Cool Mit Zertifikat Musiker Vor 40 Jahren Erfand Die Gruppe Kraftwerk Den Elektropop
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Cool mit Zertifikat Musiker Vor 40 Jahren erfand die Gruppe Kraftwerk den Elektropop. Eine Tournee durch führende Museen soll sie in die Liga ernsthafter Kunst heben. Von Thomas Hüetlin eltsame Stadt, Düsseldorf. Sie gilt als Nichts scheint zu geringfügig. der elektronischen Popmusik im Düssel - fröhlich, aber wenn in diesen Tagen Nicht einmal ein Lokal in der Düssel - dorf der Siebziger- und Achtzigerjahre. Sdie Rede auf einen Mann namens dorfer Lorettostraße. Stolz leuchtete im Wenn das neue Gaskraftwerk im Hafen Ralf Hütter kommt, vergeht einigen das Oktober noch der Name „Kraftwerk“ in nächstes Jahr in Betrieb genommen wer - Lachen. Neonschrift an der Fassade. Wieder kamen den soll, scheide ein Name von vornherein Hütter ist der letzte Mann der Gruppe Hütters Anwälte. Einstweilige Verfügung. aus: Kraftwerk. Kraftwerk, der noch zur Originalbesetzung Nun glimmt einsam der Buchstabe K an „Geschichten über Kraftwerk haben et - gehört, und er ist bekannt dafür, alles zu der Wand. was Scientologymäßiges“, sagt Rüdiger tun, um den Namen Kraftwerk sauber und Die Neigung Hütters, die Gesetze zu be - Esch. „Die meisten Beteiligten schweigen, rein zu halten. mühen, sei in Düsseldorf so etwas wie ein weil sie wissen, dass ihr Chef oder Ex- R E Wolfgang Flür zum Beispiel, Mitglied Running Gag – bis hin zu den Mitarbeitern Chef es nicht gern sieht, wenn sie reden.“ H C T T bei Kraftwerk von 1973 bis 1986, besaß die der Stadtwerke, erzählt Rüdiger Esch, Bas - Auch Hütter redet nicht. Ein Interview Ö B R E Frechheit, einen Auftritt von sich mit dem sist der Band Die Krupps und Verfasser mit dem #" lehnt er ab. Reden ist T E P Zusatz „Ex-Kraftwerk“ zu bewerben. Nun des brillanten Suhrkamp-Bandes „Elec - nicht cool. Große Kunst, am besten mit : O T O streiten sich die beiden vor Gericht. tri_City“, eines Buchs über die Erfindung Zertifikat, das ist cool. Hütter hat beschlos - F 120 DER SPIEGEL 4 / 4235 Kultur sik fahndeten und dabei die damals groß - teils als feindlich beäugten Insignien des Fortschritts – Roboter, Computer, Neon - licht und Taschenrechner – in ein roman - tisches blaues Licht tauchten. Mutig war das. Aber es ist Jahrzehnte her. Die Retrospektive der acht Abende, an denen Hütter mit drei Angestellten im Overall einer Siebzigerjahre-Weltraumpa - trouille auftritt, zeigt, wie Kraftwerk den Sound des Pop ins Elektronikzeitalter beamte, prototypisch für spätere britische oder amerikanische New-Wave-Bands, für House Music oder Techno. Die Kraftwerk-Festspiele führen aber auch vor, dass es die Gruppe von Anfang an darauf abgesehen zu haben schien, ge - nau hier hinter den Pforten der Hochkultur Anerkennung zu finden. Stets war es ihr ein Gräuel, in einer Liga mit den Bee Gees oder Led Zeppelin in den Niederungen der Unterhaltungskultur ein wenig Gna - dengeld einzuspielen. Egal ob in New York, London, Sydney oder Berlin, immer hieß es, die Konzerte seien in Windeseile ausverkauft. Was auch damit zu tun haben könnte, dass nicht mög - lichst viele Menschen die Gruppe auf der Bühne sehen sollen, sondern vor allem die Auserwählten des Kulturbetriebs. In New York beispielsweise waren pro Abend ein paar Hundert Zuhörer versammelt. Schon am Anfang ihrer Karriere besta - chen Hütter und sein damaliger Mitstreiter Florian Schneider durch eine Ernsthaftig - keit und Konsequenz, die dem Popgeschäft eigentlich fremd ist. Die Geschichte Kraft - werks ist eng verbunden mit der Stadt Düs - seldorf, die zu Beginn der Siebzigerjahre die deutsche Hauptstadt der Kunst, der Mode und auch der Werbung war. „Sexy- mini-super-flower-pop-op-Cola. Alles ist in Afri-Cola“, hatte der Düsseldorfer Wer - ber Charles Wilp 1968 als Slogan für die deutsche Cola geschrieben. Ein Spruch, der auch für die kleine Metropole am Rhein passte. Kraftwerk wurde von Hütter und Schneider als Gegenmodell zum anglo- Popgruppe Kraftwerk in Tokio 2013 amerikanischen Rock ’n’ Roll konzipiert. Den Blues des Mississippi-Deltas, die Basis für Elvis und die Rolling Stones, lehnten sen, besonders gern dort aufzutreten, wo auf den Weg gebracht hat. Nun aber ist es beide für sich ab. Ihre elektronischen Klän - die höchsten Weihen zu Lebzeiten emp - offiziell und darf besichtigt werden unter ge sollten die Fabriken des Ruhrgebiets fangen werden. Im Museum. dem Label des Gesamtkunstwerks. vertonen. Nach dem New Yorker Museum of Mo - An acht aufeinanderfolgenden Aben - Einer, der früh Kontakt mit Hütter und dern Art, der Londoner Tate Modern und den wird die Aufführung je eines Kraft - Schneider hatte, ist der Galerist Hans May - anderen Stätten der Hochkultur wie dem werk-Albums geboten: „Autobahn“, „Ra - er. Mayer hat Werke von Künstlern wie Opernhaus in Sydney und dem Burgthea - dio-Aktivität“, „Trans Europa Express“, Andy Warhol und Mark Rothko an die Rei - ter in Wien darf im Januar die Neue Na - „Die Mensch-Maschine“, „Computerwelt“, chen des Rheinlands verkauft, er ist seit tional Galerie in Berlin Ralf Hütters Kraft - „Techno Pop“, „The Mix“ und „Tour de bald 50 Jahren eine Institution des deut - werk mit der Aura jener ausgesuchten Pop- France“. schen Kunsthandels und eine der ersten Art schmücken, die normalerweise den Eine Reise zurück in die Uralt-Zukunft, Adressen für zeitgenössische Kunst in Düs - Warhols, Koons und Rauschenbergs vor - Retrofuturismus aufpoliert in 3-D, teuer seldorf. behalten ist. und virtuos aufbereitete Projektionen ei - „Köln klotzte mit neuer klassischer Mu - Man hat es oft gehört in den vergange - ner Zeit, als Kraftwerk wie ein Stoßtrupp sik, mit Stockhausen“, sagt Mayer, „Flori - nen 30 Jahren, was die Band nicht alles von Nerds nach dem Morgen der Popmu - an und Ralf mussten etwas Neues kre - DER SPIEGEL 4 / 4235 121 Ermutigung und Hilfe holten sich Kraft - werk bei einem Produzenten namens Con - ny Plank. In Planks Studio in Wolperath, 35 Kilometer entfernt von Köln gelegen, entstand Kraftwerks LP „Autobahn“. Das Werk, einzigartig und wegweisend, be - stach durch einen neuartigen elektroni - schen Sound. Kühl dahingleitender Mini - malismus. „Auch für das Ausland war das Wort ‚Au - tobahn‘ genial“, sagt Rüdiger Esch. „Wenn jemand in Amerika oder England noch eine deutsche Vokabel außer ,Hitler‘ kann - te, dann war es ,Autobahn‘.“ Und da sei es egal gewesen, dass die Hörer in Kalifornien statt des Originaltextes „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ „Fun, Fun, Fun auf der Autobahn“ verstanden hätten. Kraftwerk war deutsch, sehr deutsch, aber das Konzept funktionierte auch in Amerika und England. Als der US-Mana - ger Ira Blacker dieses über 22 Minuten lan - ge Stück Elektronik vor sich hatte, war ihm sofort klar, dass er den Song in den USA verkaufen konnte, und zwar in gro - ßem Stil. Hierzu waren zwei Dinge nötig: Er brauchte die Rechte, und jemand musste das Stück auf drei Minuten kürzen. Bla - Kraftwerk-Chef Hütter in der Tate Modern 2013*: Nach dem Morgen der Popmusik gefahndet cker rief den Kraftwerk-Produzenten Plank an, der fühlte sich nicht zuständig. ieren.“ Ihre Herangehensweise sei aus - Rohe inspirierten Büroturm der ehemali - Dann wandte er sich direkt an Schneider. gesprochen stringent gewesen, orientiert gen Mannesmann AG, gleich neben der Man traf sich in einem Hotel in Hamburg. am Bauhaus und am russischen Konstruk - damaligen Staatskanzlei. Blacker trug angeblich eine Pistole im tivismus. „Von seinem Taschengeld konnte Florian Schulterhalfter und einen Sack voll Geld Als interessierter Mensch in Düsseldorf, sich die neueste Elektronik kaufen. Beide in der Hand. sagt Mayer, habe man damals in den frü - waren im Grunde behütete Söhne“, sagt Das Geschäft war schnell perfekt. Hütter hen Siebzigerjahren den Anspruch gehabt, Eberhard Kranemann, der Anfang der und Schneider speisten Plank mit 5000 Kunst zu machen. An der Kunstakademie Siebzigerjahre bei Kraftwerk Bass, Cello Mark für seine Rechte an „Autobahn“ ab. lehrten Joseph Beuys und Gerhard Richter, und Hawaii-Gitarre gespielt hat. „Das ist Betrug bis heute“, sagt Krane - die Akademie lag mitten in der Stadt, groß Kranemann lebt heute als Künstler in mann. „Conny hat Kraftwerk die elektro - wie eine Kathedrale. Wuppertal. Am Swimmingpool der Schnei - nische Musik erst beigebracht.“ Es sei eine Gruppe von vielleicht 300 ders, erzählt er, habe es Schildkrötensuppe, „Autobahn“ verkaufte sich in den USA Leuten gewesen, sagt Mayer. „Wenn man Kaviar und Champagner gegeben, aber im fast eine halbe Million Mal. Kraftwerk in den angesagten Kneipen herumhockte, bandeigenen Kling Klang Studio herrschte gingen auf Tournee, die Band wurde bei dann hat man jeden Abend mit ein paar eine strenge Arbeitsmoral. „Meist ging es Auftritten in New York und auf rund 40 dieser 300 getrunken. Eingesoffen hat man los um fünf Uhr nachmittags, und ein Ende weiteren Konzerten gefeiert. Die Erfah - sich bei Spoerri, dann ging es ins Cream - gab es nicht vor ein Uhr früh“, sagt Krane - rung der Fremde und die Spiegelung darin cheese, weitergesoffen, später fuhr man mann. Er habe sich oft davonschleichen gaben der Band noch einmal einen Schub. mit dem Auto nach Hause.“ müssen, um als Musiker im Schauspielhaus Nicht Bluejeans und lange Haare waren Diese 300 waren angesehen, auch in der Geld zu verdienen. „Die beiden anderen Mitte der Gesellschaft, auch bei jenen Bür - hatten das nicht nötig.“ gern, die das rheinische Geld verkörperten. Die Sehnsuchtsorte im Kling Klang Stu - Ein Mäzen stellte seinen silbernen Porsche dio waren eigentlich das Weimar und Des - hinaus auf die Straße, damit eine Under - sau der Zwanzigerjahre, als dort durch die ground-Band in der Garage einen Platz Bauhaus-Meister unter