Stich Ins Wespennest Haben
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Viele Indizien deuten darauf hin, dass Belgien tatsächlich „der Mittelpunkt des Dopinghandels ist“, wie Jacques Rogge glaubt, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees – ein Belgier. Dabei ist Museeuw nur zufällig ins Visier der Fahnder geraten. Ihr eigentliches Inter- esse gilt der so genannten Hormonmafia, die Viehzüchter mit verbotenen Mastmit- teln versorgt und auch vor Mord nicht zurückschreckt. Ein halbes Jahr lang war deshalb der verdächtige Tierarzt José Landuyt, 49, überwacht, sein Telefon ab- gehört und seine E-Mails überprüft wor- den. Mehrmals hatte Landuyt in dieser Zeit mit seinem Freund Museeuw gespro- chen, sie redeten kryptisch über „geschnit- tenes Brot“, „Wespen“ und „Käfer“ – Code- wörter für Wachstumshormone, das Epo- ähnliche Blutdopingmittel Aranesp und ein Testosteron-Präparat, davon ist die Staats- FRANCK FIFE / AFPFRANCK anwaltschaft mittlerweile überzeugt. Radprofi Museeuw: Codewörter am Telefon? Mit der Razzia scheint sie nun in ein Wespennest gestochen zu haben: Landuyt sitzt seitdem wegen Verdunklungsgefahr RADRENNEN in Untersuchungshaft, er soll neben Mast- betrieben und Radfahrern auch Züchter von Rennpferden und Tauben beliefert Stich ins Wespennest haben. An insgesamt 21 Orten lief die Razzia ab. Landuyt streitet indes die Vor- Belgische Fahnder sind der Hormonmafia auf der Spur und haben würfe ab. Museeuws Glaubwürdigkeit ist ange- das Haus von Johan Museeuw durchsucht. kratzt. Das Gästebuch auf seiner Internet- Das Idol der Radsportnation gerät unter Dopingverdacht. Seite ließ er schließen, weil zu viele schar- fe Kritiker sich gemeldet hatten. it den üblichen lokalen Schererei- Und als ihn vorvergangene Wo- en kennt sich Staatsanwalt Tom che nach einem Rennen ein MJanssens bestens aus. In seinem Fernsehreporter beiläufig fragte, gemütlichen Büro unter dem Dach des Ge- was ihm die drei inkriminieren- richtsgebäudes von Kortrijk stapeln sich den Begriffe denn sagen würden, vielleicht hundert Aktenmappen auf dem wischte er sich lange mit einem Tisch; sie stecken voller Klageschriften, Handtuch durchs Gesicht und Zeugenaussagen und Gutachten über presste nach 20 Sekunden Be- Autounfälle oder Ladendiebstähle. Auch denkzeit nur hervor: „Ich weiß mit Mördern hätten sie hier schon zu tun nicht, wovon Sie sprechen.“ bekommen, sagt Janssens, 44, ein etwas Es gibt noch viel aufzuklären. kleiner, etwas untersetzter, unauffälliger Erst wenn zum Beispiel die Mit- Mann – als wollte er sich Mut zusprechen tel, die bei Museeuw und den an- für jenen spektakulären Fall, der ihn vor deren beschlagnahmt wurden, in zweieinhalb Wochen aus seiner Kleinstadt- den Labors analysiert worden Routine riss und wohl noch eine ganze sind, können die Fahnder darauf Weile beschäftigen wird. hoffen, neben Indizien auch Am Morgen des 4. September hatte die Beweise zur Hand zu haben. In Polizei die Wohnungen und Häuser von der düsteren Ahnung, dass die sechs Radrennfahrern durchsucht, auch AFP belgische Affäre in ihrer Wucht beim früheren Weltmeister und Weltcup- Tierarzt Landuyt*: Ein halbes Jahr lang überwacht der des Dopingskandals bei der sieger Johan Museeuw, 37, schlugen sie zu. Tour de France 1998 gleichkom- Aus dessen Haus in Gistel schleppten sie Museeuw zur Liga Oliver Kahn. „Der Fall men könnte, will der flämische Sportminis- Unterlagen, einen Computer sowie Medi- ist größer als angenommen“, sagt Janssens ter Marino Keulen Bluttests und Kontrollen kamente. Museeuw wurde stundenlang mit leiser, ehrfürchtig klingender Stimme. im Wintertraining einführen. Denn mehr verhört, erst am Abend kam er wieder frei. Bringt ein kleiner Staatsanwalt den noch als Frankreich ist der kleine nördliche Ein paar Tage später vernahmen ihn die großen Museeuw, der sich in Schweigen Nachbar vernarrt in seine Pedaleure, die Ermittler erneut, außerdem musste er sich hüllt, in Bedrängnis? Kommt ein Skandal fast täglich im Sattel sitzen und sich vor Pu- einem Blut- und Urintest unterziehen. ins Rollen, in dem bislang unbekannte Ver- blikum abstrampeln und sei es bei den Ohne Museeuw hätte kaum jemand triebswege für illegale Schnellmacher auf- volkstümlichen Kirmesrennen. Notiz von der ganzen Aktion genommen, gedeckt werden? Wege, die tief bis in die „Der Löwe von Flandern“, wie Mu- glaubt Janssens. So aber gerät plötzlich ein Organisierte Kriminalität hineinreichen? seeuw respektvoll betitelt wird, ist häufig in Sportidol Belgiens unter Dopingverdacht. seiner Heimat am Start, Frühjahrsklassi- Auf deutsche Maßstäbe übertragen gehört * Bei seiner Verhaftung am 4. September. ker wie die Flandern-Rundfahrt und den der spiegel 39/2003 173 Sport Höllenritt von Paris nach höhnt ein Amateur, der gerade zum zwei- Roubaix nahe der franzö- ten Mal erwischt wurde. sisch-belgischen Grenze hat Chris Goossens, 46, ein drahtiger Mann er mehrmals gewonnen. Er mit Wuschelfrisur und freundlich-knaut- gilt als bescheiden, nahbar schigem Gesicht, sitzt in seiner Arztpraxis und robust. Sogar nach ei- im Antwerpener Vorort Aartselaar auf ei- nem schweren Motorrad- nem Kippstuhl und wippt langsam vor und unfall im August 2000 und zurück. Freut er sich, dass die Mauer des einigen Tagen auf der In- Vertuschens langsam zu bröckeln beginnt? tensivstation kehrte er aufs Goossens zweifelt. Er hat zu viel erlebt, Rennrad und zur Bestform als dass er daran glauben mag, dies sei ein zurück. Die Stadt An- Durchbruch. Er gehört der flämischen derlecht hat vorige Woche Antidoping-Kommission an, und neun Jah- eine Metrostation nach re lang, bis 1997, leitete er die Medizinische Eddy Merckx benannt – Kommission des belgischen Radsportver- Museeuw dürfte ebenso bands. Es war stets ein Kampf gegen die darauf hoffen, seinen Na- Lügner, Täuscher und Vertuscher, die sich men einmal groß an einer nur selten packen ließen, weil sie den vergleichbaren Stätte ge- Kontrolleuren meist einen Schritt voraus schrieben zu sehen. waren. „Keiner weiß bislang, was bei Während in den vergan- Museeuw und den anderen gefunden wor- genen Jahren vor allem in den ist“, sagt er und ahnt: „Fast unmöglich, Frankreich und Italien bei dass Museeuw etwas zu Hause gehabt groß angelegten Razzien haben soll. Das wäre reichlich dumm.“ systematisch nach verbote- Aber der Fall Landuyt verstärkt seinen nen Pharmaka gefahndet Verdacht, dass sich Rennfahrer längst neue wurde, gab es bislang in Quellen erschlossen haben, um sich Do- Belgien kaum durchschla- pingmittel zu verschaffen. Früher hätten gende Erfolge im Kampf / SPORTIMAGE MICHEL GOUVERNEUR / REPORTERS die Teamärzte und -pfleger die Substan- wider das Doping. Und Dopingtäter Vandenbroucke (1999): Aus Zufall erwischt zen organisiert und verabreicht, „aber seit wenn jemand erwischt wird der Tour 1998 hat sich viel geändert. Sie wie Frank Vandenbroucke, dann eher aus sorgt habe („Er hat immer gesagt: mehr, wissen, dass sie im Fokus der Ermittler ste- Zufall: Im Februar 2002 fuhr der Franzose mehr, mehr“). 1997 hatten sie beide wegen hen, sie können nichts mehr machen, weil Bernard Sainz – der Radszene unter dem des Handels mit Amphetaminen vor Ge- sie nicht für die Fahrer ins Gefängnis wan- Spitznamen „Dr. Mabuse“ geläufig – mit richt gestanden. Windels entlastete damals dern wollen. Sie sind sauber geworden“. einem unversicherten Auto zu schnell den Mitangeklagten und wurde selbst zu Also haben sich einige Sportler offen- durch eine Tempokontrolle. Im Wagen fünf Jahren Gefängnis verurteilt, von de- bar andere Netzwerke aufgebaut, außer- fand die Polizei große Mengen von Am- nen er zwei saß – Landuyt dagegen sprach halb der Rennställe, fein verästelt, schwer phetaminen – und als Sainz angab, er kom- der Richter frei. Nicht einmal bedankt habe aufzudecken und zu verfolgen. Ein Vete- me gerade von Vandenbroucke, wurde sich Landuyt dafür, zürnt Windels heute. rinär wie Landuyt würde ideal als Lieferant auch in dessen Haus nachgeschaut. Ergeb- Nun droht ihm der Arzt gar mit einer Ver- taugen: In der Radszene kennen ihn nur nis: Es fanden sich Epo, Morphium und leumdungsklage wegen des TV-Interviews. wenige Insider. Kontakt ist sowieso kaum Clenbuterol. Als habe der Aufsehen erregende Fall nötig, weil der Fahrer nicht selbst die heiße An Hinweisen, in dem traditionsreichen von Kortrijk die Zungen gelöst, plaudern Ware annimmt, sondern ein Mittelsmann. Radsportland Belgien seien die „Renners“ mehrere Rennfahrer über den Betrug in Zusammen mit Landuyt wurde ein wenig auch nicht sauberer als andernorts, hat es ihrem Sport. Um alles zu untersuchen, bekannter Betreuer inhaftiert, der mit Mu- selten gemangelt. Bis Ende der neunziger brauche das Gericht „noch fünf Jahre“, seeuw seit zehn Jahren zusammenarbeitet. Jahre galt der so genannte Pot belge als Lagerte er irgendwelche Mittel, so fragt sich der Turbo unter den Muntermachern: ein der Experte Goossens, damit die Fahnder Cocktail aus Koffein, Amphetamin, Kokain bei Rennfahrern selbst keine einzige Am- und Heroin. Wenn man mit dem Zeug „ei- pulle mit Stoff finden, wenn sie zwischen nen Ritt über 200 Kilometer hinter sich Dachboden und Keller ausschwärmen? hatte, fühlte man sich, als käme man eben Längst hat das Netzwerk der Medika- erst aus dem Bett“, erzählt der flämische mentendealer den ebenso attraktiven wie Ex-Profi David Windels, 35, über die phä- unscheinbaren Schwarzmarkt für sich er- nomenale Wirkung des Gebräus. schlossen, nicht bloß Profis und Amateure Windels hat in seiner Karriere geschluckt werden versorgt: Bis hinunter zu den Hob- und gespritzt, er hat gedealt mit den Dro- by-Rennfahrern erstreckt sich der Kun- gen, um seinen eigenen Konsum zu finan- denstamm, allein in Flandern wetteifern zieren.