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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Der letzte Mit dem geht Kubas berühmteste Band in den Ruhestand

Autor: Luigi Lauer

Sprecher: Wolfgang König

Redaktion: Bettina Stender

Sendung: Freitag, 19.06.2015 um 19.20 Uhr in SWR2

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Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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MANUSKRIPT

Viele der Musiker des Buena Vista Social Club haben in den 1940-er und 50-er Jahren noch die goldene Zeit für kubanische Musik erlebt, als ihre Musik in aller Welt gefeiert wurde. Doch nach der Revolution 1959 baute die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen radikal um, und damit endete auch der Boom kubanischer Musik. Erst 1996 wurden die früheren Stars von dem kubanischen Bandleader Marcos Gonzalez und dem englischen Labelchef Nick Gold wieder zusammengebracht. 1997 erschien dann die Platte, die alles für alle ändern sollte: Buena Vista Social Club, produziert von dem amerikanischen Musiker Ry Cooder. Fast zwei Jahrzehnte dauerte das späte Glück der Rentner-Band. Inzwischen sind die meisten der Musiker verstorben, vor kurzem wurde ein letztes Album aus Archivmaterial zusammengestellt und jetzt steht eine Abschiedstournee an. Aber wie Buena Vista entstand und wer dafür maßgeblich verantwortlich war, ist immer noch wenig bekannt.

Hören sie heute in SWR2 Tandem: Der letzte Bolero – Mit dem Buena Vista Social Club geht Kubas berühmteste Band in den Ruhestand. Von und mit Luigi Lauer.

1. Musik, Buena Vista Social Club, Track 1, Chan Chan, 1:20

Als im Jahr 1997 fast zeitgleich die ersten drei CDs aus dem Umfeld des Buena Vista Social Club erschienen, konnte niemand ahnen, dass damit eine Lawine ausgelöst werden würde. Binnen kurzem tanzte man auf der ganzen Welt zu den Klängen der Alte-Herren-Mannschaft aus Kuba. Filmemacher begannen sich zu interessieren und ungezählte Nachahmer wollten von dem Boom profitieren. Dabei ist die Geschichte des BVSC auch eine Geschichte voller Katastrophen, Zufälle, Unfälle. Nichts von dem, was damals das Licht der Öffentlichkeit erblickte, war so geplant – weder die Auswahl der Musiker noch die der Stücke, auch nicht die Dauer der Aufnahmen oder der Umstand, dass aus einer Platte drei wurden. Und doch hat diese Rentner-Band die Herzen eines Millionenpublikums erobert und das Leben aller Beteiligten gründlich umgekrempelt. Chan Chan ist das erste Lied auf dem Album BVSC und wohl auch das bekannteste. Doch nicht einmal dieses Lied war ursprünglich vorgesehen.

2. Musik, Buena Vista Social Club, Track 1, Chan Chan, 1:00

Geschrieben wurde Chan Chan von dem Gitarristen und Sänger Compay Segundo im zarten Alter von 80 Jahren. Dass es auf dem Album landete, hat Eliades Ochoa, ebenfalls Gitarre und Gesang, zu verantworten. Er war damals mit 50 Jahren einer der jungen Hüpfer im BVSC. Nick Gold, Chef der Londoner Plattenfirma World Circuit, erinnert sich:

O-Ton Nick Gold: "Einige Songs kamen so zustande: Compay Segundo kommt ins Studio, und Eliades Ochoa spielt Chan Chan für ihn. Die beiden kannten sich, sie hatten schon vorher in Santiago de viel zusammengearbeitet. Er fing also an, Chan Chan zu spielen, also machten wir den Song. Ruben Gonzalez spielte einmal das Lied Buena Vista an. Okay, auch genommen. Viele Stücke kamen so zustande. Am ersten Tag, als kam, fing Eliades an, Candela zu spielen. Es war Eliades´ Art, ‚Hallo!’ zu sagen. Also nahmen wir auch Candela auf."

Das malerische Rauschen im Hintergrund...

(O-Ton Klimaanlage): „Schschschschsch.“

...ist übrigens das der Klimaanlage der berühmten EGREM-Studios in der Altstadt von Havanna, wo die Aufnahmen zu Buena Vista stattfanden. Allerdings nicht im Hof wie die Interviews. Auch der inzwischen weltweit bekannte und geschützte Name Buena Vista Social Club ist mehr oder weniger zufällig entstanden:

O-Ton Nick Gold "Es war der Name eines Liedes, und ich dachte, prima, das kann man gut in Englisch verstehen, und die Atmosphäre im Studio war auch wie in einem Social Club, sehr entspannt. Alle, die dort waren, gehörten zusammen, wie Klubmitglieder. Und die Mitgliedschaft fußte darauf, ein exzellenter Musiker zu sein, der dieses Ding schaukeln kann."

Um die Entstehung des BVSC zu verstehen, muss man allerdings noch ein gutes Stück weiter... zurückschaukeln. Sehr viel weiter, in das Jahr 1976, zur Band .

3. Musik, Sierra Maestra, Son highlights from Cuba, Track 1, Como me gusta, 1:40

Der Maschinenbau-Student Juan de Marcos González, Jahrgang 1954, spielte in seiner Freizeit mit ein paar Kommilitonen alte Lieder aus der Zeit vor der Revolution. Gesungen hatte er sie schon als kleines Kind und beschloss 1976, der Band Sierra Maestra beizutreten, deren Leiter er bald wurde. Sierra Maestra wollten nicht die zahllosen Revolutionslieder spielen, die ihnen staatlich verordnet jeden Tag im Rundfunk vorgesungen wurden. Sie wollten die goldene Ära der kubanischen Musik wieder aufleben lassen, die Musik der 1920-er bis 50-er Jahre: den "Son Autentico". Omara Portuondo streicht heraus, wie bedeutsam dieser Schritt für die Musik Kubas war.

O-Ton Omara Portuondo "Es war das Wichtigste, was in dieser Zeit passierte. Sierra Maestra haben angefangen, die traditionellste Musik Kubas wieder auszugraben und zu spielen. Das ist das größte Verdienst, die größte Bedeutung von Sierra Maestra. Es war etwas sehr Besonderes, und es hat den Leuten sehr gut gefallen. Viele junge Menschen taten es ihnen gleich. Es war wie ein Zurückgehen zur traditionellen Musik, aber mit jungen Leuten."

Omara Portuondo hat die goldene Ära noch erlebt und ist in den 1950-ern bereits selbst durch die USA getourt. 20 Jahre nach der Gründung von Sierra Maestra stand sie plötzlich mit vielen ihrer damaligen Kollegen wieder im Studio. Auch das war nicht geplant. Weil Omara Portuondo zur Zeit der Buena-Vista-Aufnahmen im selben Studiokomplex zu tun hatte, begegnete ihr Marcos Gonzalez, der Chef von Sierra Maestra, auf der Treppe. Und beschloss spontan, sie ins Boot zu holen.

O-Ton Marcos Gonzalez "Omara kannte ich schon sehr lange. Wir haben mit Sierra Maestra mehrfach mit ihr gespielt. Sie war immer noch sehr bekannt in Kuba, anders als zum Beispiel Ibrahim Ferrer. Unbegreiflich, dass ich nicht auf sie gekommen war. Sie ist eine alte Freundin von mir, und ich habe wohl den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Ich habe an das nächstliegende zuletzt gedacht. Sie war nicht eingeplant. Sie war ein Unfall, ein sehr schöner Unfall."

4. Musik, Buena Vista Social Club, Track 7, Veinte Anos, 1:31

Veinte Anos, ein Bolero, geschrieben von Maria Teresa Vera, eine bedeutende Musikerin in der erwähnten goldenen Ära der kubanischen Musik. Auf dem Weg zum BVSC müssen noch ein paar Dinge geschehen, damit zusammenfindet, was zusammengehört. Bedeutsam ist das Jahr 1993. Da beginnt Marcos González eine Radiosendung im staatlichen Rundfunk, in der er die Musik der fast in Vergessenheit geratenen Veteranen spielt. Die Sendung heißt "Mit den alten Stars reden". Viele junge Menschen hören in dieser Show zum ersten Mal die vorrevolutionäre, traditionelle kubanische Musik. Marcos Gonzalez vertieft dabei auch seine eigenen Kenntnisse, und dann hat er plötzlich eine Idee...

Aber es fehlt nur noch ein geographischer Sprung. Siebeneinhalbtausend Kilometer Luftlinie entfernt hat ein junger Afrikanistik-Student namens Nick Gold gerade die Plattenfirma World Circuit in London gegründet, spezialisiert auf afrikanische Musik. Doch bald wird Kuba hinzukommen. Eine kleine Tournee hat Sierra Maestra 1993 auch nach London geführt, man lernt sich kennen, und im Jahr darauf erscheint ein Album von Sierra Maestra bei World Circuit. Es beginnt mit einem Debakel: Marcos González vergisst die fertigen Arrangements in einer der hübschen roten Telefonzellen in London. Hätte er die kubanischen Gottheiten, die Orishas, konsultiert, sie hätten es ihm vielleicht vorhergesagt: Dass auch die ganze Geschichte des Buena Vista Social Club eine Chronologie von Zufällen und Unfällen werden wird.

Immerhin: Nach den Aufnahmen von Sierra Maestra ist es für Marcos Gonzalez ein leichtes, Nick Gold von der Idee einer Werkschau der alten Musiker zu überzeugen. Afro Cuban All Stars soll die Band heißen, ein Name, der auf die afrikanische Vergangenheit Kubas anspielt. Neben mehreren Sierra-Maestra-Mitgliedern finden sich auf der ersten, 1996 aufgenommenen CD auch schon einige der späteren Buena-Vista-Helden: Rubén González, Cachaito López, Ibrahim Ferrer. Für das gleich im Anschluss geplante Album ist vorgesehen, mit Gastmusikern aus Westafrika zu arbeiten. Es gab allerdings... Hindernisse.

O-Ton Nick Gold "Es war ursprünglich etwas ganz anderes geplant. Am Tag, als wir anfingen, mussten wir unser Konzept vergessen und einfach anfangen. Und womit wir anfingen, war nichts weiter als ein Studio voll unglaublicher Musiker. Die kannten eines jeden Reputation, und es herrschte richtige Aufregung und Spannung am ersten Tag, weil viele der Musiker lange Zeit nicht gespielt hatten und neugierig waren, was passieren würde. Auf der anderen Seite hatten einige von ihnen schon auf dem Afro-Cuban-All-Stars-Album gespielt, und sie brachten die Energie mit, die da herrschte, denn es wurde in sehr kurzer Zeit aufgenommen."

Geschehen war dies: Die Musiker aus Afrika waren nicht erschienen. Die Pässe hatten sie zur Visa-Erteilung nach Burkina-Faso geschickt und nie wiedergesehen. Ein Ersatzspieler aus Paris sollte her, doch der Mann hatte ganz andere Pass-Probleme: Er befand sich illegal in Frankreich und wäre wohl raus, aber nie wieder reingekommen. Der Name? Ach, fällt mir gerade nicht ein.

5. Musik, Afro Cuban All Stars, Track 4, A toda Cuba le gusta, 2:25

So klingt es, das erste Album, das 1996 in Havanna aufgenommen wurde, mit den Afro Cuban All Stars. Und wer weiß, wie der BVSC geklungen hätte, wären die beiden Musiker aus Afrika erschienen.

Marcos Gonzalez war der Mann, der die Afro Cuban All Stars dirigierte, in jeder Hinsicht. Für Buena Vista wurden wegen des Ausfalls der Afrikaner einige starke Musikerpersönlichkeiten hinzugeholt wie zum Beispiel Eliades Ochoa, die einen Bandleader unnötig machten. Nur einen Tag nach dem Einspielen des Afro Cuban All Stars-Albums soll die Buena-Vista- Produktion starten. Aber: Die Bandmaschine startet nicht. Es dauert einen ganzen Tag, sie wieder ans Laufen zu bekommen. Eine derbe Enttäuschung für Nick Gold. Doch letztlich spielt ihm selbst das noch in die Karten.

O-Ton Nick Gold "Wir hatten also all diese neu zusammengewürfelten Musiker, und sie konnten ungeplant einen ganzen Tag spielen und sich beschnuppern. Alles war ganz zwanglos, und es war sicher gut, dass sie ohne jeden Druck einfach proben konnten."

Einer dieser Schnupperkurs-Kandidaten: Ibrahim Ferrer. Er wurde schnell zum Liebling des Publikums, dabei war auch er, sie ahnen es bereits, ursprünglich nicht vorgesehen für Buena Vista. Dafür kommt jetzt endlich Ry Cooder ins Spiel, er trifft genau am Tag ein, als die Musiker wegen der ausgefallenen Bandmaschine zwanglos proben. Cooder war vorgesehen. Labelchef Nick Gold hatte gute Erfahrungen gemacht, als er Cooder das Album "Talking Timbuktu" mit Ali Farka Touré aus Mali produzieren ließ. Immerhin hatte die Platte einen Grammy eingefahren, und Cooder hatte seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Musikern aus Mali gemacht. Von dort sollten auch die Gäste für Buena Vista kommen. Und dann passierte das: Für einen Bolero will Cooder eine möglichst weiche Stimme. Er fragt Marcos González, ob er jemanden kenne. Marcos stürmt aus dem Studio, um Ibrahim Ferrer zu holen. Der hatte sich schon längst aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, vor allem, weil man ihn nie hatte singen lassen. Ferrer ließ sich jedoch bereits für die Afro Cuban All Stars... nun, ja, überzeugen.

O-Ton Ibrahim Ferrer "Ich war in meiner Wohnung, hatte gerade eine Wasserpumpe gefettet und war dabei, meine weißen Schuhe zu polieren. Marcos González kam mit dem Direktor meiner ehemaligen Band und hat mich sehr respektvoll gefragt, ob ich in einem Stück singen wolle, das er aufgenommen hatte. Ich habe ihm geantwortet, dass ich kein Interesse hätte, dass ich nicht mehr singen wolle. Er hat sehr lange versucht, mich zu überreden, und irgendwann hat er mir dann gesagt, wie viele Dollars es dafür gibt. Und da habe ich gesagt, okay, Boleros singen, klar, da mache ich mit. Vámos, los gehts!"

6. Musik, Buena Vista Social Club, Track 5, Dos Gardenias, 1:50

Das Lied Dos Gardenias, der eine Bolero, für den man Ibrahim Ferrer holte und der dann noch vier weitere Lieder auf dem Album Buena Vista Social Club sang.

Als ein weiteres Bonbon stellte sich Rubén González heraus, damals 77 Jahre. Alle hatten während der monatelangen Vorbereitungszeit abgeraten, weil er zu alt sei und nicht mehr spielen könne. Doch weit gefehlt. Nachdem er nur vier Wochen mit dem Bassisten Cachaito López, von dem man ebenfalls abgeraten hatte, geübt hatte, zeigte er seine ganze Meisterschaft. Ry Cooder wird später über Gonzalez sagen, er habe nie einen besseren Pianisten kennen gelernt. Morgens wartet Ruben Gonzalez sehnsüchtig, dass endlich das Studio aufgeschlossen wird. Immer sei er der erste und letzte im Studio gewesen, sagt völlig begeistert Nick Gold, und spätabends habe man ihn förmlich vom Piano wegzerren müssen, damit er aufhört.

Als klar wird, dass nach den Buena-Vista-Aufnahmen noch zwei gebuchte Tage im Studio übrig bleiben, spielen sie noch Ruben Gonzalez´ gesamtes erstes Soloalbum ein. Sie kennen den Satz schon: Geplant war das nicht.

7. Musik, Introducing Ruben Gonzalez, Track 4, Melodia del Rio, 2:50

Schon fast ausgemustert und dann die große Überraschung: der Pianist Ruben Gonzalez.

Zurück in London mit den Bändern, hatte Nick Gold drei sehr verschiedene Veröffentlichungen gleichzeitig zu bearbeiten: Die Afro Cuban All Stars mit ihrer bläsersatzlastigen Salsa-Musik, den eher kontemplativen, auf Sologesang fokussierten Buena Vista Social Club und das sehr jazzige Soloalbum von Rubén González. In einem winzigen Dachgeschoss-Büro sitzen nur seine Assistentin und er. Doch die beiden sind überzeugt, etwas Großartiges geschaffen zu haben, darum übertrifft der Adrenalinstand den des Firmenkontos bei weitem. Und tatsächlich: Plötzlich sitzen die beiden auf einer Rakete, die sich nur noch mit einem großen Team steuern lässt.

O-Ton Nick Gold “Es wird auf einmal Business, dein Plattenlabel wird zu einer richtigen Firma, mit vielen Anforderungen, Anfragen, viel Verwaltung, Bürokratie. Ich hatte mit Sachen zu tun, von denen ich nie erwartet hätte, dass ich mich um so etwas kümmern muss. Am Anfang von Buena Vista war das toll, wir wussten, dass wir da etwas Feines hatten, das Marketing und die Reaktionen der Presse waren sehr ermutigend. Wir waren sehr selbstsicher, dass die Leute es mögen würden und haben uns richtig reingehängt. Aber als der Erfolg richtig einschlug, waren wir nur noch eine Verwaltung. World Circuit wurde eine richtige Firma mit viel Bürokratie, und ich wollte nie eine Firma leiten, das ist überhaupt nicht mein Ding."

Das „Ding“ wuchs in sehr kurzer Zeit auf 14 Mitarbeiter an. Und das alles nur wegen einer kubanischen Rentner-Band namens BVSC.

Von einem Erfolgs-“Rezept” kann kaum die Rede sein, eher von einer Salsa, gekocht mit dem, was gerade da war. Darauf versteht man sich in Kuba. Die Zutaten waren allerdings auch vom Feinsten. Dass auch die Aufnahmen zu Ibrahim Ferrers Soloalbum – gleichzeitig der Beginn der Filmaufnahmen mit – mit einer Katastrophe anfingen... wie sonst?

Bei strömendem Regen bricht, mitten in den Aufnahmen, das Dach ein, und es gießt direkt ins Studio. Die Leiter sind entsetzt und denken laut darüber nach, die Produktion in ein anderes Studio zu verlegen. Das verhindert Nick Gold mit dem Satz: "Wir kommen nie wieder, wenn wir das hier nicht nutzen können." Denn es ist gerade die klangliche Atmosphäre der berühmten staatlichen EGREM-Studios in Havanna, in die sich der Plattenchef und sein Toningenieur Jerry Boys verliebt hatten. Und Jerry Boys ist nicht irgend ein Mann am Mischpult: Er taucht bereits 1965 in den Annalen der Beatles auf, als 2. Techniker in den Abbey Road Studios.

8. Musik, BVSC presents: Ibrahim Ferrer, Track 8, Silencio, 2:39 ---

Ibrahim Ferrer, der fast schüchterne, kleine Mann mit der Schiebermütze auf seinem ersten Soloalbum von 1999, hier im Duett mit Omara Portuondo.

1999 passiert etwas, das die Verkaufszahlen des Buena-Vista-Albums noch einmal in die Höhe schnellen lässt. Wim Wenders, seit dem Film Paris-Texas freundschaftlich mit Ry Cooder verbunden, veröffentlicht die Buena-Vista-Dokumentation, gedreht in Havanna, Amsterdam und New York. Die Musiker haben keine Ahnung, dass ein ganzer Film über sie gedreht wird, manche denken, es seien Aufnahmen für Promotionszwecke, andere, es handele sich um Hobbyfilmerei. Das Ergebnis sieht ja streckenweise auch so aus. Sicher ist: So geplant war auch der Film nicht, sagt Eliades Ochoa.

O-Ton Eliades Ochoa „Die ursprüngliche Idee war ja wohl, dass ein Videoclip gedreht werden sollte. Das hat man uns jedenfalls gesagt. Aber der Boom von Buena Vista hat sie wohl dazu gebracht, daraus einen ganzen Film zu machen. Egal, ich mag den Film, er hat unser Bild in die ganze Welt getragen.“

Und der Film hat den Boom noch einmal kräftig angeschoben. Doch wer profitierte neben den kubanischen Musikern sonst noch? Klar, Nick Gold. Weit über acht Millionen Platten wurden verkauft, die zahlreichen Soloprojekte nicht mitgerechnet. Die aber hätte es nicht gegeben, wäre nicht ein gerechter Teil davon nach Havanna zurückgeflossen. Dann sicher: Wim Wenders. Für keinen seiner vorherigen Filme bekam er so viele Auszeichnungen. Geld haben die Musiker für ihre Mitwirkung keines gesehen. Marcos Gonzalez, der eigentliche Initiator und Manager des BVSC, findet in dem Film eben so wenig Erwähnung wie Nick Gold. Und Ry Cooder? Für ihn gab es einen Grammy, und nur für ihn, obwohl er sich im Studio nur noch an einen reichlich gedeckten Tisch setzen musste. Nicht die Musiker wurden ausgezeichnet, nicht Marcos González, nicht Nick Gold. Und wer hat nochmal die alten Musiker Kubas zusammengetrommelt, um mit ihnen eine Platte zu machen? Ry Cooder jedenfalls nicht, sagt der Mann, der es wissen muss: Marcos Gonzalez.

O-Ton Marcos González "Als Ry kam, war bereits alles fertig, ich hatte die Musik vorbereitet und die kompletten Arrangements geschrieben. Im Grunde hatte er keine Ahnung, was er da tat. Ich sage das gerade heraus und ganz ehrlich: Es wäre keine große Sache geworden, wenn ein Schwarzer aus Havanna die alten Musiker aufgesucht hätte, um mit ihnen eine Platte aufzunehmen. Aber wenn ein Weißer aus der weißen amerikanischen Kultur nach Havanna kommt, um den ‚Geist der kubanischen Musik wiederzubeleben’, dann ist das eine große Sache. Und ich sage ‚weiß’ nicht als Vorurteil oder als eine Frage von Rasse. Es ist eine Frage der Mentalität. Ry ist ein sehr guter Freund von mir. Aber Tatsache bleibt Tatsache: Er selber hat in seinem ganzen Leben nicht so viele CDs verkauft. Ry hat weder die Idee gehabt noch das Konzept entwickelt, und die Diskussionen über das Repertoire habe ich mit Nick Gold geführt – der übrigens im Film nicht zu sehen ist.”

In Kuba ist der BVSC übrigens überhaupt nur zweimal aufgetreten. Und jetzt soll Schluss sein. Ibrahim Ferrer, Ruben Gonzalez, Compay Segundo, Cachaito Lopez – sie alle sind inzwischen verstorben. Immerhin war ihnen noch eine sehr späte internationale Karriere vergönnt bis hin zu einer ausverkauften Carnegie Hall. Die bekanntesten noch verbliebenen Musiker sind Omara Portuondo und Eliades Ochoa. Der freut sich nicht nur auf die Abschiedstournee. Sondern auch darüber, dass noch einmal das Archiv durchforstet wurde und auf dem Album mit dem Titel „BVSC – Lost and found“ noch einmal alle alten Helden zu hören sind.

O-Ton Eliades Ochoa „Für mich ist die CD wie ein Resümee von Buena Vista. Es gibt eine sehr wichtige Sache bei dieser Platte: Es sind Aufnahmen von 1996 dabei, und mich freut es, dass die nicht irgendwo im Archiv aufbewahrt werden, sondern dass sie rausgehen in die ganze Welt. Auf der Tournee können wir neben den neuen und den bekannten Stücken auch solche zu Gehör bringen, die verschollen waren.“

Aber wie wird das sein – eine Tournee unter dem Namen BVSC zu machen, wenn doch kaum noch einer von der ursprünglichen Gruppe lebt?

O-Ton Eliades Ochoa „Diese Leute sterben nie. Sie sind vielleicht physisch nicht auf der Tour dabei, aber das sind Menschen, Künstler, die nicht vergehen. Wir sind mit ihnen zärtlich in Gedanken verbunden, und das Publikum ganz sicher auch.“

In Deutschland wird es noch vier Konzerte geben: in München (1.7.), in Straubing (2.7.), in Mainz (8.7.) und in Hamburg (10.7.). Die Musiktitel dieser Sendung können Sie nachlesen auf unserer homepage SWR2 de Schrägstrich Tandem. Das war: Der letzte Bolero – Mit dem Buena Vista Social Club geht Kubas berühmteste Band in den Ruhestand. Von und mit Luigi Lauer.

9. Musik: BVSC, Album „Lost and found“, Track 1, Bruca Manigua, 2:20