Lea Rosh Publizistin Im Gespräch Mit Christoph Lindenmeyer
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0611/20061116.shtml Sendung vom 16.11.2006, 20.15 Uhr Lea Rosh Publizistin im Gespräch mit Christoph Lindenmeyer Lindenmeyer: Willkommen zum alpha-forum, meine Damen und Herren. Heute lernen Sie eine große und erfolgreiche Fernsehpublizistin kennen, eine Persönlichkeit, die sich immer wieder engagiert für das Gewissen und gegen das Vergessen. Herzlich willkommen, Lea Rosh. Gerade vor dieser Sendung habe ich erfahren, dass Sie im Förderverein des neuen Potsdamer Theaters sind, das im Jahr 2006 mit einer Uraufführung eröffnet wurde. Rosh: Mit fünf Premieren! Es waren fünf Premieren. Lindenmeyer: Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung unseres Gesprächs jedoch ist erst eine dieser Premieren gelaufen. Viele weitere werden aber noch kommen in diesem Jahr. Das ist ein wunderschönes Theater und Sie treiben privat das Geld dafür ein. Jetzt frage ich aber nicht, wie viel Geld fehlt, sondern ich frage Sie, wie oft Sie ins Theater gehen. Rosh: Ich gehe sehr viel ins Theater. Ins Hans-Otto-Theater gehe ich regelmäßig seit ungefähr einem Dreivierteljahr, seitdem Uwe Laufenberg dort Intendant ist. Aber ich bin in Berlin natürlich auch bis dahin schon sehr, sehr viel ins Theater gegangen: ins Deutsche Theater, in die Kammerspiele, ins Maxim Gorki Theater, wo ich sechs Jahre lang den Förderverein geführt und geleitet habe. Die Aufgabe von solchen Fördervereinen besteht darin, sich mäzenatisch zu engagieren für das Theater, denn der Staat – das sage ich den Leuten immer wieder – kann unsere Hochkultur nicht mehr finanzieren. Wir müssen also schon selbst dazu beitragen, wenn wir ins Theater oder in die Oper gehen wollen. Ich gehe in Berlin natürlich auch sehr viel in die Opernhäuser. Ich hatte mir jedenfalls vorgenommen, auch am Hans-Otto- Theater diese Aufgabe wieder zu übernehmen. Ich bin dann gewählt worden und habe heute einen Vorstand, der wunderbar mitarbeitet; ich hatte aus dem Gorki Theater welche mitgenommen. Aber es sind natürlich auch "echte" Potsdamer mit dabei. Ja, es macht schon Spaß, in diesem neuen Haus tätig zu sein. Lindenmeyer: Sie haben in Ihrem ganzen publizistischen Leben vor allem einem Medium gedient, nämlich dem Fernsehen, dem Sie sich quasi verschrieben haben. Auf die einzelnen Stationen werden wir sicherlich noch zu sprechen kommen. Sie denken auch sehr stark optisch, wie ich weiß: Mit Heide Simonis, der früheren Ministerpräsidentin, teilen Sie offensichtlich den Wunsch nach auffälligem Schmuck. Wer von Ihnen beiden besitzt eigentlich mehr Schmuck? Rosh: Ich habe schon sehr viele Ohrringe, aber gut, Kette und Ohrringe zusammen zu tragen, das ist nicht so gut, darum trage ich heute nur eine Kette. Hm, ich weiß nicht, ich habe in der Tat eine ganze Menge Ohrringe, aber Ringe trage ich nicht so viel wie sie. Ich habe das jedenfalls noch nie ausgerechnet oder nachgeprüft. Aber ich trage tatsächlich gerne Schmuck: Das kleidet einen gut, macht einen frisch, denn nur schwarz angezogen zu sein, ist mir einfach zu dunkel. Und so kommt eben heute über die Halskette z. B. ein helles Grün mit dazu. Lindenmeyer: Kommen wir zu den Dingen, die einen Menschen auch schmücken, zum eigenen Namen, zum Familiennamen, zum Vornamen. Kritiker haben Ihnen immer wieder vorgehalten, dass Sie zu den verschiedenen Namen, die Sie hatten, nämlich Edith, Renate und Ursula – das waren Ihre Taufnamen –, den Namen Lea zusätzlich angenommen haben. Sie haben Ihnen unterstellt, das sei aus ganz besonderen taktischen Motiven geschehen. Was sagen Sie zu diesen Kritikern? Rosh: Diese Unterstellung geht ja viel weiter. Diese Leute sagen nämlich, ich hätte meinen Nachnamen hebräisiert. Mein Nachname wird geschrieben R, o, s, h. Das ist der Name meines christlichen Vaters, und zwar immer schon gewesen. Dass "Rosh" ein hebräisches Wort ist und "der Kopf" heißt, haben weder mein Vater noch ich damals bei meiner Geburt gewusst. Das ist also ganz eindeutig der Name, unter dem ich geboren wurde, getauft wurde usw. Den Namen Lea hat mir mal ein Freund verpasst. Wir sind damals nach Bayreuth gefahren und dort fragte er mich: "Findest du eigentlich den Namen Edith so schön?" Ich antwortete ihm: "Na ja, das ist eine Patentante von mir." Er meinte dann aber, er hätte einen schöneren Namen für mich, nämlich Lea. Ich antwortete ihm: "Ja, so ein Name mit e und a, das ist ein schöner Name." Und so kam ich zu meinem neuen Vornamen. Aber wissen Sie, es hatte natürlich mit dem Denkmal zu tun, dass die Leute gesagt haben: "Sie nimmt sich jetzt einen jüdischen Vornamen!" Dabei ist doch "Edith" auch ein jüdischer Name. Bei Sarah Kirsch hingegen regt sich keiner auf, dabei heißt auch sie nicht Sarah. Ich habe das am Anfang jedenfalls eher mit Amüsement quittiert, bis es mir zu bunt wurde und dann musste das selbst der "Spiegel" korrigieren, dem ich meinen Taufschein vorlegte. Interessanterweise hat mir der "Spiegel" daraufhin geschrieben, sie würden sich dafür entschuldigen, das so oft falsch geschrieben zu haben, aber ich hätte ja auch lange Zeit nicht protestiert dagegen. Ich habe den "Spiegel" wissen lassen: Wenn man gegen alle Falschmeldungen vom "Spiegel" vorgehen würde, dann müsste man sich eine eigene Rechtsanwaltskanzlei nur dafür halten. Das hat sich aber mittlerweile beruhigt, die Leute haben das begriffen. Ich habe mir jedenfalls erlaubt, mir den Namen Lea zuzulegen. Aber mein Nachname Rosh ist in der Tat mein Name, unter dem ich auf die Welt gekommen bin. Lindenmeyer: Sie haben auch nie verschwiegen, dass Sie in einer evangelisch orientierten Familie aufgewachsen sind, dass Sie dann aber mit 18 Jahren dieser Kirche den Rücken gekehrt haben. Rosh: Ich war schon ein bisschen älter, denn ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits studiert. Ich habe jedenfalls ungefähr ab meinem 18. Lebensjahr so langsam begriffen, was eigentlich passiert war in unserer Familie. Meine Mutter war, im Nazi-Jargon, eine so genannte Halbjüdin. Darüber hat sie nie gerne geredet. Sie hat nie gerne darüber geredet, was ihr und der Familie alles widerfahren ist. Ich musste ihr das alles Stück für Stück quasi entlocken. Lindenmeyer: War sie eine klassische Vertreterin der "schweigenden Generation"? Rosh: Ach nein, meine Mutter hatte einfach viele Sorgen. Wissen Sie, mein Vater ist in Polen umgekommen. Er war Pazifist, wurde aber dennoch zur Wehrmacht eingezogen und hat dann auch sein Leben dabei verloren. Ich weiß noch, wie wir im Dezember 1944 an einem Bahnhof außerhalb Berlins, wohin wir evakuiert waren, standen und meine Mutter weinte, als mein Vater zurück an die Front musste. Wir vier Kinder – aufgereiht wie die Orgelpfeifen – haben natürlich auch geheult. Meine Mutter sagte zu ihm: "Komm, bleib hier, ich versteck dich!" Aber mein Vater sagte: "Wenn sie mich bei dir erwischen, dann stellen sie mich, dich und unsere Kinder an die Wand! Das hat keinen Sinn!" Mein Vater starb also im Krieg und meine Mutter mit vier Kindern blieb zurück: Wir hatten nichts zu essen, nichts zu beißen. Meine Mutter musste uns vier Kinder alleine erziehen und durchbringen. Aber es hat sie sicherlich auch noch lange verletzt, dass man sie – da war ich selbst sogar mit dabei, ich habe mich allerdings erst hinterher daran erinnert, weil ich ja noch sehr klein gewesen bin – eines Tages auf dem Markt unglaublich verletzte. Eine Marktfrau hatte nämlich zu ihr gesagt: "Dir Judensau verkaufe ich nichts!" Ich habe dann natürlich sofort meine Mutter gefragt, was das denn sei, eine "Judensau". Sie meinte aber nur: "Sei ruhig! Das erzähl ich dir später!" Sie hatte also auch Angst. Sie ist ja auch in der Tat denunziert worden und auch mein Vater war bereits denunziert worden. Aber wir hatten bei uns in Berlin halt doch auch Leute – ich bin in Schmargendorf groß geworden –, die meine Mutter geschützt haben, die gesagt haben: "Frau Rosh, da ist wieder was im Busch gegen Sie! Ich besorge Ihnen eine Evakuierung!" Aus dem Grund waren wir dann tatsächlich vier Mal evakuiert. Auf jeden Fall war das eine Zeit, die für meine Mutter offenbar sehr, sehr belastend gewesen ist. Insofern hat sie darüber nicht gerne gesprochen. Ich habe ihr das alles erst hinterher wirklich Stück für Stück entreißen müssen und dann hat sie eben auch darüber erzählt. Letztlich ist das eben auch unsere Familiengeschichte, die Geschichte meiner Familie mütterlicherseits: Dieser Teil der Familie, der jüdische Teil, ist umgekommen. Mein Großvater stammte aus der berühmten Familie Gerson: Das war ein riesengroßes Konfektionsunternehmen in Berlin. Mein Großvater war allerdings selbst Opernsänger: Er war quasi ausgeschert aus der Familientradition. Mein Großvater war, wie ich glaube, ein sehr kluger Mann. Er hatte in den zwanziger Jahren ein Engagement an der Metropolitan Opera gehabt: Er war also fünf Jahre in New York gewesen. Als er dann nach Deutschland zurückkam, las er "Mein Kampf". Das war, wie mir meine Mutter später erzählte, 1926! Er sagte dann zu meiner Mutter - meine Mutter hatte gerade meinen Vater geheiratet, während mein Großvater selbst mit einer zweiten Frau verheiratet war, weil seine erste Ehefrau, die Mutter meiner Mutter, gestorben war: "Ich habe für uns vier die Auswanderungspapiere nach Amerika besorgt!" Meine Mutter fragte: "Warum?" "Der bringt uns alle um!" "Wer?" "Adolf Hitler!" "Wieso?" Er sagte dann zu ihr: "Du brauchst das nur zu lesen, das steht alles in 'Mein Kampf' drin! Er wird uns alle umbringen! Und deswegen werden wir vier alle auswandern!" Meine Mutter antwortete ihm dann mit diesem klassischen Satz, den die Juden, die sich für etwas Besseres hielten als die osteuropäischen Juden, damals so gut wie immer sagten: "Aber uns doch nicht! Vielleicht die osteuropäischen Juden, aber uns wird er doch nicht umbringen!" Mein Großvater war sich jedoch sicher: "Er wird uns alle umbringen! Hier steht es!" Daraufhin hat er seine Brüder gewarnt und deren Söhne. Keiner hat ihm geglaubt: Sie sind alle umgekommen. Lindenmeyer: Wie ja ganz viele, die "Mein Kampf" zu Hause stehen hatten, das damals jeder zur Hochzeit geschenkt bekommen hat, zwangsweise.