Das Erosionsgebiet - eine in Deutschland einzigartige, landeskulturelle Anlage der Moderne

Das Erosionsgebiet Bruchstedt in Hanglage in der Bildmitte Copyright Patrizia Kramer, Jena, 2016

Olaf Bellstedt (Bundesfreiwilligendienstleistender der VG Bad Tennstedt, Einsatzort Bruchstedt) Rainer-Maria-Rilke-Str. 4 99425 Weimar 27.3.2016

Teil 1 Kurze Geschichte des Erosionsgebietes von Bruchstedt

Es geschah in der Nacht des 23.Mai 1950.

Ein heftiges Unwetter Bruchstedt ließ in dieser Nacht den sonst still vor sich hinfließenden Fernebach zu einem gewaltigen Strom anschwellen, der dann den kleinen Ort Bruchstedt mit einer über 3 Meter hohen Welle aus Wasser, Schlamm und Hagelkörner traf, was zahlreiche Menschen und Tieren das Leben kostete und umfangreiche Gebäudeschäden zur Folge hatte.

Bruchstedt im Mai 1950 - von der Wucht des Wassers zerstört Foto: Fiedler, 1951 (aus: TLUG-Schriftenreihe Nr. 92, S. 48)

Damit so ein Unwetter nicht noch einmal solchen Folgen nach sich ziehen kann, wurden die Gründe und Ursachen räumlich analysiert und entsprechende Maßnahmen geplant und zügig umgesetzt.

Man fand heraus, dass der Boden an den Hängen beiderseits des Fernebachs nicht in der Lage war, das auf die Hänge plötzlich niedergehende Regenwasser aufzunehmen. Stattdessen floss es oberflächlich ab. Es und schwemmte dadurch den Boden ab, der dann in den Fernebach gelangte, wodurch dieser zu einem reißenden Strom aus schlammigem Wasser wurde.

Es wurden mechanische (erdbauliche) und pflanzliche Maßnahmen (landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und obstbauliche) kombiniert. Das so entstandene großflächige Erdbauwerk sollte beispielhaft zeigen, wie erosionsgefährdete Böden zukünftig bewirtschaftet werden können, ohne dass bei Starkniederschlägen der Boden erneut erodiert.

Diese Art von Anlage sollte in allen vergleichbaren Situationen des Landes Thüringen entstehen. Sie sollten vor allem durch Einsatz von Technik in noch kürzerer Zeit und damit effektiver gebaut werden können, als die Musteranlage.

Diese Art des Umgangs mit der Natur, hier mit dem Boden und der bodenschützenden Vegetation, war mit dem Ziel der Steigerung der Bodenfruchtbarkeit und damit der Ertragssteigerung gekoppelt. Alle wirtschaftlichen Überlegungen standen schon damals, also 1950, unter dem Primat der Nachhaltigkeit.

In der Gemarkung Bruchstedt wurde nach OBERKROME (1) die Idee einer „Landeskultur“, die „die ganze Heimat … auf weite Sicht“ pflegt und „gestaltet, mit dem Ziel, ihre Fruchtbarkeit ihren Reichtum ihre Schönheit, kurz ihren Wert für den Menschen zu erhalten, ja zu mehren.“ durch Apel und Wuttke innerhalb weniger Jahre umgesetzt. Das nachstehende Luftbild zeigt das Ergebnis dieser Umsetzung 30 Jahre nach Baubeginn.

Das Erosionsgebiet Bruchstedt (eingerahmt) als Anlage der modernen Landeskultur auf einem Luftbild von 1980, alle Rechte beim Landesvermessungsamt

Da diese Art der Bodennutzung und des Umgangs mit Natur in dieser Komplexität damals völlig neu war und keine Nachahmer gefunden hat, ist das Erdbauwerk des Bruchstedter Erosionsgebietes einzigartig geblieben. Mit der Eintragung dieser Anlage mit der etwas langen Bezeichnung „Modellprojekt der Landschaftsgestaltung nach Grundsätzen des Erosionsschutzes und der Landschaftspflege“ in das Denkmalbuch von Thüringen im Februar 2013 gemäß dem Thüringer Gesetz zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmale wurde der Denkmalwert dieser Erosionsanlage amtlich festgestellt und öffentlich bekannt gegeben .

Das Erosionsgebiet Bruchstedt als Ausdruck der Landeskultur der Moderne auf einem Luftbild 1980, alle Rechte beim Landesvermessungsamt Erfurt

Die Planer von damals:

Kurt Apel war der landwirtschaftliche Berater der Anlage in Bruchstedt und Mitautor des u. g. Buches

„Planer wie Pniower … (und Wuttke, Anm. O.B.) kritisierten die Orientierung an einem romantisch verklärtem Bild von Kulturlandschaft. Ihr Interesse gilt dem Wechselspiel zwischen zweckvoller Arbeit und Veränderung von Landschaft.“- so Prof. Dr. Onno Poppinga (2) .

Die Geschichte der Anlage, vom Anlass bis zur Fertigstellung, ist bestens dokumentiert. Die Planung und Realisierung ist , mit Fotos versehen, 1954 als Buch erschienen.

Heute sieht die Anlage wie folgt aus.

Luftbild des unter Denkmalschutz stehenden Erosionsgebietes Bruchstedt (Copyright google, heruntergeladen 2012)

Die Instandsetzung und Erhaltung des Denkmals dient der Sicherung der Anlage und ist verbunden mit der Erinnerung der Bewohner von Bruchstedt an die Katastrophe von 1950.

Nachstehend das um 1952 erreichte Ergebnis einer „zweckrationalen Naturpflege“, wie OBERKROME diesen damaligen Umgang mit der Natur, hier in Form des Erdbauwerkes , bezeichnet hat. Dieses besteht hauptsächlich aus 1,5 km höhengleichen Hanggräben, aus einer achtstufigen Kaskade und einer flächenhaften Obstbaumpflanzung mit streifenförmigen, landwirtschaftlichen Unterkulturen. Die folgende Abbildung ist dem o. g. Buch entnommen und zeigt die Flächennutzung um 1952. Ganz rechts außen die achtstufige Kaskade zur Regenrückhaltung .

Achtstufige Wasserkaskade im Erosionsgebiet Bruchstedt Foto: L. Bauer, 1962, ILN-Archiv

Das deutschlandweit einmalige, über 20 Hektar große Erdbauwerk ist situationsspezifisch entworfen und ausgeführt worden und steht in einen unmittelbaren und ursächlichen Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des 1950 von der verheerenden Flutkatastrophe heimgesuchten Ortes Bruchstedt. Heute ist von der einstigen landwirtschaftlichen Nutzung kaum noch etwas zu sehen. Es erfolgt lediglich die Grünlandnutzung unter den verbliebenen Ostbäumen.

Teil 2 Zur Zukunft der Bruchstedter Landeskulturanlage

Die Einschätzung der Experten ist für die Aufstellung der Ziele unerlässlich:

„Sinnvoll erscheint es, den Fernebach-Südhang und die Erosionsgräben im Sinne von APEL und WUTTKE 1954 weiter zu pflegen und zu beobachten, um hiermit eine gut dokumentierte Arbeit zur Vermeidung von Hagel-/Schlammlawinen in Mitteleuropa zu erhalten.“ Prof. Dipl.-Ing. Rolf Johannsen, FH-Erfurt, 2011

„Das Bruchstedter Kulturlandschaftsensemble ist ein Thüringer Kleinod, ein gebautes, gestaltetes Stück Kulturlandschaft von besonderer Eigenart und einzigartigem historischen Zeugniswert“ Prof. Dr.-Ing. habil. Ilke Marschall, FH-Erfurt, 2014

„Pniower, Professor für Landschaftsgestaltung an der Humboldt-Universität Berlin, entwarf beispielhafte und zukunftsweisende Konzepte für die Entwicklung und Gestaltung von Landschaften und forderte den wohlerwogenen Einsatz von sogenannten „exotischen“ Pflanzen in Mitteleuropa .… soweit sie zur nachhaltigen Verbesserung unserer wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse beitragen können.“ Prof. Dr. Joachim Wolschke-Bulmahn, Institut für Landschaftsarchitektur, Hannover, 2014

„Naturschutz“, so hatte Pniower formuliert, „muss romantische Ideen der Erhaltung oder Wiederherstellung einer vermeintlichen ‚natürlichen‘ Fauna und Flora aufgeben und muss danach trachten, technische und wirtschaftliche Einflüsse in der günstigsten Richtung abzuändern, damit … und - wo immer es möglich ist – deren Mannigfaltigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten sich mehren“... In solchen Überlegungen scheint Pniowers Interesse an der Suche nach innovativen und weit über enge nationale Grenzen hinausreichenden Lösungen für gesellschaftliche Fragestellungen durch. Eine systematische Auseinandersetzung könnte dazu beitragen, den Wert dieser Vorstellungen Pniowers und ggfs. ihre Tragfähigkeit für Entwicklungen des 21. Jahrhunderts zu überprüfen“. Prof. Dr. Gert Gröning, Forschungsstelle Gartenkultur und Freiraumentwicklung, Universität der Künste Berlin, 2014

Die Kunst (auch die der Gestaltung der Anlage als Erdbauwerkes) ist neben der Bewirtschaftung eine Grundlage für das Verständnis, dass das Bruchstedter Erosionsgebiet gerade die Hangmodellierung vom Wuttke bekommen hat.

„Angesichts der Verdrängung und weitverbreiteten Unkenntnis der Arbeiten von PNIOWER“ und damit auch von Wuttke (Hervorhebung O.B.) „ist jede Maßnahme willkommen, die dazu beiträgt, seinen Namen und sein Werk der Vergessenheit zu entreißen.“ Das sagt Prof. Dr. Gert Gröning von der Forschungsstelle Gartenkultur und Freiraumentwicklung im Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin, nachzulesen in: Stadt und Grün, Heft 8 1996.

Das Erosionsgebiet Bruchstedt ist die einzige, vollständig erhaltene Manifestation einer „komplexen Landeskultur“ (3) nach PNIOWER, geplant und ausgeführt von Wuttke, Apel und zahlreichen Mitarbeitern.

Zu den Zielen und damit zur Zukunft dieses großen Erdbauwerkes :

1. Wiederaufnahme der Nutzung mit sozialer Ausrichtung (z.B. Etablierung einer Erzeugergemeinschaft, Ermöglichen des Zugangs für Selbstnutzer).

2. Die Anlage soll zu einer Bereicherung für den in dieser Region nur schwach ausgebildeten Tourismus werden.

3. Der geschichtliche und hydrologische Zusammenhang des Erosionsgebietes mit den Resten der Klosteranlage Naundorf soll mit Blick auf die Unwetterkatastrophe dargestellt werden.

4. Naturwissenschaftliche sowie kultur- und geisteswissenschaftlichen Studiengänge, Schulen und andere Bildungseinrichtungen sollen diese Anlage als seltenes Anschauungsobjekt nutzen können.

5. Die sozialreformerisch geprägte Idee der Bruchstedter Landeskultur ist in erster Linie an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Heute aus aktuellem Anlass auch einschließlich der Folgen des Klimawandels . Die Idee verkörperte bereits auf kleinstem Raum eine Mehrfachnutzung und stellte daher eine frühe ressourcenschonende und –nutzende Bodennutzungsweise dar, die zukünftig auch zu Lehr- und Bildungszwecken mit alternativen Nutzungsweisen praktiziert werden soll (Alpakas, Hühner usw.).

6. Für Instandsetzung und Inbetriebnahme die Anlage in Bruchstedt sollen alle Experten beteiligt werden, aus: • Land- und Forstwirtschaft, • Obstbau, • Wasserwirtschaft, • Ingenieurbiologie, • Imkerei, • Denkmalpflege, • Naturschutz und • Garten- und Landschaftsarchitektur .

7. Durchführung eines Fachsymposiums, das den viel zu wenig beachteten Zusammenhang zwischen Landeskultur und Kunst zum Inhalt hat. In der nachstehenden Ankündigung ist die Landeskultur mit dem Begriff Natur und die Kunst mit dem Begriff Bild verbunden worden. Das Wortspiel symbolisiert die Zusammenarbeit von Gartengestaltern und Experten aus den verschiedenen, unter Ziel 6 genannten Experten, die das Außergewöhnliche in Bruchstedt begründeten. Immerhin ist es die Sichtweise auf Natur, aus der der Umgang mit ihr resultiert.

Ankündigung des geplanten Fachsymposiums, das unter dem Motto „Natur_Bild“ steht, Copyright Wieland Krause, Akademie der Künste Sachsen-Anhalt , 2014

8. Obstbauliche Nutzung der Anlage. Die Obstbäume in den verschiedenen Quartieren sollen die Mehrfachfunktion von Bodenschutz, Regenrückhaltung und Nutzbarkeit verdeutlichen. Nachstehende Abbildung zeigt die Besonderheit: die erosionsschützenden Linienführung der anzupflanzenden Obstbäume.

Zusammenfassung

Aus der Bruchstedter Anlage der Landeskultur der Moderne soll ein umfassendes ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiges Projekt entstehen: • eine Erzeugergemeinschaft und eine • alternative / innovative Bewirtschaftung sowie ein • Lehr- und Schauobjekt.

Um diese Anlage dauerhaft erhalten zu können und für die Bürger der Region und für die Touristen zugänglich zu machen, bedarf es zunächst der

• Vermittlung der Absichten (z.B. durch ein interdisziplinäres Symposium) sowie der • Instandsetzung und Nutzung der Anlage.

Die Vermittlung könnte in Form des im Ziel 7 genannten interdisziplinären Fachsymposiums erfolgen. Seit 2014 liegt dazu ein Entwurf vor. Das Fachsymposium konnte bisher, wie auch die Instandsetzung, mangels Finanzierung nicht durchgeführt werden .

Literatur

(1) OBERKROME, W.: „Deutsche Heimat“, Seite 284, Paderborn, 2004 (2) SCHEKAHN, A.: Landwirtschaft und Landschaftsplanung, Seite 2, Kassel, 1998 (3) WOLSCHKE-BULMAHN, J. und GRÖNING, G.: Naturschutz und Demokratie !?, Peter Lang, 2006, Seite 59

Ansprechpartner: Olaf Bellstedt (Bundesfreiwilligendienstleistender der VG Bad Tennstedt, Einsatzort Bruchstedt) Rainer-Maria-Rilke-Str. 4, 99425 Weimar, email: [email protected]

Frank Baumgarten Stiftung Landleben, Bahnhofstraße 186a, 99947 Telefon 036043-72040; mobil 0172-3683740 f.baumgarten@agkirchheilingen , www.stiftung-landleben.de