Plenarprotokoll 19/21

Deutscher

Stenografscher Bericht

21. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. März 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 18: Dr. (AfD). 1744 D Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der (FDP) . 1746 A Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- (DIE LINKE). kräfte an der NATO-geführten Maritimen 1747 A Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im (BÜNDNIS 90/ Mittelmeer DIE GRÜNEN). 1748 A Drucksache 19/1097. 1733 A (CDU/CSU). 1749 A Dr. , Parl. Staatssekretär BMVg. 1733 B (AfD) . 1749 D Siemtje Möller (SPD). 1734 A Josef Oster (CDU/CSU). 1750 C Jan Ralf Nolte (AfD). 1735 A (SPD). 1751 A Alexander Graf Lambsdorff (FDP). 1735 D (CDU/CSU). 1752 A Christian Sauter (FDP). 1736 C Namentliche Abstimmung . 1753 C Matthias Höhn (DIE LINKE). 1737 B (BÜNDNIS 90/ Ergebnis . 1756 D DIE GRÜNEN). 1738 A

Jan Ralf Nolte (AfD). 1738 D Tagesordnungspunkt 20: (CDU/CSU) . 1739 B Erste Beratung des von den Abgeordneten (SPD). 1740 A , Christian Dürr, , Dr. und der Frak- Michael Kuffer (CDU/CSU). 1741 A tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszu- Tagesordnungspunkt 19: schlaggesetzes 1995 Drucksache 19/1038. 1753 D Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abgeord- Christian Dürr (FDP) . 1754 A neten Dr. Gottfried Curio, , (CDU/CSU). 1755 A Armin-Paulus Hampel, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der AfD: Umfassende Christian Dürr (FDP) . 1755 D Grenzkontrollen sofort einführen – Zurück- (SPD). 1759 D weisung bei unberechtigtem Grenzübertritt Drucksachen 19/41, 19/862 . 1741 D (AfD). 1760 D (CDU/CSU) . 1742 A Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . 1762 B Uli Grötsch (SPD). 1743 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 1763 C II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Sebastian Brehm (CDU/CSU) . 1764 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU). 1784 D (SPD). 1766 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 1785 D Tagesordnungspunkt 21: (SPD) . 1786 B Antrag der Abgeordneten , Cornelia Möhring, Dr. , weiterer Nächste Sitzung . 1787 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lohndiskriminierung von Frauen been- den – Equal Pay durchsetzen Anlage 1 Drucksache 19/1005. 1767 B Liste der entschuldigten Abgeordneten. 1789 A in Verbindung mit Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Zusatztagesordnungspunkt 4: ten Dorothee Bär und Florian Oßner (beide Antrag der Abgeordneten , Beate CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung Müller-Gemmeke, Katja Dörner, weiterer Ab- über die Beschlussempfehlung des Innen- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ausschusses zu dem Antrag der Abgeordne- DIE GRÜNEN: Entgeltdiskriminierung ver- ten Dr. ­Gottfried Curio, Albrecht Glaser, Ar- hindern – Verbandsklagerecht einführen min-Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/1192. 1767 B und der Fraktion der AfD: Umfassende Grenz- kontrollen sofort einführen – Zurückweisung Doris Achelwilm (DIE LINKE). 1767 C bei unberechtigtem Grenzübertritt Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). 1768 C (Tagesordnungspunkt 19). 1790 A Zaklin Nastic (DIE LINKE). 1769 B Anlage 3 Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 1770 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) und Ingo (SPD) . 1770 C Wellenreuther (beide CDU/CSU) zu der na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- (AfD). 1772 B empfehlung des Innenausschusses zu dem (FDP) . 1773 C Antrag der Abgeordneten Dr. Gottfried Cu- rio, Albrecht Glaser, Armin-Paulus Hampel, Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion der DIE GRÜNEN). 1774 C AfD: Umfassende Grenzkontrollen sofort ein- (CDU/CSU) . 1775 B führen – Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt Michael Kießling (CDU/CSU). 1776 B (Tagesordnungspunkt 19). 1790 C

Tagesordnungspunkt 22: Anlage 4 Erste Beratung des von der Fraktion BÜND- Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- wurfs eines Gesetzes zur Einführung von lung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppenverfahren Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, Albrecht Drucksache 19/243. 1777 B Glaser, Armin-Paulus Hampel, weiterer Abge- Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ ordneter und der Fraktion der AfD: Umfassen- DIE GRÜNEN). 1777 C de Grenzkontrollen sofort einführen – Zurück- weisung bei unberechtigtem Grenzübertritt (CDU/CSU). 1778 C (Tagesordnungspunkt 19). 1790 D Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 1790 D DIE GRÜNEN). 1780 C Michael Kuffer (CDU/CSU). 1791 B Sebastian Steineke (CDU/CSU). 1781 A Dr . (CDU/CSU). 1792 A Dr. (SPD). 1781 A Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU). 1792 C Dr. (AfD). 1782 A Katharina Kloke (FDP). 1783 A Anlage 5 (DIE LINKE). 1783 D Amtliche Mitteilungen. 1792 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1733

(A) (C)

21. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. März 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: eine Region voller Chancen für die Zukunft Europas, Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte aber auch für den afrikanischen Kontinent. nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Doch heute ist diese Region leider auch mit man- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: cherlei Sorgen verbunden; denn unsere nordafrikanische Gegenküste wird in Teilen von Instabilitäten und Krisen Beratung des Antrags der Bundesregierung heimgesucht. Fehlende staatliche Kontrolle über weite Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Küstenbereiche sowie anhaltende Fragilität in einzelnen deutscher Streitkräfte an der NATO-geführ- Staaten eröffnen Rückzugsräume für organisierte Krimi- ten Maritimen Sicherheitsoperation SEA nalität, für die Ausbeutung von Menschen und für terro- ­GUARDIAN im Mittelmeer ristische Organisationen. Das kann auch uns in Europa, in Deutschland nicht kaltlassen. Diese Gruppen miss- Drucksache 19/1097 brauchen auch die Seewege des Mittelmeeres für ihre (B) Überweisungsvorschlag: Zwecke, und deswegen engagieren wir uns im Rahmen (D) Auswärtiger Ausschuss (f) der NATO-geführten Operation Sea Guardian gemein- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sam mit unseren internationalen Partnern und Verbünde- Verteidigungsausschuss ten im Mittelmeer. Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Worum geht es? Die Operation hat zum Ziel, im ge- lung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO samten Mittelmeerraum Krisenentwicklungen im mariti- men Umfeld frühzeitig zu erkennen und dazu ein konti- Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion nuierliches und umfassendes Lagebild zu erstellen. Dazu der AfD vor. dienen Überwachungsmaßnahmen durch Patrouillen und Kontrollen von Schiffen wie auch die Funktion als Ko- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für operationsplattform mit weiteren im Mittelmeer agieren- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- den Organisationen wie zum Beispiel der Europäischen nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Union. Damit leistet Sea Guardian einen Beitrag zur ma- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort ritimen Sicherheit. dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesmi- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Deutschland nisterin der Verteidigung, Dr. Peter Tauber. hat sich im vergangenen Mandatszeitraum phasenweise (Beifall bei der CDU/CSU) mit Schiffen an Sea Guardian beteiligt, in der Summe an über 230 Tagen. Aktuell steht der Einsatzgruppenversor- Dr. Peter Tauber, Parl. Staatssekretär bei der Bun- ger „Frankfurt am Main“ dort mit 185 Soldatinnen und desministerin der Verteidigung: Soldaten im Einsatz. Aufgrund der Bedeutung des Mit- telmeerraumes wollen wir weiterhin einen militärischen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeer leisten. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mittel- Der Tenor des vorliegenden Mandatstextes wurde dabei meer ist eines der meistbefahrenen Seegebiete der Welt. fortgeschrieben, und das Mandat bleibt auf 650 Soldatin- Rund ein Drittel aller über See verschifften Güter und nen und Soldaten begrenzt. ein Viertel aller Öltransporte werden durch das Mittel- meer geleitet. In Zeiten der Globalisierung und des freien Mit der Fortführung unseres Engagements tragen wir Handels ist die sichere Nutzung des Mittelmeeres auch dazu bei, Sicherheit, Frieden und Stabilität als Grundla- im deutschen Interesse. Ferner ist das Mittelmeer Euro- ge für wirtschaftliches Wachstum im Mittelmeerraum zu pas Südgrenze und zugleich seine maritime Brücke zur wahren und zu ermöglichen. Daher bitten wir um Ihre nordafrikanischen Gegenküste. Das Mittelmeer ist damit Unterstützung für dieses Mandat. Diese Bitte verbinde 1734 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Dr. Peter Tauber (A) ich mit einem großen Dank an alle unsere Soldatinnen länder bedeuten würde, wenn der Mittelmeerraum nicht (C) und Soldaten für ihren bisher für Deutschland geleisteten mehr sicher ist? Was würde das in der Folge für uns be- Einsatz, ihren treuen Dienst und ihre Bereitschaft, diesen deuten? auch in Zukunft fortzusetzen. Doch auch Menschen werden über das Mittelmeer Herzlichen Dank. transportiert. Häufg schenken sie ihre ganze Hoffnung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der den Schleppern und legen ihr Leben oder das ihrer Kin- FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) der in die Hände von Kriminellen. Wir alle kennen die Bilder von überfüllten und gekenterten Schlauchbooten. Deshalb möchte ich auch noch einmal betonen, dass die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Schiffe, die am Einsatz teilnehmen, völkerrechtlich dazu Nächste Rednerin ist die Kollegin Siemtje Möller, verpfichtet sind, in Seenot geratene Menschen zu retten. SPD-Fraktion. Und unsere Schiffe, unsere Soldatinnen und Soldaten (Beifall bei der SPD) konnten schon viele Menschenleben retten. Ich fnde, da- für gilt ihnen der Dank des Hohen Hauses.

Siemtje Möller (SPD): (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! FDP) Wenn man in die Geschichte zurückblickt, von der Anti- ke bis hin zur Neuzeit, gab es im Mittelmeerraum orga- Manche Soldatinnen und Soldaten, die ich in mei- nisierte Kriminalität, die auf den großen Handelsrouten nem Wahlkreis kennengelernt habe, berichten, dass sie aktiv war, Chaos verbreitete und den friedlichen Seefah- verändert von diesem Einsatz zurückkehren. Sie sehen, rern das Leben schwer machte. Das hat das Mittelmeer wie Eltern ihre Kinder vorschicken, in der Hoffnung zu einem sehr gefährlichen und unübersichtlichen Gebiet auf ein besseres Leben. Ich frage mich: Können wir uns gemacht. Was früher Piraten waren, sind heute Schmug- überhaupt vorstellen, wie verzweifelt diese Eltern sein gler und Schlepper. müssen, um ihre Kinder, das Wertvollste, was Eltern ha- ben, einer solchen Notsituation, wie sie die Überfahrt ist, Beim Bundeswehrmandat Sea Guardian geht es da- auszusetzen? Es sind ganz sicher existenzielle Entschei- rum, dass der Mittelmeerraum sicherer wird, für alle dungen und auch existenzielle Situationen, die daraus Menschen. Durch das Mandat bekommen wir nicht nur erwachsen. einen Überblick über die Lage im Mittelmeer zur Über- wachung und Bekämpfung terroristischer Aktivitäten, Unsere Streitkräfte treffen häufg unvorbereitet auf (B) sondern können auch frühzeitig krisenhafte Entwicklun- solche Situationen, bewältigen diese aber. Sie fragen sich (D) gen verhindern. Das ist auch ein Teil der Verpfichtung zu Recht: Was tut die Politik gegen die Schlepper? Wie aus unserer NATO-Mitgliedschaft. bekämpft die Politik Fluchtursachen? Darauf, liebe Kol- Die Bundeswehr handelt bei der Beteiligung am Man- leginnen und Kollegen, müssen wir Antworten entwi- dat im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, ckeln; denn nicht nur die Soldatinnen und Soldaten, auch in dem es heißt: die Menschen in unserem Land bewegen diese Themen. Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens ei- Tatsächlich ist die Deutsche Marine punktuell am nem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit Einsatz Sea Guardian beteiligt. Schiffe, die sich auf dem einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen Weg zu anderen Einsätzen befnden, können kurzzeitig seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche dem Einsatz beitreten und verlassen ihn wieder, wenn und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen sie das entsprechende Seegebiet wieder verlassen. Bis zu den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. 650 Soldatinnen und Soldaten können eingesetzt werden, beispielsweise eine Fregatte, circa 200 Männer und Frau- Im Mittelmeer herrscht ohne das Mandat leider nicht en als Besatzung, in der Regel für die Dauer von einer die Ordnung, die wir uns wünschen, liebe Kolleginnen Woche. Dies ist eine sehr sinnvolle und praktikable An- und Kollegen. Die Sicherheit kann auch nicht nur durch lage des Mandates, wie mir vonseiten der Bundeswehr das Mandat hergestellt werden. Die Probleme, die im versichert wird. Mittelmeerraum zusammenkommen, sind umfangreich und vielschichtig; aber Sea Guardian kann dazu beitra- Lassen Sie uns nun den Antrag zur Verlängerung des gen, insbesondere organisierte Kriminalität und Terroris- Mandats an die Ausschüsse überweisen, und behalten wir mus zu bekämpfen. dabei im Hinterkopf, welche Aufgaben das Mandat um- (Beifall bei der SPD) fasst – Seeraumüberwachung, die Erstellung von Lage- bildern, Terrorismusbekämpfung sowie die Eindämmung Die Sicherung des Mittelmeeres dient auch der Siche- des Waffenschmuggels über das Mittelmeer –, damit wir rung der Wirtschaft, wie wir gerade gehört haben. Circa nicht in alte Zeiten zurückfallen, in denen Chaos und Pi- ein Drittel der Güter, die weltweilt über See transportiert raten über das Mittelmeer herrschten. werden, sowie ein Viertel aller Öltransporte weltweit passieren das Mittelmeer. Können Sie sich vorstellen, Vielen Dank. wie sich unser Alltag verändern würde, wenn diese Güter nicht mehr sicher bei uns ankommen? Und könnten Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich vorstellen, was es für unsere europäischen Partner- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1735

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einen sicheren Ort gebracht werden. Der muss nicht in (C) Nächster Redner ist der Kollege , AfD-Frak- Europa liegen, sondern könnte auch in Tunesien oder tion. Ägypten sein. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Immerhin existieren ja mit beiden Ländern Abkommen (AfD): Jan Ralf Nolte zur leichteren Rückführung. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will mit einer kurzen Bemerkung zur gestrigen Sitzung Ich fordere die Bundesregierung daher auf, wenn die- anfangen. Da hat sich der Kollege Brinkhaus von der ser Einsatz weitergeht, endlich die Möglichkeit zu schaf- CDU über eine zugegebenermaßen etwas missverständ- fen, im Mittelmeer aufgegriffene Migranten nach Afrika liche Bemerkung von Herrn Hampel zur Materiallage der zurückzubringen. Bundeswehr empört. (Beifall bei der AfD) ( [SPD]: Die war nicht miss- verständlich! – Weitere Zurufe von der SPD – Sie bringen hier sonst ein Mandat auf den Weg, das das Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gegenteil von dem erreicht, was sein Auftrag ist. Wer angesichts der unübersichtlichen Migrationslage weitere Das will ich mal in den richtigen Kontext stellen; denn Menschen nach Europa bringt, der bekämpft damit auch dieser einen Bemerkung, die Sie hier kritisieren, stehen nicht Terror, sondern der hilft, ihn zu uns zu importieren. doch Jahre bundeswehrfeindlicher Politik der CDU ge- genüber. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- Denn es ist kein Geheimnis, dass im Zuge des Migran- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tenstroms der letzten Jahre auch viele Gefährder nach Es waren Ihre Sparmaßnahmen, die zu den heutigen Er- Deutschland eingewandert sind. satzteilengpässen geführt haben, und es ist die Ausset- Unsere Behörden sind mit der großen Menge der zung der Wehrpficht, die zu dem heutigen massiven Per- Zuwanderer jetzt schon überfordert. Deutschland wird sonalmangel der Bundeswehr geführt hat. unsicherer, und denjenigen, die jahrelang eingezahlt ha- (Beifall bei der AfD) ben, wird das Sozialsystem immer weniger zurückgeben können. Die AfD will der neuen Bundesregierung gerne Wenn die CDU die Bundeswehr attraktiver machen will, dabei helfen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, dann fallen ihr als Erstes Flatscreens und Stehlampen und wird sich daher nicht am Bau einer Brücke nach Eu- (B) ein, während die Soldaten ihre Plattenträger selbst kau- (D) ropa beteiligen. fen müssen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Sie und Ihre Partei messen Worten offenbar in jeder Hin- Wie kommt man eigentlich darauf, Migration eindäm- sicht eine zu hohe Bedeutung bei. Ich wünsche mir von men zu können, indem man die Menschen, die sich mit Ihnen endlich Taten. dem Ziel Europa ins Boot setzen, nach Europa fährt? Zielführender sind eine enge Zusammenarbeit mit Liby- (Beifall bei der AfD) en und die Unterstützung der dortigen Missionen der EU Jetzt aber zum Mandat. Die Bekämpfung von Terroris- und der UN. mus und Waffenschmuggel, der Schutz von Bündnispart- nern und, zusammen mit der Operation Sophia, die Ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dämmung irregulärer Migration – das ist der Auftrag von Sea Guardian, und das klingt ja erst mal auch vernünftig. Herr Kollege Nolte, gestatten Sie eine Zwischenfrage Dieses Ziel kann aber unter den momentanen Rahmen- des Kollegen Graf Lambsdorff? bedingungen gar nicht erreicht werden. Mandate müssen anhand ihrer Einsatzrealität bewertet werden: Was sind Jan Ralf Nolte (AfD): die Kosten von Sea Guardian, und was ist der Nutzen? Ja, gerne. Im Mai 2017 konnte die Bundeswehr vor Libyen tat- sächlich Waffen beschlagnahmen. Dabei sollte es aber Alexander Graf Lambsdorff (FDP): bleiben, und dieser Fund fand auf einem kleinen Motor- boot statt, das sicherlich nicht nach Europa hätte gelan- Herr Nolte, Sie haben mitten in der Rede, ohne dass gen können. Mit der Bekämpfung von Waffenschmuggel das hier groß aufgefallen wäre, das Mandat Sea Guar- allein lässt sich der Sea-Guardian-Einsatz nicht rechtfer- dian verlassen und äußern gerade nur Ihre Kritik an der tigen. EU-Mission Sophia. Meine Frage an Sie ganz konkret: Kennen Sie ein einziges Boot, das im Rahmen des Man- Diesem Nutzen steht eine lange Liste negativer Effek- dats Sea Guardian eingesetzt worden ist, das Migranten te gegenüber. Seit Beginn der Operation Sophia wurden tatsächlich nach Europa gebracht hat? 36 000 Migranten nach Europa gebracht. Das Seerecht schreibt uns das nicht vor. Menschen, die aus Seenot (Beifall bei der FDP – Michael Grosse- gerettet werden, müssen in einer angemessenen Zeit an Brömer [CDU/CSU]: Gute Frage!) 1736 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

(A) Jan Ralf Nolte (AfD): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Darauf möchte ich Ihnen gerne antworten. Sea Guar- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Sau- dian dient als Kooperationsplattform für die Mission ter, FDP, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. Sophia. Das Einsatzgebiet beider Operationen ist das Mittelmeer. Wenn Sie sich die Zahlen der IOM anschau- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten en – –: der CDU/CSU)

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Geben Christian Sauter (FDP): Sie doch einmal eine Antwort auf die Frage! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Frage beantworten! – Zurufe von der AfD und Damen und Herren! Das Mandat Sea Guardian im De- der FDP) zember zunächst zu verlängern, bis eine neue Bundesre- gierung gebildet ist, war die richtige Entscheidung. Jetzt – Wollen Sie eine Antwort haben? Soll ich antworten? – kann der Bundestag die Einsätze im normalen Turnus be- Vor der Küste Libyens wurden im Januar dieses Jahres arbeiten und, je nachdem, verlängern oder beenden. etwa 2 000 Migranten gezählt, im Januar letzten Jahres waren es um die 500 Migranten. Die Migrationszahlen Sea Guardian dient als Nachfolgemission der Ope- steigen also. Es ist absolut möglich, dass auch im Rah- ration Active Endeavour, dem Schutz der Südfanke der men der Operation Sea Guardian Menschen aus Seenot NATO gegen terroristische Bedrohungen. Sea Guardian gerettet werden; denn wir sind uns doch sicherlich einig, dient der Lagebilderstellung im Mittelmeer, und das leis- dass man Personen aus Seenot retten muss, egal im Rah- tet einen Beitrag zur Sicherung des Mittelmeers vor dem men welcher Operation man vor Ort ist. Hintergrund dieser Bedrohung. Die politische Lage im Nahen Osten und in Afrika hat sich massiv gewandelt. (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Daher war die neue Rechtsgrundlage des Mandates not- [CDU/CSU]: Ist das denn schon passiert? Das wendig. war die Frage!) Sea Guardian, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein – Genau, die Frage war, ob das im Rahmen der Operation Einsatz gegen Terrorismus. Darauf ist dieser Einsatz aus- Sea Guardian schon passiert ist. Das kann ich Ihnen so gelegt. Sea Guardian – und da geht der Entschließungs- genau gar nicht sagen, aber es ist dasselbe Einsatzgebiet. antrag der Kollegen der AfD etwas fehl – ist kein Einsatz, um die großen Migrationsrouten zu schließen. Dafür gibt (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU, der es die EU-Mission Sophia. Wenn Sie also etwas verbes- (B) SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE sern wollen, liebe Kollegen der AfD, dann bitte an dieser (D) GRÜNEN) Stelle. Darin unterscheidet sich die Politik der AfD zum Bei- Deutschland proftiert von dem Mehr an Sicherheit, spiel von der Politik der FDP: Wir blicken in die Zukunft. welches dieser Einsatz schafft, wenngleich auch für 2018 keine dauerhafte Unterstützung der Mission Sea Guar- (Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/ dian geplant ist, sondern nur eine Unterstützung durch CSU und der FDP – Michael Grosse-Brömer in Transit befndliche Einheiten, also Einheiten, die sich [CDU/CSU]: Über Dinge reden, die noch auf dem Weg zu anderen Einsätzen befnden, wie zum nicht passiert sind!) Beispiel zur Operation Sophia. Die FDP und die anderen Parteien reagieren erst, wenn Aber warum ist das so, meine Damen und Herren? der Schaden entstanden ist. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen unter dem Eindruck einer schlechten Lage bei den Hauptwaffensys- (Beifall bei der AfD) temen und der Ausrüstung unserer Soldaten, aber auch von Personalengpässen. Der Bericht zur materiellen Ein- Ich fahre mit meiner Rede fort. Wir müssen die Pro- satzbereitschaft der Bundeswehr, in diesem Frühjahr ver- fessionalisierung der libyischen Küstenwache vorantrei- öffentlicht, sieht Mängel an allen Orten, zum Beispiel bei ben. der Marine, die auch den Einsatz für Sea Guardian leisten ( [CDU/CSU]: Bei Ihnen muss muss: Keines von sechs U-Booten war einsatzbereit, nur man die Erkenntnis vorantreiben!) 12 von 35 Hubschraubern und einer von drei Einsatz- gruppenversorgern konnten eingesetzt werden. Auch die Es darf auch keine Zusammenarbeit mit NGO-Schiffen Einsatzbereitschaft der neuen Fregatten vom Typ 125 ist geben, die in dem starken Verdacht stehen, mit Schlep- bisher nicht abzusehen. pern zusammenzuarbeiten. Der bisher geplante Mitteleinsatz bei Sea Guardi- (Beifall bei der AfD) an, die Unterstützung der Mission beispielsweise durch U-Boote der Klasse 212 A, musste bisher entfallen, weil Unser Entschließungsantrag ist die nötige Kurskor- kein U-Boot voll einsatzbereit war. Hier gibt es einen rektur für Sea Guardian. Ohne diese Kurskorrektur wird großen Handlungsbedarf. Ich meine, das darf kein Lip- die AfD dieses Mandat nicht weiter unterstützen. penbekenntnis sein. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1737

Christian Sauter (A) Hier sind wir uns sicherlich einig, vielleicht mit Ausnah- fung“ sagen: Diese Bilanz ist mehr als lächerlich und (C) me der Fraktion der Linken. rechtfertigt einen solchen Einsatz überhaupt nicht. Die Ausrüstungsmängel wirken sich streitkräfteüber- (Beifall bei der LINKEN) greifend auf Einsätze und damit auch auf die Frage aus, Deswegen muss man schon die Frage stellen, wo- ob Deutschland ein verlässlicher Partner in einer unruhi- rum es eigentlich geht. Wenn Sie auf der Internetseite ger werdenden Welt sein kann. Denn: Nur wer Zusagen der Bundeswehr nachschauen, dann fnden Sie dort eine einhält, ist ein verlässlicher Partner. wohl treffendere Formulierung. Es geht – so heißt es (Beifall bei der FDP) dort – um die „Stärkung der Südfanke“ der NATO. Mei- ne sehr verehrten Damen und Herren, Sprache ist sehr Wir stellen fest, dass die Bundeswehr dringender ge- verräterisch: die „Stärkung der Südfanke“. An der Süd- braucht wird denn je. Sie muss in einem guten Zustand fanke lassen wir die NATO im gesamten Mittelmeer pa- sein, um glaubwürdig arbeiten zu können. Es ist unab- trouillieren, und an die Ostfanke schicken wir Tausende dingbar, die Investitionen in die Bundeswehr zu erhö- Bundeswehrsoldaten zu Manövern unter solchen Namen hen und sich ernsthaft dem 2-Prozent-Ziel der NATO zu wie „Eiserner Wolf“ und „Flammender Donner“. Das ist nähern. Da fehlt der neuen Bundesregierung aber leider Konfrontationspolitik, aber keine Entspannungspolitik, Mut. Es fehlt der mutige Blick in die Zukunft, auf das, meine sehr verehrten Damen und Herren. was die Bundeswehr und insbesondere unsere Marine leisten muss. Die Marine muss modernisiert werden, um (Beifall bei der LINKEN) Einsätze wie Sea Guardian mit ausreichend Material be- Natürlich ist es so, dass die Situation in den nordaf- wältigen zu können. Deutschland muss sich aktiver an rikanischen Anrainerstaaten zum Mittelmeer heute deut- diesen sinnvollen Missionen beteiligen. lich unsicherer ist als noch vor einigen Jahren. Was ich allerdings vermisse, auch in dieser Aussprache, ist, dass Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch von wir über die eine oder andere Ursache dieser Situation re- meiner Seite ein großer Dank an die Soldaten für die ge- den. Ich will Sie daran erinnern, dass es nicht zuletzt die leistete Arbeit. Wir stimmen heute über die Überweisung Regime-Change-Politik im Rahmen des Libyen-Krieges dieses Antrags der Bundesregierung zu Sea Guardian an war, die in Libyen Chaos hinterlassen und den Terroris- den Verteidigungsausschuss ab. Dort werden wir über mus erst gestärkt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen. das Mandat und die sich ergebenden Fragen intensiv dis- kutieren. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte noch etwas zum Thema Terrorismus sa- (B) gen: Dem Antrag der Bundesregierung ist zu entnehmen, (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass die NATO weitere Länder eingeladen hat, sich an der CDU/CSU) diesem Mandat zu beteiligen. Das betrifft unter anderem die Länder der Istanbuler Kooperationsinitiative. Das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain und Kuwait. Länder, die Saudi-Arabien dabei unterstützt Nächster Redner ist der Kollege Matthias Höhn von haben, den Jemen in die Steinzeit zurückzubomben, la- der Fraktion Die Linke. den wir ein, gegen den Terrorismus im Mittelmeer vorzu- (Beifall bei der LINKEN) gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist grotesk. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Höhn (DIE LINKE): Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Ein Einsatz wie Sea Guardian, für den maximal ren! Auch ich bin dankbar für jeden Flüchtling, der aus 650 Soldaten bereit stehen sollen, steht exemplarisch für Seenot gerettet wird. Aber Militär kann doch keine Lö- den falschen Kurs der Bundesregierung. Setzen Sie die sung für unser Flüchtlingsproblem sein. Prioritäten sicherheitspolitisch endlich anders, und gehen Sie auch verantwortlicher mit Steuergeld um! (Beifall bei der LINKEN) Erst gestern hat die Verteidigungsministerin wieder Wenn Sie an dieser Situation etwas ändern wollen, dann öffentlich darüber geklagt, dass das Geld für die Aus- schaffen Sie endlich legale, sichere Fluchtwege, und tun stattung der Bundeswehr nicht reichen würde, die Mit- Sie etwas, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das tel fast gänzlich in die Auslandseinsätze fießen und im wäre die richtige Antwort. Inland die Ressourcen fehlen würden. Ja, dann beenden (Beifall bei der LINKEN) Sie doch diese Auslandseinsätze, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat Sea Guardian, über das wir reden, hat (Beifall bei der LINKEN) einen anderen Auftrag; denn es geht um Terrorismusbe- kämpfung und die Unterbindung von Waffenschmuggel. Zum Thema Steuergeld will ich Ihnen ein Beispiel Wenn man sich die Bilanz des bisherigen Mandats in- geben: Allein das Waffensystem Puma wird uns voraus- klusive des Vorgängermandats Active Endeavour, das sichtlich 9 Milliarden Euro kosten. Das ist mehr, als für seit 2003 lief, anschaut, dann muss man im Hinblick auf den gesamten Entwicklungshilfeetat in einem Jahr zur das Thema „Waffenschmuggel und Terrorismusbekämp- Verfügung steht. Beenden Sie den Auslandseinsatz Sea 1738 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Matthias Höhn (A) Guardian! Stecken Sie dieses Geld in die Entwicklungs- Überblick über die Lage ist nicht mehr möglich.“ Der (C) hilfe! Dann wird auch die Mittelmeerregion wieder si- Kollege Nolte hat das mit seiner Rede gerade eindeutig cherer. unter Beweis gestellt. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich bitte aber darum, dass Sie nicht von sich auf andere Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, schließen. Bündnis 90/Die Grünen. Ich versuche noch einmal, es zu erklären: Wir reden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über Menschen, die aus verschiedensten Gründen ver- zweifelt genug sind, ihre Heimat zu verlassen, die nicht, Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wie Sie schreiben, Transfergeldempfänger sind, sondern Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vor- Menschen sind, die große Summen Geld, das sie selbst liegenden Antrag liegen sehr viele ehrenvolle Motive verdient haben, ausgeben, um sich für einen Traum, der zugrunde: unsere Partner im Mittelmeer unterstützen, Europa heißt, auf den Weg zu machen. Nicht alle diese Terror bekämpfen, Menschenschmuggel eindämmen, Leute können aufgenommen werden. Aber es ist eindeu- Waffenhandel stoppen usw. – Das teilen wir alles. Das tig, dass diesen Menschen Europa weit mehr am Herzen Problem ist: Wenn man Ihren Antrag liest, bekommt man liegt als Ihnen. Das ist eindeutig. das Gefühl, dass es dabei nicht um einen Bundeswehrein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN satz geht, sondern um einen Wunschzettel. sowie bei Abgeordneten der FDP und der Damit bin ich beim Grundproblem angelangt. Der ­LINKEN – Dr. [AfD]: Das ist Auftrag ist extrem vage. Das Mandatsgebiet ist ziemlich eine Investition in die Zukunft? Es ist un- ungenau und extrem groß, und das Mandat ist ein Blan- glaublich, was Sie da sagen! Schleppertum koscheck zur Ausbildung so ziemlich jeder Küstenwache unterstützen! Das ist ein Offenbarungseid der im Mittelmeer. Das heißt: Das, was Sie vorlegen, liebe Grünen! Ist ja unfassbar! Schlepperindust- Bundesregierung, würde Ihnen erlauben, die Küstenwa- rie! – Weitere Zurufe bei der AfD) che von Assad auszubilden, ohne noch einmal im Parla- ment nachzufragen. Das ist eine massive Unterminierung Diese Menschen sterben im Mittelmeer. (B) des Parlamentsvorbehalts, die wir nicht mitmachen kön- (D) nen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Nouripour, würden Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Nolte gestatten? In der Begründung des Antrags steht eine leider sehr akkurate Beschreibung der politischen Probleme im Mit- telmeerraum: wirtschaftliches Gefälle, Bevölkerungs- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wachstum, organisierte Kriminalität, Terrorismus und Eindeutig. Korruption. – Das ist alles richtig. Nichts davon wird aber mit diesem Mandat adressiert. Das sind politische Probleme, die man auch politisch angehen muss, aber Jan Ralf Nolte (AfD): nicht mit der wahllosen Ausbildung von Küstenwachen. Danke, Herr Kollege. – Ich möchte nur sichergehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass ich Sie auch richtig verstanden habe. Sie sagen also, die Menschen, die Sie Flüchtlinge nennen und ich Sie gehen diese politischen Probleme nicht an, sondern Migranten, wandern hier in den Arbeitsmarkt ein und liefern Waffen nach Ägypten und behaupten, Ägypten sei nicht in die Sozialsysteme. Verstehe ich das richtig? trotz all der massiven Probleme und Menschenrechtsver- letzungen im Land ein Stabilitätsanker. Sie liefern wei- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) terhin Waffen an die Türkei – auch nach dem Einmarsch der Türkei in Syrien. Und Sie setzen mit den Partnern in der Europäischen Union auf genau die Milizen in Libyen, Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die eine Transition des Landes verhindern. Das ist kein Ich habe nur vorgetragen, was in Ihrem Entschlie- Beitrag zur Lösung der Probleme im Mittelmeerraum. ßungsantrag steht. Es ist zu lesen, die Menschen kämen nicht nur hierher, um Geld zu verdienen, nein, sie kämen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hierher, um Transfergelder zu bekommen. Deshalb kann ich meiner Fraktion nicht empfehlen, die- sem Mandat zuzustimmen. (Dr . Alice Weidel [AfD]: Ja, was denn sonst?) In einem muss ich Sie aber in Schutz nehmen. Das, Sie ignorieren erstens die Lebensgefahr, in die sich die was Sie vorlegen, ist zwar nicht zustimmungsfähig; es ist Menschen begeben. Sie ignorieren zweitens, dass sehr aber eine Wohltat gegenüber dem Entschließungsantrag viele dieser Menschen sterben. Sie ignorieren drittens, der AfD. Mein Lieblingssatz darin lautet: „... ein voller dass diese Menschen erst viel Geld ausgeben müssen, um Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1739

Omid Nouripour (A) sich auf den Weg machen zu können. Das, was Sie sagen, Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen: Dieses (C) ist schlicht ignorant. Mandat der NATO erfolgt auf Grundlage eines UN-Man- dates, nämlich der UN-Resolution 2357. Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann, muss und will seinen Beitrag im Kampf gegen sowie bei Abgeordneten der SPD und der Waffenschmuggel und internationalen Terrorismus im LINKEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist Mittelmeer leisten. die Folge Ihrer Flüchtlingspolitik, die Sie un- terstützen! Das haben Sie zu verantworten!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann stoppen Sie einmal Ihre Rüstungsexporte!) Wenn diese Menschen auf ihrem Weg nicht sterben, lan- den Tausende von ihnen in Lagern, in denen es laut Aus- Meine Damen und Herren, ich hege heute in dieser wärtigem Amt – Zitat – „KZ-ähnliche Zustände“ gibt. Debatte doch eine gewisse Bewunderung für die Linke. Herr Kollege, Sie haben hier gerade alles kritisiert und Ihre Antwort ist: Hauptsache, die Menschen werden haben die Ergebnisse der Arbeit der Soldatinnen und zurückgeschickt, teilweise sogar in diese Lager, und zwar Soldaten der Bundeswehr in Ihrer Bilanz als lächerlich egal von wem. Das kann durch die Bundeswehr sein, das bezeichnet, haben aber in keinem Satz eine Lösung für kann aber auch durch jemand anderen sein. Das Problem, die Probleme im Mittelmeer genannt. Das ist wirklich das Sie nicht sehen wollen, ist, dass diese „anderen“ Mi- unverantwortlich. lizen sind. Diese Milizen, über die wir sprechen und die für Sie sozusagen als Zurückschieber annehmbar wären, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- verdienen ihr Geld mit Drogenhandel nach Europa. Das geordneten der FDP – [DIE heißt, Ihr Ansatz ist nicht nur menschenfeindlich, nicht LINKE]: Nicht zugehört! – Weiterer Zuruf der nur unrecht – es gibt nämlich ein Refoulement-Verbot; Abg. [DIE LINKE]) aber das können Sie gar nicht kennen, weil es ein Fremd- Meine Bewunderung gilt nicht nur der Linken, sie gilt wort ist –, sondern das Dramatische ist – ich sage es noch auch für die AfD. Es zu schaffen, bei einer Diskussion einmal –, dass Sie auf Schmuggler setzen, die Drogen über ein NATO-Mandat auf UN-Basis die Debatte wie- nach Europa schmuggeln. Sie sind ein Sicherheitsrisiko der auf die Frage von Migration und das Beziehen sozi- für unser Land. aler Leistungen in Deutschland hinzuführen, zeigt, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie diesen Mandatstext überhaupt nicht gelesen und nicht sowie bei Abgeordneten der SPD und der verstanden haben. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (B) (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Braun Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Paul Ziemiak, [AfD]) CDU/CSU-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Sie müssen sich doch entscheiden, worüber Sie debattie- Bundestag. ren wollen. Sie haben gerade über EU-Grenzsicherung (Beifall bei der CDU/CSU) gesprochen. Dafür ist die NATO weder verantwortlich noch wollen wir das noch ist das rechtlich möglich. Die Frage der Grenzsicherung betrifft die EU. Paul Ziemiak (CDU/CSU): (Zuruf des Abg. Jan Ralf Nolte [AfD]) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Wir beraten Ich kann Ihnen von der AfD und auch der Linken nur heute die Fortsetzung der NATO-Mission Sea Guardi- anbieten, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschus- an, nichts anderes. Unsere Streitkräfte beteiligen sich auf ses zu fragen, dass er sich mit Ihnen zusammensetzt und Grundlage von Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes an das alles aufdröselt. dieser Mission. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das Mittelmeer ist eine Verkehrsfäche mit über 2,5 Millionen Quadratkilometern. Wir haben als Deut- Denn Sie sagen hier vor den Menschen, die diese Debat- sche in diesem Raum auch unsere Interessen: Wir wollen te verfolgen, die Unwahrheit und vermischen die Dinge den Schiffsverkehr sichern, den internationalen Terro- miteinander. rismus bekämpfen und Rückzugsorte vom Nachschub (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) abschneiden. Darüber hinaus wollen wir die Küsten im Mittelmeer stabilisieren. Um diese Ziele zu erreichen, Das muss man erst einmal schaffen. zeigt die NATO im Mittelmeer Präsenz, kontrolliert den (Zurufe der Abg. Jürgen Braun [AfD] und Jan Raum und kann frühzeitig eingreifen, wo es nötig ist. Ralf Nolte [AfD]) Der vernetzte Ansatz und die Kooperation mit der – Herr Kollege, ich kann Ihr Gebrüll hier vorne am Red- EU-Mission Sophia sowie mit anderen befreundeten nerpult leider nicht verstehen. Ich glaube aber, es war Staaten sind aus meiner Sicht genau die richtige Heran- nichts Wichtiges, das uns hier weiterbringen würde. gehensweise. Das Mandat – Staatssekretär Tauber hat es gesagt – wird nicht aufgestockt, es bleibt – in Anfüh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der rungsstrichen – unverändert. FDP) 1740 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Paul Ziemiak (A) Meine Damen und Herren, die Operation ist erfolg- Hänsel [DIE LINKE]: Sie waren doch auch (C) reich, und die Bilanz ist gut. In der Fortsetzung der Ope- dagegen!) ration Active Endeavour haben wir eine Sicherheitslücke Der Garten in dieser Geschichte entspricht dem Ein- im Mittelmeer geschlossen. satzgebiet. Dieses umfasst das komplette Mittelmeer, die Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine brei- Straße von Gibraltar, ihre Zugänge und den darüber lie- te Zustimmung heute in diesem Haus wäre ein wichti- genden Luftraum. Das ist ein wahnsinnig großer Garten. ges Signal an unsere Verbündeten, aber auch ein starkes In der Schelmengeschichte ist aber nicht nur der Garten Zeichen der Solidarität mit den vielen Soldatinnen und frei von Tigern, sondern die ganze Gegend – weit und Soldaten, die dort ihren Dienst leisten. Ihre Arbeit müs- breit. Genau hier enden die Parallelen mit Sea Guardian. sen wir wertschätzen. Wir müssen sie unterstützen, und Der selbsternannte „Islamische Staat“ wurde in Syri- deshalb bitte ich Sie um Zustimmung. en und im Irak zwar weitgehend militärisch besiegt und Vielen herzlichen Dank. bereits im Dezember 2016 aus der libyschen Hafenstadt Sirt vertrieben; seine dschihadistischen Kämpfer sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aber in beiden Ländern nach wie vor aktiv. Ja, der IS hat ordneten der FDP) seine Pseudostaatlichkeit als Möchtegern-Kalifat weitge- hend eingebüßt, aber umso mehr greift er nun auf Gueril- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lataktiken und terroristische Anschläge zurück. Jetzt hat der Kollege Thomas Hitschler, SPD-Frakti- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- on, das Wort. NEN]: Mit ihrer IS-Marine!) (Beifall bei der SPD) Dass Kreuzfahrtschiffe, Ölplattformen und Container- schiffe zu den potenziellen Zielen des IS gehören, be- Thomas Hitschler (SPD): richtete NATO-Marinekommandeur Admiral Clive Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ­Johnstone 2016. Kollegen! Eines Tages verteilte Nasreddin Hodscha Brot- Neben dem IS gibt es viele weitere gewaltbereite Isla- krumen in seinem Garten. Sein Nachbar fragte ihn nach mistengruppen in den Anrainerländern des Mittelmeers: dem Grund für dieses merkwürdige Verhalten. „Das hält der Nachfolger der Al-Nusra-Front in Syrien, der militä- die Tiger fern“, sagte Nasreddin Hodscha. Auf den Ein- rische Arm der Hisbollah im Libanon und viele kleinere wand, in der Gegend gebe es weit und breit keine Tiger, Gruppen in den Ländern Nordafrikas. Wir haben es also erwiderte er: Da siehst du mal, wie gut das wirkt. mit einer realen Bedrohung zu tun. (B) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Vielleicht lie- (D) fern Sie mal weniger Waffen, zum Beispiel in An diese kleine Schelmengeschichte aus dem islami- die Türkei!) schen Kulturraum erinnert mich eines der Hauptargu- mente gegen den Einsatz Sea Guardian, den wir heute Neben der Terrorismusbekämpfung nimmt Sea beraten. Am 11. Dezember 2017 hatte die Linke hier im ­Guardian weitere Aufgaben wahr, etwa im Kampf gegen Bundestag das Ende von Sea Guardian beantragt. Waffenschmuggel, bei der Sicherung des Bündnisge- bietes oder bei der Seeraumüberwachung. Zur Bekämp- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fung von Schleusern ist eine direkte Beteiligung an der NEN]: Das hat die SPD auch einmal vertre- EU-Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia durch ten!) Sea Guardian zwar nicht vorgesehen, lieber Kollege Nol- Dabei zog sie Bilanz über die Vorgängeroperation Active te; durch Lagebilder, Informationsaustausch und Logis- Endeavour; der Kollege Höhn hat das vorhin auch noch tik wird aber auch diese wichtige Aufgabe unterstützt, einmal gemacht. und dafür danken wir unseren Soldatinnen und Soldaten. Ich zitiere den damaligen Entschließungsantrag: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Rahmen von OAE wurden in 14 Jahren über 129.000 Schiffsfahrten überwacht und 172 Schiffe Kolleginnen und Kollegen, organisierte Kriminalität, kontrolliert, allerdings wurde keine einzige Ladung Terrorismus und Piraterie blühen auf, wenn sie nicht auf illegaler Waffen beschlagnahmt und kein einziger Widerstände treffen. Dies zeigt ein Blick zur Küste So- Terrorist verhaftet. malias. Ohne die Operation Atalanta wären die Angriffe durch Piraten dort heute noch Alltag. Auch an der Mittel- Streut also auch die NATO Brotkrumen im Garten aus, meerküste eröffnet die fragile Staatlichkeit von Ländern ( [DIE LINKE]: Genau so ist wie Libyen und Syrien terroristischen Gruppen und der es!) organisierten Kriminalität Rückzugs- und Herrschafts- räume. Mit der Operation Sea Guardian verhindern wir, um Tiger aus einem Gebiet fernzuhalten, in dem es weit dass diese Saat auch im Mittelmeer aufblüht, also in un- und breit keine Tiger gibt? Ist auch die Operation Sea serem sprichwörtlichen Garten. Guardian nicht mehr als eine Schelmengeschichte? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Operation Sea (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Guardian ist keine Schelmengeschichte. Die eingesetzten NEN]: Kann man mit Ja beantworten! – Heike Kräfte sind keine Brotkrumen, und wenn jemand meint, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1741

Thomas Hitschler (A) im Mittelmeer gebe es keine Terroristen, dann kann man Mit einer unveränderten Mandatsobergrenze von (C) nur entgegnen: Da siehst du mal, wie gut das wirkt. 650 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland und ei- nem, wie ich meine, realistischen Budget im Haushalt Vielen Dank. halte ich den vorliegenden Antrag im Hinblick auf die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geostrategische Bedeutung des Mittelmeerraums daher der CDU/CSU) für überaus sinnvoll. Gerade unter dem Aspekt einer gelingenden Bündnispolitik ist eine vertrauensvolle Zu- sammenarbeit zwischen Deutschland, der Europäischen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Union und unseren NATO-Partnern unerlässlich. Die Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Mission Sea Guardian liefert hierfür einen wichtigen Michael Kuffer, CDU/CSU. Baustein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf abschließend den bisher in der Mission ein- Michael Kuffer (CDU/CSU): gesetzten Soldatinnen und Soldaten unseren Dank aus- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Mit- sprechen und vor allem unseren großen Respekt. Ich will telmeer ist ein neuralgischer Punkt für uns Deutsche, ihnen von dieser Stelle aus sagen: Von vereinzelten Wort- für uns Europäer, aber auch für die internationale Staa- meldungen heute abgesehen, haben sie wirklich den Res- tengemeinschaft. Ein Drittel aller über See verschifften pekt und die Rückendeckung weiter Teile dieses Hauses. Güter und ein Viertel aller Öltransporte global passieren auf ihrem Weg das Mittelmeer. Es zählt damit zu einem Ich wünsche der Mission, aber vor allem auch unse- der wichtigsten Transportkorridore weltweit. Wir können ren Soldatinnen und Soldaten weiterhin viel Erfolg und sagen: Der internationale Handel wäre ohne den Transit Gottes Segen für ihren wichtigen Dienst. Wie immer das durchs Mittelmeer schlichtweg unmöglich. Wichtigste: Kommen Sie uns wohlbehalten wieder nach Hause! Neben dieser enormen ökonomischen Bedeutung liegt das Mittelmeer uns Europäern aber auch auf andere Wei- Vielen Dank. se am Herzen. Es verbindet uns mit unseren Nachbarn im (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Nahen Osten und in Nordafrika. Und es schafft vor allem wie bei Abgeordneten der FDP) eine gemeinsame Verantwortung in Bezug auf Sicherheit und Stabilität. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) Die NATO-geführte maritime Sicherheitsoperation Damit schließe ich die Aussprache. (D) Sea Guardian leistet seit ihrer Gründung im Jahr 2016 einen wichtigen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele. Es ist interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlage Anders als ihre Vorgängermission Operation Active En- auf der Drucksache 19/1097 an die in der Tagesord- deavour, deren Auftrag sich auf Basis des Artikels 5 des nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Nordatlantikvertrages aus den Anschlägen des 11. Sep- Entschließungsantrag der Fraktion der AfD auf Druck- tember 2001 hergeleitet hat, ist der Auftrag von Sea sache 19/1196 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch Guardian umfassender und an die Erfordernisse der aktu- nicht an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 unserer ellen Sicherheitslage angepasst. Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über- Das Mittelmeer ist heute neben den nach wie vor weisungen so beschlossen. bestehenden Gefahren durch den internationalen Terro- rismus leider auch Schauplatz von Waffenschmuggel, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Schleuserbanden und anderer organisierter Kriminalität. Beratung der Beschlussempfehlung und des Die Flüchtlingskrise, liebe Kolleginnen und Kollegen, Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) hat uns mehr als deutlich gemacht, dass beim gemeinsa- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gottfried men Schutz der EU-Außengrenzen das Mittelmeer einer Curio, Albrecht Glaser, Armin-Paulus Hampel, der entscheidenden Schauplätze oder sogar der entschei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD dende Schauplatz ist. Unser Einsatz für Sea Guardian ist damit auch ein Beitrag gegen das menschenverachtende Umfassende Grenzkontrollen sofort einfüh- Geschäft der Schlepper. ren – Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksachen 19/41, 19/862 Sea Guardian kann heute aus den wertvollen Erfah- rungen von Active Endeavour proftieren und so seinen Wir werden über die Beschlussempfehlung später na- Auftrag zielgerichtet fortführen. Die Operation leistet mentlich abstimmen. neben der Bereitstellung eines ständig aktualisierten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für umfassenden Lagebildes einen Beitrag zum Informa- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Da ich keinen tionsaustausch und zum Kapazitätsaufbau der Kräfte Widerspruch höre, ist es so beschlossen. im Mittelmeer, bietet logistische Unterstützung für die EU-Mission Sophia und hilft damit auch bei der Durch- Ich bitte, die notwendigen Veränderungen schnell setzung des UN-Waffenembargos von und nach Libyen. vorzunehmen und wieder Platz zu nehmen, damit ich 1742 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) die Aussprache eröffnen kann – was ich hiermit tue. Das Das wäre eine untragbare Vorgehensweise und Belastung (C) Wort hat der Abgeordnete Detlef Seif, CDU/CSU. für die Menschen, den Handel und das Handwerk. (Detlef Seif [CDU/CSU]: Das ist ein AfD-An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- trag! Normalerweise dürfte ich nicht begin- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE nen!) GRÜNEN – Lachen bei der AfD – Dr. Alice – Wir beraten aber eine Beschlussempfehlung des Innen- Weidel [AfD]: Ja, ja, ja! Ein Ding der Unmög- ausschusses. So ist es geregelt, Herr Kollege. Wenn Sie lichkeit!) das Wort aber nicht nehmen wollen, kann ich Sie nicht Ich sage Ihnen eines: Der AfD-Antrag ist schon – das dazu zwingen. muss man auch beim Namen nennen – ein Frontalangriff (Detlef Seif [CDU/CSU]: Um Gottes willen, gegen eine der größten Errungenschaften der Europäi- Herr Präsident! Das habe ich nie behauptet!) schen Union: die Freizügigkeit und die Reisefreiheit. – Das ist jetzt zu hoch gegriffen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – [AfD]: Unfug! Was für ein Unsinn!) Nehmen Sie also einfach das Wort. Sie haben es. Bitte sehr, Herr Kollege Seif. Da Deutschland nur von sicheren Drittstaaten umge- ben ist, (Beifall bei der CDU/CSU) (Lachen bei der AfD) Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch bei kommen Sie nun auf die aberwitzige Idee, zu behaupten, intensivster Nachlese kann man überhaupt nicht erken- Sie könnten an der deutschen Grenze jeden, der sich auf nen, was die im vorliegenden Antrag der AfD angeführ- Asyl beruft, zurückweisen. ten umfassenden Grenzkontrollen denn in der Praxis ei- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice gentlich sein sollen. Weidel [AfD]: Aberwitzig! Aberwitzig!) (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Das ist eindeutig!) Sie verkennen, dass wir nach EU-Recht in vielen Fäl- len für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig sind. Ihre Ausführungen in der ersten Lesung waren aber Das gilt für Minderjährige. Das gilt für Familienangehö- schon entlarvend. Schluss mit offenen Grenzen! Beson- rige. Das gilt in Härtefällen. Vor allen Dingen sind wir (B) ders interessant war die Frage eines Kollegen aus Ihrer auch dann zuständig, wenn der zuständige Staat nicht (D) Fraktion, wie es denn sein könne, dass Deutschland die ermittelt werden kann. Nach EU-Recht und nach der Grenzen nicht sichern kann, während dies in Saudi-Ara- Rechtsprechung sind wir außerdem bei Mängeln im Ver- bien mithilfe von EADS möglich sei. fahren in dem eigentlich zuständigen Land zuständig. Meine Damen und Herren, Sie möchten also mögli- (Fabian Jacobi [AfD]: Ein ganz tolles Verfah- cherweise saudi-arabische Verhältnisse: ren!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Prüfen Sie das bitte einmal. Nach wie vor gibt es in Grie- NEN]: Ja!) chenland große Mängel, aber auch in Ungarn, Italien und dreifacher Grenzzaun, Kontrolltürme, Patrouillenweg, Bulgarien. technische Totalüberwachung. ( [AfD]: Typisch deutscher (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Größenwahn!) NEN]: Nicht zu vergessen Boote von der Pee- ne-Werft!) Das nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis. Meine Damen und Herren, unsere deutsche Grenze ist (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- 3 700 Kilometer lang. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beatrix von Storch [AfD]: Oh mein Gott!) Wir können von unseren Polizeibeamten, die einen Wenn Sie es mit einer umfassenden Kontrolle ernst mei- guten Job machen und gute Arbeit leisten, doch nicht er- nen, warten, dass sie in rechtlich grenzwertigen Fällen auch noch in einem Schnellverfahren an der Grenze mal gera- (Dr . Alice Weidel [AfD]: Was ist aus der de nebenbei die asylrechtliche Zuständigkeit prüfen. CDU geworden? Meine Güte!) wären alle Straßen und Wege, alle Schienen, alle Grenz- (Dr . Alice Weidel [AfD]: Sie brechen Recht gewässer und alle Personen, also jeglicher Grenzverkehr und Gesetz!) einschließlich Flug- und Bahnreisenden, zu kontrollie- Zwar ist richtig – wir alle in diesem Haus sind auch ren. mit Nachdruck an diesem Thema dran –, dass noch nicht (Dr . Alice Weidel [AfD]: Ein Ding der Un- alles rundläuft; aber Sie erkennen nicht – oder Sie er- möglichkeit!) kennen es nicht an –, wie die Entwicklung sich vollzo- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1743

Detlef Seif (A) gen hat. Ja, 2015 waren es 890 000 Menschen, die nach und alle anderen in diesem Haus suchen nach Lösungen, (C) Deutschland gekommen sind und Asyl gesucht haben. um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist der große Unterschied. (Dr. [AfD]: Immer noch über 10 000 im Monat! – Dr. Alice Weidel [AfD]: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Illegal!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber 2016 hat sich die Zahl durch die vielen Maßnahmen Der AfD-Antrag zielt auf ein rechtswidriges Verhal- auf 280 000 reduziert ten, (Dr. [AfD]: Das sind im- (Dr . Alice Weidel [AfD]: Sie brechen Recht mer noch 280 000 zu viel!) und Gesetz! So sieht es aus! Die Aufösung der Rechtsstaatlichkeit des deutschen Rechts- und ist im Folgejahr auf 186 000 heruntergegangen. staats: Dafür sind Sie verantwortlich!) (Dr . Alice Weidel [AfD]: Ganz toll!) ist schlecht begründet, stellt einen Frontalangriff gegen die Freizügigkeit dar und zeigt einmal mehr, wie un- Wir brauchen viele Maßnahmen: eine weitere und barmherzig Sie mit verfolgten Menschen umgehen. bessere Sicherung der EU-Außengrenzen und die hun- dertprozentige Registrierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der AfD) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann machen Sie es endlich!) Es gibt nur eine geeignete Maßnahme, mit der wir in der Abstimmung darauf reagieren werden: mit der roten Wir wollen wissen, wer zu uns kommt. Karte. (Lachen bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frontex ist zu einer echten europäischen Grenzpolizei NEN sowie bei Abgeordneten der FDP – auszubauen. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Für Sie mit der roten Karte! Völlig richtig!) (Beifall bei der AfD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ein Offenbarungseid, was Sie hier ma- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: chen!) (B) Nächster Redner ist der Kollege Uli Grötsch, SPD. (D) National müssen wir – und wir sind schon intensiv (Beifall bei der SPD) dabei, auch gerade seitens der Innenpolitiker – mit Nach- druck an einer weiteren Beschleunigung und Verbesse- rung der Asylverfahren arbeiten, Uli Grötsch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Dr . Alice Weidel [AfD]: Natürlich! Mit offe- Kollegen! Wir haben den vorliegenden Antrag bereits nen Grenzen!) im Plenum diskutiert. Ich möchte aber gerne die Gele- genheit nutzen, um auf die Situation an den deutschen einschließlich des wichtigsten Elements, der Ankerein- Außengrenzen und bei den Polizeien in Deutschland hin- richtung. zuweisen, um deren Situation es ja auch in dem Antrag geht. Aber, meine Damen und Herren, bei allem dürfen wir nicht vergessen, auch wenn Sie uns etwas anderes Damals wie heute gilt: Eine umfassende und dauer- weiszumachen versuchen: Die Gründe der Migration lie- hafte Kontrolle an den deutschen Außengrenzen ist we- gen doch nicht in unseren Rechtsvorschriften. Sie liegen der rechtlich möglich doch in den vielen Fluchtursachen dieser Welt. (Widerspruch bei der AfD) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: An Ihrem Versa- noch von uns politisch gewollt. gen liegt das! Alle Staaten der Welt schützen die Grenzen!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist rich- tig!) Sie liegen bei den verfolgten Menschen und dem Schutz, den sie benötigen. Ganz im Gegenteil, liebe Kolleginnen und Kollegen: Meine Partei steht für ein Europa ohne Binnengrenzen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SES 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN) Hier liegt der große Unterschied in diesem Hause – Für uns ist ein grenzenloses Europa ein Wert an sich. Es das haben wir gerade wieder gemerkt –: Sie bekämpfen ist ein Wert für Generationen von Menschen. die Flüchtlinge und die Menschen, die Schutz suchen, (Beatrix von Storch [AfD]: Grenzenloser (Zuruf von der AfD: Quatsch!) Schwachsinn!) 1744 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Uli Grötsch (A) Dafür lohnt es sich zu kämpfen, auch wenn die Situation Erstens hat sich die Zahl der Asylbewerber in der Eu- (C) der Europäischen Union schwieriger wird. ropäischen Union von 2016 auf 2017 halbiert. Das ist eine Tatsache. Das ist die Wahrheit. Damit ist natürlich In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Polizei, und das in auch die Zahl der Anträge in Deutschland entsprechend einer Zeit, in der der Bund und die Länder mitten in der gesunken. Zweitens sind Asylunterkünfte, in denen zum größten Personaloffensive sind, die es bei den Polizeien Teil fünf Personen auf 20 Quadratmetern über Monate jemals gegeben hat. wohnen, ganz bestimmt keine Fünf-Sterne-Hotels, wie (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Viel zu spät!) Sie es suggerieren. Die Suche nach Raumkapazitäten und nach ausrei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- chendem Ausbildungspersonal ist derzeit die Heraus- SES 90/DIE GRÜNEN) forderung, aber ganz bestimmt sind es nicht die Ein- stellungszahlen. Nehmen Sie sich doch einen Stift und Zum Schluss will ich sagen: Wir, die SPD und die ge- einen Zettel, um sich das aufzuschreiben, und merken Sie samte Koalition, sorgen für mehr Polizei durch eine nie es sich gut: Wir werden in dieser Wahlperiode weitere da gewesene Personaloffensive. 7 500 Bundespolizistinnen und Bundespolizisten einstel- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Fünf Jahre zu len, und zwar zusätzlich zu den über 7 000, die wir be- spät!) reits seit 2016 ausbilden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen die Polizistin- (Beifall bei der SPD) nen und Polizisten auf den Straßen, in den Städten und Die Länder sind natürlich gefordert, es uns gleichzutun. auf den Autobahnen einsetzen, also bei den Menschen. Wir sorgen aber nicht für diese hohen Einstellungs- Vielen Dank. zahlen, um die Bundespolizistinnen und Bundespolizis- ten dann an irgendeiner deutschen Außengrenze versau- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ern zu lassen. der CDU/CSU) (Lachen bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die SPD will eine sichtbare Polizei im öffentlichen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, Raum. Wir wollen eine sichtbare Polizei nicht nur in den AfD. Fußgängerzonen, sondern auch auf den Autobahnen, um dort die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämp- (Beifall bei der AfD) (B) fen. (D) (Lachen bei der AfD) Dr. Gottfried Curio (AfD): Das sind die Herausforderungen dieser Zeit. Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Abgeordnete! Die AfD hat beantragt, unberechtigten Grenzübertritt (Beifall bei der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: durch umfassende Grenzkontrollen zu verhindern und Für die Bundespolizei? – Dr. Alice Weidel entsprechende Antragsteller zurückzuweisen. Wer gegen [AfD]: Fußgängerzonen!) diesen Antrag stimmt, will mithin, dass unberechtigte Antragsteller weiterhin die Grenze nach Deutschland In meiner Heimatregion genauso wie in vielen Re- überschreiten und ein Schutzverfahren eröffnen können, gionen unseres Landes haben die Menschen keine Angst inklusive Dauerversorgung und jahrelangen Klagen. mehr vor Massenmigration. (Widerspruch bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So Sie haben vielmehr Angst vor Wohnungseinbrüchen und einfach! Schön, dass Sie es noch einmal zu- vor Drogenhändlern, die international handeln und orga- sammenfassen!) nisiert sind. Wir als SPD stehen für einen handlungsfä- higen, starken Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger Wie von Richtern an den Obersten Gerichtshöfen be- schützt, der den Menschen Zuversicht gibt und der ihnen tont, kann niemand unter Berufung auf Schutzgründe zu keine Angst vor der Zukunft macht. Land nach Deutschland einreisen. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD) (Benjamin Strasser [FDP]: Zitieren Sie doch mal das europäische Recht!) Ich will noch eine Sache ansprechen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Einhaltung von Recht und Ordnung. Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat – das sind alle Nachbarstaaten Deutschlands – ist zu verweigern. Das (Fabian Jacobi [AfD]: Richtig!) gilt auch, wenn ein anderer Staat für die Durchführung Das ist aber nur ein Aufhänger, ein Vorwand. Dahinter des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist gemäß Dub- steht wieder einmal Ihr verächtliches Menschenbild. lin III der Erstzutrittsstaat in der EU. Tatsächlich haben Sie sagen, dass Migranten zu Hunderttausenden vor der wir jedoch Binnenmigration in Europa und müssen unse- deutschen Grenze stehen, um in Deutschland – so Ihr An- re nationale Grenze schützen. trag – Vollverpfegung zu erhalten. (Benjamin Strasser [FDP]: Was sagt denn das (Zurufe von der AfD: Ja!) Bundesverwaltungsgericht?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1745

Dr. Gottfried Curio (A) Statt dieser bislang versäumten Pficht nachzukommen, die sich als Bessermenschen selbst vergötzen. Gegen- (C) schmücken wir unsere Weihnachtsmärkte mit Betonpol- meinungen sollen mit der Rassismuskeule erstickt wer- lern und Maschinenpistolen. den. Was wir brauchen, ist eine Willkommenskultur für demokratische Meinungsvielfalt, vor allem auch in die- (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: sem Hause. Was ist in Ihrem Leben eigentlich falsch ge- laufen?) (Beifall bei der AfD) Zur Ablenkung wird gerne über die sogenannte Schleuserkriminalität gejammert. Ist aber der Schleu- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ser kriminell, so ist es auch sein Auftraggeber. Wer sich Herr Kollege Curio, gestatten Sie eine Zwischenfra- schleusen lässt, will betrügen. Mit dieser ganzen Herr- ge? schaft des Unrechts, Herr Innenminister, müsste endlich Schluss sein. Die Garantin hierfür aber haben Sie gerade Dr. Gottfried Curio (AfD): neu inthronisiert. Keine. (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht wir, sondern die Mehrheit ( [FDP]: Ausgerechnet! – in Deutschland!) Weitere Zurufe von der FDP) Fluchtgründe im Heimatland sind eben keine Eintritts- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: karte weltweit. Aus einem sicheren Transitstaat wie der Türkei fieht man nicht nach Europa, auch nicht von ei- Keine. nem ganzen Kontinent wie Afrika. Die Asylbehaupter hier aufzunehmen, die Urlaubsreisen zu ihren Familien Dr. Gottfried Curio (AfD): machen, Was macht das Ganze aus unserem Land? Kommu- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Lüge! Lüge!) nen machen dicht wegen Überforderung. Integration ist gescheitert, schon wegen der schieren Menge. Sie wird ist auch kein Akt der Humanität. von den Migranten selbst auch nicht gewünscht, die ihre (Volker Kauder [CDU/CSU]: Beschäftigen eigene Kultur leben wollen – nach den gesetzwidrigen Sie sich mal mit dem Grundgesetz!) Regeln der Scharia. Jedes weitere Anwachsen ihrer kul- turellen Blase bestärkt sie nur darin. Aggressive Macho- Mit denselben Aufwendungen, die hier vonnöten sind, kultur schon in den Schulklassen, aufgegebene Stadttei- kann eine vielfache Menge Hilfsbedürftiger vor Ort (B) le, Vergewaltigungen, Morde – aber die Regierung setzt (D) versorgt werden. Die Ärmsten reisen nicht. So viel zur knallhart Ethikkurse dagegen. heuchlerischen Berufung auf das C. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Sie hat massenhaft archaische, frauenfeindliche Ge- Den Unterstützern der offenen Grenzen geht es um walttäter ins Land geholt – ohne Not –, aber immerhin den Umbau der einheimischen Bevölkerung durch jed- doch auch Fachkräfte importiert: für Messerattacken. wede Zuwanderung samt entsprechenden Konsequenzen Abschiebungen, meine Damen und Herren, retten auch für die Wahlbevölkerung. Die UN-Umsiedlungspläne, Leben. Resettlement von Afrika nach Europa, de facto nach Deutschland, hat Frau Merkel, die Kanzlerin der Auslän- (Beifall bei der AfD) der, der Union in das Parteiprogramm geschrieben. Gewaltbereite Ausländer, für die Frau Merkel sofort (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der Partei ergriff, bedrängen deutsche Bedürftige an den CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tafeln – im Land, in dem wir gut und gerne leben. Der DIE GRÜNEN) Berliner SPD-Innensenator sagt: „Deutschenfeindlich- keit“ gibt es „durchaus öfter“ – im Land, in dem wir gut Dem dient die Duldung des massenhaften Identitätsbe- und gerne leben. Ein Staatsanwalt sagt: Der Rechtsstaat trugs durch weggeworfene und gefälschte Pässe. Dem hat sich aufgegeben. Ein Schulleiter sagt: Wir sind auf dient die bewusste Fehlbezeichnung „Flüchtling“ für dem Weg ins Mittelalter. – Angegrapschte Frauen hören: Sozialmigranten. Mit der Eigenschaft „Flüchtling“ kann „Wenn du das nicht willst, musst du Kopftuch tragen“ – man nicht herumreisen. Man hat sie nur bei Übertritt aus im Land, in dem man gut und gerne lebt, als Ausländer. dem Fluchtland. Dem dient die Bemäntelung der völli- gen Unmachbarkeit dieser Völkerverschiebung, wenn für (Beifall bei der AfD) die sogenannte Integration nicht erwerbsfähiger Perso- Langsam genug davon? Nicht für unsere Wei- nen jährlich über 50 Milliarden Euro veruntreut werden. ter-so-Regierung. Sie will Migration nicht bekämpfen, Das ist Diebstahl am deutschen Volk. Das zerstört unsere nur steuern. Sie hat bereits den Verlust des inneren Frie- Heimat. dens auf dem Gewissen. Ist das „Schaden vom deutschen (Beifall bei der AfD – [SPD]: Volk wenden“? Gehört so jemand auf die Regierungs- Was ist in Ihrem Leben schiefgelaufen?) bank? Wir sagen: Doch wohl eher auf die Anklagebank. Die Willkommenskultur ist für Heinrich August (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Winkler eine „Selbstgefälligkeit“ deutscher Narzissten, [CDU/CSU]: Gut, dass Sie das nicht entschei- 1746 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Dr. Gottfried Curio (A) den, sondern die Mehrheit in Deutschland! – die AfD dabei? Fehlanzeige! Den ganzen Tag waren Sie (C) Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht da. Warum? Weil es um Sacharbeit ging und weil NEN]: Ekelhaftes Zeug!) keine Kameras anwesend waren. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Nächster Redner ist der Kollege Benjamin Strasser, GRÜNEN) FDP. Ich würde hier in Grund und Boden versinken, wenn ich (Beifall bei der FDP) solche Anträge stellen würde. Dennoch blasen Sie hier die Backen auf und belehren uns. Das ist peinlich. Benjamin Strasser (FDP): (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und NEN]: Lächerlich!) Kollegen! Den Antrag der AfD-Fraktion habe ich jetzt wirklich mehrfach inhaltlich gelesen, und ich muss eines Wir stehen vor großen Herausforderungen, auch was feststellen: Sie haben eine Meinung – das sind wir ja auch diese Frage angeht – zweifelsfrei. Jetzt kann man auf ver- nicht immer gewohnt –; Sie haben aber leider gar keine schiedene Weise darauf reagieren. Man kann mit klein- Ahnung von der geltenden Rechtslage in Deutschland. staatlichem Denken reagieren, wie es beispielsweise eine bayerische Regionalpartei im anstehenden Landtags- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wahlkampf macht, die Vorschläge aus der Mottenkiste der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und hervorholt und eine bayerische Grenzpolizei fordert. Ich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) habe für meine Fraktion nachgefragt, was das Bundesin- Es wird in Ihrem Antrag munter mit Gesetzesnormen aus nenministerium – die CSU stellt ja den Bundesinnenmi- dem Asyl- und Aufenthaltsgesetz um sich geworfen. Das nister – von dieser Idee hält. Wir stellen fest: Ihr Minis- Problem ist nur: Sie zitieren in Ihrem Antrag ausgerech- terium in Berlin musste aus der Presse davon erfahren. net Gesetze, die von deutschen Gerichten ganz anders Es lobt die gute bisherige Zusammenarbeit zwischen ausgelegt werden, als Sie das wollen. Bundespolizei und bayerischer Landespolizei, und man behält sich vor, gegebenenfalls Bundespolizisten abzu- Ein Beispiel: Sie berufen sich auf § 26a Absatz 2 des ziehen. Das ist sicher keine Lösung. Asylgesetzes und behaupten, Österreich sei ein siche- rer Drittstaat im Sinne des Asylgesetzes und deswegen Wir können diese Frage nicht deutsch, sondern nur eu- könnten wir zurückweisen. Ihnen ist dabei völlig egal, ropäisch lösen. Darum geht es heute doch auch wirklich: dass es einen Anwendungsvorrang europäischen Rechts um unsere Haltung zu Europa. Meine Generation will (B) gibt – hier ganz konkret die Dublin-III-Verordnung – und keine kleingeistige Abschottung in Europa. Wir wollen (D) dass dadurch ebendieser § 26a Absatz 2 seine praktische ein Europa, in dem uns Grenzen nicht trennen, sondern Wirkung weitgehend verloren hat. vereinen. Wir wollen ein Europa der Freizügigkeit für Menschen und für Waren. Sie rufen immer, Dublin III gelte nicht; Frau Weidel (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat hier gerade munter von Rechtsbruch gesprochen. Le- der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und sen Sie doch einmal die „NVwZ“ 2017, Seite 1625. Dort des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Juli 2017 abgedruckt. Dieses Urteil stellt relativ schlicht Sie von der AfD reagieren auf die Herausforderungen fest – ich zitiere das Bundesverwaltungsgericht –: dieser Zeit mit Angst – und wir mit Stärke. Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind we- (Beifall bei der FDP – Lachen bei der AfD) gen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts Wir wollen die Aufwertung von Frontex. Wir wollen si- nicht „sichere Drittstaaten“ iSv § 29 I Nr. 3 AsylG chere Außengrenzen. Wir wollen ein deutsches Einwan- iVm § 26 a II AsylG, Art. 16 a II GG ... derungsgesetz. Sie von der AfD halten von Gerichten und Rechtspre- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Mit Nichtstun chungen offensichtlich immer nur dann etwas, wenn es in wie immer!) Ihre Abschottungsfantasien passt. Und wir wollen ein gemeinsames europäisches Asyl- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten recht – bei dem die AfD bisher jegliche Mitarbeit ver- der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und weigert hat. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja!) Das ist entlarvend hinsichtlich Ihres Bildes, was den Rechtsstaat hier in Deutschland angeht. Schengen ist für uns nicht tot. Schengen ist „the pulse of Europe“. Aber jetzt könnte man ja meinen: Wenn die AfD mit dem Unions-, sprich: dem Europarecht, nicht zufrieden (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Da sind die ist, setzt sie sich dafür ein, dass es auf europäischer Ebe- Ungarn ganz begeistert!) ne geändert wird. Im Januar dieses Jahres trafen sich Vielen herzlichen Dank. Parlamentarier aller nationalen Parlamente in Brüssel. Ich war für die FDP-Fraktion dabei. Es waren andere (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus dabei. War der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1747

Benjamin Strasser (A) DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland Es verpfichtet Deutschland sogar dazu, Asylanträge (C) [AfD]: Erzählen Sie das mal den Polen und sorgfältig zu prüfen. den Ungarn! Die sind ganz begeistert!) Da kann ich wieder nur sagen: Lesen Sie die Aufsät- ze vom UN-Flüchtlingskommissar, lesen Sie die Urteile Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: vom Europäischen Gerichtshof, und hören Sie endlich Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Frak- auf, hier immer wieder Ihren völkischen Unsinn breit- tion Die Linke. zutreten! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] – Abg. Dr. Götz Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frömming [AfD] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Curio hat hier eben wieder sehr deutlich gezeigt, wie man von- seiten der AfD hetzt, wie man diffamiert Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Frau Kollegin Jelpke, gestatten Sie eine Zwischenfra- (Widerspruch bei der AfD) ge? und wie man im Grunde genommen jedes Thema, über das ernsthaft diskutiert werden müsste, umkrempelt, um Ulla Jelpke (DIE LINKE): hier entsprechend rassistische Stimmung zu machen. Nein, ich möchte meine Rede zu Ende halten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Die AfD kann natürlich fordern, dass das humanitä- GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) re Völkerrecht aufgekündigt wird. Aber was käme dabei heraus? Ich will das an einem Beispiel aus der letzten Der Antrag der AfD ist meiner Meinung nach dilet- Debatte zu diesem Antrag deutlich machen. In der ers- tantisch; das haben wir schon von einigen Kollegen ge- ten Lesung hat der AfD-Abgeordnete hört. Er ist ein einziger Verstoß gegen die Grundsätze ernsthaft auf das – vermeintliche – Vorbild Saudi-Ara- der Rechtsstaatlichkeit, und er ignoriert vor allen Dingen bien verwiesen. Dort werde ein Zaun rund um das Land komplett das europäische Recht. Freizügigkeit ist ein gebaut, also ginge das auch hier, so seine Aussage. Die hohes Gut innerhalb der Europäischen Union. Natürlich AfD empfehlt hier eine feudale islamische Diktatur als muss man das verteidigen. Vorbild für Deutschland. (B) (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) (D) Ich sage Ihnen: Sie wissen nicht einmal, was dieses Recht Das muss man sich mal reinziehen. Damit erweist sie bedeutet. Nach den EU-Richtlinien darf es Binnengrenz- sich einmal mehr als fundamentale Gegnerin von Rechts- kontrollen weitestgehend nicht geben. Nur in Ausnahme- staatlichkeit und demokratischen Grundsätzen. fällen dürfen Kontrollen durchgeführt werden; aber auf Dauer sind diese unzulässig. Lesen Sie die entsprechen- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den Ausführungen in den Richtlinien! neten der CDU/CSU und der SPD) Wie sollte es auch anders sein? Das einzige Ziel, das Unsere Antwort, die Antwort der Linken, ist eindeu- die AfD hier verfolgt, ist, Schutzsuchende an den Gren- tig: Solidarität mit Schutzsuchenden. Statt Abschottung zen abzuweisen, Schutzsuchende, die angeblich aus ei- und Bevormundung brauchen wir die Möglichkeit, dass nem sicheren Drittstaat einreisen. Auch hier gilt: Machen Schutzsuchende ihren Asylantrag in einem Land stellen Sie sich erst mal schlau! Denn es gehört eben nicht zu können, da, wo sie familiäre Verbindungen haben, da, wo den Befugnissen der Bundespolizei, zu entscheiden, wel- sie Sprachkenntnisse haben. Natürlich wissen auch wir, cher Asylsuchende in Deutschland antragsberechtigt ist. dass die Europäische Union es bis heute nicht geschafft Das regelt Europarecht, hat, dass Flüchtlinge in allen Ländern aufgenommen werden. Aber wenn ein Land nicht aufnimmt, muss es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gefälligst einen fnanziellen Ausgleich zahlen. konkret: die Dublin-Verordnung. Die Linke hat diese (Beifall bei der LINKEN) Dublin-Verordnung immer wieder wegen bürokratischer und füchtlingsfeindlicher Inhalte kritisiert. Es gibt allerdings auch Bereiche, für die Die Linke mehr Grenzkontrollen fordert. Das geht aber in eine ganz (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) andere Richtung. Wir wollen die Grenzen dicht haben für Außerdem ignoriert die AfD die Schutzgarantie der Rüstungsexporte. Genfer Flüchtlingskonvention, die übrigens weit über (Beifall bei der LINKEN) unser Grundrecht auf Asyl – dieses wurde ausgehöhlt – hinausgeht. Hier gilt das humanitäre Völkerrecht. Das Keine Polizeihilfe für Schurkenstaaten! verbietet zum Glück, Flüchtlinge pauschal an der Grenze abzuweisen. Herr Seif, Sie haben hier wieder so schön die Flucht- ursachen angesprochen. Jeden Tag schaffen Sie neue (Beifall bei der LINKEN) Fluchtursachen. Ich sage nur: Waffenlieferungen an die 1748 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Ulla Jelpke (A) Türkei. Ich sage nur: Welthandelspolitik, die Millionen eine Mauer bauen. Sie trauen sich nicht, die enormen (C) Menschen ins Elend treibt. Kosten eines solchen Anliegens zu benennen. Sie trauen sich auch nicht, zu sagen, was für ein unfassbares Poli- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) zeiaufgebot das zur Folge hätte. Sie trauen sich nicht, zu Deswegen ist es unsere verdammte Pficht hier, min- sagen, dass dafür Polizei aus anderen Bereichen abgezo- destens eine humane Flüchtlingspolitik umzusetzen und gen werden müsste. Sie trauen sich nicht, zu sagen, was schutzsuchende Menschen zu schützen. für enorme wirtschaftliche Einbußen das Abdichten der deutschen Grenze zur Folge hätte. Sie trauen sich auch (Beifall bei der LINKEN) nicht, zu sagen, dass man Ihre Forderungen nur dann umsetzen kann, wenn man im Zweifel auch bereit ist, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die Waffe auf Menschen zu richten. Und: Sie trauen sich Nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg, nicht, festzustellen, dass sich Deutschland durch so eine Bündnis 90/Die Grünen. Maßnahme mit einem Satz aus der Europäischen Union hinausbewegen würde. – Okay. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das überrascht auch nicht; denn Sie sind eine europa- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäs- feindliche Partei. te! Ich würde mich in diesem Haus wirklich sehr gern mehr darüber unterhalten, wie wir Europa besser, stärker, (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Was Sie alles solidarischer machen können, und weniger darüber, wie wissen!) wir sozusagen ein friedliches Bündnis mit einem Anlie- Uns ist das aber nicht egal. Wenn Sie an irgendei- gen sofort zunichtemachen können. ner Stelle einmal ehrlich über die Konsequenzen Ihrer (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- Forderungen debattieren würden, würde man sehen: Es NIS 90/DIE GRÜNEN]) gibt zahlreiche Gründe dafür, sich gegen dieses Anlie- gen zu stellen. So eine Maßnahme – auch das trauen Sie Das ist aber genau die Intention Ihres Antrags. Das An- sich nicht zu sagen – wäre nämlich niemals einseitig. liegen, lückenlose Grenzkontrollen einzuführen, ist eu- Sie glauben ja wohl nicht, dass man auf der einen Seite ropafeindlich. Es ist geschichtsvergessen. Wenn man dichtmachen kann und trotzdem alle Vorzüge der Union nüchtern draufblickt, dann ist klar: Nicht das Agieren der genießen kann! Und das sage ich ausdrücklich für mei- Bundesregierung in den letzten Jahren ist staatsgefähr- ne Generation, die Ihnen ja scheinbar vollkommen egal (B) dend, sondern genau das, was Sie hier fordern. geworden ist, für diejenigen, deren selbstverständlichen (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kulturellen Austausch mit anderen Ländern, deren Stu- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und dien-, Job- und Lebensperspektiven und deren kulturelle der SPD) Freiheiten Sie mit diesem Anliegen fugs zerstören wür- den: Das lassen wir nicht zu! Dagegen stellen wir uns! Es ist eine maßlose Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler, im Übrigen auch Ihrer eigenen, wenn Sie sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mal die Mühe machen, Ihre absurden Forderun- sowie bei Abgeordneten der SPD) gen auch nur ansatzweise mit irgendwas zu unterfüttern. Die Personenfreizügigkeit – das muss man einfach in Mich überrascht das nicht; denn das ist ja Ihr Kalkül. dieser Deutlichkeit sagen – ist der praktische, alltägliche Ihnen reicht es, wenn lediglich eine Überschrift trans- Ausdruck eines friedlichen und auf Zusammenhalt be- portiert wird; denn genau da endet Ihr politischer Gestal- dachten Europas. tungswille: bei der Überschrift. Im Übrigen verhält sich das auch so mit dem Asyl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN recht. Es ist ja nicht durch Zufall in unsere Verfassung sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und gekommen, sondern aus historischer Verantwortung, aus der SPD) dem Bewusstsein, dass es Staaten gab – und darüber kön- Genau deshalb kann man sich mit Ihrem Antrag, egal nen wir froh sein –, die diejenigen Menschen, die sonst wie man ihn dreht und wendet – ich habe es häufger ge- dem Vernichtungskrieg der Nazis zum Opfer gefallen tan –, nicht sachlich auseinandersetzen. Er verharrt bei wären, aufgenommen haben. Dass wir diesen Anspruch einer Überschrift, und Sie selbst sind zu feige, auch nur heute hier hochhalten und weiter aufrechterhalten, ist einen Teil Ihrer Forderungen wenigstens ansatzweise zu eine Lehre, die wir aus der Geschichte gezogen haben. unterfüttern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen eine lückenlose Kontrolle der deutschen Aber von einer Partei, die von Schuldkult spricht, kann Grenze, auch der grünen Grenze; das steht ja explizit man wahrscheinlich nicht erwarten, dass sie diesen Zu- drin. sammenhang herstellt. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wie die ganze Welt das macht!) An die Adresse der Kollegen der AfD sage ich: Diese Welt, die Sie in Ihrem Antrag sehr bildhaft beschreiben, Sie trauen sich aber nicht, gleichzeitig zu sagen, dass dies existiert zum Glück nur in Ihrem beschränkten Weltbild. nur umgesetzt werden kann, wenn wir um Deutschland Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe und in einem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1749

Luise Amtsberg (A) Parlament arbeite, wo dieses Weltbild mehrheitlich nicht Personal noch besser arbeiten können. Und diese Arbeit (C) geteilt wird. zeigt Wirkung. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sinkt bekanntlich stetig, und für illegale Zuwanderer wird Herzlichen Dank. es zunehmend schwieriger, einen Weg in unser Land zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fnden. Es gibt also keinerlei Grund zur Panikmache. bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der FDP) Zu den Grenzschutzaktivitäten der Bundespolizei gehören eben nicht nur die sichtbaren Beamten an den Grenzübergängen. Die Bundespolizei hat zahlreiche ef- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fektive Kontrollmöglichkeiten. Und sie leistet, meine Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Josef Oster, sehr geehrten Damen und Herren, diese Grenzschutzauf- CDU/CSU, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundes- gabe, ohne zum Beispiel halb Bayern lahmzulegen. Eine tag. Vollkontrolle würde zwangsläufg zu endlosen Staus an (Beifall bei der CDU/CSU) unseren Grenzen führen. Darunter würde nicht zuletzt unsere Wirtschaft massiv leiden. Das kann keiner wollen. Josef Oster (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen ordneten der FDP) und Kollegen! Das Thema Grenzschutz ist gleicherma- ßen wichtig wie sensibel. Einerseits wollen und müssen Meine sehr geehrten Damen und Herren, um es klar wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen – und das zu sagen: Wir halten maßvolle Grenzkontrollen weiter- tun wir. hin für notwendig, und wir werden dafür sorgen, dass illegale Grenzübertritte weiterhin konsequent bekämpft (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD) werden. Andererseits streben wir aber ganz bestimmt keine De- (Lachen bei der AfD) batte über Zäune und Mauern in unserem Land an. Nur das kann Ihr Antrag in der Konsequenz ja bedeuten. Das bedeutet aber auch: Die Aufgaben und Herausfor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) derungen für unsere Polizei werden immer größer. Die- ser Entwicklung trägt unser Koalitionsvertrag Rechnung. Das wollen wir auch deshalb nicht, weil der Antrag Die Zahl der Polizisten in Deutschland wird noch einmal grundlegende Aspekte unseres Landes berührt. Es geht deutlich steigen. Insgesamt 15 000 zusätzliche Stellen um Freiheit, es geht um Sicherheit, und es geht um huma- bei den Sicherheitsbehörden, das ist ein klares Signal. (B) nitäre Verantwortung. Ich will, dass Deutschland auch in (D) Zukunft ein modernes und weltoffenes Land bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Nicht zuletzt werden die neuen AnkER-Zentren den Ab- lauf der Asylverfahren verändern und vor allem deutlich Dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, passen beschleunigen. gewiss keine fächendeckenden Grenzkontrollen. Frei- heit und Sicherheit gehören aber untrennbar zusammen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Bei- Natürlich muss ein Staat seine Grenzen bei Bedarf kon- spiele zeigen: Die Regierungskoalition setzt bei der in- trollieren; und genau das geschieht ja aktuell auch. neren Sicherheit die richtigen Schwerpunkte. Wir, die (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD) Union, stehen für ein Höchstmaß an Sicherheit ebenso wie für Freiheit und humanitäre Verantwortung. Aber dies muss in einem Europa der offenen Grenzen im- mer ein Ausnahmefall bleiben. Vielen Dank. Der Antrag berührt aber auch den Aspekt der humani- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tären Verantwortung. Menschen in akuter Not zu helfen, ordneten der SPD) gehört für mich zum Selbstverständnis unseres Landes, jetzt und auch in Zukunft. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Hess, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- AfD, zu einer Zwischenbemerkung. SES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorlie- Martin Hess (AfD): gende Antrag erweckt den Eindruck, als herrsche an un- seren Grenzen das blanke Chaos und als gäbe es kaum Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lindh, ich bin Kontrollen. Das ist völliger Unsinn, und das ist falsch. schon einigermaßen erstaunt, wie realitätsfern Ihre Aus- sagen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) Unsere Bundespolizei, der ich ausdrücklich danke, leistet Lassen Sie sich von einem Polizeihauptkommissar bitte aktuell beste Arbeit, und sie wird in Zukunft mit mehr einmal sagen, wie die Lage an den deutschen Grenzen ist. 1750 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Herr Kollege Hess, eben hat der Kollege Oster gespro- Herr Kollege Hess, Zwischenbemerkungen sind Zwi- chen. Der Kollege Lindh spricht erst als nächster Redner. schenbemerkungen und keine Reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Martin Hess (AfD): Dann korrigiere ich mich selbstverständlich und bitte, Solche Beiträge dauern normalerweise vier Minuten. das zu entschuldigen. – Herr Oster, trotzdem bleibt na- Ihre Redezeit war jetzt fast schon so lang wie die einer türlich die Grundaussage bestehen. Lassen Sie sich bitte normalen Rede. von mir sagen, wie die Lage wirklich ist. Wenn Sie eine (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Person an einer Grenze tatsächlich kontrollieren wollen, NEN], an die AfD gewandt: Wenn er kei- dann brauchen Sie Identitätspapiere. Wenn Sie die nicht ne gekriegt hat bei euch, dann muss er doch haben, dann können Sie nicht kontrollieren, dann können jetzt keine Zwischenfrage stellen! – Luise Sie dort nur erfassen. Und genau das ist die Lage, die Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: derzeit an der deutschen Grenze besteht, insbesondere im Wo es ja so wichtig ist!) Hinblick auf die sogenannten Flüchtlinge. Die überwie- gende Mehrzahl dieser Personen kommt ohne Papiere. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis. – Herr Kollege Dort kann eine Überprüfung des Backgrounds überhaupt Oster, Sie können antworten, wenn Sie mögen. nicht stattfnden.

Frau Kollegin Amtsberg, Sie hatten ja gesagt, wir wür- Josef Oster (CDU/CSU): den das nicht mit Fakten unterfüttern. Ich habe Fakten für Sie, was das für unsere Sicherheitslage im Land bedeutet: Der Kollege ist ja damit in sein Statement eingestie- Die Zahl der islamistischen Gefährder betrug im Janu- gen, dass er mir die Lage in Deutschland erklären wollte. ar 2015 noch 266. Wir haben jetzt 750 islamistische Ge- Ich glaube, dass ich ganz bestimmt keinen AfD-Kollegen fährder im Land, bei denen unsere Sicherheitsbehörden brauche, der mir die Lage in Deutschland erklärt. davon ausgehen, dass diese Terroranschläge im Inland (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- begehen werden. Die Zahl der islamistischen Terrorver- wie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Bernd fahren betrug im Jahr 2015 106. Jetzt haben wir 1 031 Baumann [AfD]: Wie überheblich ist das islamistische Terrorverfahren. Die Zahl hat sich also ver- denn? – Dr. Alice Weidel [AfD]: Unfassbar! zehnfacht. Jetzt lassen Sie mich sagen, was das bedeu- Sie werden sich noch wundern!) (B) tet: Was ich eben dargestellt habe, ist eine inakzeptable (D) Gefährdung der Sicherheitslage unserer Bürger. Das ist Ich habe in meinen Ausführungen deutlich gemacht, nicht hinnehmbar. Genau deshalb haben wir ja diesen dass es, wenn man die Lage objektiv betrachtet, über- Antrag gestellt. haupt keinen Grund zur Panikmache gibt. (Beifall bei der AfD) (Widerspruch bei der AfD) Dazu kommt, dass auch die Kriminalitätsbelastung Dass die AfD jedes Mal versucht, hier Panik zu erzeu- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie gen, das haben wir jetzt schon oft genug erfahren. Aber lange redet er denn?) es gibt keinen Grund dafür. Die Bundespolizei – ich habe es gesagt – leistet gute Arbeit. Über 50 000 Aufgriffe sind durch die sogenannten Zuwanderer exorbitant höher ist im letzten Jahr an den Grenzen erfolgt. Das zeigt, dass als bei Deutschen. Wir haben dort die 10- bis 16-fache hier erfolgreich gearbeitet wird, und zwar in dem Sin- Kriminalitätsbelastung, insbesondere bei schweren De- ne, wie wir es hier geäußert haben. Also: Ganz gewiss likten wie Körperverletzungsdelikten, Gewaltdelikten, brauchen wir keine AfD, um uns Deutschland erklären Hoheitsdelikten, schweren Sexualdelikten, auch das ein- zu lassen. deutig die Sicherheitslage unserer Bürger massiv beein- trächtigend. Deswegen ist das nicht hinnehmbar. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- nicht akzeptabel. wie bei Abgeordneten der FDP) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Zeit ist durch! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Weidel [AfD]: Hören Sie zu! Der Mann ist Polizist! Der weiß, wovon er spricht! – Britta Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eine Reihe Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: von Wünschen zu weiteren Zwischenbemerkungen. Ich Hören Sie mal! Nur weil Sie keine Redezeit muss aber doch auf die Regeln unserer Geschäftsordnung gekriegt haben!) aufmerksam machen: Wir müssen unsere Grenzen endlich wieder so schützen, (Beifall des Abg. [CDU/ dass Personen ohne Identitätspapiere an der Grenze ab- CSU]) gewiesen werden, um die Sicherheitslage in Deutschland Man kann sich im Anschluss an einen Debattenbeitrag zu zu verbessern. einer Zwischenbemerkung melden. Der Redner, aber nur (Beifall bei der AfD) der Redner, kann darauf antworten. Das ist geschehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1751

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Jetzt kommt als nächster Redner der Kollege Helge ten beknien würden, damit sie endlich einmal europäi- (C) Lindh, SPD. sche Solidarität üben und Deutschland zur Seite stehen?

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nein, nichts davon tun Sie, sondern eine Besucher- Helge Lindh (SPD): gruppe von AfD-Bundestagsabgeordneten hofert den Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Na- Großmufti von Damaskus und Baschar al-Assad. Sie fra- mentliche Abstimmung hat die antragstellende Fraktion ternisieren mit Fluchtursachen, beantragt. Ich bin Ihnen ausdrücklich dafür dankbar. Ihr Kalkül ist natürlich durchschaubar: Sie wollen, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sich gerade die Abgeordneten der SPD- und der CDU/ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CSU-Fraktion sich öffentlich bekennen. Aber genau das wollen aber, dass wir Mauern aufbauen, Grenzen zuma- Umgekehrte ist der Fall: Wir zwingen Sie dazu, endlich chen, Asylrecht abbauen, und schwadronieren dann auch zu zeigen, ob Einzelne von Ihnen noch den Mumm ha- noch, dass wir uns doch um die Fluchtursachen kümmern ben, sich namentlich zu diesem freien demokratischen sollten. Wie scheinheilig und bigott kann man nur sein! und sicheren Deutschland, in dem wir leben, zu beken- nen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD, der FDP und dem GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Lindh, gestatten Sie eine Zwischenfrage Und nicht nur das: Ich bin Ihnen dankbar, weil wir des Kollegen von der AfD? so die Möglichkeit haben, uns zu vergewissern – das müssen wir auch –, dass diese freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der wir leben, keine Selbstverständ- Helge Lindh (SPD): lichkeit ist, dass wir um sie ringen müssen, dass sie kein Ich gestatte keine Zwischenfrage. Es tut Ihnen gut, Selbstläufer ist, dass Demokratie keine Zuschauerveran- einmal zuzuhören und nicht sich selbst zu hören. staltung ist und dass alle Alternativen zu diesem offenen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, freien Land, in dem wir leben dürfen, viel schlechter sind der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE als dies. (B) GRÜNEN) (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es ist so bigott – das sage ich Ihnen –, dass Gott sich DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heribert vor lauter Gottlosigkeit und Schaudern umdrehen würde. Hirte [CDU/CSU] und des Abg. [FDP]) (Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD) In einem Zwischenruf im Dezember sagte Herr In Ihrem Antrag malen Sie bestimmte Szenarien die- Gauland – ich zitiere –: ses Landes an die Wand, Wir haben den humanitären Ansatz: für unser Volk! (Zuruf von der AfD: Realität, keine Szenari- (Zuruf von der AfD) en!) Unser humanitärer Ansatz hier in diesem Hohen Szenarien des Ansturms auf die Grenzen. Ich kehre aber Hause lautet: Menschenrechte sind Menschenrechte, zur Wirklichkeit zurück, zu der Situation in diesem Land. Ein eingemauertes Land, wie Sie es sich wünschen, ist (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem eine eingepferchte Gesellschaft. In einer eingepferchten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Gesellschaft wächst nicht die Sicherheit, aber die Angst. geordneten der CDU/CSU und der FDP) Das weiß jeder, der Diktaturen beobachtet hat. Menschenrechte sind nicht völkisch, Menschenrechte haben keine Nationalität, Menschenrechte haben keine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Religion, Menschenrechte haben keine Hautfarbe. Das DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten liegt im Wort: Menschenrechte sind universal. Aber Gott der FDP und der LINKEN und des Abg. sei Dank haben wir hier noch die Wahl, zu entscheiden, Dr. [CDU/CSU]) in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Es ist so, dass Sie uns Zeit rauben, wenn Sie solche Meine Verwandten und Vorfahren, die jenseits des Ei- begrenzten Anträge stellen. Wie wäre es einmal, frage ich sernen Vorhangs lebten, hatten diese Möglichkeit nicht. mich, wenn Sie stattdessen mit uns zusammen nach Ceu- Ich habe noch in frühester Jugend den Grenzübertritt er- ta oder nach Griechenland zu den Betroffenen oder Ge- lebt, das Herzrasen, das Zittern. füchteten reisen würden oder wenn Sie sich mit ehren- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) amtlichen Helfern auseinandersetzen würden oder wenn Sie die Regierungen der Golfstaaten oder die von Ihnen Ich habe erlebt, wie sie über die Schrecken des Mauer- so geschätzten Regierungen in den osteuropäischen Staa- baus berichteten und wie sie schilderten, dass, bevor die 1752 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Helge Lindh (A) Mauer fel, Unfreiheit, Angst und Hoffnungslosigkeit nen nicht zu viel über diesen Mann, unseren neuen Bun- (C) dominierten. Nein, eine Festung Europa nach innen und desinnenminister, wenn ich sage, dass er hier keine Ruhe außen, ein eingemauertes Deutschland, eine eingepferch- geben wird. Die CSU wird bei diesem Thema keine Ruhe te Gesellschaft der Angst: Das alles wollen wir nicht, das geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. gibt es nicht – nicht mit uns. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Bernd Vielen Dank. Baumann [AfD]: Papiertiger! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Da sind wir aber sehr ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem spannt! – Jürgen Braun [AfD]: Wo ist er BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- denn?) geordneten der FDP und der LINKEN) Auch für die Koalition insgesamt gilt, dass wir uns Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auf ein striktes Bekenntnis zu Artikel 16a Grundgesetz Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzter Redner in geeinigt haben. Ich füge hinzu: Ein striktes Bekenntnis dieser Debatte ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/ zum Asylgrundrecht schließt die Dimension der Rechte, CSU. Ich darf Sie bitten, auch dem letzten Redner die die mit dem Asylgrundrecht einhergehen, ebenso ein wie volle Aufmerksamkeit zu schenken und Platz zu neh- die Grenzen, die dem Grundrecht immanent sind. men. Insbesondere den Kollegen im hinteren Bereich des (Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu Plenar­saals darf ich sagen: Wir haben für alle Kollegin- einer Zwischenfrage) nen und Kollegen im Deutschen Bundestag Sitzplätze. Also nehmen Sie bitte Platz. Wir werden alles tun, was notwendig ist, um diese Gren- zen einzuhalten. Jetzt erteile ich dem Kollegen Michael Kuffer das Wort. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Kuffer, ich bitte um Entschuldigung. Der Kollege möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Michael Kuffer (CDU/CSU): Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Michael Kuffer (CDU/CSU): Kollegen! Keine andere Partei in diesem Hause verfolgt Nein, danke. das Thema Grenzsicherung so intensiv wie die CSU. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) Beifall bei Abgeordneten der AfD) Bitte. (D) Wir haben in Bayern lange vor der Flüchtlingskrise aus den Erkenntnissen der vorübergehenden Grenzkontrollen Michael Kuffer (CDU/CSU): anlässlich des G-7-Gipfels weitreichende Konsequenzen Wir werden dazu die Sicherheitsbehörden mit gezogen. 15 000 zusätzlichen Stellen verstärken. Wir werden zü- gig die Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungs- (Jürgen Braun [AfD]: Wo ist denn Herr zentren in Betrieb nehmen. Seehofer?) (Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben die Schleierfahndung massiv ausgebaut, mit GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- dem Erfolg, dass wir im ersten Halbjahr 2017 Zehntau- ge) sende Aufgriffe durch die Polizei hatten. Die CSU hat bereits vor drei Jahren erkannt, dass wir bis auf Weiteres Insgesamt sieht man, dass die Maßnahmen, die in den wieder auf das Instrument der Binnengrenzkontrollen zu- letzten Jahren getroffen und auf Initiative der Union ins rückgreifen müssen. Werk gesetzt worden sind, Erfolg haben. ( [CDU/CSU]: Genau! So ist es!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Kuffer, darf ich Sie fragen, ob Sie gene- Wir haben deshalb im September 2015 die Binnengrenz- rell keine Zwischenfragen zulassen? kontrollen auf Bundesebene wieder eingeführt, die die Bundespolizei mit Unterstützung der bayerischen Polizei (CDU/CSU): erfolgreich durchführt. Michael Kuffer Nein, generell nicht. Ich will das jetzt zu Ende führen. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Genau! Die einen reden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir handeln!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie wissen, dass Bayern mit der geplanten Einführung einer bayerischen Grenzpolizei einen deutlichen Schritt Generell keine Zwischenfragen. Gut. weiter gehen wird. Sie haben den Bundesinnenminister gehört, der bereits in der vergangenen Woche deutlich Michael Kuffer (CDU/CSU): gemacht hat, wohin die Reise bei der Aufenthaltsbeendi- Die Bundespolizei konnte im Jahr 2017 dank der gung und beim Grenzschutz gehen wird. Ich verrate Ih- Grenzkontrollen über 12 000 Zurückweisungen vorneh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1753

Michael Kuffer (A) men und nebenbei Tausende von Straftaten feststellen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) und Aufgriffe realisieren. Damit schließe ich die Aussprache. An die Adresse der AfD will ich sagen: Sie unterlie- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- gen einer naiven Vorstellung – wie so oft –, wenn Sie empfehlung des Innenausschusses zum Antrag der AfD glauben, dass es die eine Maßnahme gibt. So funktioniert mit dem Titel „Umfassende Grenzkontrollen sofort ein- Sicherheitspolitik nicht. führen – Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzüber- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die tritt“. quatschen nur, die handeln nicht!) Dazu liegen mir Erklärungen nach § 31 der Ge- Eine gute Sicherheitspolitik bedeutet das Ineinander- schäftsordnung vor.1) greifen einer Vielzahl von gezielten Maßnahmen, die Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- tagesaktuell und lageangepasst eingesetzt werden kön- lung auf Drucksache 19/862, den Antrag der Fraktion der nen. Dazu ist die Bundespolizei in der Lage; sie macht AfD auf Drucksache 19/41 abzulehnen. Wir stimmen auf das hervorragend. Wir stehen wie keine andere Partei für Verlangen der Fraktion der AfD über die Beschlussemp- Grenzsicherung. Aber es ist doch geradezu eine kind- fehlung namentlich ab. Weil es am Anfang der Debatte lich-naive Vorstellung, dass man im Jahr 2018 Grenzsi- Missverständnisse gegeben hat, weise ich ausdrücklich cherung betreiben kann, in dem man Polizisten durchs darauf hin, dass über die Beschlussempfehlung des In- Unterholz schickt, um im Wald Zäune aufzubauen, nenausschusses abgestimmt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Luise Amtsberg Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be- Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD]) setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim- mung über die Beschlussempfehlung. im Zeitalter von Drohnen, Wärmebildkameras und Ähn- lichem. Glauben Sie denn wirklich, dass die 1 Million Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Menschen im Jahr 2015 und die 300 000 Menschen im Stimme abgeben möchte? – Haben jetzt alle Kolleginnen Jahr 2016 durchs Unterholz gekrochen sind? und Kollegen, die mitstimmen wollten, ihre Stimmkarten abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Ab- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Bernd stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Baumann [AfD]: Durch Grenzen, die Sie ge- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis öffnet haben!) der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) (B) (D) Nein, wir müssen die Polizei unterstützen, indem wir Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, damit ich den ihr effektive Werkzeuge an die Hand geben, die sie in nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. Abhängigkeit vom Lagebild einsetzen kann. Es muss Schluss sein mit der Schaufensterpolitik, die Sie immer (Unruhe) wieder betreiben, ohne einen Beitrag zur Lösung zu lie- – Ich würde gerne den nächsten Tagesordnungspunkt fern. aufrufen. Das setzt voraus, dass die Kolleginnen und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- Kollegen, die an der Debatte teilnehmen wollen, Platz nau!) nehmen und dass diejenigen, die nicht teilnehmen wol- len, die Gelegenheit nutzen, den Saal zu verlassen. Sie wollen Personal binden, das dann bei sinnvollen Maß- nahmen fehlt. Sie wollen sich von europäischem Recht Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 20 auf: verabschieden. Kein einziger der von Ihnen gemachten Vorschläge – sofern in Ihrem Schaufensterantrag über- Erste Beratung des von den Abgeordneten haupt welche enthalten sind – ist in der Praxis umsetzbar. Christian Lindner, Christian Dürr, Wolfgang Kubicki, Dr. Marco Buschmann und der Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggeset- Nach sechs Monaten wäre es langsam an der Zeit, dass zes 1995 die Lernkurve bei Ihnen zunimmt Drucksache 19/1038 (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Großversager!) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) und dass Sie bei so wichtigen Themen endlich einen Bei- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz trag leisten, der in der Praxis umsetzbar ist. Haushaltsausschuss Vielen Dank. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dagegen er- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- hebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. wie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 1) Anlagen 2 bis 4 NEN]) 2) Ergebnis Seite 1756 D 1754 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem insbesondere das Argument, (C) Kollegen Christian Dürr, FDP. (Dr. h. c. [CDU/CSU]: (Beifall bei der FDP) Genau andersherum!) wir hätten uns bei Jamaika nicht ausreichend durchge- Christian Dürr (FDP): setzt. Sie geben damit doch offziell preis, dass die Entlas- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und tung der Mitte der Gesellschaft nicht mehr das Anliegen Kollegen! Der Solidaritätszuschlag ist zur Finanzierung der CDU/CSU ist. Gut, dass es die Freien Demokraten der deutschen Einheit eingeführt worden. Im Jahr 2019 im Deutschen Bundestag gibt, liebe Kollegen der Union. läuft der Solidarpakt aus. Damit, meine Damen und Her- (Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Hans ren, entfällt auch der Grund für diese Sonderabgabe. Michelbach [CDU/CSU]: Das hätten Sie alles Konsequenterweise ist der Solidaritätszuschlag abzu- machen können mit uns! Geweigert haben Sie schaffen, um das in aller Klarheit am Anfang zu sagen. sich!) (Beifall bei der FDP) Ich will Ihnen noch einmal sagen, was das bedeutet. Die Argumentation heute lautet ja: Wir machen zwei Jah- Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler, hat in den re nach Auslaufen des Solidarpakts einen ersten Schritt. 1990er-Jahren gesagt: „Der Solidaritätszuschlag ist bis 90 Prozent der Zahler des Solidaritätszuschlags brauchen Ende 1999 endgültig weg.“ Dann kam eine rot-grüne ihn dann nicht mehr abzuführen. – Was bedeutet die Re- Bundesregierung. Man kann mit Fug und Recht sagen – gelung zum Solidaritätszuschlag, die Sie haben wollen auch vor dem Hintergrund der damaligen Finanzsituation und die im Koalitionsvertrag aufgegriffen worden ist? des Bundes –: Die Finanzierung der deutschen Einheit Sie bedeutet doch, dass Sie den kleinen und mittelstän- hat länger gedauert; machen wir uns an dieser Stelle dischen Unternehmen in Deutschland, den Familienun- nichts vor. Aber: Helmut Kohl hat mit seinen Worten kei- ternehmen, denjenigen, die während der Krisenjahre für nen Wahlkampf machen wollen. Es ging ihm nicht um die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Deutschland gesorgt politische Propaganda, sondern darum, ein politisches haben und die Sie in Sonntagsreden immer wieder dafür Versprechen einzulösen, ein Versprechen der deutschen loben, denjenigen, die sich aufmachen, die Digitalisie- Politik. Wir als Freie Demokraten fordern heute vom rung zu bewältigen und dafür Liquidität brauchen, um Deutschen Bundestag ein, genau dieses Versprechen ein- neue Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen, den Rü- zuhalten, meine Damen und Herren. cken zukehren, meine Damen und Herren der Union. An (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten diesen Unternehmen begehen Sie in Wahrheit den Verrat, und das ist der eigentliche Skandal in dieser Debatte. (B) der CDU/CSU) (D) (Beifall bei der FDP) Ich will direkt in Richtung der Kolleginnen und Kolle- gen der Union sagen: Verstecken Sie sich in dieser Frage Ich will zum Abschluss sagen: Ich habe die Debatten nicht hinter den Sozialdemokraten! in der Union in den letzten Jahren beobachtet – da ging es um die Abschaffung der Wehrpficht und die Ehe für (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ma- alle – und festgestellt, dass man zweifelt und sich fragt, chen wir nicht! – Dr. Volker Ullrich [CDU/ ob man eigentlich noch konservativ genug ist. CSU]: Keine Sorge!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! Das hat doch nicht die SPD in den Verhandlungen zur Das diskutieren wir nicht!) Bildung der Großen Koalition durchgesetzt. Das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, ist genau das, was die Ich halte diese Debatte für Quatsch. Ich glaube, das ist Union auch im Rahmen der Jamaika-Sondierungen für nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Union in unverhandelbar erklärt hat. Deutschland ihren ordnungspolitischen Kompass verlo- ren hat. Sie haben sich in Wahrheit vom Wohlstandsver- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: sprechen Ludwig Erhards verabschiedet. Nein, nein! Stimmt nicht!) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei Abge- Das ist genau das, was Sie wollten. ordneten der CDU/CSU – [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr Ernsthaftig- (Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Hans keit bitte!) Michelbach [CDU/CSU]: Sie waren ja gar nicht dabei!) Es geht in dieser Frage um die Glaubwürdigkeit deut- scher Politik. Deswegen sage ich auch aus strategischen – Sie wollen genau das, Herr Kollege! Gründen: Die Entscheidung über den Solidaritätszu- schlag kann der Deutsche Bundestag alleine fällen. Er (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: braucht dafür nicht die Länder. Verstecken Sie sich nicht Stimmt ja überhaupt nicht! Das ist die Un- hinter Ihrem Koalitionspartner! Verstecken Sie sich nicht wahrheit!) hinter den Landesregierungen! Nehmen Sie sich an der Die Argumentation ist ja spannend, Herr Kollege, Mittelstandsunion in Ihren eigenen Reihen ein Beispiel, die gerade fordert, dass der Soli für alle abgeschafft wer- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ich den muss! Es geht um politische Hygiene und um die war dabei!) Glaubwürdigkeit der deutschen Politik, um ein Verspre- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1755

Christian Dürr (A) chen, das Sie in den 90er-Jahren gegeben haben. Sie soll- Regierung die Verantwortung, haushaltspolitisch verant- (C) ten der Politik gerade an dieser Stelle wieder zur Glaub- wortungsvoll zu handeln. würdigkeit verhelfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Sie führen die Zahlen in Ihrem eigenen Gesetzentwurf (Beifall bei der FDP – [Hei- an: 20 Milliarden Euro pro Jahr würden ab dem Jahr 2020 delberg] [SPD]: Wie war das zwischen 2009 fehlen. Der zusätzliche fnanzielle Spielraum, den wir in und 2013?) dieser Legislaturperiode haben, liegt bei circa 45 Milli- arden Euro. Wenn Sie also bei einer vollständigen Ab- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schaffung des Solidaritätszuschlages 20 Milliarden Euro Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/ ab 2020 dem Haushalt entnähmen, würden Sie uns damit CSU. einen großen Teil des Spielraums nehmen. Wenn Sie kei- ne neuen Schulden machen wollen, bedeutet das: keine (Beifall bei der CDU/CSU) Stärkung der Familien, keine Investitionen in Infrastruk- tur, keine Stärkung des Wohnungsbaus, Olav Gutting (CDU/CSU): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In- nau!) nerhalb von 24 Stunden debattieren wir in diesem Haus schon zum zweiten Mal über die Abschaffung des Soli- kein Aufwuchs bei Polizei und innerer Sicherheit. Das ist daritätszuschlags. Allein das zeigt schon die Wichtigkeit die Wahrheit. dieses Themas. Wir haben gestern den Antrag der AfD Wir von der Union machen eine ausgeglichene, eine beraten, in dem die sofortige Abschaffung des Solida- seriöse Haushaltspolitik. ritätszuschlags ohne Einschränkungen gefordert wird. Diesen Antrag haben wir mit großer Mehrheit in diesem (Beifall bei der CDU/CSU) Haus abgelehnt. Heute beraten wir den Antrag der FDP, in dem ebenso die uneingeschränkte Aufhebung des So- Aus diesem Grund haben wir im Koalitionsvertrag lidaritätszuschlaggesetzes gefordert wird, allerdings erst vereinbart, dass wir den Ausstieg aus dem Solidaritätszu- mit Wirkung zum 1. Januar 2020. schlag ab dem Jahr 2021 in Schritten beginnen. Im ersten Schritt – Sie haben es gesagt – werden bereits 90 Pro- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für uns hat die zent der heutigen Solidaritätsbeitragszahler entlastet; sie Abschaffung des Solidaritätszuschlages absolute Priori- werden dann keinen Soli mehr bezahlen müssen. Das be- (B) tät. deutet 10 Milliarden Euro Entlastung auf einen Schlag (D) (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der und das Beibehalten von fnanziellen Spielräumen für FDP) Wohnungsbau, Kindergeld, Digitalisierung und innere Sicherheit. Sie haben recht: Es ist eine Frage der Hygiene im Steu- errecht. Es ist auch eine Frage der Rückgewinnung von

Vertrauen, wovon wir in den letzten Tagen viel gehört Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haben. Dazu gehört, dass wir eine Möglichkeit fnden Herr Kollege Gutting, der Kollege Dürr würde gerne müssen, damit die Erhebung des Solis schnellstmöglich eine Zwischenfrage stellen. ein Ende fndet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Olav Gutting (CDU/CSU): der FDP) Das darf er. Nach nunmehr fast 25 Jahren hat der Solidaritätszu- schlag tatsächlich sein Mindesthaltbarkeitsdatum er- Christian Dürr (FDP): reicht bzw. überschritten. Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege. – Sie haben gerade den Spielraum von 45 Milliarden Euro vor dem (Beifall des Abg. Christian Dürr [FDP]) Hintergrund der Versprechen, die die Große Koalition Das bedeutet aber nicht, dass der Osten kein Geld mehr im Koalitionsvertrag festgehalten hat, genannt. Nun be- bekommen wird. Das ist wichtig festzuhalten. Wir haben sagt die mittelfristige Finanzplanung des Bundes, dass noch Bundesmittel zum Beispiel aus der Gemeinschafts- in dieser Legislaturperiode mit Steuermehreinnahmen aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- von 80 Milliarden bis 90 Milliarden Euro zu rechnen ist. tur“, die überwiegend in die neuen Länder fießen. Unab- Das ist Geld, das zusätzlich erwirtschaftet wird, insbe- hängig davon ist es steuerpolitisch logische Konsequenz, sondere von den kleinen und mittleren Unternehmen. dass mit dem Auslaufen des Solidarpakts II, mit der Voll- Ich stelle mir die Frage, Herr Kollege: Bleibt angesichts endung der deutschen Einheit auch der Soli enden muss. eines so großen Umfangs an Steuermehreinnahmen die Ich denke, da sind wir uns einig. Antwort der Union, dass die Mitte der Gesellschaft nur mit 10 Milliarden Euro Entlastung abgespeist werden Jetzt kommen wir zu den Unterschieden. Sie sind Op- soll? Ist das am Ende Ihre Botschaft an den Mittelstand position, wir sind Regierung. Während man sich in der in Deutschland? Opposition offensichtlich überhaupt nicht um haushal- terische Gesichtspunkte scheren muss, haben wir in der (Beifall bei der FDP) 1756 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018

(A) Olav Gutting (CDU/CSU): wird. Dafür brauchen wir die Länder. Hier sollten Sie (C) Lieber Herr Kollege Dürr, Sie müssen nicht lange ste- mitmachen. Das wäre sinnvoll. hen bleiben; ich will Ihnen kurz antworten: Das ist der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unterschied zwischen Regierung und Opposition. Sie dürfen träumen, wir müssen uns an den Realitäten ori- Im Bund bleibt uns eigentlich nur der Solidaritätszu- entieren. schlag, an dem wir arbeiten können, um die Bürgerinnen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und Bürger zu entlasten; und genau das wollen wir. Wir ordneten der SPD) wollen die Menschen in diesem Land entlasten; aber der Rücken des Bundes ist nicht unendlich belastbar. Wir Ich sage Ihnen aber auch: Es hätte mir natürlich besser müssen darauf achten, dass wir haushaltspolitisch ver- gefallen, wenn wir zum Beispiel eine Freibetragslösung nünftig handeln. Wir können den Soli nicht 2020 auf ei- gewählt hätten, durch die der Soli dann schrittweise ab nen Schlag abschaffen. Wir wollen, dass das so schnell 2020/21 abgeschafft würde. Dadurch hätten alle Bei- wie möglich geschieht, aber so verantwortungsbewusst tragszahler von dem Ausstieg aus dem Solidaritätszu- wie nötig. schlag proftiert. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hät- te man mit der FDP machen können! Sie ha- Wir schreiben in dieser Legislaturperiode – das steht ben sich verweigert!) im Koalitionsvertrag, und das werden wir auch umset- zen – das Testament für den Soli und werden mit den Dass es nun so langsam geht und zudem mit einem Begräbnisvorbereitungen beginnen. Ungleichgewicht, dafür tragen auch Sie Verantwortung; (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Intensivstati- Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) on! – Christian Dürr [FDP]: Ihre Wiederbele- bung!) denn Sie haben sich der Regierungsverantwortung im Bund verweigert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir sind uns einig: Der Soli muss weg. Lediglich hinsichtlich des (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rich- Zeitraums der Abschaffung weichen unsere Auffassun- tig!) gen voneinander ab. Wir, die Union, haben die Verant- Das ist die Wahrheit. wortung angenommen, Sie nicht. Wir stehen für stabile Finanzen und für das Ende des Solis, aber eben auch für (Christian Dürr [FDP]: Der Punkt war doch einen ausgeglichenen Haushalt. Aus diesem Grund müs- (B) unverhandelbar!) sen wir Ihren Gesetzentwurf heute ablehnen. (D) Die FDP ist ja auch Mitglied mehrerer Landesregie- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Florian rungen, und die Länder leisten hier keinen Beitrag. Ich Toncar [FDP]: Sie haben doch gegen den Ko- habe sie hier einmal als 16 Geier bezeichnet und wur- alitionsvertrag gestimmt!) de dafür übel beschimpft. Aber richtig ist: Die Länder weigern sich seit Jahren, ihren Beitrag zu einer Einkom- mensteuerreform zu leisten. Immer wieder sind es die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Landesregierungen, in denen auch Sie sitzen, die ihren Ich kann Ihnen das von den Schriftführerinnen und Beitrag verweigern und gegen Steuermindereinnahmen Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen votieren. Statt hier unfnanzierbare Vorschläge zu unter- Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innen- breiten, wäre es sinnvoller, wenn Sie einmal Ihren Ein- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem fuss im Bundesrat nutzen würden, damit wir die Zustim- Titel „Umfassende Grenzkontrollen sofort einführen – mung für eine Einkommensteuerreform bekommen, Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt“, Drucksache 19/41 und Drucksache 19/862, mitteilen: Es (Christian Dürr [FDP]: Die die Union auch wurden 631 Stimmen abgegeben. Für die Beschlussemp- nicht verhandeln wollte!) fehlung haben gestimmt 544, mit Nein haben gestimmt mit der die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen 84, 3 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung des In- entlastet werden und der Mittelstandsbuckel abgebaut nenausschusses ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Michael Brand (Fulda) Abgegebene Stimmen: 631; Norbert Maria Altenkamp Dr. André Berghegger Dr. davon Melanie Bernstein Dr. ja: 544 nein: 84 enthalten: 3 Dorothee Bär Thomas Bareiß Ja Dr. CDU/CSU Dr. (Börde) Dr. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1757

(A) Alexander Dobrindt Dr. Stefan Kaufmann (C) Dr. Georg Nüßlein Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Michael Kießling Florian Oßner Michael Stübgen Dr. Josef Oster Dr. Peter Tauber Hermann Färber Dr. Hermann-Josef Tebroke Hans-Jürgen Thies Dr. Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Land) Carsten Körber Dr. Christoph Ploß Dr. Alexander Krauß Dr. Volker Ullrich Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Günter Krings (Hof) Rüdiger Kruse Michael Kuffer Alois Rainer Hans-Joachim Fuchtel Dr. Roy Kühne (Kleinsaara) Ingo Gädechens Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Johann David Wadephul Ulrich Lange Johannes Röring Dr. Dr. Norbert Röttgen Ursula Groden-Kranich Dr. h. c. Klaus-Dieter Gröhler Erwin Rüddel (Hamburg) Michael Grosse-Brömer Dr. Dr. Anja Weisgerber Markus Grübel Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Manfred Grund Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Fritz Güntzler Olav Gutting Dr. Annette Widmann-Mauz (B) (D) Bettina Margarethe Nikolas Löbel Dr. Wiesmann Dr. Christian Schmidt (Fürth) Elisabeth Winkelmeier- Jürgen Hardt Dr. Jan-Marco Luczak Patrick Schnieder Becker Nadine Schön Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Paul Ziemiak Dr. Thomas de Maizière (Weil am Dr. Dr. Rhein) (Chemnitz) SPD Mark Helfrich Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Dr. Ingrid Arndt-Brauer Dr. Dr. Dr. Heribert Hirte Dr. h. c. Hans Michelbach Björn Simon Dr. Alexander Hoffmann Dr. Katrin Staffer Dr. Dr. Karsten Möring Dr. Sören Bartol Dr. Wolfgang Stefnger Bärbel Bas Hans-Jürgen Irmer Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Gerd Müller Leni Breymaier Axel Müller Sebastian Steineke Dr. Karl-Heinz Brunner Sepp Müller Carsten Müller (Rostock) Marco Bülow (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Torbjörn Kartes Stefan Müller (Erlangen) Dr. Volker Kauder Bernhard Daldrup 1758 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018

(A) Dr. (C) Dr. Siemtje Möller Dr. Jens Zimmermann Bettina Müller Dr. h. c. Detlef Müller (Chemnitz) FDP Christian Sauter Dr. Michelle Müntefering Grigorios Aggelidis Dr. Dr. Rolf Mützenich Matthias Seestern-Pauly Yasmin Fahimi Christine Aschenberg- Dr. Johannes Fechner Dugnus Dr. Nicole Bauer Bettina Stark-Watzinger Dr. Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Benjamin Strasser Aydan Özoğuz (Rhein-Neckar) Angelika Glöckner Dr. Marco Buschmann Carl-Julius Cronenberg Michael Groß Britta Katharina Dassler Uli Grötsch Bijan Djir-Sarai Dr. Sönke Rix Christian Dürr Dr. Rita Hagl-Kehl René Röspel Dr. Johannes Vogel (Olpe) Dr. Daniel Föst Michael Roth (Heringen) (Peine) Bernd Rützel DIE LINKE Sarah Ryglewski Katrin Helling-Plahr Doris Achelwilm Gökay Akbulut Gustav Herzog Axel Schäfer (Bochum) Dr. Gabriele Hiller-Ohm Dr. Matthias W. Birkwald (B) Thomas Hitschler (D) Dr. Manuel Höferlin Dr. Dr. Christoph Hoffmann (Aachen) (Wetzlar) Birke Bull-Bischoff Johannes Kahrs (Erfurt) Jörg Cezanne Sevim Dağdelen Ulrich Kelber Dr. Manja Schüle Dr. Thomas L. Kemmerich (Spandau) Katharina Kloke Dr. Bärbel Kofer Dr. André Hahn Heike Hänsel Sonja Amalie Steffen Dr. Lukas Köhler Matthias Höhn Ulla Jelpke Christian Lange (Backnang) Wolfgang Kubicki Dr. Konstantin Kuhle Dr. Helge Lindh Katja Kipping Markus Töns Alexander Graf Lambsdorff Kirsten Lühmann Carsten Träger Marja-Liisa Völlers Christian Lindner Dirk Vöpel Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dr. Jürgen Martens Dr. Amira Mohamed Ali Gülistan Yüksel Alexander Müller Roman Müller-Böhm Norbert Müller (Potsdam) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1759

(A) Zaklin Nastic Dr. Bettina Hoffmann (C) Dr. Alexander S. Neu Dr. Dr. Birgit Malsack- Sören Pellmann Winkemann Jürgen Braun Tobias Pfüger Dr. Kirsten Kappert-Gonther Marcus Bühl Matthias Büttner Volker Münz Sebastian Münzenmaier Sven-Christian Kindler Eva-Maria Elisabeth Maria Klein-Schmeink Jan Ralf Nolte Schreiber Sylvia Kotting-Uhl Dr. Gottfried Curio Dr. Petra Sitte Helin Stephan Kühn (Dresden) Thomas Ehrhorn Tobias Matthias Peterka Renate Künast Berengar Elsner von Gronow Jürgen Pohl Markus Kurth Dr. Stephan Protschka Sven Lehmann Martin Erwin Renner Kathrin Vogler Dr. Götz Frömming Steff Lemke Dr. Alexander Gauland Roman Johannes Reusch Dr. Claudia Müller Dr. Ulrike Schielke-Ziesing Andreas Wagner Beate Müller-Gemmeke Albrecht Glaser Jörg Schneider Dr. Omid Nouripour Kay Gottschalk Sabine Zimmermann Armin-Paulus Hampel (Zwickau) Lisa Paus Dr. Dr. René Springer BÜNDNIS 90/ Tabea Rößner Beatrix von Storch DIE GRÜNEN Dr. Manuela Rottmann Dr. Alice Weidel Luise Amtsberg Corinna Rüffer Udo Theodor Hemmelgarn Dr. (B) Ulle Schauws Martin Hess Dr. (D) Dr. Dr. Heiko Heßenkemper Dr. Christian Wirth Dr. Dr. Stefan Schmidt Nicole Höchst Kordula Schulz-Asche FDP Dr. Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Dr. Kuhn Leif-Erik Holm (Lausitz) Dr. Ekin Deligöz Fabian Jacobi Fraktionslos Katja Dörner Jürgen Trittin Dr. Katharina Dröge Dr. Dr. Beate Walter-Rosenheimer Norbert Kleinwächter Enthalten Nein Jörn König CDU/CSU Katrin Göring-Eckardt Dr. Rainer Kraft AfD Rüdiger Lucassen Veronika Bellmann Dr. Bernd Baumann Britta Haßelmann Dr. Lothar Maier Klaus-Peter Willsch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Yasmin Fahimi (SPD): Yasmin Fahimi, die ihre erste Rede im Deutschen Bun- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- destag hält. nen und Kollegen! Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sprechen sich in Ihrem Gesetzentwurf für eine (Beifall bei der SPD) Entlastung der Steuerzahler aus. Das erscheint zunächst 1760 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Yasmin Fahimi (A) einmal unterstützenswert. Wenn man allerdings nicht der gen brauchen wir beides: die Entlastung kleiner Einkom- (C) Auffassung ist, dass nur ein armer Staat ein guter Staat men und die Finanzierung von Investitionen. ist, wie Sie das gerne betonen, (Beifall bei der SPD) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie tragen so Der eigentliche Clou in unserem Konzept besteht darin, sympathische Farben – und dann so eine lang- dass wir 50 Prozent der notwendigen Einnahmen behal- weilige Rede!) ten und trotzdem 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und dann ist diesem Entlastungsbedarf der Steuerzahler ein Steuerzahler entlasten. anderer Bedarf entgegenzustellen, nämlich der Bedarf an Jetzt kann man sich natürlich, wie Sie das tun, für all Investitionen, Daseinsvorsorge und Infrastruktur. Hier das nicht interessieren und sich lieber auf formal-juristi- muss man eine Balance herstellen, und dafür steht die schen Begründungen ausruhen. seriöse Haushaltspolitik der Sozialdemokratie. (Widerspruch des Abg. Dr. Marco (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeord- ­Buschmann [FDP]) neten der FDP) Sie stellen in Ihrem Gesetzentwurf ausschließlich und da- Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass in der Tat mit konstruiert einen Zusammenhang zwischen dem Soli ein Entlastungsbedarf besteht, aber nicht für alle und und dem Solidarpakt II her. Nur, liebe Kolleginnen und nicht für alle gleichermaßen. Das ist der Unterschied in Kollegen, wenn auf zwei Gläsern „Erdnussbuttercreme“ der Einsicht, der eine Sozialdemokratin von einem popu- steht, dann muss in beiden noch lange nicht dieselbe listischen Liberalen unterscheidet. Herr Lindner warnt: Erdnussbuttercreme enthalten sein. Der Solidarpakt ist „Der Soli ist das Paradebeispiel für eine schier unend- die Verabredung, den ostdeutschen Bundesländern be- liche Belastung.“ Das soll wohl ein lustiges Wortspiel sondere Finanzmittel zum Abbau teilungsbedingter Son- sein. Die Wahrheit aber ist: Die steuerliche Belastung derlasten durch den Länderfnanzausgleich zukommen von Spitzenverdienern in Deutschland ist auf einem his- zu lassen. Er ist aber nicht mit dem Solidaritätszuschlag torischen Tiefpunkt. Deswegen gibt es überhaupt keinen zu verwechseln, der von allen Steuerpfichtigen zu ent- Anlass, Spitzenverdiener weiter zu entlasten. richten ist und nicht zweckgebunden für den Aufbau Ost erhoben wird. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE] und Lisa Paus Da wir inzwischen in ganz Deutschland den Bedarf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Marco haben, Infrastrukturmaßnahmen in unseren struktur- Buschmann [FDP]: Lesen Sie auch einmal schwachen Regionen zu unterstützen, sagen wir: Wir (B) OECD-Statistiken? Nirgendwo ist die Belas- übernehmen Verantwortung für dieses Land. Statt an (D) tung des Mittelstandes so hoch!) die Zukunft des Landes zu denken, wollen Sie sich aber lieber hinter diesem Gesetzentwurf und unbestätigten Wir haben ein klares Ziel. Wir wollen Entlastungen Verfassungsbedenken verstecken. Das können wir nicht im Umfang von rund 10 Milliarden Euro sicherstellen, mittragen. Deswegen werden wir Ihrem Gesetzentwurf aber gezielt bei den Beziehern unterer Einkommen, und nicht zustimmen. zwar ohne harte Abbruchkante, also ohne dass zukünftig entsprechende Lohnsteigerungen bestraft werden. Das Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tun wir, indem wir eine Freigrenze mit Gleitzone einfüh- (Beifall bei der SPD) ren, weil das zu einer tatsächlich sinnvollen Verteilung der zukünftigen Solidarbeiträge auf die unterschiedlich breiten Schultern führt. Ein Durchschnittsverdiener mit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von Als Nächster spricht in der Debatte der Kollege Kay beispielsweise 34 000 Euro würde dann beim Solidari- Gottschalk von der AfD-Fraktion. tätszuschlag etwa 255 Euro einsparen. Das ist immerhin schon der Preis für ein schickes neues Kinderfahrrad zum (Beifall bei der AfD) Geburtstag. Das ist das, was für uns zählt. Kay Gottschalk (AfD): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Wir werden aber gleichzeitig 10 Milliarden Euro für not- Kollegen! Es ist erstaunlich – das bestätigt mir die ge- wendige Investitionen einnehmen. Wer will hier anzwei- samte Debatte; ich bin froh, dass die Menschen draußen feln, dass das nicht notwendig wäre? das hören können –: Ihr Gang durch die Hierarchieebe- nen hat nicht nur Ihr Rückgrat gequält, sondern Ihnen (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Es kann doch auch Ihren Realitätsbezug genommen. nicht nur der Staat investieren!) Frau Fahimi, haben Sie gestern eigentlich gehört, was Wir sprechen in diesem Haus über das Auseinan- ich gesagt habe? Sie haben hier gerade einen Durch- derfallen von Lebensverhältnissen und die notwendige schnittverdiener mit einem Jahreseinkommen in Höhe Umsetzung der digitalen Infrastruktur. Wir treffen selber von 34 000 Euro angeführt. Wissen Sie bei der Sozial- politische Entscheidungen über den notwendigen Struk- demokratie überhaupt noch, dass dieser Herr oder die- turwandel. Dann müssen wir ihn aber auch gestalten und se Dame mit dem 1,3-Fachen schon Spitzenverdiener die notwendigen Kompensationen bereitstellen. Deswe- ist, den Sie eigentlich gar nicht mehr im Fokus haben? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1761

Kay Gottschalk (A) Erklärt das vielleicht Ihre hundsmiserablen Ergebnisse? 38,4 Milliarden Euro. Der Staat erzielte im Jahr 2016 ei- (C) Das ist wahrscheinlich so. nen Überschuss in Höhe von 24 Milliarden Euro. (Beifall bei der AfD) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Eine tolle Leistung unserer Gesellschaft! Der Staat Sie, meine Damen und Herren von der FDP, betreiben sind wir alle!) hier eine Traumabewältigung der Koalitionsverhandlun- gen; ich komme gleich dazu. Glaubwürdigkeit können Der Staat erzielte im Jahr 2015 einen Überschuss in Höhe Sie hier mit Ihrer Begründung und Ihrer juristischen Ah- von 19 Milliarden Euro. nungslosigkeit – die unterstelle ich Ihnen nach der gestri- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Eine gen Diskussion – gar nicht an den Tag legen. hervorragende Leistung!) (Christian Dürr [FDP]: Da sind Sie der Rich- Ich höre jetzt mit den Überschüssen auf. Diese drei tige, Herr Kollege!) Zahlen belegen, dass der Überschuss schon über den Ich werde Ihnen das gleich beweisen. Spitzeneinnahmen des letzten Jahres in Höhe von 17,45 Milliarden Euro lag. Lieber Kollege Gutting von der CDU, was Sie hier betreiben, ist doch nichts anderes als Klientelpolitik und Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihr sogenanntes die fnanzielle Erfüllung der Wahlversprechen der SPD, liberales Herz hier pochen hörten, hätten Sie gestern un- damit Frau Merkel Kanzlerin bleibt. Mit Ihrer eigenen serem Antrag auf sofortige Abschaffung zustimmen müs- Auffassung hat das, was Sie hier machen, doch schon sen. Damit hätten Sie sich für ein Mittel zur strukturellen lange nichts mehr zu tun. Haushaltssanierung in diesem Hause entschieden – und nicht dafür, Wahlkampfversprechen umzusetzen und Kli- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- entelpolitik zu betreiben. NEN]: Kommen Sie mal wieder runter!) (Beifall bei der AfD) Kommen wir aber zu den Fakten. Keines Ihrer Argumente zieht. Sie haben dann tatsäch- (Michael Donth [CDU/CSU]: Endlich mal zu lich juristische Argumente angeführt. Verehrter Kollege den Fakten!) Herbrand, Sie wollten den Zusammenhang herstellen – Es hätte Ihnen gestern sehr gut angestanden, meine sehr damit haben Sie es auch unterbunden, uns zuzustim- verehrten Damen und Herren von der FDP, unserem An- men –, der Soli habe tatsächlich etwas mit dem Ende des trag zuzustimmen. Sie haben hier sehr verschwurbelte Solidarpakts II zu tun. (B) Argumente gebracht. Frau Fahimi hat sogar ein Argu- Wenn Sie die Legaldefnition von Steuern nicht ken- (D) ment gebracht, das ich gleich noch einmal ins Feld füh- nen, will ich Ihnen gerne Nachhilfe geben und von der ren werde. Seite der Bundesregierung zitieren: Warum ist das so? Bereits im Jahre 2011 haben wir so- Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag … zusagen den Break-even-Point der Finanzierung erreicht: Das Budget des Solidarpakts II und die Einnahmen aus – aktuell sind das rund 17,45 Milliarden Euro pro Jahr – dem Soli hielten sich mit 12,8 Milliarden zu 12,7 Milli- fießen ausschließlich dem Bund zu. Der „Soli“ arden Euro in etwa die Waage. Bereits im Jahr 2012 kam wird unbefristet erhoben. der Moment, an dem der Soli mehr Geld in die Bundes- kassen gespült hat, meine Damen und Herren, als für die Das haben wir diskutiert. Kosten gebraucht wurden. Die Bundesergänzungszuwei- So hat es das Bundesverfassungsgericht entschie- sungen, die Sie aus dem Korb I kennen und die bis 2019 den. Die Erhebung oder Änderung des Soli bedarf festgelegt worden sind, waren zu dem Zeitpunkt durch daher nicht der Zustimmung des Bundesrates. die Einnahmen schon deutlich überschritten. Der Kollege hat den Korb II genannt. Diesen Korb will ich hier gar … nicht anführen. Im Klartext: Seit 2012 ist der Soli ein In Deutschland Etikettenschwindel der besonderen Art, da der Bund seit diesem Zeitpunkt mehr Geld aus dem Soli einnimmt, als – das wissen Sie – er für den Solidarpakt aufwendet. gibt es keine zweckgebundene Steuer. Auch die Ein- Kommen wir nun aber zu den Einnahmen, die wir hat- nahmen aus dem Solidaritätszuschlag sind entgegen ten. Es sind im letzten Jahr 17,45 Milliarden Euro gewe- der weit verbreiteten Annahme sen. – offensichtlich auch bei Ihnen von der FDP – (Marianne Schieder [SPD]: Das ist eine … – etwa für den Ausbau der Infrastruktur – Milchmädchenrechnung!) zu verwenden. – Nein, das ist es nicht. (Marianne Schieder [SPD]: Deswegen ist Ihre Man muss dabei auch Folgendes berücksichtigen – Zurechnung ja eine Milchmädchenrechnung!) das kommt noch hinzu; daran sieht man, wie die FDP irrlichtert –: Der deutsche Staat erwirtschaftete im ver- Das heißt: Ihr Argument dafür, uns gestern nicht zu gangenen Jahr einen Haushaltsüberschuss in Höhe von folgen, zeigt recht deutlich, dass Sie hier nur, um billige 1762 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Kay Gottschalk (A) Scharmützel und Ihre Traumabewältigung mit der CDU Steuersenkungen für Besserverdienende. Ich fnde das ist (C) und den Grünen zu betreiben, wirklich zu viel, meine Damen und Herren. (Christian Dürr [FDP]: Sie sind nicht einmal (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- in der Lage, einen Gesetzentwurf rechtzeitig neten der SPD) vorzulegen!) Die AfD und die FDP wollen den Solidaritätszuschlag Entsprechendes aufgeführt haben, um unserem Antrag abschaffen. Das ist nicht verwunderlich. Denn für beide nicht zuzustimmen. Das entlarvt eigentlich, was Sie wol- Parteien ist ein starker Sozialstaat Teufelszeug. Ihr Man- len. tra lautet: Steuersenkung – koste es, was es wolle. Im Übrigen: Sie betrachten sich zwar als Innovations- partei. Vielleicht war aber der andere Grund, dass Sie Sie wollen einen schwachen Staat, weil Sie immer einfach zu faul waren, etwas Neues zu machen. noch glauben – insbesondere Sie von der FDP –, dass der Markt alles regeln könne. Können Sie sich denn (Zuruf des Abg. Dr. Marco Buschmann nicht zehn Jahre zurückerinnern? Dieser Irrglaube, diese [FDP]) Marktgläubigkeit, ist doch spätestens seit der Bankenkri- Was Sie heute hier einbringen, sollten Sie kennen; denn se 2008 gründlich widerlegt. es stand 2013 schon in Ihrem sogenannten Bürgerpro- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. gramm, mit dem Sie bei den Bundestagswahlen ja glor- Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) reich auf die Nase gesegelt sind. (Beifall bei der AfD) Die Banken haben Milliarden verzockt, und der Staat – also die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes – hat die Lassen Sie uns also lieber in der Föderalismuskom- Banken gerettet. Ich fnde, das darf sich auf keinen Fall mission eine grundlegende Änderung des Länderfnanz- wiederholen. ausgleichs herbeiführen sowie versteckte Steuern ab- bauen und entsprechend den Solidaritätszuschlag heute (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der abschaffen. AfD: Was hat denn das mit dem Soli zu tun?) Sie können nach wie vor unserem Antrag beispringen Die FDP behauptet nun, mit der Abschaffung des So- und Ihren Antrag ändern und umformulieren. lidaritätszuschlages wolle sie die Bürger entlasten. Doch (Christian Dürr [FDP]: Ihr Antrag ist viel zu welche Bürger meinen Sie? schlecht!) (Zuruf von der FDP: Alle!) (B) (D) – Doch, das könnten Sie tun, wenn Sie etwas gelernt hät- ten. Dann wären Sie glaubwürdig. Dann hätten Sie heute – Nein, Sie entlasten nicht alle. Ein Single muss mehr tatsächlich etwas für die Steuerzahler erreicht. als 1 500 Euro brutto im Monat und eine vierköpfge Fa- milie mehr als 4 000 Euro verdienen, um überhaupt den In einem stimme ich Ihnen zu. Für Ihre Klientel, die Soli zahlen zu müssen. Diese Menschen werden durch kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind wir die Abschaffung des Soli nicht entlastet. auch da. Den KMUs würde es helfen, wenn der Solida- ritätszuschlag heute abgeschafft würde und nicht erst in Was Sie wirklich wollen, meine lieben Kolleginnen 2019 oder, wie die Regierung es will, in 2021. und Kollegen von der FDP, ist: Sie wollen die Reichen – das reichste Zehntel – in unserem Land weiter entlasten. (Christian Dürr [FDP]: Sie wollten den Unter- nehmen vorhin den Freihandel verbieten! Das (Beifall bei der LINKEN – Christian Dürr ist doch der Punkt!) [FDP]: Das sind die kleinen und mittleren Un- Das sind hehre Versprechungen. Warten wir einmal ternehmen, Frau Kollegin!) ab, welche Flüchtlingskrise oder andere außergewöhnli- Das ist bekanntermaßen die Spezialität der FDP: Denen, che Belastung wieder dazwischenkommt, damit Sie hier die schon jetzt nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld, erneut Realitäts- und Vollzugsverweigerung betreiben, wollen Sie noch mehr Geld geben. sodass der Soli vielleicht noch in 2025 besteht. Ich bedanke mich, meine Damen und Herren. Ich dachte, Sie hätten aus der Mövenpick-Spende ge- lernt, die dazu geführt hat – falls es jemand vergessen (Beifall bei der AfD) haben sollte –, dass Sie damals in den Koalitionsver- handlungen die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hotelübernachtungen durchgesetzt haben. Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke (Christian Dürr [FDP]: Die Forderung der Dr. Gesine Lötzsch. Linkspartei in Bayern!) (Beifall bei der LINKEN) Ich dachte, Sie hätten aus dieser Mövenpick-Spende ge- lernt. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Christian Dürr [FDP]: Sie erinnern sich, was ren! Wir diskutieren heute schon den zweiten Tag über die Linkspartei in Bayern gefordert hat, ja?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1763

Dr. Gesine Lötzsch (A) Sie sind seitdem die Mövenpick-Partei, und ich denke, Herzlichen Dank. (C) die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sollten das (Beifall bei der LINKEN) nicht vergessen.

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Als Haushälterin muss ich mich auch wundern, dass Die nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus vom Sie mutwillig Lücken in den Haushalt reißen wollen, Bündnis 90/Die Grünen. ohne Ideen zu haben, wie Sie diese Lücken schließen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können. Denn nur auf eine brummende Konjunktur zu setzen, ist ziemlich fahrlässig, meine Damen und Herren. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, wir neten der SPD) reden jetzt zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden über die Abschaffung des Solis, und wir haben gelernt: Auch die Koalition will den Solidaritätszuschlag ab- Der Unterschied zwischen der AfD und der FDP besteht schaffen. Sie lässt sich aber etwas mehr Zeit dafür. Ich in 365 Tagen. Die FDP möchte den Soli ein Jahr später glaube, an dieser Stelle müssen wir auf den Kardinal- abschaffen. fehler des Koalitionsvertrages zu sprechen kommen, der durch die Abschaffung des Solis noch verstärkt wird: Sie Gestern habe ich erläutert, warum die Abschaffung waren wieder nicht bereit, eine wirklich gerechte Steu- aus Sicht der AfD durchaus sinnvoll ist: Sie verschärft erreform durchzuführen. Das ist aber die eigentliche die soziale Schiefage und den Investitionsstau in diesem Aufgabe, vor der dieses Land steht, meine Damen und Lande. Das ist zwar schlecht für Deutschland, aber es ist Herren. natürlich Wasser auf Ihre populistischen Mühlen, und da- rauf kommt es Ihnen an. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 45 Deutsche besitzen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Das kann doch nicht Es stellt sich aber die Frage, warum die FDP dabei gerecht sein. So kann sich ein Land nicht gut entwickeln, mitmacht. Warum macht sie sich jetzt selber so klein und und hier muss man ansetzen. zum Steigbügelhalter der AfD? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sind doch Ich habe den Eindruck, Sie können einfach nicht anders. (B) mit dem Versprechen einer Vermögensteuer und der For- (Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP] (D) derung nach mehr Gerechtigkeit in den Wahlkampf gezo- meldet sich zu einer Zwischenfrage) gen. Das ist heute leider alles vergessen. – Ich mache heute weiter. Anders die Bundeskanzlerin: Sie hat den sogenannten Familienunternehmen im Wahlkampf versprochen, dass (Zuruf von der FDP: Schade!) es keine Vermögensteuer geben wird. Punktsieg für die Die neue FDP ist schlichtweg die alte FDP. So einfach ist Kanzlerin – wieder einmal. An dieser Stelle muss man das. Sie sind die Partei der Klientelpolitik. für die Öffentlichkeit eines sagen: „Familienunterneh- men“ ist ein niedliches Wort. In anderen Ländern nennen (Zuruf von der FDP: Und was sind Sie dann?) wir sie „Oligarchen“, und das trifft es viel besser. Es gibt vielleicht einen Unterschied: Die Möven- pick-Steuer hat 2009 nur 1 Milliarde Euro gekostet; mit (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der diesem Antrag aber wollen Sie – und damit wollten Sie CDU/CSU): Ui, ui, ui! – Lisa Paus [BÜND- uns auch in den Jamaika-Verhandlungen erpressen – Ih- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland zum Bei- rer Klientel der Reichen und Besserverdienenden ein spiel!) 20-Milliarden-Euro-Steuergeschenk machen. Ohne eine wirklich gerechte Steuerreform werden wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Land auch keine gerechte Gesundheitspolitik, und bei der LINKEN) keine gerechte Arbeitsmarktpolitik und keine gerechte Rentenpolitik erreichen können. Am Dienstag beschwerte sich Herr Lindner – ich habe es gehört –, manche täten so, als wenn nur die Geissens (Christian Dürr [FDP]: Haben Sie das ernst dieser Welt gerettet werden sollten, und dass nur die von gemeint, Frau Lötzsch?) der Abschaffung des Soli proftieren würden, stimme ja Meine Damen und Herren, wir haben gegenwärtig nicht. – Dann nehmen wir doch einmal die Geissens: Wie Haushaltsüberschüsse. Wir haben die Möglichkeit, in stark würden sie denn proftieren, wenn sie ihren Wohn- Solidarität zu investieren. Dafür steht Die Linke: für ein sitz in Deutschland hätten? solidarisches und soziales Land. Nun, es ist ganz einfach: Nach Aussage des „Vermö- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Für die genMagazins“ haben die Geissens zurzeit ein normales Vergesellschaftung von Privateigentum!) Einkommen in Höhe von 2 Millionen Euro im Jahr. Bei diesem Einkommen müssten sie in der Tat 50 000 Euro Dafür kämpfen wir. weniger Steuern im Jahr zahlen, wenn wir Ihrem Vor- 1764 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Lisa Paus (A) schlag folgten und den Soli abschafften. Schauen wir kleinen Unternehmen zahlen Einkommensteu- (C) einmal, was eine Familie ebenfalls mit zwei Kindern und er, Frau Kollegin!) einem Jahreseinkommen in Höhe von 50 000 Euro von – Ich habe die Zahlen zur Körperschaftsteuer genannt. der Abschaffung des Soli hätte. Diese Familie proftierte null Euro von einer solchen Abschaffung. Genau das ist (Christian Dürr [FDP]: Ja, zur Körperschaft- das Problem. steuer, aber nicht zur Einkommensteuer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtig ist – ein versöhnliches Ende –: Die FDP und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die CDU/CSU stehen bei der Bevölkerung tatsächlich im Wort – das hatten Sie angesprochen –, weil sie unter Die Wahrheit ist: Die FDP will den 20 Prozent Deutschen, Helmut Kohl das Versprechen abgegeben hatten, dass es die am besten verdienen, 80 Prozent der Entlastung zu- den Soli nur zeitlich befristet geben soll. schustern. Sie verkaufen das auch noch als Wohltat für das ganze Land. Hören Sie endlich auf, die deutsche Be- völkerung für dumm zu verkaufen! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kollegen Gottschalk? bei der SPD und der LINKEN) Ich habe noch einen Tipp für Sie von der kleinen Gro- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ko. Sie könnten Ihren missglückten Start korrigieren, Ich komme zum Schluss. – Aber genauso richtig ist, wenn Sie, statt den Soli um 10 Milliarden Euro abzu- dass nach zwölf Jahren Regierung Merkel die unteren senken, mit dem Geld den Hartz-IV-Regelsatz nur um 40 Prozent der Bevölkerung nach Abzug der Infation 50 Euro erhöhen würden. Damit würden Sie zeigen, dass heute weniger Geld haben als damals. Dafür tragen Sie Sie in der Armutsdebatte wirklich etwas verstanden ha- ebenfalls Verantwortung. ben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und bei der LINKEN) Deshalb darf es keine – wie auch immer herumgedoktert Die FDP trägt nun hilfsweise vor, die Soliabschaffung wird – gänzliche Abschaffung des Soli geben. Was wir sei wichtig, damit die Unternehmen die dringend nöti- brauchen, ist ein Gesamtpaket mit einer fairen Reform gen Investitionen in die Digitalisierung machen könnten. der Einkommensteuer, einer Entlastung von Abgaben Ich appelliere an Sie: Wenn Sie als Partei weiterhin ernst und Steuern zugunsten der Bezieher kleiner und mittle- (B) genommen werden wollen, dann sollten Sie nicht jede rer Einkommen und einem höheren Spitzensteuersatz ab (D) Woche eine andere Steuersenkung mit der Digitalisie- 100 000 Euro statt wie bisher schon ab 55 000 Euro. rung begründen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Letztes Mal war von einer Sonder-AfA die Rede. In die- Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ser Woche ist es der Soli. Sie sollten sich entscheiden. Im ich jetzt das Wort dem Kollegen Sebastian Brehm von Übrigen braucht eine erfolgreiche Digitalisierungsstrate- der CDU/CSU-Fraktion. gie mehr als ein Füllhorn von Steuersenkungen der FDP. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Sebastian Brehm (CDU/CSU): Ich habe mir die Zahlen genau angeschaut und will Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sie Ihnen nicht vorenthalten. Die Gewinne der Kapital- erinnere mich noch genau an den 17. Juni 1988. Es war gesellschaften in Deutschland beliefen sich im vergan- damals der Tag der Deutschen Einheit. Die Junge Union genen Jahr auf 550 Milliarden Euro. Die ausgeschütteten warb mit einem Infostand in meiner Heimatstadt Nürn- Gewinne im letzten Jahr wurden auf 350 Milliarden Euro berg für die Wiedervereinigung unseres Landes. Fast alle beziffert. Der gezahlte Soli auf die zu entrichtende Kör- Parteien hatten zu diesem Zeitpunkt das Ziel der Wieder- perschaftsteuer belief sich auf ganze 2 Milliarden Euro. vereinigung Deutschlands bereits aufgegeben. Ein Jahr später, 1989, fel die Mauer, und 1990 war Deutschland (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sozial- wiedervereint. Die Wiedervereinigung war und ist ein ausgaben: 918 Milliarden Euro!) Glücksfall für unser Land. Wie der Wegfall dieser 2 Milliarden Euro den Investiti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- onsschub bringen soll, können selbst Sie angesichts der ordneten der FDP) anderen Zahlen nicht begründen. Gerade in einer Diskussion wie der heutigen ist es Zeit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denjenigen Danke zu sagen, die mit ihrem Solidarbeitrag und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht haben. der SPD – Christian Dürr [FDP]: Die meisten Wir können stolz sein auf die Bürgerinnen und Bürger Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1765

Sebastian Brehm (A) unseres Landes, übrigens auch auf die Mittelständler in jetzt auch bitte denjenigen, die die Verantwortung über- (C) unserem Land. Sie sind das Rückgrat der Gesellschaft, nommen haben: CDU, CSU und SPD. liebe Kollegin Lötzsch, und keine Oligarchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Natürlich ist es auch unser Ziel, mit dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 den Prozess der Abschaffung Diese Leistung entspricht den Grundprinzipien der des Solidarzuschlags unmissverständlich einzuleiten; da sozialen Marktwirtschaft. Jeder trägt seiner Leistungsfä- sind wir uns, glaube ich, alle einig. higkeit entsprechend Verantwortung für unser Land, ver- bunden mit der Verpfichtung einer umsichtigen Haus- Mit der Abschaffung des Solis bekommen insbeson- halts- und Finanzpolitik. dere die kleineren und mittleren Einkommen, die Mitte, die Sie erwähnt haben, aber eben leider keine Entlastung. Diese Grundprinzipien der umsichtigen Haushalts- und Wie Sie sicherlich wissen, greift der Soli bei einer Fami- Finanzpolitik leiten uns auch hier bei dieser Diskussion. lie – Eltern verheiratet, zwei Kinder, Steuerklasse III – Schon in der gestrigen Debatte über den Antrag der erst bei einem Bruttoeinkommen von 51 852 Euro. Sie AfD zur Verfassungsmäßigkeit des Solis haben wir betrifft eben nicht die Mitte der Gesellschaft, wie Sie es hinnehmen müssen, dass der Grundgedanke der solida- erwähnen, sie betrifft nicht die Krankenschwester, nicht rischen Bürgergesellschaft, die Besteuerung nach der den Polizisten, nicht die Kindergärtnerin, übrigens aber Leistungsfähigkeit, zugunsten von alternativen Fakten auch nicht den Handwerker und den von Ihnen erwähn- und falschen Darstellungen der Lebenswirklichkeit auf- ten Kleinunternehmer. gegeben wurde. Der Kollege Gottschalk hat es ja heute (Michael Theurer [FDP]: Doch, die Personen- auch noch einmal bewiesen. gesellschaften!) Herr Gottschalk, Sie sprachen vorhin von Ahnungs- Sind Sie der Meinung, liebe Kolleginnen und Kolle- losigkeit. Der Kollege Glaser von der AfD hat gestern gen der AfD und der FDP, dass die gerade Erwähnten erwähnt, dass Lesen bildet; er bezog sich dabei auf den keine Leistungsträger unserer Gesellschaft sind? Verdie- Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerich- nen nicht auch sie eine Entlastung durch unsere Steuer- tes. Aber ich glaube, er hat ihn nicht gelesen; denn das, gesetzgebung? Ich glaube, schon. was er wiedergegeben hat, war völlig falsch und ent- spricht nicht der Rechtslage des heutigen Steuerrechts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt!) Uns als CDU und CSU geht es um einen gesamtwirt- (B) schaftlichen klugen Ansatz, mit Investitionen in unsere (D) Deswegen muss man das hier korrigieren. So viel zum Zukunft. Wir wollen eine ausgewogene Politik und Ent- Thema „Wahrheit und Ahnungslosigkeit“, wie Sie es er- lastungen für alle Bürgerinnen und Bürger in unserem wähnt haben, Herr Gottschalk. Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der FDP) (Marianne Schieder [SPD]: Jawohl!) Der Soli ist auch weiterhin verfassungskonform. Deswegen war es uns als CDU und CSU wichtig, aus Überzeugung das eine, nämlich die Abschaffung des So- Auch Ihre Antragstellung – die vollständige Abschaf- lidaritätszuschlags, einzuleiten, und das andere, die Ent- fung des Solidaritätszuschlags ab dem 1. Januar 2020 –, lastung der kleineren und mittleren Einkommen, eben liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, basiert allein nicht sein zu lassen. Im ersten Schritt kommt es zu einer auf politischem Kalkül, und Sie wissen das. Auf 20 Mil- Entlastung von rund 90 Prozent aller Zahler des Solida- liarden Euro auf einen Schlag zu verzichten, ohne Ge- ritätszuschlags. genfnanzierung und ohne dass wir die Dinge angehen, die wir angehen müssen: Damit riskieren Sie die Errei- (Marianne Schieder [SPD]: Das ist gut so!) chung des Ziels des ausgeglichenen Haushalts. Das ist Wir geben damit über 10 Milliarden Euro an die Bürge- kein gutes Signal für die neue, für die junge Generation rinnen und Bürger zurück. Das ist eine der größten Steu- in unserem Land. erentlastungen in den letzten Jahren hier in der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- republik Deutschland. ordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie hätten Mit dieser stufenweisen Abschaffung des Solidari- Ihren Beitrag im Rahmen von Jamaika ja leisten können. tätszuschlags haben wir einen wichtigen Handlungs- Doch anstatt die Probleme für die Bürgerinnen und Bür- spielraum für zukunftsgerichtete Politik: Erhöhung des ger in unserem Land anzugehen, haben Sie hingeschmis- Kindergelds und des Kinderfreibetrags, Einführung einer sen. Das ist doch die Wahrheit. vielschichtigen Förderung von Wohneigentum – Stich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wort: Baukindergeld, Grunderwerbsteuer –, 7 Milliarden Euro für bessere Bildungschancen und Digitalisierung, Das ist zu einfach: erst hinschmeißen und dann kritisie- ren. Sie haben Angst gehabt, zu handeln. Sie haben Angst (Marianne Schieder [SPD]: Sehr gut! Ist ja gehabt vor der Verantwortung. Dann überlassen Sie es auch eine neue Regierung!) 1766 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Sebastian Brehm (A) notwendige Investitionen in die Infrastruktur, steuerli- denn Geringverdiener sind vom Solidaritätszuschlag so- (C) che Anreize für Existenzgründer, Innovations- und For- wieso nicht betroffen. Wir tun das, nicht die Opposition, schungsförderung für den Mittelstand, Abmilderung der nicht die FDP, die schon mal gar nicht. Das hätte sie bis kalten Progression – immer mit der festen Zusage, einen 2013 machen können; Herr Gutting hat darauf hingewie- ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzu- sen. Wir machen das, und das ist wichtig. Eines machen legen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein wuch- wir nicht: Wir entlasten nicht diejenigen mit hohen und tiges Programm. höchsten Einkommen. Das wollen Sie. Wir wollen das nicht. Das ist ein Unterschied. Ich bin sehr froh, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dieser Unterschied heute deutlich wird. Wir haben nichts ordneten der SPD – Yasmin Fahimi [SPD]: dagegen – im Gegenteil. Haben wir gut gemacht!) Aber zu einer zukunftsfähigen Politik gehört auch, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. dass wir schon jetzt den zweiten Schritt mitdenken, das Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) heißt eine defnitive Zeitplanung für die komplette Ab- Klar ist: Wenn einer einen Vorschlag macht, dann be- schaffung des Solidaritätszuschlags für alle Einkommen, ginnt ein Wettlauf nach dem Motto: Wer entlastet denn auch für Kapitalgesellschaften. am schnellsten? – Dementsprechend hat die AfD gestern (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da den Staffelstab für heute an die FDP übergeben. Ich weiß, muss aber noch was bei herumkommen!) dass das der FDP irgendwie peinlich ist; und ich fnde: zu Recht. Darüber werden wir sprechen, und ich glaube, auch darü- ber werden wir eine Einigung fnden. Ich möchte drei Punkte aus dem Gesetzentwurf der FDP ansprechen. Leistung muss sich in unserem Land wieder lohnen, Erstens. Sie nennen die fehlende Legitimation und (Lachen bei Abgeordneten der FDP) stellen nur einen direkten Zusammenhang zwischen Soli- aber mit Vernunft und Augenmaß und mit einem fnan- daritätszuschlag und Solidarpakt her. Das ist aber falsch. ziell stabilen Gesamtrahmen. So wollen wir die Dinge Der Solidarpakt ist der Finanzrahmen für Aufbauleistun- anpacken. gen in Ostdeutschland gewesen. Der Solidaritätszuschlag kann zwar deshalb nicht unverändert bleiben – das bleibt Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. er ja auch nicht –, aber er ist eine Steuer zur Finanzierung (Beifall bei der CDU/CSU) besonders schwieriger Aufgaben des Staates. Er läuft nicht aus, wenn besondere Herausforderungen weiterhin (B) bestehen; und das ist der Fall. (D) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Kollege Bernhard Daldrup von der SPD-Fraktion. Zweitens. Sie prognostizieren Verfassungswidrigkeit (Beifall bei der SPD) für den Fall der Fortsetzung des Soli. Was die AfD ges- tern fälschlicherweise für die Vergangenheit festgestellt Bernhard Daldrup (SPD): hat, das stellen Sie sozusagen schon jetzt für die Zukunft Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- fest. Etwas weniger Hybris wäre gut; denn Fraktionen legen! Wir haben uns bereits in der letzten Wahlperiode mögen ihre Meinung haben, aber über Verfassungswid- über die Frage unterhalten, was wir in dieser Wahlperi- rigkeit entscheiden sie nicht. ode mit dem Solidaritätszuschlag machen werden, wenn (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der der Solidarpakt ab 2019 ausläuft. Mit anderen Worten: Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Debatte ist eigentlich nicht neu. Neu ist die Art und NEN]) Weise, wie zwei Fraktionen hier miteinander streiten und sich kabbeln. Drittens. Jetzt komme ich zum Kern. Sie sagen, die Vollendung der deutschen Einheit als Begründung des Wir haben uns nach der Bundestagswahl mit der CDU/ Solidaritätszuschlages sei mit dem Auslaufen des So- CSU auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, und zwar un- lidarpaktes eindeutig erreicht worden. Das ist, glaube ter Verzicht auf Winken vom Balkon. Das Ergebnis lau- ich, sogar besonders falsch. Die Finanzierungsnotwen- tet: Wir schaffen den Soli ab 2021 mit einem Volumen digkeit für den Solidarpakt mag entfallen, die Aufgabe von zunächst 10 Milliarden Euro für breite Schichten der bedauerlicherweise nicht. Sie stellt sich sogar neu: Die Bevölkerung – nicht nur für ein bestimmtes Klientel – ab. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Wir werden 90 Prozent aller Soli-Zahler vollständig vom Deutschland verlangt von Staat und Gesellschaft beson- Solidaritätszuschlag befreien; das wurde hier schon vor- dere fnanzielle Anstrengungen. Das betrifft mittlerwei- getragen. Die entsprechenden Zahlenbeispiele wurden le leider nicht nur den Osten, sondern auch andere Re- heute und gestern wiederholt genannt; ich muss sie nicht gionen, und zwar nicht nach Himmelsrichtung, sondern noch einmal darstellen. nach Bedürftigkeit, und die gibt es leider auch in Teilen Wir tun etwas für die Menschen in der Mitte der Ge- der alten Bundesländer. Ich empfehle Ihnen einen Blick sellschaft; in den Raumordnungsbericht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1767

Bernhard Daldrup (A) Es gibt Marktversagen in diesem Land. Das erfordert Überweisungsvorschlag: (C) staatliches Handeln und besondere fnanzielle Aktivitä- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ten, wenn Sie gleichwertige Lebensverhältnisse errei- Ausschuss für Wirtschaft und Energie chen wollen. Wir wollen sie. Wir werden dieses Verfas- Ausschuss für Arbeit und Soziales sungsziel hier im Parlament, in der Kommission und im Ausschuss mit besonderen Maßnahmen verfolgen, bei- Interfraktionell sind 38 Minuten für diese Debatte ver- spielsweise durch Hilfen bei Altschulden oder mit einem einbart. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der gesamtdeutschen Fördersystem für Wachstum und Inno- Fall. Dann ist das so beschlossen. vation. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen. Überdies Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle- entlasten wir – im Gegensatz zu Ihnen – die Bezieher von gen, die jetzt nicht mehr teilnehmen möchten, den Raum kleinen und mittleren Einkommen durch Milliardenpro- zu verlassen, und die anderen, sich hinzusetzen. gramme für Bildung, Infrastruktur, Kindergeld usw. Das alles ist hier dargestellt worden. Und das, meine Damen Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Die Lin- und Herren, ist eine sehr begründete Form von Solidari- ke erteile ich das Wort der Kollegin Doris Achelwilm. tät, die dem Gedanken des sozialen Rechtsstaats, unseres (Beifall bei der LINKEN) Grundgesetzes entspricht. (Beifall bei der SPD) Doris Achelwilm (DIE LINKE): Darauf müssten wir verzichten, wenn wir jetzt, wie die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und FDP das fordert, die Steuern für hohe Einkommen sen- Kollegen! In Spanien haben in diesem Jahr am Interna- ken würden. Aber das tun wir nicht. Und Sie, meine Da- tionalen Frauentag 5 Millionen Frauen gestreikt. Unter men und Herren von der FDP, tun das auch nicht; denn dem Motto „Ohne uns steht die Welt still!“ Sie sind Opposition, und das soll so bleiben, und das ist (Beifall bei der LINKEN) auch gut so. – Applaus; das sehe ich auch so – legten Erzieherinnen, Herzlichen Dank. Journalistinnen, Verkäuferinnen und viele mehr ihre Ar- beit nieder. Ich kann dazu nur gratulieren und wünsche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mir, dass sich dieser Widerstand gegen ungleiche Ent- der CDU/CSU) geltstrukturen auch in Deutschland formiert.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN) Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord- Gerade hier in Deutschland ist die Lohnlücke im eu- (B) nungspunkt. ropäischen Vergleich besonders eklatant. Der deutsche (D) Niedriglohnsektor beruht zu wesentlichen Teilen auf Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Lohndiskriminierung gegenüber Frauen. Im Zurückdrän- wurfs auf Drucksache 19/1038 an die in der Tagesord- gen der Agenda 2010 liegt also ein zentraler Hebel zur nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Verbesserung der Lage. anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der LINKEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 sowie Zusatz- Dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent punkt 4 auf: weniger Lohn beziehen als Männer, ist solide nachgewie- sen. Der Equal Pay Day verbildlicht diese Zahl. Seit vie- 21. Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris len Jahren schließt sich die Einkommensschere kaum bis Achelwilm, Cornelia Möhring, Dr. Petra Sitte, gar nicht, und dieses Problem ist keine Frage alternativer weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Statistiken, sondern politisches Versagen. LINKE (Beifall bei der LINKEN) Lohndiskriminierung von Frauen beenden – Equal Pay durchsetzen Die Abwertung der Arbeit von Frauen fängt bereits bei der durchweg niedrigeren Honorierung sozialer Arbeit an Drucksache 19/1005 und drückt sich auch in der ungleichen Verteilung von Überweisungsvorschlag: bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten zwischen den Ge- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) schlechtern aus. Diese gravierende ungeklärte Gerechtig- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz keitslücke verschärft Armutslagen, und das weit über das Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Erwerbsleben der unmittelbar Betroffenen hinaus. Mit dem Eintritt ins Rentenalter wird aus der Lohnlücke von ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle 21 Prozent eine Rentenlücke von über 50 Prozent. Al- Schauws, Beate Müller-Gemmeke, Katja Dörner, tersarmut trifft vorwiegend Frauen, mit einer Härte, die weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- tatsächlich unerträglich ist. Was ist daran fair? Überhaupt NIS 90/DIE GRÜNEN nichts! Entgeltdiskriminierung verhindern – Ver- (Beifall bei der LINKEN) bandsklagerecht einführen Trotz dieser eindeutigen Befunde erleben wir, wie Drucksache 19/1192 massiv der Lohnunterschied zwischen Männern und 1768 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Doris Achelwilm (A) Frauen als Scheindebatte oder weibliches Selbstver- Vielen Dank. (C) schulden abgetan wird. Von Mythenbildung ist die Rede oder von der Realitätsferne des sogenannten schwachen (Beifall bei der LINKEN) Geschlechts – da haben wir es wieder! –, und zu jedem Beispiel geschlechtsspezifscher Diskriminierung gibt es Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eingespielte, oft zynische Abwehrargumente. Dabei ist es doch so: Frauen und die von ihnen besonders geprägten Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Groden- Berufe werden in etlichen Bereichen strukturell benach- Kranich von der CDU/CSU-Fraktion. teiligt und zurückgesetzt, eben weil sie Frauen bzw. weil (Beifall bei der CDU/CSU) es Frauenberufe sind, und ich bin diese Logiken überaus leid. Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Wir haben das Jahr 2018. Gleicher Lohn für gleiche Kollegen! Liebe Gäste! Ich freue mich, dass bei dieser und gleichwertige Arbeit müsste selbstverständlich sein, Debatte ganz viele junge Menschen anwesend sind, weil ist es aber nicht. Die Bundesregierung antwortete da- es auch ihre Zukunft betrifft. rauf in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Ent- gelttransparenzgesetz. Dieses Gesetz, das umfassender Das Thema Entgelttransparenz begleitet uns seit vie- geplant war, wurde im Zuge der Beratungen weitgehend len Jahren und mich selbst, seit ich dem Deutschen Bun- durchlöchert und unwirksam gemacht. Es schafft indivi- destag angehöre. Wir haben im letzten Jahr das Gesetz duelle Klagemöglichkeiten und dürftige Auskunftsrech- zur Entgelttransparenz verabschiedet. Das war den Wirt- te, und das in Betrieben ab 200 Beschäftigten. Es ist ein schaftsverbänden, wie erwartet, natürlich alles zu viel, Gesetz, das keine Sanktionen vorsieht und zwei Drittel und den Frauenverbänden natürlich viel zu wenig. Die aller Frauen von vornherein ausschließt. So, werte Kolle- Wahrheit liegt, wie immer, in der Mitte. Im Übrigen ist ginnen und Kollegen von SPD und Union, arbeitet man das Gesetz erst seit letztem Sommer in Kraft, und der völlig an der Realität der Menschen vorbei. individuelle Auskunftsanspruch gilt erst seit Anfang Ja- nuar. Also lassen wir dem Gesetz auch ein wenig Zeit, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle um überhaupt erst einmal dort zu wirken, wofür es vor- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gesehen ist. Die erforderlichen Schritte liegen auf der Hand; un- Das Anliegen an sich – gleicher Lohn für gleiche Ar- ser Antrag fasst sie zusammen: Wir brauchen einen Aus- beit – ist ungebrochen wichtig. Die Debatte dreht sich (B) kunftsanspruch unabhängig von der Größe des Betriebs. aber – so haben wir es auch gerade wieder gehört – eher (D) Wir brauchen die Einführung von Geldbußen, um Fälle im Kreis; denn die im Antrag der Linken vorgebrachten von Entgeltdiskriminierung wirksam zu ahnden, und die Argumente sind zum großen Teil nichts anderes als alter Einführung eines Verbandsklagerechtes, damit Betroffe- Wein in neuen Schläuchen. Jede Ungleichheit beim Lohn ne einen effektiven Rechtsschutz bekommen. wird als direkte oder zumindest strukturelle Diskriminie- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das rung gesehen. Es werden vor allem mehr Berichtspfich- ist wichtig!) ten, Prüfungen und Klagerechte gefordert. Aber Frauen nur als Opfer zu sehen und Unternehmen nur als die Bö- Es ist absurd, zu glauben, dass ein Individualklagerecht sen, bringt uns kein bisschen weiter. gegen kollektive Benachteiligung Berge versetzen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie uns genauer hinschauen und klügere Lö- In diesem Sinne wollen wir auch die Antidiskriminie- sungen entwickeln. Die Gründe für das Lohngefälle rungsstellen, Betriebs- und Personalräte, die Frauenbe- zwischen Männern und Frauen sind vielschichtig und auftragten und Gewerkschaften stärken, um endlich vo- größtenteils bekannt: die Berufswahl, die Unternehmens- ranzukommen. Tatsächlich schützt Tarifbindung gerade größe, die Erfahrung, der Stundenumfang, die Position, Frauen etwa im Bereich der Pfege, wo die Mehrzahl der Flexibilität, aber auch – das gilt auch für den öffentlichen Beschäftigungsverhältnisse keiner unmittelbaren Tarif- Dienst – die Eingruppierung. Daher gibt es auch einen bindung unterliegt. Hier wäre es ein wichtiger Schritt, breiten Konsens, dass viele dieser Ursachen auch viele dafür zu sorgen, dass wir dahin kommen, Tarifverträge Ansätze zur Behebung benötigen. für allgemeinverbindlich zu erklären. So schwer ist das nicht. Das neue Entgelttransparenzgesetz kann, selbst wenn (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir verschiedene Parameter verschärfen würden, immer neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nur ein Steinchen im Mosaik „Lohngerechtigkeit“ sein. Viele Maßnahmen setzen leider erst ein, wenn das Kind Meine Damen und Herren, ich sage es zum Abschluss schon in den Brunnen gefallen ist, auch die aus dem noch einmal: Die 21 Prozent Lohnunterschied müssen vorliegenden Antrag der Linken: so bei berufstätigen verschwinden. In diesem Sinne unterstützen ich und mei- Frauen, die zu spät merken, dass andere Berufe, andere ne Fraktion alle Frauen und Männer, die sich jetzt gerade Firmengrößen, andere Karrierewege höhere Einkommen vor dem Brandenburger Tor versammeln und dafür ein- ermöglicht hätten, und bei berufstätigen Müttern, wenn treten, dass diese Zahl zum Schmelzen gebracht wird. sich ergab, dass der Mann der Hauptverdiener ist, der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1769

Ursula Groden-Kranich (A) Vollzeitarbeiter, und generell derjenige ist, der sich ums altem Wein in alten Schläuchen, und ich frage Sie: Sind (C) Geld kümmert – diese Erklärungen nicht genau das? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN]: Darum geht es gar nicht!) eine Haltung, die ich mit großer Sorge auch bei vielen Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): jungen Frauen heute wieder beobachte. Aber das müsste Das ist die Einfachheit der Welt, wie sie sich Die Lin- nicht sein. ke gerne zu eigen macht. Nein, es ist eben nicht so, und Sie haben mich extra nicht verstehen wollen. Mein Petitum ist daher: Wir müssen schon bei den Mädchen anfangen, und zwar ab der Grundschule. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geht nur über die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Erzieherinnen und Erzieher. Die Lohnlücke Jungen Mädchen zu sagen, was sie machen sollen und schließen wir auch, wenn wir Frauen stärken, sich f- weshalb sie sich beklagen sollen, ist das eine. Aber wir nanziell unabhängig zu machen, wenn wir sie stärken, müssen sie auch stark machen. Dafür werben wir. Wir selbst Karriere zu machen – in Voll- oder in Teilzeit, egal werben dafür, dass die Chancen tatsächlich gleich sind. in welchem Beruf –, und wenn wir Frauen ermuntern, Insofern freue ich mich, dass auch junge Frauen hier auf selbst für ihr Alter vorzusorgen. Dazu müssen wir aber der Tribüne sitzen. Ich werbe dafür, dass wir von diesen bei den Mädchen anfangen und bei denen, die Mädchen derzeit sehr aktuellen Bildern auch ein Stück weit weg- sozusagen die Welt erklären und sie in ihrer Selbstwahr- kommen. Die Wirklichkeit ist nicht schwarz-weiß. Die nehmung und ihrer Selbstwertschätzung prägen. Wirklichkeit besteht aus einer Vielzahl von Bildern. Wir haben die Familienpolitik mit Elterngeld Plus und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Co in den letzten Jahren deutlich verbessert. Nun sind Die Stärke unserer Gesellschaft ist, dass wir diese aber auch die Unternehmen gefragt. Familienfreundlich- unterschiedlichen Familienmodelle, diese unterschiedli- keit, die verschiedenen Arbeitszeitmodelle müssen ein chen Berufsmodelle leben können. Wir möchten Frauen wichtiges Thema für alle Firmen sein, egal in welcher nicht vorschreiben, welchen Beruf sie ergreifen müssen Größe und Branche, insbesondere dann, wenn sie über oder sollen. Aber wir müssen sie stark machen, damit sie Fachkräftemangel klagen. Echte Lohndiskriminierung wissen, was die Folgen ihrer Entscheidung sind. Das ist muss bestraft werden. Dazu haben wir eine Vielzahl von unsere Aufgabe, das ist Aufgabe von Politik, und das ist Gesetzen. Vor allem die bereinigte Lohnlücke muss wei- der Spagat zwischen Freiheit und sozialistischer Plan- ter geschlossen werden. wirtschaft. (B) (D) Wenn wir uns mit anderen europäischen Ländern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- vergleichen – Sie haben Spanien angesprochen –, dann geordneten der FDP – Lachen bei der LIN- müssen wir genauer hinschauen. Wenn man nämlich die KEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE Erwerbstätigkeitsquote einbezieht, steht zum Beispiel GRÜNEN]: Da wollen Sie die Frage auch Italien sehr schlecht da und Deutschland sehr gut. Man nicht verstehen! Das haben Sie bewusst nicht muss es nur berücksichtigen. Es stimmt auch nicht, wie verstanden! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: im Antrag der Linken gleich zu Beginn behauptet wird, Man muss einfach die Wahrheit anerkennen!) dass Frauen nicht die gleichen Chancen wie Männer ha- ben. Sie hätten sie, aber sie nehmen sie aus den verschie- Es liegt auch an uns. Die Linken sollten einmal schau- densten Gründen leider oftmals nicht wahr. en, wie sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäf- tigen, wer von ihnen gerade junge Frauen in Minijobs an- (Widerspruch bei der LINKEN) stellt. Wer in Ländern dafür stimmt, dass es Zeitverträge Ich bitte Sie und uns alle, dabei ehrlich zu sein. bei gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern gibt, der darf sich nicht wundern. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Marianne Schieder [SPD]: Davon versteht Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? der Freistaat Bayern auch etwas! Da ist die CSU!) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): – Das ist in Rheinland-Pfalz, wo die SPD an der Regie- Bitte schön. rung ist, leider seit vielen Jahren der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zaklin Nastic (DIE LINKE): ordneten der FDP) Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Verstehe ich Sie richtig, dass die Frauen und jungen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mädchen im Prinzip selbst schuld sind, dass ihre Lebens- Frau Kollegin, lassen Sie noch eine Zwischenfrage umstände so sind, dass sie miserabel bezahlt werden, und von einer Kollegin der Grünen zu? nicht die Unternehmen? Es sind nicht die Hungerlöhne daran schuld, sondern die Frauen, weil sie sich nicht an- ders ausbilden und sich nicht selbst um ihr Leben küm- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): mern? Habe ich Sie richtig verstanden? Sie sprechen von Bitte schön. 1770 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

(A) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- an unserer Seite stünden und mit uns dafür kämpfen wür- (C) NEN): den, dass Zeitverträge nicht nur für 10 Monate bestehen, Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, dass Sie sondern, wenn sie schon bestehen, für 12 Monate. Dann die Frage zulassen. Sie suggerieren immer wieder, dass haben wir auch für Frauen etwas getan. Machen wir es darum geht, dass Mädchen, junge Frauen stark ge- Frauen und Mädchen Mut, ihren eigenen Weg zu gehen, macht werden, dass sie andere Berufswege gehen usw. und sind wir vor allen Dingen Vorbilder als Eltern und als Jetzt muss ich aber einmal klar fragen: Ist Ihnen bewusst, Arbeitgeberinnen. dass es nicht darum geht, dass zum Beispiel die Pfege- Vielen Dank. berufe schlechter bezahlt werden als die MINT-Berufe, sondern darum, dass in der Pfege die Männer besser be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zahlt werden als die Frauen und in den MINT-Berufen Grigorios Aggelidis [FDP]) die Männer auch besser bezahlt werden als die Frauen? Das ist das Problem. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Nicole Bauer [FDP]: Das stimmt nicht! – Gri- Die Kollegin Leni Breymaier hat das Wort für die gorios Aggelidis [FDP]: Das stimmt nicht!) SPD-Fraktion. Ich habe hier gerade die Antwort auf eine Kleine Anfrage (Beifall bei der SPD) vor mir liegen – sie ist noch nicht öffentlich –, die ich gestellt habe und in der zum Beispiel steht, dass Frauen Leni Breymaier (SPD): in den Bereichen Information, Kommunikation 25 Pro- zent weniger verdienen als Männer, im Gesundheits- und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Sozialwesen 21 Prozent. Das sind Zahlen der Bundesre- leginnen und Kollegen! Haben Sie sich heute Morgen gierung. beim Zähneputzen auch überlegt, wie Sie am Wochenen- de Frauen am besten diskriminieren können? Ich möchte noch einmal nachfragen: Geben Sie mir recht, dass das Problem darin liegt, dass innerhalb der (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Lachen bei verschiedenen Branchen unterschiedlich bezahlt wird, Abgeordneten der AfD) und nicht darin, welchen Berufsweg junge Frauen und Wenn wir heute einen Teil von Diskriminierung, nämlich Mädchen vor sich haben? den des Entgelts, mit allen Weiterungen auf Rente, auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitslosengeld, auf Ersparnisse, auf Wohnsituation, und bei der LINKEN) auf Immobilienbesitz, betrachten und wieder einmal fest- stellen, dass Frauen 77 Tage länger arbeiten müssen, um (B) das Einkommen zu erzielen, das der Durchschnittsmann (D) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): in Deutschland vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezem- Wenn Sie bei meiner Rede zugehört hätten, dann hät- ber 2017 erhalten hat, so ist das nicht das Ergebnis von ten Sie gehört, dass es eine Vielfalt von Gründen gibt. bewussten Entscheidungen, die in diesem Hohen Hause, Ein Grund ist sicher der, den Sie angesprochen haben. in den Länderparlamenten, den Kommunalparlamenten Auch wir sprechen uns gegen Diskriminierung aus. Dis- oder bei Tarifverhandlungen getroffen wurden, sondern kriminierung darf nicht sein. Wir haben unterschiedliche von unbewusst diskriminierenden Maßnahmen. Auffassungen zu dem Thema „Was sind gleiche Berufe?“ (Beifall bei der SPD) (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir stehen vor der Summe vieler Fehlentscheidungen in vielen Jahrzehnten. Für mich ist einer der wichtigs- – Ja, Sie schütteln den Kopf. – Das war schon das Thema, ten Paragrafen, der schon weit über 100 Jahre alt war weil immer wieder das Beispiel von der Altenpfegerin und den wir 1977 geändert haben, der aber heute noch und dem Schmutzwäschefahrer kam. so viele Auswirkungen auf unseren Alltag hat, dass ich (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ihn einmal zitieren will, der alte § 1356 des Bürgerlichen GRÜNEN]: Altenpfeger!) Gesetzbuches, der so begann: Das war immer ein Thema. Wir haben immer darüber Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwor- diskutiert, dass beim Tarifohn gewöhnlich keine Unter- tung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit schiede sind. dies mit ihren Pfichten in Ehe und Familie verein- bar ist. Ich habe das Thema Eingruppierung angesprochen, das für diese Branchen wichtig ist und woran wir arbei- Mit dieser Bestimmung wurde zementiert, was wir ten können. Aber ich wehre mich dagegen, dass wir so seit 40 Jahren aufzubrechen versuchen, nämlich dass die tun, als seien die Frauen grundsätzlich schlechter bezahlt Frau Zuverdienerin ist, dass das Haupteinkommen vom und die Männer grundsätzlich besser bezahlt. So ist es Mann kommt. Man erinnert sich kaum noch, dass es in zum Glück in unserer Gesellschaft nicht. Ich werbe da- den Tarifverträgen dieser Republik bis 1958 Abschläge für – auch die Grünen sind in Rheinland-Pfalz in der für Frauen gab. Wenn die Frau gearbeitet hat, dann in Landesregierung vertreten –, dass wir beispielsweise dort Teilzeit, in geringfügiger Beschäftigung. Die Kinderbe- Veränderungen vornehmen; denn Zeitverträge treffen bei treuung ist ja insbesondere, wenn ich in Schicht oder in der Erziehung und bei Lehrkräften ganz besonders Frau- Kliniken arbeite, auf jeden Fall unzureichend. So häuften en. Ich würde mich freuen, wenn Sie in Rheinland-Pfalz sich die Diskriminierungen an. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1771

Leni Breymaier (A) Es ist so, dass in Frauenberufen weniger verdient wird Deutschland erst in 192 Jahren. Das wäre doch ein biss- (C) als in Männerberufen. Es wird in Frauenbranchen we- chen lang. niger bezahlt als in Männerbranchen. Zudem haben wir (Beifall bei der SPD und der LINKEN) auch innerhalb der Tarifverträge Benachteiligungen. Es wurde in den letzten Jahren viel getan: Wir ha- Ein kleines Beispiel: Es gibt den Tarifvertrag Einzel- ben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Das Ent- handel. Bei dem kenne ich mich aus; in dieser Branche gelttransparenzgesetz ist ein Meilenstein. Grüne und habe ich gearbeitet. Da erhält man – ab 1. April dieses Linke wollen das Gesetz jetzt auf kleinere Betriebe aus- Jahres – vier Jahre nach Abschluss der Ausbildung, nach weiten – kann man machen. Aber ich sage mal: In einem dreijähriger Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, ein Land, in dem 41 Prozent der Ehepartnerinnen und -part- Entgelt von 2 579 Euro in Vollzeitarbeit. In der gleichen ner nicht einmal wissen, was ihr Ehegespons verdient, Branche hat der Handwerker ab dem fünften Jahr nach haben wir eigentlich ganz andere Probleme. der Lehre ein Entgelt von 2 879 Euro. Klar bekommt das auch die Handwerkerin; aber trotzdem haben wir im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Handwerk eben mehr Männer als Frauen. Im Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren, wurde verabredet, dass wir das Entgelttransparenzgesetz 2019 (Grigorios Aggelidis [FDP]: Dann müssen evaluieren. Ich glaube, auf diese Evaluation können wir mehr Frauen ins Handwerk gehen!) noch warten, um zu sehen, wie das Gesetz in der Praxis So sind auch Tarifverträge Vertragswerke, die mittelbar wirkt – wir haben ja erst im Januar angefangen –, wo es diskriminieren. nicht wirkt und welchen Handlungsbedarf es gibt. Ich muss sagen: Die Dauereinigungsstelle, die Die Ja, da kann eg-check.de durchaus helfen – kann man Linke fordert, überzeugt mich nicht wirklich. Wie viele machen. Es ist ja nicht die einzige Maßnahme. Man Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 100 des Be- kann auch den zur Verfügung stehenden Verteilungs- triebsverfassungsgesetzes, in denen Betriebsräte einer spielraum nehmen, um Diskriminierungen abzubauen: Einstellung, aber nicht der Eingruppierung zugestimmt Wenn Mittel für eine Entgelterhöhung um 3 Prozent zur haben, haben wir eigentlich in den letzten Jahren gehabt? Verfügung stehen, nimmt man 2 Prozentpunkte für eine Ich bin auch gerne bereit, bei der Belebung des § 87 des lineare Erhöhung und 1 Prozentpunkt, um Diskriminie- Betriebsverfassungsgesetzes zu helfen; denn bei den Fra- rungen abzubauen. Dann sind wir aber schon mitten im gen der betrieblichen Lohngestaltung ist echt noch Luft Geschlechterkampf. Wenn es ums Geld geht, versteht ja nach oben. Ich weiß nicht, ob wir dafür jetzt ein weiteres die Menschheit keinen Spaß. Instrument brauchen, das dann wieder nicht genutzt wird. (B) Es ist in den letzten Jahren auch schon viel passiert. Wo wir beieinander sind, ist die Frage des Ver- (D) Aber trotzdem ist es so, dass die Bewertung von Arbeit bandsklagerechts. Das wünsche ich mir auch. der alten Logik unterliegt: Physische Belastungen wer- den bedeutend besser und höher bewertet als Belastun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen im psychosozialen Bereich. Ich gehöre nicht zu den der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Menschen, die den jungen Frauen zur Lösung des Pro- GRÜNEN) blems empfehlen, dann eben technische Berufe zu er- Es war mit der Union bisher nicht zu machen. Aber viel- greifen. Klar kann man da viel tun, und klar kann man leicht überzeugen wir sie ja noch in den Ausschüssen; ermuntern und Programme machen. Doch am Ende des denn wir reden hier nicht über individuelle Probleme, Tages muss eben auch die typische Frauenarbeit in dieser sondern über strukturelle Probleme. Gesellschaft gemacht werden. Deshalb halte ich wenig von der Rhetorik: Na, da hast du halt Pech gehabt, hättest Auch die Frage der Frauen in Führungspositionen ist du doch was Ordentliches gelernt! – Das stand übrigens ein wichtiges Puzzlestück. Ich fnde, hier haben zwei von schon vor Ihrer Rede in meinem Redemanuskript, Frau drei Regierungsparteien mit der Besetzung der Ministeri- Groden-Kranich. umsspitzen in dieser Woche Maßstäbe gesetzt. Hätte die CSU nicht dermaßen geschwächelt, könnte man damit (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Das vor der Privatwirtschaft protzen. habe ich aber auch nicht gesagt!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Nicht, dass Sie meinen, ich nähme jetzt darauf Bezug! Es geht also um die gesellschaftliche Wertigkeit der Arbeit von Frauen und Männern. Es gibt da wunderba- (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Das re Beispiele, auch im künstlerischen Bereich: Die Kunst habe ich nicht gesagt!) wird immer schlechter bewertet, wenn der Käufer weiß, dass sie von einer Frau geschaffen wurde. – Ich sehe ge- Heute befassen wir alle uns damit, wie wir die Ent- rade, ich habe nicht mehr so viel Redezeit. geltlücke zwischen Frauen und Männern schließen kön- nen und was die Politik konkret dafür tun kann. Es gibt Die Frage ist: Wie schaffen wir es in der Breite der nicht die eine Lösung. Sie haben das Bild des Mosaiks Gesellschaft, das Ansehen und den Wert der Frauenar- gewählt – ich wähle das Bild des Puzzles: Da haben wir beit zu erhöhen? Ich fnde, hier gehen wir im Koalitions- ein Puzzle mit 1 000 Teilen, und da sind noch ganz schön vertrag gemeinsam einen großen Schritt: Wir werten die viele Teile zu legen. Denn wenn wir nichts tun – das Pfege auf. Wir schaffen Bedingungen für die Vereinba- wissen wir auch –, dann haben wir Entgeltgleichheit in rung eines Branchentarifvertrags für den Bereich Pfege, 1772 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Leni Breymaier (A) und wir schaffen Grundlagen dafür, dass dieser dann dass Frauen und Männer in der Regel nun einmal andere (C) auch allgemeinverbindlich gilt. Berufe bevorzugt für sich auswählen. (Beifall bei der SPD) (Lachen der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen dafür sorgen, dass Equal Pay als Markt- vorteil gestärkt wird. Wir müssen endlich das Recht auf Sie müssen sich nur einmal die Mühe machen: Gehen Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit hinbekommen. Sie in eine Universität, setzen Sie sich in eine Vorlesung (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) in einem sogenannten MINT-Fach, und schauen Sie, wie viele Frauen da drinsitzen. Wir müssen es endlich schaffen, die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit zu stärken, und zwar durch (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Ausbau von Kitas, durch die Entlastung bei Gebüh- NEN]: Sie haben das Thema nicht verstan- ren und durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf den! – Marianne Schieder [SPD]: Da waren Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Das sind wich- Sie schon lange nicht mehr, sonst wüssten Sie: tige Rahmenbedingungen. Am Ende geht es darum, die Die Frauen sind dort gleich vertreten wie die bezahlte und die unbezahlte Arbeit von Männern und Männer!) Frauen gleich zu verteilen. Daher mein letzter Satz: Wir Es ist doch nicht so, dass am Eingang zum Vorlesungs- müssen auch die Männer vom Charme der Spülmaschine saal irgendein gruseliger Türsteher stehen würde, der, überzeugen. sobald sich eine Studentin zeigt, sagt: Du kommst hier Vielen Dank. nicht rein. – Das ist doch Unsinn. (Beifall bei der SPD – Marianne Schieder (Beifall bei der AfD) [SPD]: Nicht nur von der!) Und natürlich verdienen am Ende des Tages Ingenieure und Chemiker besser als eine Sozialwissenschaftlerin. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zurufe von der LINKEN – Katharina Dröge Frau Kollegin, Sie haben das wunderbar in der Zeit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um geschafft. Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kol- gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit!) lege Thomas Ehrhorn von der AfD. Wir leben in einem Land, in dem es freie Berufswahl (Beifall bei der AfD) gibt, falls Sie das noch nicht gemerkt haben. In diesem Land kann jeder Ingenieur werden, auch Frauen. (B) Thomas Ehrhorn (AfD): (D) (Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Franziska Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Roland Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- Koch hat einmal gesagt: Mit Statistiken und Politikern det sich zu einer Zwischenfrage) verhält es sich so wie mit einem Betrunkenen und einer Laterne: Sie dienen in erster Linie der Aufrechterhaltung des eigenen Standpunktes und weniger der Erleuchtung. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke Gestatten Sie eine Zwischenfrage? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt auch für die AfD!) Thomas Ehrhorn (AfD): Eine solche Statistik geistert nun seit ungefähr zehn Nein, im Moment nicht. Jahren durch die Medien: die absurde Behauptung, Frau- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: en würden angeblich bei gleicher Arbeit und gleicher Oh!) Leistung 21 Prozent weniger Lohn erhalten. Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, das Problem sei, dass (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man den armen kleinen Mädchen zu Weihnachten zu NEN]: Dass das die Partei der Männer nicht viele Puppen und zu wenige Bauklötze geschenkt habe. wahrhaben will, kann ich schon verstehen!) Diesen Unsinn können Sie wirklich nur noch Leuten er- Man kann solche Zahlen wie in der Waschmittelwer- zählen, die sich ansonsten die Schuhe mit der Kneifzange bung stereotyp immer und immer wieder wiederholen. zubinden. Das mag dazu führen, dass man einige schlichte Gemüter (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) fndet, die damit losziehen und am nächsten Stammtisch behaupten, das sei so. Aber richtig werden die Zahlen da- Ist jedenfalls die Statistik um diese Faktoren bereinigt, durch nicht. dann bleiben von dieser sagenumwobenen Lohnlücke ganze 6 Prozent übrig. (Beifall bei der AfD) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Selbst unter linken Hardcore-Ideologen hat sich in- NEN]: Kein Wunder, dass Sie keine Frauen in zwischen herumgesprochen, dass man die Statistik um der Fraktion haben!) diverse Faktoren bereinigen muss. So lassen sich allein drei Viertel des sogenannten Gender Pay Gap durch Lässt man dann weitere Faktoren in die Statistik einfie- strukturelle Unterschiede erklären, nämlich dadurch, ßen, wie Bildungsstand, Dauer der Betriebszugehörig- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1773

Thomas Ehrhorn (A) keit, familienbedingte Auszeiten und den Umstand, dass sozialistisches Europa, meine Damen und Herren. Immer (C) Frauen nun einmal öfter in Teilzeit arbeiten, mehr Menschen verstehen das. (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeord- neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- dann bleiben – so hat es das Institut der Deutschen Wirt- NISSES 90/DIE GRÜNEN) schaft vorgerechnet – von dieser Gehaltslücke weniger als 2 Prozent – weniger als 2 Prozent! – übrig. – Ja, das ist frustrierend; das kann ich mir vorstellen. (Beifall bei der AfD) (Marianne Schieder [SPD]: Warum gibt es eigentlich nur Männer bei Ihnen?) Ich frage Sie: Wovon reden wir hier eigentlich? So Wissen Sie: Von Linken und Grünen, von denen, die schlimm kann es mit der Chancenungleichheit der Frau brüllen: „Deutschland verrecke“, habe ich noch nie etwas nicht sein in einem Land, in dem es möglich ist, mit ei- anderes erwartet. Dass aber eine konservative Partei wie nem abgebrochenen Theologiestudium in den Deutschen die CDU unter der Führung einer in der FDJ sozialisier- Bundestag zu gelangen und dann 9 500 Euro zu verdie- ten Kanzlerin nicht mehr willens oder nicht mehr in der nen. Lage ist, solche Zusammenhänge zu verstehen, ist in der (Beifall bei der AfD) Tat ein Armutszeugnis. Nein, meine Damen und Herren, letzten Endes geht (Beifall bei der AfD) es doch hier um etwas ganz anderes. Es geht um eine Neuaufage der verstaubten und ewiggestrigen Ideen des Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: marxistisch-leninistischen Weltbildes, Die nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Nicole Bauer. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP) NEN) wonach es eine Hauptaufgabe ist, die Frau in die Produk- Nicole Bauer (FDP): tionsarbeit einzubeziehen, um schließlich die Familie als Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Keimzelle der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Kollegen! Ja, es ist richtig: Der Verdienstunterschied zu überwinden. Das ist doch das, was in Ihren Köpfen zwischen Männern und Frauen in Deutschland ist hoch, herumspukt. zu hoch – egal ob wir über die 21 Prozent vom Equal Pay (B) Day oder über 6 Prozent sprechen. Warum soll ich als (D) (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei Abge- Frau bei gleicher Qualifkation und Leistung im gleichen ordneten der LINKEN und des BÜNDNIS- Job weniger verdienen als meine männlichen Kollegen? SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist unfair, und daran müssen wir arbeiten, meine Da- men und Herren. So viel muss man den 68ern ja lassen: Ihre Ziele set- zen sie um. Nach der Vereinnahmung der Medien hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten man den Frauen erfolgreich eingeredet, dass es hoff- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ nungslos rückwärtsgewandt sei, Kinder nicht nur zu er- DIE GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: zeugen, sondern sie am Ende auch noch zu erziehen. Wie Das ist rechtswidrig!) furchtbar! Unsere Antwort darauf darf aber eben nicht sein: mehr (Ursula Schulte [SPD]: Sind Männer für die Staat, mehr Bürokratie und absurde Strafen für die Un- Erziehung nicht zuständig, oder was?) ternehmen. Deshalb lehnen wir die Anträge zum Entgelt- gleichheitsgesetz und zum Verbandsklagerecht ab. Durch eine Abgabenquote von 52 Prozent hat man die Frauen, so wie geplant, in die Lohnabhängigkeit hin- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) eingedrängt und nebenbei den Grundstein für eine Ver- Sie sind eine Zumutung und setzen sich null mit den Ur- staatlichung der Kindererziehung gelegt oder, wie Herr sachen auseinander. Scholz es ausdrücken würde, die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ erobert. Also keinen Fehler gemacht auf Viel wichtiger ist es doch, den Frauen die Chance zu dem Weg zum totalen Irrtum! geben, am Berufsleben voll teilzuhaben. Wir haben gut ausgebildete Frauen in unserem Land. Doch sobald Kin- (Beifall bei der AfD) der da sind oder Angehörige gepfegt werden müssen, ist die Vollzeitstelle oft passé, und es droht eine komplette Und nun kommen die von der AfD und thematisieren berufiche Pause. Das gilt es zu ändern. Was wir dazu das. Ja, wir tun das, weil wir wissen, brauchen, ist mehr Flexibilität, eine Flexibilität, die es (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns erleichtert, im Beruf zu bleiben, Vollzeit arbeiten zu NEN]: Weil Sie wissen, dass Sie die Partei der können und nicht Teilzeit arbeiten zu müssen. alten Männer sind!) (Beifall bei der FDP) dass Linke, wenn sie von Gleichberechtigung reden, in Neue Arbeitszeitmodelle wie das, das wir gestern in Wirklichkeit Klassenkampf meinen – auf dem Weg in ein unserem Antrag zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes 1774 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Nicole Bauer (A) angeregt haben, führen zu mehr Flexibilität. Die Digita- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) lisierung eröffnet uns mit Homeoffce und mobilem Ar- Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws von Bünd- beiten mehr Freiraum: für die Pfege, für die Betreuung nis 90/Die Grünen. oder für die Weiterbildung. So kommt der Staat seiner Aufgabe nach, die Voraussetzungen zu schaffen – nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr und nicht weniger. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das sind die Voraussetzungen dafür, dass Männer und Kollegen! „Wenn wir stillstehen, steht die Welt still!“ – Frauen selbstbestimmt entscheiden können, wie sie fami- Unter diesem Motto haben Frauen in Spanien am Welt- liäres und berufiches Leben partnerschaftlich angehen, frauentag zu einem Generalstreik aufgerufen und damit ohne dass einer benachteiligt wird. ein starkes Zeichen für den Anspruch von Frauen auf gleiche Rechte und gleiche Bezahlung gesetzt. Außerdem sollten wir Frauen noch stärker ermutigen, klassische Männerbranchen zu erobern: MINT-Fächer, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jobs, die eben besser bezahlt werden. Gleichzeitig sollten In Deutschland hätten Frauen allemal guten Grund wir aber auch dafür sorgen, dass mehr Männer vermeint- zum Streiken; denn seit Jahren liegt der Gender Pay Gap liche Frauenberufe ergreifen. unverändert bei über 20 Prozent. Seit Jahren passiert (Abg. Wolfgang Wiehle [AfD] meldet sich zu nichts im Deutschen Bundestag, was Equal Pay wirklich einer Zwischenfrage!) befördert. Es passiert nichts, außer dass ein paar kreati- ve Reden von der Koalition und der Regierung über den Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sogenannten Fortschritt eines inhaltsleeren Schaufenster- Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin? gesetzes namens Entgelttransparenzgesetz gehalten wer- den. Verbessert hat sich für Frauen nichts.

Nicole Bauer (FDP): Darum fordere ich Sie, die neue/alte Bundesregierung, Nein, der Kollege soll jetzt erst einmal zuhören. auf: Hören Sie auf, ungerechte Bezahlung schönzureden! Ändern Sie endlich diesen unhaltbaren Zustand, und re- (Beifall bei der FDP – Heiterkeit bei Abge- den Sie nicht weiter drumherum! ordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich weiß, dass das Veränderungen für unsere Gesell- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schaft bedeutet. Aber genau diese Veränderung würde der SPD) (B) uns guttun; denn die Menschen in den sozialen, erzie- (D) herischen und pfegerischen Berufen tragen große Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen haben antwortung. Sie brauchen mehr Wertschätzung und von Anfang an gesagt: Dieses Entgelttransparenzgesetz auch eine bessere Vergütung. So schließen wir nämlich greift viel zu kurz. Es verbessert nichts in puncto gleiche endlich die Lohnlücke zwischen den verschiedenen Ge- Bezahlung. Fakt ist: Für fast zwei Drittel der berufstäti- schlechtern. gen Frauen gilt das Gesetz noch nicht einmal. Mitarbeite- rinnen von Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten Aber es muss uns auch gelingen, mehr Frauen in Füh- bleiben außen vor. rungspositionen zu holen; denn Frauen in leitenden Posi- tionen sind erfolgreich. Seit Januar gilt, dass eine Minderheit der Frauen – es sind nicht einmal 40 Prozent – erfahren kann, ob sie im (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Vergleich zu ihren männlichen Kollegen bei gleicher Ar- – Da brauchen Sie nicht zu lachen. – Gemischte Teams beit ungleich bezahlt wird. Und dann? Dann ist das Ge- sind nachweislich produktiver; das ist doch im Interesse setz für sie schon am Ende. Wirksame Instrumente gegen eines jeden Arbeitgebers. Wir als FDP appellieren daher strukturelle Benachteiligung haben Sie Frauen nicht an an die Unternehmer, ihrer Verantwortung durch faire die Hand gegeben. und leistungsorientierte Bezahlung unabhängig vom Ge- Meine Damen und Herren der Bundesregierung, hö- schlecht nachzukommen; ren Sie auf, sich angesichts der Lohnlücke selbst zu lo- (Beifall bei der FDP) ben, wie Sie es im Koalitionsvertrag für Ihr wirkungslo- ses Gesetz weiter tun. Ändern Sie etwas! denn das wäre eine soziale Innovation; das wäre endlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal wirkliche Gleichberechtigung. Wir Frauen dürfen und bei der LINKEN) uns nicht mit weniger zufriedengeben. Sich damit zufriedenzugeben, dass das Entgelttranspa- Wir müssen selbstbewusst auftreten und verhandeln. renzgesetz im Juli 2019 evaluiert werden wird, um dann Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig stär- zu entscheiden, ob eventuell weitere Schritte erforderlich ken, und wir dürfen diese Unterstützung auch von den sind, reicht nicht. Da braucht man nicht lange zu evalu- Männern erwarten. Dafür sollten wir uns einsetzen, mei- ieren. Es ist völlig klar: Es gibt jetzt Handlungsbedarf. ne Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne fordern in Herzlichen Dank. unserem Antrag effektive, zielgerichtete Instrumente und (Beifall bei der FDP) einen Auskunftsanspruch auch in kleineren Unterneh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1775

Ulle Schauws (A) men. Wir wollen zertifzierte, verbindliche Prüfverfah- kann ich mich mit dieser Opferrolle einfach nicht iden- (C) ren, und vor allem wollen wir endlich kollektive Rechts- tifzieren. schutzmöglichkeiten durch ein Verbandsklagerecht und die Möglichkeit von Gruppenverfahren – das wird meine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollegin Manuela Rottmann gleich erläutern –, damit ordneten der AfD) Frauen sich zusammentun können, um endlich gegen un- Zum anderen spricht aus jedem Absatz das alte Kli- faire Bezahlung juristisch wirksam vorgehen zu können. schee des bösen Unternehmers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der AfD: Ja!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es wirk- lich gründlich satt, dass Frauen weiterhin systematisch Unternehmer sind übrigens die, die mit ihren Investiti- schlechter bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass die onen dazu beitragen, dass unser Land zu den wohlha- Entgeltlücke kleingeredet wird, wie das immer wieder bendsten in der Welt gehört. passiert, oder dass der Gender Pay Gap verharmlost wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ob Frauen nun in sogenannten Frauenberufen strukturell ordneten der AfD und der FDP) schlechter bezahlt werden oder im gleichen Betrieb für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen, es ist schlicht Aber ich bin realistisch: Das Bild des bösartigen Kapi- eines: Es ist ungerecht. talisten werde ich in meinen vier Minuten Redezeit nie- mandem austreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ein anderes Thema! – Jörg Ce- Nur dann, wenn die Regierung konsequent gegensteu- zanne [DIE LINKE]: Das stimmt!) ert, wird sich etwas bewegen. Jede Entgeltlücke, die grö- ßer null ist, ist ungerecht. Darum appelliere ich deutlich Wenn es nach Ihnen ginge, soll jedes Unternehmen an Sie als neue Regierung: Wenn Frauen stillstehen, dann unabhängig von seiner Größe für alle offenlegen, was ein steht die Welt still. Tun Sie also mehr! Strengen Sie sich jeder Angestellter verdient. einmal richtig an für Frauen! Strengen Sie sich wirklich an für gerechten Lohn, und fangen Sie nicht an, alles (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schaf- kleinziseliert in die Breite zu reden. fen die in Skandinavien auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und nicht nur das. Sie fordern neue bürokratische Hür- den wie „betriebliche Prüfung auf Entgeltgleichheit auf Zum Schluss noch ein Satz zu § 219a StGB. Was Sie (B) der Grundlage eines EU-rechtskonformen Instrumen- (D) von der Union und der SPD in dieser Woche hier geleis- tariums“, wie Sie es so schön und griffg formulieren. tet haben, war ein frauenpolitisches Desaster erster Güte. Sie fordern Einigungsstellen, Verbandsklagerechte und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geldbußen. Haben Sie sich eigentlich einmal Gedanken sowie bei Abgeordneten der LINKEN) darüber gemacht, was das für einen Malereibetrieb oder einen kleinen häuslichen Pfegedienst bedeutet? Sie haben die Informationsrechte von Frauen und die Rechtssicherheit von Ärztinnen und Ärzten auf dem (Beifall bei der CDU/CSU) Altar Ihres Koalitionsfriedens geopfert. Wenn Sie dem- nächst von Selbstbestimmung reden und mehr Frauen- Sie reden von traditionellen Rollenbildern und bemer- rechte versprechen, können die Frauen Ihnen dann glau- ken nicht, dass Sie da selber einem aufgesessen sind: bö- ben? Diese Frage müssen Sie sich schon stellen lassen. ser Unternehmer gegen arme, benachteiligte Frau. Ich habe nach dieser Woche keine Antwort mehr darauf. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich sage Ihnen: So wird das nichts. Wir sollten schon bei und bei der LINKEN) den Fakten bleiben. Und die sprechen eben eine ganz an- dere Sprache. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das erste Mal im Deutschen Bundestag spricht die Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass Frau- Kollegin Melanie Bernstein von der CDU/CSU-Frakti- en bei gleicher Arbeit aufgrund ihres Geschlechtes durch on . – Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu Ihrer ersten unterschiedliche Bezahlung diskriminiert würden. Das Rede. stimmt so einfach nicht. Sie sprechen von einer Lohn- lücke von 21 Prozent. Wenn Sie Erwerbsbiografen und (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitszeit berücksichtigen, gibt es eine Lohnlücke von 6 Prozent. Werden dann noch Erwerbsunterbrechungen Melanie Bernstein (CDU/CSU): berücksichtigt, familienbedingte Auszeiten etwa, dann Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als schrumpft der Wert auf unter 2 Prozent. ich den vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke ge- (Beifall bei der AfD – Dr. Achim Kessler [DIE lesen habe, sind mir zwei Punkte aufgefallen. Zum einen LINKE]: Beifall von der AfD ist doch prima!) erschien mir das Bild der Frau, das dort gezeichnet wird, wenig zeitgemäß. Als berufstätige Mutter, die ich auch Das ist nun wirklich kein Grund, die heutige Situation schon vor meiner Wahl in den Deutschen Bundestag war, von Frauen mit der von vor 100 Jahren gleichzusetzen, 1776 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Melanie Bernstein (A) wie Sie das tun. Familienbedingte Auszeiten haben nun Wie kommt das? – Wir brauchen uns nur die Statistik (C) einmal mit dem Kinderkriegen zu tun. der Lohnlücken in Europa anzuschauen, die immer wie- der angeführt wird. Darin schneiden Länder am besten (Marianne Schieder [SPD]: Nicht nur!) ab, in denen Frauen wesentlich weniger oft erwerbstätig Das kann man mit keinem noch so gut gemeinten Antrag sind als bei uns: Malta, Italien und Rumänien. Dort ist den Männern aufbürden. Da steht Biologie gegen Ideo- nur knapp jede zweite Frau erwerbstätig. Diese Länder logie. stehen beim Gender Pay Gap aber gut da. Ob man sie dafür loben soll, ist eine andere Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje, junge Ein weiteres Problem ist: Wir sprechen auch in die- Frau!) ser Debatte immer wieder über unterschiedliche Zahlen und damit meines Erachtens auch über unterschiedliche Es gibt natürlich Herausforderungen, die wir anpa- Dinge. cken müssen. Damit meine ich eine bessere Vereinbar- Wir haben es schon gehört: Frauen verdienen im keit von Familie und Beruf. Schnitt etwa 21 Prozent weniger als Männer. 15 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU) davon lassen sich erklären, 6 Prozent eher nicht. Die 15 Prozent sind so zu erklären, dass Frauen häufg Be- Wir müssen die Kluft zwischen Männern und Frauen bei rufe wählen, die ein niedrigeres Lohnniveau aufweisen, der Versorgung im Alter schließen. Wir müssen die sozi- alen Berufe aufwerten, Berufe, in denen nun einmal mehr (Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Frauen tätig sind als Männer. Ich fnde, die Menschen, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tun sie das denen wir das Wertvollste anvertrauen, was wir haben – denn?) unsere Kinder, Eltern und Großeltern –, verdienen mehr, und dass Frauen deutlich weniger in Vollzeit arbeiten als als sie momentan bekommen. Außerdem – das wurde Männer. schon gesagt – müssen wir mehr Mädchen und Frauen für MINT-Berufe begeistern. Diese genannten Gründe sind nur schwer als Ge- schlechterdiskriminierung durch den Arbeitgeber an- Für die neue Bundesregierung sind dies zentrale Vor- zuführen; ich glaube, darin sind wir uns auch einig. Sie haben, und deshalb werden wir diese auch zügig umset- beruhen in erster Linie auf individuellen Entscheidungen zen. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg, damit von Frauen und auch von Männern, sind also auch von Frauen im Berufsleben genauso gut verdienen wie Män- diesen mit zu beeinfussen. ner und im Alter auch genauso gut versorgt sind. (B) Wir haben das Beispiel auch heute schon ein paar Mal (D) Ihr Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gehört: Dass ein Krankenpfeger oder eine Krankenpfe- kleinen und mittleren Unternehmen bürokratische Fes- gerin weniger verdient als jemand in der Industrie, ist seln anzulegen, sorgt nicht für bessere Bedingungen für klar. Das werden wir hier in der Politik aber nicht ändern Frauen, sondern für insgesamt weniger Beschäftigung, können. Dafür haben wir die Tarifautonomie. und damit ist niemandem geholfen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es auch nicht! Das ist Vielen Dank. nicht das Problem!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Junge Frauen und junge Männer wissen das bei der ordneten der AfD) Berufswahl auch. Ich glaube, hier müssen wir unter- stützen, und damit sind wir, denke ich, im Bereich der Chancengleichheit, die wir dort gewährleisten müssen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir müssen den jungen Menschen bewusst machen, was Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: der es bedeutet, wenn sie einen Beruf wählen. Ich glaube, Kollege Michael Kießling von der CDU/CSU-Fraktion. wenn wir dort unterstützen und für Chancengleichheit (Beifall bei der CDU/CSU) und Aufklärung sorgen, sodass sich die jungen Menschen ihrer Entscheidung bewusst werden, dann sind wir dort auch einen wesentlichen Schritt weiter. Michael Kießling (CDU/CSU): Nicht jeder Unterschied in der Entlohnung zwischen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mann und Frau ist eine direkte Diskriminierung. Es ist Meine Damen und Herren! Hier wird teilweise sugge- jedoch eine Diskriminierung, wenn Frauen bei vergleich- riert – wenn man zuhört, dann kriegt man das mit –, wir barer Qualifkation für eine vergleichbare Tätigkeit pro seien ein gleichstellungspolitisches Entwicklungsland. Stunde durchschnittlich 6 Prozent weniger bekommen. Wenn wir uns den Global Gender Gap Report, diese Studie, die häufg genannt wird, anschauen, dann sehen (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wir – das dürfen wir schon einmal festhalten –, dass wir GRÜNEN]: Genau!) auf Platz 12 von 142 sind. Hieran müssen wir arbeiten, und da haben wir in der letz- (Marianne Schieder [SPD]: Dass wir noch ten Legislaturperiode auch schon etwas getan. Ich nen- 100 Jahre brauchen, um die Gleichberechti- ne nur das Entgelttransparenzgesetz, Frau Schauws. Die gung zu erreichen, steht da auch drin!) Diskussion darüber hat auch schon vieles bewirkt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1777

Michael Kießling (A) Frauen verdienen im Schnitt 6 Prozent weniger als Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) Männer. Dagegen müssen wir etwas tun, das ist klar, und die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen es ist auch richtig, dass wir hier für Transparenz sorgen Widerspruch? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist müssen. das so beschlossen. Am Schluss möchte ich vier Punkte zusammenfassen: Die Aussprache wird mit der Rednerin von Bünd- nis 90/Die Grünen eröffnet, Dr. Manuela Rottmann. Sie Erstens. Wir haben das Problem erkannt und sind es haben das Wort, Frau Kollegin. schon lange angegangen. Auch im Koalitionsvertrag ha- ben wir Maßnahmen vereinbart, um die Lohnlücke wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ter zu schließen. Das ist ein Werkzeugkasten, also nicht nur ein Werkzeug, sondern wir werden mehrere Punkte Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- angehen müssen. NEN): Zweitens. Das Entgelttransparenzgesetz beginnt ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- rade erst zu wirken. Da bin ich bei Ihnen, dass wir erst nen und Kollegen! Ich weiß, Sie alle sind mit dem Kopf einmal die Evolution bis 2019 abwarten sollten, um uns fast schon im Wahlkreis. dann zu entscheiden, ob und wie wir handeln müssen. (Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nein!) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich bitte Sie aber trotzdem, jetzt noch einmal aufzupas- NEN]: Ja, ja! Schieben Sie es ruhig auf die sen; denn es kann durchaus sein, dass Sie in Ihrem Wahl- lange Bank!) kreis unangenehme Fragen gestellt bekommen. Ich glau- Drittens. Ich bitte um etwas weniger Populismus in be, viele von Ihnen werden dabei nicht gut ausschauen, der Diskussion. Nicht alles von den 21 Prozent Lohnun- wenn Sie nach einer Antwort suchen. terschied zwischen Mann und Frau beruht auf Ungerech- Gestern hat das Landgericht Hamburg dem Käufer tigkeit und Diskriminierung. eines VW-Diesels den Anspruch zugesprochen, diesen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Diesel einzutauschen. Doch!) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sehr gut!) Diese Feststellung könnte die Debatte etwas versachli- Der Diesel ist nicht mängelfrei gewesen, weil er mit einer chen. Softwarenachrüstung ausgestattet worden ist, mit der Sie Eines noch: Im eingangs erwähnten Global Gender auf Ihren Dieselgipfeln seit Jahren versuchen, die Leute (B) Gap Report liegen wir auf Platz 12 von 142. Darauf kön- abzuspeisen. (D) nen wir aufbauen. Aber bis zur Champions League ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es noch ein bisschen Luft nach oben. Da wollen wir aus Bayern hin. Ich gratuliere dem tapferen Kläger zu diesem Erfolg, zu den Nerven, zu dem Mut und zu auch dem Budget, das (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- er offensichtlich hat, um sich alleine gegen VW zu stel- NEN]: Sie machen nichts und schieben!) len. Ich kann Ihnen garantieren: Bei Ihnen im Wahlkreis Ich bitte, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die werden Sie die Leute, die in genau derselben Situation Lohnlücke weiter zu schließen. sind, aber nicht das Geld und nicht die Nerven haben, sich alleine gegen VW zu stellen, fragen: Und was ist Herzlichen Dank. mit mir? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Deswegen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haben wir ja die Musterfeststellungsklage!) Ich schließe zu diesen Punkten die Aussprache. Die Reaktion von der VW-Zentrale in Wolfsburg auf Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dieses Urteil zeigt ziemlich genau, in welch desolatem Drucksachen 19/1005 und 19/1192 an die in der Tages- und rückständigem Zustand der deutsche Zivilprozess in ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind dieser Frage ist. Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beschlossen. VW sagt: Andere Gerichte haben anders entschieden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Jetzt warten wir einmal die Berufung ab. Da bekommt Erste Beratung des von der Fraktion BÜND- der gute Mann sicher nicht mehr recht. NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wieso denn?) eines Gesetzes zur Einführung von Gruppen- verfahren Sie sagen also letztlich: Na ja, ihr müsst immer noch alle einzeln gegen uns klagen. Dafür braucht ihr einen Drucksache 19/243 verdammt langen Atem. – Genau so sieht das deutsche Überweisungsvorschlag: Zivilrecht aus. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss Digitale Agenda (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1778 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Dr. Manuela Rottmann (A) Die Grünen haben unter der Federführung meiner ge- weisen, die ihre Gewinne deswegen machen, weil sie da- (C) schätzten Kollegin Renate Künast hier schon 2013 einen rauf vertrauen können, dass schon keiner klagen wird. Gesetzentwurf für eine Gruppenklage eingebracht, der alles geändert hätte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Er war aber Das tun Sie aber nicht. Deswegen wünsche Ihnen viel nicht zustimmungsfähig!) Vergnügen und viel Erfolg bei der Beantwortung dieser Fragen in Ihrem Wahlkreis. Die Betroffenen hätten sich mit überschaubarem Risiko zusammentun können, um ihre Ansprüche gegen VW ge- Danke. meinsam und mit ordentlicher Vertretung durchsetzen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir hätten nicht zig Gerichte mit denselben tatsäch- lichen und rechtlichen Feststellungen beschäftigt. Wir Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Sebastian wären auf dem Weg zur Rechtssicherheit für VW und für Steineke das Wort. die Käuferinnen und Käufer schon einen wesentlichen Schritt weiter. Und die Menschen in diesem Land hätten (Beifall bei der CDU/CSU) endlich das Gefühl, dass dieser Staat einmal an ihrer Sei- te steht und nicht nur an der Seite der Trickser mit guten Sebastian Steineke (CDU/CSU): Anwälten. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einige Worte muss man dazu einmal sagen. Dass der Rechtsstaat funktioniert, zeigen ja gerade die von Ihnen Im Koalitionsvertrag kommen Sie nun viel zu spät mit zitierten Urteile. Der Rechtsstaat funktioniert doch. einer absoluten Minimallösung um die Ecke. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Eine her- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE vorragende Lösung!) GRÜNEN]: Ja, für einen!) Sie versprechen den Menschen, wenigstens Verjährun- Auf einigen Internetseiten können Sie sich ellenlan- gen Ende 2018 zu verhindern. Dabei ist noch nicht ein- ge Listen von auch stattgebenden Urteilen ansehen. mal klar, wie bei Ihren Ideen die Verjährung überhaupt Dass der Rechtsstaat nicht funktionieren würde, ist also (B) gehemmt werden soll. Das Klageregister, für dessen Ein- schlichtweg falsch. Das muss man auch einmal so deut- (D) richtung das Justizministerium mindestens zwei Jahre lich sagen. ansetzt, ist nicht einmal in Sichtweite. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber zurück zur Sache: Sie wollen hier mit uns einen Ihr Gesetzentwurf aus dem Justizministerium bedeu- Gesetzentwurf beraten, der nun zum dritten Mal vorliegt. tet, dass zwar der private Käufer eines Diesels sich einer Er ist identisch mit einem Gesetzentwurf aus 2014 und Musterfeststellungsklage anschließen kann. Der Hand- einem Gesetzentwurf aus 2013. werker, der genau dasselbe Auto gekauft hat, kann das aber nicht, weil er kein Verbraucher ist. Wie absurd ist (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es das denn? ist schade, dass man das immer wieder vorle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gen muss!) Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Warten Sie Das Einzige, was Sie geändert haben, ist die Einleitung. doch mal den Gesetzentwurf ab!) Dadurch ist der Gesetzentwurf aber keinen Deut besser Wir reden hier sonntags viel vom Vertrauen der Men- geworden. schen in diesen Staat und sagen, wir machten uns Sorgen und wollten dafür kämpfen, dass sie es wiedergewinnen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Viele von Ihnen von Union und SPD, den ehemaligen GRÜNEN]: Die Situation ist keinen Deut bes- Volksparteien, genauso wie von den Dieselfreunden von ser geworden!) der FDP oder der AfD suchen an den unmöglichsten Stel- Deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen. len nach Möglichkeiten, dieses Vertrauen wiederherzu- stellen. Der Entwurf sieht vor – damit wir auch einmal etwas Genau hier wäre eine solche Stelle. Genau hier könn- zu Ihrem Entwurf sagen; das haben Sie ja nicht getan –, ten Sie es tun. in die Zivilprozessordnung einen eigenen Abschnitt über Gruppenverfahren – nennen wir es so, wie es ist: Sam- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) melklagen nach amerikanischem Vorbild – einzufügen. Sie könnten sich an die Seite der normalen Leute stellen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die keine Rechtsabteilung haben und deren Rechtsschutz- NEN]: Nein, das stimmt doch nicht!) versicherung ihnen den Vogel zeigt, wenn sie gegen VW klagen wollen. Sie könnten diejenigen in die Schranken – Das ist es. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1779

Sebastian Steineke (A) Dabei sollen mehrere Personen Ansprüche, die den gendjemand berufen kann, sondern nur ein abgekaufter (C) gleichen Lebenssachverhalt betreffen Vergleich, von dem kein einziger Verbraucher in diesem Land etwas hat. (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- (Beifall bei der CDU/CSU) ge) Das kann doch nicht ernsthaft in Ihrem Interesse sein. – keine Zwischenfragen, bitte –, gemeinsam gerichtlich Das kann es nun wirklich nicht sein. geltend machen können. Bezeichnend ist auch Folgendes: Erinnern Sie sich (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann einmal an die Anhörung von 2015. Damals hat Ihr Sach- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) verständiger, Professor Halfmeier, der Ihren vorliegen- den Entwurf entscheidend mitverfasst hat, zu diesen Fra- – Sie hatten lange genug Zeit. gen interessante Aussagen gemacht. Er schlägt nämlich (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen für die Anwälte der Klägerseite vergütungsbezo- NEN]: Das mit der amerikanischen Sammel- genen Anreiz im Kostenrecht sowie Erfolgshonorare vor. klage, das stimmt nicht!) (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Nach Ihrem Entwurf soll dies nicht nur zur Feststel- GRÜNEN]: Steht aber nicht im Gesetz!) lung des Anspruchs erfolgen, sondern auch in Form einer In seiner Stellungnahme zur Anhörung heißt es zu- Leistungsklage mit Bündelung aller Ansprüche betrieben dem: werden können. Das ist schlichtweg eine echte Sammel- klage pur nach amerikanischem Vorbild Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es kaum re- levant, ob etwa der durch rechtswidrige AGB in ei- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE nem Lebensversicherungsvertrag geschädigte Ver- GRÜNEN]: Nein! Sie haben keine Ahnung!) braucher X seinen exakten Schaden ersetzt erhält und mit uns nicht zu machen. oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast Das sagt er selber. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es Es ist ihm unbenommen, die etablierten Mechanis- nicht verstanden!) men des Verfahrensrechts zu nutzen, um zu seinem – Doch, wir haben es sehr gut verstanden. Das sagt sogar konkret-individuellem Recht zu kommen. Ihr eigener Sachverständiger. Da er dies aber de facto kaum tut, Die Einführung solcher Sammelklagen nach amerika- (B) – deswegen legen wir einen eigenen Entwurf vor – (D) nischem Vorbild entsteht das gesellschaftliche Problem der ökonomi- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Fehlanreize zugunsten eines rechtswidrigen NEN]: Da steht: Gruppenklage! Reden Sie Verhaltens der Unternehmen. doch mal zur Sache!) (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE widerspricht diametral unserer Rechtsordnung. Eine be- GRÜNEN]: Seit Jahren!) sondere Würdigung des Einzelfalls fällt vollständig aus. Um diese zu korrigieren, ist es nicht notwen- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dig … Verbraucher … perfekt zu entschädigen. NEN]: Im Inhalt wird es noch deutlicher!) Da steht es noch einmal. – Hören Sie doch einfach mal zu! Notwendig ist es aber, einen Mechanismus zu schaf- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen, mit dem massenhaft relevantes rechtswidriges NEN]: Wir hören ja zu! Deshalb sind wir so Verhalten identifziert und einer ökonomisch ver- engagiert!) nünftigen Lösung zugeführt wird. Das Drohpotenzial, wie es auch in den USA bei die- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sem Instrument üblich ist, ist immens hoch. Hier werden NEN]: Bravo! – Dr. Franziska Brantner Beklagte regelmäßig in Vergleiche gezwungen, um ei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Das nem nicht vorhersehbaren insbesondere medialen Druck wollen wir!) vorzubeugen. Es ist demnach in erster Linie Ihr Ziel, die Unterneh- Deswegen enden solche Verfahren in den USA – so men zu bestrafen; ich sage das so deutlich. Ob der Ver- wird es auch bei Ihrem Vorschlag sein – zu 90 Prozent braucher seinen Schaden ersetzt bekommt, ist nach die- in einem Vergleich. Zu 90 Prozent! Die Folge ist eine sem Entwurf völlig unklar. Eine solche Politik auf dem Klage­industrie – ein gefundenes Fressen für die entspre- Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ist aus chenden Kanzleien. Das Thema „myRight/Hausfeld“ unserer Sicht nicht akzeptabel. spielt in Deutschland ja heute schon eine Rolle. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Machen Sie es doch besser! – Dr. Manuela Am Ende eines solchen Verfahrens steht im Zweifel Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In übrigens auch kein rechtssicheres Urteil, auf das sich ir- Ihrem Koalitionsvertrag steht dazu gar nichts!) 1780 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Sebastian Steineke (A) Ein weiterer Punkt – auch den haben Sie in Ihrem Wir werden den Gesetzentwurf zum 1. November die- (C) Entwurf nicht geändert, obwohl wir uns lange darüber ses Jahres vorlegen – da sind wir sehr guten Mutes; das unterhalten haben; das hätten Sie entsprechend anpassen bekommen wir gut hin –, um die entsprechenden Punk- und auch die Hinweise des Richterbundes mit aufnehmen te vorab zu klären. Dabei werden wir die Einleitung des können – ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Ar- Verfahrens von einer schlüssigen Darlegung einer Min- tikel 103 Grundgesetz. destzahl von zehn Betroffenen abhängig machen, und wir werden für die Durchsetzung des Verfahrens von (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 50 Anmelderinnen und Anmeldern zum Klageregister NEN]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!) eine Frist von zwei Monaten festsetzen, um die Effek- – Das müssen wir ja nicht; wir haben ja einen. Das ist tivität des Verfahrens zu gewährleisten. Das ist für uns doch wunderbar. der richtige Weg, aber nicht der Weg einer Sammelklage. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Aus unserer Sicht bietet der Entwurf keine rechtstech- GRÜNEN]: Was denn? Wo denn?) nisch gute Lösung und keine Weiterentwicklung. Nach Ihrem Entwurf würde sich der Teilnehmer einer (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gruppe anschließen, die durch einen Gruppenführer vor NEN]: Sie mit Ihrer Umdeutung sind schon Gericht vertreten wird. Er hat aber keinerlei Möglichkei- bald wie die anderen Kollegen dahinten!) ten mehr, auf das weitere Verfahren Einfuss zu nehmen. Wir werden ihn deshalb in dieser Form ablehnen. (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er bei Ihrer Musterfest- Vielen Dank. stellungsklage auch nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das dürfte aus unserer Sicht mit Artikel 103 nicht mehr im Einklang stehen. Deswegen sehen wir ein zweistuf- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ges Verfahren vor, das diese Einschränkung nicht enthält. Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Das ist, glaube ich, deutlich besser. Kollegin Manuela Rottmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ein weiteres wesentliches Problem Ihres Entwurfs ist NEN): die Frage der Klagebefugnis nach § 611 ZPO. Neben den Der Verweis auf die US-Sammelklage ist ungefähr so einzelnen Geschädigten können bei Ihnen auch Verbän- schlagkräftig wie das Vertrösten auf Softwarenachrüs- de nach Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Ver- tungen. Wenn Sie sich einmal damit befassen, was die (B) zeichnis nach Artikel 4 der Unterlassungsklagenrichtlinie (D) US-Sammelklage ausmacht, dann werden Sie merken, der Europäischen Union klagen und einen entsprechen- dass nichts davon in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. den Antrag bei Gericht einreichen. Wenn Sie damit ablehnen, den Verbraucherinnen und Das bedeutet, dass jeder x-beliebige Verband, der in Verbrauchern und den Unternehmen ein stärkeres Recht Europa gegründet wurde – nach welchen Vorschriften vor Gericht zuzubilligen, dann sagen Sie einfach nicht auch immer –, Klagebefugnis hätte. die Wahrheit. (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Die Sammelklage in den USA ermöglicht nicht nur, GRÜNEN]: Das ist ja schrecklich!) den tatsächlichen Schaden einzuklagen, wie in unserem Gesetzentwurf, sondern auch, Strafschäden einzuklagen. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Deshalb haben Niemand will das hier einführen. Die Amerikaner ha- wir im Gegensatz dazu im aktuellen Koalitionsvertrag ben einen anderen Grundsatz als wir: Nicht der Verlierer festgelegt, dass wir die Klagebefugnis auf festgelegte trägt die Kosten des Verfahrens, sondern dort gibt es Er- qualifzierte Einrichtungen beschränken wollen, um die folgshonorare. Niemand will das hier einführen. Entstehung einer Klageindustrie zu vermeiden. Auch die Anforderungen an die Darlegung des Scha- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sehr densersatzes und die tatsächlichen Darlegungen sind in richtig so!) den USA niedriger. Niemand will das hier einführen. Das Wir sperren uns aber gerade nicht gegen Verbesse- ist ein Popanz. rungen. Im Gegenteil, wir haben im Koalitionsvertrag Am allerschlimmsten fnde ich, dass Sie von einer eine gemeinsame Lösung dargestellt, die Musterfeststel- Klageindustrie reden, wo es um ganz normale Leute lungsklage für Verbraucher zu öffnen. Beim Kapitalan- geht, die nicht so viel Geld, vergleichbare Rechtsabtei- leger-Musterverfahrensgesetz gibt es dieses Instrument lungen oder große Kanzleien zur Verfügung haben. Die schon länger. Dabei werden die grundlegenden Rechts- diskreditieren Sie als Klageindustrie. Dabei schützen Sie fragen und Tatsachen vorab geklärt. die Klageabwehrindustrie. Die Geschädigten haben dann die Möglichkeit – so bleibt auch der Anspruch auf rechtliches Gehör ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wahrt –, ihre eigenen Schadensersatzforderungen geltend und bei der LINKEN) zu machen. Die entsprechenden Passagen sind, glaube ich, bekannt; ich muss sie hier nicht im Einzelnen vor- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tragen. Herr Kollege Steineke, Sie wollen antworten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1781

(A) Sebastian Steineke (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch (C) Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie noch einmal da- überhaupt nicht!) rauf hinweisen. Dann kann man es noch einmal deutlich Sie wollen vor allem das Kostenrisiko nach dem Grund- sagen. Eine Klageindustrie gibt es schon heute. satz „Verlierer zahlt“ auf den Verbraucher abwälzen. Das (Beifall bei Abgeordneten der AfD) halte ich für falsch; denn dadurch verhindern Sie, dass die Verbraucher ein solches Verfahren eingehen, wie es MyRight und Hausfeld erhalten Summen von bis zu in Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich steht. 35 Prozent der gezahlten Gelder und versuchen, den Markt aufzurollen. Genau deswegen wollen wir eine Viel besser ist, es so zu regeln, wie wir das mit der Musterfeststellungsklage einführen, die übrigens deut- Musterfeststellungsklage tun. Diese hat die SPD in den lich günstiger ist als das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Diese Musterfest- vorsehen. Die Leute kommen billiger und schneller zu stellungsklage ist ein Meilenstein für den Verbraucher- ihrem Recht; das ist die Antwort. Sie haben einen hand- schutz in Deutschland. werklich schlechten Gesetzentwurf vorgelegt. Das muss man Ihnen einmal sagen dürfen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Manuela Qualifzierte Einrichtungen wie etwa die Verbraucher- Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zentrale werden in Musterprozessen für die Verbraucher Sie haben gar keinen vorgelegt!) die strittigen Fragen klären. Wenn die Fragen rechtsver- bindlich geklärt sind, dann kann jeder Verbraucher sei- ne Ansprüche in einem Prozess geltend machen, in dem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dann ausschließlich über seine individuellen Schadenser- Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kol- satzansprüche entschieden wird. lege Dr. Johannes Fechner. Teilnehmen kann man an einem Musterprozess ganz (Beifall bei der SPD) einfach durch eine Registrierung, die wir über das Bun- desamt für Justiz organisieren. Da besteht kein nennens- Dr. Johannes Fechner (SPD): wertes Kostenrisiko. Die Registrierung wird nur eine kleine Gebühr kosten. Wenn der Verbraucher seinen ei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! genen Prozess führt, dann hat er die Ergebnisse des Mus- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der terfeststellungsprozesses quasi im Rücken und damit die noch immer unfassbare Skandal um die manipulierten besten Prozessaussichten. Das ist vor allem in den Fällen (B) Abgaswerte hat uns allen gezeigt, wie dreist Firmen in wichtig, in denen ein Verbraucher abgezockt wurde, in (D) Deutschland Verbraucher, aber auch andere Unterneh- denen es aber nicht um sehr große Summen geht. Wenn men täuschen und betrügen. Weil dabei oft hohe fnan- in solchen Fällen hinzukommt, dass der Verbraucher das zielle Schäden entstehen und weil sich gerade kleinere Kostenrisiko zu tragen hat, dann wird er erst recht davon Verbraucher einer Übermacht von Konzernen mit in der absehen, seine Rechte geltend zu machen. Tat großen Rechtsabteilungen und Finanzmitteln für An- wälte gegenübersehen, müssen wir handeln und Verbrau- Wir wollen – das steht ausdrücklich im Koalitions- cherinnen und Verbrauchern – gerne auch dem kleinen vertrag – eine Klageindustrie verhindern. Es ist auch im Handwerker, Frau Kollegin Rottmann – mehr und ef- Sinn eines Unternehmens, dass es sich nicht Tausenden fektivere Möglichkeiten geben, ihre Rechte durchzuset- von Klagen ausgesetzt sieht, sondern nur einem einzigen zen. Denn eines ist klar: Wer recht hat, muss auch recht Musterprozess, in dem die Rechtsfragen geklärt werden. bekommen, und das schnell und vor allem ohne großes Kostenrisiko. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Im Augenblick sind die Dieseleigentü- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mer die Beschissenen und nicht der CEO von der CDU/CSU) VW!) Mit dem Gesetzentwurf der Grünen werden wir diese Dadurch schaffen wir mehr Fairness im Wettbewerb. Es Ziele nicht erreichen. Ihr Vorschlag ist in meinen Augen kann nicht sein, dass ein Unternehmen betrügt und dann viel zu kompliziert; denn wenn, wie von Ihnen gefordert, die Gewinne einbehält. Vielmehr wird das Instrument der etwa Hunderte oder gar Tausende Kläger einen Prozess Musterfeststellungsklage auch zu mehr Fairness im Wett- führen, dann müsste ein Gericht in jedem Einzelfall die bewerb beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schadenshöhe beurteilen, eigene Gutachten einholen und eigene Zeugen anhören, um den individuellen Schaden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu berechnen. Das würde zu viel zu langen Prozessen der CDU/CSU) führen. Wir wollen doch gerade schnelle Verfahren. Wer jetzt seinen Diesel nachrüsten muss, will schnell sein Es ist gut, dass die SPD durchgesetzt hat, dass wir bis Recht und den Schadensersatz für die Umrüstung be- zum 1. November dieses Jahres – das ist die Zielmarke – kommen. Ihr Gesetz ist untauglich, weil es zu endlosen nicht nur einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, Prozessen führen wird, Frau Kollegin Rottmann. Kollege Steineke, sondern ihn auch beschließen, sodass das Gesetz zum 1. November in Kraft tritt; denn wir wol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der len drohende Verjährungen zum Jahreswechsel 2018/19 CDU/CSU – Dr. Manuela Rottmann [BÜND- ausdrücklich verhindern. 1782 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Dr. Johannes Fechner (A) Kurzum: Das ist ein ganz wichtiges Gesetz – wie ich publik, Italien, Spanien, die Niederlande; es gibt noch (C) fnde, eines der wichtigsten im Koalitionsvertrag –, das einige andere. wir uns vorgenommen haben. Verbraucher müssen zu ihrem Recht kommen. Wer recht hat, muss recht bekom- Das geschieht aus der Erkenntnis heraus, dass Ein- men, und das schnell und ohne Kostenrisiko. Genau dem zelverfahren allein dieses Problem nicht lösen können. dient unsere Musterfeststellungsklage. Es wird auf das abschreckende Beispiel der Vereinigten Staaten verwiesen – auch in dieser Debatte wurde da- Vielen Dank. rauf verwiesen –, wo durch die Class Actions ein wirk- lich enormes Missbrauchspotenzial geschaffen worden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist; aber das ist nicht vergleichbar mit den Instrumenten, der CDU/CSU) die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen werden. Die Misere in den USA ist verursacht durch Erfolgshonora- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: re, auch durch die Bereitschaft der amerikanischen Ge- Ich erteile das Wort zu seiner ersten Rede im Deut- richte, enorm hohe Schadensersatzsummen zuzubilligen, schen Bundestag dem Kollegen Professor Dr. Lothar von denen das allermeiste bei den Klägern gar nicht an- Maier von der AfD-Fraktion. kommt, sondern bei Anwälten. (Beifall bei der AfD) Die Probleme in den USA sind auch durch das soge- nannte Opt-out-Verfahren gekennzeichnet, bei dem alle Dr. Lothar Maier (AfD): Betroffenen in einer bestimmten Problematik automa- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- tisch Teilnehmer eines Verfahrens werden, ohne dass sie ren! Wir haben in Deutschland ein auch im internatio- sich dazu eigens gemeldet haben und oftmals auch ohne nalen Vergleich hohes Niveau des Verbraucherschutzes dass sie es überhaupt wissen. erreicht, des rechtlichen Verbraucherschutzes ebenso wie So gesehen, kann der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, des institutionellen, der etwa durch international renom- durchaus reizvoll erscheinen. Aber mit den Reizen von mierte Einrichtungen wie die Stiftung Warentest oder die Gesetzentwürfen ist es manchmal so wie mit den Reizen Verbraucherzentralen vertreten ist. Das hat gleichwohl von Menschen: Auf den ersten Blick und aus der Fer- nicht verhindert, dass es nach wie vor eine enorm hohe ne betrachtet erscheinen sie blendend, sehen sie sehr gut Zahl von sogenannten Verbraucherstreitigkeiten gibt, aus. Wenn man ihnen etwas näher tritt und sie bei Ta- von Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und An- geslicht betrachtet, stellen sich doch einige Unebenheiten bietern. Die Statistiken der öffentlichen Rechtsauskünfte, und Macken heraus. die Statistiken der Verbraucherzentralen belegen das zum (B) Teil mit erschreckenden Zahlen. (Beifall bei der AfD) (D) Es gibt bestimmte Branchen, auf die sich solche Strei- Eine dieser Macken ist nach unserer Auffassung der tigkeiten besonders konzentrieren. Dazu gehören etwa Anwendungsbereich des Gesetzes: Er ist viel zu breit Fluggesellschaften, Versicherungen, Strom- und Gasan- defniert. Ausgeschlossen sind praktisch nur Familiensa- bieter, Telefongesellschaften, aber auch kleinere Unter- chen. Damit ist der Bereich, für den solche Gesetzent- nehmen, die in Sparten tätig sind, übel beleumdet Teile würfe eigentlich gedacht sind, nämlich Verbraucherstrei- der Partnervermittlungsagenturen, bestimmte Anbieter tigkeiten, fast an den Rand gerückt. von Bauleistungen usw. Problematisch erscheint uns auch die breite Antrags- Die Situation verschärft sich durch den Onlinehandel, befugnis, die wir als Einladung für Großkanzleien sehen, insbesondere durch den grenzüberschreitenden Online- solche Klagen zu betreiben. Das könnte die Gefahr einer handel, für den sehr schwer rechtliche Unterstützung Klageindustrie in Deutschland durch die Hintertür be- zu fnden ist. In Deutschland zum Beispiel gibt es sol- deuten. che Unterstützung hauptsächlich durch das Europäische (Beifall bei der AfD) Verbraucherzentrum in Kehl. Die Streitwerte in diesem Bereich sind oftmals sehr niedrig. Sie sind so niedrig, Diese Antragsbefugnis sollte auf die Listen begrenzt dass sich viele Anwälte scheuen, in solchen Verfahren werden, die in § 611 Nummer 2 des Entwurfs genannt für Verbraucher tätig zu werden. Das Ergebnis ist: Die werden und in deren Mittelpunkt die Verbraucherverbän- Geschädigten verzichten auf die Geltendmachung ihrer de, gerade die Verbraucherzentralen, stehen, die jahrzehn- Ansprüche, und bestimmte Anbieter können sich sagen: telange Erfahrung mit dem Abwickeln solcher Verfahren Unlauterer Wettbewerb lohnt immer. haben und die auch nur dann tätig werden, wenn sie mit großer Sicherheit annehmen können, dass sie die Ver- Den Verbrauchern muss die Scheu vor Gerichtsver- fahren gewinnen werden. Auch die vorgesehene Kosten- fahren genommen werden. Wir glauben, dass Gruppen- regelung erscheint uns problematisch. Sie ist sicherlich verfahren dazu durchaus ein geeignetes Instrument dar- sehr akzeptabel für die Anwälte; den Verbrauchern bringt stellen können. sie aber im Vergleich zu den Kosten von Einzelverfahren (Beifall bei der AfD) nur wenige Vorteile. Schließlich könnte das Erfordernis der anwaltlichen Vertretung einen Rückschritt gegenüber Es wird weltweit versucht, Verfahren der kollektiven Einzelverfahren mit geringem Streitwert bedeuten. Rechtsdurchsetzung zu etablieren, auch in etlichen Län- dern der Europäischen Union. Ich nenne hier stellvertre- Fazit: Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung; tend die skandinavischen Länder, die Tschechische Re- aber er braucht noch eine ganze Reihe von tiefgreifenden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1783

Dr. Lothar Maier (A) Korrekturen, um zustimmungsfähig zu werden. Ich freue stärker in Anspruch genommene Gerichte entsprechend (C) mich, mit Ihnen darüber im Ausschuss zu diskutieren. auszustatten. Danke schön. Wie wollen Sie den Zugang zum Recht vereinfachen? Unter anderem, indem Sie dem KapMuG die Idee der (Beifall bei der AfD) einfachen Teilnahme entleihen. Positiv für den einzelnen Teilnehmer des Gruppenverfahrens ist, dass er so relativ Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: leicht verhindern kann, dass seine Ansprüche verjähren. Wer seine Teilnahme erklärt, der muss am Ende auch das Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Urteil im Gruppenverfahren gegen sich gelten lassen. Katharina Kloke. Das ist zunächst einmal konsequent. Hochproblematisch (Beifall bei der FDP) ist allerdings, dass die Teilnehmer, die nicht vom Gericht als Gruppenkläger ausgewählt worden sind, keine Mög- lichkeit haben, selbst Prozesshandlungen vorzunehmen Katharina Kloke (FDP): oder rechtlich gehört zu werden. Das ist aber ein Fron- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und talunfall mit dem Grundgesetz. „Vor Gericht hat jeder- Kollegen! Auf der Tagesordnung steht eines der heißes- mann Anspruch auf rechtliches Gehör“; so steht es in ten rechtspolitischen Themen dieses Jahres: der kollekti- Artikel 103 Grundgesetz. ve Rechtsschutz. Wir sprechen heute nicht über die von der GroKo angekündigte Musterfeststellungsklage. Bei Dass man am Gruppenverfahren freiwillig teilnimmt, der ist es, so viel sei vorweggenommen, ein bisschen wie ist kein hinreichendes Argument; denn jede Klage ist beim BER: Baustelle dichtmachen und noch einmal ganz freiwillig. Trotzdem kann das rechtliche Gehör noch von vorne anfangen ist wahrscheinlich am günstigsten. verletzt werden. Auch die scheinbare Vertretung durch Dem interessierten Laien drängt sich dieser Eindruck den Gruppenkläger entschärft das Problem nicht; denn auf; zahlreiche Experten haben ihn bestätigt. er handelt nur für sich selbst. Entscheidend sind vielmehr die formelle Verfahrensbeteiligung und die Möglichkeit Insoweit ist der Entwurf der Grünen für ein Gruppen- der unmittelbaren Beeinträchtigung in eigenen Rechten verfahren verdienstvoll; aber er hat auch Schwächen. durch den Verfahrensausgang. Beim KapMuG ist das Erstens handelt es sich – immerhin – um ein eigenes anders. Im dort geregelten Musterverfahren können die Konzept. Und er löst zweitens – immerhin – eine Reihe sogenannten Beigeladenen selbst Prozesshandlungen von Problemen deutlich besser als das notleidende Gro- wirksam vornehmen. Ko-Modell. Mein letzter Punkt betrifft die Klagebefugnis. Hier (B) (Beifall bei der FDP und beim BÜNDNIS 90/ gehen Sie bewusst einen anderen Weg als das KapMuG. (D) DIE GRÜNEN) Aus der Sicht der FDP ist er nicht erstrebenswert; denn es ist aus unserer Sicht nicht richtig, dem Paternalismus Lassen Sie uns das näher anschauen. Sie sagen: Zu- Vorschub zu leisten. Wir halten es nicht für der Weisheit gangsschranken runter ist gleich mehr Rechtsdurchset- letzten Schluss, ein neues Verbandsklageinstrument für zung. Dagegen ist vom Grundsatz her wenig einzuwen- „qualifzierte Einrichtungen“ zu schaffen, wo schon die den. Es gehört zum liberalen Rechtsstaatsverständnis, bestehenden Verbandsklagemöglichkeiten nicht so ge- dass jeder freie Mensch sein Recht auch geltend machen nutzt werden wie gedacht. und mithilfe des Rechts durchsetzen kann. Der Staat ist dafür da, faire und freiheitliche Spielregeln für den (Beifall bei der FDP) Einzelnen aufzustellen. So schafft er den bestmöglichen Wir brauchen nicht noch mehr Paternalismus in diesem Rahmen für Wettbewerb und Innovation. Das dient dem Land; wir brauchen mündige Verbraucher und freie Bür- Wohle aller. Das spricht für Instrumente des kollektiven ger. Rechtsschutzes, und das spricht für die Absenkung von Zugangsschranken. Was man aber beachten muss: „Zu- Vielen Dank. gangsschranken runter“ bedeutet erst einmal einen deut- (Beifall bei der FDP) lich stärkeren Zulauf zu den Gerichten. Das Justizsystem wird zunächst einmal zusätzlich be- und nicht entlastet.

Diese Belastung soll ausgeglichen oder gar überkompen- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: siert werden. Das soll aus der umfassenden Bündelung Für die Fraktion Die Linke hat das Wort nun die Kol- von bestimmten Prüfungsfragen in einem einzigen Grup- legin Amira Mohamed Ali. penverfahren erfolgen. Das ist aber erst einmal nur eine (Beifall bei der LINKEN) spekulative Hoffnung. Hinzu kommt: Sofern das Gruppenverfahren nicht Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): im vollstreckbaren Vergleich endet, muss der Teilneh- Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- mer eine individuelle Klage an das Gruppenverfahren gen! Liebe Gäste! Durch die im vorliegenden Gesetzent- anschließen, um seine individuellen Ansprüche tatsäch- wurf vorgeschlagene Gruppenklage soll es Verbrauche- lich durchzusetzen. Das geht noch einmal durch alle In- rinnen und Verbrauchern erleichtert werden, ihre Rechte stanzen und hat also eine weitere Inanspruchnahme der durchzusetzen. Die Linke teilt dieses Ziel und auch die Gerichte zur Folge. Das ist eine Gewissheit. Sie müssen Analyse, dass es hier aktuell Lücken gibt, ja ganze In- den Bürgern also auch sagen, dass es sie etwas kostet, strumente zur Rechtsdurchsetzung fehlen. 1784 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Amira Mohamed Ali (A) Wie dringlich das Thema ist, hat sich spätestens mit Dieser Bedarf zeigt sich deutlich an dem bereits er- (C) dem Dieselabgasskandal gezeigt. wähnten Abgasskandal. Derzeit existiert ein Flicken- teppich von Entscheidungen zu der Frage, ob Die- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) selfahrzeughalterinnen und -halter aufgrund illegal Bis heute ist nicht klar, wie die Bundesregierung mit dem verbauter Abschalteinrichtungen Anspruch auf Rückga- millionenfachen Betrug umgehen will. Ich muss Ihnen be oder Schadenersatz haben. Millionen Menschen kön- sagen: Die Untätigkeit der Bundesregierung ist ein Skan- nen ihr Risiko, bei einem Gerichtsprozess zu verlieren dal auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. und dann auf hohen Kosten sitzen zu bleiben, nicht ein- Die Linke akzeptiert das nicht. Wir fordern Sie auf: Han- schätzen. Sie zögern, zu klagen, und laufen dabei Gefahr, deln Sie endlich! ihre Ansprüche durch Verjährung zu verlieren. Das ist schlicht inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Nun schlagen die Grünen vor, ein Gesetz zu schaffen, Ein Weg zur Lösung dieses Problems wäre eine ef- das die Bündelung von individuellen Ansprüchen ermög- fektive Musterfeststellungsklage, die so ausgestaltet ist, licht. Im Entwurf heißt es konkret, dass sich mindestens dass alle, die von derselben Sachlage betroffen sind, da- zehn Personen zusammentun, um einen gemeinsamen von auch proftieren. Konkret: Fällt ein Gericht in einer Gerichtsprozess, ein Gruppenverfahren, anzustrengen. Sache ein Urteil zugunsten der Verbraucher, können alle Das Urteil, das später gefällt wird, gilt dann für alle, die von der gleichen Situation betroffenen Personen sich auf an diesem Verfahren beteiligt waren. Das setzt allerdings genau dieses Urteil berufen und sich bei Gericht einen voraus, dass die Betroffenen sich einen Anwalt genom- Titel holen, um damit ihre Rechte durchzusetzen, ohne – men haben. ich betone: ohne – selber klagen zu müssen. Für den Einzelnen ist das erst einmal ein Kostenrisi- (Beifall bei der LINKEN) ko. Dieses Risiko steigt, wenn die Klägerzahl im Laufe Das wäre der effektivste Weg, um den Menschen zu ih- des Verfahrens unter neun sinkt; denn dann ist das Grup- rem Recht zu verhelfen. penverfahren nicht mehr möglich, und das halten wir für kritisch. Die Bundesregierung hat nun angekündigt, dass im November ein Gesetz über die Musterfeststellungsklage (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) verabschiedet werden soll. Wir, Die Linke, setzen uns Was durch diesen Vorschlag auch nicht gelöst wird, dafür ein, dass es nicht nur bei der Ankündigung bleibt, (B) ist das Problem der sogenannten Streuschäden. Davon sondern dass endlich Taten folgen und die Rechte der (D) spricht man, wenn es eine große Anzahl von Schäden Verbraucherinnen und Verbraucher auch wirklich ge- gibt, die für sich genommen so klein sind, dass der Ein- stärkt werden. Beim Abgasskandal droht bereits die Ver- zelne die Sache gar nicht weiterverfolgen würde: zum jährung der Ansprüche der Betroffenen. Beispiel die Berechnung zu hoher Versandkosten im Unsere Bundesregierung hat im Verbraucherschutz Onlinewarenhandel; das einige Cent zu teure Telefonge- die letzten Jahre leider im Schlafwagen verbracht; aber spräch ist ein weiteres Beispiel. Es geht also um kleine keine Angst: Die Linke wird sie wecken. Beträge, die zu Unrecht von Tausenden, Hunderttausen- den oder gar Millionen Kunden eingefordert werden. Die Vielen Dank. Linke will nicht, dass große Unternehmen Reibach ma- chen können, indem sie massenhaft ein paar Cent oder (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Euro zu viel berechnen, weil sie davon ausgehen, dass Sarah Ryglewski [SPD]) der einzelne Betroffene deswegen schon nicht klagen wird. Hier braucht es ein einfaches, kostengünstiges In- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: strument, das die Menschen schützt, und zwar vor jeder Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Ullrich Art der Abzocke. von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Linke fordert deshalb einfache und niedrigschwel- lige Möglichkeiten für die Menschen, zu ihrem Recht zu Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): kommen, und zwar ohne großes Kostenrisiko. Nur das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- schafft Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, meine Da- ren! Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher wird einer men und Herren. der Schwerpunkte in der Rechtspolitik der Großen Koa- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lition sein. Wir kümmern uns deswegen darum, weil wir um die strukturelle Ungleichheit bei der Durchsetzung Wenn die Bundesregierung Verbraucherrechte tatsäch- von Klein- und Streuschäden wissen. Der Zugang zum lich schützen und stärken möchte, dann muss sie endlich Recht ist oftmals erschwert durch die fehlende Möglich- eine deutliche Ausweitung des kollektiven, des gemein- keit, direkt und einfach Recht zu bekommen, aber auch samen, Klagerechts veranlassen. Nur so können Verbrau- durch die Hürden, die das aktuelle Zivilprozessrecht vor- cherzentralen und -verbände oder auch Anwaltskanzleien sieht. Das wollen wir ändern. Wir sagen: Wir wollen den Rechtssicherheit für die Betroffenen herbeiführen. Zugang zum Recht weiter erleichtern und gleichzeitig für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1785

Dr. Volker Ullrich (A) die Gerichte die Voraussetzungen für die Anwendung des aus dem Vergleich erklären. Warum haben Sie es nicht (C) Rechts verbessern. andersherum gelöst und festgelegt: „Wenn 50 Prozent beitreten, dann gilt der Vergleich“? Das wäre eine we- Wir wollen das deswegen tun, weil die bisherigen sentlich einfachere Regelung gewesen. Instrumente noch nicht vollständig geeignet sind, diese Ziele zu erfüllen. Die Klagemöglichkeiten der Verbände Schließlich sind auch die Regelungen über die Beru- nach dem Unterlassungsklagengesetz sind präventiv und fung ziemlich kompliziert und verbraucherfeindlich. Der ein gutes Instrument, um verbraucherfeindliche Klauseln Gruppenkläger kann nämlich Berufung einlegen, auch gerade in den Bereichen Mobilfunk und Elektrizität zu mit Wirkung für die Gruppe, ohne dass jemand aus der unterbinden. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensge- Gruppe irgendwie aus der Berufung austreten kann. Da- setz hat sich in der Praxis – da müssen wir ehrlich sein – mit erhöhen Sie das Prozesskostenrisiko für die gesamte als zu schwerfällig und zu langwierig erwiesen. Das zeigt Gruppe auf Kosten derjenigen, die eigentlich nur eine beispielsweise das Verfahren um die Erstattung bei der Erstattung der Streuschäden wollen. Insofern ist Ihr Ge- Telekom, das sich jetzt mittlerweile über ein Jahrzehnt setzentwurf zu kompliziert, baut zu hohe Hürden auf und zieht. Deswegen brauchen wir ein neues und ein gutes kann den Anspruch, die Rechtsdurchsetzung für den Ver- Instrument, um die Ansprüche von Verbrauchern zu bün- braucher zu verbessern, nicht erfüllen. Deswegen lehnen deln und um Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen. wir Ihren Gesetzentwurf ab – aus inhaltlichen Gründen. Wir stehen an der Seite der Verbraucher. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir werden als Große Ko- Jetzt ist die Frage, ob der vorgeschlagene Gesetzent- alition alsbald einen Gesetzentwurf zur Musterfeststel- wurf der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen diesem lungsklage vorlegen. Sie werden erkennen, dass damit Ansinnen gerecht wird. Wir haben diesen Gesetzentwurf der Zugang zum Recht wesentlich erleichtert wird. bereits mehrmals im Deutschen Bundestag debattiert. (Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/ (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- NEN]: Und immer abgelehnt!) schenfrage) Die grundlegenden juristischen Fragestellungen, die die- Es werden nur anerkannte Verbände klagebefugt sein, es ser Gesetzentwurf aufwirft, aber nicht beantwortet, blei- wird ein sehr niederschwelliges Klageregister geben, und ben bestehen. wir wollen auch die Verfahrensfristen verkürzen, damit die Durchsetzung des Rechts anders als im Kapitalan- Frau Kollegin Rottmann, Sie haben gesagt, es dürfe leger-Musterverfahrensgesetz nicht Monate oder Jahre (B) nicht auf das Geld ankommen, ob jemand bei Klein- dauert. – Ich würde die Zwischenfrage zulassen, Herr (D) oder Streuschäden klagt oder nicht. Wenn Sie aber von Präsident. jemandem verlangen, dass er einen Anwalt nimmt – Sie wollen ja einen Anwaltszwang verankern –, dann muss er entweder die Erstberatungsgebühr von über 200 Euro Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: aufbringen oder umständlich erst einmal seine Rechts- Bitte schön, Frau Kollegin Rottmann. schutzversicherung fragen, ob er klagen darf. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Bei Ihnen hat er gar nichts! – NEN): Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Herr Ullrich, dass Sie die Frage zulas- NEN) sen. – Gestern ist ein VW-Händler verurteilt worden. Der arme Mann oder die arme Frau – ich weiß es nicht ge- Das ist kein einfacher Zugang zum Recht. Sie erschwe- nau – kann ja gar nichts für diesen mangelhaften Wagen. ren den Zugang zum Recht. Er könnte sich jetzt mit anderen Händlern zusammentun Sie müssen auch sehen, was mit § 619 Ihres Entwurfs und seinerseits VW in Regress nehmen, da der Konzern bewirkt würde. Da führen Sie einen sogenannten Grup- für diese Manipulation verantwortlich ist. Welche Ver- penkläger ein. Der Gruppenkläger soll für die Gruppe braucherzentrale, glauben Sie, wird diesen Händler ver- die entsprechenden Prozesshandlungen vornehmen. Das treten, und wie wollen Sie das Problem lösen, dass der Problem ist aber, dass Sie im gleichen Paragrafen sagen, Händler kein Verbraucher ist? Er steht alleine gegen VW. dass dieser Gruppenkläger durch die anderen nicht in Haftung genommen werden kann und dass kein Schuld- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): verhältnis begründet wird. Das heißt übersetzt: Der Die Frage der Klagebefugnis im Rahmen der Muster- Gruppenkläger kann machen, was er will. Das ist nicht feststellungsklage wird von der gesetzlichen Ausgestal- verbraucherfreundlich. tung abhängig sein. Gerade für den Bereich des Hand- (Widerspruch der Abg. Dr. Manuela Rott- werks oder der kleineren Händler, für den ich Sympathie mann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) habe, wollen wir beispielsweise eine Klagebefugnis der Industrie- und Handelskammern in das Gesetz schreiben, Sie müssen bitte auch sehen, was für eine komplizierte damit wir ihnen genau in den Fällen, in denen Händler Regelung in § 623 bezüglich der Frage des Vergleiches oder Handwerker letzten Endes auf dem Regress sitzen vorgesehen ist. Demnach soll ein Vergleich nur zustan- bleiben würden, eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen- de kommen, wenn weniger als 30 Prozent den Austritt über den größeren Unternehmen geben. Fairness muss 1786 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

Dr. Volker Ullrich (A) auf beiden Seiten vorhanden sein. Deswegen bitte ich Das alles hält die Leute davon ab, zu klagen. Außerdem (C) Sie, dass Sie genau bei diesem Punkt an den Gesetzesbe- kann in manchen Fällen, in denen die Rechtslage nicht ratungen mitwirken. ganz eindeutig ist, auch ein existenzielles Risiko dahin- terstehen, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher kla- (Beifall bei der CDU/CSU) gen und am Ende nicht gewinnen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch Deswegen ist es eine Frage des individuellen Rechts- überlegen, wie wir kleinere Streuschäden oder Erstat- empfndens bzw. des individuellen Gerechtigkeitsemp- tungsbeträge im Bereich von wenigen Euro für die Ver- fndens. Die Leute fühlen sich zu Recht zutiefst ver- braucher handhabbarer machen. Das typische Beispiel unsichert. Wir Politikerinnen und Politiker haben ein ist: Jemand kauft sich über eine App eine Fahrkarte bei ureigenes Interesse daran, hier Beschlüsse zu fassen und einem Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bahn. zu einer Lösung zu kommen. Denn wenn Leute nicht zu Der Zug kommt nicht. Um den Erstattungsanspruch von ihrem Recht kommen, weil die Hürden zu hoch sind, 4,90 Euro oder 7,80 Euro geltend zu machen, muss oft- dann untergräbt das am Ende auch die Autorität des mals umständlich ein Formular ausgefüllt werden. Hier Rechtsstaats. muss zukünftig gelten, dass die Erstattung auf die gleiche Art und Weise vorgenommen werden kann wie der Kauf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der entsprechenden Fahrkarte. Auch hier brauchen wir DIE GRÜNEN) Waffengleichheit und Fairness. Wir haben das übrigens in der letzten Wahlperiode schon dadurch gelöst, dass Es ist daher zwingend notwendig, dass wir hier dafür sor- wir gesagt haben: Ein Vertrag muss auf die gleiche Art gen, zu einer Form der kollektiven Rechtsdurchsetzung und Weise gekündigt werden können, wie er geschlossen zu kommen. wurde. – Das gilt auch für die Erstattungen. Wir haben viel über das Thema Abgasskandal ge- Wir haben viel vor im Bereich des Verbraucherschut- sprochen. Es ist ein populäres und aktuelles Beispiel. zes. Wir werden es beherzt und sehr tatkräftig anpacken. Ich freue mich, dass dieses Thema als Katalysator dazu Ich lade jeden ein, hier mitzuwirken. geführt hat, dass auch die CDU/CSU über die Hürde gesprungen ist. Es ist aber nicht das beste Beispiel für Herzlichen Dank. die Notwendigkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht vielmehr um die Frage: Was macht man mit den Verfehlungen und Verstößen, die sich im niedrigeren Be- reich bewegen? Das Thema Abgas und Diesel hat eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: hohe Aufmerksamkeit. Da klagen schon viele Leute. Die letzte Rednerin in dieser Sitzungswoche ist die (B) Aber für die Leute, die nach rationaler Abwägung zu dem (D) Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion. Schluss kommen, wegen eines Schadens von 2,50 Euro (Beifall bei der SPD) oder 5 Euro beispielsweise durch eine fehlerhafte App zu klagen, lohnt sich der Aufwand nicht. Für den Einzelnen mag der Schaden verschmerzbar sein, aber hier werden Sarah Ryglewski (SPD): Gewinne mit rechtswidrigem Verhalten gemacht. Wir Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Politikerinnen und Politiker, aber auch der Rechtsstaat und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! müssen ein Interesse daran haben, dass Leute dagegen Zum Ende der Sitzungswoche zu einem so wichtigen klagen und am Ende zu ihrem Recht kommen. Thema zu reden, ist etwas Besonderes. Ich werde jetzt nicht die ganze Debatte zusammenfassen, die ich sehr gut (Beifall bei der SPD) fand. Aber ich glaube, wir sollten einfach einmal ein paar Ich möchte auf den Antrag zurückkommen und noch Punkte festhalten, bei denen wir einer Meinung sind. einmal sagen, warum wir unsere Vorstellungen von einer Mich hat es sehr gefreut, dass wir uns, was die Grund- Musterfeststellungsklage für besser halten. Der Kolle- richtung angeht, alle einig sind: Wir müssen dafür sor- ge Fechner hat schon viele Punkte aufgeführt. Aber ich gen, dass derjenige, der recht hat, auch recht bekommt. möchte noch einmal auf die besonders qualifzierten Ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- richtungen hinweisen. Das Thema Diesel – das habe ich ten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Manuela bereits gesagt – hat eine hohe Tagesaktualität; bei ihm Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sind viele Verbraucherinnen und Verbraucher sehr sensi- bilisiert. Bei anderen Themen ist das aber nicht der Fall. Ich stehe hier vor allem als Verbraucherschutzpolitike- Mithilfe dieser Einrichtungen – die Verbraucherzentralen rin. Darum will ich noch einmal sagen, warum das Ganze haben beispielsweise eine Sensorfunktion – entwickelt ein so elementarer Bestandteil des Verbraucherschutzes man ein Gespür für einen systematischen Betrug oder ist. Es geht nicht nur darum, dass man die Möglichkeit wettbewerbswidrige Geschäftspraktiken. Somit gibt es hat, zu klagen. Wir haben in den letzten Jahren einige eine Möglichkeit, Verbraucherinnen und Verbraucher gute Gesetze, die die Rechte von Verbraucherinnen und anzusprechen und ihnen zu sagen: Schauen Sie einmal Verbraucher stärken, nach vorne gebracht. Nur leider hin! Wie läuft es bei Ihnen? Hier in der Beratung gibt es bleiben diese Gesetze zahnlos, wenn die Leute nicht die die Möglichkeit, mit einer Musterfeststellungsklage Ihre Möglichkeit haben, diese Rechte auch durchzusetzen. Es Ansprüche durchzusetzen. ist in der Tat so, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob ich zum Anwalt gehen muss oder nicht, wie Deswegen wäre mein Appell, dass wir diese gute lang das Verfahren ist, um welche Schadenshöhe es geht. Diskussion im Gesetzgebungsprozess weiter fortführen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2018 1787

Sarah Ryglewski (A) dass wir die Punkte, die von den Grünen und den Linken Vielen Dank. (C) angesprochen wurden, auch aufnehmen. Die wichtigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fragen bezüglich der Handwerker oder der Autohändler der CDU/CSU) müssen wir ansprechen; denn uns geht es um eine effek- tive Rechtsdurchsetzung. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Ich erlaube mir, bevor ich zum Schluss komme, Sie Aussprache zu diesem letzten Tagesordnungspunkt. darauf hinzuweisen: Schauen Sie noch einmal in den Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Koalitionsvertrag. Dort haben wir sehr detailliert ausge- wurfs auf Drucksache 19/243 an die in der Tagesordnung führt, aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander- weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das (Marianne Schieder [SPD]: Ein gutes Papier!) so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- was wir vorhaben. Ich habe gelernt: Der Gradmesser für ordnung. die Prioritätensetzung im Koalitionsvertrag ist das Ver- hältnis von Werden und Wollen. Es steht vier zu eins für Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf Mittwoch, den 21. März 2018, 11.30 Uhr, ein. Werden. In diesem Sinne, Frau Mohamed Ali, kann ich Sie beruhigen. Sie brauchen uns nicht mehr zu wecken. Ich wünsche Ihnen allen ein erfolgreiches Wochenen- Wir von der SPD sind bei diesem Thema schon längst de. Die Sitzung ist geschlossen. ausgeschlafen. (Schluss: 13.08 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1789

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Barrientos, Simone DIE LINKE 16.03.2018 Müller-Rosentritt, Frank FDP 16.03.2018

Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE 16.03.2018 Nord, Thomas DIE LINKE 16.03.2018

Busen, Karlheinz FDP 16.03.2018 Pasemann, Frank AfD 16.03.2018

Friedhoff, Dietmar AfD 16.03.2018 Pilger, Detlev SPD 16.03.2018

Friesen, Dr. Anton AfD 16.03.2018 Post (Minden), Achim SPD 16.03.2018

Gebhart, Dr. Thomas CDU/CSU 16.03.2018 Pronold, Florian SPD 16.03.2018

Gerster, Martin SPD 16.03.2018 Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 16.03.2018

Gohlke, Nicole DIE LINKE 16.03.2018 Rosemann, Dr. Martin SPD 16.03.2018

Grotelüschen, Astrid CDU/CSU 16.03.2018 Rüthrich, Susann SPD 16.03.2018

Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 16.03.2018 Schäffer, Frank FDP 16.03.2018

Held, Marcus SPD 16.03.2018 Schmidt, Uwe SPD 16.03.2018 (B) (D) Herdt, Waldemar AfD 16.03.2018 Schreiner, Felix CDU/CSU 16.03.2018

Högl, Dr. Eva SPD 16.03.2018 Schulz, Jimmy FDP 16.03.2018

Katzmarek, Gabriele SPD 16.03.2018 Schulz, Martin SPD 16.03.2018 Keuter, Stefan AfD 16.03.2018 Schwarz, Andreas SPD 16.03.2018 Korte, Jan DIE LINKE 16.03.2018 Schwarzelühr-Sutter, SPD 16.03.2018 Kotré, Steffen AfD 16.03.2018 Rita

Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 16.03.2018 Solms, Dr. Hermann FDP 16.03.2018 Christian DIE GRÜNEN Otto

Lay, Caren DIE LINKE 16.03.2018 Spahn, Jens CDU/CSU 16.03.2018

Lindner, Dr. Tobias BÜNDNIS 90/ 16.03.2018 Stamm-Fibich, Martina SPD 16.03.2018 DIE GRÜNEN Tackmann, Dr. Kirsten DIE LINKE 16.03.2018 Lutze, Thomas DIE LINKE 16.03.2018 Ulrich, Alexander DIE LINKE 16.03.2018 Mayer (Altötting), CDU/CSU 16.03.2018 Stephan Vries, Kees de CDU/CSU 16.03.2018 Mihalic, Irene* BÜNDNIS 90/ 16.03.2018 DIE GRÜNEN Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 16.03.2018

Möhring, Cornelia DIE LINKE 16.03.2018 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 16.03.2018

Müller, Hansjörg AfD 16.03.2018 * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 1790 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

(A) Anlage 2 trollen im Schengenraum nicht allein entscheiden kann. (C) Unbefristete und lückenlose Kontrollen der gesamten Erklärung nach § 31 GO deutschen Grenze wären europarechtlich unzulässig. der Abgeordneten Dorothee Bär und Florian Auch im Übrigen lässt die AfD in ihrem Antrag die Oßner (beide CDU/CSU) zu der namentlichen einschlägigen Vorgaben des europäischen Rechts, das in Abstimmung über die Beschlussempfehlung des vielfacher Weise mit dem deutschen Recht ineinander- Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordne- greift, unerwähnt. ten Dr. Gottfried Curio, Albrecht Glaser, Armin-­ Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter und der Schließlich können auch noch so umfangreiche Bin- Fraktion der AfD nengrenzkontrollen nicht die Ursachen der illegalen Migration in den Herkunfts- und Transitstaaten lösen. Umfassende Grenzkontrollen sofort einführen – Zu- Besonders wichtig sind hierzu die Bekämpfung der rückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt Fluchtursachen und ein besserer Schutz der EU-Außen- (Tagesordnungspunkt 19) grenzen. Der Antrag der AfD ist abzulehnen:

Die CSU im Bundestag will Deutschland schützen, Anlage 3 die AfD hingegen will Deutschland abschotten. Erklärung nach § 31 GO Klar ist: Effektive Binnengrenzkontrollen sind unver- zichtbar, bis ein wirksamer Außengrenzschutz sicherge- der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsru- stellt ist. Deswegen haben wir schon im September 2015 he-Land) und Ingo Wellenreuther (beide CDU/ Binnengrenzkontrollen wiedereingeführt, die die Bun- CSU) zu der namentlichen Abstimmung über die despolizei mit Unterstützung der bayerischen Polizei Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu durchführt. Die CSU im Bundestag will diese Grenzkon- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gottfried ­Curio, trollen auch weiter fortführen und bei Bedarf ausbauen, Albrecht Glaser, Armin-Paulus Hampel, weiterer bis der Schutz der EU-Außengrenzen gewährleistet ist. Abgeordneter und der Fraktion der AfD Die Grenzkontrollen sind erfolgreich. Auch Zurück- Umfassende Grenzkontrollen sofort einführen – Zu- weisungen werden schon heute durchgeführt. Zurück- rückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt weisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, die (Tagesordnungspunkt 19) unerlaubt einreisen wollen oder eingereist sind, sind gel- Der Antrag geht in die richtige Richtung und zeigt not- (B) tendes Recht und tägliche Praxis der Bundespolizei. (D) wendige Schritte auf. Außerdem ist fankierend zu den Grenzkontrollen auch die Schleierfahndung unverzichtbar. Mit diesem In- Aufgrund der gerade erst neu eingesetzten Bundes- strument sorgt Bayern wirksam für zusätzliche Sicher- regierung sind diese Schritte jedoch kurzfristig nicht heit. Die Schleierfahndung muss deutschlandweit weiter umsetzbar. Die Bundesregierung hat heute zugesagt, die ausgebaut werden. Dass es die Schleierfahndung in Ber- notwendigen Schritte einzuleiten. lin und immer noch nicht gibt, ist eine eklatante Deshalb werden wir uns der Beschlussempfehlung des Sicherheitslücke. Ausschusses anschließen. Wir wollen diese Maßnahmen fortsetzen und bauen sie sogar noch aus. Wir schaffen 15 000 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. In Anlage 4 Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrich- tungen sollen Asylverfahren schnell bearbeitet werden, Erklärungen nach § 31 GO nicht schutzbedürftige Personen werden künftig direkt zu der namentlichen Abstimmung über die Be- von dort zurückgeführt. schlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Die CSU hat zur Frage des Grenzschutzes seit Jahren Antrag der Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, eine klare Haltung, die sie in der Bundesregierung und Albrecht Glaser, Armin-Paulus Hampel, weiterer dem Deutschen Bundestag sukzessive durchgesetzt hat Abgeordneter und der Fraktion der AfD und auch künftig sehr konsequent weiter verfolgen wird. Umfassende Grenzkontrollen sofort einführen – Zu- Es ist bedauerlich, dass die AfD, die den Bürgern im rückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt Wahlkampf vollmundige Versprechungen gemacht hat, (Tagesordnungspunkt 19) im Deutschen Bundestag bisher nichts als Schaufenster- politik zustande gebracht hat. Die AfD hat noch keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, der praktisch so hätte um- Veronika Bellmann (CDU/CSU): Grundsätzlich ist gesetzt werden können. Die Partei lehnt es konsequent festzuhalten, dass der vorliegende Antrag weder dem ab, sich mit Fakten und fachlichen Details zu beschäfti- Koalitionsvertrag von Union und SPD widerspricht gen. So auch im vorliegenden Antrag. (Seite 104 – Zitat –: „Zur Sicherung der Freizügigkeit innerhalb Europas gehört ein wirksamer Schutz der eu- Der Antrag der AfD lässt außer Acht, dass Deutsch- ropäischen Außengrenzen. Dazu wollen wir Frontex zu land über Einführung und Verlängerung von Grenzkon- einer echten Grenzschutzpolizei weiterentwickeln. Bis Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1791

(A) der Schutz der EU-Außengrenzen effektiv funktioniert, Der Bundesgesetzgeber muss alles tun, um der Bun- (C) sind Binnengrenzkontrollen vertretbar.“) noch der Erklä- despolizei das optimale Instrumentarium an die Hand zu rung der EU-Kommission vom 27. September 2017, in geben, mit dem vor dem Grenzübertritt der sie feststellt, dass wegen anhaltender Bedrohung der erstens die Identität der Personen, die zu uns öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit die Befris- kommen wollen, zweifelsfrei festgestellt werden tungen von Binnengrenzkontrollen möglicherweise nicht kann, ausreichend sein könnten und möglicherweise verlängert werden müssten. Der Bundesinnenminister bestätigte die zweitens denjenigen Personen, die potenziell un- Notwendigkeit der Weiterführung der Binnengrenzkon- sere Sicherheit bedrohen, die Rote Karte gezeigt trollen ebenfalls, da die EU-Außengrenzen noch immer werden kann, nicht ausreichend gesichert seien und es weiterhin, trotz drittens Flucht von Zuwanderung unterschieden sichtbaren Rückgangs, immer noch ein erhebliches Maß werden kann. an illegaler Einwanderung gäbe. Denn: Wir haben in unserem Land einen gesellschaft- Binnengrenzkontrollen sind aber weitgehend inef- lichen Konsens zur Hilfe in der Not. Deutschland und fektiv, wenn nicht gleichzeitig Zurückweisungen an der seine Menschen haben dies immer wieder in beeindru- Grenze stattfnden, zumindest solange es kein gemeinsa- ckender Weise unter Beweis gestellt. Aber wir haben von mes europäisches Asylrecht und keine – Zitat aus dem der großen Mehrheit der Bevölkerung kein Mandat für Koalitionsvertrag – „gemeinsame Durchführung von eine unbegrenzte Zuwanderung. Asylverfahren überwiegend an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort“ gibt. Klar ist: Effektive Binnengrenzkontrollen sind unver- zichtbar, bis ein wirksamer Außengrenzschutz sicher- Die rechtliche Zulässigkeit von Zurückweisungen ist gestellt ist. Deswegen haben wir schon im September sowohl von der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), 2015 Binnengrenzkontrollen wiedereingeführt, die die der europäischen Verordnung zum Dublin-Verfahren, Bundespolizei mit Unterstützung der bayerischen Polizei dem deutschen Asylgesetz (§§ 18 und 26 AsylG) und durchführt. Die CSU im Bundestag will diese Grenzkon- dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) grundsätzlich ge- trollen auch weiter fortführen und bei Bedarf ausbauen, geben. Deshalb unterstütze ich die Forderung auf Fort- bis der Schutz der EU-Außengrenzen gewährleistet ist. führung von Binnengrenzkontrollen in Verbindung mit Zurückweisungen an diesen Grenzen. Die Grenzkontrollen sind erfolgreich. Auch Zurück- weisungen werden schon heute durchgeführt. Allein im Daraus ergibt sich allerdings auch, dass die Mitglied- Jahr 2017 kam es zu 12 370 Zurückweisungen durch die staaten, die Erstaufnahmeländer sind und europäische Bundespolizei. Zurückweisungen und Zurückschiebun- (B) (D) Außengrenzen haben, durch die Migration von außerhalb gen von Ausländern, die unerlaubt einreisen wollen oder der EU und den noch immer nicht wirksamen und voll- eingereist sind, sind geltendes Recht und tägliche Praxis ständigen Schutz der EU-Außengrenzen im erheblichen der Bundespolizei. Maße belastet sind. Sie bedürfen nicht nur mehr mate- Wir werden diese Maßnahmen fortsetzen und bauen rieller, personeller und logistischer Unterstützung beim sie sogar noch aus. Wir schaffen 15 000 neue Stellen bei Aufbau des Grenzschutzes, sondern auch bei der Bewäl- den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Über tigung der Erstaufnahme, der Durchführung der Asylver- das Instrument der Grenzkontrollen hinaus, werden in fahren usw. Zukunft auch die Asylverfahren in den geplanten Auf- Der Antrag der AfD gibt dazu – im Übrigen ebenso nahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen wie der Koalitionsvertrag – keine Antwort. Die Bedeu- schneller und effektiver bearbeitet werden. Nichtschutz- tung der Fluchtursachenbekämpfung und deren not- bedürftige Personen werden künftig direkt von dort zu- wendiger Umfang ist in dem Zusammenhang ebenfalls rückgeführt. Außerdem ist fankierend zu den Grenz- vollkommen unzureichend betrachtet. Deshalb kann ich kontrollen auch die Schleierfahndung unverzichtbar. Mit diesem Antrag nicht zustimmen. diesem Instrument sorgt Bayern wirksam für zusätzliche Sicherheit. Die Schleierfahndung muss deutschlandweit Im Übrigen waren die Reden der AfD und ihr Verhal- weiter ausgebaut werden. Dass es die Schleierfahndung ten während der Debatte leider nur sehr wenig überein- in Berlin und Bremen immer noch nicht gibt, ist eine stimmend mit der Grundintention ihres eigenen Antrages. ekla ­tante Sicherheitslücke. Die CSU hat zur Frage des Grenzschutzes seit Jahren Michael Kuffer (CDU/CSU): Die Sicherung der eine klare Haltung, die sie in der Bundesregierung und Grenzen auf nationaler wie auf europäischer Ebene und dem Deutschen Bundestag sukzessive durchgesetzt hat die Schließung von noch bestehenden Lücken im Grenz- und auch künftig sehr konsequent weiterverfolgen wird. schutz waren und sind seit jeher die zentralen Anliegen Die CSU stellt den Schutzauftrag gegenüber der eigenen meiner Anstrengungen als Innen- und Sicherheitspoliti- Bevölkerung klar und eindeutig in den Vordergrund ihres ker. In diesem Sinne bin ich unter den gegebenen Um- politischen Handelns. Unter allen Parteien sind die von ständen des polizeilichen Lagebildes bis auf Weiteres der CSU geforderten und zum Teil bereits umgesetzten nicht nur für eine Beibehaltung, sondern auch für eine Maßnahmen die effektivsten. Es ist bedauerlich, dass die Ertüchtigung und dort, wo es die Bundespolizei für nötig AfD, die den Bürgern im Wahlkampf vollmundige Ver- erachtet, für einen Ausbau der Kontrollen an den deut- sprechungen gemacht hat, im Deutschen Bundestag bis- schen Binnengrenzen. her nichts als Schaufensterpolitik zustande gebracht hat. 1792 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018

(A) Die AfD hat noch keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, igno­riert, dass Deutschland über Einführung und Ver- (C) der praktisch so hätte umgesetzt werden können. Die längerung von Grenzkontrollen im Schengenraum nicht Partei lehnt es konsequent ab, sich mit Fakten und fach- allein entscheiden kann. Unbefristete und lückenlose lichen Details zu beschäftigen. So auch im vorliegenden Kontrollen der gesamten deutschen Grenze wären euro- Antrag: parechtlich unzulässig. Grenzschutz ist eine Verfechtung von nationalen und europäischen Gesetzen. Die AfD lässt Der Antrag der AfD lässt außer Acht, dass Deutsch- in ihrem Antrag die einschlägigen Vorgaben des europäi- land über Einführung und Verlängerung von Grenzkon- schen Rechts, das in vielfacher Weise mit dem deutschen trollen im Schengenraum nicht allein entscheiden kann. Recht ineinandergreift, unerwähnt. Unbefristete und lückenlose Kontrollen der gesamten deutschen Grenze wären europarechtlich unzulässig. Zu- Es ist deutlich ersichtlich, dass sich die CSU von der dem lässt die AfD in ihrem Antrag die einschlägigen Vor- AfD in ihren Versprechen aus dem Wahlkampf unter- gaben des europäischen Rechts unerwähnt, das in viel- scheidet. Die AfD hat bis jetzt im Deutschen Bundestag facher Weise mit dem deutschen Recht ineinandergreift. keinen Vorschlag gebracht, der sich sinnvoll umsetzen Schließlich können auch noch so umfangreiche Binnen- ließe. Die Partei lehnt es konsequent ab, sich mit Fakten grenzkontrollen nicht die Ursachen der illegalen Migrati- und fachlichen Details zu beschäftigen. So auch im vor- on in den Herkunfts- und Transitstaaten lösen. Besonders liegenden Antrag. wichtig sind hierzu die Bekämpfung der Fluchtursachen und ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen. Deshalb folge ich der Beschlussempfehlung des Aus- schusses. Es ist mir deshalb nicht möglich, dem genannten An- trag zuzustimmen. Mehr noch: Wegen der weitergehen- den und effektiveren Pläne der CSU ist dies auch nicht Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Der Antrag geht notwendig. in die richtige Richtung und zeigt notwendige Schritte auf.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Die Frage der Aufgrund der gerade erst neu eingesetzten Bundesre- Sicherheit und Migration ist zweifelsfrei eine Frage gierung sind diese Schritte jedoch kurzfristig nicht um- von großer Gewichtung. Für die CSU liegt der Schwer- setzbar. punkt auf dem Schutz und der Sicherheit der Menschen in Deutschland, die AfD hingegen möchte Deutschland Deshalb werde ich mich der Stimme enthalten. abschotten.

(B) Wir haben bereits schon im September 2015 Binnen- (D) grenzkontrollen wiedereingeführt, die die Bundespolizei Anlage 5 mit Unterstützung der bayerischen Polizei durchführt. Diese Maßnahme wollen wir auch weiter fortführen und Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung bei Bedarf ausbauen, bis der Schutz der EU-Außengren- zen gewährleistet ist. Effektive Binnengrenzkontrollen Der Bundesrat hat in seiner 965. Sitzung am 2. März sind ein unerlässliches Instrument zur Steuerung von 2018 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Migration. Unerlaubte Einreisen können somit verhin- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 dert werden. Zusätzlich zur den Grenzkontrollen wird in des Grundgesetzes nicht zu stellen: Bayern auf die Schleierfandung gesetzt, um die Sicher- heit zu gewährleisten. Wir wollen uns dafür einsetzen, – Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Fami- dass bundesweit dem Beispiel Bayerns gefolgt wird und liennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten die Schleierfahndung in allen Bundesländern durchge- führt wird. – Gesetz über die Feststellung des Wirtschafts- plans des ERP-Sondervermögens für das Im Koalitionsvertrag haben wir beschlossen, dass Jahr 2018 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2018) wir 15 000 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern schaffen werden. Auch sollen in Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrich- Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie tungen sollen Asylverfahren schnell bearbeitet werden, gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von nicht schutzbedürftige Personen werden künftig direkt einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen von dort zurückgeführt. absehen: Die AfD vernachlässigt in ihren Überlegungen, dass Auswärtiger Ausschuss Grenzkontrollen im Innenland nicht ausschließlich ille- gale Migration beseitigen können. Binnengrenzkontrol- – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- len können nicht die Ursachen der illegalen Migration in terparlamentarischen Union den Herkunfts- und Transitstaaten lösen. Hier bedarf es eines Bündels an Maßnahmen, die wir im Koalitionsver- 137. Versammlung der Interparlamentarischen trag vereinbart haben und auch umsetzen werden. Union vom 14. bis 18. Oktober 2017 in Sankt Pe- tersburg, Russland Es ist ersichtlich, dass sich die AfD nicht mit der gel- tenden Rechtslage auseinandergesetzt hat. Der Antrag Drucksachen 19/546, 19/899 Nr. 1 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 21 Sitzung Berlin, Freitag, den 16 März 2018 1793

(A) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Auswärtiger Ausschuss (C) torsicherheit Drucksache 19/910 Nr. A.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 10184/17 Drucksache 19/910 Nr. A.4 Erster Bericht zum Stand der Umsetzung des Na- Ratsdokument 11482/17 goya-Protokolls hinsichtlich Beratung und Vollzug sowie insbesondere zur Abschätzung des Personal- bedarfs des Bundesamtes für Naturschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksachen 19/298, 18/491 Nr. 1.11 Drucksache 19/910 Nr. A.58 Ratsdokument 10249/17 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- Drucksache 19/910 Nr. A.59 genabschätzung Ratsdokument 11785/17 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/910 Nr. A.62 Ratsdokument 12135/17 Bericht der Bundesregierung zur internationalen Drucksache 19/910 Nr. A.64 Kooperation in Bildung, Wissenschaft und For- Ratsdokument 12137/17 schung 2014 bis 2016 Drucksache 19/910 Nr. A.68 Drucksachen 18/13061, 19/899 Nr. 3 Ratsdokument 12217/17 Drucksache 19/910 Nr. A.69 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 12244/17 Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Drucksache 19/910 Nr. A.72 Entwicklung mit Stellungnahme der Bundesregie- Ratsdokument 13017/17 rung Drucksache 19/910 Nr. A.76 Ratsdokument 14204/17 Drucksachen 18/13679, 19/899 Nr. 5 Drucksache 19/910 Nr. A.77

Ratsdokument 14765/17 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/910 Nr. A.78 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Ratsdokument 14935/17 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Drucksache 19/910 Nr. A.83 Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 16016/17 (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333