentationsprobleme wie zum Beispiel eine Einleitung und einen Schluß for- den Hang, das Geschriebene abzulesen. 412

Allerdings habe ich in keinem anderen zweites Mal geladen werden, das Her- Unterricht so viel Eigeninitiative und En- unterladen von Informationen dauerte gagement erlebt wie in diesem. Die Er- zu lange, der Drucker war oft nicht be- gebnisse zu den einzelnen Themen sind triebsbereit. unter der Homepage der Universität ver- Noch vor dem Ende des 2. Semesters öffentlicht (vgl. Ziff. 6). wurde der Internet-Unterricht abge- schlossen, allerdings unfreiwillig, da die 4. Stellungnahmen der Studierenden laufenden Kosten für die Deutschabtei- zum internetgestützten Unterricht lung zu hoch wurden. Technische und Im Anschluß an den Unterricht schrie- finanzielle Probleme müssen daher zu- ben die Studierenden Kommentare zum nächst überdacht und gelöst werden, be- Unterricht und füllten einen Fragebogen vor der Unterricht fortgesetzt werden aus. Außerdem wurden sie gebeten, un- kann. Es ist zu hoffen, daß es zu einer terrichtsbegleitend eine Art Tagebuch Weiterführung in irgendeiner Form kom- zu führen, in das sie ihre Erfolge und men wird, da bei den Studierenden im Mißerfolge eintragen sollten. Die Stel- Laufe der Projektarbeit ein weitreichen- lungnahmen der Studierenden sollen im der Lernerfolg beobachtet und festge- folgenden kurz zusammengefaßt wer- stellt werden konnte. den: Alle Studierenden fanden den Unter- 5. Zusammenfassung richt positiv, da sie damit die Möglich- keit bekamen, zwei Stunden in der Wo- Nach den zwei Semestern ist zu bemer- che das Internet zu benutzen. Die Zeit ken, daß der Erfolg des Unterrichts nicht während des Unterrichts wurde haupt- nur im meßbaren Rahmen liegt. Meßbar sächlich dazu verwendet, Informationen waren die Qualität der Referate und der zu suchen, E-mails zu schreiben oder zu schriftlichen Hausarbeiten, die sich im chatten. Gefallen hat ihnen dabei die Vergleich zu den vorausgehenden Seme- Möglichkeit des neuen und direkten In- stern sehr verbessert hatten. formationszugriffs, die Möglichkeit Weit wichtiger als der Prüfungserfolg ist neue Leute per E-mail kennenzulernen jedoch die Tatsache, daß die Studieren- und zu kontaktieren, mehr Hinter- den aufgeschlossener, neugieriger und grundinformationen über die westli- selbstbewußter geworden sind und ihr chen Länder zu bekommen und mehr Interesse an Deutschland eine andere Di- über die Denkweise der Deutschen zu mension gewonnen hat: Authentizität erfahren. muß nicht mühsam im Unterricht vom Alle waren der Ansicht, daß sie da- Lehrer hergestellt werden, sondern ist durch sowohl ihre Kenntnisse in der über das Internet zu jedem persönlich deutschen Sprache als auch die Eng- vorgedrungen. Der Internetzugang hat lischkenntnisse verbessern konnten, be- die Studierenden sensibilisiert für das sonders in den Bereichen Wortschatz, Tagesgeschehen, sie können sich nun auf- Lesefähigkeit, Verstehen der »deutschen grund der Medienvielfalt selbst ein Bild Denkweise«. von den aktuellen Geschehnissen ma- Die Probleme, die sie sahen, waren eher chen. Sie sind aktiver und selbstverant- technischer Art: Häufig war der Bild- wortlicher im Umgang mit unterschiedli- schirm eingefroren, eine einmal aufge- chem Material geworden und interes- suchte und zwischendurch verlassene sierte und interessante Diskussionspart- Adresse konnte lange Zeit nicht ein ner. 413

6. Internetadressen, empfohlen von den g) Allgemein / Unterhaltung Studierenden der Fremdsprachenhoch- http://www.chinavista.com / culture / schule Guangzhou cuisine (Essen) http://www.yum.com.tw (Unterhaltungs- a) Tagesgeschehen, Politik und Wirtschaft magazin) Deutschland http://www.finy.com (Mode) http://www.berlinonline.de (kostenlose http://www.blackpub.com (Weine) Archivbenutzung) http://www.wanlibk.com (Kochen) http://www.dwelle.de http://www.gigaplex.com (Webmagazin) http://www.spiegel.de http://www.tvmovie.de (Film) http://www.sueddeutsche.de http://www.mcp.com (Bibliothek) http://www.tagesschau.de f) Homepage der Guangdonger Fremdsprachen- b) Chatten hochschule; Email der Deutschabteilung: http://www.chatcity.com http://www.gdufs.edu.cn gwgoethe.gdufs.cn c) Karten http://www.bluemountain.com http://www.virtualflower.com Literatur http://www.gipsyland.com Braun, Angelika: »Die Nutzung des Inter- http://www.card4you.com net für den DaF-Unterricht«, Info DaF 1 http://www.greeting-cards.com (1989), 72–85. http://www.e.cards.com Breindl, Eva: »DaF Goes Internet: neue Ent- wicklungen in Deutsch als Fremdspra- d) private Webseite herstellen che«, Deutsche Sprache 4 (1997), 289–342. http://www.geocities.com Gerbig, Jürgen; Sacker, Ulrich: »Computer http://www.tripod.com für Kanton – eine Premiere«, Goethe intern 2 (1998), 66–67. http://www.homepage.com Hess, Hans Werner: »DaF-Software in der e) kostenloses Email Anwendung – alter Quark noch breiter?«, Info DaF 1 (1998), 54–72. http://www.mailcity.com Rings: Guido: »Multimedia für kommuni- http://www.rocketmail.com kative und interkulturelle Kompetenz. http://www.yahoo.com Reflexionen zu einem computergestütz- http://www.mailexite.com ten DaF-Unterricht für ausländische Ar- beitnehmer«, Info DaF 1 (1998), 21–36. f) Musik Rösler, Dietmar: »Autonomes Lernen? http://www.mp3.com Neue Medien und ›altes‹ Fremdspra- http://www.rockfabrik.rocks.de chenlernen«, Info DaF 1 (1998), 3–21. http://www.immedia.de Wazel, Gerhard: »Sprachenlernen und http://www.audiogalaxy.com Sprachenlehren mit interaktiven Me- http://www.musicmatch.com dien«, Info DaF 1 (1998), 36–54. 414

Grammatik in berufssprachlichen Lehrwerken oder: Kann der DaF-Anfänger berufssprachlich einsteigen?

Jörg Braunert

1. Einleitung the-Instituten und in den deutschen Allenthalben wird die wachsende Bedeu- Volkshochschulen sehr wohl vergleich- tung des Sprachunterrichts für berufliche bar mit der Bedarfslage in der Bayer AG Zwecke betont (siehe u. a. Bönzli 1999: oder beispielsweise in deutschen und 34). Niederlassungsfreiheit innerhalb der ausländischen Volkswagen-Niederlas- europäischen Union, die sprunghafte In- sungen, deren Mitarbeiter mit berufs- ternationalisierung der Zusammenarbeit sprachlichen Lehrwerken unterrichtet auf Unternehmensebene, Arbeitsmigra- werden, seitdem kurstragendes Material tion und daraus sich ergebende Neuori- verfügbar ist. Stichproben ergeben im- entierungen in Aus- und Fortbildung ha- mer wieder, daß den überwiegenden Teil ben diese Entwicklung beschleunigt. Das der Lerner berufliche Notwendigkeiten gilt auch und in besonderem Maße für oder Absichten in den Goethe- oder Deutsch als Fremdsprache im außenhan- Volkshochschulkurs geführt haben. Auch delsorientierten Deutschland. Deshalb für viele Studierende, deren Studien- war Deutschunterricht auf Grundstufen- gänge eine Fremdsprache obligatorisch niveau beispielsweise für die Mutterge- vorsehen, stellt es sich ähnlich dar: wenn sellschaften deutscher Großunternehmen sie sich dieser Mühe schon unterziehen in Deutschland wie für ihre Auslandsnie- müssen, dann soll wenigstens ein berufli- derlassungen seit jeher ein nennenswer- cher Nutzen damit verbunden sein. ter Bestandteil ihrer Fortbildung, und aus ihren Sprachabteilungen kamen frühe 2. Berufssprachliche Zusatzmaterialien, Anstöße zur Entwicklung berufssprachli- Aufbau- und Grundstufen-Lehrwerke cher Unterrichtsmaterialien. Ein Beispiel Die Frage ist aber, ob berufssprachlicher dafür ist die schon in den siebziger Jahren Unterricht dem Einsteiger in die Sprache bei Klett erschienene, längst vergriffene ähnlich wie ein allgemeinsprachlicher mehrbändige Materialsammlung Sprach- Grundstufenkurs ein systematisches Fer- bereich Industrie, die damals in der tigkeiten- und Grammatiktraining bieten Sprachabteilung des Bayer-Konzerns ent- kann. Unterliegt nicht der berufssprachli- standen war, allerdings ohne Hinweise che Kurs ganz anderen Gesetzmäßigkei- zur unterrichtlichen Verwendung oder ten und Zielsetzungen als der allgemein- ein Konzept zu systematischer Sprachar- sprachliche Kurs? Braucht man vor dem beit. Bei genauem Hinsehen ist aber das berufssprachlichen Kurs nicht eine Ein- Lernanliegen großer Teile der Kursteil- führung ins Regelwerk der Sprache, die nehmer an in- und ausländischen Goe- nicht der Einengung durch die einge-

Info DaF 27, 4 (2000), 414–427 415 schränkte Verwendungsabsicht unter- auf die Thematisierung zugehöriger Ele- worfen ist? Bezahlt man den schnellen mente der Formalgrammatik. Dagegen Weg zur praktischen Verwendung der binden andere Zusatzmaterialien wie Sprache nicht vielleicht mit einer Einbuße zum Beispiel Hering / Matussek (1996), an allgemeingültigem Gebrauchswert? Buscha / Linthout (1997) Übungen zur Die einschlägigen berufssprachlichen Formalgrammatik mehr oder weniger Lehrmaterialien verhalten sich unter- schlüssig an den Sprech- oder Schreiban- schiedlich zu diesen bangen Fragen des laß an, ohne dabei jedoch erkennbare Pro- Sprachkurs-Anbieters, der seine Interes- gressionslinien zu verfolgen. Die Regelbil- senten in den richtigen Kurs, aber nicht in dung erfolgt im wesentlichen anhand von eine Sackgasse schicken will, und des Lükkenübungen, in dem Band Schreiben Sprachkurs-Interessenten, der schnell be- und Telefonieren (Hering/Matussek 1996) ruflich verwertbare Kenntnisse erwerben auch mit Hilfe von eingestreuten meta- will, ohne aber von der Teilnahme am sprachlichen Erläuterungen, die offen- sozialen Leben über den Betrieb hinaus sichtlich für den Selbstlerner gedacht sind. ausgeschlossen zu sein. Drei Gruppen von Lehrbüchern lassen sich unterschei- 2.2 Berufssprachliche Fortsetzung den, deren unterschiedlichem Charakter Beispiele für Lehrbücher, die im Bereich der unterschiedliche Umgang mit Gram- der späten Grundstufe / Mittelstufe 1 matik entspricht. dem weiteren Lernweg eine berufs- sprachliche Wendung geben, sind 2.1 Berufssprachliche Ergänzung Deutsch lernen für den Beruf (Höffgen Die größte Gruppe umfaßt eine Vielzahl 1996) und die Bände der vom Sprachver- fertigkeitenorientierter berufssprachli- band Deutsch für ausländische Arbeit- cher Zusatzmaterialien für Telefontrai- nehmer herausgegebenen Reihe Arbeits- ning, Verhandlungssprache, Schreib- und sprache Deutsch (vgl. Kaufmann u. a. Gesprächstraining, Geschäftskorrespon- 1998). Das einbändige Lehrbuch Deutsch denz. Naturgemäß erheben sie keinen An- lernen für den Beruf setzt offensichtlich – spruch auf systematische Erarbeitung der ebenso wie die oben genannten Zusatz- Grammatik, sondern betreiben Regelbil- materialien – einen allgemeinsprachli- dung »aus gegebenem Anlaß«. Telefonieren chen Kurs im Umfang der Grundstufe am Arbeitsplatz (Süß 1997) und Gesprächs- voraus. Der Verzicht auf eine durchgän- training für den Beruf (Namuth/Lüthi gig aufbereitete Grammatikdarstellung 1998) gehen dabei konsequent von den hängt möglicherweise auch mit dem ein- gerade anstehenden Sprachhandlungen schränkenden Anspruch als Vorberei- aus. Anhand zweckdienlicher Redemittel tungsmaterial aufs Zertifikat Deutsch für greifen sie im Sinne einer Pragmagram- den Beruf zusammen. Im Vordergrund matik Mitteilungsabsichten auf wie steht die Erarbeitung stark wirtschafts- »Rückruf anbieten«, »Um Rückruf bitten«, kundlich geprägter Themen. Grammatik »Was man beim Rückruf sagt« (Süß 1997: blitzt gelegentlich in Form von Redemit- 35). Oder sie behandeln, wie in dem Band teln, gelegentlich in Übungen zur For- Gesprächstraining (Namuth/Lüthi 1998), malgrammatik auf. Auch hier geht die Standardsprachmittel für das Nicht-/ Autorin offensichtlich davon aus, daß Falsch-Verstehen, für die Gesprächssiche- den Teilnehmern die wesentliche Grund- rung, den Small-talk, für Widerspruch stufen-Grammatik schon bekannt ist, und Zustimmung usw. Die letztgenann- verzichtet folglich auf festigende Wieder- ten Veröffentlichungen verzichten dabei holung und wendet sich vor allem gram- 416 matischen Einzelfragen zu, die gemein- schreitung zwischen Berufssprache und hin der Mittelstufe zugeschlagen werden Fachsprache Wirtschaft, während DB sich (Passiversatzformen, Partizipialattribute, eindeutig zur Berufssprache bekennt und Verb-Nomen-Verbindungen, Nominali- diese von der Fachsprache abgrenzt (ver- sierungen usw.). gleiche dazu den Abschnitt »Abgrenzung Auch die acht themenorientierten Bände der Berufssprache von der Allgemein- der Reihe Arbeitssprache Deutsch verste- und Fachsprache« in den Lehrerhandbü- hen sich als »Materialien« ohne »inhaltli- chern zu Dialog Beruf Starter und zu den che oder sprachliche Progression«: »Die Bänden 1–3). Im folgenden soll diesen drei Auswahl und die Reihenfolge der einzel- Titeln besonderes Augenmerk gelten. nen Teile ist frei« (Kaufmann u. a. 1998: 4). Dennoch schließt sich an den thema- 3. Längere Lernstrecke tisch-inhaltlichen Teil ein Übungsteil zu Es handelt sich also bei den drei Lehrwer- ausgewählten Aspekten der Grammatik ken DiB, WDA und DB um in Umfang an. Dazu kommt noch eine kurze Gram- und Zielsetzung vergleichbare Grund- matikdarstellung. Sie umfaßt im Band stufen-Lehrwerke für Nullanfänger. Hauptsache Arbeit 17 Seiten und ist nur WDA ist für 120 Unterrichtsstunden kon- locker mit dem Lektions- und dem zipiert, DB Starter für 100 Stunden, DiB Übungsteil verbunden. Es gibt keine Ver- liegt ebenfalls in dieser Größenordnung. weise vom Übungs- auf den Grammatik- Gemeinsam ist ihnen auch das Anliegen teil, und offenbar ist auch kein Bezug einer systematischen Vermittlung des zwischen beiden Teilen angestrebt. grammatischen Inventars der Grund- stufe. Das zeigt ein Blick ins Inhaltsver- 2.3 Berufssprachliche Alternative zeichnis ebenso wie der breite Raum, den Demgegenüber wächst, auch auf dem Übungen zur grammatischen Regelbil- Hintergrund der Einführung des Zertifi- dung und tabellarisch aufbereitete Gram- kats Deutsch für den Beruf, das Angebot an matikübersichten im Kursbuch einneh- berufssprachlichen Lehrwerken, die men. Dabei beschränkt sich das Angebot schon dem Null-Anfänger den Einstieg für das Grammatiktraining in WDA zu- ermöglichen und damit eine Alternative nächst auf das integrierte Kurs- und Ar- zu allgemeinsprachlichen Lehrwerken beitsbuch. Ein Band Zusatzübungen wird bieten. Inhalt und Umfang des grammati- angeboten. DiB und DB verfügen dar- schen Inventars unterstreichen diesen An- über hinaus über ein Arbeitsbuch. Die spruch. Zu diesen Lehrwerken zählen Kursbücher von DB haben außerdem ei- Deutsch im Beruf – Wirtschaft (Kelz / Neuf nen Grammatikanhang, auf den die 1993; im folgenden: DiB), Wirtschafts- Kursbuch-Übungen verweisen, sowie deutsch für Anfänger (Macaire / Nicolas pro Lektion auf einer Seite eine Kurzdar- 1995; im folgenden: WDA) und Dialog stellung des grammatischen Inventars Beruf (Becker/Braunert / Eisfeld 1997– am Anfang der entsprechenden Arbeits- 1999; im folgenden: DB), das mit dem buch-Lektion mit Verweisen auf die zu- Einstiegsband Starter und den Folgebän- gehörigen Arbeitsbuch-Übungen. Weit- den 1–3 als einziges die gesamte Strecke gehend der grammatischen Regelbil- von der Grundstufe 1 über das Zertifikat dung dienen darüber hinaus die Sprech- Deutsch bis zum Zertifikat Deutsch für übungen des Tonteils. Mit dieser Ausstat- den Beruf abdeckt. Die beiden erstgenann- tung entspricht DB auch im Hinblick auf ten Veröffentlichungen zeigen schon im die Grammatikarbeit dem Format der Titel programmatisch die Grenzüber- führenden Grundstufen-Lehrwerke. 417

Grammatik im KB Arbeitsbuch Grammatikanhang KB Sprechübungen WDA (Zusatzübungen) DiB DB

Bei näherer Betrachtung zeigen alle drei In allen drei berufssprachlichen Lehrwer- Lehrwerke die Tendenz, über das übliche ken beansprucht die Nebensatzstruktur Inventar der Einstiegsbände mehrteiliger einen prominenten Platz. Mit daß-Satz, Grundstufen-Lehrwerke hinauszugehen. wenn-dann-Gefüge, Begründung mit weil, Ausgeblendet bleibt in allgemeinsprach- Folge mit so daß und mit den indirekten lichen Einstiegsbänden das Passiv. Aus- Fragen gehen sie deutlich über das Inven- geblendet oder spät eingeführt wird die tar allgemeinsprachlicher Lehrwerke der Nebensatzstruktur, häufig auch das Per- Grundstufe 1 hinaus, soweit diese über- fekt (auf letzteres kommen wir weiter haupt auf dieser Stufe hypotaktische unten noch zu sprechen). Spät eingeführt Strukturen einführen. wird die Hauptsatzstruktur mit Verb 1 In Dialog Beruf Starter wird die Hauptsatz- und Verb 2. struktur mit Verb 1 und Verb 2 bereits in DiB und WDA führen dagegen bereits im Lektion 1 als Normalfall eingeführt. Sie Band für Anfänger das Passiv ein. DB wird nicht als neue Stufe auf der Progres- Starter verzichtet darauf. Die Autoren sionsleiter angesehen, die zu erklimmen rechtfertigen im Lehrerhandbuch die Ver- den Lernern erst spät erlaubt würde. Leit- schiebung des Passivs auf den Folgeband motivisch zieht sich der folgende Riegel mit der Absicht, den Umstieg auf die von Lektion 1 im Starter bis zum Ab- berufssprachliche Schiene jederzeit zu er- schlußband der Reihe durchs Lehrwerk: möglichen. »Hinsichtlich Umfang und Regeltiefe geht 1 Verb 1 … (Verb 2) der Starter mit Rücksicht auf die Benutzer- freundlichkeit Kompromisse ein. […] So Bekanntermaßen verstoßen selbst fortge- bleibt zum Beispiel das Passiv, der Kon- junktiv II, der Relativsatz und der Infinitiv- schrittene Lerner hartnäckig gegen die satz […] DIALOG BERUF 1 und 2 vorbehal- Wortstellungsregel im Perfekt und im Pas- ten, obwohl im Hinblick auf die berufs- siv, bei Verben mit trennbarer Vorsilbe und sprachliche Verwendungsabsicht zumin- bei Modalverben. Sie scheitern an dieser dest das Passiv für einige berufssprachlich Regel nicht, weil sie so kompliziert wäre – vordringliche und häufige Verwendungs- sie ist ja im Gegenteil denkbar simpel –, weisen hätte aufgenommen werden kön- nen. In diesem Punkt nimmt DIALOG BE- sondern weil sie zwar bekannt ist, aber RUF Rücksicht auf die grammatische Pro- nicht gekonnt und folglich nicht be- gression paralleler allgemeinsprachlicher herrscht wird. Dasselbe gilt für die Wort- Kurse.« (Becker / Braunert 1999 (3): 7) stellung im Nebensatz. Beherrschbar wird Die frühzeitige Einführung des Passivs, sie nur durch beharrliches Üben. Je später die eigentlich zweckmäßig gewesen aber die Kursteilnehmer Gelegenheit be- wäre, wird also der flacheren Progression kommen, sich diesem Übungsanliegen zu des allgemeinsprachlichen Kurses geop- stellen, umso weniger Zeit bleibt zum fert, um den Umstieg vom allgemein- wiederholenden Einüben. Eine flache Pro- sprachlichen in den berufssprachlichen gression ist scheinbar der schonendere Kurs und umgekehrt offen zu halten. und komfortablere, sicher aber nicht der 418 erfolgreichere Ansatz. Die späte Einfüh- absicht gerichtet und muß damit auf jede rung wichtiger grammatischer Instru- denkbare Verwendungsabsicht vorberei- mente bei festgelegter Kursdauer verkürzt ten. Er muß also immer stärker in die notwendigerweise Übungsstrecken und Breite gehen. Bei zunehmender Kurs- läßt das Bekenntnis zur zyklischen Pro- dauer nimmt folglich der lineare Lernfort- gression zum Lippenbekenntnis verküm- schritt ab. Im Lehrerhandbuch zu DB Star- mern. ter heißt es zu dem daraus resultierenden Ein weiteres, sowohl für die fach- als Gefühl von Stagnation: auch für die berufssprachliche Kommu- »Es ist ganz ähnlich wie bei einem Sportler, nikation wichtiges Lernanliegen ist die der im Anfangsstadium seines Trainings Nominalisierung. Im traditionellen Cur- ermutigende Fortschritte verzeichnet und riculum ist es üblicherweise der Mittel- sich im weiteren Verlauf in immer kleineren stufe vorbehalten. Dort wird es in der Schritten seinem individuellen Leistungs- zenit nähert. Bei ungeminderter Trainings- Regel als Transformations-Aufgabe ge- intensität läßt sich dann der erreichte Stand handhabt. WDA und DB greifen die No- gerade noch halten, aber nicht mehr über- minalisierung in Übungen zur Wortbil- bieten. Spätestens jetzt, aber besser mög- dung (Verb-Nomen-Ableitung u. a.) auf. lichst früh, ist der Augenblick der Speziali- DB Starter konfrontiert die nominale mit sierung gekommen, in unserem Falle die Hinwendung zur Berufssprache. Je früher der verbalen Ergänzung nach möchte_ diese Spezialisierung erfolgt, umso mehr und planen, hätte_ gern und würde_ gern, allgemeinsprachliche Redemittel und The- sowie das nominale Akkusativ-Objekt men können eingespart werden und umso mit dem Objekt-Satz, um auf dieser intensiver können diejenigen Themen und Grundlage in den Folgebänden 1–3 Zug Redemittel eingeübt werden, die für die um Zug, in vielfachen Wiederholungen berufliche Verwendungsabsicht nützlich und hilfreich sind. Entsprechend größer ist und auf verschiedenen Handlungsfel- der lineare Lernfortschritt im Hinblick auf dern, die Polarität von Nebensatz und die angestrebte Zielfertigkeit im Vergleich Präpositionalphrase (weil – wegen, obwohl zu einem allgemeinsprachlichen Kurs. – trotz, während – während; aufgrund, an- Letztlich ist die Frage, ob man allgemein- hand, bezüglich usw.) zu entfalten. sprachlich oder berufssprachlich einsteigt, eine Frage der Kurs- und Lernökonomie. Im berufssprachlichen Kurs ergeben sich Der allgemeinsprachliche Kurs geht natur- offensichtlich besondere Notwendigkeiten, gemäß stärker in die Breite. Der berufs- das grammatische Instrumentarium zur sprachliche Kurs legt eine vergleichsweise Bewältigung einschlägiger Redeabsichten größere Lernstrecke zurück.« (Becker/ zügig zur Verfügung zu stellen. Um beim Braunert 1999 (3): 11) Beispiel des Passivs zu bleiben: regelhafte Es sind also zum einen die Handlungsfel- Abläufe, Bedienungsanleitungen, Gebote der der berufssprachlichen Kommunika- und Verbote sind zentrale, aufs Passiv tion selbst, die zu spezifischen Schwer- angewiesene berufliche Mitteilungsab- punktsetzungen in der Grammatik-Pro- sichten. Seine frühzeitige Behandlung gression führen. Zum anderen fordert die deckt im berufssprachlichen Kurs einen berufliche Verwendungsabsicht schnelle, Bedarf, der sich in der Allgemeinsprache praktische Verwendungsmöglichkeiten, nicht in dieser Dringlichkeit stellt. die eine steilere Progression erfordern. Diese steilere Progression beschert aber Viele hundert Unterrichtsstunden bis auch die Möglichkeit, eine längere Lern- zum Erzielen verwendbarer Ergebnisse strecke als im allgemeinsprachlichen Kurs entsprechen nicht der realen Bedarfslage zurückzulegen. Der allgemeinsprachliche des Berufstätigen, an den sich das Ange- Kurs ist auf keine spezielle Verwendungs- bot richtet. 419

4. Grammatik im allgemeinsprachli- Gesamtheit aller regelhaften Erscheinun- chen und im berufssprachlichen Kurs gen, also angefangen von der Deklination Die Frage nach dem Was? und dem Wie?, der Personalpronomen oder der Wortstel- dem Inhalt und der Art der Kommunikation lung im Hauptsatz, über die Vorschriften liegt der Grammatikprogression eines je- des Formbriefs, die Begrüßungs- und Höf- den kommunikativen Unterrichts zu- lichkeitsformeln im beruflichen Gespräch, grunde. Die Spezialisierung des be- bis hin zu den Regeln dafür, ein Gespräch rufsprachlichen Kurses auf den betriebli- in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. chen Handlungsrahmen ermöglicht aller- Das Verhältnis zwischen der so verstande- dings eine präzisere Antwort auf diese nen Grammatik in der Allgemeinsprache Fragestellung als die unspezifischen Sze- einerseits und der Berufssprache anderer- narien des allgemeinsprachlichen Kurses. seits läßt sich an den Beispielen in folgen- Grammatik sei dabei verstanden als die der Übersicht demonstrieren.

Mitteilungs- Grammatik berufliches Grammatik absicht Allgemeinsprache Handlungsfeld Berufssprache Sich bekannt Ich heiße… / Mein Name Einführung in Ich heiße … / Mein Name ist machen ist… Familienname, Beruf, den Betrieb … Familienname, Beruf, Alter Alter Ich bin seit in (Abteilung / Fachgebiet) tätig Charakterisie- einfache und erweiterte Produkt- einfache und erweiterte ren, Beschreiben Attribute links und rechts beschreibung Attribute links und rechts vom Nomen vom Nomen … ist ausgestattet mit / besitzt / sorgt für / ermöglicht / zeichnet sich durch … aus / weist … auf / verfügt über … Regeln, Vor- Man muß / darf Arbeitssicher- Man muß / darf nicht / nur / schriften, Ge- nicht / nur / soll heit, Pflichten soll bote, Verbote des Mitarbeiters Es ist verboten / nicht erlaubt / gehört zu Ihren Auf- gaben … zu … Sie haben die Pflicht … zu … Gebrauchs- Bedienungs- man, Passiv, müssen + Pas- anweisung anleitung siv Beauftragen Könnten / Würden Sie Auftrags- Könnten / Würden Sie bitte…? erteilung bitte …? Imperativ Imperativ Hiermit erteilen wir Ihnen den Auftrag, … zu … Mit (Aufgabe) beauftragen wir … Größen, Ge- … ist x cm … lang / breit / Größen, Ge- … ist x cm … lang / breit / wichte, Beträge hoch; kostet …; wiegt … wichte, Beträge hoch; kostet …; wiegt… Die Länge / Breite / Höhe / Der Preis / Das Gewicht … beträgt … Berichten Perfekt, daß-Satz Perfekt, daß-Satz 420

Mitteilungsabsichten der Allgemein- chen Kommunikation ergeben. Das Ver- sprache und die zu ihrer Realisierung hältnis von Allgemein- und Berufsspra- nötigen grammatischen und lexikali- che läßt sich auch folgendermaßen be- schen Sprachmittel sind, wie man sieht, schreiben: auch notwendige Sprachmittel im beruf- lichen Umfeld. Zusätzliche Redemittel Die Menge n kommen im beruflichen Umfeld häufig, Die Menge der Sprachmittel n weisen aber durchaus nicht immer hinzu. Sie sowohl Allgemeinsprache als auch Be- erfüllen Anforderungen der Eindeutig- rufssprache auf. Dem entspricht die Ver- keit, der Verbindlichkeit, des formellen wandtschaft der übergeordneten Lern- Umgangs usw., die sich aus der berufli- ziele in beiden Bereichen:

Lernziel Allgemeinsprache Lernziel Berufssprache – soziale Handlungsfähigkeit – berufliche Handlungsfähigkeit – Sicherung der privaten Lebensbedürf- – Sicherung der betrieblichen Funktions- nisse übernahme

Beides setzt die persönliche und sachli- weist natürlich die Allgemeinsprache che Integration in das, in dem einen Fall zahlreiche Subsysteme und, verbunden allgemeine, im anderen Fall beruflich- mit der inhaltlich-thematischen Vielfalt, betriebliche Sozialgefüge voraus, in dem lexikalische Felder auf, die nicht zum Menschen leben bzw. leben und arbeiten Kernbereich der Berufssprache gehören. und entsprechend umfassend kommuni- Damit ergeben sich die Gleichungen: zieren. Allgemeinsprache = n + x1 Berufssprache = n + x Die Menge n + x 2 Wie aus den Beispielen der obigen Über- Auch in diesem Fall eröffnet die Berufs- sicht erkennbar, weist die Berufssprache sprache den Weg in die Allgemeinspra- aber nicht nur die Menge n auf, sondern che und umgekehrt die Allgemeinspra- eine Menge n + x. Mit x drücken wir die che den Weg in die Berufssprache. Die spezifisch betrieblich-beruflichen Anfor- Frage des Einstiegs ist ausschließlich eine derungen aus. Daraus folgt: Nicht nur bei Frage der bevorzugten Verwendungsab- eindeutig beruflicher Verwendungsab- sicht. sicht ist der berufssprachliche Einstieg gangbar. Er bietet ein Mehr an Sprachmit- 5. Sprachhandlungen als Ausgangs- teln bei insgesamt zügigerer Progression. punkt der Grammatikarbeit Unter Berufssprache verstehen wir, wie Die Mengen n + x1 und n + x2 erwähnt, diejenigen Sprachhandlungen Was sich nach der Formel n + x gegen- und Redemittel, die den Mitarbeiter in über der Allgemeinsprache als Erweite- die Lage versetzen, in betrieblichen rung darstellt, betrifft die Erweiterung Funktionsabläufen und im betrieblichen der Redemittel – des Wortschatzes und Leben angemessen zu agieren und zu der Strukturen. Dieser Erweiterung in reagieren. Die Berufssprache umfaßt die der Berufssprache steht ihre Spezialisie- Kommunikation aller Mitarbeiter am Ar- rung hinsichtlich der Handlungsfelder, beitsplatz. Allgemein gilt für einen kom- Themen, Inhalte gegenüber. Andererseits munikativen Deutschunterricht, daß au- 421 thentische Sprachhandlungen der Aus- sprachlichen Anfängerlehrwerken noch gangspunkt für die Grammatikarbeit nicht oder erst spät eingeführt werden. sind. Umso mehr gilt für den berufs- Als Tempus des Berichtens ist es in der sprachlichen Grundstufenkurs, dessen Berufssprache offensichtlich unverzicht- Verwendungsabsicht klar umrissen ist bar (siehe S. 422). und dessen Gebrauchswert ganz im Vor- Deutlich zu erkennen ist der induktive dergrund steht, daß die hier relevanten Ansatz von DB bei der Erarbeitung des Sprachhandlungen den jeweiligen Aus- grammatischen Lernanliegens. Beim si- schnitt aus dem sprachlichen Regelwerk, tuativen Einstieg vermißt man vielleicht ihre Portionierung und die Progressions- den unmittelbaren beruflichen Bezug. linien bestimmen. Dazu stellt das Lehrerhandbuch von DB Diese Voraussetzung ist in der methodi- Starter fest: schen Diskussion ebenso unbestritten, wie sie in der didaktischen und pädago- »Ein berufssprachliches Lehrwerk für An- gischen Praxis nur allzu oft unberück- fänger muss […] einen Teil der Lernenergie auf die Erarbeitung der allgemeinen sichtigt bleibt. Eine solche induktive, die Grundlagen verwenden und kann entspre- Verwendungsabsicht nicht aus dem chend weniger Energie für die berufs- Auge verlierende Annäherung an das sprachliche Spezialisierung abzweigen. Im grammatische Lernanliegen könnte so weiteren Verlauf verschieben sich jedoch aussehen: die Anteile immer stärker zugunsten der berufssprachlichen Spezialisierung.« 1. Die Lerner üben die angestrebte (Becker / Braunert 1999 (3): 12) Sprachhandlung in einer typischen Si- tuation notdürftig aus, indem sie ihr Das Gespräch und der Bericht über den Vorwissen anwenden. Dabei sind sie Sprachkurs, der hier als Anlaß für ein tendenziell überfordert, denn die erfor- erprobendes Ausführen der geforderten derlichen grammatischen Hilfsmittel Sprachhandlung dient, ist eine mit Sicher- sind ihnen ja noch nicht geläufig. heit allen Teilnehmern gemeinsame Erfah- 2. Die Lerner werten einen für die rung. Die Einstiegssituation versetzt die Sprachhandlung typischen Lese- oder Teilnehmer bewußt in Sprachnot. Die not- Hörtext inhaltlich aus, üben die grund- wendigen Redemittel stehen ja noch nicht legenden typischen Elemente ein; erar- in vollem Umfang zur Verfügung. Die beiten die diesen Elementen zugrunde Situation soll durch komplexe Inhalte liegenden Regeln und üben sie ein. nicht zusätzlich belastet werden. Die 3. Die Lerner wenden die Regel in einer schrittweise Hinwendung von Hand- gegenüber dem Einstieg leicht verän- lungsfeldern der Allgemeinsprache zu derten bzw. erweiterten Situation an, Handlungsfeldern der Berufssprache indem sie die anfängliche Sprachhand- wird hier am Ende des »Blocks«, in der lung nunmehr flüssiger, sicherer und Anwendungsphase (Schritt 5 in der Über- richtiger ausüben. sicht) deutlich. Dort können und sollen die Die folgende Übersicht zeigt die Art und Lerner, nach den Übungsschritten 2–4 mit Weise der Grammatikarbeit am Beispiel den erforderlichen formalgrammatischen des Perfekts auf dem Hintergrund der Kenntnissen und einem ersten Beherr- oben skizzierten Phasierung in den Lehr- schungsgrad ausgestattet, auch inhaltlich werken WDA, DiB und DB. Das Perfekt weiter gehen als in der Einstiegsphase gehört zu denjenigen Redemitteln, die in gefordert und berufliche Erfahrungen ein- berufssprachlichen Anfängerlehrwerken bringen. Dieser induktive Ablauf gram- frühzeitig vorkommen, in allgemein- matischer Regelbildung ist in den zehnsei- 422

Einführung des Perfekts in den Kursbüchern Wirtschaftsdeutsch für Anfänger, Deutsch im Beruf – Wirtschaft und Dialog Beruf Starter

WDA, Lektion 3 DiB, Lektion 6 DB, Lektion 5 1. Sprachlich Die Kursteilnehmer be- Handeln richten über Erwartun- gen und Erfahrungen im Sprachkurs 2. Textarbeit Verschriftlichter Dialog Hörverstehen: Dialog mit gehäuftem Vorkom- im Unterricht über Er- men des Perfekts ohne wartungen und Erfah- Aufgabenstellung rungen im Sprachkurs 3. Erarbeiten Demonstration der Bil- Paradigmatische Dar- Rekonstruieren der der Regel dungstypen des Per- stellung der Perfektbil- Teilnehmeräußerungen fekts an Beispielen dung, der Verbstellung in einem berichtenden im Hauptsatz, der Bil- Text, Erarbeiten eines dung der Partizipien Präsens/Vergangen- heitsparadigmas 4. Einüben Übungen zu den Per- Einsetzübung zum Per- Sprechübung, vertie- der Regel fektformen, Demon- fekt mit haben und sein; fende Übungen im Ar- stration des Perfekts an- Transformation vom beitsbuch hand von Unterneh- Präsens zum Perfekt, menskurznachrichten, Vertiefung im Arbeits- Isolieren der Hauptin- buch formationen, Übungen zu den Formen, Sätze im Perfekt schreiben 5. Anwenden Teilnehmer befragen der Regel: sich über ihre Erwar- Sprachlich tungen und Erfahrun- Handeln gen im Sprachkurs, in einem Seminar, einem Praktikum o. ä. tigen Lektionen des Lehrwerks jeweils lung der Formalgrammatik aus. Daran fünfmal, also fünfmal pro Lektion gestal- schließen sie Übungen zur Festigung der tet. Jeweils auf der linken Seite oben be- Regel an, also Übungen zur Formenlehre, ginnt der zweiseitige »Block« mit dem Lücken- und Transformationsübungen. Ausüben der angestrebten Sprachhand- Die Unternehmenskurznachrichten, die lung auf der Basis des Vorwissens der in WDA zwischengeschaltet werden, zei- Lerner. Auf der rechten Seite unten fordert gen die Funktion des Perfekts im berich- die Aufgabenstellung eine Anwendung tenden Text. Nicht der Text, sondern die des im Mittelteil erworbenen sprachlichen vorangestellte Regel ist jedoch der Aus- Instrumentariums. Hier erweist sich, ob gangspunkt für die darauf folgenden un- das Lernziel erreicht worden ist. terrichtlichen Schritte. Sowohl WDA als WDA und DiB sind dagegen, wie das auch DiB verzichten darauf, den Unter- Beispiel in der obigen Übersicht zeigt, richt ausgehend von einem kommunika- einem deduktiven Ansatz verpflichtet. tiven Lernziel zu eröffnen und mit dessen Beide Lehrwerke gehen von der Darstel- Anwendung zu beenden. Die Unter- 423 richtssequenz setzt mit der vollständi- Im Inhaltsverzeichnis unterscheidet gen, das gesamte Phänomen umfassen- WDA im Hinblick auf die mündliche den Regel ein und endet in beiden Lehr- Kommunikation zwischen fach- und all- werken mit einer Übungsreihe im Um- gemeinsprachlichen Dialogen. Danach fang der vorangestellten Regel. wird in Lektion 2 die Terminvereinba- Die jeweils fünf doppelseitigen »Blöcke« rung am Messestand als fachsprachlich, jeder Lektion von DB wiederholen den die betriebsinterne Terminvereinbarung skizzierten dreiphasigen Durchlauf. Das im Büro als allgemeinsprachlich klassifi- gewährleistet den vorläufigen Abschluß, ziert. Ausgehend von der plausiblen die Wiederaufnahme und Erweiterung Annahme, daß Terminvereinbarung, im folgenden Block oder auch in der -verschiebung und -absage typische be- folgenden Lektion oder in irgendeiner triebliche Sprachhandlungen sind, auch anderen Lektion, in der die Sprachhand- und gerade dann noch, wenn, wie es lungen ein Wiederaufgreifen des betref- hier der Fall ist, die private und halbpri- fenden Ausschnitts der Grammatik nahe- vate Verabredung zwischen Kollegen legen. Im Falle des Perfekts bedeutet das: dazukommt, zählen sie eher zum Kern- Block 1 beschränkt sich auf die Repro- bereich der Berufssprache. Ist den Auto- duktion der vorkommenden Formen. In ren dieser Bereich zu wenig »fachlich«, Block 2 erarbeiten die Teilnehmer das um es dem Sprachbedarf des Mitarbei- Paradigma der Bildungsweisen des Per- ters im Betrieb zuzurechnen? Haben wir fekts. Block 3 verlagert das Hauptaugen- hier nicht vielmehr ein weiteres deutli- merk auf die Stellung von Verb und Par- ches Indiz dafür, daß die Berufssprache tizip im Hauptsatz und greift somit die »n + x« umfaßt und der Sprachbedarf im bereits vielfach bewußt gemachte und Alltag aus dieser abgeleitet werden geübte Hauptsatzstruktur mit Verb 1 und kann? Verb 2 auf. Block 4 erweitert das gramma- In diesem Sinne ist WDA aber stärker tische Lernanliegen um das Perfekt im berufssprachlich geprägt als DiB, das daß-Satz. Block 5 faßt das grammatische ebenfalls den Spagat zwischen Fach- Inventar von Block 1–4 in einer anderen und Berufssprache wagt. Sein Inhalts- Anwendung wiederholend zusammen. verzeichnis führt unter der Rubrik »Ba- Wir haben schon darauf hingewiesen, sistexte« Dialoge mit beruflichen daß DiB und WDA Mischlinge aus Fach- Sprachhandlungen auf, in Lektion 1 bei- sprache und Berufssprache sind und sich spielsweise Begrüßung nach der Dienst- programmatisch dazu bekennen. In reise, Frage nach dem Befinden, Begrüßung WDA heißt es dazu, die Lerner sollen mit bei der Ankunft, Angaben zur Person. Die Hilfe des Lehrwerks befähigt werden, Rubrik »Thematik« wendet sich dann zunehmend wirtschaftsfachlichen Infor- »– Texte aus der Berufssprache und öffent- mationen zu wie Deutschland als Export- lichkeitsorientierte Fachtexte zu verste- hen, land, Exportgüter, Bedeutung des Maschi- – mit deutschsprachigen Partnern im fach- nenbaus für die deutsche Industrie und den sprachlichen Bereich zu kommunizieren Export, Zahlungsbedingungen, Verhältnis – und [berufliche – J. B.] Alltagssituatio- der Muttergesellschaft zu den Tochtergesell- nen, die für ausländische Geschäftsrei- schaften. sende bzw. für kurzfristig in Deutsch- Vielleicht überfordert dieser doppelte land beschäftigte Ausländer besonders relevant sind, sprachlich zu bewältigen« Anspruch die Möglichkeiten eines (Macaire/Nicolas 1995: 6, Hervorhe- Grundstufen-Lehrwerks, auch im Hin- bungen durch J. B.) blick auf den Grammatikerwerb ein 424 kommunikativ angelegtes Konzept zu Ausgangspunkt die telefonische Ter- verfolgen. Das Ringen um die fachlichen minvereinbarung. Ausgehend vom Ton- Inhalte läßt offenbar die für den Einstei- Dialog beschäftigen sich die Lerner mit ger notwendige und der Grundstufe an- der Struktur (der »Grammatik«) dieses gemessene Spracharbeit in den Hinter- Ablaufs: grund treten. Dabei geraten die metho- »1. Schritt: Der Anbieter wird angerufen. dischen Grundprinzipien marktgängi- 2. Schritt: Der Anrufer wird mit der zu- ger Anfänger-Lehrwerke aus dem Blick- ständigen Person verbunden. feld. 3. Schritt: der Anrufer wird …« usw.

6. Grammatikpfade Damit ist auch die zugrunde liegende Ein Lehrwerk, das in der geschilderten sprachliche Struktur eingeführt. Der zu- Weise von den berufssprachlichen Lern- geordnete Grammatikhinweis (Bildungs- zielen ausgeht und zudem die Ausstat- prinzip des Passivs) und der entspre- tungsmerkmale eines kurstragenden chende Seitenverweis führt in den Gram- Grundstufenlehrwerks aufweist, kann matikanhang, von dort zur Erprobung ein dichtes Netzwerk von Lernpfaden für anhand einer nachfolgenden Schreib- die Grammatik ausbreiten. Das läßt sich übung in der Lektion und zur Anwen- gut an der Reihe DB darstellen. dung: Rollenspiel »Telefonische Termin- Zunächst nur für das Kursbuch betrach- vereinbarung«. tet, bedeutet das: In der Phase der Be- Sprachhandlung wußtmachung und Einübung der Grammatikhinweis Sprachhandlung (s. o. Seite 421, Ziffer 2) Grammatikanhang findet sich im allgemeinen ein Hinweis Sprachhandlung auf das zugehörige grammatische In- Bei der Präsentation der Grammatik im ventar, und zwar überwiegend als Bei- Grammatikanhang beschreitet die Reihe spiel. Im Starter erscheint es als Para- DB unterschiedliche Wege. Im Starter digma, das der Lerner teilweise selbst und in Band 1 setzen sich die einzelnen erstellen soll. Dabei wird an dieser Stelle Abschnitte jeweils aus drei Teilen zusam- weitgehend auf metasprachliche Begriff- men: lichkeit verzichtet. Oft übernimmt auch 1. aus den nackten Grundregeln, aus de- das im Kursbuch dokumentierte Muster nen sich die darzustellende grammati- einer Vier-Phasen-Sprechübung diese sche Erscheinung zusammensetzt; Funktion des Hinweises auf das gram- 2. aus einer Veranschaulichung der Er- matische Strukturmuster. Von dort führt scheinung anhand von tabellarisch an- ein Verweis in den Grammatikanhang, geordneten Beispielsätzen; wo die Regel vollständig (das heißt im 3. aus der Demonstration der regelbezo- Umfang ihres Vorkommens) präsentiert genen Sprachmittel in einem Kontext. ist. Der Weg dorthin beginnt im allge- In Bezug auf das Beispiel des Passivs meinen mit den Übungsphasen der Lek- heißt das: tion und muß notwendigerweise in die Lektion zurückführen, da der Unterricht 1. a)Konjugationsparadigma von werden ja nicht mit der Kenntnisnahme und im Präsens und im Präteritum, Erarbeitung der Grammatikregel enden b)die (schon aus dem Starter bekann- darf, sondern mit der Anwendung der ten) Bildungsweisen des Partizips, Sprachhandlung enden muß. In DB 1, c) die Erinnerung an die Haupt- und Lektion 4/1, S. 45 zum Beispiel ist der Nebensatzstruktur; 425

2. paradigmatisch angeordnete, an den den Regelbestand der Grundstufen- Mitteilungsabsichten des Kursbuchs grammatik und damit über den mit DB orientierte Haupt- und Nebensatzbei- Starter, Band 1 und Band 2 im Hinblick spiele; auf das Zertifikat Deutsch zu erreichen- 3. Texte bzw. Testsorten (Dialoge, Bericht, den Kenntnisstand. Soweit es sich nicht Lebenslauf, Firmengeschichte, Ablauf, um neu eingeführte Elemente der For- telefonische Terminvereinbarung u. a.). malgrammatik handelt, wird in den Diese dreistufige Darstellung kommt un- Lektionen auf Teil 1 des Grammatikan- terschiedlichen Lernertypen entgegen: hangs verwiesen, von dort werden die Der regelorientierte, abstrakt denkende Lerner im Bedarfsfall auf Teil 2 verwie- Lerner wird von den Grundlagen ausge- sen. Teil 1 und Teil 2 verhalten sich hen und sich ihre Verknüpfung in der bezüglich der Lernziele zueinander wie schematisierten Darstellung einprägen. Zweck und Mittel: Teil 1 hilft den Ler- Der eher anwendungsorientierte, induk- nern dabei, ihre berufssprachlichen Mit- tiv lernende Kursteilnehmer kann von teilungsabsichten auf der Satzebene zu der Textdemonstration ausgehen und die verwirklichen, Teil 2 hilft bei der formal dort vorkommenden Konkretisierungen korrekten Realisierung. So gelangt der der Regel auf der Ebene der Schematisie- Benutzer, etwas schematisch ausge- rung nachvollziehen. drückt, vom Ganzen (den Lernzielen in Regel Beispiel Kontext den Lektionen) zu dessen Bauteilen (der Kontext Beispiel Regel Grammatik der berufssprachlichen Mit- teilung), zu den Grundelementen In der unterrichtlichen Praxis kommt es (Form, Satzbauplan) und schließlich sicher zu Mischformen zwischen dem über das Einzelne (das Wort – im sich idealtypisch deduktiven bzw. indukti- anschließenden Glossar) zurück zum ven Vorgehen, bei dem die Lerner vom Ganzen in der Lektion. Beispiel über die Regel zum Kontext oder über den Kontext zur Regel gelan- Lektion gen. Mitteilungsabsicht Formalgrammatik Die Grammatikanhänge des Starters Lektion und von Band 3 enthalten auch Darstel- lungen bzw. Auflistungen der im Kurs- Diese bisher beschriebenen Pfade sind im buch vorkommenden Mitteilungsab- Lehrwerk insgesamt noch mit den Wie- sichten. Somit kann der Lerner Mittei- derholungen, Vertiefungen und Erweite- lungsabsichten im Überblick nachvoll- rungen im Arbeitsbuch vernetzt. Jede Ar- ziehen bzw. im Kursbuch auffinden. Der beitsbuch-Lektion beginnt mit einer Kurz- Grammatikanhang von Band 2 verdeut- darstellung der vorkommenden Gram- licht jedoch in besonderem Maße die matikthemen. Verweise führen die Lerner Unterordnung der Formalgrammatik zu den Übungen, in denen die betreffende unter die Sprachhandlung. Er gliedert grammatische Erscheinung trainiert wird. sich in zwei Teile: Teil 1 gibt einen Über- Der Weg muß freilich nicht über diese blick über die vorkommenden berufs- Übersicht führen, denn die Arbeitsbuch- sprachlichen Mitteilungsabsichten wie Übungen sind mit Hilfe von Randverwei- z. B. mündliche und schriftliche Anwei- sen den Übungen im Kursbuch zugeord- sung, Übereinstimmung und Unter- net. Die Übersichten sind aber für die schied, Begründen, Größenangaben häusliche Nacharbeit und Wiederholung usw. Teil 2 gibt einen Überblick über zweckdienlich. Während der Grammatik- 426 anhang – eher systematisch geordnet – der beitsbuch-Lektionen das Auffinden der Explikation einer Regel dient, erleichtert zugehörigen Übungsangebote. Folgender die summarische Darstellung vor den Ar- Weg ist demnach denkbar:

Erarbeitung der Regel im Kursbuch Explikation der Regel im Grammatikanhang des Kursbuchs Einübung der Regel im Kursbuch Vertiefung der Regelbeherrschung anhand des Arbeitsbuchs Anwendung der Regel im Kursbuch (ergänzende) Nacharbeit und Wiederholung anhand des Arbeitsbuchs

7. Zusammenfassung ist, bezogen auf die Verwendungsabsicht, Auf unsere Ausgangsfragen zurückkom- die überlegene Alternative, weil er mend, können wir jetzt sagen: Der be- schneller und sicherer zum Ziel führt: rufssprachliche Anfängerkurs schließt Denn er verzichtet auf die zeitraubende ein systematisches Fertigkeiten- und thematische Breite des allgemeinsprach- Grammatiktraining nicht aus. Er unter- lichen Kurses und ist auf die berufliche scheidet sich inhaltlich vom allgemein- Verwendung ausgerichtet. Das ermög- sprachlichen Kurs, unterliegt deshalb licht die frühere Einführung grundlegen- aber nicht grundsätzlich anderen Gesetz- der grammatischer Erscheinungen. Diese mäßigkeiten. Die Einführung in die »Entzauberung« allgemein als »schwie- grammatischen Grundregeln sollte nicht rig« eingestufter und damit den Lernern vor dem, sondern im berufssprachlichen oft auch einschüchternd vermittelter Teil- Einstieg erfolgen. Auch wenn der Über- aspekte des Regelbestands erhöht das gang von der allgemeinsprachlichen Lerntempo, das durch die Verlängerung Route zur berufssprachlichen Kursrich- der Übungsphasen abgesichert wird. Da- tung gut möglich ist, wäre er, die berufli- mit kommen wir zu einer Neubestim- che Verwendungsabsicht vorausgesetzt, mung des Verhältnisses von Einführen ein mit Nachteilen verbundener Umweg. und Üben und verabschieden uns von Der berufssprachliche Kurs ist also, rich- der landläufigen Vorstellung, eine Struk- tig angepackt und konsequent durchge- tur werde punktuell eingeführt, geübt führt, nicht nur eine ebenbürtige Alterna- und sei dann erledigt. Vereinfacht stellt tive zum allgemeinsprachlichen Kurs. Er sich dieses Verhältnis wie folgt dar: herkömmlicher Kurs berufssprachlicher Kurs Einführen Einüben Einführen Einüben Lernrichtung

Eine stärkere Gewichtung des Einübens Verwendungsabsicht des Lerners und im Vergleich zum Einführen ist nicht al- auf den Gebrauchswert des Gelernten lein dem berufssprachlichen Kurs vorbe- kommt dieser Verteilung der didakti- halten. Aber seine Orientierung auf die schen Gewichte sehr entgegen. 427

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Radio-Magazin ›Nipponia Nippon‹

Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten im Deutschunter- richt. Ein Beispiel

Malte Jaspersen

Der folgende Artikel schildert ein weiterzugehen und zusammen mit Stu- Sprachprojekt, das ich mit einem Wahl- dierenden unter professionellen Bedin- fachkurs Deutsch im Sommersemester gungen eine eigene Radiosendung zu 1999 an der Ritsumeikan-Universität produzieren. Kyoto durchgeführt habe. Es gibt wenige Beispiele des Einsatzes Im Rahmen des Fremdsprachenunter- von Radiosendungen im Fremdspra- richts an japanischen Universitäten fällt chenunterricht, in denen das ›Radioma- ausländischen native speakers häufig die chen‹ im Mittelpunkt stand (spanisch- Rolle des ›Kommunikationsmotors‹ zu. sprachiges Radioprojekt in den USA, Einer ihrer vornehmsten Aufträge dank 1984; deutsch-französisches Projekt in muttersprachlicher Kompetenz ist es, die Frankreich, 1986 und 1988; Radio im Eng- mündlichen Kommunikationsfähigkeiten lischunterricht, Universität Bayreuth, der Studierenden zu fördern. Dabei han- 1998), wobei es sich dort allerdings um in delt es sich um eine nicht immer dankbare den festen Sendebetrieb einer Radiosta- Aufgabe, da es oft schwierig ist, die Ler- tion eingebundene Live-Sendungen han- nenden aus ihrer Reserve zu locken. delte. Mangels einer deutschen Hörer- In meiner Unterrichtspraxis benutze ich schaft in Kyoto waren die hiesigen Bedin- hin und wieder Radiomaterial aus gungen völlig andere, die Möglichkeit Deutschland. Das können Nachrichten einer Live-Sendung mußte daher von sein oder Werbespots, Musiksendungen vornherein ausscheiden. Aus diesem oder Hörspielfragmente. Dieses Material Grunde entschied ich mich für die Pro- dient als Hörverstehensübung oder duktion einer Magazinsendung von 30– Sprechanlaß, manchmal auch einfach als 40 Minuten Länge als ›Konserve‹ (sprich: akustische Einstimmung in eine Unter- CD). Willkommener Nebeneffekt: dieses richtsstunde: So klingt Radio in Deutsch- Verfahren ersparte den Protagonisten land. Da ich parallel zu meiner Tätigkeit den ›Rotlicht-Streß‹ vor dem Mikrofon als Deutschlektor auch als Autor und während einer Live-Sendung. Regisseur für den ARD-Hörfunk arbeite, Dem Projekt lag die Frage zugrunde, wie kam mir die Idee, Radio einmal nicht als es möglich sein könnte, aus der typischen passiv rezipiertes Medium zu verwen- Unterrichtssituation herauszutreten und den, sondern einen qualitativen Schritt ein Umfeld zu schaffen, in dem die Stu-

Info DaF 27, 4 (2000), 428–432 429 dierenden nicht nur bisher Gelerntes ver- einem fremden Kulturkreis anschauliche wenden, sondern gleichzeitig auch noch Informationen über das eigene Lebens- völlig neue Erfahrungen machen können. umfeld zu vermitteln. Daß dies eine ganz Natürlich setzte dies eine Klasse voraus, andere Motivationsstruktur schafft, als die positiv auf Herausforderungen rea- ›wieder einmal einen Aufsatz für eine gieren und Bereitschaft zu solch einem gute Note zu schreiben‹, und die Bereit- Experiment zeigen würde. In einer Wahl- schaft erhöht, sich mit der fremden Spra- fachgruppe Deutsch im dritten Studien- che erst schriftlich auseinanderzusetzen jahr (Fukusenko) fanden sich diese Vor- und sie dann aktiv verbal zu benutzen, aussetzungen. Da eine solche Radiosen- bedarf keiner besonderen Erklärung. dung in mehreren Stufen ›wächst‹ und Nicht zu unterschätzen ist außerdem der vergleichsweise zeitaufwendig ist, führte ›Faktor S‹: je mehr Spaß die Sache macht, ich das Projekt ›Radio‹ parallel zum nor- desto mehr kommt dabei heraus. So ent- malen Unterricht durch. Jeweils 30 Minu- stand schließlich eine bunte Mischung aus ten einer 90-Minuten-Unterrichtseinheit Reportage, Feuilleton und Popmusik. waren für die verschiedenen Etappen der Nach der Festlegung der Grundidee folgte Produktion reserviert (diese Zeiteintei- zunächst ein gemeinsames Brainstor- lung konnte bei Bedarf variiert werden). ming, um herauszufinden, welche Inhalte Das Medium Radio bietet vielfältige Ge- überhaupt unter das gewählte Dach pas- staltungsmöglichkeiten. Für das Projekt sen könnten. Aus dem gesammelten Ma- an der Ritsumeikan-Universität bot sich terial suchten sich die Studierenden dann die Form eines Magazins an, da es sich ein Thema aus. Die Manuskripte der ein- aus einzelnen Bausteinen zusammen- zelnen Stücke sollten etwa 4–5 Minuten setzt. Außerdem muß die thematische gesprochenen Textes enthalten (was bei 2/ Verbindung dieser Bausteine nicht unbe- 3 Seitenbreite und doppeltem Zeilenab- dingt stringent sein und die lockere stand etwa zwei DIN A4-Seiten ent- Struktur garantiert Abwechslung und spricht). Es ging außerdem nicht um die Farbe. Die einzige Grundvoraussetzung Demonstration literarischer Fähigkeiten, bestand darin, daß es sich um eine Sen- sondern um die Erstellung eines präzisen, dung für ein deutsches Zielpublikum leicht zu handhabenden Gebrauchstextes. handeln sollte. In einer längeren Diskus- Die Studierenden sollten die Manuskripte sion mit der Klasse wurde die Idee eines also schon bei der Erstellung auf eine Infomagazins entwickelt, in dem die ja- leichte Lesbarkeit hin überprüfen, sie soll- panischen Studierenden deutschen Hö- ten sich in Sprachform und -struktur nicht rern über ihr Land erzählen. Diese Wahl am Schriftdeutsch orientieren, sondern im erwies sich als sehr vorteilhaft, denn sie Hinblick auf gesprochenes Deutsch for- ließ den Studierenden bei der Themen- mulieren. Dies erleichterte die spätere wahl vollkommen freie Hand und si- Umsetzung im Studio erheblich. cherte inhaltliche und formale Vielfalt. Nach Erstellung der Manuskripte wurden Die Tatsache, daß die Studierenden be- diese vervielfältigt und an alle Beteiligten wußt für eine konkrete deutschsprachige ausgehändigt, so daß jeder alle Texte ein- Hörerschaft produzierten, gab ihren Bei- sehen konnte. Aus jedem Beitrag wählte trägen eine hohe Zielgerichtetheit und Re- ich einige exemplarische grammatische levanz, verlieh ihnen Authentizität und und lexikalische Fehler aus und korri- Frische und machte sie auch im Hinblick gierte sie mit der gesamten Klasse. Dies auf interkulturelle Aspekte interessant. half den Eindruck zu vermeiden, daß ein- Denn hier ging es darum, Menschen aus zelne schwächere Teilnehmer mit ihren 430

Fehlern ›vorgeführt‹ werden sollten. Na- die konkrete Bewußtmachung dieses Pro- türlich sind in einem solchen Verfahren zesses, welche noch einmal die Notwen- nicht alle Korrekturen durchführbar, da- digkeit eines intensiven phonetischen her beschränkte ich mich im Unterricht Trainings verdeutlichte und motivations- auf ausgewählte, für alle relevante Fehler- fördernd wirkte. typen und nahm weitere notwendige Kor- Die Arbeit an exemplarischen Ausspra- rekturen zu Hause vor. Neben Problemen chefehlern der Studenten ist immer ein der Grammatik und Lexik ging es in die- sensibler Punkt des Phonetikunterrichts, ser Projektphase vor allem darum, die da japanische Studierende oft eine ge- einzelnen Manuskripte auf inhaltliche wisse Scheu davor haben, sich zu produ- Kongruenz hin zu überprüfen. An einigen zieren und mit einer fehlerhaften Aus- Beispielen demonstrierte ich, wie leicht sprache vor der Klasse zu blamieren. unsichere Formulierungen beim Hörer zu Insofern ist ein ausgewogenes Verhältnis inhaltlichen Mißverständnissen führen zwischen Übungen, die alle betreffen, können und sich dann das, was gesagt und individuellen Aussprachekorrektu- werden wollte, falsch oder nur bruch- ren notwendig, um etwa vorhandene stückhaft vermitteln ließ. Sprechhemmungen zu mindern. Glückli- Daß eine gute Aussprache bei einem der- cherweise traten diesbezüglich keine Pro- artigen Projekt von größter Wichtigkeit ist, bleme auf, da sich die Klasse seit länge- brauchte den Studierenden nicht beson- rem kannte und eine sehr partnerschaftli- ders erklärt zu werden. Im allgemeinen che Atmosphäre herrschte. Allen stand neigen Deutsche im Gespräch mit Auslän- zudem die Notwendigkeit des Unterfan- dern dazu, lexikalische Fehler zu ent- gens klar vor Augen. schuldigen, solange Sprachrhythmus und Die Sprachaufnahmen im Tonstudio der -melodie stimmen. Fehlerhafte Betonung Ritsumeikan-Universität stellten für alle und falsch gesetzte Akzente dagegen ru- Studierenden eine völlig neue Herausfor- fen selbst bei perfekter Lexik den Ein- derung dar. Bisher hatte niemand eine druck hervor, daß der andere ›kein richti- derartige Erfahrung gemacht und der ges Deutsch‹ könne. Das Augenmerk der Wechsel vom Klassenzimmer in die pro- nächsten Phase lag daher vor allem auf fessionelle Studioatmosphäre gab den einem soliden Aussprachetraining. Da ich Studierenden das Gefühl: ›Jetzt wird es mit dieser Klasse seit dem ersten Semester ernst‹. Einen selbstgeschriebenen Text in auch Phonetikeinheiten im Unterricht einer anderen Sprache in einem Studio durchgeführt hatte, war ihnen das Muster vorzulesen, ist eine nicht einfache Auf- vertraut. Diesmal ging es allerdings nicht gabe, da beim Lerner nun – anders als um einen ›nur‹ unterrichtsrelevanten Text, beim Hören, stillen Lesen und freien sondern darum, einen selbstgeschriebe- Sprechen – gleichzeitig verschiedene Fä- nen Inhalt sprachlich so zu meistern, daß higkeiten gefordert sind: die Entschlüsse- er einem Publikum präsentiert werden lung von Wörtern einer fremden Sprache könnte. Dadurch wurde den Lernenden mit ihren schwierigen Buchstaben-Laut- die Bedeutung einer korrekten Ausspra- kombinationen und ihre sprachliche Um- che noch einmal eindringlich vor Augen setzung. Dabei können die andersartigen geführt. Es ist eine Binsenweisheit, daß die Akzentsetzungen, Melodien und der Aufmerksamkeit und Bereitschaft zum noch nicht verinnerlichte fremde Sprach- Zuhören nachläßt, wenn man den Spre- rhythmus zu erheblichen Stolpersteinen chenden nicht versteht. Im Zusammen- werden. Dies alles vor einem unerbittli- hang mit dem Radioprojekt war es gerade chen Mikrofon und einem nicht weniger 431 unerbittlichen Aufnahmeleiter, denn mit beitssitzungen in mein eigenes Studio ein. der sprachlichen Verständlichkeit stand Die ›Regisseure‹ brachten Musik und Vor- oder fiel nicht zuletzt die Qualität jedes schläge mit, die wir in spannender Klein- einzelnen Beitrages. arbeit umsetzten. Manche hatten präzise Um zu vermeiden, daß bei den Wartenden Konzepte entwickelt, die bis auf sekun- Langeweile auftrat und das ›Sich-vor-der- dengenaue Einsätze geplant waren, an- Gruppe-Abmühen‹ eine Beeinträchtigung dere kamen mit eher vagen Umsetzungs- bilden konnte, kamen die Studierenden ideen. Hier waren Hilfestellungen gefragt, einzeln zu den Aufnahmeterminen. So die ihnen aber alle Entscheidungsfreiheit gab es genug Zeit und Ruhe, die Texte in ließen, denn alle sollten sich schließlich abgeschirmter Atmosphäre aufzunehmen mit ihren Stücken identifizieren können. und dabei noch einmal ausführlich aus- Vielleicht war es das Erlebnis quasi-pro- sprachetechnische Probleme anzugehen. fessioneller Arbeit, vielleicht war es auch Aus diesem Grund mußten die Aufnah- die überraschende Erfahrung, zu erleben, men in der unterrichtsfreien Zeit stattfin- wie die eigene Stimme, die man anfangs den, doch die Studierenden fanden das nur höchst ungern hört, plötzlich klingen Projekt so attraktiv, daß sie ohne weiteres kann, wenn sie in einen Zusammenhang bereit waren, Freizeit dafür zu opfern. mit Musik gestellt und arrangiert wird. Der eigentliche Schritt vom Manuskript Die Studierenden jedenfalls waren mit zu einem sendefähigen Radiobeitrag voll- einer Intensität bei der Arbeit, die ich zieht sich bei der Endabmischung im Stu- vorher nur selten festgestellt hatte. dio, dann, wenn Einsatz und Verhältnis Endprodukt der Arbeit war ein 40-minüti- der einzelnen Elemente (Sprache, Musik, ges Radiomagazin mit dem Titel ›Nippo- Geräusche) festgelegt und bearbeitet wer- nia Nippon‹ (Ibis). Den Titel hatten die den. Während des gesamten Projekts hatte Studierenden gewählt, da während der ich im Unterricht unterschiedlichste Hör- Projekarbeit ein Ibis eine bedeutende Rolle beispiele deutscher Radioproduktionen in den japanischen Medien gespielt hatte. vorgespielt, ihre Struktur analysiert und ›Nipponia Nippon‹ wurde eine bunte und ›Regiepartituren‹ vorgestellt. Außerdem überraschend witzige Mischung aus Bei- waren die Studierenden aufgefordert, be- trägen u. a. über Eßstäbchen, neueste japa- wußt Radio zu hören und dabei genau auf nische Popmusik, das Problem einer al- die formelle Umsetzung der Inhalte zu ternden Gesellschaft, einem Miniportrait achten. Sie sollten Sprechhaltungen analy- der Stadt Kyoto und einem in Deutsch- sieren und beurteilen, welche Funktion land sicherlich nicht unbedingt auf Zu- dem Einsatz von Musik und Geräusch stimmung stoßenden Text über die Quali- zukommt (Betonung, Akzentuierung, tät von Walfischfleisch. Trennung verschiedener Inhalte etc.). Da- Das Projekt ›Radio im Deutschunterricht‹ von ausgehend sollten sie sich Gedanken erwies sich unter vielerlei Gesichtspunk- über die tatsächliche Gestaltung ihrer Bei- ten als sehr attraktiv und lehrreich (so- träge machen, überlegen, ob, wie und wo wohl für die Studierenden als auch für sie Musik oder Geräusche verwenden mich). Zum einen ließen sich im Rahmen wollten und ein Regiekonzept entwerfen. des gesteckten Zieles Lernprozesse auf Die Endabmischung ihrer Beiträge war verschiedenen Stufen mühelos koordi- der für die Studierenden aufregendste Teil nieren. Den einzelnen Unterrichtsbau- des Projektes. Da an der Universität keine steinen Textarbeit, Grammatik und Pho- ausreichenden studiotechnischen Anla- netik waren Plätze in einem sinnvollen gen vorhanden waren, lud ich sie zu Ar- Ganzen zugewiesen und das praktische 432

Zusammenwirken der einzelnen Ele- Erfahrung, daß Fehler keine gravierende mente konnte im konkreten Zusammen- Rolle spielen, sondern eine Stufe auf dem hang von allen Beteiligten unmittelbar Weg des Lernens darstellen, welche zu- nachvollzogen werden. dem mit Hilfe der Studiotechnik ohne Zum anderen arbeiteten die Studierenden weiteres korrigiert werden konnten. Im mit selbstgewählten Themen und waren Nachhinein zeigte sich deutlich, in welch von Anfang bis Ende mit ihren eigenen hohem Maße die ausführliche Phonetik- Vorstellungen und Wünschen maßgeblich arbeit die Aufmerksamkeit der Studie- an der endgültigen Gestaltung des Pro- renden bezüglich ihrer Aussprache sensi- duktes beteiligt. Daß ihre Phantasie ge- bilisiert hatte. Zwar geschahen keine fragt war und sie mitverfolgen konnten, Wunder, aber bei jedem einzelnen ließen wie sie bisher Gelerntes praktisch verwen- sich z. T. überraschende individuelle den konnten, um ihre Vorstellung in die Fortschritte feststellen. Wirklichkeit umzusetzen, steigerte ihre Für mich als Lehrer war es außerordent- Motivation erheblich. Sie erlebten Deutsch lich interessant zu verfolgen, wie sich die einmal nicht als ›Selbstzweck‹, sondern in anfängliche Zurückhaltung – die Studie- einem Zusammenhang, in dem hohe oder renden konnten natürlich nicht wissen, niedrige Sprachkompetenz keine Rolle was da genau auf sie zukam, und ein spielte, sondern jeder einen erfolgreichen paar schwächer Motivierte quittierten Beitrag leisten konnte. gleich bei Projektankündigung den Un- Durch die Einordnung in den Kontext terricht, da sie lästige Mehrarbeit witter- ›Radio‹ verschoben sich die Wertigkeiten. ten – in zunehmendes Interesse und in Selbstverständlich stellte der inhaltsbezo- Begeisterung wandelte, als das Radioma- gene Text das wichtigste Element der Bei- gazin dann schließlich als CD vorlag. Ich träge dar. Daneben jedoch spielte die Um- erlebte die Studierenden (und sie mich) setzung dessen, was da mitzuteilen war, in einem neuen, mit viel Spaß verbunde- eine ganz entscheidende Rolle. Der lange nen Arbeitszusammenhang, ein Prozeß, und ausführliche Text war nicht unbe- der sich positiv auf die spätere Unter- dingt besser als der kurze und pointierte. richtsatmosphäre auswirkte. Bezeichnend hierfür war eine Studentin, die sich bisher im Unterricht äußerst zu- Literatur rückhaltend gezeigt hatte und der es nicht Alsop, T. W.: »Planning a radio broadcast – leicht fiel, ihre Scheu vor dem Sprechen zu an opportunity to increase interest in überwinden. Sie konnte durch das Projekt foreign language courses«, Foreign Lan- so motiviert werden, daß sie einen guten guage Annals 17, 3 (1984), 191–194. Beitrag lieferte, der sich gerade durch Bartolomé, Petra; Zschachlitz, Ralph: »Ra- seine Einfachheit auszeichnete. dioarbeit im DaF-Unterricht in Frank- reich«, Info DaF 15 (1988), 324–334. Das ›Eigene‹ der Arbeit wurde durch den Schlemminger, Gerhard: »Radio selber ma- Einsatz von Musik noch verstärkt. Zu- chen – in der Fremdsprache! Anregungen meist brachten die Studierenden CD’s und Erfahrungen mit Deutschsendungen mit, die sie selbst gerne hören. Ihre auf ›Freien Radios‹ in Frankreich«, Neu- Stimme nun eingebettet in eine ange- sprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft nehme und vertraute Akustik zu erleben, und Praxis 39 (1986), 91–94. stellte für alle ein sinnliches Erlebnis mit Vick, Eileen; Jung, Udo O. H.: »You’re tuned in to Eszett radio: Phone-In-Sendungen überraschender Qualität dar – man im Fremdsprachenunterricht«, Der konnte sich mit der eigenen Stimme an- Fremdsprachliche Unterricht – Englisch 27, 4 freunden. Hinzu kam noch die konkrete (1993), 46–48. 433

Zur Verwendung humoristischen Materials im DaF-Unterricht

Peter Hohenhaus

1. Vorbemerkung »Daß Engländer Humor haben und Deut- »Du bist aber mutig!« so sagte mir der sche keinen, halten erstere für ein Naturge- setz und letztere für so schwer widerlegbar, damalige Leiter des Goethe-Instituts in daß sie nur selten den Versuch machen, sich York, mit dem zusammen die Sprachen- gegen den Vorwurf zu wehren.« abteilung meiner Universität einen ›Sixth Darum also wurde mein Versuch, in dem Form Day‹ zur Werbung von zukünfti- Vortrag, auf den ich mich eingangs bezo- gen Studierenden von Deutsch organi- gen habe, tatsächlich Beispiele deutschen sierte, auf meine Ankündigung hin, daß humoristischen Materials vorzustellen ich meinen Vortrag gerne zum Thema und somit, zumindest auch, einen Nach- ›Deutscher Humor‹ halten wollte. Diese weis der Existenz deutschen Humors zu Nominalphrase, oder jegliche Kombina- wagen, von einem anderen Deutschen im tion der Wörter deutsch und Humor, für Vorfelde als »mutig« aufgefaßt. Ein sol- einen Widerspruch in sich zu halten, ches Unterfangen scheint von vornherein dürfte in der Tat dasjenige der vielen zum Scheitern verurteilt angesichts der Stereotype über Deutsche sein, an dem Mauer, auf die es trifft – einer Mauer in Briten am unerschütterlichsten festhal- 1 Form eben jenes Stereotyps, alle Deut- ten. Es ist mir mehrfach passiert, daß schen hätten keinen Sinn für Humor. selbst britische Deutschland-Kenner, die (Nebenbei sei angemerkt, daß es dennoch konkrete Fälle deutschen Humors, etwa weitgehend gut funktioniert hat: es in der Literatur, durchaus schätzen, den- wurde tatsächlich sogar gelacht.) noch nicht umhin können, immer wieder Dabei wäre eine tatsächliche Nicht-Exi- auf dieses Stereotyp zurückzufallen. Es stenz jeglichen Sinns für Humor ein hat quasi den Charakter einer automati- höchst merkwürdiger Defekt, muß Hu- sierten Reaktion, sobald der »Schlüssel- mor doch als universales Merkmal des reiz« gegeben ist. Mensch-Seins gelten. Raskin (1985: 2 f.) Folglich vermeiden die meisten Deut- spricht in diesem Zusammenhang in schen im Umgang mit Briten letztlich Analogie zur universalen Sprachkompe- jegliche Bezugnahme auf das Thema. tenz von einer »humor competence«. In- Dieser Zustand läßt sich kaum pointier- sofern müßte ein Nachweis der Existenz ter in Worte fassen als in folgender (Ein- auch deutschen Humors eigentlich unnö- gangs-)Bemerkung von Hans-Dieter Gel- tig sein. Alle Menschen verfügen grund- fert (1998: 7): sätzlich über Humor.

1 mitunter sogar gegen besseres Wissen.

Info DaF 27, 4 (2000), 433–448 434

Es mag verschiedene kulturelle Unter- stimmten an sich von Humor unabhängi- schiede geben, etwa bezüglich der Art, gen Aspekten von Sprache, hier des der Frequenz bzw. der Situations- und Deutschen (als Fremdsprache). Kontextgebundenheit, also, mit Raskins Dem liegt natürlich die Hypothese zu- Worten (1985: 3), Unterschiede in der grunde, daß eine solche Anwendung von »humor performance«, nicht aber der Humor dem didaktischen Zweck dien- »humor competence«. Und es sind frag- lich sein kann. Daß dem tatsächlich so ist, los solche Unterschiede, die dem be- ist immer wieder, und verstärkt in jünge- schriebenen Stereotyp letzten Endes zu- rer Zeit, dargelegt worden. So geht etwa grundeliegen. Doch darauf kann und soll Ziv (1988) auch der Frage eines empiri- hier nicht näher eingegangen werden. schen Nachweises von Lernerfolgen Ebensowenig soll im Rahmen dieses Arti- durch die Verwendung von Humor nach kels der Nachweis der Existenz deut- und kommt zu statistisch signifikant po- schen Humors an sich geführt werden: sitiven Resultaten. Die dabei untersuch- sie wird im folgenden schlicht vorausge- ten (höchst eindrucksvollen, unmittelbar setzt. Wenn Teile des Textes, d. h. beson- überzeugenden) Anwendungen stamm- ders die herangezogenen Beispiele, den ten jedoch nicht aus dem Bereich des Leser zum Lachen reizen sollten, so wäre Fremdsprachenunterrichts. Darauf rich- das zwar ein durchaus willkommener tet z. B. Deneire (1995) sein spezielles Nebeneffekt, wichtig oder gar ausschlag- Augenmerk. Sein Aufsatz ist jedoch eher gebend ist das jedoch nicht. Auch die programmatisch. Er legt vor allem dar, Frage der (wie auch immer zu bestim- welche Arten von Humor nicht geeignet menden) Qualität des verwendeten Ma- sind (siehe unten). Tatsächlich funktio- terials soll hier bewußt offengelassen nierende, nützliche Anwendungen de- werden. Nur so viel: Tatsächlich eignen monstriert er aber kaum. Zudem ist die sich einfache Beispiele, die wenig an- Arbeit linguistisch und humor-theore- spruchsvoll, subtil oder komplex und in- tisch nicht immer ganz korrekt.1 sofern von minderer Qualität sind, oft Ein besonders starkes grundsätzliches besser zu Demonstrationszwecken als Plädoyer für die Verwendung von hu- »humor-künstlerisch wertvollere« (vgl. morvollem Material im Sprachunterricht auch Raskin 1985: XVf.). Im Vordergrund macht Crystal (1998), der gar eine stehen soll vielmehr die Anwendung sol- »applied ludic linguistics« (1998: 218) for- chen Materials zur Vermittlung von be- dert.2 Dem soll hier in ausgewählten Be-

1 Einige weitere Beispiele sind: Droz/Ellis (1996), Loomis/Kolberg (1993), Stopsky (1992) (alle rezensiert in Morreall 1998). Siehe auch die in Crystal (1998) angegebene Literatur. Ein etwas älteres, aber ungewöhnlich reich mit Material illustriertes Beispiel ist der Aufsatz von Ulrich (1976), der die Verwendung von Humor in einem spezifischen Gebiet der deutschen Wortbildung vorführt. 2 Im Hinblick auf die Vermittlung von Linguistik als solche ist dies schon gelegentlich versucht worden. Beispiele: In einem der, möglicherweise nicht zuletzt deshalb, verbreitetsten Einführungswerke, Fromkin/Rodman (1983), sind zumindest diverse Comics und Cartoons zur Verdeutlichung verschiedenster Aspekte eingestreut. Geziel- ter wird Humor in dem Einführungsband von Welte (1995) einbezogen. Pinker (1994) vermittelt in seiner etwas populärwissenschaftlicheren, aber absolut herausragenden Einführung in die (Psycho-) Linguistik diverse linguistische Einsichten anhand von komischem Material. Nilsen/Nilsen (1978) stützen ihr Einführungswerk in die Lingui- stik durchgehend auf sprachspielerische und humorvolle Daten. 435 reichen sprachlicher Phänomene und vorgegebenen Auswahl von vier Mög- speziell für den DaF-Unterricht an briti- lichkeiten die richtige deutsche Entspre- schen Hochschulen entsprochen werden. chung gefunden werden. Beispiele:

2. Anwendungen (1) (the coast is clear) Im Rahmen dieses Aufsatzes lassen sich a) die Küste ist klar. Möglichkeiten nur skizzenhaft illustrie- b) die Ufer sind sauber. ren, doch diese sind vor allen Dingen als  c) die Luft ist rein. Anregung gedacht, gelegentlich auch im d) das Feld ist weit. DaF-Unterricht auf britischem Boden den Einsatz von Humor zu wagen. Die vorge- (2) (carry coals to Newcastle) führten Ansätze sollten sich im allgemei- a) Kohlen nach Bochum tragen. nen gut zur individuellen Fortführung b) Bonzen nach Berlin bringen. 1 eignen. Im folgenden werden die An- c) Ameisen in den Wald bringen. wendungen unterteilt nach der linguisti-  d) Eulen nach Athen tragen. schen Ebene, auf der sie in erster Linie funktionieren. Komik ergibt sich hierbei freilich nur durch Fehler, auch die nur potentiellen, 2.1 Phraseologie insbesondere bei wörtlichen Übertragun- Dieser Bereich der Fremdsprache gilt (zu gen. Andererseits gibt es den Überra- Recht) als besonders diffizil, macht aber schungseffekt in Fällen, wo letzteres doch erfahrungsgemäß auch gerade deshalb zur richtigen Lösung führt (siehe unten). fortgeschrittenen Lernern Spaß. Das läßt Das aber demonstriert gleichzeitig das sich für den Unterricht nutzbringend an- Wesen der Idiomatik, die Nicht-Moti- wenden, wenn man spielerische Ele- viertheit und daher Nicht-Vorhersagbar- mente einbezieht, einschließlich gezielter keit phraseologischer Ausdrücke – und formaler Abweichungen von den Phra- ebenso die Variationsbreite der Sprach- seologismen selbst – wie in 2./3. demon- kontraste, von absolut parallel (z. B. to striert als Techniken zur Erzeugung von drink somebody under the table = jemanden Humor. unter den Tisch trinken), über feine aber entscheidende Unterschiede (z. B. cast 2.1.1 Ein phraseologisches »Quiz« pearls before swine = Perlen vor die Säue Eine rein spielerische Erarbeitung idio- werfen, ? Perlen vor Schweine/Säue werfen) matischen Wissens stellt z. B. eine Übung bis hin zu vollkommener Verschiedenheit in Form eines idiomatischen »Quiz« dar.2 (z. B. in for a penny, in for a pound = wer A Hierbei soll nach dem Muster einer ›mul- sagt, muß auch B sagen), wobei man mitun- tiple-choice‹-Aufgabe zu einem engli- ter auch nicht mehr zu absolut genauen schen Phraseologismus jeweils aus einer Übersetzungsäquivalenten kommt.

1 Im übrigen sei hier noch einmal auf die umfangreichere didaktisierte Materialsammlung in dem ›AG-Humor-Reader‹ hingewiesen, der in Vorbereitung ist und der als DAAD- Eigenproduktion erscheinen wird. (Der Reader ist primär für die DAAD-Lektoren in Großbritannien und Irland gedacht, sollte aber auf spezielle Anfrage hin in beschränk- tem Umfang beim DAAD erhältlich sein.) 2 Angelehnt an eine entsprechende Übung mit englischen Phraseologismen in Welte (1990: 44ff.). 436

2.1.2 Phraseologische Anspielungen in Car- denen der eine zu dem anderen sagt: »Ich toons kannte ihn noch als Mücke!« Wahrschein- Eine möglicherweise noch deutlichere lich werden auch viele fortgeschrittenere Sensibilisierung für eben diese Natur der Lerner diesen Kalauer nicht ohne weite- Idiomatik in sprachkontrastiver Hinsicht res sofort begreifen, da hier nur eine kann mit auf Phraseologismen bezoge- Anspielung auf ein ›idiom‹ vorliegt, des- nen Cartoons erreicht werden. Zwei Bei- sen Kenntnis Voraussetzung ist. Hier spiele sollen hier genügen.1 muß also das volle ›idiom‹ aus einer In dem ersten ist ein Betriebsgelände Mücke einen Elefanten machen nebst seiner abgebildet, mit dem Namen des Betriebs englischen Entsprechung to make a moun- »Spedition Nagel« auf einem Gebäude tain out of a molehill erst expliziert werden. im Hintergrund. Im Vordergrund sieht (Die Verknüpfung mit diesem Cartoon man einen Gabelstapler, der eine große mag dann aber auch als mnemotechni- Transportkiste befördert. Davor liegt ein sche Stütze zum Behalten dieser äquiva- Mann im Anzug am Boden. Ein daneben lenten Phraseologismen dienen.) Die stehender Arbeiter im Blaumann sagt zu Grenzen der Übersetzbarkeit zeigen sich dem Gabelstaplerfahrer: »Du hast den an diesem Cartoon natürlich auch beson- Nagel auf den Kopf getroffen«. Da es das ders klar. Ins Englische übertragbar unter hier umzudeutende ›idiom‹ auch im Eng- Anwendung des gleichen Prinzips wäre lischen gibt, ganz parallel to hit the nail on er nur, wenn eine völlig andere Zeich- the head, dürfte dieser (schlichte) Witz nung das angedeutete ›Idiom‹ begleiten sogar weniger fortgeschrittenen Lernern würde. Die Figuren könnten einen Berg relativ leicht verständlich sein. Es ist je- betrachten und z. B. räsonieren: »I re- doch darauf hinzuweisen, daß er den- member when it was a molehill …«. noch nicht ins Englische übertragbar wäre, weil dem v. a. ein grammatisches 2.1.3 Manipulierte Phraseologismen in Graf- Detail im Wege stünde: Während man im fiti, Überschriften etc. Deutschen umgangssprachlich (beson- Eine aufwendigere und anspruchsvollere ders in süddeutschen Mundarten) Eigen- Übung ist die, die eine spezielle Art des namen mit definitem Artikel verwenden Sprachspiels, und zwar okkasionell ab- kann, besteht dieselbe Option im Engli- weichende Phraseologismen, heranzieht. schen nicht. Darum würde die im deut- Dieses Sprachspiel ist besonders bei der schen Cartoon hervorgebrachte Ambi- britischen Presse beliebt, kommt aber guität (die die Grundlage des Witzes ist – auch universal z. B. in Graffiti oft vor. siehe unten Abschnitt 3) in einer entspre- Gerade weil dies in Großbritannien po- chenden englischen Version nicht entste- pulär ist, können entsprechende Bei- hen. Zudem wäre Nail (auch noch anders spiele didaktisch gut ausgenutzt werden. als das Gattungsnomen natürlich groß zu Dabei geht es nicht nur um die Festigung schreiben) nicht ein ähnlich verbreiteter phraseologischen Wissens, sondern auch Nachname wie Nagel im Deutschen. um erhöhtes Sprachbewußtsein allge- Im zweiten Cartoon ist ein Elefant zu mein und um kontrastive Aspekte im sehen, der an einem Baum vorbeigeht. besonderen. Außerdem können auch die Auf einem Ast sitzen zwei Vögel, von Sprachmanipulationstechniken selbst

1 Beide stammen von Tetsche und erschienen im Stern sowie in der Sammlung Neues aus Kalau. Hamburg: Gruner + Jahr, 2. Auflage, 1979. 437 zum Gegenstand der Betrachtung ge- Englisch (ungefähr): There’s no joy macht werden. Hier zunächst eine kleine without sorrow. Auswahl von Beispielen. Technik: Elision eines Konsonanten und Substitution eines Vokals (3) a) Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg. b) Herr, vergib ihnen nicht, denn sie ad (3 d) wissen genau, was sie tun. Original: Wein, Weib und Gesang c) Wo viel Lid ist, ist auch viel Schat- Englisch: wine, women, and dance ten. Technik: Expansion um eine analoge d) Lieber Wein, Weib und Gesang als Wortfolge, koordiniert mit der ersten Bier, Mann und Gebrüll. in einer Komparationsstruktur e) Was du heut nicht kannst besor- ad (3 e) gen, mußt du dir vom Nachbarn Original: Was du heute kannst besor- borgen. gen, das verschiebe nicht auf mor- In einem ersten Schritt ist von den Studie- gen. renden der deutsche Phraseologismus in Englisch: Don’t put off till tomorrow Originalform zu identifizieren. Dieser ist what you can do today. dann, soweit möglich, seinem Äquivalent Technik: Permutation (von nicht) und im Englischen gegenüberzustellen. An- extensive Substitution in der zweiten schließend ist auch die in den o. a. Hälfte des Sprichwortes, wobei aber Sprachspielen jeweils verwendete lingui- der Reim erhalten bleibt stische Technik der Manipulation zu ex- Darüber hinaus kann auch geprüft wer- plizieren. Das sollte in etwa folgendes den, inwieweit die jeweilige Manipula- ergeben: tion auch ins Englische übertragbar ist, ad (3 a) wodurch der Übung ein interessanter Original: Wo ein Wille ist, ist auch ein übersetzungstechnischer Aspekt zuge- Weg. fügt wird, der u. U. viel Kreativität ver- Englisch: Where there is a will, there’s a langt. Außerdem werden Grenzen der way. interlingualen Übertragbarkeit dabei er- kennbar. Technik: Substitution eines Phonems/ Für (3 a) ist rein technisch gesehen völlige zweier Buchstaben, um zu einem an- Übertragbarkeit gegeben: Where there is a deren, ähnlich lautenden Wort zu villa, there’s a way. Jedoch kommt, anders kommen. Zusätzlich auch Genusan- als im Deutschen, im Englischen ein pho- passung des Artikels netischer Unterschied hinzu, nämlich der ad (3 b) im Anlaut des manipulierten Wortes zwi- Original: Herr vergib ihnen, denn sie schen /w/ und /v/, dafür bleibt natür- wissen nicht, was sie tun. lich (mangels Genus) der Artikel unbe- Englisch: Forgive them, Father, for they rührt. Bedeutsamer ist aber sicher, daß know not what they do. die Lexeme Weg und way keineswegs Technik: Permutation (von nicht) und deckungsgleich sind – letzteres wird im Insertion (von genau) Englischen (als Simplex) nur viel einge- schränkter als Konkretum verwendet. ad (3 c) Darum wäre in der Übertragung ins Eng- Original: Wo viel Licht ist, ist auch viel lische möglicherweise eine Erweiterung Schatten. zu drive-way zu überlegen. 438

Die Manipulation des Bibelspruches in ad (4 a) (3 b) kann im Englischen exakt nachvoll- Original: Straight out of the frying pan zogen werden: Forgive them not, Father, for into the fire. they know exactly what they do. Deutsch: Vom Regen in die Traufe Bei (3 c) ist keine Übersetzung möglich, kommen. da die jeweiligen Phraseologismen im Technik: Substitution von Phonemen/ Deutschen und Englischen einfach zu Buchstaben verschieden sind. Unter Beibehaltung ad (4 b) der Bedeutung ist darum auch keine di- Original: Too many cooks spoil the rekte Übertragung möglich, es ließe sich broth. 1 allenfalls Analoges denken. Deutsch: Zu viele Köche verderben den Für (3 d) dagegen läßt sich weitgehend Brei. parallel übertragen, etwa: Rather wine, Technik: Insertion von Phonemen/ women and dance then beer, men and tram- Buchstaben pling/violence/shouting. Parallel, d. h. mit gleicher Bedeutung, ins Im Gegensatz dazu ist bei (3 e) wiederum Deutsche übertragbar sind diese Mani- keinerlei parallele Übertragung denkbar. pulationen wohl kaum; doch analoge Auch eine nur analog die deutsche Vor- Techniken erlauben sie durchaus; denk- gabe nachvollziehende Manipulation bar wären etwa: Vom Segeln auf das Tau- dürfte schwer fallen; v. a. da das engli- chen kommen zu (4 a). Oder: Zu viele Köche sche ›idiom‹ keinen Reim enthält. verderben den Preis zu (4 b). Das Format dieses Ansatzes erlaubt fast endlose Erweiterung – wobei erstens 2.2 Register und Varietäten auch komplexere Beispiele einbezogen Für viele Studierende des Deutschen in werden können2, und zweitens auch eng- Großbritannien ist es erfahrungsgemäß lische, also quasi »das gleiche in anderer mitunter überraschend zu erfahren, daß Richtung«. Hier noch zwei Beispiele für das Deutsche ebenso über viele Varietä- letzteres: ten verfügt wie das Englische. Das betrifft insbesondere Dialekte, aber auch andere, (4) a) Straight out of the flying plane into nicht nach regionalen Parametern defi- the foyer. nierte Varietäten. Am vertrautesten sind b) Too many crooks spoil the brothel. die Studierenden mit Registerunterschie-

1 Etwa: There’s no toy/boy without sorrow. Oder, etwas entfernender: There’s no joy within Harrow (o. ä.). 2 Ein besonders komplexes (und darum auch besonders schönes) Beispiel ist folgendes: »›Aller guten Dinge sind drei‹, sagte das vierte Rad am Wagen und ließ die Luft ab«. Hier wird ein ›Wellerismus‹ noch mit zusätzlichen Phraseologismen »gewürzt«, wovon eines seinerseits per Substitution manipuliert ist (das vierte statt das fünfte Rad am Wagen). Dieses Beispiel erschien im Stern Nr. 38 (13.9.1973) und ist hier, so wie die folgenden zwei englischen Beispiele, Welte (1990: 210, 216) entnommen. Außer in Graffiti (und Sammlungen solcher in Buchform) kommen manipulierte Phraseologismen natürlich auch in professioneller Humoristik vor. So enthält z. B. Otto Waalkes’ Das zweite Buch Otto (Hamburg: Heyne, 1984) einen mit »aller Unfug ist schwer« überschriebenen Abschnitt (165–182), in dem einfache Phraseologismen-Manipulationen von Zeichnun- gen begleitet sind, die diese interpretierend darstellen – dies ist somit vielleicht für weniger fortgeschrittene Lerner etwas leichter verständlich. 439 den, zumindest sind sie sich in aller Regel Doch warum genau ist (5 b) unangemes- deren Existenz bewußt. Ähnliches gilt sen und darum in diesem Kontext ko- mit Einschränkungen auch für den (mit misch? Folgende sprachliche Merkmale Registern teilweise überlappenden) Un- ließen sich explizieren: terschied zwischen geschriebener und – Interjektionen wie Hey, Mann, wow, ey gesprochener Sprache. Insofern bietet es – die Gradadverbien echt und voll sich an, in Unterrichtseinheiten zu Varie- täten in diesem Bereich zu beginnen. – Vokabeln wie Fraß (für Essen), spitzen- mäßig (für gut bzw. ausgezeichnet), Ge- Eine Möglichkeit, das Bewußtsein für söff (für Getränk, Wein), und vor allem entsprechende Kontraste zwischen Varie- geil (für gut)1 täten zu schärfen, ist es, Fehler in der Registerwahl zu demonstrieren. Dazu Gerade die letztgenannte Vokabel geil kann wiederum das begleitende komi- sollte man hier besonders herausstellen, sche Element, das solche Kommunikati- da sie geradezu Generationen trennt, onsfehler bewirken, beitragen (solange auch wenn sie heutzutage nicht mehr nur man nicht selbst die Peinlichkeit dabei allein der ›Jugendsprache‹ zuzuordnen direkt erlebt). Betrachten wir die Unter- ist. Doch für ältere Menschen hat dieses schiede zwischen folgenden drei (kon- Wort schließlich noch seine ältere, engere struierten) Äußerungen – sie sollten kon- Bedeutung (engl. horny), die als sexuelle textualisiert sein mit »nach einem Essen Vokabel in dieser Altersgruppe eben in einem feinen Restaurant«: auch ein Tabu-Wort ist. Interessanter- weise hatte das Wort vor noch sehr viel (5) a) Vielen Dank. Das Essen war ausge- längerer, altgermanischer Zeit ursprüng- zeichnet und auch der Wein war lich eine ähnlich unschuldig neutrale Be- ganz hervorragend. Wir kommen deutung, die sich erst im Laufe der Zeit bestimmt einmal wieder hierher. auf die sexuelle Bedeutung verengte – b) Hey, Mann! Ich muss schon sagen. insofern hat hier quasi ein sprachhistori- Wow! Der Fraß hier – echt ober- scher Kreislauf stattgefunden (cf. Gut- spitzenmäßig. Und das rote Gesöff knecht 1996: 18 f.). hier, voll geiles Zeug, ey. In diesen Bei Variante (5 c) sind dagegen eher fol- Laden fallen wir garantiert mal gende linguistische Merkmale ausschlag- wieder ein. gebend für die übertriebene Blumigkeit c) Ergebensten Dank. Die Speisen ha- und damit ebenfalls Unangemessenheit ben auf das Außerordentlichste ge- in dem gegebenen Kontext: mundet; der edle Rebensaft dazu – stilistisch extrem gehobene Ausdrücke war von gar betörender Qualität. wie Speise (für Essen), munden (für Diese Stätte kulinarischer Hochge- schmecken), beehren, etc., Stätte + Geni- nüsse werden wir bei Gott dereinst tivattribut, oder auch die Floskel bei wieder beehren. Gott Es ist unschwer zu erkennen, daß natür- – Archaismen wie ergebensten Dank, edler lich (5 a) die neutral höfliche Variante ist, Rebensaft oder betörend die am angemessensten ist, während (5 b) – Verwendung von gar als Gradadverb »Slang« und (5 c) stilistisch »zu hoch« ist. und der Temporaladverbiale dereinst

1 Es findet sich in: Peter Gaymann: Hühner auf Reisen. München: Heyne, 1990 (ohne Seitenzahlen). 440

Zur Verdeutlichung der Wirkung dieser vor 150 Jahren, kann Variante (5 c) durch- Kontraste zwischen (5 a/b/c) kann es aus die angemessenste sein, während (5 zweckdienlich sein, ihnen ungefähre a) womöglich zu neutral wäre und (5 b) Übertragungen ins Englische gegenüber- nicht nur rüde und ordinär, sondern zustellen; etwa: wahrscheinlich sogar restlos unverständ- lich. ad (5 a) Mit Abweichungen von Normen der Re- »Thank you. The food was excellent; gisterwahl, und Varietäten im allgemei- and also the wine was really superb. nen, spielen auch manche Cartoons. We will certainly come back here some Fremdsprachenlernern ohne entspre- time.« chende Kenntnisse von den zugrundelie- ad (5 b) genden Varietäten-Kontrasten bleiben »Hey, man! I must say: Wow! That grub solche Humorformen weitgehend ver- here – really, the dog’s bollocks. And schlossen. Nach einer gewissen Vorarbeit this red plonk – real top stuff, eh. We’ll im Sinne der vorangegangenen Absätze definitely stumble into this joint kann sich der DaF-Unterricht jedoch again.« auch auf dieses Terrain begeben. Ein Bei- spiel1 soll hier genügen: Die Zeichnung ad (5 c) des Cartoons zeigt im Hintergrund einen »Our most profound thanks. The di- griechischen Tempel und im Vorder- shes were of the utmost pleasure to the grund eine Gruppe junger Leute – als palate. The noble juice of the vine was solche gekennzeichnet durch Kleidung, indeed of most tantalizing quality. We Frisuren und Accessoires wie Walkman will by God honour this abode of culi- und ausgefallene Sonnenbrillen. Zu der nary delights with another visit one Gruppe spricht eine Figur, die ein T-Shirt day.« mit der Aufschrift »Geil Tours« trägt, Daß es bei Unterschieden zwischen Va- folgende Worte: rietäten jedoch nicht schlicht um ein (6) »Der Klotz hier ist jedenfalls tierisch »Richtig« oder »Falsch« bzw. »Besser« alt. Die sind damals schon voll auf oder »Schlechter« geht, sondern um solche Fäntäsie-Geschichten abgefah- mehr oder weniger »angemessen«, kann ren: Götter und so! Hängt mal ne dadurch gezeigt werden, daß sich die Stunde hier rum und zieht euch das Angemessenheitsbewertung für (5 a/b/ Ding rein. Ihr trefft mich dann unten c) auf der Stelle verschiebt, wenn man beim Rezina-Freak!« nur die Kontextvorgabe ein wenig abän- dert. Stellt man sich beispielsweise eine Dieses ist insofern abweichend vom nor- Punk-Kneipe vor, dann erscheint auch (5 malerweise zu erwartenden Register b) plötzlich angemessener (sogar mehr (und eben darum komisch), als hier statt als (5 a)). Versetzt man die Szene dagegen der üblichen ›Reiseleitersprache‹2 eine in eine feinere Oberklassen-Gesellschaft extrem kolloquiale Varietät verwendet

1 Es findet sich in: Peter Gaymann: Hühner auf Reisen. München: Heyne, 1990 (ohne Seitenzahlen). 2 Diese wäre eher durch formellen Nominalstil gekennzeichnet; und inhaltlich durch konkrete Fakten wie Bauzeit, Epoche, etc. – statt lediglich »jedenfalls tierisch alt« – sowie durch hochsprachliche Anweisungen wie etwa »Ihre Besichtigungszeit beträgt eine Stunde« – statt »hängt mal ne Stunde hier rum«. 441 wird, die eindeutig als Jugendsprache zu Eine besonders häufige Quelle solcher charakterisieren ist. Dies zeigt sich vor »Unglücksfälle« sind so genannte ›false allem an bestimmten Vokabeln wie Klotz, friends‹, ›falsche Freunde‹. Das sind, sehr rumhängen, auf etwas abfahren, sich etwas allgemein definiert, zweisprachige Le- reinziehen,1 der Verwendung von voll und xempaare, die zwar in ihrer Form iden- tierisch als Gradadverbien, an letztlich tisch oder ähnlich sind, nicht aber in der leeren Füllfloskeln wie jedenfalls und und Bedeutung. so und der vagen Deixis mittels die damals Anstatt solche Paare nur kontextlos in sowie besonders an den Anglizismen Listenform zu exemplifizieren (was na- Freak und Fäntäsie (diese Schreibung von türlich auch sehr wertvoll ist), kann man Fantasy soll vermutlich eine typisch entsprechendes lexikalisches Wissen deutsche Aussprache der Vokale /æ/ auch direkt in der Praxis thematisieren, und /∂/ als /ε/ andeuten). und zwar einmal quasi in der Umkeh- rung des sonst üblichen Korrektheits- 2.3 Lexik: ›Falsche Freunde‹ Prinzips (vgl. Rösler 1994: 137) des Ver- meidens von Fehlern, indem man das Auf Übersetzungspatzern beruhende Fehler-Machen ganz gezielt zur Aufgabe »Stilblüten« erfreuen sich auch bei briti- erhebt: Hier sollen die Studierenden schen Studierenden von Fremdsprachen (möglichst bewußt) in so viele ›false- großer Beliebtheit. Die Ambiguität des friends‹-Fallen gehen, wie sie nur kön- vorangegangenen Satzes ist intendiert. nen. Dazu sollen Sätze wie in den folgen- Zum einen unterlaufen ihnen solche Stil- den Beispielen ins Deutsche übersetzt blüten nicht selten selbst in ihrem werden: Deutsch, zum anderen wird der Genuß der unfreiwilligen Komik, die durch (8) a) This car is in excellent condition. Fehlübersetzungen in ihre englische *Dieses Auto ist in exzellenter Kondi- Muttersprache entstehen kann, in Form tion. von immer wieder erzählten Anekdoten b) She keeps the photographs of her viel und gerne geteilt. Ein Beispiel:2 grandchildren in her briefcase. *Sie hält (hütet) die Fotographen ihrer (7) Paris hotel elevator: »Please leave Großkinder in ihrem Briefkasten. your values at the front desk. If you lose them in your room, we are not Daß diese Übersetzungsergebnisse un- responsible.« freiwillig komisch sind (bzw. in dieser

1 Diese Ausdrücke machen eine Übersetzung des kurzen Textes in (6) zur Herausforde- rung. Während rumhängen noch leicht zu übersetzen wäre, stellen insbesondere Klotz und sich etwas reinziehen wahre Klippen dar. Für letzteres, das im Deutschen umgangs- sprachlich ein ungemein variabler Universalausdruck ist, fehlt eine Entsprechung im Englischen, so daß Wörterbücher all die Verben, für die er stehen kann, separat auflisten, also: read, listen to, watch, und so fort. Mit keinem dieser Verben allein käme man aber in diesem Kontext zu einer sowohl die Vagheit als auch die Stilistik des deutschen Ausdrucks einfangenden Übersetzung. Eine Näherung könnte somit eine Übertragung unter kombinierter Verwendung eines Funktionsverbgefüges zum Ausdruck des rein perzeptiven Teils der Bedeutung von reinziehen sein, wobei in diesem Zusammenhang ›sehen‹ dominieren dürfte, sowie des ebenfalls sehr vagen Partikelverbs to take something in, also etwa: »have a look around to take that thing in«. 2 Dieses erschien in der regelmäßigen »migraine corner« in dem IoL-Journal The Linguist 38, 4 (1999), 100. 442

Übung eben nicht ganz so unfreiwillig), sind dabei falsche Direktübertragung wird sich manchen Studenten in der Re- syntaktischer Muster der Ausgangsspra- gel erst, oder zumindest besser, offenba- che auf die Zielsprache, wörtliche Über- ren, wenn man sie (jetzt wörtlich korrekt) setzung von Phraseologismen und von zurück ins Englische übersetzt: Wortbruchstücken, die durch willkürli- che morphologische Segmentierung ge- ad (8 a) wonnen werden können. Zielsprache soll This car is really physically fit. hier (anders als in der alltäglichen Praxis ad (8 b) des Fremdsprachen-Unterrichts) das She keeps the photographers of her big Englische sein, so daß für die Lerner die children in her mailbox/postbox. Fehler unmittelbar erkennbar sind. Aus Platzgründen hier nur drei aus ihrem Im Anschluß sollte natürlich geklärt wer- Text herausgelöste Ausschnitte als Bei- den, wie es denn richtig gewesen wäre. spiele: Für die hier verwendeten Beispiele also folgendermaßen: (9) a) »I overlaid not long, while I yes now a leadershine have, and ad (8 a)’ mounted in.« Dieses Auto ist in tadellosem Zustand. b) »I did the first gang in«. ad (8 b)’ c) »Me remained the spittle away, Sie bewahrt die Fotos ihrer Enkelkin- that can you me bevoiced believe.« der in ihrer Aktentasche auf. Schon allein, wenn man Studierende sol- Durch dieses Verfahren (das sich quasi ad chen Sprachmutationen (zunächst) kom- infinitum fortführen läßt) macht man sich mentarlos aussetzt, führt das erfahrungs- einerseits den Spaß an solch unfreiwilli- gemäß zu großer Belustigung, die vor gen »Stilblüten« zu Nutze. So kann das allem dann am vergnüglichsten wirkt, Bewußtsein geschärft werden für die wenn sie auf der Entdeckung der zugrun- Notwendigkeit, eigene Übersetzungen deliegenden deutschen Ausdrücke be- stets zu überprüfen, um derartige Fehler ruht. Darum sollte dann unbedingt eine im realen Umgang mit der Sprache zu gezielte, vollständige Analyse und mög- vermeiden. Andererseits umgeht man lichst auch eine Korrekturphase folgen. die Gefahr der Peinlichkeit auf seiten der Zuerst ist zu ergründen, was hinter die- Studierenden, die das Aufzeigen solcher sen Sprachformen steht, also wie sie in Fehler, wenn sie im Ernstfall gemacht (korrektem) Deutsch lauten würden: werden, mit sich bringen kann. Denn hier ad (9 a) sind die Fehler ja nicht echt, sondern Ich überlegte nicht lang, weil ich ja nun künstlich erzeugt und darum auch keine einen Führerschein habe, und stieg ein. Schwäche. ad (9 b) 2.4 Übersetzung: Filserbriefe Ich tat den ersten Gang rein. Weit über das mutwillige Fehlübersetzen ad (9 c) in der vorangegangenen Übung hinaus Mir blieb die Spucke weg, das kannst gehen sog. Filserbriefe, bei denen nicht du mir bestimmt glauben. nur der engere Rahmen spezifischer lexi- kalischer Probleme (›false friends‹) be- Zusätzlich lassen sich verschiedene Tech- troffen ist, sondern verschiedenste Ebe- niken der absichtlichen Fehlübersetzung nen gleichzeitig. Am hervorstechendsten unterscheiden: 443

– wörtliche Übertragung von Phraseolo- ad (9 c)’ gismen in die Zielsprache, in der diese Believe me, at first, it took my breath nicht existieren oder gänzlich andere away. Form hätten. Hier: Mir blieb die Spucke weg  *me remained the spittle away, was 3. Humor als Gegenstand und Bemer- im Englischen eher folgendermaßen kungen zur Humor-Theorie auszudrücken wäre: It took my breath In allen bisher dargelegten Verwendun- away: oder (etwas altmodischer): I was gen von Humor im DaF-Unterricht war flabberghasted; die Funktion des humoristischen Materi- – gezielte Übertragungen zu ›false als im wesentlichen die eines ›Vehikels‹. friends‹, sowohl von Inhaltswörtern Im Blick standen letztlich jeweils andere (hier: Gang  ≠ gang) als auch (wohl Dinge. Und dies funktioniert theoretisch noch effektiver) von Funktionswörtern auch unabhängig davon, ob das Material wie Konjunktionen (hier: weil  selbst tatsächlich als komisch empfunden ≠ while); wird oder nicht (obwohl ersteres gehofft – wörtliche Übersetzung von Wortbe- und als nützlich angesehen wird). standteilen, die entweder auf völlig Doch natürlich kann auch Humor an sich willkürlicher morphologischer Seg- direkter ins Blickfeld gerückt werden. mentierung beruhen oder aber Lexika- Dann steht die Frage im Vordergrund, lisierungsaspekte ignorieren und so die warum ein gegebenes Beispiel komisch Semantik verletzen. Hier: überlegte  ist. Diese Frage rückt jedoch das Ko- über + legte  over + laid  *overlaid; misch-Finden an sich sehr stark in den Führerschein  Führer + Schein, bzw. Mittelpunkt und ist insofern durch das scheinen  leader + shine  *leadershine; eingangs diskutierte negative Stereotyp einsteigen  ein- + (be)steigen  in- + to stark gefährdet. Aber auch hier geht es mount  *mounted in; bestimmt  be- + letztlich weniger darum, einen Pointen- Stimme + -t  be- + voice + -ed  Effekt, sozusagen in »Echtzeit«, wirklich *bevoiced; zu erzeugen, als vielmehr darum, zu er- – Beibehaltung deutscher syntaktischer klären, warum eine bestimmte Form, wie Muster, was vor allem zu falscher etwa der Text eines Witzes, dieses Poten- Wortstellung in der Zielsprache führt – tial hat, d. h. wieso er »funktionieren« hier z. B.: das kannst du mir glauben  kann. *that can you me believe – aber hier sogar Dazu bietet es sich an, auf die m. E. bisher auch zur Fehlverwendung von yes in überzeugendste linguistische Humor- Modalpartikel-Funktion (wie dt. ja), Theorie zurückzugreifen, nämlich Victor die es als Klasse im Englischen über- Raskins (1985) »script-based semantic haupt nicht gibt. theory of humor«. Freilich sollte dies in ›normalem‹ DaF-Unterricht, d. h. ohne Abschließend (und nur optional) kann das Vorhandensein fundierter Linguistik- auch noch eine Korrektur des Englischen Kenntnisse auf seiten der Studierenden, nachgelegt werden, also etwa: in stark vereinfachter und nicht-techni- ad (9 a)’ scher Weise erfolgen. I didn’t think twice about it, as I do Zunächst eine in diesem Sinne sehr grobe have a driving licence now, and got in. Beschreibung der Grundzüge von Ra- skins (1985) Ansatz: Er baut auf eine von ad (9 b)’ ihm zuvor (unabhängig von Humor) ent- I put it/shifted into first gear. wickelte Semantiktheorie auf, in der der 444

Begriff »script« entscheidend ist. Dies ist, wurde, plötzlich nach dem zweiten, ge- vereinfacht ausgedrückt, ein semanti- gensätzlichen Script, quasi rückwirkend sches Netzwerk von Bedeutungs-»Kno- re-interpretiert wird. Betrachten wir die- ten« und Verbindungen dazwischen ses an einem konkreten Beispiel:1 (ähnlich neuronalen Netzen), wobei die »Knoten« einzelne Wörter oder auch ein- (10) Auf dem Friedhof von Kleinwölfe- fache semantische Merkmale sein kön- rode weht ein kalter, grausiger Wind. nen. Das Gesamt-Netzwerk stellt das Le- Die Uhr schlägt Zwölf – es ist Mitter- xikon der Sprache dar. Der entschei- nacht! In der Ferne hört man sphäri- dende Punkt ist, daß komplexe Bedeu- schen Gesang. Schauerlich. Da, tungen als »Domänen« innerhalb dieser plötzlich öffnet sich ein Grab. Und Vernetzung aufgefaßt werden können. noch eins! Heraus steigen zwei blei- Scripts können also nicht nur einfach che Gerippe – und schreiten auf zwei definitorische Wortbedeutungen, son- Motorräder zu, um ihre Todesfahrt dern auch thematisch und dynamisch durch die Nacht zu beginnen. Das sein. In der Sprachverwendung kommen eine Gerippe nimmt noch einen bestimmte Interpretationsprinzipien ins Grabstein und stellt ihn auf das Mo- Spiel, die schließlich für situations- und torrad. Das andere Gerippe fragt: kontextbedingte Interpretationen sorgen. »Was soll das?« – »Ja glaubst du, ich fahr’ ohne Papiere?!?« Bei sprachlichem Humor treten nach Ra- skin (1985) spezielle Interpretationsprin- Zunächst wird v. a. durch die Wörter zipien hinzu, die nur für den ›Humor- Friedhof, Mitternacht, und ganz explizit Modus‹, nicht aber für ›normale‹ Kom- schauerlich, eine »Script-Domäne« evo- munikation gelten. Diese speziellen Prin- ziert, die man grob als ›Gruselge- zipien interpretieren Sprache im Hinblick schichte‹ bezeichnen könnte. Bis zur darauf, was Humor letztlich ausmacht: Pointe ist alles mit diesem Script kom- Der Witz-Text wird quasi doppelt, auf der patibel: Daß Gerippe aus Gräbern stei- Basis zweier verschiedener Scripts inter- gen, auch daß sie auf Motorräder stei- pretiert. Diese Scripts stehen jeweils in gen, wobei dies nun etwas speziellere, irgendeiner Form von Opposition zuein- moderne, etwa in Heavy Metal beliebte ander und überlappen sich teilweise. Das, Horror-Klischees hervorruft. Das Mit- was gemeinhin als Pointe bezeichnet nehmen eines Grabsteins stellt dann wird, heißt bei Raskin dann »script-switch aber schon eine gewisse Abweichung trigger«, der Moment, in dem der Text, vom Erwarteten dar, was wiederum die nachdem er zunächst entlang den Erwar- Nachfrage des anderen Gerippes plausi- tungen des ersten Scripts verstanden bel macht. Erst die Antwort führt dann

1 Dieser Witz taucht nicht bei Raskin (1985) selbst auf. (Er verwendet nur englischspra- chige Witz-Texte – und statt einer Übersetzung sollte m. E. hier ein Original herange- zogen werden.) Vielmehr ist dieses Beispiel der Versuch einer verschriftlichten Wiedergabe eines Witzes, den Otto Waalkes in einer seiner Fernsehshows (Das dritte Programm, 1975) auf der Bühne ›vorgetragen‹ hat: Er hat ihn weniger ›erzählt‹ als dramatisiert gespielt. Dabei sind vielfältige zusätzliche Mittel, wie z. B. Geräusche, Licht, Gesten, etc., zur Verstärkung der Komik zum Einsatz gebracht worden, was hier alles weggelassen ist. Im Kern besteht der Witz jedoch nur aus ganz bestimmten sprachlichen Elementen, wobei die konkrete Formulierung in gewissem Rahmen variieren kann, solange die Scripts und deren im folgenden dargestelltes Zusammen- spiel die gleichen bleiben. 445 den »script-switch trigger« ein. Die tionieren, sind andere inhärent sprach- Script-Domäne des ›braven, ordnungs- spezifisch, sowohl im Englischen als gemäßen Verkehrsteilnehmers‹, der auch im Deutschen. So kann etwa bei nicht ohne Papiere fahren will, steht in unserem Beispiel (10) herausgestellt wer- plötzlicher Opposition zu den bisher den, daß eine Übertragung des Witzes ins evozierten Scripts, welche allesamt eher Englische wegen des spezifisch an deut- mit ›Illegalität‹ als mit ›Gesetzestreue‹ sche Kultur gebundenen Scripts von ›Pa- in Verbindung stehen. Die Überlap- piere‹ auf kaum überwindbare Grenzen pung, mit der der Text nun zu re-inter- stößt. Umgekehrt kann untersucht wer- pretieren ist, besteht ab der Einführung den, ob ausgewählte englischsprachige des Scripts ›Motorrad fahren‹, mit dem Witze eine Übersetzung ins Deutsche ›Papiere‹ erst überhaupt kompatibel ist. »überleben« würden. Auf diese Weise ›(Fahrzeug-) Papiere‹ selbst steht freilich kann ein klareres Bewußtsein darüber in Opposition zu ›Grabstein‹, was das erreicht werden, daß die »Witzigkeit« ei- Material und die ›Tragbarkeit‹ betrifft, nes Witzes oft weniger an der Nationali- aber ist wiederum damit insofern über- tät seiner Herkunft liegt. Es können nicht lappend, als beide bestimmte ›Daten‹ nur deutsche Witze auf Englisch ihren über eine Person beinhalten. Humor verlieren, genau dasselbe gilt Dieses Beispiel demonstriert gut, daß der auch umgekehrt. Humor eines solchen Witzes in allererster Linie in der gleichzeitigen Aktivierung 4. Grenzen gegensätzlicher Scripts besteht, die zur Es sollte hier nicht unterlassen werden, (Teil-)Überlappung gebracht werden. Da auch auf gewisse Gefahren hinzuweisen, dies für praktisch alle Witze gilt, und die sich aus potentiellen »Grenzverlet- auch auf manche andere Formen von zungen« ergeben können. So muß bei- Humor übertragbar ist,1 kann auf dieser spielsweise (besonders) auf gewisse Basis, die nur kurz dargelegt werden Tabu-Bereiche Rücksicht genommen muß, auch im DaF-Unterricht Humor werden (vgl. Deneire 1995: 287 f.). Zudem zum Gegenstand gemacht werden. So »funktioniert« Humor im allgemeinen könnten, nach einer entsprechenden Ein- schlecht, wenn die Zielgruppe gleichzei- führung, von den Studierenden selbst tig das ›Opfer‹ ist, auf dessen Kosten die Analysen gesammelter Witze erarbeitet Belustigung geht.2 werden. Zudem ließen sich Kontraste Neben generell geltenden Tabu-Berei- herausarbeiten, an denen gegebenenfalls chen wie Tod, Sex, Religion, etc. können eine Übertragung in die jeweils andere solche Grenzen auch interkultureller Na- Sprache scheitert. tur sein. Ebenso wie Deutschen die briti- Während nämlich manche Witze pro- sche Obsession von Anspielungen auf blemlos in verschiedenen Sprachen funk- Hitlers Nationalsozialismus in der Pro-

1 Wenngleich nicht auf alle – nicht-sprachlich transportierter Humor etwa bleibt (absicht- lich) ohnehin außerhalb des Erklärungsbereichs der linguistischen Theorie Raskins (1985). 2 Vgl. Ziv (1988: 6), sowie die dort angegebene Literatur, zu Untersuchungen der Wirkungen verschiedenartiger Humor-Typen (etwa »self-disparaging« vs. »other-dispa- raging«) auf die Bewertungen von Lehrenden durch Lerner. Das Konzept von ›Opfer‹ (»target«) hat auch in Attardo/Raskins (1991) Revision der Script-Theorie von Witzen Eingang gefunden. 446 duktion von Humor1 auf Dauer nur noch 5. Schlußbemerkung auf die Nerven gehen kann, gibt es Selbstverständlich muß Humor nicht durchaus Themen, bei denen auch vielen immer mit so starkem Fokus verwendet Briten plötzlich der Humor abhanden werden, wie das bei den oben vorge- kommen kann. Ein Beispiel hierfür ist die stellten Vorschlägen der Fall ist. Auch britische Empfindlichkeit bezüglich des lediglich zur beiläufig eingestreuten Themas BSE. Zur Verdeutlichung ein Bei- Begleitung bestimmter Details im Un- spiel aus der Praxis: Leider ist ausgerech- terricht, oder auch schlicht zur Auflok- net in dem Material zu einer Unterrichts- kerung, kann in kleinerem Maße Hu- einheit der Open University unter der moristisches einbezogen werden. Als Überschrift »Worüber lachen die Deut- ein Beispiel für letzteres sei zum Ab- schen« diese spezielle Grenze nicht genü- schluß eine Werbeanzeige zitiert, wel- gend beachtet worden. Dort fand sich che sich hervorragend anbietet, dem nämlich unter anderem folgender Witz: sonst nicht unbedingt für humorvolle »… eine ganz große Aktion zum Schutz Unterhaltung geeigneten Thema Recht- von Deutschland – die heißt BSE: Briten 2 schreibreform eine etwas lockerere sollen’s essen …« Das wurde von der Note zu verleihen (z. B. in Einführun- überwiegenden Mehrheit der Studieren- gen, Vorlesungen oder spezielleren Un- den in der Gruppe, bei deren Unterricht terrichtseinheiten, entweder einleitend, ich im vergangenen Jahr assistierte, nicht am Rande, oder zum Abschluß). Fol- für komisch gehalten, sondern – das ist gende Anzeige (gefunden im Spiegel 38 die Vokabel, die in solchen Fällen in der (1996: 106) wirbt für Kopfschmerzta- Regel fällt – für »geschmacklos«.3 bletten, und zwar nur durch eine Abbil- Kurzum: Nicht jedes humoristische Ma- dung des Produkts (eine Schachtel vivi- terial ist für alle Zielgruppen geeignet med®), über der folgendes geschrieben (oder »ethisch zulässig«). Mit Humor, der steht: auf derartigen Tabu-Verletzungen beruht (die eben auch landesspezifisch sein kön- (11) Rechts- nen), sollte äußerst vorsichtig umgegan- chreibr- gen werden. eform

1 Etwa im Fernsehen – sowohl vor als auch noch nach John Cleeses viel zitiertem »Don’t mention the war« in der Serie Fawlty Towers. Jene berühmte Szene war allerdings eher darauf ausgerichtet, eben diese britische Obsession der Bezugnahme auf den Zweiten Weltkrieg zu entlarven. Sie ist insofern eher eine Ausnahme – jedenfalls ist sie nicht wirklich als deutschfeindlich zu verstehen. Anders verhält es sich meines Erachtens beispielsweise bei der erst vor etwa zwei Jahren ausgestrahlten Serie Harry Enfield and Chums, in der geradezu leitmotivisch die Figur »Jürgen the German« auftaucht, die stets in irgendein Nazi-Verhalten verfällt, oder (ganz undeutsch) penetrant auf den Zweiten Weltkrieg Bezug nimmt (und zwar ausgerechnet, bzw. natürlich, auf die Luftschlacht um England). In diesen Szenen wird stark eine Bewertung nahegelegt, die unterstellt, daß »der Deutsche« unter der Oberfläche auch heute noch militaristisch, imperialistisch, gewaltbereit, d. h. letztlich ein unverbesserlicher Nazi sei. 2In: Variationen: German language and society. Milton Keynes: The Open University, 1999, 50 (als Teil von »Hörbericht 3« – auch auf begleitender Tonkassette). 3 Vgl. Deneire (1995: 288, 293), der ein auch formal sehr ähnliches Beispiel anführt (zitiert aus Nilsen et al. 1987: 73), das auf das Challenger-Unglück anspielt und im amerikani- schen Kontext entsprechend bewertet wurde: »Q: What does NASA stand for? A: Need Another Seven Astronauts«. 447

Zusätzlich kann vorweg etwas ange- Literatur merkt werden wie: »Falls Ihnen die Attardo, Salvatore; Raskin, Victor: »Script Rechtschreibreform immer noch Kopf- theory revis(it)ed: joke similarity and joke schmerzen bereiten sollte, so hilft viel- representation model«, Humor 4, 3/4 (1991), 293–347. leicht …« Und u. U. kann man zur Sicher- Barnickel, Klaus-Dieter: Falsche Freunde. Ein heit auch anmerken, daß dies natürlich vergleichendes Wörterbuch Deutsch-Eng- keine korrekten Trennungen sind (ob- lisch. Heidelberg 1992. wohl ein solches Auf-Nummer-Sicher- Crystal, David: Language Play. London: Pen- Gehen auch gleich wieder den Humor- guin, 1998. Effekt beeinträchtigen kann). Deneire, Marc: »Humor and foreign lan- guage teaching«, Humor 8, 3 (1995), 285– Schließlich ist zu hoffen, daß der DaF- 298. Unterricht auch und gerade in briti- Droz, Marilyn; Ellis, Lori: Laughing while schem Kontext etwas mehr Humor mit Learning: Using Humor in the Classroom. einbeziehen möge. Das soll nicht hei- Longmont, CO: Sopris West, 1996. ßen, daß der Unterrichtende zum Enter- Fromkin, Victoria; Rodman, Robert: An In- tainer werden soll. Es ist in den meisten troduction to Language. New York: Holt- Saunders, 1983. der oben dargelegten Anwendungen Gelfert, Hans-Dieter: Max und Monty. Kleine nicht einmal erforderlich, daß der Hu- Geschichte des deutschen und englischen Hu- mor insofern unmittelbar funktioniert, mors. München: Beck, 1998. als er Gelächter auslöst. Dieser Aufsatz Gutknecht, Christoph: Lauter böhmische Dör- ist vielmehr ein Plädoyer für eine un- fer. Wie die Wörter zu ihrer Bedeutung ka- verkrampfte Einbeziehung humoristi- men. München: Beck, 1996. Hohenhaus, Peter: Rezension zu Gelfert, schen Materials – ob in der Art wie oben Hans-Dieter: Max und Monty. Kleine Ge- grob umrissen oder auch in vielfältig- schichte des deutschen und englischen sten anderen Formen. Selbstverständ- Humors. München: Beck, 1998, InfoDaF lich soll hier nicht verschwiegen wer- 26, 5 (1999), 515–520. den, daß auf diesem Wege zumindest Loomis, Dianne; Kolberg, Karen: The Lau- teilweise eine Ehrenrettung für den ghing Classroom: Everyone’s Guide to Teaching with Humor and Play. Tiburon, deutschen Humor erhofft wird, ohne CA: Kramer, 1993. daß dies im Unterricht so explizit be- Morreall, John: Rezensionen zu Droz, Mari- hauptet werden sollte. Im Gegenteil: lyn; Ellis, Lori: Laughing while Learning: eine solche »trotzige« Behauptung Using Humor in the Classroom. Long- könnte eher eine umgekehrte Wirkung mont, CO: Sopris West, 1996; Loomis, Dianne; Kolberg, Karen: The Laughing haben. Classroom: Everyone’s Guide to Doch hat man einmal den Widerstand Teaching with Humor and Play. Tiburon, in Form des eingangs diskutierten Ste- CA: Kramer, 1993; Stopsky, Fred: Humor reotyps von der angeblichen Nicht-Exi- in the Classroom: A New Approach to Critical Thinking. Lowell, MA: Discovery stenz deutschen Humors überwunden, Enterprises, 1992, Humor 11, 2 (1998), oder zumindest abgemildert, so fällt ge- 217–220. rade in diesem kulturellen Kontext – Nilsen, Don L.F.; Nilsen, Alleen Pace: Lan- angesichts der sonst generell so großen guage Play – an introduction to linguistics. Humor-Bereitschaft der Briten in den Rowley, Mass.: Newbury House, 1978. meisten Lebenslagen – das Verwenden Nilsen, Alleen; Donelson, Ken; Nilsen, Don; Donelson, Marie: »Humor for developing von Humor im Unterricht auf beson- skills«, Et Cetera 44, 1 (1987), 63–76. ders fruchtbaren Boden. Möge es gedei- Pinker, Steven: The Language Instinct. Lon- hen. don: Penguin, 1994. 448

Raskin, Victor: Semantic Mechanisms of Hu- Welte, Werner: Englische Phraseologie und mor. Dordrecht: Reidel, 1985. Idiomatik. Frankfurt a. M.; Bern; New Rösler, Dietmar: Deutsch als Fremdsprache. York; Paris: Lang, 1990 (HELP 2). Stuttgart: Metzler, 1994. Welte, Werner: Sprache, Sprachwissen, Stopsky, Fred: Humor in the Classroom: A Sprachwissenschaft. Frankfurt a. M.; Bern; New Approach to Critical Thinking. Lowell, New York; Paris: Lang, 1995 (HELP 6). MA: Discovery Enterprises, 1992. Ziv, Avner: »Teaching and Learning with Ulrich, Winfried: »Wortbildungsspiele – Se- Humor: Experiment and Replication«, mantik des komplexen Wortes«, Diskus- Journal of Experimental Education 57, 1 sion Deutsch 7 (1976), 424–437. (1988), 5–15. 449

Berichte

Bibliographie Moderner Fremd- Für Bestellungen oder weitere Informa- sprachenunterricht in neuem Ge- tionen wenden Sie sich bitte an das wand – und mit gesenktem Informationszentrum für Fremdspra- Preis! chenforschung der Philipps-Universität Marburg Seit nunmehr 30 Jahren wird vierteljähr- Hans-Meerwein-Straße lich die annotierte Bibliographie zum Be- D-35032 Marburg reich Fremdsprachenforschung und -un- Tel.: 06421 / 282 21 41 terricht vom Informationszentrum für Fax: 06421 / 282 57 10 Fremdsprachenforschung Marburg (IFS) E-Mail: [email protected] herausgegeben. Sie ist seither bei Lehren- http://www.uni-marburg.de/ifs den, Studierenden und Wissenschaftlern vor allem im deutschsprachigen Raum, aber auch bei DaFlern in aller Welt be- liebt. Ab dem Heft 1/2000 wird die Bibliogra- 20. Frühjahrskonferenz zur Er- phie Moderner Fremdsprachenunterricht forschung des Fremdsprachen- nicht mehr vom Verlag für Wissenschaft unterrichts: Resolution zur und Bildung in Berlin verlegt, sondern in neuem Format an der Philipps-Universi- Fremdsprachenausbildung an tät Marburg gedruckt. Dadurch sinken Universitäten die Druckkosten, so daß der Preis für das Abonnement von 96,– DM auf 85,– DM Die Teilnehmer der 20. Frühjahrskonfe- gesenkt werden konnte. In der heutigen renz zur Erforschung des Fremdspra- Zeit wahrlich ein eher seltener Vorgang! chenunterrichts, die vom 23.–25. Februar Durch die verminderten Herstellungsko- 2000 in Rauischholzhausen stattfand, be- sten ist es außerdem möglich, das jeweils obachten mit zunehmender Sorge Versu- in Heft 1 erscheinende Forschungsregister che, die Fremdsprachenausbildung an »Sprachlehrforschung und Sprachunter- Hochschulen abzubauen, aus dem wis- richt«, das vom IFS für den deutschspra- senschaftlich begründeten Ausbildungs- chigen Raum geführt wird, zu erweitern. kontext auszugliedern und zu kommer- Etwas allerdings bleibt unverändert, und zialisieren. zwar die Möglichkeit für Bezieher der Fachbezogene, vertiefte Kenntnisse in BMF, kostenlos in der umfangreichen Da- mehr als einer Fremdsprache gehören tenbank des IFS Recherchen zu beliebi- heute mehr denn je zu den Abschluss- gen Themen der Fremdsprachenfor- und Qualifikationsprofilen in allen aka- schung und Didaktik durchführen zu las- demischen Ausbildungsgängen; sie stel- sen. Die kommentierten Literaturlisten len daher ein zentrales Studienangebot erhalten Sie wahlweise auf Diskette, als nicht nur für Studienfächer dar, das über Papierausdruck oder per E-Mail. das heute vielerorts mögliche Fremd-

Info DaF 27, 4 (2000), 449–459 450 sprachenlernen in Selbstlernzentren und Korrespondenzadresse: die Unterstützung durch Lernberatung noch hinausgehen muss. Prof. Dr. Frank G. Königs Informationszentrum für Fremdspra- Die Teilnehmer der 20. Frühjahrskonfe- chenforschung der Philipps-Universität renz zur Erforschung des Fremdspra- Hans-Meerwein-Straße, D-35032 Mar- chenunterrichts warnen mit Nachdruck burg vor kurzsichtigen, wenig zukunftsorien- Tel. 06421/28 23806, Tel. 06421 / 282 21 41 tierten Eingriffen, z. B. im Zusammen- (Sekr.) hang mit Gebühren für fremdsprachliche Fax: 06421/28 25710 Lernangebote. Sie plädieren mit Blick auf e-mail: [email protected] ein mehrsprachiges Europa und die da- http://www.uni-marburg.de/ifs/koe- mit einhergehende Erziehung zur Mehr- nigs.htm sprachigkeit dafür, 1. den Studierenden aller Studienfächer ein vielsprachig angelegtes und abge- stuftes Angebot vor allem an fach- und berufssprachlich angelegten Kursen, Germanistik im anglophonen eingebunden in den Studienkontext Westafrika. Bericht vom 4. Kon- der Hochschule, zu garantieren, greß der NATOG (Nigerian As- 2. die Hochschulen unabhängig von der sociation of Teachers of Ger- organisatorischen Regelung nicht aus der wissenschaftlichen Verantwortung man): »German Studies in Nige- für ein solches Studienangebot zu ent- ria in the Year 2000 and the Chal- lassen, dieses vielmehr wissenschaft- lenges ahead« vom 12. bis 14. lich so abzusichern, dass eine optimale April 2000 in Ile-Ife studienfachspezifische und zugleich praxisorientierte Qualitätssicherung (Michael Aulbach, Dakar) gewährleistet wird, Mit dem diesjährigen, vierten Kongreß 3. das gesamte fremdsprachliche Ange- des Nigerianischen Deutschlehrerver- bot einer Hochschule mit der wissen- bandes in Ile-Ife schloß sich ein Kreis, schaftlich abgesicherten Ausbildung denn hier im Herzen der Yoruba-Kultur von Fremdsprachenlehrern im schuli- fand 1989 der erste NATOG-Kongreß schen und außerschulischen Bil- statt. Als eine der drei Universitäten des dungsbereich systematisch zu verzah- Landes, in denen Deutsch als Hauptfach nen. studiert werden kann, ist in der Obafemi Awolowo-Universität von Ile-Ife inzwi- Frühjahrskonferenz zur Erforschung schen das einzig verbliebene DAAD-Lek- des Fremdsprachenunterrichts torat des Landes ansässig. Diese wechsel- volle Geschichte des Fachs Deutsch in Verantwortlich: Nigeria und die Krise, in der es sich Prof. Dr. K.-Richard Bausch (Ruhr-Uni- derzeit befindet, prägte den Kongreß versität Bochum), Prof. Dr. Herbert schon von den Eröffnungsansprachen an. Christ (Justus-Liebig-Universität Gie- Einerseits markierte die Schweigeminute ßen), Prof. Dr. Frank G. Königs (Philipps- für die Gründungsmitglieder der NA- Universität Marburg), Prof. Dr. Hans-Jür- TOG, Edith Ihekweazu und Willfried F. gen Krumm (Universität Wien) Feuser, den Abschied von wichtigen und 451 verdienstvollen ausländischen Wissen- nalen Isolation Nigerias als nicht reali- schaftlern vor Ort. Andererseits kam das sierbar erkannt. Nachdem aufgrund der Bedauern über den durch die schlechte mangelnden Rückkehrwilligkeit der Stu- soziale Situation der Universitäts-Dozen- denten sowohl von Deutschland als auch ten schwindenden Lehrkörper und die von Frankreich das etablierte Auslands- verschleppte Einführung des Deutschen studienjahr aufgekündigt wurde, stehe als Unterrichtsfach an Sekundarschulen der direkte Kulturkontakt grundsätzlich deutlich zum Ausdruck. Auf das ange- infrage. Das nun vom Goethe-Institut La- sichts der instabilen Lage des Landes gos als Äquivalent durchgeführte Inten- über mehrere Jahre hinweg rückläufige sivjahr Deutsch sei zwar ein brauchbarer Engagement Deutschlands machte Dr. Versuch, Sprache zu vermitteln, es passe Herbert Gierkes als Repräsentant der jedoch nicht recht zu den genannten in- deutschen Wirtschaft in Nigeria auf- ternationalen Leitlinien. Die französische merksam. Zwar gebe es wegen des kürz- Variante, die nun auch für das Fach Ara- lichen Besuchs des deutschen Außenmi- bisch eingeführt werden soll, nämlich das nisters in der Hauptstadt Abuja etwas Training der Zielsprache in einem eigens Hoffnung auf eine Trendwende, aber dafür eingerichteten Sprachdorf, wurde Konkretes sei noch nicht vorzuweisen. als künstlicher und uneffektiver Kom- Hieraus leitete sich ein weiteres domi- promiß kritisiert. Auch die nicht zuletzt nantes Thema des Kongresses ab: die durch eigene infrastrukturelle Unzuläng- Berufsaussichten und die Möglichkeit zu lichkeiten, etwa im Bereich der Stromver- deren Verbesserung für die Absolventen sorgung, hervorgerufene ›Medienlosig- der Deutschstudiengänge. keit‹ wurde als für einen modern ausge- In einer ersten Sektion wurde das allge- richteten Fremdsprachenunterricht kon- mein gestellte Thema »Kurskorrektur – traproduktiv moniert und statt der For- für eine neue Fremdsprachenpolitik in derung nach einfachem ›Nachrüsten‹ Nigeria« von drei Referenten behandelt. technischer Hilfsmittel die nach einer Die Humboldt-Stipendiatin und Leiterin Verbesserung der sozialen Lage im Land der Abteilung für Fremdsprachen der erhoben, um die Rückkehrwilligkeit der Universität Ile-Ife, Frau Dr. Remi So- Studenten zu erhöhen und die Arbeitsbe- naiya, ging unter dem Titel Grenzenlos dingungen der Dozenten zu verbessern. lernen – Giving new impetus to the teaching In diesem Kontext fiel die Präsenz junger of German to Nigerian students von der in Germanistik-Absolventen im Hörsaal po- den frühen 90er Jahren durch die sitiv auf. Als produktiver Aspekt des UNESCO propagierten Konzeption ›Equivalent Year Abroad Programme fremdsprachlichen Lernens aus und kon- (EYAB)‹ schlug die Tatsache, daß nun trastierte sie mit den heutigen Gegeben- Germanisten mit abgeschlossenem B.A.- heiten in Nigeria. Die von der UNESCO Studium im Land vorhanden seien, die formulierten Zielsetzungen des Fremd- willens sind, den Magisterabschluß und sprachenunterrichts wie Persönlichkeits- eine universitäre Karriere anzustreben, bildung, Horizonterweiterung, Tole- zu Buche. Deswegen wird geplant, einen ranzerziehung und Wahrnehmungsschu- Magisterstudiengang an der Obafemi lung, die unter dem übergeordneten Ziel Awolowo University of Ile-Ife einzufüh- von Multikulturalismus und Multilin- ren, wo diese Tendenz der Nachwuchs- gualismus formuliert wurden und auf ausbildung hoffentlich auch wieder mit den direkten Kulturkontakt ausgerichtet internationaler Unterstützung vorange- waren, wurden angesichts der internatio- trieben werden kann. 452

Das Fehlen politischer Konzepte für den benen Studenten und der vorhandenen Fremdsprachenunterricht kritisierte Mi- Dozenten spiegelt. Die ersten Schritte, die chael A. Oyebola (Ilorin) in seinem Bei- die neue Regierung in diese Richtung trag Developing a foreign language policy in unternommen habe, seien gewiß begrü- Nigeria. Zwar habe man auf Regierungs- ßenswert, wirkten sich aber noch nicht ebene schon 1992 die Entscheidung ge- positiv aus. Außerdem stellte er eine troffen, die Volkssprachen in den ersten wachsende Überalterung des Lehrkörpers zwei Grundschuljahren voll zu etablieren fest, dessen Höchststand vor 19 Jahren und die Amtssprache Englisch anschlie- erreicht wurde. Seither seien nur wenig ßend als erste Fremdsprache einzufüh- junge Kräfte hinzugekommen, was außer- ren. Dies sei jedoch noch nicht ausrei- dem der Einbeziehung neuer didaktischer chend entwickelt, zumal es in sehr vielen Konzepte nicht förderlich sei. Volkssprachen noch gar kein Unterrichts- In der umfangreicheren zweiten Sektion material gebe. wurden dann unter dem Thema »Curri- Auch die geplante Verankerung von cula für Deutsch an Universitäten und Fremdsprachen an Sekundarschulen Berufsaussichten für Absolventen der komme nicht recht voran. Angesichts der Deutschstudiengänge« in sieben Beiträ- breiten Palette des in nigerianischen Uni- gen unterschiedliche Ausrichtungen des versitäten präsenten Fremdsprachenan- Deutschstudiums in Westafrika und gebots von Englisch, Französisch, grundsätzliche Aspekte interkultureller Deutsch, Russisch, Arabisch, Spanisch, Germanistik vorgestellt. Portugiesisch und Italienisch sei die In seinem Beitrag Fremdsprachenunterricht Durchführung und Förderung der Spra- als Fremdkulturunterricht? Zur Neubewer- chen weitgehend durch das Engagement tung des Verstehens im interkulturellen der jeweiligen Länder bestimmt, nicht Fremdsprachenunterricht behandelte Arnd aber durch eine erkennbare Planung Witte das Problem des Fremdverstehens als durch den nigerianischen Staat. Herausforderung des Fremdsprachenun- Diesen Gedanken führte der Linguist Dr. terrichts. Mit Blick auf den überaus Soyoye (Ile-Ife) weiter aus. Auch sein Vor- schwer definierbaren Begriff Kultur wur- trag über die Staffing situation of teachers of den drei unterschiedliche Fokussierun- foreign languages in Nigerian universities gen landeskundlichen Lernens markiert, konstatierte eine je nach Einflußnahme welches zunächst als Kennen sozialer, des Zielsprachenlandes variierende Ver- politischer oder historischer Gegebenhei- breitung der Fremdsprache. Hier stehe ten begriffen wurde, später dann als Fä- Französisch allen anderen Ländern weit higkeit zur Kommunikation in Alltagssi- voran, und angesichts der an den 42 nige- tuationen und schließlich als interkultu- rianischen Universitäten tätigen 155 Fran- relle Kompetenz, die aus dem emphati- zösischdozenten überrage dessen Präsenz schen Eindringen in die Fremdkultur kri- die des Deutschen um fast das Zehnfache. tische Denkansätze ermöglichen will. Dabei belege Deutsch mit 16 Lehrkräften Auch der Begriff des Verstehens wurde bereits Platz zwei! Angesichts der schlech- einer historisch-kritischen Analyse unter- ten Bezahlung von Hochschuldozenten zogen, die universalistische, dabei aber im Vergleich zu Lehrern an Sekundar- latent deterministische Verstehensmo- schulen und deren verstärkte Abwande- delle von einem relativistischen Ansatz rung konstatierte Soyoye ein Ausbluten unterschied, der eben jeder Kultur einen der Universitäten, was sich vor allem in semiotisch-diskursiven Weltentwurf zu- der Relation der Anzahl der eingeschrie- billigt, dabei aber das Subjekt immer auf 453 die jeweilige Eigenkultur zurückwirft diengänge sei auch in Nsukka noch nicht und Fremdverstehen eben nur von dieser in Sicht. Eigenperspektive her ermöglicht. Als Auch der Generalsekretär der NATOG, Ausweg aus dem Dilemma dieser beiden Felix Amanor-Boadu (Ibadan), kritisierte hermeneutischen Modelle schlug Witte in seinem Beitrag German Studies in Nige- einen dynamischen Ansatz vor, der Indi- ria: On re-defining our objectives in respect of vidualität als Prozeßgeschehen begreift. German in Nigeria die derzeitige Germani- Unter dieser Prämisse erhalte die Ausein- stikausbildung im Zeichen der Einglei- andersetzung mit Fremdkulturen einen sigkeit und der fehlenden Interdiszipli- produktiven Sinn, denn sie eröffne durch narität. Außerdem schlug er die Verlän- die darin vollzogene Distanzierung von gerung des Studiums für Neuanfänger in der Eigenkultur die Möglichkeit zu einer der Fremdsprache um ein Jahr vor, wo- kritischen Reflexion über das Eigene, durch ein solideres Niveau erzielt wer- zum Erkennen der fremden Anteile am den und der Rückstand zu Studenten mit Selbst. So soll dem Aufbau polarer Ge- Vorkenntnissen ausgeglichen werden gensätze wie dem zwischen ›Wir‹ und könne. Er plädierte insbesondere für die ›Ihr‹ entgegengearbeitet, deren Mit- und Stärkung von Doppelstudiengängen Nebeneinander erkannt werden. In die- (combined honours), wodurch ein breiteres sem Prozeß erlange das Lernen von Berufsfeld anvisiert werden könne. Es Fremdsprachen und insbesondere die Be- war auch im Kontext der aktuellen DaF- handlung von Literatur eine besondere Diskussion bezeichnend, daß alle Refe- Bedeutung. renten großen Wert auf literarische und Unter einem ähnlichen, auf Persönlich- kulturbezogene Wissensinhalte legten keitsbildung angelegten Licht beleuch- und das pragmatische Modell der reinen tete Obi Nwankwor in seinem Beitrag The Fachsprachenausbildung ablehnten. university curricula and job-prospects of Ger- Mit seinem Beitrag über Die Integration man die konkrete Lage der Germanistik der Umgebung der afrikanischen Deutsch- an der University of Nigeria in Nsukka. studierenden ins Deutschstudium betrach- Das erklärte Bildungsziel, die Studenten tete Uche Onyedi Okafor (Ile-Ife) die zu »usefull and acceptable members of Schwierigkeiten afrikanischer Studenten international society« mit »altruistic atti- im Zugang zu deutscher Literatur. Er tudes of life, self-reliance, easily adapt- beklagte, daß gerade angesichts der gro- able to situations and circumstances« ßen kulturellen Distanz klassische und auszubilden, kontrastierte er mit der in zeitlich weit zurückliegende Texte des in vielerlei Hinsicht rückständigen Wirk- den Curricula vorgesehenen Literaturka- lichkeit. Neben dem Ausfallen des Auf- nons ein Verständnis noch behinderten. enthaltes im Ausland sei es vor allem die Eine verstärkte interkulturelle Aufarbei- mangelnde interdisziplinäre Verflech- tung dieser Texte durch afrikanische Ger- tung innerhalb der Universität, die kon- manisten sei deswegen nötig, um den traproduktiv wirke. Berufliche Zusatz- Zugang zu erleichtern und zu beschleu- qualifikation bis hin zum Umgang mit nigen. Computern werde in Nsukka, im Unter- Durch zwei Vorträge über die Lage des schied zu anderen Universitäten des Lan- Deutschstudiums in anderen westafri- des, nicht ermöglicht. Entsprechend kanischen Ländern wurde der Bereich schlecht sähen dann auch die Berufsaus- Curriculum abgerundet. Der ghanaische sichten aus. Ein Miteinander persönlich- Germanist und Goethe-Preisträger Seba- keitsbildender und berufsbildender Stu- stian Bemile (Accra) gab einen Über- 454 blick über die Situation in Ghana, wo Internationale Lexikographie- Deutsch zwar in der Schulausbildung konferenz vom 30. März bis 1. präsent ist, aber erst frühestens im April 2000 an der Universität Herbst 2000 als Nebenfach an der Uni- Helsinki (Finnland) versity of Accra etabliert werden kann. Bisher wurde die Deutschlehrerausbil- Das Germanistische Institut der Univer- dung vollständig vom Goethe-Institut sität Helsinki (Finnland) arbeitet seit eini- übernommen. Außerdem wird eine gut gen Jahren an zwei wichtigen lexikogra- etablierte Übersetzerausbildung am phischen Projekten: zum einen an einem Ghana Institute of Languages (Accra) deutsch-finnischen Idiomwörterbuch, angeboten, deren Absolventen bisher das als Teil eines deutsch-finnischen For- stets recht gute Berufsperspektiven of- schungsvorhabens zur Phraseologie ent- fenstanden. steht, zum anderen an einem Großwör- Einen Blick in ein frankophones Land am terbuch Deutsch-Finnisch. Beispiel des Senegal eröffnete Michael Aulbach (Dakar). Durch die starke Prä- Seit neuestem werden beide Projekte von senz des Deutschen bereits in der Se- der Finnischen Akademie und vom kundarstufe ist dort ein Germanistikstu- DAAD im Rahmen eines Austauschpro- dium mit nur vergleichsweise geringem gramms von Wissenschaftlern unter- Akzent auf Sprachvermittlung und ei- stützt. Ziel des deutsch-finnischen Ge- nem deutlichen Schwerpunkt auf Litera- meinschaftsunternehmens ist die Förde- tur und Ideengeschichte möglich. Umfra- rung der theoretischen mono- und bilin- gen hinsichtlich der Studieninteressen er- gualen Lexikographie sowie die Unter- gaben, daß diese Tendenz von den Stu- stützung der praktischen deutsch-finni- denten sehr positiv aufgenommen wird schen Wörterbucharbeit. und die meisten Magisterarbeiten im Be- In diesem Zusammenhang fand vom 30. reich Literatur, meist mit interkulturel- März bis 1. April 2000 an der Universität lem Bezug, angesiedelt sind. Wie in Nige- Helsinki eine Internationale Lexikogra- ria, so blieben jedoch auch in Senegal die phiekonferenz statt, die unter Leitung Berufsaussichten vage, denn der Lehrbe- von Prof. Dr. Jarmo Korhonen in enger ruf könne heute die Zahl der Absolven- Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Irma ten bei weitem nicht mehr aufnehmen Hyvärinen vom Germanistischen Institut und alternative Berufsziele seien schwer der Universität und vom Finnischen einzugrenzen. DAAD-Verein veranstaltet wurde. Wei- Ein abschließender Ausflug nach Os- tere Anknüpfungspunkte für die Konfe- hogbo, der Provinzhauptstadt von Osun- renz stellten zwei ähnliche Veranstaltun- State, beschloß den Kongreß auf bemer- gen in Jyväskylä (Finnland) in der ersten kenswerte Weise. Dort leitet die österrei- Hälfte der 90er Jahre sowie die am Ger- chische Künstlerin Susanne Wenger manistischen Institut der Universität schon seit vielen Jahren den Sacred Forest, Helsinki bereits geleistete lexikographi- einem heiligen Ort des Yoruba-Kultes, sche Arbeit dar. deren Priesterin sie zugleich ist. Im Wirk- Die Konferenz widmete sich vielfältigen kreis dieser Mäzenin der Oshogbo- Aspekten der mono-, bi- und polylingua- Künstlergruppe und Unterstützerin von len Lexikographie. Diskutiert wurden Waisenkindern wurde man Zeuge einer Fragen der Makrostruktur – Anzahl, Se- interkulturellen Begegnung der ganz be- lektion und interne Abfolge der Lem- sonderen Art. mata – ebenso wie auf die Mikrostruktur 455 bezogene Fragen zum Aufbau der Wort- Die Frage der Lemmaselektion behan- artikel und zu darin enthaltenen Infor- delte auch Werner Scholze-Stubenrecht mationen. Sie wurden zum einen einge- (Dudenredaktion Mannheim). Anhand ordnet in die neuere lexikographische exemplarischer Beispiele und im Ver- Forschung, insbesondere auch in die For- gleich mit alternativen lexikographi- schung zur Wörterbuchbenutzung, zum schen Recherchemöglichkeiten wie Bi- anderen verglichen mit neueren Konzep- bliotheken und Sprachkarteien disku- ten ein- und zweisprachiger Wörterbü- tierte er Vor- und Nachteile der Nutzung cher, die für den Fremdsprachenerwerb des Internets für die korpusgestützte le- konzipiert wurden. xikographische Arbeit. Den Schwerpunkten der Konferenz ent- Neue Wege lexikographischer Darstellung in sprechend, ordnen wir die einzelnen Bei- de Gruyters Wörterbuch Deutsch als Fremd- träge nach den Bereichen einsprachige sprache stellte Barbara Seelig (Universität Lexikographie und mehrsprachige Lexi- Potsdam) vor. Sie hob insbesondere die kographie, insbesondere mehrsprachige Erfassung grammatischer Regularitäten Lexikographie zum Sprachenpaar Fin- beim Verb in Bezug auf die konsequente nisch-Deutsch, und stellen sie hier in Darstellung syntaktischer Gebrauchsmu- dieser Reihenfolge vor. ster sowie die Erfassung der Kontext- In Bezug auf die einsprachige Lexikogra- sphäre hervor – für den Wörterbuchbe- phie wurden zunächst allgemeine Pro- nutzer ein unabdingbarer Bestandteil bei bleme behandelt. Herbert E. Wiegand jedem Stichwort. Dem Ziel, den DaF- (Universität Heidelberg) widmete sich Lerner auf die Beziehungen einzelner im Eröffnungsvortrag der lexikographi- Wörter untereinander hinzuweisen, die- schen Bearbeitung unterschiedlicher Ty- nen im Wörterbuch neben Synonymen pen von Augmentationen in Wörterbü- und Antonymen auch Wortfamilien und chern der deutschen Gegenwartssprache Wortbildungsnester. und zeigte Möglichkeiten auf, wie die Die Frage, was die Wortbildungsfor- lexikographische Erfassung optimiert schung für die praktische lexikographi- werden könnte. sche Arbeit leisten kann, war Gegenstand Im Beitrag von Csaba Földes (Universität der Beiträge von Irmhild Barz und Eija Veszprém) ging es um Größenbezeich- Jokinen. nungen von Wörterbüchern. Es wurde Irmhild Barz (Universität Leipzig) wid- der Frage nachgegangen, ob solche Grö- mete sich vor dem Hintergrund der im- ßenangaben wie Mini-, Taschen-, Klein-, mer noch unbefriedigenden Repräsenta- Hand-, Kompakt-, Global-, Groß- oder tion morphologisch-motivationeller Ver- Universalwörterbuch in einer Korrela- netzung im allgemeinen ein- und zwei- tion mit dem tatsächlichen Umfang des sprachigen Wörterbuch dem Problem Wörterbuchs stehen. Anhand einer grö- des Wort(bildungs)nestes und der Wort- ßeren Zahl zweisprachiger Wörterbü- familie. Dabei wurde insbesondere deut- cher, in denen eine der beteiligten Spra- lich, wie gerade in der Medio- und Mi- chen jeweils das Deutsche ist, konnte krostruktur durch systematische Ver- gezeigt werden, daß bei der Bestimmung weise, Bedeutungsangaben und Para- der Größe eines Wörterbuchs die Anzahl phrasen Wortfamilienbezüge und Vernet- der Lemmata nur ein Kriterium ist, ent- zungen dargestellt werden können, ohne scheidend sind daneben Aspekte der Mi- daß die Übersichtlichkeit wesentlich be- krostruktur der Wörterbuchartikel. einträchtigt wird. 456

Über verbale Zusammensetzungen mit wie die Einfachheit oder Schwierigkeit hin- und her- in einsprachigen Wörterbü- des verwendeten Wortschatzes, die Wort- chern – im Duden Universalwörterbuch art des Lemmas oder die Beziehung zu und in Langenscheidts Großwörterbuch paradigmatischen Hinweisen und syn- Deutsch als Fremdsprache sprach Eija tagmatischen Aspekten die Syntax der Jokinen (Universität Tampere). Sie Definitionen beeinflussen. konnte zeigen, daß die Wörterbücher Mit der Wort- und Begriffsgeschichte ei- kaum Unterschiede in der Gesamtzahl nes einzelnen Lexems – des Lexems be- und in der Auswahl der verbalen Kom- kennen – in einsprachigen deutschen posita aufweisen, sich in der Gestaltung Wörterbüchern seit dem 15. Jahrhundert der Wortartikel aber erheblich unter- beschäftigte sich schließlich Ulrich scheiden. Diskutiert wurde dabei insbe- Breuer (Universität Helsinki). Dabei ana- sondere auch, welche Konsequenzen sich lysierte er insbesondere das Bedeutungs- daraus für die Benutzer des Wörterbuchs spektrum von bekennen, das zur Gegen- bei der Textrezeption und Textproduk- wartssprache hin deutlich verengt und tion ergeben. reduziert wird, sowie die syntaktischen Ausgehend von der Überzeugung, daß es Veränderungen. neben der syntaktischen und logischen Die Auseinandersetzung mit Problemen Valenz des Verbs auch eine semantische der mehrsprachigen Lexikographie bil- Valenz gibt, die die Auswahl der Kon- dete den zweiten Schwerpunkt der Kon- textpartner eines Verbs mitbestimmt, un- ferenz. tersuchte Norbert Richard Wolf (Univer- Henning Bergenholtz (Wirtschaftsuni- sität Würzburg) Kollokationen und seman- versität Aarhus) diskutierte in seinem tische Valenz im einsprachigen Wörterbuch. Vortrag zu äußerer und innerer Selektion Am Beispiel einiger verba dicendi analy- in bilingualen Wörterbüchern die gegen- sierte er einschlägige Artikel einsprachi- seitigen Beziehungen zwischen lexiko- ger Wörterbücher und erarbeitete an- graphischer Selektion und Wörterbuch- hand von Kontextbelegen aus dem Kor- funktionen. Er stellte dar, wie in Abhän- pus des Mannheimer Instituts für deut- gigkeit von den jeweiligen Sprachenpaa- sche Sprache Vorschläge für Wortartikel, ren, vom Sachgebiet, von den angenom- die dem Benutzer präzise Informationen menen Voraussetzungen der Benutzer über Bedeutung und damit semantische und von der Verwendungssituation über Valenz der Verben vermitteln. Fragen der Selektion von Elementen ent- Der Beitrag Hans Wellmanns (Universität schieden werden kann. Augsburg) widmete sich der Sprache der In Bezug auf ein unmittelbar vor dem Definitionen im einsprachigen Wörter- Abschluß stehendes Wörterbuchprojekt buch, insbesondere ihrer Syntax. Die De- eines deutsch-ungarischen Handwörter- finitionen der Wörter, die Interpreta- buchs berichtete Regina Hessky (Univer- mente der Lexikographen, sind für die sität Budapest) über Erfahrungen der Erörterung über die angemessenste Be- praktischen lexikographischen Arbeit schreibung des Wortgebrauchs im Wör- und erläuterte Rahmenbedingungen und terbuch von besonderem Interesse. Un- Gesamtkonzeption des Projekts. tersucht wurde, welche Unterschiede die Die Beiträge von Irmeli Helin, Ingo Syntax der Definitionen in einsprachigen Heyse und Nina Martola wurden vor Wörterbüchern für den muttersprachli- allem bi- und polylingualen Wörterbü- chen und für den fremdsprachlichen Be- chern mit unterschiedlichen finnougri- nutzer aufweist und inwiefern Faktoren schen und germanischen Sprachen der 457

Ostseeanrainerstaaten gewidmet. Irmeli tuneesti ›gewandt‹) in den Wörterbü- Helin (Universität Helsinki) befaßte sich chern der 70er sowie in den entsprechen- mit Vorbereitungen eines mehrsprachi- den Wörterbüchern der 90er Jahre über- gen Genossenschaftslexikons. Der Ge- einstimmt. Darüber hinaus analysierte danke zu einem Genossenschaftslexikon sie, bis zu welchem Grad die einzelnen entstand unter den Mitgliedern der mul- Wörterbücher das Fehlen der Partizip-II- tidisziplinären Forschergruppe im Ge- Formen tolerieren, obwohl das vom Par- nossenschaftsinstitut der Universität tizip II gebildete Eigenschaftsabstraktum Helsinki. Auf der Grundlage des in einer und / oder Adverb als Stichwort aufge- ersten Phase der Arbeit gesammelten führt ist. Korpus von ca. 2000 Fachwörtern wurde Das besondere Interesse innerhalb der dann ein kleines Lexikon von etwa 500 Auseinandersetzung mit Fragen der Kerntermini des Genossenschaftswesens mehrsprachigen Lexikographie galt erstellt und als Teil einer CD-ROM her- schließlich dem Sprachenpaar Finnisch- ausgegeben. Auf der Basis dieses fin- Deutsch. nischsprachigen Glossars soll jetzt ein Einen Exkurs in die Stichwörterauswahl polylinguales Genossenschaftslexikon bot Paul Kostera (Institut für Übersetzen mit Deutsch als gemeinsamer Ausgangs- und Dolmetschen der Universität Joen- sprache aufgebaut werden, und zwar mit suu in Savonlinna): In dem Vortrag Die möglichst vielen Sprachen des Ostsee- Lemmaselektion des Deutsch-Finnisch-Deut- raums. schen Wirtschaftswörterbuchs – ein interak- Ingo Heyse (Schwedische Wirtschafts- tiv-kybernetisches Kontinuum erläuterte er universität Helsinki) hatte für seinen Vor- Entscheidungen und sonstige Operatio- trag das Thema Wörterbücher Deutsch- nen der Selektionsphasen während der Schwedisch – gedruckte / elektronische Form Wörterbucharbeit, d. i. Vorbereitung, gewählt. Anhand einer Auswahl von ge- Aufbereitung, Feedback und Nachberei- meinsprachlichen Wörterbüchern in bei- tung. Er stellte fest, daß die regelmäßigen den Richtungen diskutierte er, ob die Wechselwirkungen zwischen den ver- elektronischen Wörterbücher dem Benut- schiedenen Wörterbuchinteressenten- zer wirklich neue Zugänge zu den Wör- gruppen im Idealfall zu ständiger Fremd- terbuchdaten zur Verfügung stellen und und Eigenkontrolle führen und dadurch ob von einem Internetwörterbuch, das zu anschließenden Revisionen. für alle kostenlos benutzbar ist, erwartet Thomas Stagneth (Wirtschaftsuniversität werden kann, daß es auch noch ein gutes Helsinki) verglich in seinem Referat vier und zuverlässiges Wörterbuch ist. in den 90er Jahren erschienene Finnisch- Nina Martola (Forschungszentrum für Deutsche Wirtschaftswörterbücher mit- die Landessprachen Finnlands, Helsinki) einander, und zwar zum einen aus lexi- ging in ihrem Vortrag Die Lemmatisierung kographischer Sicht und zum anderen bestimmter Derivationstypen in einigen ein- aus der Perspektive des Benutzers. Stär- und zweisprachigen Wörterbüchern der ken und Schwächen der Fachwörterbü- Frage nach, in welchem Umfang die cher beurteilte er zunächst anhand eines Lemmatisierung der Partizip-Perfekt- ausgewählten alphabetischen Teils in er- Formen intransitiver Ausgangsverben ster Linie quantitativ. In einem zweiten auf -ua/-yä (z. B. tottunut ›gewohnt‹), Schritt diskutierte er die Wörterbücher der aus diesen Partizip-II-Formen abge- als Hilfsmittel bei der Übersetzung von leiteten Eigenschaftsabstrakta (tottunei- Fachtexten aus der Sicht des Benutzers. suus ›Gewandtheit‹) und Adverbien (tot- Schließlich wurde anhand einiger ausge- 458 wählter Fachtermini eine vergleichende Frage, wie viel und was für grammati- Querschnittsbetrachtung auf der Mikro- sche Information in einem Valenzwörter- ebene unternommen. buch überhaupt benötigt wird und wo Bertold Fuchs (Universität Jyväskylä) diese Information zu plazieren ist. sprach zum Thema Wörterbuchkritik. In Als eine Vorarbeit für das Projekt zum seinem Vortrag über Die Ausspracheanga- kontrastiven Valenzwörterbuch ist auch ben im Wörterbuch von R. Klemmt und I. die Studie von Irma Hyvärinen (Univer- Rekiaro machte er auf inkonsequente An- sität Helsinki) zu verstehen. In ihrem gaben aufmerksam und diskutierte gene- Beitrag behandelte sie Verben des Fragens rell die Frage, inwieweit Aussprachean- und des Antwortens im Text und im Wörter- gaben zu jedem Stichwort sinnvoll und buch. notwendig sind. Sie diskutierte, wie das Feld der Kommu- Die unterschiedlichen Betrachtungswei- nikationsverben im Deutschen und Fin- sen eines Wortartikels – die Betrach- nischen strukturiert ist, welche Rolle da- tungsweise des Lexikographen und die bei die Wortbildung spielt, welches Bild des Benutzers – waren Gegenstand des Wörterbücher davon vermitteln und wel- Beitrags von Joachim Böger (Universität che Faktoren die Wahl eines adäquaten Jyväskylä). Die Untersuchung ausge- semantisch-syntaktischen Äquivalents wählter Wortartikel in verschiedenen steuern. Da sich die finnischen Suffix- zweisprachigen Wörterbüchern befaßte und die deutschen Präfix- und Partikel- sich insbesondere mit der Quantität und verben nur teilweise entsprechen, sind Qualität grammatischer Informationen, einige Bedeutungsnuancen bei der Wie- mit semantischen und stilistischen Hin- dergabe in der anderen Sprache nur aus weisen zu den Lemmata, darüber hinaus dem Satz-, Text- bzw. Situationskontext aber auch mit der typographischen Ge- zu entnehmen, oder sie gehen im staltung der Artikel, die aus der Sicht des schlimmsten Fall verloren. Die Wahl ei- Benutzers nicht zu vernachlässigen ist. nes passenden deutschen Verblexems Marja Järventausta (Universität Köln) be- stellt den finnischen Wörterbuchbenut- handelte die Frage Wie viel Grammatik zer oft vor beträchtliche Probleme. Dazu braucht ein deutsch-finnisches Valenzwörter- kommen Schwierigkeiten bei der Wahl buch? Sie stellte ein neues Projekt zu des richtigen Satzmodells. Allgemeine einem Valenzwörterbuch Deutsch-Fin- zweisprachige Wörterbücher können sel- nisch-Deutsch dar. Die vorhandenen ein- ten alle potentiellen Präfixmodifikatio- und zweisprachigen Valenzwörterbü- nen und alle alternativen Satzmusterrela- cher riefen hauptsächlich wegen ihres tionen berücksichtigen. Der richtige Ort hohen Spezialisierungsgrades viel Kritik für diesbezügliche detaillierte Informa- hervor, weil die erfolgreiche Benutzung tionen wäre eben ein zweisprachiges Va- der Wörterbücher ohne ein spezifisches lenzwörterbuch. Know-how gar nicht möglich ist. Um den Wie Leena Kolehmainen (Universität vollen Vorteil aus der valenztheoreti- Helsinki) im Abschlußvortrag zeigen schen Wortschatzrepräsentation für die konnte, hängen die Probleme bei der Lexikographie ziehen zu können, muß Wahl passender deutscher Verblexeme die theoretisch fundierte Information weitgehend mit der negativen mutter- über Valenz in einer modifizierten, be- sprachlichen Interferenz zusammen: Das nutzerfreundlichen Form in die lexiko- Finnische besitzt keine eigentlichen ver- graphische Praxis umgesetzt werden. In balen Präfixe und Partikeln und kann diesem Zusammenhang erhob sich die daher die entsprechenden semantischen 459

Merkmale nicht auf eine ähnliche Weise Empfang im Goethe-Institut Helsinki kodieren. Darüber hinaus ergeben sich und der Besuch in der Wörterbuchabtei- auch Probleme für die lexikographische lung des Verlags Werner Söderström AG. Erfassung der deutschen und finnischen So dürfte die Internationale Lexikogra- Verben im Wörterbuch. phiekonferenz in Helsinki nicht zuletzt In seinem Schlusswort zog Jarmo Korho- für die praktische lexikographische Ar- nen eine positive Bilanz. Er hob sowohl beit zahlreiche Anregungen gegeben ha- die Themenvielfalt als auch die innovati- ben. Daß sich dabei nicht alle geäußerten ven Fragestellungen hervor. Zwei For- Wünsche und Vorschläge sofort in die schungstendenzen haben sich herauskri- (Wörterbuch)praxis umsetzen lassen, stallisiert: die Anreicherung der Mikro- liegt auf der Hand. Aber wenn die Wör- struktur zweisprachiger Wörterbücher terbücher alles enthielten, was sich Be- mit Angaben zu Syntax, Wortbildung nutzer, Bearbeiter und Kritiker wün- und Phraseologie sowie die Nutzung der schen, dann – so stellte einer der Konfe- neuen technischen Möglichkeiten von renzteilnehmer fest – gäbe es schließlich Online-Wörterbüchern. keinen Bedarf mehr, über Wörterbücher Die abschließende Diskussion eröffnete zu diskutieren. Und das wäre – ange- die Möglichkeit, die Ergebnisse der Kon- sichts der gelungenen Konferenz in Hel- ferenz zusammenzufassen und offene sinki – in der Tat sehr schade. Fragen zu formulieren. Dabei wurde Annikki Liimatainen auch die angenehme Atmosphäre, die Universität Helsinki während der drei Konferenztage Germanistisches Institut herrschte, hervorgehoben. Neue Erfah- rungen und Anregungen bot nicht nur Anja Neudeck die Vielzahl der skizzierten Tagungsbei- Universität Leipzig träge, sondern darüber hinaus auch der Institut für Germanistik 460

Über die Autoren / Abstracts

Jörg Braunert nikation zwischen Deutschen und Chine- Studium der Germanistik, Publizistik sen. Ihre Habilitationsschrift widmet sich und Politologie in Berlin und Bochum; der Untersuchung kommunikativer Gat- Unterricht DaF an verschiedenen Institu- tungen und Muster in Alltagsgesprächen. tionen; 1981–1985 DAAD-Lektor an der Forschungsinteressen sind: Interkulturel- Makerere-University, Kampala / le Kommunikation, Grammatik gespro- Uganda; 1986–1997 Dozent und Referent chener Sprache, Gattungsanalysen, gender für Unterrichtsentwicklung bei den Carl studies und Prosodie des Deutschen. Duisberg Centren; 1992–1994 beurlaubt für die Tätigkeit als Koordinator für Wirt- Peter Hohenhaus schaftsdeutsch an der University of Dr. phil; Sprachwissenschaftler; Studium Queensland, Brisbane / Australien; Au- der Anglistik, Germanistik und Musik- tor und Mitautor verschiedener allge- wissenschaft in Hamburg; Magister 1990; mein-, berufs- und fachsprachlicher Promotion 1995 (mit einer Arbeit zum Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien Thema Ad-hoc-Wortbildung). Verschie- für Deutsch als Fremdsprache. dene Lehrtätigkeiten (englische Lingui- stik, Germanistik, Englisch und Deutsch Siegfried Gehrmann als Fremdsprache). Seit 1996 als ›Visiting Dr. phil.; Dozent für Sprachlehrfor- Lecturer‹ DAAD-Lektor an der Universi- schung und vergleichende Kulturwissen- tät von Bradford, Großbritannien. Haupt- schaft/Interkulturelle Kommunikation forschungsinteressen: theoretische und an der Abteilung DaF – Interkulturelle empirische Morphologie und Lexikolo- Germanistik der Akademie für Lehrer- gie, Humorforschung, Linguistik-Ge- ausbildung der Universität Zagreb, Gast- schichte, kontrastive Linguistik, DaF, so- dozent an der germanistischen Abteilung wie seit jüngstem Korpuslinguistik. der Universität Sarajevo. Forschungs- und Arbeitsgebiete: Motorikforschung Malte Jaspersen und Phonetik; Gehirn und Fremdspra- Lektor für Deutsch als Fremdsprache an chenlernen; Curriculum-Entwicklung, der Ritsumeikan-Universität, Kyoto, Ja- Germanistik in Ostmitteleuropa, Mittel- pan. europa-Diskussion und Fremdheitsfor- schung in Literatur- und Kulturgeschich- Tamás Kispál te, interkulturelles Lernen. Studium der Germanistik an der Univer- sität Szeged/Ungarn. Promotion in ger- Susanne Günthner manistischer Sprachwissenschaft mit ei- Privatdozentin und wissenschaftliche As- ner Arbeit über Sprichwörter im Wörter- sistentin an der Universität Konstanz buch. Seit 1998 wissenschaftlicher Assi- (Sprachwissenschaft). Arbeitete als stent am Lehrstuhl für Germanistische DAAD-Lektorin in der VR China und als Linguistik an der Universität Szeged. Ar- Kurzzeitdozentin in Vietnam. Dissertati- beitsschwerpunkte: Lexikologie, Lexiko- on zur Analyse interkultureller Kommu- graphie, Phraseologie. 461

Margarete Ott chigkeit und interkulturelle Kommuni- Dr. phil.; Studium der Germanistik und kation; derzeit Wissenschaftliche Assi- Geschichte für das Lehramt. Tätigkeit stentin an der TU Berlin. als Lehrerin in der Primar- und Se- kundarstufe, Mentorin und Ausbil- Gabriele Thelen-von Damnitz dungslehrerin für Deutsch als Zweit- Von 1986 bis 1994 Studium der Fächer sprache und Geschichte. VHS-Dozentin Sinologie, Betriebswirtschaftslehre, Poli- für Deutsch als Fremdsprache. 1997 Pro- tologie und Deutsch als Fremdsprache an motion im Fach Germanistik mit an- den Universitäten München und Ham- schließendem Hochschulstipendium. burg; in dieser Zeit auch mehrere Aus- Lehrtätigkeit an der Universität/Ge- landsaufenthalte in Taiwan und der VR samthochschule Siegen: Spracherwerb, China zur Erlernung der chinesischen Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Sprache und zur Ableistung von Prakti- Fachdidaktik. Im März 1998 Gastdozen- ka; von 1992 bis 1995 im Rahmen eines tur an der Universität Szeged; seit Sep- Werkvertrages für das Goethe-Institut tember 1999 DAAD-Lektorin am germa- München tätig; 1995/96 Honorarlehrerin nistischen Institut der Universität Sze- an der Sprachenschule Bénédikt Mün- ged. chen und von 1996 bis 1999 DAAD-Lek- torin an der Guandong Foreign Studies Heidi Rösch University, Guangzhou, VR China. Der- Dr. phil.; habilitiert in Deutschdidaktik/ zeit Promotionsstudium am Fachbereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache; Deutsch als Fremdsprache der Universi- Unterrichtserfahrung in Deutsch als tät München mit dem Thema Profilstudie Zweitsprache; Lehr- und Forschungs- der Germanistikstudierenden in den 90er Jah- schwerpunkte: Migrationsliteratur, Kin- ren in China – eine exemplarische Untersu- der- und Jugendliteratur, Deutsch als chung an der Fremdsprachenhochschule Kan- Zweit- und Fremdsprache, Zweispra- ton. 462 - - -

? -Sätzen im gesprochenen -Sätzen im gesprochenen he Problemfelder, die sich aus he Problemfelder, des gesprochenen Deutsch in des gesprochenen sch und dem Fach Deutsch als nschaulicht, daß hierbei einer obwohl , andere dagegen gänzlich ausge , andere ab ja schon zwei getrunken.« um ab ja schon zwei getrunken.«

- und 366 – weil 352 Grammatik der gesprochenen Sprache – eine

Deutsch werden neben den unterschiedlichen Funktionen, die Deutsch werden Info DaF 27, 4 (2000), Susanne Günthner: Herausforderung für Deutsch als Fremdsprache Anknüpfungspunkte zwischen der Er In diesem Beitrag werden Deut forschung des gesprochenen aufgezeigt und möglic Fremdsprache Eine Untersuchung der Strukturen gängigen Lehrwerkdialogen vera Deutsch des gesprochenen seits bestimmte syntaktische Strukturen geradezu überstrapaziert werden spart bleiben. und (Verbend- Anhand einer Analyse der Verbstellungsvarianten in Verbzweitstellung) innehaben, zugleich grammatische diese Verbstellungsvarianten Relevanz für den Deutschunterricht näher Normen und deren wie: »Der hängt beleuchtet: inwiefern es sich bei Konstruktionen total an ihr (–) weil der macht doch alles für sie.« oder »Ich trinke noch ein Glas (–) obwohl ich h »ungrammatische« Sätze handelt oder ob die Hauptsatzstellung und bestimmte Aufgaben im etwa funktional eingesetzt wird Diskurs hat? den Ergebnissen der Gesprochene-Sprache Forschung für den der Gesprochene-Sprache den Ergebnissen umrissen. ergeben, Deutsch als Fremdsprache-Unterricht ------a. die

wird gezeigt, daß die Motorik wird daktik als auch für die Sprich auch für den DaF-Lerner ein ckständigkeit nach und weist auf hkeit, metasprachliche Kommen ine kontextorientierte Bedeutungs

351 375 – – 337 367 Lerntheoretische Defizite der Zweitsprachen

Sprichwörter in einem phraseologischen Wörter

variationsreiche Lemmatisierung der Sprichwörter und die aktive Lemmatisierung variationsreiche Verfah Das produktive hervorgehoben. Funktion des Wörterbuchs des Ausspracheerwerbs zu den ungelösten Problemen der Aus des Ausspracheerwerbs zu den ungelösten Problemen u. Besonders positiv wird wertvolles Nachschlagewerk dar. Info DaF 27, 4 (2000), Siegfried Gehrmann: erwerbsforschung am Beispiel der Phonetik seit langem die wird In der phonetischen Lehr-Lernforschung und unterrichtsmethodische Rückständigkeit der theoretische Ausspracheschulung beklagt. Die Arbeit geht den theoriege schichtlichen Ursachen dieser Rü Defizite in der Formulierung aus lerntheoretische grundlegende Es sprachlicher Problemstellungen. spracheschulung gehört. Info DaF 27, 4 (2000), Tamás Kispál:buch Dieser Beitrag untersucht die Behandlung von Sprichwörtern in der »Deutschen Idiomatik« von Schemann. Dieses Wörterbuch se zeichnet sich bsonders durch darstellung aus und stellt somit im Kontext läßt viele Sprichwortmerk der Veranschaulichung ren male erkennen: Variationsmöglic Polysituativität, kommunikative Funktionen, Andeutung tare, leistet da verkürzte Sprichwortformen. Das Wörterbuch durch sowohl für die Wörterbuchdi durch wortdidaktik einen bedeutsamen Beitrag. 463 ------einer Seminararbeit wird eine einer Seminararbeit wird alyseraster erstellt, das es den zukommen sollte, da die schrift haftlichen Bereich eine herausra haftlichen Bereich tsprechenden mündlichen Sprach tsprechenden

406 – 393 Textanalyse als individualisierendes Verfahren zur als individualisierendes Verfahren Textanalyse

Analyse durchgeführt, und im Zusammenhang damit werden und im Zusammenhang damit werden Analyse durchgeführt, Info DaF 27, 4 (2000), Ott: Margarete Optimierung schriftsprachlicher Kompetenzen in der Fremd sprache Der Beitrag geht davon aus, daß im Germanistikstudium ausländi der »alltäglichen Wissenschafts Vermittlung scher Studierender sprache« (Ehlich) hohe Bedeutung im wissensc liche Textproduktion gende Position einnimmt und die notwendige (fach-) schriftsprach liche Kompetenz sich weder allein aus der Kenntnis Fachtermini noch aus einer en ein An Es wird kompetenz ergibt. der schriftlichen Fachtext zunehmen, um so zu einer Optimierung zu gelangen. Anhand produktion metho Zum Abschluß werden erörtert. Verbesserungsvorschläge individualisieren dische Möglichkeiten diskutiert, das vorgestellte als integrativen Bestandteil einzu in Fachseminaren de Verfahren setzen. Studierenden erlaubt, eigene und fremde Texte differenziert wahr differenziert Texte erlaubt, eigene und fremde Studierenden ------

altet werden konnte. Ziel war altet werden tanden als eine Literatur, die tanden als eine Literatur, chwierigkeiten lagen jedoch im r Fremdsprachenhochschule r Fremdsprachenhochschule n Bereiche des DaF-Unterrichts n Bereiche s oder auch interlinguales Poten gs-, sondern auch als Unterrichts Internetgestützter Landeskunde-

392 413 – –

376 407 Migrationsliteratur im DaF-Unterricht

(Sprache, Literatur und Landeskunde) hat. Diese erhalten eine (Sprache, Literatur und Landeskunde) hat. Diese erhalten Dimension, da nicht nur die sprachliche, politische interkulturelle sondern auch Situation in Deutschland reflektiert, und kulturelle die im DaF-Lernland einbezogen wird. der Neben der inhaltlichen Verbesserung technischen Bereich. Referate und Hausarbeiten ist der kritische selbstbewußte Umgang mit unterschiedlichem Material als Lernerfolg für die die einen Internet-Zugang hatten, hervorzuheben. Studierenden, Info DaF 27, 4 (2000), Heidi Rösch: hier vers Migrationsliteratur wird tial, das sie nicht nur als Forschun geradezu prädesti gegenstand des Deutschen als Fremdsprache Unterrichtsvor produktive werden niert. An ausgewählten Texten um aufzuzeigen, welche Bedeutung Migrati schläge vorgestellt, onsliteratur für die traditionelle Info DaF 27, 4 (2000), Gabriele Thelen-von Damnitz: den Landeskundeunterricht in der VR China war bisher durch auf aktuelle Materialien erschwert. Im Zugriff problematischen Studienjahr 1998/99 stand de reitung durch Referate. Die Haupts zwischen Sprachen, Literaturen, Kulturen und Zeiten wandert. Als Kulturen zwischen Sprachen, Literaturen, sie ein interkulturelle solche birgt Unterricht ganz anders mit dessen Hilfe Gouangzhou ein Internetzugang zur Verfügung, der Landeskundeunterricht neu gest die Erarbeitung tagespolitischer Informationen und deren Aufbe die Erarbeitung tagespolitischer Informationen und deren 464 - - - en, erschwerenden Bedingungen en, erschwerenden

a. Idiomatik, Register, Lexik, Überset a. Idiomatik, Register,

448 – 433 Zur Verwendung humoristischen Materials im Zur Verwendung

im Kontext von DaF an Hochschulen in Großbritannien (das im Kontext von DaF an Hochschulen in Großbritannien des humorlosen Deutschen ist in diesem Land besonders Stereotyp gemacht. Diese bezie Vorschläge konkrete mehrere stark), werden Info DaF 27, 4 (2000), Peter Hohenhaus: DaF-Unterricht Dieser Artikel ist ein Plädoyer für Humor im Fremdsprachenunter zum Thema Vorbemerkungen richt. Nach einigen grundsätzlichen allgemein sowie zu den speziell auf hen sich auf bestimmte sprachliche Phänomene/Probleme verschiedenen Ebenen (v. – Humor soll nur Vehikel zen). Diese stehen dabei im Vordergrund sein. Aber auch gezielt als Gegenstand Vermittlung zur besseren ein läßt sich Humor in den Unterricht einbeziehen. Dazu wird kurz eingegangen. Schließlich werden wenig auf Humor-Theorie von Humor angemerkt. der Verwendbarkeit Grenzen

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für den Beruf nehmen an Zahl für den Beruf dstufenlehrwerke andererseits dstufenlehrwerke andererseits bt, daß die berufliche Verwen bt, daß die berufliche llgemeinsprachlichen Kurs sein? ern von Anfang an möglich ist r berufssprachliche Grundstufen r berufssprachliche Nipponia Nippon‹. Entwicklung e Zusatz- und Aufbaumaterialien ›

berufssprachlich einsteigen?

427 432 – – 414 428 Radio-Magazin Grammatik in berufssprachlichen Lehrwerken ein. Die Handlungsfelder der beruflichen Kommunikation decken ein. Die Handlungsfelder der beruflichen ab. Die Untersuchung das grammatische Inventar der Grundstufe und Regelbildung in berufssprachli der Grammatikaufbereitung Info DaF 27, 4 (2000), Braunert: Jörg oder: Kann der DaF-Anfänger Unterrichtsmaterialien für Deutsch und Bedeutung zu. Aber kann de kurs der Normalfall neben dem a Der Beitrag sichtet zunächst das einschlägige Lehrbuchangebot und teilt es in berufssprachlich einerseits und kurstragende Grun ergi chen Einsteiger-Lehrwerken dung von Sprachkenntnissen nicht erst nach einer allgemein sond sprachlichen Grundlegung, Info DaF 27, 4 (2000), Malte Jaspersen: das der Autor im Sommer Der Beitrag schildert ein Sprachprojekt, Deutsch an der Ritsumei semester 1999 mit einer Wahlfachgruppe Unter professioneller kan-Universität in Kyoto/Japan durchführte. ein 40-minütiges Radio die Studierenden Anleitung produzierten Das wird. ihr Land vorgestellt magazin, in dem deutschen Hörern verband klassische Unterrichtssegmente wie Grammatik, Projekt und erwies sich als Tätigkeit und Phonetik mit kreativer Textarbeit Möglichkeit zielorientierten Fremdsprachenunter erfolgreiche richts. und ermöglicht werden soll. und ermöglicht werden kommunikativer Fähigkeiten im Deutschunterricht. Ein Beispiel