Kameradschaftlicher Beistand

Wie Wehrmachtoffiziere und -juristen dem Waffen-SS- in den Brettheim-Prozessen von 1955 bis 1960 zu Hilfe kamen

von

FRANZ JOSEF MERKL

Zwischen 1955 und 1960 stand der ehemalige SS-Gruppenführer und General- der Waffen-SS Max Simon – mit wechselnden Mitangeklagten – fünf- mal vor Gericht. Dabei ging es um den Vorwurf, er habe im April 1945 gegen drei Bewohner der Ortschaft Brettheim in Hohenlohe rechtswidrig Todesur- teile vollstrecken lassen. Die Landgerichte Nürnberg und Ansbach sprachen ihn dreimal vom Vorwurf der Rechtsbeugung und des Mordes frei. Der Bun- desgerichtshof hob zwei der Freisprüche auf. Erstaunlich viele der Prozessbe- teiligten hatten in der gedient, einige in sehr hohen Rängen. Im Folgenden soll daher nach deren Rolle im Prozessgeschehen gefragt werden. An erster Stelle steht aber ein kurzer Überblick über den Lebenslauf Max Si- mons.

Simons Weg nach Brettheim

Simon wurde 1899 in Breslau als Sohn eines Eisenbahners geboren.1 Nach der Volksschule machte er eine Ausbildung zum Herrenschneider. Seine insgesamt zwölfjährige Dienstzeit als Sanitäter im Ersten Weltkrieg, Freiwilliger im schle- sischen »Grenzschutz« und Wachtmeister2 in einem Reiterregiment der endete 1929. Anschließend trat er in den zivilen öffentlichen Dienst ein. Im Sommer 1933 schloss er sich der SS an. Simon gewann das Ver- trauen von Theodor Eicke, dem Inspekteur der Konzentrationslager und der SS-Wachverbände, und , dem »Reichsführer-SS«. Simon übernahm am 30. Juni 1934 in wichtige Funktionen bei der Ausschal- tung der SA, dem so genannten Röhm-Putsch. In der Folgezeit erhielt er Führungsaufgaben in den Konzentrationslagern Sachsenburg und Dachau.

1 Vgl. hierzu und im Folgenden Franz Josef Merkl, General Simon. Lebensgeschichten eines SS- Führers. Erkundungen zu Gewalt und Karriere, Kriminalität und Justiz, Legenden und öffent- lichen Auseinandersetzungen, Augsburg 2010. 2 Der Dienstgrad entsprach dem eines Feldwebels in den anderen Waffengattungen. General Max Simon in den Brettheim-Prozessen 407

1939 stand er als SS-Standartenführer – der Dienstgrad entsprach dem eines Obersten der Wehrmacht –, Führer des örtlichen Totenkopfverbandes und Standortältester an der Spitze der Dachauer SS-Hierarchie. In der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre bereitete Simon als Führer der KZ-Wachtruppe sei- ne SS-Männer auch auf einen Krieg an der Seite der Wehrmacht vor. Im Herbst 1939 wurde seine regimentsstarke Dachauer Totenkopfstandarte »Oberbayern« Teil der neu aufgestellten SS-Totenkopfdivision, deren Kom- mandeur Eicke jedoch keine militärische Ausbildung und Erfahrung besaß. Simon erreichte, dass die Wehrmacht mit qualifizierten Ausbildern und zahl- reichen Lehrgangsplätzen den Aufbau der unterstützte. Sein Regi- ment zeichnete sich 1940 in Frankreich durch verlustreiche Angriffe, aber auch durch einen brutalen Umgang mit der Zivilbevölkerung aus. Seine SS-Leute töteten zudem zahlreiche afrikanische Soldaten der französischen Armee, auch nachdem diese sich ergeben hatten.3 Im Sommer 1941, nach Beginn des An- griffs auf die Sowjetunion, kämpfte Simon im nördlichen Frontabschnitt unter der Führung von . Dessen LVI. Korps griff zur Unterstüt- zung der ihm zugeordneten Einheiten der Geheimen Feldpolizei für das Vor- gehen gegen die jüdische Bevölkerung im Raum Rositten auf Angehörige von Simons Einheit zurück.4 Bei Demjansk stand Simon vom Winter 1941/42 bis zum Sommer 1942 unter der Führung des Generals Otto von Knobelsdorff und profilierte sich in den Augen seiner Vorgesetzten von Wehrmacht und SS. In der Ukraine übernahm er nach Eickes Tod im März 1943 die Führung der Totenkopfdivision. Sie spielte eine zentrale Rolle in Mansteins operativem Konzept, mit dem er die sowjetische Winteroffensive zum Stehen brachte. Aufgrund einer Gelenkerkrankung war Simon anschließend länger dienst- unfähig. Im Herbst 1943 stellte er für Himmler die 16. SS-Panzergrenadierdi- vision »Reichsführer-SS« auf. Mit ihr kämpfte er ab Sommer 1944 in Italien unter vergleichsweise hohen Verlusten gegen die Westalliierten. Daneben setz- ten seine Wehrmachtvorgesetzten mit Feldmarschall Albert Kesselring an der Spitze Simons SS-Männer gegen Partisanen ein. Im Rahmen der »Partisanen- bekämpfung« töteten die SS-Männer über 2.000 Zivilisten, vielfach Kinder, Frauen und alte Menschen.5 Im Herbst 1944 übernahm Simon im Elsass die Führung des aus Einheiten von Wehrmacht und Waffen-SS bestehenden XIII. SS-Armeekorps. Im Um- gang mit kriegsmüden und erschöpften Soldaten unterschied er sich nicht von Militärs wie Kesselring, der im März 1945 Oberbefehlshaber an der Westfront wurde. Simon genoss die Unterstützung zahlreicher Offiziere der Wehrmacht.

3 Vgl. z.B. Kléber Deberles, Les atrocités commises par la division S.S. Totenkopf dans le Pas-de- Calais au mois de mai 1940, in: Revue du Nord, Band 76 (1994), S. 519-522, sowie Jean-Luc Leleu, La division SS-Totenkopf face à la population civile du Nord de la France en mai 1940, in: Revue du Nord 83 (2001), S. 821-840. 4 Erwachsene männliche Juden wurden von der Geheimen Feldpolizei »präventiv« verhaftet, da angeblich »auch hier mit Sabotageakten zu rechnen war«; vgl. Jürgen Förster, Zur Rolle der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschehen, B 45/1990, S 3-15, hier S. 11. 5 Vgl. Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945, Paderborn u.a. 2012, S. 201-304.