PAUL SCHARNER: POSITION QUERDENKER Wie Viel Charakter Verträgt Eine Fußballkarriere?
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LARS DOBBERTIN PAUL SCHARNER: POSITION QUERDENKER Wie viel Charakter verträgt eine Fußballkarriere? Delius Klasing Verlag Inhalt Gestatten: Paul Scharner 1.0 ............................................... 7 1 Zwei Verträge: Profi tum in Gefahr? ............................... 9 2 Pastern: Mensch oder Tier(welt)? ................................28 3 Austria Wien: Hilfe, ein Mäzen – was tun? ....................39 4 Der Löw-Skandal ....................................................... 51 5 Brann Bergen: »Spinnt der jetzt komplett?« ..................59 6 Station Norwegen – das Ausland aus Sicht der Familie ..74 7 Paul Scharner 2.0 .......................................................80 8 Valentin Hobel, Personal Coach und Freund .................90 9 Geschafft! Endlich England! ..................................... 108 10 »Woah, he comes from Austria, he’ll fucking murder, ya!« ............................................................ 126 11 Nationalteam – meine Hassliebe ............................... 136 12 Koller und der große CRASH .................................... 156 13 HSV: Forever and never .............................................169 14 Mit Wigan im Wembley ............................................ 177 15 HSV: Und aus – das war’s mit Fußball ........................194 16 Paul Scharner 3.0 .....................................................208 Kommentare Gerhard Plank ..................................................................26 Wolfgang Knaller .............................................................36 Herbert Prohaska .............................................................58 Mons Ivar Mjelde ..............................................................72 Valentin Hobel ............................................................... 104 Peter Linden .................................................................. 106 Aleksandar Dragovic´ ...................................................... 167 Roberto Martínez ........................................................... 192 Oliver Kreuzer ................................................................206 Gestatten: Paul Scharner 1.0 ein Name ist Paul Scharner. Ich wurde geboren am 11. März 1980 in Scheibbs, Niederösterreich. Ich war MÖsterreichischer Meister und Pokalsieger mit Austria Wien, Pokalsieger mit Brann Bergen in Norwegen. Ich habe 221 Spiele in der englischen Premier League bestritten, 21 Tore erzielt und mit Wigan Athletic den FA-Cup gewonnen. 40-mal stand ich im Nationalteam Österreichs. Das sind die Fakten. Aber Sie kennen mich vielleicht auch anders. Als den angeb- lichen Skandalprofi Paul Scharner, der sich permanent mit Trai- nern angelegt hat. Der einmal aus dem Nationalteam zurück- trat und seinem Verband öffentlich unprofessionelles Arbeiten vorwarf. Der einmal aus dem Nationalteam fl og, nachdem er seinen Trainer als »weichgeklopftes Schnitzel« bezeichnet hatte. Und der seine Karriere aus Frust über das Fußball-Business 2013 abrupt beendete. Viel zu früh? Welches Bild mögen Sie von mir haben? Das eines gnaden- losen Egoisten? Das eines Egozentrikers? Oder war ich für Sie einfach nur ein höchst leidenschaftlicher Profi ? Einer, der sich getraut hat, etwas anders zu sein als die meisten. Einer, der Dinge hinterfragt hat und mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt. Eine der Grundfragen, denen ich in diesem Buch nachgehe, lautet: Wie viel Charakter und eigene Persönlichkeit kann man sich als Fußballer eigentlich erlauben, wenn man sich im Profi - geschäft bewegt? Wäre es einfacher für mich gewesen, stromlinienförmig zu sein und mich strikt an die Vorgaben von Trainern und Ver- einen zu halten, und seien sie noch so abwegig? Wäre ich noch erfolgreicher gewesen, wenn ich meine Persönlichkeit 7 morgens einfach an den Kleiderhaken in der Kabine gehängt hätte? Sie könnten recht haben: Möglicherweise hätte ich mehr Länderspiele bestritten oder mir wäre der ein oder andere Trans- fer zu einem noch größeren Verein gelungen, wenn ich diesen Weg eingeschlagen hätte. Doch er wäre gegen meine Natur und eben gegen meinen Charakter gewesen. Kurz gesagt: Er wäre für mich nicht möglich gewesen! Ich war selbstbewusst genug, meine Meinung kundzutun und Dinge, die widrig liefen – notfalls auch öffentlich – infrage zu stellen und anzuprangern. Eines kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern: Ich habe immer das Gute gewollt! Paul Scharner, im Sommer 2015 8 1 Zwei Verträge: Profi tum in Gefahr? pa, bleib sofort stehen, ich kann nicht mehr. Ich » muss raus hier!«, schrie ich meinen Großvater an. OWir fuhren auf der Landstraße L 89 in Richtung Wien. Eineinhalb Stunden sollte unsere Reise dauern, und der ältere Herr, Herbert Plank, der Vater meiner Mutter Helga, hatte seinen grauen Mazda gerade behutsam aus unserem Heimatdorf Purgstall an der Erlauf herausgelenkt. Wir hatten das weiße Ortsausgangsschild passiert und fuhren entlang der L 89. Besonders eilig hatten wir es nicht, wir lagen gut in der Zeit, nachdem wir pünktlich losgekommen waren. Aber meine Anspannung war schon Tage vor diesem Termin greifbar gewe- sen. Und jetzt im Auto war sie plötzlich gar nicht mehr auszu- halten. Oberndorf, die erste Ortschaft, lag jetzt hinter uns, und gerade fuhren wir nach Sattlehen hinein. Ich schrie »Ausstei- gen!«, und Opa merkte sofort, dass ich nicht schauspielerte und reagierte umgehend. Er bremste ziemlich abrupt, viel Verkehr war ja nicht, und hielt seinen Wagen rechts an der Auffahrt zu einem der wenigen Bauernhäuser dieser winzigen niederöster- reichischen Ortschaft an. Kaum einmal 20 Minuten hatte unsere Reise bis hierhin ge- dauert, und schon seit wir losgefahren waren, hatte ich mich im engen Wageninneren nur gekrümmt. Es war kein Brechreiz, ich musste mich nicht übergeben, aber mir schnitten die Schmer- zen dermaßen durch den Leib, als würde jemand mit dem Messer durch meinen Bauch und meine Eingeweide rasieren. Mit allerletzter Kraft kletterte ich aus dem Auto und legte mich sofort mit zusammengekauertem Körper auf den Asphalt. Ich 9 blickte in das besorgte Gesicht meines Opas, der jetzt über mir stand. »Was sollen wir jetzt machen, Paul?«, fragte er zögerlich. »Wir fahren zurück nach Purgstall, ich brauche sofort einen Arzt!« Nachdem ich mich ein bisschen erholt hatte, fuhren wir die Strecke zurück. Eine knappe Stunde später lag ich im Sprechzimmer von Dr. Leopold Auer auf der Behandlungsbank. Dr. Auer, ein er- fahrener Mediziner, war seit Langem der Hausarzt der Familie Scharner, eine Vertrauensperson auch für mich. Er horchte mich mit seinem Stethoskop ab und machte kein besonders sorgen- volles Gesicht. »Paul, du hast nichts Organisches. Alles ist eigentlich in Ordnung. Es sind bloß deine Nerven. Die Anspan- nung und die Aufregung haben dir einen Streich gespielt.« Dr. Auer hatte ja keine Ahnung, warum ich so neben mir stand, warum die Angst und die Verzweifl ung mir diese hefti- gen Magenkrämpfe beschert hatten. Mich wunderte meine Aufregung wenig: Meine Karriere als Fußballprofi , von der ich geträumt hatte, seit ich zwölf Jahre alt war, stand auf dem Spiel. Gerade sollte alles losgehen, und schon schien alles zu zerplatzen. Ehe ich auch nur eine einzige Partie als Berufsfußballer bestritten hatte, stand ich nämlich plötzlich gleich mit zwei Spielerverträgen da, beide von mir unterschrieben: beim Grazer AK und gleichzeitig beim Liga- Konkurrenten FK Austria Wien, wo ich die drei Jahre zuvor verbracht hatte. Ein Verstoß gegen die Regularien! Und an diesem Morgen im April 1999 waren Opa und ich aufgebrochen, um vor dem Senat 4 der Bundesliga über eine doch noch gütliche Einigung zu verhandeln, mit der ich, aber vor allem die beiden Vereine leben konnten, die beide auf einen rechtsgültigen Vertrag mit mir pochten. Mein Opa und ich, zwei unerfahrene Provinzler, im Gefecht mit den Juristen der Liga und den mächtigen, gewieften Funktionären beider Profi ver- eine! Was konnte ich als kleines Talent – noch grün hinter den Ohren – in Begleitung von meinem Großvater da überhaupt 10 ausrichten? Eine gütliche Lösung rückte für mich in immer weitere Ferne, je näher der Termin rückte. Ich hatte Angst, dass alles den Bach runtergehen würde und ich samt meinen Träu- men und Erwartungen zwischen den grauen, unerbittlichen Statuten zerrieben würde. Im Vorfeld des Termins war immer wieder auch die Rede von einer mehrjährigen Sperre gewesen. Aus heutiger Sicht bewerte ich das Ganze eher als Drohgebärde und weiß, dass es theore- tisch die Möglichkeit gegeben hätte, mich zu bestrafen, es aber höchst unwahrscheinlich war. Aber damals nahm ich das natür- lich für bare Münze, was meine Magenschmerzen ja eindrucks- voll bewiesen. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 19 Jahre jung, noch absolut unerfahren. Ich hatte auch noch keinen Manager oder einen professionellen Berater an meiner Seite wie viele andere junge Talente in Österreich. Diese Leute hatten lange mehr oder weniger einen Bogen um mich herum gemacht, weil mir ohnehin niemand zutraute, dass ich es bis ganz nach oben schaffen könnte. Und ein Spieler ohne ausrei- chend Talent, dessen Karriere irgendwo versandet, versprach kein einträgliches Geschäft. Stattdessen war ich umgeben von meinen Eltern Helga und Josef, meinem Onkel Gerhard Plank, Fußball-Obmann bei der SVg Purgstall, und meinem Großvater Herbert Plank. Zudem war ich im Besitz von gleich zwei Profi verträgen, und ich hatte einen großen Traum: Profi fußballer werden. Vermutlich kann niemand, der diesen Traum nicht selbst so lange und intensiv gelebt hat wie ich, sich vorstellen, dass eine Welt zusammen- bricht, wenn alles zu