Quellenmaterial für den Unterricht

Nr. 30 Dezember 2005

Die wildeste Flucht des Jahrhunderts Wie General Giraud von Sachsen in die Schweiz und nach Frankreich gelangte Bearbeitet von Hans-Georg Merz

Würde die Bezeichnung nicht vornehmlich für kriminelle lage mit schweren Belastungen wie hohen Besatzungskos- Figuren gebraucht, könnte man Henri-Honoré Giraud ten und der Ablieferung von Waffen und industriellen Aus- (1879–1949) einen Ausbrecherkönig nennen. In beiden Welt- rüstungen. Außerdem ging das Land faktisch seiner territo- kriegen entfloh der französische Soldat aus deutscher rialen und politischen Integrität insofern verlustig, als neben Kriegsgefangenschaft, zuerst im Rang eines Hauptmanns einer von Italien besetzten Zone im Osten der Norden sowie bereits Ende Oktober 1914, als er trotz schwerer Verletzung die Atlantikküste bis zur spanischen Grenze deutschen Mili- das Feldlazarett verlassen konnte und nach Aufenthalten in tärbefehlshabern (in und Brüssel) unterstellt sowie im Belgien, in den Niederlanden und in England seit Februar Elsass und in Lothringen nationalsozialistische Spitzenfunk- 1915 wieder in der französischen Armee Dienst tat. Sodann tionäre zu Chefs der Zivilverwaltung berufen wurden. Unge- ein zweites Mal im Frühjahr 1942, als der nunmehrige fähr zwei Fünftel des Landes im Süden blieben unbesetzt Armeegeneral unter geradezu sensationellen Umständen und bildeten als Freie Zone eine äußerst brüchige Macht- seinen deutschen Bewachern entkam. Zwischen diesen bei- basis für das in Vichy residierende autoritäre Kollaborations- den Ereignissen lagen Jahre eines stetigen beruflichen Auf- regime (Wolfgang Benz) unter Marschall Philippe Pétain als stiegs, der ihn zu militärischen Kommandos nach Nordafrika Staatschef. Zu den Forderungen, die dieser erfüllen musste, und zur Lehrtätigkeit an die École supérieure de guerre in Paris führte. Zu seinen Schülern zählten der spätere franzö- sische Oberbefehlshaber in Deutschland, General Jean de Lattre de Tassigny, sowie der Schweizer Offizier Roger Masson, dessen Bekanntschaft für ihn 1942 noch von großer Bedeutung sein sollte. Seit 1936 weilte Giraud als Kommandant der 6. Militärregion in , wobei einer seiner Untergebenen Oberst war, jener Rivale in spe, der als Chef des Freien Frankreich im Zweiten Weltkrieg und als Begründer der V. Republik Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten Persönlichkei- ten der neueren französischen Geschichte wurde.1

Aktive Gefangenschaft auf dem Königstein

Als Frankreich (wie Großbritannien) am 3. September 1939, zwei Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen, dem östlichen Nachbarland den Krieg erklärte, hatte dieser Schritt nicht sogleich Kampfhandlungen zur Folge. Mehrere Monate herrschte im westlichen Europa eine Art Ruhe vor dem Sturm, die mit Begriffen wie Sitzkrieg und Drôle de guerre (komischer Krieg) gleichwohl eine der Situation ange- messene militärische Deutung fand. Die schließlich am 10. Mai 1940 eingeleitete deutsche Westoffensive bescherte Hitler bereits am 22. Juni einen spektakulären Erfolg in Gestalt eines Waffenstillstandsver- trags, den der auf politische Symbolik erpichte Diktator in Erinnerung an den parallelen Vorgang vom 11. November 1918 am gleichen Ort, im Wald von Compiègne, und in der- selben Räumlichkeit, einem – aus dem Museum geholten – General Henri-Honoré Giraud, geboren am 18. Januar 1879 Salonwagen, jetzt aber in einer völligen Vertauschung der in Paris, gestorben am 11. März 1949 in . Rollen, unterzeichnen ließ. Frankreich bezahlte seine Nieder- Vorlage: Archiv Festung Königstein gGmbH

1 hen, wurde ihnen seit dem Sommer 1941 überdies der freie Ausgang in Stadt und Umgebung gewährt. Wie etwas mehr als zehn Schicksalsgenossen kam General Giraud allerdings nicht in den Genuss dieser Vergünstigung, da er sich wei- gerte, die geforderte Erklärung abzugeben. Seine Überle- gungen und seine Aktivitäten konzentrierten sich vielmehr auf das Projekt Flucht. Seinen Memoiren zufolge befasste sich der General von Anfang an mit dieser Absicht: Dès mon entrée à Königstein, j’ai pensé à m’évader, wobei besonders die geographische Dimension eine große Herausforderung darstellte: Il fallait gagner la ou la Suisse à 800 kilomètres de là. Doch zweifelte er nicht an einem positiven Ausgang des Vorha- bens, zumal er sich in einer physisch und moralisch guten Verfassung befand: J’étais en parfaite santé et tout à fait prêt, physiquement et moralement, à tenter l’aventure.5 Wie risikoreich das Unternehmen jedoch war, zeigten im Herbst 1941 die Fluchtversuche zweier anderer Generale, die vor dem Erreichen der Schweiz in die Hände der deut- schen Behörden fielen. Nach intensiven technischen und organisatorischen Vorbereitungen, die in späteren Beschreibungen nicht zuletzt von Giraud selbst manche Ausschmückungen erfuhren, und nachdem der Fluchthelfer, ein Lothringer mit guten Deutsch- kenntnissen, in der Nähe eingetroffen war, begann das Der Eingangsbereich der Festung Königstein mit der Abenteuer am Morgen des 17. : Eine günstige Georgenbatterie und der Georgenburg im Hintergrund. Situation ausnützend, überstieg der General die 1,20 m hohe Aufnahme: www.mauksch-design.de Brüstung und seilte sich ab. Im Gesträuch unterhalb der Festung kleidete er sich notdürftig um, entfernte seinen gehörte auch der Einsatz von mehr als einer Million französi- Schnurrbart, setzte eine schwarze Hornbrille auf und machte scher Kriegsgefangener in der deutschen Industrie und sich auf den Weg nach Schandau. Mag die Felswand nun 17 Landwirtschaft.2 oder 60 m hoch gewesen sein, in jedem Fall war das Absei- Eine andere Kategorie von Kriegsgefangenen erfreute len eine beachtliche sportliche Leistung des 63jährigen, an sich ihrer spezifischen beruflichen Position wegen besonde- der Hüfte verletzten Generals. Vichys Informationsminister rer deutscher Aufmerksamkeit und Obhut. Es waren dies die Marion sollte später dazu bemerken, dass Frankreich mit Inhaber hoher und höchster Ränge in der französischen Generalen, deren Begabung weniger auf dem Gebiet der Armee, darunter rund 90 Generale, die in der sächsischen Gymnastik, sondern der Strategie läge, glücklicher gefahren Festung Königstein, auf einem Sandsteinfelsen 40 Kilometer wäre. Am Mittag wurde Giraud am Bahnhof Schandau von südöstlich von über der Elbe gelegen, interniert Roger, seinem Führer, nach Wechsel des vereinbarten Kenn- wurden. Einer von diesen war General Giraud, der bereits wortes ‚Guten Tag, Heinrich‘, in Empfang genommen. Erst kurz nach Kriegsbeginn im Westen, am 19. Mai 1940, bei Le nach 20 Uhr wurde in Königstein die Abwesenheit bemerkt. Catelet in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten, damit Giraud saß zu diesem Zeitpunkt, in bestes Zivil gekleidet und aber zugleich auch einer größeren Verantwortung für das mit einwandfreien Papieren ausgestattet, in einem Abteil militärische Desaster Frankreichs weitgehend ledig war. In zweiter Klasse in einem Zug nach Eger. Roger, als freiwilliger historischer Perspektive steht er am Ende einer Reihe promi- französischer Arbeiter eingereist und zugleich mit dem Nach- nenter Häftlinge, die sich auf dem Königstein für kürzere weis der Entlassung wegen Arbeitsunfähigkeit versehen, oder längere Zeit ihrer Bewegungsfreiheit beraubt sahen. Zu hatte im benachbarten Abteil dritter Klasse Platz seinen Vorgängern zählten zum Beispiel im 16. und 17. Jahr- genommen.6 hundert hohe sächsische Staatsbeamte, die bei ihren Monarchen in Ungnade gefallen waren, später etwa der Erfinder des europäischen Porzellans, Johann Friedrich Bött- Die Fahndung nach dem General … ger (1706/07), der russische Anarchist Michail Bakunin (1849), der sozialdemokratische Parteiführer August Bebel Über Eger und Nürnberg erreichte der Flüchtling Stutt- (1874). Bereits während des Deutsch-Französischen Kriegs gart. Gleich nach seiner Ankunft hatte er eine schwierige 1870/71 und in der Zeit des Ersten Weltkriegs diente der Entscheidung zu treffen. Weil seinem Eindruck nach die Königstein als Kriegsgefangenenlager für französische Offi- Überwachung am Bahnhof verstärkt und mehr SS-Angehöri- ziere.3 ge als üblich anwesend waren, musste er die württembergi- Sicherlich empfanden die Generale des Zweiten Welt- sche Landeshauptstadt so schnell wie möglich verlassen. kriegs ihren Aufenthalt bei weitem nicht so angenehm wie Zwei Anschlusszüge standen zur Auswahl: ein Express nach der 1899 wegen Majestätsbeleidigung einsitzende deutsche Straßburg, allerdings erst nach einer längeren, gefährlichen Dichter Frank Wedekind,4 doch bescheinigte Giraud seinen Wartezeit, sowie ein Zug nach Metz, der früher abfuhr, für Bewachern courteoisie, Ritterlichkeit ihm gegenüber, obwohl Giraud aber mit dem Risiko verbunden war, dass die deut- er keinen Hehl gemacht habe aus seinen Gefühlen und Ein- schen Besatzungsbehörden in dieser Region besonders stellungen. Und so war es den Gefangenen, entsprechend intensiv nach dem früheren Militärgouverneur fahnden wür- den Grundsätzen des Völkerrechts, erlaubt, außerhalb der den. Hauptsächlich wegen eines Zivilisten, der ihn zu beob- Festung Spaziergänge sowie einmal im Monat Tagesaus- achten schien – den es jedoch abzuschütteln gelang –, flüge zu unternehmen. Sofern sie versprachen, nicht zu flie- wählten der General und sein Begleiter Metz als Reiseziel –

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. . in einem Zug deutscher Wehrmachtsurlauber.7 Diesen verlie- einen bei der Obsternte verwendeten zwei Meter langen ßen beide in Landau in der Pfalz, und von hier aus reiste Stecken. Giraud über Straßburg und Schlettstadt nach Mülhausen. Im Nach Stunden des Wartens schien die Hoffnung auf Wagen eines Industriellen aus der elsässischen Kleinstadt den großen Fang in Erfüllung zu gehen: Von den Spätzügen Thann erreichte er bei Liebsdorf die Schweizer Grenze. war um elf noch einiger Verkehr auf unserer Überwachungs- Unterstützt vom Pfarrer dieses Orts und einem Forstbeam- straße zu erwarten. Aber nur ein einziger Radfahrer kam uns ten betrat er am 22. April 1942 schweizerisches Territorium. entgegen, langsam und wie wir ohne Licht. War er verdäch- Von diesem Zeitpunkt an befand er sich augenscheinlich in tig, kam da der ‚Schiro‘? Nun, wir würden mit ihm fertig wer- Sicherheit, aber noch nicht am Ende persönlicher Aufregun- den! Es war ein Mann um die Sechzig, also im Alter des gen und politischer Ungewissheiten. Mannes, den wir suchten. Bei der Annäherung musterte er Girauds Flucht bedeutete für die deutschen Militärbe- uns misstrauisch – und wir ihn! Aber als wir auf gleicher hörden eine große Blamage. Noch vor dem Internationalen Höhe waren, rief er dem Gewehrträger Adalbert zu: ‚Wännt Militärtribunal in Nürnberg berichtete Generalfeldmarschall Ihr wildärä?‘ – Nein, ein so breites Alemannisch sprach man Wilhelm Keitel, ehemaliger Chef des Oberkommandos der nur in den Rheindörfern, so sprach kein französischer Gene- Wehrmacht, von schwersten Vorwürfen, die ihm die mangel- ral, es sei denn, er wäre Elsässer, was aber auf unseren hafte Bewachung der Festung Königstein eintrug.8 Die ‚Schiro‘ nicht zutraf. – Aber uns der Wilderei verdächtigen, reichsweite Großfahndung nach dem französischen Offizier wo wir doch im Dienst waren für ‚Führer, Volk und Vater- hatte am 18. April 1942 begonnen, zuerst mit einem Fern- land!‘ ‚Wir sinn uff dr Löwenjagd!‘ rief Adalbert hinter dem schreiben aus Dresden, anschließend mit Sonderausgaben Radfahrer her, was ihn sicher in der Ansicht bestärkte, er sei des Deutschen Kriminalpolizeiblatts. Dass hierbei eine da zwei ‚Striezi‘ begegnet. Dabei war Adalberts Zuruf voll fei- gewisse Hektik herrschte, lässt sich aus dem ursprünglich ner Ironie. Nur daß man auf der Großwildjagd in Afrika nicht genannten, dann korrigierten falschen Fluchtdatum (14. April so erbärmlich fror, wie wir jetzt in unseren kurzen Hosen. 1942) sowie aus der fehlerhaften, das heißt englischen Und die Fährten vielleicht deutlicher sind.9 Schreibweise des Vornamens des Generals (Henry) ablesen. In anderen Gegenden des Deutschen Reichs schien An der Suche beteiligten sich nicht nur die zuständigen dies indessen der Fall und die Suchaktion von Erfolg gekrönt Stellen von Staat und Partei, einschließlich SA und SS; auch zu werden. So wurde der Flüchtige in der Nähe von Würz- Angehörige von Hitlerjugend und Jungvolk bildeten bewegli- burg, im Raum Mainz-Wiesbaden, bei Baden-Oos und Kehl, che Jagdkommandos, die den flüchtigen Franzosen fassen in Württemberg und im Elsass gesehen, ja sogar in einem sollten. So in der Rheinebene, in der Gegend von Herbolz- PKW vermutet, der jedoch, wie schließlich zweifelsfrei fest- heim und Oberhausen, wo die Gefühlswelt zweier Jäger, gestellt wurde, ohne ihn die deutsch-ungarische Grenze pas- eines 15 -jährigen und eines 13-jährigen, gleichermaßen von sierte. Dass Beobachtungen dieser Art teilweise erst Tage Abenteuerromantik wie Besorgnis erfüllt war: … nun wurde nach Girauds Ankunft in der Schweiz erfolgten, zeigt, wie es Zeit, unseren Kampfplan für den Ernstfall zu entwickeln, wohl je unterschiedliche Motive – die Hoffnung auf eine falls der ‚Schiro‘ plötzlich vor uns auftauchen sollte. Der Plan hohe Belohnung, kriegsbedingte Hysterie und politischer sah folgendes vor: Wir wollten ihn gemeinsam zu Fuß anfal- Fanatismus – den Wirklichkeitssinn manches Zeitgenossen len, Adalbert sein Gewehr, ich meinen ‚Speer‘ im Anschlag. verdunkelten. Wenn er sich unserer ‚Übermacht‘ ergab und willig zur Gen- darmerie oder Polizei folgte, war alles gewonnen. Welch ein Triumph würde es dann für uns sein, und welchen Neid wür- den wir bei den Kameraden erregen! An die 100.000 Reich- mark des „Führers“ dachten wir nicht. Geld spielte im vierten Kriegsjahr gegenüber „Naturalien“ schon eine ziemlich unter- geordnete Rolle. – Wenn aber der General nicht willens war, uns wieder in die Kriegsgefangenschaft zu folgen, wollte Adalbert ihn so lange aufhalten, bis ich aus Herbolzheim oder Oberhausen Verstärkung herangeholt hatte. Wir legten zwischen dem „Wässerungsgraben“ und der Elz die Grenze fest, wo die Entfernung nach Herbolzheim und Oberhausen gleich war. Dort wäre zum ‚Rencontre‘ dann für uns der ungünstigste Ort. Auch wenn ich gewaltig in die Pedale trat – und als Radler war ich trainiert – würde es eine halbe Stunde dauern, bis die Gendarmerie oder Polizei dort ein- treffen konnte. In dieser Zeit stand Adalbert dem General allein gegenüber und hatte außer seinem ungeladenen Gewehr nur noch ein Fahrtenmesser einzusetzen, das zu sei- ner kurzen bayerischen Seppl-Hose gehörte. Nein, schön war die ‚Lage‘ dann nicht! Uns fehlte eben der ‚dritte Mann‘, denn nur zu dritt wäre ein richtiger ‚Schwerpunkt‘ zu bilden. – Was aber, wenn Henri Honoré mit einer Pistole bewaffnet war und – anders als der Gewehrträger Adalbert – dafür auch Munition hatte? Später gestanden wir uns gegenseitig, daß jeder an diese Möglichkeit zwar dachte, aber schwieg, um nur ja keine Angst aufkommen zulassen. So übten wir zwei uns in der damaligen deutschen Haltung, alles Unange- nehme, Drohende zu verdrängen und nur auf die eigene Bericht der Staatlichen Kriminalpolizei Singen vom Macht und Stärke bedacht zu sein. Bei dem Speer handelte 26. April 1942 über die Großfahndung nach General Giraud. es sich im Übrigen nach der Erzählung eines Beteiligten um Vorlage: Landesarchiv StAF V 200/1 Nr. 65

3 … besonders intensiv im Hegau und im gen wie gleichsam professionellen, etwa Bauern im Raum Bodenseegebiet Singen (Hohentwiel), die für eine Grenzüberführung 6000 Mark verlangten.11 Wer das Ziel schließlich erreicht hatte, Seit der Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 vollstän- war dennoch oft nicht die Sorgen los, da restriktive Maßnah- dig vom Deutschen Reich und von diesem abhängigen men der Behörden, zum Beispiel im Thurgau, den Ankömm- Gebieten umgeben, war die Schweiz bis Kriegsende das lingen häufig erhebliche Probleme bereiteten. einzige Nachbarland, das gegenüber Hitler-Deutschland eine Die Situation im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet, gewisse Unabhängigkeit wahren konnte.10 Dieser Umstand die dortige geopolitische Lage, war natürlich auch General veranlasste viele fluchtwillige Personen – Juden, Gewerk- Giraud nicht unbekannt. So hatte er auf der Festung König- schaftler, Sozialdemokraten, Kommunisten, Kriegsgefangene stein offensichtlich folgenden Kassiber zurückgelassen: und Zwangsarbeiter –, den gefährlichen Übertritt in die neut- (1. Zeile): Weg durch die Schweiz ist unerlässlich. rale Eidgenossenschaft zu wagen. Häufig misslangen diese (2. Zeile): Weg nach Schaffhausen ab Bahnhof Tuttlingen Unternehmen, so im Fall Georg Elsers, der nach seinem über Emmingen-Singen. gescheiterten Attentatsversuch auf Hitler (9. November (3. Zeile): Singen – Strasse nach Schaffhausen.12 1939) in Konstanz gefasst und später (1945) hingerichtet wurde. Diejenigen Flüchtlinge, die mehr Glück hatten und Erstaunlicherweise scheinen die deutschen Polizeibe- die rettende Schweizer Grenze überschreiten konnten, hat- hörden diese Aufzeichnung für bare Münze genommen und ten dies vielfach Fluchthelfern zu verdanken, sowohl freiwilli- weniger als eine Finte bewertet zu haben. Dies könnte die in →

Plan der Festung Königstein; der Pfeil bezeichnet die vermutete Abstiegsstelle von General Giraud. Vorlage: www.mauksch-design.de

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. . dieser Gegend besonders intensive Suche nach dem promi- derlich, da am 30. April 1942 die gesamte Sicherheitspolizei nenten Flüchtling erklären. im Reichsgebiet mittels Fernschreiben den Befehl aus Berlin Schutzpolizei und begannen die Aktion mit erhielt, die Fahndungsmaßnahmen nach dem französischen Informationen an die nachgeordneten Dienststellen, die sich Armeeführer einzustellen. Der Grund für diese Entscheidung rasch als vage oder völlig falsch erweisen sollten. Da war von wurde natürlich nicht genannt: Wegen absoluter Erfolglosig- einer viersitzigen Limousine die Rede, deren Fahrer, gesun- keit, da sich Giraud zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr des Aussehen, südländischer Typ, von zwei Frauen und in der Schweiz, sondern bereits wieder in Frankreich aufhielt. einem Kind begleitet wurde und möglicherweise mit dem General identisch sein konnte. Am 22. April 1942 und in den Tagen danach meldeten sich bei den Behörden mehrfach Giraud in der Schweiz Personen, die behaupteten, dem Gesuchten begegnet zu sein – nachdem dieser Deutschland längst verlassen hatte: Der Empfang Henri Girauds, alias Heinrich Greiner, – Aufgrund einer Mitteilung der Kriminalpolizei Innsbruck, die Handelsvertreter aus dem Elsass, fiel zunächst nicht gerade sich wiederum auf die Zollämter in Lindau (Bodensee) und freundlich aus. Die erste Nacht verbrachte er im Bezirksge- Friedrichshafen berief, erfuhr die Kripostelle Karlsruhe, fängnis von Porrentruy (Pruntrut, heute Kanton Jura) und dass Giraud am 22. April um die Mittagszeit mit einem anschließend wurde er wegen heimlichen Überschreitens PKW in der Gegend von Donaueschingen gesehen worden der Grenze zu einer Geldstrafe von zehn Franken verurteilt.13 sei. In der Folge wurden die Fahndungsangaben insoweit Seine wirkliche Identität erfuhren Zollbehörden und Gendar- präzisiert, als – anders als bei der Ausschreibung im Deut- merie erst nach einigen Tagen. Girauds Wunsch nach einem schen Kriminalpolizeiblatt – auf seine guten deutschen Gespräch mit einem Offizier entsprach Oberstbrigadier Sprachkenntnisse, ferner auf in seinem Besitz befindliche Roger Masson, der Chef des schweizerischen Nachrichten- Ringe verwiesen wurde. diensts, aus zwei Gründen: d’une part parce qu’il s’agissait – Eine ziemlich genaue Beschreibung lieferte eine – in den d’un cas délicat, d’autre part parce que le général Giraud, Polizeiberichten nicht näher charakterisierte – Person, die dont je fus l’élève de 1928 à 1930 à l’Ecole supérieure de am 25. April, 10.30 Uhr, in Oberuhldingen eine grosse guerre de Paris, avait exprimé le désir de m´informer directe- stramme Figur auf dem Weg in Richtung Meersburg oder ment. Nachdem die zuständigen eidgenössischen Departe- Salem beobachtete. Diese fiel durch besondere Merkmale ments (Ministerien) unterrichtet worden waren, vereinbarten auf: besseres Herkommen verratend, trägt hellbeigen beide bei einer Unterredung in Bern die Ausreise des Gene- Überzieher und gleichfarbige Baskenmütze, ob Schnurrbart rals nach Frankreich. In Begleitung eines Schweizeroffiziers vorhanden konnte nicht festgestellt werden, aber wahr- in Zivil sowie des französischen Militärattachés, der eben- scheinlich. falls sein ehemaliger Untergebener war, wurde Giraud mit – Mehr Erfolg versprachen Nachforschungen im Hegau, im der Bahn nach Genf gebracht. Am 15. April 1942 betrat er Bereich der Gemeinden Weiterdingen und Hilzingen, da bei Annemasse wieder französischen Boden. hier zwei Männer in der Nacht vom 25. auf den 26. April Wie politisch heikel dieser Fall war, zeigt der Befehl eine deutsche Zivilperson nach dem Weg in die Schweiz Massons, mit Rücksicht auf die Persönlichkeit dieses Offi- befragten. Diese will die Route Richtung Hohentwiel emp- ziers und aus Gründen des Taktes gegenüber Deutschland fohlen haben, um auf diese Weise den vermutlichen Gene- … jede Befragung des Generals Giraud über Angelegenhei- ral vielleicht auf eine falsche Fährte zu locken. Die Art, wie ten, die das Land interessieren, aus dem er entwich, zu die Kriminalpolizei Singen in einem dienstlichen Schreiben unterlassen. Trotz dieser Zurückhaltung legte die deutsche über die Spurensuche im Waldgebiet des Hohentwiel Gesandtschaft in Bern Protest beim eidgenössischen Politi- berichtete, erinnert in mancher Hinsicht an die Schilderung schen Departement (Außenministerium) ein, weil sie die Ein- eines jugendlichen Indianerspiels. Welche Dimension diese reise Girauds in die Schweiz erst durch die Medien, nicht Großfahndung nach Giraud tatsächlich annahm und mit aber auf amtlichem Weg erfahren habe. Wohl mit gutem welchem Aufwand sie betrieben wurde, zeigt das Aufgebot Grund interpretierte ein leitender Mitarbeiter des Nachrich- der beteiligten Angehörigen nationalsozialistischer Gliede- ten- und Sicherheitsdienstes diesen Schritt als persönliche rungen sowie verschiedener Beamtengruppen. Beschwerde der deutschen Diplomaten: Die Leute haben – Bereits einen Tag später, am 27. April, suchte ein 17-jäh- Angst vor den neuen Vollmachten des Führers, sie fühlen riger Gewerbeschüler die Kriminalpolizei Singen sich bereits wackeln. (Hohentwiel) auf, um von der Begegnung mit einem ihm Mit der Rückkehr in sein Heimatland war aus der Sicht unbekannten Mann in der Nähe seines Heimatdorfs Dang- des Generals das Kapitel Schweiz noch nicht abgeschlos- stetten, Amt Waldshut, zu berichten. Eine Suchaktion sen. Mehrmals kehrte er in den nächsten Jahren zurück: Im scheint diese Aussage nicht ausgelöst zu haben. Mögli- November 1944 hielt er sich in Bern auf, wo er unter ande- cherweise galt sie den Sicherheitsbehörden nicht als rem Oberstbrigadier Masson traf. Mit dessen Hilfe konnte er besonders glaubwürdig, weil ihr zufolge Giraud von ver- Anfang 1945 auf Schweizer Boden 13 Familienangehörige in gleichsweise kleinem Wuchs gewesen sein sollte. Empfang nehmen, die nach der alliierten Landung in Nord- – Am Abend desselben Tags wurde schließlich ein aus Rich- afrika in Sippenhaft genommen und nunmehr aus der deut- tung Heiligenberg kommend in Richtung Pfullendorf durch schen Gefangenschaft entlassen worden waren. Wie bei die Ortschaft Denkingen fahrender PKW gesichtet. Dessen anderen Aktionen spielten hierbei die – in seinem Land hef- Beschreibung durch die Gendarmerie Pfullendorf dürfte tig umstrittenen und hart kritisierten – engen Kontakte Mas- jedoch kaum fahndungstauglich gewesen sein: Mittel- sons mit SS-Brigadeführer Walter Schellenberg eine ent- schwerer geschlossener Wagen, Rücklichter auffallend scheidende Rolle.14 hoch angebracht, stark verdunkelte Lichter, nähere Erneut weilte der französische General im Herbst 1946 Beschreibung infolge hoher Geschwindigkeit unmöglich. in der Schweiz, unter anderem zu einem Vortrag über aktuel- Es wird vermutet, daß PKW mit Flucht des General Giraud le Militärprobleme (L’avenir militaire de l’Europe et de la zusammenhängt. France en particulier), und wurde dabei immer von den Weitere Meldungen und Aktionen sind in den staat- Sicherheitsbehörden observiert. Einem Polizeibericht ist lichen Akten nicht verzeichnet. Dies ist auch nicht verwun- schließlich auch der Inhalt eines Vortrags von Ende Januar

5 Bericht der Staatlichen Kriminalpolizei, Kriminalabteilung Singen a. H. vom 26. April 1942 über deren Fahndung

Originalvorlage: Landesarchiv StAF V 200/1 Nr. 65

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. . nach General Giraud

Aufnahme: Landesarchiv StAF

7 1948 in La Chaux-de-Fonds zu verdanken, in welchem er diesen Schritt zu tun, habe er vor, ihm dessen dringende über seine Fluchterlebnisse in beiden Weltkriegen vor rund Notwendigkeit unmittelbar darzulegen. Er habe zu diesem 800 Zuhörern berichtete. Und in einem Gespräch mit der Zweck dem General Giraud freies Geleit zugesichert, sodass Schweizer Illustrierten schilderte er, wie ihm im April 1942 er in jedem Falle unbehelligt in das unbesetzte Frankreich die Täuschung der deutschen Bewacher gelang: Ich hatte zurückkehren könne. Bei einem Bruch des Versprechens vor meiner Flucht alles verbrannt. Die Deutschen fanden die würden die deutsch-französischen Beziehungen auf Dauer Reste – aber auch eine auf kariertes Schnellheftpapier vergiftet werden. So jedenfalls lautete die Schilderung des gezeichnete Karte meines Fluchtweges. Sie wissen doch, Vorgangs seitens der Militärs, die sich in eine unwürdige wie es in der ganzen deutschen Apparatur hinter mir her Lage gebracht sahen und offensichtlich deshalb – nachdem Funken gab. Funken besonders in Richtung Singen, Ram- der Franzose keine Neigung zur Rückkehr zeigte – Abetz für sen, Schaffhausen – wobei sich die naiven Deutschen durch den Fehlschlag verantwortlich zu machen suchten. Nicht meinen zurückgelassenen falschen Fluchtplan leiten ließen! überraschend ist, dass Girauds Forderung, mehreren hun- Inwieweit ihm dabei geheimdienstliche Unterstützung aus derttausend verheirateten französischen Kriegsgefangenen England oder sogar Deutschland neben der französischen die Heimkehr zu erlauben, unerfüllt blieb.19 zuteil wurde, war selbstverständlich kein Thema bei seinen Am 5. November 1942 brachte ein britisches U-Boot Äußerungen, und die Frage erscheint nach wie vor rätsel- Giraud von Südfrankreich nach zu General Eisen- haft. hower, dem Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa und späteren amerikanischen Präsidenten. Für diesen war der französische Kollege ein Freund, allerdings mit be- Statt Rückkehr in die Gefangenschaft: schränkten politischen Einsichten und Fähigkeiten: Giraud ein Auftritt auf der politischen Weltbühne was my friend. He was fighting man and thoroughly honest and straightforward. His complete lack of interest in political Unbeabsichtigt hatte das allen Vernunftgründen zuwider matters, however, obviously disqualified him for any political erfolgreiche Fluchtunternehmen Girauds schwerwiegende post in his country’s service.20 Trotz dieses Mankos erreichte Konsequenzen für Verfolgte der Nazidiktatur, deren eigene Giraud jetzt den (kurzzeitigen) Höhepunkt seiner Karriere. Fluchtpläne wegen verschärfter Überwachung und Kontrol- Am 9. November 1942 flog er von Gibraltar nach Nordafrika, len zum Beispiel in Berlin in größte Gefahr gerieten.15 Hitler unmittelbar nach der Landung britisch-amerikanischer Inva- selbst war außer sich vor Wut. Für ihn war der Franzose ein sionstruppen in Marokko und Algerien und zwei Tage vor außerordentlich gefährlicher General, der möglicherweise dem deutschen Einmarsch in die unbesetzte Zone Frank- nach England zu entkommen und dort de Gaulle, einen reichs. Danach nomineller Oberbefehlshaber der französi- Mann von einem schwachen geistigen und moralischen Kali- schen Truppen in Nordwestafrika, wurde er am 26. Dezem- ber, zu ersetzen versuche.16 ber 1942 zum zivilen und militärischen Chefkommandanten Des Diktators Rache bekamen, außer den Wachmann- in Nordafrika ernannt. In dieser Funktion führte er im Januar schaften auf dem Königstein, besonders französische 1943 in politische Gespräche mit dem amerika- Kriegsgefangene zu spüren. Sofern sie sich im deutschen nischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dem briti- Arbeitseinsatz gut bewährt hatten und die Vichyregierung schen Premierminister , die sich in dieser ihre Rückkehr nach Deutschland garantierte, sollte ihnen Stadt trafen, um ihr Kriegsziel der bedingungslosen Kapitula- nämlich nach einer Entscheidung Hitlers vom 6. April 1942 tion (unconditional surrender) Deutschlands, Italiens und ein jährlicher Heimaturlaub gewährt werden. Nach Girauds Japans zu verkünden. Damit bewegte sich ein Mann auf der Flucht wurde diese Vergünstigung ad acta gelegt.17 politischen Weltbühne, der sich weniger als ein Jahr zuvor Der geflohene General selbst suchte Marschall Pétain noch in deutscher Kriegsgefangenschaft befand, den auf auf und stellte sich dessen Regime zur Verfügung, sicherlich dem Stuttgarter Hauptbahnhof die Abfahrtszeiten der Züge ein wenig kluger Schachzug, der indessen anglo-amerikani- zu einer schwierigen Risikoabwägung zwangen und den – sche, vor allem US-Politiker und Militärs nicht davon abhielt, als Autofahrer, mit dem Fahrrad oder zu Fuß – Personen sich mit ihm zu arrangieren. Zuerst jedoch, am 2. Mai 1942, identifiziert zu haben glaubten, während er sich in offenkun- stand Giraud vor der Wahl, entweder sich wieder in deut- diger Nervenstärke zum Beispiel am Geburtstag des Führers sche Gefangenschaft zu begeben oder die für seine Lands- im elsässischen Schlettstadt ein Fußballspiel anschaute. leute vorgesehenen Erleichterungen aufs Spiel zu setzen. In Casablanca begegneten sich auch Giraud und de Begleitet von zwei Spitzenrepräsentanten Vichys, Regie- Gaulle. Zu große Meinungsverschiedenheiten beendeten rungschef Laval und Kriegsminister Admiral Darlan, traf er jedoch bereits nach wenigen Monaten die Kooperation bei- sich an diesem Tag in Moulins, im besetzten Gebiet, mit der in der Leitung des Comité Français de Libération Natio- Otto Abetz, dem aus Schwetzingen stammenden deutschen nale (CFLN). Nach Kriegsende gehörte Giraud der Verfas- Botschafter in Frankreich.18 Dieser hatte den Franzosen sunggebenden Nationalversammlung an. Politische Akzente freies Geleit zugesichert, ohne den deutschen Militärbefehls- vermochte er jedoch nicht mehr zu setzen. haber in Frankreich darüber zu unterrichten, sowie durch eigenmächtige Anordnungen an untergeordnete Dienst- posten der Wehrmacht einen Kompetenzkonflikt in Kauf Wolfach genommen. Grundsätzlicheren Charakter besaß jedoch die Frage, die noch vor dem Eintreffen Girauds in Moulins den Ein schlimmes Nachspiel, ein Verbrechen, fand auf den Diplomaten und die Angehörigen des örtlichen Divisions- Tag genau drei Jahre nach Girauds Flucht und kurz vor stabs entzweite: Wie sollte mit dem prominenten Entwiche- Kriegsende in Wolfach statt. Angehörige der SS ermordeten nen, dem man jetzt Auge in Auge gegenübersitzen würde, in einem Wald nahe der Kinzigtalgemeinde 20 französische verfahren werden? Dem Verlangen der Militärs nach erneuter Zivilgefangene ohne jegliches Gerichtsverfahren, unter ihnen Festnahme desselben widersetzte sich der Botschafter mit den Hotelier Réné Ortlieb und den katholischen Priester dem Argument: Er habe vom Führer den Auftrag, den Gene- Joseph Stamm, beide Elsässer und Fluchthelfer des Gene- ral Giraud zur Rückkehr in die deutsche Gefangenschaft zu rals. Ein Jahr nach der Mordtat, in der Besatzungszeit, veranlassen. Da General Giraud von sich aus nicht bereit sei, gedachte der französische Gouverneur des Kreises Wolfach

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. . der Opfer und stellte – in deutscher Sprache – die Frage 4 Wedekind berichtete geradezu euphorisch und wohl nach der Verantwortung: Gewiß habe niemand aus der auch übertreibend von seiner Lage und von seinem Bevölkerung den Befehl zu der Tat gegeben oder sich daran Lebensstandard: Hier oben ist ein Wetter wie im sieb- beteiligt, aber das Blutbad vom 17. April (1945) und die ten Himmel, eine Ruhe wie im Paradies und eine anderen Verbrechen, die sich im Namen des Nationalsozia- Küche, wie man sie in München nicht leicht findet. lismus auf dem deutschen Boden abspielten, wären sicher Dazu Bier, Wein, Schnaps, kurz und gut alles, was ein nicht möglich gewesen ohne die schuldhafte Passivität der moderner Mensch zum Leben braucht, bis auf das ewig Deutschen insgesamt.21 Weibliche und den Tabak (zitiert nach Klaus Günzel: Die sächsische Bastille. In: Die Zeit Nr.32 vom 3. August 2000 S. 62). Anmerkungen 5 Général Giraud: Mes évasions. Paris 1946. S. 78, 84, 93f. 1 Den Lebensweg des Offiziers schildert H. Tribout de 6 Elmar Krautkrämer: Frankreichs Kriegswende 1942. Die Morembert: Henri-Honoré Giraud. In: Dictionnaire de Rückwirkungen der alliierten Landung in Nordafrika. Biographie Française. Herausgegeben von M. Prevost Darlan, de Gaulle, Giraud und die royalistische Utopie. u.a. T. 16. Paris 1985. Sp. 231ff. Bern u.a. 1989. S.101. – Die Behauptung, dass Giraud 2 Franz Knipping: Frankreich in der Zeit der Weltkriege sich als alte Frau verkleidet habe und so aus der (1914 –1945). In: PLOETZ. Geschichte der Weltkriege. Festung fliehen konnte, dürfte eher als internetge- Mächte, Ereignisse, Entwicklungen 1900 –1945. He- stützte Geschichtslegende zu bewerten sein rausgegeben von Andreas Hillgruber und Jost Dülffer. (http://www.aarauonline.ch/mediation/ego). Freiburg/Würzburg 1981. S. 242ff.; Gerhard L. Wein- 7 Giraud, S.104ff. berg: Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des 8 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Zweiten Weltkriegs. Darmstadt 1995. S.140ff. Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14.11. 3 Angelika Taube: Festung Königstein. Berlin 2000; 1945 –1.10.1946 (IMT). Band 10. Nürnberg 1947. http://www.festung-koenigstein.de/fk_or6_de.html. S. 646f.

Luftaufnahme der Festung Königstein von Westen. Aufnahme: Herbert Boswank, Dresden

9 Fernschreiben von General Carl-Heinrich von Stülpnagel, Militärischer Befehlshaber in Frankreich, an das Führerhauptquartier Wolfschanze über das Treffen des Deutschen Botschafters in Frankreich Otto Abetz mit General Giraud am 2. Mai 1942 in Moulins, begleitet von den Mitgliedern der Vichyregierung Ministerpräsident und Kriegsminister Admiral Jean François Darlan. Vorlage: BArch RW 4/v. 748 fol. 22

9 Heinrich Bücheler: Vor sechzig Jahren – Jagd auf im Hegau und im Bodenseegebiet beruhen auf diesem General Giraud. In: „sEige zeige“. Jahrbuch des Land- Aktenbestand. kreises Emmendingen für Kultur und Geschichte 15 13 Zum Folgenden: Schweizerisches Bundesarchiv Bern: (2001) S. 33, 36. E 27 Dossier 9968 Bericht Nachrichtensektion zur 10 Alfred Georg Frei: Als Grenzen tödlich waren. Fluchthil- Flucht General Girauds; E 27 Dossier 10024 Beweis- fe aus dem „Deutschen Reich“. In: Allmende 34 – 35 aufnahme gegen Masson etc. 1945; E 27 Dossier (1992) S.116. 14449 Internierte Militär- und Zivilflüchtlinge; E 27 Dos- 11 Jizchak Schwerzenz und Edith Wolff: Jüdische Jugend sier 14810 Familie General Giraud; E 2001 (D)-3 Bd. im Untergrund. Eine zionistische Gruppe in Berlin wäh- 310 Dossier 51.13. 51.F.1 In der Schweiz aufgegriffene rend des Zweiten Weltkriegs. In: Aus Politik und Zeitge- und aus deutscher Kriegsgefangenschaft entwichene schichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B französische Kriegsgefangene 1942 –1945; E 2001 (E)- 15 –16 (1981) S. 35. – Über die vielfältigen wichtigen 1 Bd. 89 Dossier B 41. 41.F Fremdenpolizei, Aufenthalt Aspekte der Fluchtbewegung aus Deutschland in die und Niederlassung, Frankreich: Giraud, General, Paris Schweiz informieren ausführlich Lothar Burchardt: Als 1944 –1948; E 4320 (B) 1990/266 Bd. 218 Dossier die Grenzen geschlossen blieben. Die Grenzstadt Kon- C.163236 Henri Giraud 1942 –1948. stanz in den Krisen des 20. Jahrhunderts. In: Deutsch- 14 Zur ambivalenten Persönlichkeit des Chefs der deut- land und Europa. Herausgegeben von Lothar Schaech- schen Auslandsspionage vgl. George C. Browder: Wal- terle. Hannover 1992. S.141ff. und Arnulf Moser: ter Schellenberg. Eine Geheimdienst-Phantasie. In: Die Fluchthelfer und Flüchtlinge an der Schweizer Grenze SS – Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe. He- 1933 –1945. In: Grenzgänger am Bodensee. Georg Elser. rausgegeben von Ronald Smelser und Enrico Syring. Verfolgte – Flüchtlinge – Opportunisten. Herausgegeben Paderborn 22003. S. 418ff. – Das Schicksal der Familie von Andreas Grießinger. Konstanz 2000. S. 37ff. sowie Girauds wurde auch vor dem Nürnberger Militärtribunal Franco Battel: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“. verhandelt: IMT. Band VI. Nürnberg 1947. S.178f., Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze 433ff. zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2000. 15 Heinrich F. Liebrecht: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben 12 Staatsarchiv Freiburg V 200/1/65: Staatliche Kriminal- bin ich da“. Mein Weg durch die Hölle des Dritten Rei- polizei, Kriminalabteilung Konstanz, 26. April 1942, ches. Freiburg 1990. S. 50. Funknachrichtendienst, Sonntag-Ausgabe. – Die fol- 16 Joseph Goebbels Tagebücher 1924–1945. Herausge- genden Ausführungen über die Fahndung nach Giraud geben von Ralf Georg Reuth. Band 4: 1940 –1942.

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. . München/Zürich 1992. S.1783. – Bereits im Juni 1941 offene Problem. Ein Rückblick auf zwei Jahrzehnte hatte Hitler in einer Unterredung mit Italiens Duce Mus- deutscher Frankreichpolitik. Köln 1951. S. 235ff. solini den französischen General einen der gefährlichs- 19 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg RW 4/v. 748; Kraut- ten und energischsten Gegner Deutschlands bezeich- krämer, S.106. net (Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler. Vertrauli- 20 Dwight D. Eisenhower: Crusade in Europe. London che Aufzeichnungen über die Unterredungen mit Ver- 1948. S. 452. tretern des Auslandes 1939 –1941. Herausgegeben von 21 Badische Zeitung vom 20. April 1946. Andreas Hillgruber. München 1969. S. 263). Nach Girauds Flucht vom Königstein wiederholte Hitler, erneut gegenüber Mussolini, dieses Urteil und Ergänzende Literatur beschrieb bei dieser Gelegenheit zugleich seine Sicht der französischen Politik: Das Ziel aller Franzosen ist Otto H. Becker: „Ici la France“ – Die Vichy-Regierung in Sig- das gleiche, nämlich ihre Freiheit wiederzugewinnen. maringen 1944/45. In: Hohenzollern. Herausgegeben Die Wege sind je nach Einstellung der maßgebenden von Fritz Kallenberg. Stuttgart u.a. 1996. S. 428 – 446. Persönlichkeiten verschieden, alle jedoch, sei es Pétain, Jean Estèbe: Frankreich – Hauptstadt Vichy. In: Länderbe- Laval, Darlan oder Giraud zielen auf die französische richt Frankreich. Geschichte – Politik – Wirtschaft – Freiheit hin. Aufschlussreich ist die Denkschrift von Gesellschaft. Herausgegeben von Marieluise Christalder Benoit Mechin (richtig Benoist-Méchin). Unter dem und Henrik Utterwedde. Bonn 1999. S. 62 – 77. Motto: Um die Freiheit wieder zu erlangen, brauchen Jacques Granier: Un général a disparu. L’évasion la plus wir Waffen. Waffen bekommen wir nur durch ein Mitge- extraordinaire du siècle. 17 avril 1942. Paris 1971. hen mit Deutschland. Daher – Collaboration! (Bundes- Günter Gribbohm: Die Flucht des Generals. Der Fall Giraud archiv-Militärarchiv Freiburg RM 7/259 Bericht über die und die Folgen. In: Zeitschrift für neuere Rechtsge- Besprechung der militärischen Lage zwischen dem schichte 20 (1998) S. 256 – 276. Führer und Duce am 30. April 1942 auf dem Berghof). Elmar Krautkrämer: General Giraud und Admiral Darlan in 17 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918 –1945. der Vorgeschichte der alliierten Landung in Nordafrika. Serie E: 1941–1945. Band IV: 1. März bis 15. Juni In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 30 (1982) 1942. Göttingen 1972. S.198, 289f., 323f. S. 206 – 255. 18 Friedrich Bentmann: Otto Friedrich Abetz In: Badische Dominique Venner: Histoire critique de la Résistance. Paris Biographien Neue Folge Band I. Herausgegeben von 1995. S. 73 – 76. Bernd Ottnad. Stuttgart 1982. S. 5ff.; Otto Abetz: Das

Die Konferenz in Casablanca im Januar 1943: Giraud als ziviler und militärischer Chefkommandant in Nordafrika, Präsident Franklin D. Roosevelt, General Charles de Gaulle als Präsident des Nationalen Befreiungskomitees, Premierminister Winston Churchill (von links). Vorlage: picture-alliance/dpa, Fotograf: UPI

11 Fahndungsaufruf in der Sonderausgabe des Deutschen Kriminalpolizeiblatts Nr. 4261 a vom 22. April 1942. Vorlage: Landesarchiv StAF V 200/1 Nr. 65

Verwendung im Unterricht Motive bieten die Möglichkeit, bürokratisch-organisatori- sche Strukturen und gesellschaftliche Verhaltensweisen Schüler werden sich ohne Zweifel mit General Giraud im Nationalsozialismus, gleichsam die Bewegungen ver- identifizieren (können). Bei der unterrichtlichen Behandlung schiedener Bevölkerungsteile zu untersuchen und zu seiner abenteuerlichen Flucht samt ihren Folgen dürfte es an bewerten. Motivation nicht fehlen. An diesem Beispiel besonders gut – Politische Konstellation: Die Kenntnis der politischen und zu thematisieren ist die für die historische Erkenntnis unab- militärischen Lage in Mittel- und Westeuropa während des weisbare Notwendigkeit der Arbeit mit Quellen unterschied- Zweiten Weltkriegs ist unverzichtbar. So gilt es im Unter- lichster Provenienz. richt herauszuarbeiten, wie sehr die neutrale Schweiz Über den Ereignisablauf hinaus sollte um eines vertief- durch die Achsenmächte bedroht war und dass ein Sieg ten Verständnisses willen eine Analyse mithilfe verschiede- derselben früher oder später das Ende der Schweiz ner, strukturierender Kategorien erfolgen: bedeutet hätte (Peter Stadler). – Persönliche Aktion: Der biografische Ansatz erleichtert die Mit Bezug auf Persönlichkeiten wie Pétain, Laval, de Erzählung von Geschichte, vermag aber auch mittels Ent- Gaulle und Giraud ist die komplizierte Geschichte Frank- scheidungssimulation Problemfelder und Problemorte reichs von 1940 bis 1944 zu behandeln. Zum Abschluss anschaulich zu machen: sollte dabei auf eine landesgeschichtliche Episode hingewie- Königstein: Welches Risiko bestand für den Fluchtwilligen – sen werden: Ihren letzten Sitz hatte die Vichy-Regierung, auf und seine Familie? Weisung Hitlers und gegen den Willen Pétains, vom Sep- Stuttgart: Welche Konsequenzen konnte das Besteigen tember 1944 bis April 1945 im Hohenzollernschloss von Sig- des falschen Zuges für ihn haben – und für seinen Beglei- maringen. Und schließlich hielten sich in den letzten Kriegs- ter? monaten Mitglieder einer faschistischen französischen Partei Moulins: Welche Optionen besaß Giraud – und wie wür- unter ihrem Chef Jacques Doriot auf der Bodenseeinsel Mai- den diese sich für die französischen Kriegsgefangenen in nau auf. Deutschland auswirken? – Gesellschaftliche Situation: Die Fahndungsmaßnahmen, ihre Umstände, das Ausmaß, die Beteiligten und ihre Vervielfältigung mit Quellenangabe gestattet

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