Sprengsatz Auf Zwei Beinen
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Deutschland MAHNMAL-DEBATTE Sprengsatz auf zwei Beinen Im Ausland erntet der designierte Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, Anerkennung – in Bonn und Berlin wird der Quereinsteiger mißtrauisch beäugt. Sein Alternativ-Vorschlag zum Holocaust-Mahnmal löst nun heftigen Streit aus. Von Walter Mayr oben rauschen, Fliegen zwicken an Irritiert nimmt Naumann zur Kenntnis, Institut eine Stätte der Erinnerung in Ber- Männerhälsen. In zehn Minuten be- wie sich manche im Gestrüpp ihrer Funk- lin zu planen. Rginnt die Nobelpreis-Gala. „Vertre- tionen verheddern. Naumann solle doch Bei einem Essen mit Vertretern der jüdi- te ich Deutschland würdig?“ fragt Micha- sagen, daß er den Juden kein Denkmal set- schen Öffentlichkeit am 24. November in el Naumann. zen wolle, sagt Lea Rosh im Namen des der Residenz des deutschen Botschafters in Sein Gesicht sagt ja. Der Kulturbeauf- Förderkreises. „Es ist gut, daß sich in der Washington beugt Naumann dem Mißver- tragte der Bundesregierung genießt sich. festgefahrenen Situation in Berlin so kurz ständnis vor, Deutschland wolle sich aus der Smokingjacke und Kummerbund glattge- Mahnmal-Diskussion steh- strichen, zerteilt er leichten Fußes die Lob- len. Und ist ansonsten Ohr. by im Konzerthaus von Stockholm. Gleich Sich „Beglaubigungen muß König Carl Gustav kommen. und Lizenzen“ fern der Hei- Und dann José Saramago, Gewinner des mat zu besorgen sei typisch Literatur-Nobelpreises 1998, der an diesem für jene „über die ganze Abend verliehen wird. „Mein Freund“, Nachkriegszeit eingeübte sagt Naumann, „ich war sein Verleger.“ Er Geste der Unmündigkeit“, läßt sich nieder im abgedunkelten Parkett giftelt’s prompt aus dem und schiebt die Brille ins Haupthaar.Wann Wohnzimmer der nationa- immer von oben Scheinwerferlicht fällt, len Selbstfindungsgruppe, funkelt der deutsche Ehrengast wie ein dem Feuilleton der „Frank- Glühwürmchen bei Neumond. furter Allgemeinen“. Naumann fällt auf. Vor seiner Stockhol- Naumann tritt vor die mer Amtskollegin extemporiert er leicht- Presse, knetet seine Finger händig über den in Schweden verehrten wie Sauerteig und sagt, der Impressionisten Anders Zorn. In Washing- Gefahr, mit dem Mahnmal ton beeindruckt er die Creme jüdischer „einen Schlußstrich zu zie- Gesellschaft mit Kammerton und Neugier. hen“, gedenke er sich durch Beifall auch in Paris, für die kämpferisch das Modell einer Stätte le- vorgetragene Absicht, die Kultur des Bu- bendigen Erinnerns zu wi- ches gegen die „entfesselte Marktwirt- dersetzen. schaft“ zu verteidigen. Vieles wird dem Hochge- Nur in der Heimat grummelt’s ver- bildeten von Weggefährten nehmlich, seit Naumann im Kanzleramt nachgesagt – Gefallsucht, sitzt. Zum Staatsminister für Kultur wird er / OSTKREUZ RÖTZSCH J. Jähzorn, „Hang zum Dar- dieser Tage per Gesetz, ohne Abgeordne- Kulturbeauftragter Naumann: „Depressive Zuversicht“ winismus“, „Unfähigkeit, tenmandat. Verfassungspatrioten tragen sich zu verbünden“. Böses Bedenken, doch Naumann gibt in Stein ge- nach ihrem Dienstantritt etwas bewegt“, ist darunter: „Im Oxford der dreißiger Jah- meißelte Stellenbeschreibungen ab: „Die- schreibt hingegen dankbar der Vorsitzen- re wäre er bei den Kommunisten gewesen; se maßlos kräftig gewordene Gesellschaft de der Stiftung Deutsches Holocaust- und danach Hoflaureat bei der Queen.“ auf ihren Wirtschaftswunderbeinen kann Museum, Hans-Jürgen Häßler, an Nau- Eines hatte bis zur Wende im Mahnmal- auf Kunst als Gelenk nicht verzichten.“ mann. Als Vorstandsmitglied im Briefkopf Streit keiner behauptet: daß Naumann un- Also auch nicht auf ihn. verewigt: Lea Rosh. mündig sei und rückgratlos. Sonntagsredner, tuscheln in Bonner Die Gedanken sind frei, findet Nau- Als Kriegskind 1941 in Köthen, Sachsen- Gremienarbeit grau Gewordene. Keine Po- mann. Hat er was verbrochen? Er hat, den Anhalt, geboren, verliert er den Vater in litik-Erfahrung, bemängeln jene, die seit Freunden gärstoffreicher nationaler De- Stalingrad. Mit der Mutter, zur Hälfte Jü- Jahren leidvoll die Grenzen von Politik er- batten zum Trotz, außer Landes um eine din, flieht er später aus der DDR nach We- fahren. „Gemischtwarenladen“, sagt Mi- passable Lösung gekämpft für die Brache sten und von dort in die USA, emigrierten chel Friedman, Präsidiumsmitglied im Zen- beim Brandenburger Tor. Und dabei eine Verwandten nach. Genetisches Recht, an tralrat der Juden in Deutschland, als Nau- Legende widerlegt aus dem Fundus von Debatten über würdiges Holocaust-Ge- manns Konzept für ein Holocaust-Museum Altkanzler Kohl: Das Ausland, Amerika denken mitzuwirken, hat Naumann aus anstelle des geplanten Mahnmals bekannt voran, werde ein Abrücken vom Mahnmal seinen Wurzeln nie abgeleitet. wird (SPIEGEL 51/1998). als Kehrtwendung deuten. Sein prägendes Erlebnis, soviel räumt Die Entrüstung ist beträchtlich. Mit- „Ausdrücklich begrüßt“, heißt es in Wa- er ein, sei der „Gerstein-Bericht“. Die wirkende am Findungs-Marathon in shington, habe Staatssekretär Stuart Ei- „obszöne Präzision“ der Beschreibung, die der Mahnmalfrage fühlen sich mißach- zenstat das Ansinnen, zusammen mit dem der Himmler-Untergebene Kurt Gerstein tet. Mitentscheider klagen an (siehe Holocaust Memorial Museum in Washing- für die Massenvernichtung der Juden fand, Seite 31). ton, mit Jad Waschem und dem Leo-Baeck- hinterläßt Spuren bei Naumann. 30 der spiegel 52/1998 Zurück in Deutschland, hört er Ge- schichte in München bei Eric Voegelin. Es ist die Zeit der Suche nach Parabeln zur Entstehung des Faschismus. Lange vor ’68 gilt der junge Heimkehrer aus den USA „Alleingang verhindern“ als Fixpunkt einer aufmüpfigen Uni-Szene, die in Schwabinger Schwemmen dialek- Der Vorschlag, in Berlin statt des Holocaust-Mahnmals tisch aufrüstet – Debattierer messen sich, ein Museum zu errichten, verärgert Experten und Bauherren. indem sie wortreich für das Gegenteil ih- rer Überzeugung eintreten. or gut zehn Jahren lud eine tung. Folgerichtig verlangt Lea Rosh, Naumann, bester Redner und seines West-Berliner Bürgerinitiative Naumann möge sich mit dem Förder- „dramatisch zerfurchten Gesichts am Kla- Vunter Führung der Journalistin kreis und Berlin ins Benehmen setzen, vier“ wegen Mädchenschwarm, gründet Lea Rosh erstmals zu einer öffentlichen bevor er unausgegorene Ideen in die eine Zeitung, die als pro-kommunistisch ver- Diskussion über den Bau eines „Denk- Welt setze. „Ein Alleingang des Bun- dächtigt und verboten wird. Er geht auf die mals für die ermordeten Juden Euro- des“, sagt auch der Chef der Berliner Straße und promoviert über Karl Kraus. pas“ ein. Die Zahl der Vorschläge für Senatskanzlei, Volker Kähne, „muß Er wird Journalist bei „Zeit“ und SPIE- ein solches Mahnmal, die seitdem er- verhindert werden.“ GEL und später Rowohlt-Chef in Ham- sonnen und publiziert wurden, dürfte Die drei Auslober hatten nach zwei burg, schlägt Rad und läßt Federn als Ver- inzwischen die 600 überschritten aufwendigen künstlerischen Wett- leger in New York. Im Sommer 1998 sitzt er haben. bewerben und drei Kolloquien den Ent- wurf von Richard Serra und Peter Ei- senman favorisiert, doch eine Ent- scheidung vertagt. Geht es aber nach Naumann, soll jetzt aus dem geplan- ten Mahnmal ein Museum mit Biblio- thek, Forschungs- und Ausstellungs- stätte werden, garniert mit einem „Gar- ten des Spiels und der Besinnung“. Zur Finanzierung des multifunk- tionalen Museums, meint der künftige Staatsminister, könne ein Teil des 20000 Quadratmeter großen Grundstücks ver- kauft werden.Wie dann der bunte Mix auf einem verkleinerten Areal am Brandenburger Tor untergebracht wer- den soll, weiß auch er wohl noch nicht. Ignatz Bubis, der dafür sorgte, daß Helmut Kohl das bundeseigene Grund- stück südlich des Brandenburger Tores für das Mahnmal zur Verfügung stellte, findet Naumanns radikale Umwid- mung abwegig. „Ein Museum“, sagt der Präsident des Zentralrats der deutschen Juden, „ist doch kein Mahnmal und kann es auch nicht ersetzen.“ REUTERS „Wie sich der Vorschlag in die be- Mahnmal-Entwurf von Peter Eisenman: „Widerstand leisten, auch in der Regierung“ reits bestehende Erinnerungslandschaft einfügen könnte“, ist Michaele Schrey- am Maschsee in Hannover einem Zigar- Vergangene Woche präsentierte der er, der Vorsitzenden der grünen Frak- renraucher gegenüber, der Kanzler wer- designierte Staatsminister für Kultur, tion im Berliner Abgeordnetenhaus, den will und einen Kulturminister braucht. Michael Naumann, einen neuen Vor- rätselhaft. Mit dem Haus der Wannsee- Naumann weiß, mit wem er es zu tun hat. schlag, und seitdem ist die Verwirrung Konferenz, demnächst der „Topogra- 1988, im Arbeitsgerichtsprozeß zwischen in der hochkomplizierten Debatte phie des Terrors“ und dem Jüdischen dem Rowohlt-Verlag und Freimut Duve, hat komplett. Museum besitzt die Hauptstadt drei er als Verlagschef und Beklagter den SPD- War man in langer Diskussion dahin profilierte wissenschaftliche Institutio- Politiker und Anwalt Gerhard Schröder ken- gelangt, daß der Bund, das Land Berlin nen, die über den Holocaust arbeiten nengelernt. Damals sprach er keck: „Sie sind und der Förderkreis von Lea Rosh als und aufklären. Hinzu kommen noch Oppositionsführer. Ein Mann, der gewinnen gleichberechtigte Finanziers und Bau- das Centrum Judaicum und das Zen- will. Dies hier ist für Sie eine verlorene Sa- herren das Denkmal errichten sollen, trum für Antisemitismusforschung. che.“ Abwarten, erwiderte Schröder. Am hat der Kulturbeauftragte jetzt „mit „Hätte Herr Naumann gewußt, was Ende stand ein Vergleich. voller Rückendeckung des Kanzlers“ es in Berlin bereits alles gibt“, vermu- Zehn Jahre später einigt man sich erneut ein Konzept