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Am Ende war es Roulette unter freiem Himmel, das dem Trainer den Job rettete FUSSBALL – und Hoeneß („Stevens ist ein akribischer Arbeiter, er hat das Vertrauen verdient“) das Image des Mannes, der bei Hertha BSC Roulette unter freiem Himmel die große Linie vorgibt. Und dabei dem Populismus trotzt. Nicht Trotz aller Kritik hält Hertha-Manager Dieter Hoeneß an mal die massiven Unmutsäußerungen der Zuschauer im Berliner Olympiastadion Trainer fest. Beim Versuch, sich öffentlichem Druck („Stevens raus!“) vermochten Hoeneß zu widersetzen, geraten auch andere Club-Lenker in Not. zu beeinflussen. Sich die Freiheit zu neh- men, vereinsinternen Ein- flüsterern und veröffentlich- ten Meinungen zu widerste- hen, haben auch andere -Manager zuletzt gewagt. Der Mönchengladbacher Sportdirektor Christian Hoch- stätter etwa hatte nach der Entlassung Ewald Lienens vor sechs Wochen Holger Fach als Chefcoach instal- liert, einen langjährigen Freund. Teile der Medien mokierten sich über „Filz und Kumpanei“ („Sport Bild“), die Fans rebellierten („Wir haben die Schnauze voll“), und der geschasste Lienen beklagte sich, Hoch- stätter habe seinen Abgang „von langer Hand geplant“. Den Verdacht einer Intri- ge nährte, dass Fach, der zwei Jahre als Amateurtrai- ner in Gladbach gearbeitet hatte, erst drei Wochen zu- vor zu Rot-Weiß Essen gewechselt war – und in seinen Vertrag mit dem

CITY-PRESS / IMAGO CITY-PRESS Regionalligisten eine Aus- Hertha-Trainer Stevens (3. v. l.), Manager Hoeneß (r.)*: Dem Populismus getrotzt stiegsklausel hatte festschrei- ben lassen für den Fall, dass s war kurz vor Mitternacht, als Dieter umstrittenen Trainers Huub Stevens ver- ihn die Borussia als Profitrainer engagie- Hoeneß, in einer silbernen Merce- hindert – gegen die Hauptstadt-Presse und ren wollte. Edes-Limousine auf der A 19 Richtung gegen den Widerstand in den Kontrollgre- Hochstätter wehrt sich gegen die Kom- Berlin unterwegs, zwei dringende Telefo- mien des Clubs. plottvorwürfe. Vielmehr habe er aus der nate erledigte: Erst rief der Manager von Wie sehr Hoeneß ob seiner Treue zum Mannschaft „beängstigende Signale“ emp- Hertha BSC den Vereinspräsidenten Bernd holländischen Coach litt, war nach dem fangen – und sei zum Handeln geradezu Schiphorst an, dann sprach er mit dem Happy End erkennbar. Da hüpfte der sonst verpflichtet gewesen. Als Fach bei Amts- Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Rupert so distinguierte Anzugträger ungelenk über antritt einen Laktattest zur Ermittlung der Scholz, in der Ära Kohl als Minister auch den Rasen und brüllte in die Nacht wie ein Fitness anordnete, so berichten Vereins- mal zuständig fürs deutsche Militär. betrunkener Seemann. Es war lausig kalt, Insider, seien bei vielen Profis blamable Die Bosse des Bundesligaclubs, so war es aber Hoeneß, nur ein Sakko über dem hell- Werte zu Tage getreten – wahrscheinlich abgesprochen, erwarteten einen detaillier- blauen Hemd tragend, schwitzte. infolge zu hoher Trainingsintensität. ten Lagebericht über das DFB-Pokalspiel Ein Killerspiel. Denn Stevens war – eine Stratege Hochstätter wollte Lienens Feh- beim FC Hansa Rostock. Und so schilder- bislang unbekannte Variante in der an ler kommuniziert wissen, doch dagegen te Hoeneß vergangenen Dienstag noch ein- bizarren Show-Effekten nicht armen Bun- legte das um Ruhe bemühte Präsidium sein mal die Höhepunkte einer dramatischen desliga-Geschichte – von der Vereins- Veto ein. Stattdessen ortet Vereinsvize Rolf Partie: das Ausgleichstor der Berliner zum führung nach neun sieglosen Spielen zum Königs nun eine „neue Dimension im Zu- 2:2 in der letzten Sekunde der Verlänge- Saisonstart und dem Aus in der ersten Run- sammenspiel von Cheftrainer und Sport- rung, das 6:5 nach Elfmeterschießen. de des Uefa-Cups öffentlich ein Ultimatum direktor“ – und stellt Hochstätter fortan Eigentlich ein irres Stück, doch Hoeneß’ gesetzt worden: zwei Siege aus zwei Spie- unter verschärfte Beobachtung. Stimme hatte schon wieder diesen tiefen, len gegen Rostock, eines in der Bundesliga, Dass die Manager in Haftung genom- ruhigen Fluss. Er fühlte sich in seinem eines im Pokal, basta. men werden für ihre teilweise einsamen Wirken bestätigt. Denn mit einer in Fuß- Trainerentscheidungen, gehörte bisher ball-Deutschland bislang wohl einmaligen * Nach dem 1:0-Sieg im Bundesligaspiel am 25. Oktober nicht zu den Merkmalen der Bundesliga. Hartnäckigkeit hatte er die Entlassung des bei Hansa Rostock. Jahrelang galt die Position des Sportdirek-

174 der spiegel 45/2003 Sport tors als Traumjob für ehemalige Profis, die natelang in einer Art medialem Sperrfeu- auch nach ihrer Kickerkarriere nichts er. Trotz des geglückten Aufstiegs titelte konnten außer Fußball. Als schwer ver- „Bild“ bereits in der Sommerpause: „Wann mittelbar galten sie allenfalls, wenn sie, wie fliegt Funkel?“ Bernd Hölzenbein bei , Rettig hielt zu dem Fußball-Lehrer, „weil mit der Steuergesetzgebung in Konflikt ge- ich ihn nach Abwägen von 25 Kriterien für rieten oder sich, wie Rolf Rüssmann beim den besten verfügbaren Trainer gehalten VfB Stuttgart, mit fast der gesamten Be- habe“. Gemessen an den Usancen der legschaft überwarfen. Bundesliga spielte der Manager mit offenen Doch die Zeiten scheinen vorüber, da Karten. Er informierte Funkel, dass er mit der Posten des Managers als einer der we- möglichen Nachfolgern, darunter dem nigen in der schnelllebigen Fußballbranche Schweizer Meistertrainer , krisensicher war. Wie die Stimmung gegen bereits Gespräche geführt habe. Denn: die sportliche Leitung umschlagen kann, „Wenn eine Entscheidung für einen ande- erfährt derzeit wohl niemand so krass wie ren Trainer nur fünf Prozent mehr für den JOERN POLLEX / DDP JOERN POLLEX HSV-Manager Beiersdorfer (l.)*: „Schwer angezählt“

Dietmar Beiersdorfer. Weil der Sportdi- 1. FC Köln bringt, dann bin ich auch so lei- rektor des Hamburger SV am Montag vor denschaftslos, dass ich Funkel entlasse.“ zwei Wochen der Öffentlichkeit noch vor- Am vorigen Donnerstag, zwei Tage nach machte, den schwächelnden Trainer Kurt dem peinlich-mühevollen 3:2-Sieg gegen die Jara zu stützen, am Mittwoch aber bereits Amateure des VfL Wolfsburg, war es so weit. die Verpflichtung Klaus Toppmöllers als Funkel bekam die Kündigung – und Rettig neuen Chefcoach bekannt gab, verpasste wird sich in den nächsten Wochen fragen „Bild“ ihm den Beinamen „Lügen-Baron“. lassen müssen, ob er zu spät gehandelt habe. Nun tut der frühere Abwehrspieler in In Rettigs Streben, „sich nicht fremd- Pressekonferenzen öffentlich Buße („Dass bestimmen zu lassen“, steckt auch das Ri- es keine Meisterleistung war, muss man be- siko, am Ende keine Verbündeten mehr zu stätigen“) und ist, wie ein Branchenkenner haben. Der Berliner Leidensgenosse Hoe- raunt, „schon nach 15 Monaten im Amt neß hat für seine Einsamkeit im Amt eini- schwer angezählt“. ges getan. Weil er sich in der polemischen Kaum anders ergeht es Andreas Rettig, Diskussion um Huub Stevens immer dem Manager des 1. FC Köln. Er hat, weil mal wieder persönlich angegriffen fühlte er sich im Gegensatz zu Beiersdorfer über („Stürzt Hoeneß mit?“), beschwerte sich Monate in Geduld übte, wegen seines Fest- der Hertha-Manager in den Redaktionen – haltens an Trainer wei- in der Regel nicht bei den verantwortlichen te Teile des kölschen Kosmos gegen sich Autoren, sondern bei deren Chefs. aufgebracht. Der spröde Coach, der nach Damit sind ihm weitere Attacken aus Heimspielen wie dem 1:4 gegen Werder dem journalistischen Unterholz sicher. Bremen von vier Bodyguards aus der „Dass Hoeneß sich immer wieder auf die- Arena geleitet werden musste, stand mo- se Art und Weise ausweint“, sagte ein Ber- liner Boulevardjournalist nach dem ge- wonnenen Pokalspiel in Rostock, „kommt * Mit dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann (r.) bei der Präsentation des neuen Trainers Klaus Toppmöller hier bei den Kollegen nicht so gut an.“ am 23. Oktober in Hamburg. Jörg Kramer, Michael Wulzinger

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