Wider Ein Skandalbuch - Der Streit Über Martin Walsers "Tod Eines Kritikers" Unter Literaturkritischem, Politischem Und Ökonomischem Aspekt
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Wider ein Skandalbuch - Der Streit über Martin Walsers "Tod eines Kritikers" unter literaturkritischem, politischem und ökonomischem Aspekt- Kai Köhler (Seoul National Univ.) Schriftsteller brauchen die Buchkritik: Denn ihre Bücher sollen bekannt und verkauft werden, sie selbst berühmt und beachtet. - Schriftsteller hassen die Buchkritik: An einem einzigen Nachmittag vermag der Kritiker, das Schaffen eines ganzen Jahres zu zerschlagen. Viele Autoren haben wohl einmal insgeheim den "Tod eines Kritikers" gewünscht. Martin Walser, nach Günter Grass der bekannteste deutsche Autor der Gegenwart, hat ihnen den Roman geschrieben. Damit brachte er die Kritiker nicht zum Schweigen. Im Gegenteil: Während im Normalfall ein Buch erst nach Erscheinen gelobt oder getadelt wird, brach diesmal der Streit schon los, bevor das Manuskript gedruckt wurde. Problem war, daß Walser den Mord an einem Kritiker jüdischer Herkunft imaginierte; an einem Kritiker, der leicht als Marcel Reich-Ranicki dechiffrierbar war, der nur mit viel Mühe und Glück den faschistischen Völkermord überlebt hatte. Damit war ein Skandal da und nützte wiederum dem Autor: In kürzester Zeit wurden 200 000 Exemplare des Romans verkauft. Der Verdacht entstand, Walser habe gezielt einen Streit provoziert, um Aufmerksamkeit auf sein Buch zu lenken. Der Buchmarkt ist zwar ein Markt, aber vergleichsweise ruhig und behäbig; anspruchsvolle Literatur ist Angelegenheit einer Minderheit. 224 Kai Köhler Damit es in diesem Bereich überhaupt zu einem Skandal kommt, müssen also verschiedene Faktoren zusammentreffen. Im diesem Fall gab es persönliche, politische und wirtschaftliche Konflikte. Erst sie alle zusammen konnten die Auseinandersetzung verursachen, die es um Walsers Buch tatsächlich gab. Um den Roman selbst l soll es hier nicht gehen. Meine These, daß es sich um einen antisemitischen Roman handelt, habe ich bereits während der Debatte im Frühjahr 2002 formuliert. 2 Aus größerer Distanz haben dagegen Dieter Borchmeyer und Helmuth Kiesel 2003 einen Band publiziert, als dessen Zielsetzung sie angaben, "den vielfach denunziatorischen Lesarten des Romans, welche seinen Perspektivismus verkennen, die Genauigkeit philologischer Lektüre entgegenzusetzen. ,,3 Über Walsers Roman enthält der Band im Einzelnen bedenkenswerte Einsichten. Da aber jede Kritik am Buch vorab als "denunziatorisch" abgewertet ist und BorchmeyerlKiesel ihr Buch als Verteidigungsschrift konzipiert haben, leidet auch die "Genauigkeit philologischer Lektüre". Fast durchgehend werden Kritiker Walsers ignoriert oder verunglimpft, eine Auseinandersetzung mit ihren Argumenten vermeiden fast alle der Beiträger. Eine gründliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Roman steht also noch aus. Thema dieses Aufsatzes ist die Debatte, die der Roman in einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation auslöste. Erst eine Kombination verschiedener Faktoren verursachte den Streit. Deshalb wird I Vgl. Martin Walser: Tod eines Kritikers. Roman. Frankfurt am Main 2002. 2 Vgl. Kai Köhler: Haß eines Autors. Zu Martin Walsers gefahrlichem Roman "Tod eines Kritikers". In: literaturkritik.de Juni 2002, Druckfassung S. 58-64, http://literaturkri tik.de/txt/2002-06/2002 -06-00999. html. 3 Dieter Borchmeyer, Helmuth Kiesel: VOIwort. In: Dies. (Hg.): Der Ernstfall. Martin Walsers "Tod eines Kritikers". Hamburg 2003, S. 7-24, hier S. 22. Wider ein Skandalbuch - Der Streit über Martin Walsers 225 "Tod eines Kritikers" unter literaturkritischem, politischem und ökonomischem Aspekt- zunächst die Entwicklung Martin Walsers vom linken Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft zum rechtsnationalistischen Großautor nachgezeichnet; in der Wirtschaftskrise, die für manche Zeitungen existenzbedrohend war und gegenwärtig noch ist, war er deshalb für Skandalisierung und dadurch Auflagensteigerung besonders geeignet. (Teil I) Zeitgleich zum Erscheinen des Romans über einen jüdischen Kritiker gab es in Deutschland als dem Land des Völkermords an Juden eine Auseinandersetzung darüber, in welchen Formen die israelische Besatzungspolitik kritisiert werden könne. (Teil 11) Die immer schon widersprüchliche Stellung der Literaturkritik zwischen ästhetischer und inhaltlicher Wertung (Teil III) komplizierte die Lage; Resultat war eine vielschichtige Debatte. (Teil IV) Ein Fazit (Teil V) beschließt den Aufsatz. Martin Walser, geboren 1927, ist seit den späten 50er Jahren im literarischen Leben Deutschlands etabliert. Er schreibt auch Theaterstücke, ist allerdings in erster Linie Romanautor und Essayist. Fast durchgehend kommen die Protagonisten seiner Bücher aus dem Kleinbürgertum: häufig schwache Charaktere, eigentlich keine Helden. Sie sind eher Verlierer, denen aber die Sympathie des Autors gehört, gerade wo sie punktuell Widerstand leisten oder sich den Regeln der bürgerlichen Gesellschaft zu entziehen versuchen. Walser haßt Machtausübung. Seine kritische Sichtweise auf autoritäre Strukturen in der bürgerlichen Gesellschaft führte ihn um 1968 in die Nähe der politischen Linken. Bürgerliche Kritiker verrissen damals meist 226 Kai Köhler seine Romane, doch der rur das Geistesleben Deutschlands zentrale liberale Suhrkamp-Verlag ließ ihn nicht fallen. Als Essayist politisch radikal, vermied es der Romanautor Walser, sein Werk allzu sehr in den Dienst der Politik zu stellen. Statt heldenhaft kämpfender Proletarier bevölkerten weiterhin schwache Bürger seine Bücher. In der politischen Linken versuchte Walser jene emotionale Heimat zu finden, die ihm die Schicht seiner Herkunft nicht gegeben hatte. In den frühen 70er Jahren griff die westdeutsche sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt jedoch einige Reformprojekte der Linken auf; wem das nicht reichte, der wurde in die Illegalität abgedrängt oder über Berufsverbote wirtschaftlich unter Druck gesetzt. Die radikale Linke zerfiel und konnte Walser keine Heimat mehr bieten. Walser wählte, typisch rur die westdeutschen Autoren um 1975, den Weg in die Subjektivität. Er sah nun seine politisierte Sprache als Verirrung und die literarische Sprache als den eigentlichen Ausdruck seiner Persönlichkeit. Von da an datiert Walsers Aufstieg zum Großautor, und auch das bürgerliche Feuilleton akzeptierte ihn, besonders wichtig die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die rur die Selbstverständigung der deutschen Konservativen wichtigste Zeitschrift. Ihr Literaturchef, der einflußreiche Marcel Reich-Ranicki, begann Walsers Romane zu loben; manchmal, nicht jeden, unzuverlässig, doch immerhin.4 Dabei hätte es bleiben können: Martin Walser als der Chronist der bürgerlichen deutschen Nachkriegsgesellschaft. Die Suche nach emotionaler Geborgenheit bewegte jedoch Walser zu neuen politischen Äußerungen. Nun suchte er Heimat in Nation und deutscher Einheit, im 4 Zu den wechselhaften Reaktionen Reich-Ranickis auf Walsers Texte vgl. Gustav Seibt: In Erlkönigs Armen sterben. Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki: Zur Geschichte einer an Eskalationen reichen Beziehung. In: Süddeutsche Zeitung, 31.5.2002. Wider ein Skandalbuch - Der Streit über Martin Walsers 227 Jod eines Kritikers" unter literaturkritischem, politischem und ökonomischem Aspekt- deutschen Zusammenhang also auf dem Feld der politischen Rechten: Die nationale Einheit war in Deutschland spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Ideologie, mit der soziale Kritik unterdrückt wurde. Mitte der 80er Jahre begann Walser eine Sonderrolle zu spielen: Anders als fast alle anderen deutschen Schriftsteller forderte er die deutsche Wiedervereinigung, die er 1989/90 als einen Sieg erlebte. Für jemanden, der Heimat sucht, kann solch ein Sieg nie genug sein. Nüchtern betrachtet, bleiben danach nur technische Aufgaben übrig: neue Straßen zu bauen oder Klärwerke, die Müllabfuhr zu organisieren. Die nationale Heimat kann nie das Bestehende sein, sondern immer nur das Zukünftige. 1990 mußte sich deshalb Walser radikalisieren. Immer mehr galt er als Vertreter eines nationalen Neokonservatismus. 1998 erschien der stark autobiographisch geprägte Roman "Der springende Brunnen", der eine weitgehend idyllische Kindheit im Faschismus schildert. Walser versöhnte sich mit seiner sozialen Herkunft, und er blendete weitgehend die gewaltsamen Seiten der Nazi-Herrschaft aus. Die Verklärung der Vergangenheit rief wieder einmal Reich-Ranicki auf den Plan. Inzwischen aus Altersgründen nicht mehr Literaturchef der FAZ, hatte er eine womöglich noch einflußreichere Position gewonnen. Er leitete eine Fernsehsendung, "Das literarische Quartett", in der jeweils vier Kritiker über literarische Neuerscheinungen sprachen; Anspielungen auf diese Sendung sind im Roman für jeden deutschen Leser unverkennbar. Die Sendung erreichte weitaus mehr Zuschauer als jede Zeitung Leser; in ihr tendierte jede Diskussion zur Show, in der Reich-Ranicki immer gewann, denn er argumentierte nie, sondern fallte medien gerecht Geschmacksurteile. Er war also ein Machthaber, wie Walser sie verabscheute. Gleichzeitig war Reich-Ranicki als Jude potentielles Opfer; nur knapp hatte er den 228 Kai Köhler deutschen Faschismus überlebt, und er bewahrte sich stets eine besondere Sensibilität für Entwicklungen, die auf einen neuen deutschen Nationalismus hindeuteten. Reich-Ranicki verlangte, daß, wer über das "Dritte Reich" schreibe, auch vom Völkermord an den Juden schreiben müsse - was Walser ablehnte. "Der springende Brunnen" verkaufte sich gut und trug seinem Autor den "Friedenspreis des deutschen Buchhandels" ein, einen der renommiertesten Literaturpreise in Deutschland. Bei der Verleihung des Preises lieferte der neue Literaturchef