SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst

Johann Friedrich Cotta Verleger, Hotelier und Unternehmer

Autorin: Ruth Jakoby Redaktion: Anja Brockert Regie: Maria Ohmer Sendung: Donnerstag, 19. November 2009, 8.30 Uhr, SWR 2 Wissen Wiederholung: Donnerstag, 27.01.2011, 8.30 Uhr, SWR 2 Wissen ______

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Besetzung: Sprecherin Zitator

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Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.

Regie: Musik unterlegen und zwischen den Zitaten hochziehen

Zitator: Das war ein Mann, der hatte die Hand über die ganze Welt! .

Zitator: Je näher ich Herrn Cotta kennenlerne, desto besser gefällt er mir. Johann Wolfgang von Goethe.

O-Ton 01 Fischer Ich denke, dass der Cotta-Verlag ein Anlass ist, um 350 Jahre Gelehrtenrepublik, Gelehrten-Geschichte, Literaturgeschichte einfach zusammenzufassen.

Zitator: Bernhard Fischer, Cotta- Forscher.

Regie: Musik

Ansage: Johann Friedrich Cotta – Verleger, Hotelier und Unternehmer.

Eine Sendung von Ruth Jakoby.

Zitator: Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf, Herr der Herrschaft Plettenberg, Hipfelbeuren, Hohenkammer und Giesing, königlich bayerischer Kammerherr, königlich preußischer geheimer Hofrat, Abgeordneter der Ritterschaft im Schwarzwalde, Vizepräsident der württembergischen Kammer der Abgeordneten ... (Regie: langsam ausblenden) Ritter des Civil-Verdienstordens der bayerischen Krone … und so weiter, und so weiter ...

Sprecherin: Der Cotta-Verlag feiert in diesem Jahr seinen 350. Geburtstag. Er war …

O-Ton 02 Fischer … als Kombination von Medienkonzern und Literaturverlag unter Johann Friedrich Cotta so etwas wie die Kombination von Bertelsmann und Suhrkamp.

Regie: Musik wegblenden

Sprecherin: 3

Johann Friedrich Cotta, geboren 1764, gestorben 1832, war das Kind einer Epoche, die Chancen bot wie kaum eine andere. Und Cotta erkannte seine Chancen und nutzte sie. Freiheit war das Thema seiner Zeit. Erstmals war die Bevormundung durch Kirche und Könige gebannt, dafür hatten die Aufklärung und die Französische Revolution gesorgt. Cotta hatte eine breite Ausbildung, war Jurist und Mathematiker, was ihm sicher half, sein großes Verlagsimperium aufzubauen und den Überblick über seine zahlreichen Wirtschaftsunternehmen zu behalten. Technische Neuheiten faszinierten ihn. Sein Freund Schiller erhielt von ihm einmal einen Blitzableiter als Geschenk. Er war ein Liberaler im besten Sinne des Wortes: Er setzte sich für Gedankenfreiheit, Pressefreiheit und unternehmerische Freiheit ein. Ein klassischer Selfmade-man. Geist und Geld waren für ihn kein Widerspruch, sondern nur zwei Seiten einer Medaille.

O-Ton 03 Mojem Was hier liegt, ist gewissermaßen das Gründungsdokument des Cotta-Verlages. Es ist das Gesuch von Johann Georg der Erste Cotta um das Tübinger Bürgerrecht. Er hatte eine Buchhändlerswitwe, die des Johann Philibert Brunn, geheiratet und bat um das akademische Bürgerrecht, um die Nachfoge Brunns in Tübingen anzutreten. Mit diesem Aufnahmegesuch, das bald positiv beschieden wurde, beginnt die Geschichte des Cotta- Verlags.

Sprecherin: Helmut Mojem leitet im Marbacher Literaturarchiv die Cotta-Abteilung. [Aus diesem 350 Jahre alten Verlagsarchiv, das Dokumente, Briefe und Aufzeichnungen aus dem Geschäftsverkehr mit Goethe und Schiller, Heinrich Heine, und vielen anderen aufbewahrt, ist das Deutsche Literaturarchiv hervorgegangen.] Der Cotta-Verlag war ein Universalverlag. Es gab in seiner Blütezeit im 19. Jahrhundert keinen Bereich des menschlichen Wissens, zu dem er nicht Bücher oder Zeitschriften auf den Markt brachte. Von der Theologie zur Technologie, von der Jurisprudenz bis hin zur Forstwirtschaft. Zum Programm gehörten unterhaltsame und einfühlsame Damenalmanache ebenso wie die damals beste Tageszeitung des deutschsprachigen Raumes, die „Neueste Weltkunde“, die später in „Allgemeine Zeitung“ umbenannt wurde.]

O-Ton 04 Fischer Was könnte man dem an die Seite setzen? Von der medialen Vielfalt war es wohl so eine Art Bertelsmann-Verlag. Was jedoch den Cotta-Verlag berühmt gemacht hat, das ist die Literatur, die Klassiker, das ist dann so eine Art Suhrkamp-Verlag.

Sprecherin: Bernhard Fischer ist Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Zuvor hat er sich viele Jahre in Marbach mit dem Cotta-Verlag befasst. Zunächst deutete nichts darauf hin, dass dem Verlag unter Johann Friedrich Cotta eine Blütezeit beschert werden sollte. Der junge Mann musste tief in die Tasche greifen, um den kleinen Betrieb von seinem Vater zu übernehmen. Er investierte einen kleinen Lotteriegewinn, machte einen Berg Schulden und lief in den Anfängen aus Sparsamkeit schon mal zu Fuß von Tübingen zur Buchmesse nach .

O-Ton 05 Fischer 4

In Tübingen fing’s an, mit einem Studium, er studierte die Rechte, dann bot ihm der Vater an, den Buchladen und Verlag zu übernehmen, das hat er dann gekauft – das war das Jahr 1787. Eigentlich wollte er anderes machen zunächst. Dann wurde er doch nur Verleger – der größte halt.

Atmo 2: Geläute Stiftskirche

Sprecherin: Auch der Tübinger Journalist Hans Joachim Lang hat sich mit Johann Friedrich Cotta befasst und über seine Tätigkeit als Zeitungsverleger ein Buch veröffentlicht. Hans Joachim Lang führt uns ins Tübinger Zentrum, zur Stiftskirche:

Atmo 2: Geläute Stiftskirche noch einmal hoch

O-Ton 06 Lang Wir sehen heute zwei sehr schön restaurierte Häuser, die in etwa auch den Zustand wiedergeben, wie er zu Zeiten Cottas gewesen war – das eine Haus ist zweistöckig, das andere dreistöckig, das war eigentlich das Zentrum des Cottaschen Imperiums ... hier hat Cotta gewohnt, hier war die Buchhandlung. (…)

Atmo 2 Geläute (Kreuzblende)

Atmo 3 Schritte Treppe Cotta-Haus

O-Ton 07 Lang Es war ein heruntergekommenes Geschäft, seine Brüder hatten zunächst versucht, dieses Geschäft flott zu machen, aber sie hatten das eher mit linker Hand getan. Erst mit Cotta ist der eigentliche Aufschwung zu verzeichnen.

Musik

Zitator: Ich war bei Cotta, dem ich meinen Empfehlungs- und Kreditbrief übergab. Ich glaubte meinen Augen nicht, als ich nach der Cottaschen Buchhandlung fragte und man mich in ein Lädchen wies, wo ich mich fast schämte einzutreten; so winzig, so eng, so schmucklos habe ich neue Bücher noch nie wohnen sehen, alte wohl! Und noch dazu ist dies der Ort, wo Schiller und Goethe recht eigentlich zuhause sind, von wo sie ausgehen. Der eine emsig beschäftigte, und dennoch gutmütig aufmerksame Diener, den ich traf, lächelte über meine Befremdung, und geleitete mich, da ich den Herrn Doktor sprechen wollte, zwei schmale Stiegen hinauf.

Sprecherin: So berichtet der Journalist Karl Varnhagen von Ense im Jahr 1808.

Musik

Sprecherin: 5

In dem spitzgiebeligen Fachwerkhaus führt eine solide Holztreppe nach oben. Die Wohnungen sind vermietet, im Erdgeschoss befand sich lange Zeit eine Buchhandlung – ganz in der Tradition Cottas. Erst vor kurzem eröffnete hier ein Münzkabinett.

Atmo Treppe Cotta-Haus

Zitator Hinauf in ein enges Stübchen, wo es aber doch etwas elegant aussah, sogar ein Sofa breitete sich hinter einem Tische, das einzige bis jetzt, das ich in Tübingen zu sehen bekomme, denn Studenten und Professoren haben so schwelgerische Gewohnheiten nicht. Cotta trat ein, ein hagerer Mann, lebhaft, geschmeidig in eckigen Manieren, in schwäbischer Gemächlichkeit rasch, er war prompt, artig, und meinen Wünschen zuvorkommend, hatte aber viel zu tun, daher ich ihn bald wieder verließ. (Karl Varnhagen von Ense, nach Lieselotte Lohrer: Cotta in Tübingen, Tübinger Kataloge 4, 1959. S. 29)

Sprecherin: Varnhagen von Ense schildert hier eine typische Szene, denn Johann Friedrich Cotta hatte immer viel zu tun. Er war stets „in Eile“ – mit diesen Worten unterschrieb er Tausende von Briefen, die er im Laufe seines Lebens verfasste. Geschäftsbriefe, die kaum persönliche Spuren aufweisen. Für Privates war keine Zeit. Der blasse, hagere Mann mit den feinen Zügen, der hohen Stirn und den gütigen Augen – so zeigt ihn ein Portrait des Malers Karl Jakob Theodor Leybold aus dem Jahre 1824 – kannte keine Muße. Er dirigierte eine rasch anwachsende Holding, wie wir heute sagen würden. Eine wahre Herkulesarbeit, denn den technischen Komfort unserer Zeit gab es damals noch nicht. Cotta hetzte in der Kutsche von Tübingen nach , von Stuttgart nach Berlin, von dort nach Leipzig, München und Wien. Überall hatte er zu tun, überall war er gefragt. Der rasende Schwabe – ein Geschäftsmann, der seiner Zeit immer ein bisschen voraus war. Bei diesem hohen Arbeitsethos spielten sicher seine protestantischen Wurzeln eine Rolle. Und dennoch fühlte sich der Multi-Unternehmer Cotta immer auch dem Gemeinwohl verbunden.

O-Ton 08 Fischer Er war, glaube ich, ein Mensch, der nur der Pflicht lebte. Und so etwas wie Genuss eigentlich nicht so sehr kannte. Also, die Sache gut gemacht zu haben, das war für ihn, glaube ich, das Größte. Also sicherlich auch philanthropisch, aber letztlich so eine Art: Der guten Sache seine ganze Person opfern. Das war, glaube ich, seine Lebensmaxime.

Sprecherin: Nur Johann Friedrich Cotta brachte damals das Kunststück fertig, eine Zeitung zu publizieren, die nicht der Zensur unterworfen war – und die doch ganz klar Sympathien für die Französische Revolution hegte. Er machte dem Herzog von Württemberg klar, dass eine Zeitung dem Land Geld bringen könne. Durch Steuern, Löhne, Umsatz von Material und durch den Verkauf. Dazu aber, so argumentierte Cotta, müsse die Zeitung schnell auf den Markt kommen und nicht erst durch die Zensurbehörde so lange hin und her geprüft 6 werden, bis sie jegliche Aktualität eingebüßt habe. Die erste Nummer der „allgemeinen Zeitung“ hob mit großer Rhetorik an:

Zitator: Würden plötzlich, durch irgendeine Erneuerung der ersten Schöpfungsszenen , die Alpen vom Montblanc bis nach Istrien in Abgründe hinuntergestürzt, ganz England vom Ozean verschlungen, die Quellen des Rheins und der Donau verschüttet, und durch einen Herauswurf von Land Afrika wieder an Spanien gefügt, so würde die Revolution in der physischen Welt nicht größer sein, noch die ganze bisherige Gestalt von Europa dadurch eine entschiedenere Umformung leiden, als die Revolution, von der wir seit dem Jahr 1789 Augenzeugen waren, in der politischen Welt hervorgebracht hat. (Neueste Weltkunde v. 1.1.1798, DLA Marbach Mikrofiche)

Sprecherin: Die konservativen Kräfte im Deutschen Reich fühlten sich durch Cottas „Allgemeine Zeitung“ permanent provoziert. Deshalb setzte Metternich später die Zensur dann doch durch. Aber Cotta wich ihr beständig aus, indem er den Erscheinungsort immer wieder verlegte. So schuf er mit der „Allgemeinen Zeitung“ ein Blatt von europäischem Rang, nur vergleichbar mit der „Times“ in London oder dem „Journal des Débats“ in .

Regie: Musik

Zitator: Johann Friedrich Cotta, Zeitungs-Unternehmer, Verleger, Schiller-Freund, Goethe- Versteher, Schafzüchter, Biobauer, Parlamentarier, Erfinder der Bodensee- Dampfschifffahrt, Lobbyist, erster Luxus-Hotelier weltweit, Kleiderfabrikant, Aktienbesitzer, Sparkassengründer, Wohltäter, Königinnen-Berater, Familienvater ... und so weiter ... und so weiter (langsam runterblenden)

Regie: Musik

Sprecherin: Im Cotta- Haus in Tübingen kann man das sogenannte „Goethe-Zimmer“ besichtigen, ein Räumchen, in dem Goethe bei seinem Tübingen – Aufenthalt im Jahre 1797 auf Einladung Cottas übernachtete. Ein Biedermeier-Sofa steht darin, ein Schreibtisch, Regale, die Fenster gehen zur Stiftskirche und zum Neckar.

Atmo Geläute Stiftskirche frei, dann unterlegen

Zitator: Goethe an Schiller. Tübingen, 17. September 1797 Nun bin ich seit dem 7. in Tübingen, dessen Umgebung ich die ersten Tage bei schönem Wetter mit Vergnügen betrachtete. Bei Herrn Cotta habe ich ein heiteres Zimmer und, zwischen der alten Kirche und dem akademischen Gebäude einen freundlichen, obgleich schmalen Blick ins Neckartal. (Lohrer, Cotta in Tübingen, Tübinger Kataloge 4, Tübingen 1959, S. 21)

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Atmo 4 Geräusch Kutsche

O-Ton 09 Fischer Cotta scheint sehr gerne spazieren gegangen zu sein. Denn es gibt eine berühmte Spazierfahrt ins Ammertal bei Tübingen mit Goethe zusammen. Offensichtlich waren diese Spaziergänge mit Cotta sehr folgenreich, denn meistens hat er seine Autoren dabei – ich will nicht sagen becirct – aber mit seinen lockenden Angeboten für sich einnehmen können und sie mit seiner Industriosität, also mit seiner Betriebsamkeit und vor allem mit seinem Engagement überzeugt. Das ist der Verleger, mit dem man umgehen kann, das ist der Verleger, von dem man das meiste Geld bekommt, der hat die besten Vertriebsideen und ist überhaupt ein Mensch, der mit den Großen ins Große lebt.

Atmo Geräusch Kutsche

Sprecherin: Auch Schiller hat mit Cotta eine Spazierfahrt unternommen. Beide hatten sich auf Schillers Schwabenreise im Jahre 1794 angefreundet- auf dem Weg zum Kahlen Berg bei Stuttgart, damals ein beliebtes Ausflugsziel. Cotta half dem notorisch klammen Schiller finanziell aus der Bredouille und legte damit den Grundstein für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Schiller suchte einen Verleger für eine literarische Zeitschrift, die er herausbringen wollte. Cotta brauchte einen Chefredakteur für die „Allgemeine Zeitung“, deren Erscheinen bevorstand. Alles kam dann doch wieder anders, aber Autor und Verleger fanden zusammen. Als Schiller 1805 starb, stand Johann Friedrich Cotta an seinem Bett. Er bot Schillers Witwe an, die Kinder groß zuziehen und veröffentlichte das Gesamtwerk. Um diese Zeit war er als Verleger bereits ein gemachter Mann und verdiente nach heutigen Maßstäben ungefähr eine halbe Million Euro im Jahr, Tendenz in den folgenden Jahren deutlich steigend.

Musik Marseillaise

Sprecherin: Für einen Geschäftsmann wie Cotta war Paris die maßgebende ausländische Metropole. Er war mehrfach in der französischen Hauptstadt – mal als Verleger, mal als diplomatischer Unterhändler. Sowohl der Herzog von Württemberg als auch die Sigmaringer Hohenzollern-Fürsten nutzen Cottas gutes Netzwerk, um in den stürmischen Jahren nach der Französischen Revolution bei gut Wetter zu machen. [In der Stuttgarter Staatsgalerie hängt ein Portrait von Cottas Frau Wilhelmine. Es stammt von Gottlieb Schick und erinnert an das berühmte Portrait von Madame Recamier, damals eine epochale Schönheit, die hingegossen im Empire-Kleid auf einer Chaiselongue posiert. Geschaffen von David, Hofmaler.

O-Ton 10 Mojem Schick hat in der Werkstatt von David gearbeitet und Cotta hat ihn dort getroffen. Madame Cotta, Wilhelmine Cotta, hat ihren Mann auf der Reise 1803 nach Paris begleitet und sich dort auch, was Kleidung und Mode betrifft, einige Anregungen geholt. Das Ergebnis kann man auf dem Schickschen Bild bewundern.]

Marseillaise hochziehen 8

Sprecherin: Im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen gingen Existenzängste um, denn Napoleon war daran, Süddeutschland neu zu ordnen. Die Kleinstaaten waren alle bedroht. Cotta mit seinen vielfältigen Beziehungen sollte die Absichten Napoleons ausloten. Ein Besuch im Atelier von Napoleons Vertrautem David konnte da sicherlich nicht schaden. Ansonsten arbeitete Cotta in Paris durchaus für die Interessen seines eigenen Unternehmens. Er unterhielt Geschäftsbeziehungen zu französischen Verlagen und brachte mit einem von ihnen gemeinsam Werke von Alexander von Humboldt heraus.

O-Ton 11 Mojem Humboldt ist unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Südamerika nach Paris gegangen, weil Paris damals die führende Wissenschaftsstadt in Europa war. Er hatte dort die besten Bedingungen zur wissenschaftlichen Auswertung seiner Forschungsergebnisse. Französisch war ebenso die verbreitete Wissenschaftssprache im 19. Jahrhundert, sodass eine Publikation auf Französisch geradezu zwingend war. Gleichzeitig wollte sich Humboldt auch den deutschen Markt sichern und so kam es zu einer deutsch- französischen Parallelausgabe. Humboldt hat schnell gemerkt, dass er einen deutschen Verleger brauchte, und da war es ihm, wie er sagte, eine Ehre, mit dem Verleger Goethes und Schillers handelseinig zu werden. (…)

Sprecherin: Die napoleonischen Kriege und Eroberungen brachten die Wirtschaft in Europa unter gewaltigen Druck. Die Kontinentalsperre gegen England zerstörte den Handel, das Geld wurde knapp. Die Leipziger Buchmesse verlor an Bedeutung- Buchhandel und Verlage gingen ein. Der vorsichtige und umtriebige Cotta, dessen Geschäfte weiterhin gut liefen, sah sich sicherheitshalber nach einem weiteren wirtschaftlichen Standbein um. Die bewegten Zeiten nach der Französischen Revolution boten natürlich auch Chancen. In Baden-Baden stand ein schönes großes Kapuzinerkloster nach der Säkularisierung leer und schien sich nach einer neuen Bestimmung zu sehnen. Cotta kam die kühne Idee, dieses ehemalige Kloster in ein Hotel umzubauen. Mit Hilfe seines Kompagnons Johann Ludwig Klüber erfand er das Luxushotel.

O-Ton 12 Fischer. In der Tat, der Badische Hof, wenn man ihn sich heute anschaut, ist auch ein sehr großzügiges, um nicht zu sagen üppiges Hotel gewesen ... es war ein Kurpalast.

O-Ton 13 Füller Die Säulenhalle sehen wir hier, das ist wohl der ehemalige Klostergarten, den Cotta überdacht hat, sodass wir hier die großen Säulen sehen. Ich glaube, es sind 18 an der Zahl. Es sind original Tannenbäume eigentlich, auf denen das alles ruht. Und er hat versucht, die Balustraden zu überdachen, und dadurch sind die Säulen entstanden, die Rundgänge, die zu den Zimmern führen, sodass wir dieses tolle Ensemble hier bis heute erhalten haben – nach fast 200 Jahren ... [Hier stehen wir vor diesen interessanten 2 Treppen, die rechts und links von den Säulen angeordnet sind, die durch diese großen Kandelaber gestützt sind und in der Optik natürlich dieses wunderbare Bild erzeugen. Am Ende der Treppen sehen Sie diese großen, kristallenen Spiegel, sodass sie hier, wie auch auf den oberen Etagen, noch mal ein Bild reflektieren.] 9

Atmo 5 Frühstückhalle unterlegen

Sprecherin: Cottas Hotel gibt es heute noch. Der ehemaligen Direktor Robert Füller führt gerne auf Cottas Spuren durch das Haus. Er ist stolz auf seine Geschichte. Lange gehört der „Badische Hof“ in Baden- Baden zur Steigenberger-Kette, jetzt ist das erste Luxushotel in Händen der Berliner EP Group.

Atmo 6 Wasser

O-Ton 14 Füller Es gab zum 1. Mal Zimmer mit eigenen Bädern. Und zwar nicht mir Holzzubern, wie man das damals nannte, sondern aus Stein. Es waren die ersten Steinbäder, in einigen Zimmern. Das Wasser kam aus der Wasserleitung- plus Thermalwasser. Die Mönche hatten das Recht des Thermalwassers auf ihrem Grundstück, und man hat dann die Thermalwasserleitungen auch in die Zimmer gelegt. Und das haben wir uns bis heute erhalten.

Atmo Wasser hochziehen

Sprecherin: Die Tätigkeiten als Verleger und als Hotelier bildeten für Cotta keinen Gegensatz, sondern eine Ergänzung. Man muss gar nicht erwähnen, dass seine Zeitungen und Bücher im Badischen Hof für die Gäste auslagen. Hier logierte die Elite der Epoche- die ideale Kundschaft. [Cottas Kompagnon Klüber wurde sofort zum Bücherschreiben verpflichtet – der Mann war Jurist mit hohen Meriten und großer Zukunft. Ein idealer Autor.] Nach diesem Muster verwob Cotta immer mehr Geschäftsfelder ineinander. Technische Neuheiten wie die Dampfschifffahrt auf dem Bodensee wurden mit Cottas Hilfe auf den Weg gebracht. Später reformierte er die Landwirtschaft durch neue Saaten, Rassen und Zuchtmethoden. Wie gesagt: Geist und Geld waren für ihn keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille.

Musik Walzer

Sprecherin: Als das Hotel in Baden- Baden etabliert war, warteten neue Aufgaben auf den Verleger und frischgebackenen Luxus-Gastwirt. Beim Wiener Kongress 1814 sollten Cotta und sein Kompagnon, der Jurist Klüber, zwei Glanzrollen spielen – Klüber als Berater des Zaren – und Cotta:

O-Ton 15 Fischer Also er war als sogenannter Deputierter des Deutschen Buchhandels da, das heißt als Abgeordneter, heute würde man sagen, als Lobbyist des Buchhandels. Er sollte die so genannte Nachdruckfrage betreiben.

Sprecherin: 10

Im 18. und 19. Jahrhundert waren Nachdrucke, wir würden heute sagen Raubdrucke, relativ verbreitet. Diese Praxis schädigte Autoren und Verleger, und Cotta kämpfte für ein Verbot der Raubdrucke – im Namen der gesamten Branche. Der Wiener Kongress sollte ein entsprechendes Gesetz verabschieden.

O-Ton 16 Fischer Konkret hat das Geld bedeutet. Das heißt ich gebe einen Schiller, Wilhelm Tell heraus, produziere den, bezahle Honorar und 50 Kilometer weiter druckt jemand den Wilhelm Tell nach – ohne Honorar – und vertreibt den zu einem günstigeren Preis, dann ist das natürlich ein Nachteil, den ich nie und nimmer ausgleichen kann.

Sprecherin: Ein zweite Aufgabe Cottas beim Wiener Kongress war es, für die Verankerung der Pressefreiheit in der Verfassung zu werben. Unter Napoleon war die Presse so unfrei wie im Absolutismus.

O-Ton 17 Fischer Cotta aber, als großer Zeitungsverleger, hatte ein großes Interesse daran, dass seine Zeitungen zunächst einmal ohne Zensur, oder ohne Vorzensur, erscheinen, weil dies eine freie Meinungsäußerung oder überhaupt mal Meinungsäußerung und somit überhaupt ein Interesse an der Presse hervorgebracht hätte. Und das andere ist, Cotta war als Konstitutionalist davon überzeugt, dass die öffentliche Meinung ein ganz wichtiges Element des Verfassungslebens ist.

Walzer-Musik, frei, dann unterlegen

Sprecherin: Aber Cotta hat in Wien nicht nur gearbeitet, wie ja überhaupt der Kongress wegen seiner Geselligkeit fast sprichwörtlich wurde.

O-Ton 18 Fischer: Ob er getanzt hat weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er mit seiner Frau, seiner Tochter Ida mit der Kutsche hingefahren ist, begleitet von Dannecker, und dass sie dann auf dem Graben gewohnt haben, gegenüber der preußischen Gesandtschaft. Also sie haben ziemlich viel Besuche gemacht. Sie haben nicht nur Diplomaten besucht, sondern sie waren auch auf Gesellschaften. Beim Baron Eskeles, bei Banquiers, usw. Das gehörte eben dazu. Nicht nur Bälle, die ja gesellschaftliche Ereignisse gewesen sind, sondern auch Konzerte, die ja öffentlich waren. Nebenher hat er sich natürlich mit manchen seiner Autoren, die ja auch zuhauf in Wien waren , unterhalten und hat Projekte geschmiedet. So hat er seine Monate da verlebt.

Sprecherin: Neben seinem Engagement für Pressefreiheit und gegen Nachdrucke scheint der schwäbische Verleger freilich noch Zeit für Kurierdienste der ganz besonderen Art gefunden zu haben.

O-Ton 19 Fischer 11

Wir wissen, dass er ganz wesentlich beteiligt war am Verkehr des Kronprinzen Friedrich, dem württembergischen Kronprinzen, mit der russischen Großfürstin Katharina. Er war in gewisser Weise ein Postillion d’amour. Er hat dieses Verhältnis, was sich da entspann, sehr unmittelbar mitbekommen. Natürlich mit höchster Diskretion, er war einer der ersten, der von der sich anbahnenden Ehe wusste. Später hat er ja dann mit Katharina wunderbar zusammengearbeitet. 1817 bei der Gründung dieser vielen Institutionen wie Wohltätigkeitsverein und später Sparkasse und so.

Walzer-Musik frei, dann unterlegen

Sprecherin: Die guten Kontakte Cottas zum württembergischen Hof, genauer gesagt zu Königin Katharina, die sich in Wien anbahnten, halfen kurze Zeit später die große Hungersnot in Württemberg zu bannen. Hier konnte Cotta sein soziales Verantwortungsgefühl, seine Erfahrung als Unternehmer, als Wirtschaftsmensch, und sein Interesse an Landwirtschaft einbringen. Angesichts von Leid, Tod und Auswanderung als Folgen der Missernten im Jahre 1817 riet Cotta Königin Katharina zur Gründung eines Wohltätigkeitsvereins, der als halbstaatliche Einrichtung Katastrophen- und Entwicklungshilfe leistete. Zur Finanzierung der Hilfsmaßnahmen wurde die Württembergische Sparkasse aus der Taufe gehoben. Besseres Saatgut und bessere Zuchtrassen wurden eingeführt – sie steigerten die Produktivität der Landwirtschaft. Und damit alle diese Neuerungen kennenlernen und nutzen konnten, wurde eine Landwirtschaftsmesse gegründet. Das waren die Anfänge des „Cannstatter Wasen“, des Volksfestes, das es bis heute gibt.

Regie: Musik hoch

Sprecherin: Der Nachwelt ist Johann Friedrich Cotta vor allem als Verleger Goethes und Schillers bekannt – doch das war nur ein kleiner Teil seiner Unternehmungen. Insgesamt: Eine höchst respektable Bilanz. Der Verlag wurde lange nach Cottas Tod, im Jahre 1889, infolge von Erbstreitigkeiten an den Stuttgarter Verleger Adolf von Kröner verkauft. Es folgten mehrere Wechsel, bis er 1977 von Michael Klett erworben und seither als Klett-Cotta Verlag geführt wird. Michael Klett über seinen großen Vorgänger:

O-Ton 20 Klett Cotta war ein universeller Wirtschaftmensch. Ich habe mich immer gefragt, war der eigentlich ein richtiger Verleger oder war der nicht viel mehr ein Industrieller, der die Verlegerseite als Durchlauf angesehen hat. Das war ja der Beginn der Industrialisierung. Er war ein früher Wirtschaftsliberaler, und interessanterweise war er einer, der dezentral gedacht hat. Nur Cotta hatte das Problem, dass er das immer mit seiner Kutsche abfahren musste. Der hatte 2 Zeitschriften in Paris, dann hatte er eine in , dann hatte er in Würzburg „König Cotta und Bauer“, dann hatte er in Heilbronn eine Textilfabrik, dann kam das Hotel in Baden-Baden. In München hat er was, noch in anderen Städten, und dann kam die Dampfschifffahrt. Der ist da überall hingefahren, und das hat ihn fertiggemacht. Am Ende war er in Konkurs, obwohl es keinen Werteverfall gab. Man hat alles zusammengerechnet und festgestellt, der Erbe muss die industriellen Sachen abstoßen, und die Verlage sind immer noch was Starkes und Reiches. 12

Regie: Musik noch einmal hoch, dann weg

* * * * *

Literaturangaben:

1. Biographie des Verlegers: Peter Kaeding, > Johann Friedrich Cotta. Die Hand über der ganzen Welt Johann Friedrich Cotta – Der Verleger der deutschen Klassik Auflage: 1.Aufl. 2009 Stuttgart Klett Cotta Verlag

2. Cotta als Hotelier und Unternehmer: "Der Badische Hof 1807-1830. Cottas Hotel in Baden-Baden." Bearbeitet von Bernhard Fischer. Marbacher Magazin 79/1997

3. Cotta als Landwirt, Agrarreformer und Schloßherr: Bernahrd Fischer: "... auf seine Güter abgereist. Die Verleger Johann Friedrich und Georg von Cotta in Dotternhausen" Spuren-Heft Nr.48 Marbach/Stuttgart Januar 2000.