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Thomas-Langhoff-Inszenierung „Der kaukasische Kreidekreis“: Zweifel an der reinen Lehre THEATER „Eine geheimnisvolle Arroganz“ Seit 150 Jahren spiegelt das Deutsche Theater in Berlin das Drama der Nation. Und die Langhoffs leben und inszenieren es in der dritten Generation. Von Jürgen Leinemann Regisseur Thomas Langhoff, Schauspieler Löwitsch er Beleuchter, der ihm damals Prü- ihn so überrascht wie zuvor ihr Bau. Aber malssockeln in wüstes Gelände. „Na ja“, gel androhte, weil er – kurz nach obrigkeitlichen Versprechungen mißtraut seufzt der Intendant, „im Moment sind wir DÖffnung der Mauer – noch öffent- er grundsätzlich. Erfahrungen mit vier ja noch eine Insel im Bau-Meer, aber bald lich auf den Fortbestand der DDR gesetzt deutschen Staaten haben ihn glaubens- ist das hier wieder eine repräsentative hatte, grüßt ihn inzwischen wieder. Konn- resistent gemacht. Adresse.“ te man ja nicht ahnen, daß die von drüben Deshalb irritiert es ihn auch nicht, daß Ob ihm das bekommt? Schon wirbt einen so verschaukeln, nicht? Hätte man seine traditionsreiche Bühne künftig Langhoffs Haus mit der „Bundeshenne“, von Kohl ja nicht gedacht, nach all den im Regierungsviertel liegen wird. Die dem Adler aus dem Parlament, ironisch um Versprechungen. Oder? Baugruben wuchern aus dem Spreebogen, Aufmerksamkeit. Mißverständnisse bieten Ach, wirklich, sagt Thomas Langhoff wo die Berliner Republik mit Parlament sich an. Werden die legendären Häuser in und wundert sich ausdrucksvoll. Konnte und Kanzleramt ihr Machtzentrum errich- der Schumannstraße jetzt Staatstheater? man nicht? tet, bis in die Nähe der Kammerspiele Langhoff lächelt schmal: „Ich hoffe, daß Nicht daß der Intendant des Deutschen und des Deutschen Theaters. Die bronze- wir der Vereinnahmung widerstehen.“ Theaters in Berlin sich für einen politischen nen Langhoff-Vorgänger Otto Brahm und Gehört es nicht, fügt er entschieden hinzu, Propheten hielte. Der Fall der Mauer hat Max Reinhardt starren von ihren Denk- zur vornehmsten Aufgabe des Theaters, 192 der spiegel 16/1998 Kultur „permanent ein Gegenbild zur Macht zu Eines seiner Lieblingswörter ist „Schnitt- deutschen Klassiker mutiert, gehört zum entwerfen, ein Kontrastprogramm“? punkt“. So sieht er sich selbst, als einen Lebensdrama der Langhoff-Familie. Immer Als Person verkörpert er das Gegenbild Menschen, in dem Widersprüchliches zu- hat Thomas den Stückeschreiber Brecht perfekt. Thomas Langhoff – gerade 60 Jah- sammenläuft. „Ich bin in der Emigration bewundert, seine Skepsis, seine Men- re alt geworden – ist keine Herrscherfigur, geboren, ich habe einen sehr deutschen schenklugheit. Doch den politischen Agi- kein Chefmanager, nicht einmal ein Prin- kommunistischen Vater und eine sehr un- tator mochte er nicht. zipal mit geborgtem Bühnenpathos. deutsche jüdisch-italienische Mutter.“ Ber- Für den halbwüchsigen Knaben war der Statt dessen ein Mensch, ein „komö- lin ist für ihn zugleich die westlichste Stadt schlampige Mann in der Lederjacke, der diantischer“, wie die Schauspielerin Inge des Ostens und die östlichste des Westens. Ende der vierziger Jahre allabendlich mit Keller weiß, die ihn seit Jahrzehnten kennt. seinem Vater Schach spielte, ein Ereignis. Grau ist er inzwischen, ein bißchen ge- it Gegensatzpaaren dieser Art, „Kom- Nicht nur, weil Brecht ihm nach seiner beugt, sehr höflich, wortmächtig und doch Mponenten, die nicht zusammen- Rückkehr aus der amerikanischen Emigra- auf Distanz bedacht. Das einstmals Südli- gehören und deshalb das Spannende sind tion seine ersten Jeans schenkte, für Gar- che seiner Erscheinung, der operettenhaf- im Leben“, kann Thomas Langhoff Aben- tenarbeit. Langhoff: „Darin bin ich rum- te Charme eines Gondoliere, hat sich ins de bestreiten.Wenn er erzählt, dann ist er, spaziert wie John Wayne.“ Auch nicht, weil preußisch Karge zurückgezogen. wie bei Proben auf der Bühne, ein Charme- er die mütterlichen Aufforderungen, sich Ein Leben lang hat Thomas Langhoff und Energieriese, der Aufmerksamkeit auf anständig den Hals zu waschen, mit Hin- seine Rolle gesucht, als Theatermacher, als sich zieht. weis auf Brecht abwehren konnte: „Der Mensch und als Deutscher. Jetzt, im Inten- Abgeklärt wirkt er dann und ausgebufft, war noch ungewaschener – ich liebte ihn, dantenzimmer, wirkt er so, als sei er seiner wie einer, den nicht mehr viel verblüffen weil er es nicht so genau nahm.“ selbst halbwegs sicher, ein Heimkehrer. Er kann im Leben, nicht einmal, daß er jetzt Nein, Thomas Langhoff war auch faszi- sitzt auf dem Stuhl seines Vaters und dieses Haus leitet. Eigentlich, sagt er, habe niert vom Theatermann Brecht, den der knüpft an dessen Lebenswerk an; was Ehre er gar nichts dafür getan. „Die haben mich Vater bis 1954 in seinem Deutschen Thea- ist und Bürde. Denn theatergeschichtlich hierhergesetzt.“ ter arbeiten ließ. Erregt saß der Junge da- hat der Name Wolfgang Langhoff in der Die – das ist das gerühmte Ensemble des mals in Brechts Inszenierungen. Die Auf- DDR den Stellenwert eines Gustaf Gründ- Deutschen Theaters, das er liebt, pflegt und führungen mit Helene Weigel waren für gens in der Bundesrepublik. fürchtet. Eine Truppe „von einer unglaub- ihn „ganz große Erlebnisse“. Bis dann Vor 50 Jahren hat Sohn Thomas im sel- lichen, geheimnisvollen Arroganz“, die je- „der Schock“ kam, der Zweifel an der ben Zimmer, in dem er jetzt einen Thea- der zu spüren kriegt. Selbst er, den sie alle Lehre, mit der Bertolt Brecht die Men- terapparat mit fast 400 Menschen verwal- einen Glücksfall nennen. schen aus dem Theater nach Hause schick- D. BALTZER / ZENIT D. BALTZER A. KÄMPER BPK H. HENSKY (bei Proben), Deutsches Theater (1949), Wolfgang Langhoff (1962): Von den Russen abgeworben tet, seine Schularbeiten gemacht. Ein Raum Als der Beifall lange genug die Schau- te. „Diese Thesenhaftigkeit, das war nicht wie ein Bühnenbild, ein Seelenkontor. Der spieler gefeiert hat, zeigt sich zwischen ih- so meins.“ Vater hat ihn eingerichtet, helle Möbel, nen auch der Regisseur und Hausherr. Tho- Heute wird Thomas Langhoff im eigenen Kirsche, auf den Sitzen verwaschener see- mas Langhoff lächelt, ein erleichterter Sie- Haus diese Distanz als Mangel an kämpfe- grüner Velours, getäfelte Wände aus dem- ger, kein Triumphator. rischer Haltung ausgelegt. Guckt „der Tom- selben Holz. Der Sohn hat nichts geändert. 40 Jahre macht er jetzt Theater, seit 30 my“, wie ihn die Älteren am Deutschen Spielt er den Alten nach? Stoff genug Jahren inszeniert er Stücke, aber erst jetzt Theater nennen, nicht ein bißchen zu sehr für ein Lebensdrama bietet die Familien- hat er sich an Bertolt Brecht getraut. Am auf „Quoten“ und „Schlagzeilen“? Hat er geschichte allemal. Als Regisseur und als letzten Märzsonntag hat sein „Kaukasischer sich nicht deshalb mit Klaus Löwitsch einen Schauspieler schöpft Thomas Langhoff dar- Kreidekreis“ Premiere. Das Echo ist ge- westdeutschen Fernsehstar für die Haupt- aus, wenn er Leben auf die Bühne bringt. mischt und wohlwollend verwirrt, was wohl rolle geholt, für den Richter Azdak? Glaubt Biographisches Theater nennt er seine Art, nicht anders sein kann. Denn Langhoff hat er womöglich gar nicht mehr wirklich an die Welt durch eigene Erfahrung zu er- einen Brecht inszeniert und doch nicht. eine politische Mission des Theaters? kunden und zu beschreiben. Und natür- Biographisches Theater. Der umstrittene Solche Unterstellungen machen Lang- lich lebt er die Geschichte weiter. Dichter, im Jubiläumsjahr endgültig zum hoff fassungslos. Ein Mann mit seiner Bio- der spiegel 16/1998 193 Kultur graphie sollte unpolitisch sein? jährige Intendantensohn mit sei- Als Sohn eines Theatermachers, nem achtjährigen Bruder Mat- der sich für seine humanisti- thias und anderen Kindern schen Ideale im KZ von den Na- auf der Ehrentribüne herum, zis die Knochen brechen und die während Unter den Linden die Zähne ausschlagen ließ und spä- noch nicht ganz durchunifor- ter in der DDR vom Wider- mierte Freie Deutsche Jugend spruch zwischen diesen Idealen des FDJ-Chefs Erich Honecker und ihrer real existierenden Ver- mit Fackeln vorbeizog. „Frie- wirklichung zermürbt wurde, densfackeln“ als Antwort auf die sieht sich Thomas Langhoff in „Kriegsfackeln“ der Nazis 1933. einer verpflichtenden Tradition. Es war der 11. Oktober 1949. Und der „Kaukasische Krei- Vater Wolfgang Langhoff stand dekreis“ – unpolitisch? „In die- in der ersten Reihe neben Wil- sem Stück geht es um Eigen- helm Pieck, dem gerade ge- tum“, sagt er, „die heilige Kuh wählten DDR-Präsidenten, Otto der Gegenwart. Und ob das nun Grotewohl und Walter Ulbricht. ein Kind ist oder eine Villa in Noch ging es, erinnert sich Sohn Kleinmachnow oder ein Gut in Thomas, locker und heiter zu. Mecklenburg, worum gestritten Keine grimmigen Sicherheits- wird, das ist doch gleich.“ Dem leute, kein Mißtrauen, sehr fa- Zuschauer wird Gegenwart zu- miliär. „Es war eine Kommuni- gemutet. stenfeier, und man war sehr Wenn Theater gut ist, glaubt glücklich.“ Langhoff – und der „Kauka- Sein Vater zählte als Emigrant sische Kreidekreis“ ist für ihn und Antifaschist, als Künstler eine unsterbliche Geschichte, und Kommunist zur Elite der „ein Menschheitsstück“ –, dann neuen Gesellschaft. Er war Mit- ist es im Kern immer aktuell. glied des Führungskreises der Dann muß es auch nicht politi- SED und gehörte der provisori- sche Parolen aufsagen, um poli- schen Volkskammer an. Seit er in tisch zu wirken. Moskau „Väterchen“ Stalin per- sönlich gesehen hatte, war seine eit 150 Jahren ist die Schu- Verehrung für den Retter aus Smannstraße 13a in der ein- dem Kreml noch gewachsen, der stigen Friedrich-Wilhelm-Stadt Wolfgang Langhoff,