Die Hungerunruhen in Hamburg Im Juni 1919 – Eine Zweite Revolution?
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Uwe Schulte-Varendorff Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? Verein für Hamburgische Geschichte Beiträge zur Geschichte Hamburgs | Band 65 Hamburg University Press Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? Beiträge zur Geschichte Hamburgs Herausgegeben vom Verein für Hamburgische Geschichte Band 65 Uwe Schulte-Varendorff Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? Hamburg University Press Verlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d‐nb.de abrufbar. Die Online‐Version dieser Publikation ist auf den Verlagswebseiten frei verfügbar (open access). Die Deutsche Nationalbibliothek hat die Netzpublikation archiviert. Diese ist dauerhaft auf dem Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek verfügbar. Open access über die folgenden Webseiten: Hamburg University Press – http://hup.sub.uni‐hamburg.de/purl/HamburgUP_BGH65_Schulte‐Varendorff Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek – http://deposit.d‐nb.de ISBN 978‐3‐937816‐63‐0 ISSN 0175‐4831 © 2010 Hamburg University Press, Verlag der Staats‐ und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Deutschland Gestaltung des Covers: Benjamin Guzinski, Hamburg Abbildungen mauf de Cover: Vorn: Nach Beendigung der Beschießung des Rathauses versammeln sich Menschen auf dem Rathausplatz, um sich über die Lage zu informieren (Ende Juni 1919). Quelle: StAHH, Plankammer, 221‐5 1918.21.1. Hinten: Volkswehrwache vor dem Gebäude des „Hamburger Echo“ (Januar 1919): Quelle: StAHH, Plankammer, 221‐5 1918.9.1. Produktion: Elbe‐Werkstätten GmbH, Hamburg, Deutschland http://www.ew‐gmbh.de Veröffentlicht mit Unterstützung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung. Inhalt Einleitung . 7 Die Vorgeschichte – die Hungerunruhen in Hamburg vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Juni 1919 . 15 Der Fall Heil – die dubiosen Machenschaften eines Sülzefabrikanten . 41 Der „innere Frieden“ – die Hamburger Sicherheitskräfte . 61 Die Eskalation der Unruhen – der Sturm auf das Rathaus . 73 Die Reichsexekution – die Reichswehr greift ein . 107 Die Besetzung Hamburgs – das „Korps Lettow“ sorgt für „Ruhe und Ordnung“ . 131 Die Rechtsprechung – Außerordentliche Kriegsgerichte vertreten „Recht und Gesetz“ . 171 Die Hinterlassenschaft – die Neuordnung der Hamburger Sicherheitskräfte . 185 Fazit . 199 Anhang . 213 Abkürzungsverzeichnis 214 Quellen- und Literaturverzeichnis 215 Unveröffentlichte Quellen 215 Zeitungen/Zeitschriften 216 Veröffentlichte Quellen und Literatur 216 6Inhalt Abbildungsnachweis 232 Personenregister 234 Der Autor 238 Die Reihe 238 Der Verein für Hamburgische Geschichte 238 Einleitung Die Niederlage des Deutschen Kaiserreichs, gleichbedeutend mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, war im November 1918 besiegelt. Die sich in Deutschland anschließende revolutionäre Phase fand, zumindest in Ham- burg, mit der Wahl der Bürgerschaft am 16. März 1919 ihren scheinbaren Abschluss. Endgültig vollzogen wurde der Wechsel am 26. März 1919 in der zweiten Sitzung der verfassunggebenden Bürgerschaft mit der Überga- be der politischen Macht vom revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat an die Bürgerschaft und den von ihr am 28. März 1919 gewählten Senat. Doch die innenpolitischen Verhältnisse in Hamburg, wie auch in der gesamten Republik, waren alles andere als stabil. Einerseits waren sie geprägt von militanten Auseinandersetzungen zwischen radikalen Gruppierungen, die zwar unterschiedlicher politischer Couleur waren, aber ein gemeinsames Ziel verfolgten, nämlich die sofortige Wiederabschaffung der neuen politi- schen Ordnung beziehungsweise eine politische Neuordnung in ihrem je- weiligen Sinne. Andererseits bestimmten weiterhin Hunger und Not den Alltag der Bevölkerung, was nicht nur in Hamburg dazu führte, dass die Menschen ihren Protest und ihren Unmut gegen diese unerträglichen Le- bensbedingungen in Form von Demonstrationen und Aufruhr, aber auch durch Diebstähle und Plünderungen zum Ausdruck brachten. Die Nah- rungsmittelknappheit und Mangelwirtschaft hatten ihren Ursprung bereits in den Jahren des Ersten Weltkriegs, bedingt durch die Blockadepolitik der Entente und eine schlechte beziehungsweise nicht vorhandene Ernährungs- vorsorge durch die Führung des Deutschen Kaiserreichs. Die Hoffnungen, dass sich die Nahrungsmittelversorgung der Zivilbevölkerung nach Ein- stellung der Kampfhandlungen schnell verbessern würde, zerschlugen sich rasch. Zum einen wurde die Blockade weiterhin noch eine Zeit lang auf- rechterhalten, um dadurch politischen Druck auf das Deutsche Reich aus- zuüben, zum anderen liefen die Lebensmittellieferungen aus dem Ausland auch danach zunächst nur schleppend und unzureichend an. Dies war der Nährboden für einen in der Forschung bisher nur recht wenig beachteten kurzen Abschnitt der Geschichte der Freien und Hanse- stadt Hamburg, nämlich die Ende Juni 1919 in der Stadt ausbrechenden Uwe Schulte-Varendorff: Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/HamburgUP_BGH65_Schulte-Varendorff 8 Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? „Sülzeunruhen“. Ausgangspunkt dafür waren die dubiosen Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden eines Sülzefabrikanten, die nach deren Aufde- ckung dazu führten, dass es im gesamten Stadtgebiet zu aufruhrartigen Zuständen kam. Diese bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse, die zwar nur wenige Tage anhielten, führten schließlich in einer groß angelegten Aktion trotzdem zum Einmarsch von Reichswehrtruppen. Wie bereits angedeutet, ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der „Sül- zeunruhen“ recht dürftig. So gab es bis vor Kurzem nur zwei Veröffentli- chungen von Ursula Büttner und Richard A. Comfort, die sich im Rahmen der Darstellung der hamburgischen Geschichte in der Frühphase der Wei- marer Republik zumindest etwas umfassender und eingehender mit dieser Thematik befassen.1 Dabei legt Comfort eine solide Quellenauswertung zu- grunde, die ihn zu dem eindeutigen Fazit führt, die „Sülzeunruhen“ seien kein spartakistischer oder kommunistischer Aufstand gewesen, sondern eine reine Hungerrevolte, die durch die Aufdeckung eines Lebensmittel- skandals ausgelöst worden sei. Die Details des Ablaufs und des Eingreifens der Reichsregierung sind jedoch nur rudimentär dargestellt. Wohl lässt der Autor die Folgen und Auswirkungen auf die innere Lage Hamburgs nicht völlig außer Acht, doch bleibt die gesamte Untersuchung auf Hamburg zentriert und geht nicht über den regionalgeschichtlichen Aspekt hinaus. So fehlt die vergleichende Einbettung in zeitnahe Ereignisse ähnlicher Struktur in anderen Gebieten Deutschlands. Ursula Büttner bewegt sich zwar auf einer etwas schmaleren Quellenbasis, weiß sie aber ebenfalls kri- tisch auszuwerten. In ihrem Fazit gelangt sie zu der Erkenntnis, dass einer- seits KPD und USPD in den Wochen vor dem Ausbruch der Unruhen ihre Agitation sehr gesteigert, und, nachdem der Tumult ausgebrochen war, die Linksradikalen die Kämpfe weitergetrieben hätten. Andererseits spricht Büttner die Parteileitungen von KPD und USPD für die Entstehung des Aufruhrs von jeglicher Verantwortung frei. Dies klingt nur auf den ersten Blick widersprüchlich, denn letztendlich waren auch nach Meinung der Autorin die „Sülzeunruhen“ kein geplanter Umsturzversuch. Auf die Fol- gewirkungen geht sie nur kurz ein und ähnlich wie bei Comfort fehlt die Einordnung in zeitgleiche Zusammenhänge in anderen Teilen Deutsch- lands. 1 Ursula Büttner: Politische Gerechtigkeit und sozialer Geist. Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, Hamburg 1985; Richard A. Comfort: Revolutionary Hamburg. Communism and Labor Politics in the Early Weimar Republic, Stanford 1966. Uwe Schulte-Varendorff: Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution? http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/HamburgUP_BGH65_Schulte-Varendorff Einleitung 9 Im Zuge einer neueren Biografie über General2 Paul von Lettow-Vorbeck befasst sich auch Eckard Michels mit den Geschehnissen.3 Allerdings lässt der Autor die notwendige, und für ein Werk von diesem Anspruch unab- dingbare, umfassende kritische Aufarbeitung doch weitestgehend vermis- sen. Dies liegt unter anderem an einer nur sehr eingeschränkten Quellen- auswahl. Stattdessen zieht er überwiegend einseitiges, mitunter sogar rechtsextremes Quellenmaterial heran, was seiner Darstellung zuweilen parteiische Züge verleiht. Dennoch kommt er zu dem Schluss, dass in Hamburg keine Revolution, sondern Unruhen niedergeschlagen wurden, welche durch die desolate Versorgungslage ausgelöst worden seien. Mit großer Vorsicht ist bezüglich der „Sülzeunruhen“ die Untersuchung von Joachim Paschen zur Geschichte der Revolution 1918/1919 in Hamburg zu betrachten.4 Seine recht volkstümliche und in weiten Passagen roman- hafte Darstellungsweise kann nicht davon ablenken, dass mehr als frag- würdige Thesen und Behauptungen aufgestellt werden. Dafür hat der Au- tor zwar einen beträchtlichen Teil der zur Verfügung stehenden Quellen herangezogen, aber diese nur unzulänglich ausgewertet und darüber hin- aus auch offensichtlich wichtige Akten ignoriert. Überdies sind deutliche politische Aversionen sowie eine entsprechend einseitige Betrachtungswei- se der Geschehnisse spürbar. Dies spiegelt sich besonders in der zum Teil diffamierend-hämischen Wortwahl wider. Im Verlauf