Diplomarbeit
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View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by OTHES Diplomarbeit Titel der Diplomarbeit „… dass ich da noch lachen kann“ Hannah Arendt, eine jüdische Denkerin und der Holocaust Verfasser Heinrich Matzneller Angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag. Phil.) Wien, im Oktober 2008 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 296 317 Studienrichtung lt. Studienblatt: Philosophie Theaterwissenschaft Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Alfred Pfabigan 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Biographie Hannah Arendts S. 7 3. Arendt und die Religion S. 13 4. Arendt und die Assimilation S. 20 5. Die andere Assimilierte: „Rahel Varnhagen“ S. 26 6. Die Nation und ihr Niedergang in den Totalitarismus S. 34 I. Antisemitismus S. 41 II. Imperialismus S. 67 7. Gegen geschichtliche Gesetze S. 119 8. Biographie Adolf Eichmanns S. 135 9. Das Banale S. 162 10. Das Böse S. 190 11. Literaturverzeichnis S. 209 3 4 1. Einleitung Es ist schwer zu sagen, wie ich auf das Thema gekommen bin. Die Oberschule, ein humanistisches Gymnasium, besuchte ich in einem katholischen Internat. Danach begann ich Philosophie zu studieren. Schon bald begann ich für eine relativ lange Zeit nur mehr Lehrveranstaltungen über Hegel zu besuchen. Und irgendwann schien mir der Holocaust als das heute alles Denken beherrschende Thema. Dies führte dazu, dass ich mich schließlich mit Werken von Hannah Arendt beschäftigte. Ihre Beschäftigung mit dem Thema empfand ich als eine einer authentischen Intellektuellen, bei welcher das Leben mindestens so wichtig ist wie das Werk. Nachdem nun einmal feststeht, dass die europäischen Juden (und das europäische Judentum) hauptsächlich und ganz besonders dem Holocaust zum Opfer fielen1, versuche ich mir kurz anzuschauen, was Religion und Assimilation, für Hannah Arendt und im Leben Hannah Arendts bedeuteten. Danach will ich einen Blick auf ihr frühes Werk über Rahel Varnhagen wagen, mit welchem Arendt auch eine Kritik der Assimilation versucht und das den Beginn politischer Reflexion markiert. Sodann komme ich zum ersten Hauptteil meiner Arbeit, in der ich versuchen will, den Schwerpunkt auf den Begriff der Nation in den beiden ersten Teilen von Hannah Arendts Opus magnum „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ zu legen. Der Begriff spielt in dieser relativ frühen Analyse des Totalitarismus als neuer Herrschaftsform, die Vernichtungslager geradezu erforderte, eine zentrale Rolle als dasjenige, dessen Niedergang in den Totalitarismus führte bzw. das der Totalitarismus nachhaltig zerstörte, und verdient meines Erachtens das Bestreben einer möglichst werkimmanenten Analyse. Ein zweiter Gedankenstrang, der sich aus diesem Werk schält, ist der Widerstand gegen den Gedanken eines geschichtlichen Gesetzes, das diese Untaten hervorgebracht haben könnte, der Widerstand gegen Erklärungsversuche, die drohen, Rechtfertigungsversuche zu werden also, und gegen das Verlangen, dem Holocaust einen Sinn zu geben, um ihn für uns erträglicher zu machen. Diese Einstellung soll auch mit einigen Hinweisen auf das Werk „Vita activa“ erhellt werden, in welchem sich die Geschichte des Abendlandes wie 5 Verfall des politischen Ideals liest: vom Primat des Handelns (Antike) über jenes des Herstellens (Mittelalter) zu jenem des Arbeitens (Neuzeit) - am Ende die NS-Unpolitik. Verantwortlich für die Geschichte sind die Menschen, die sie gemacht haben. In der Weiterentwicklung dieses Gedankens sehe ich auch die Entstehung von Arendts vielleicht berühmtestem Buch „Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen“. Dies weist eine dialektische Spannung zum Werk über den Totalitarismus auf. Es ist einerseits der Versuch, den leibhaftigen Menschen zur abstrakteren Analyse des Totalitarismus als Systems zu finden, andererseits verliert der Totalitarismus als solcher, als Apparat oder Bewegung, radikal an Bedeutung, existiert als zeitloser Begriff, der sich etwa ebensogut auch in Stalins Sowjetunion verkörpern konnte, nicht mehr. Ich will in diesem zweiten Hauptteil meiner Arbeit zunächst ganz den einzelnen Menschen Adolf Eichmann in den Mittelpunkt stellen: Wer war er, was tat er, wie war er? Dabei sollen sowohl die dürren Fakten als auch einige Beispiele für sein Bewußtsein von sich, soweit wir davon Kenntnis haben, ihren Platz bekommen. Vom Unterschied zwischen ungeheuerlicher Tat und banalem Täter will ich mich sonach umtreiben lassen. Sollte dies auch als quälend hermetische Selbstdenkerei oder gar unwissenschaftlich erscheinen, so glaube ich doch, abgesehen davon dass quälende Hermetik dem Holocaust nicht gänzlich unangemessen sein mag, dass dies immer noch ein Denken ist. Dieser Teil steht zugleich statt einer Zusammenfassung oder Schlussbemerkung wie ein offenes Ende da, weil es nicht nur Arendt unmöglich war, das Thema Holocaust gänzlich ad acta zu legen, sondern es meines Erachtens einen Schlussstrich hierbei überhaupt nicht geben kann. Den Titel der Diplomarbeit2 habe ich gewählt, weil die Unbegreiflichkeit des Holocaust (nicht nur) für Arendt auch etwas persönlich Bedrückendes hatte, an dem sie sich lange abarbeiten musste, bis sie sich mit ihrer Entdeckung des banalen Täters ein Stück weit davon befreien konnte. 1 Bei aller Rücksicht auf andere Opfegruppen und bei allen Vorbehalten gegen Definitionen, insbesondere gegen jene der Nürnberger Rassegesetze. 2 Vgl. Arendt, Hannah: Ich will verstehen. - München: Piper, 1996, S. 62 6 2. Biographie Hannah Arendts Hannah Arendt wurde am 14.Oktober 1906 in Linden bei Hannover geboren, wo ihr Vater bei einer Elektrizitätsgesellschaft arbeitete. Zwei Jahre später zogen ihre Eltern nach Königsberg zurück, woher sie eigentlich stammten. Dort wuchs Johanna Arendt3 auf. Sowohl Hannahs Vater Paul als auch ihre Mutter Martha, geborene Cohn, waren relativ wohlhabend, dabei politisch eher linksgerichtet und gehörten wie ihre Vorfahren dem Reformjudentum an, wobei letzteres für ihre Mutter keine so große Rolle spielte4, da sie „gänzlich areligiös“5 war. Hannah Arendts Vater starb, nachdem er fünf Jahre an Syphilis gelitten hatte, schon früh 1913. Der 1.Weltkrieg ging mehr oder weniger ohne große Einschnitte vorüber6. Bereits mit vierzehn las Hannah Arendt die „Kritik der reinen Vernunft“ des großen Philosophen aus Königsberg, Immanuel Kant7. Ihre Mutter heiratete 1920 Martin Beerwald, der zwei Töchter, Clara und Eva, in die Ehe mitbrachte. Es entwickelte sich nie eine tiefere Beziehung zwischen ihnen8 und Hannah Arendt. Kurz vor dem Abitur brach letztere die Schule ab9 und lebte einige Zeit in Berlin, wo sie auf der Universität Romano Guardini hörte und viel mit Gleichaltrigen diskutierte. Schließlich legte sie 1924 extern das Abitur in Königsberg ab. Darauf begann Hannah Arendt ihr Studium in Marburg, unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger, dessen Name damals begann, „durch ganz Deutschland wie das Gerücht vom heimlichen König“10 zu reisen, der das Denken „wieder lebendig“11 werden lasse. 3 Heuer, Wolfgang: Hannah Arendt. - Reinbek bei Hamburg: Rowohlt TB, 1987 (rororo bildmonographien 379), S. 9 [im folgenden abgekürzt zitiert mit „Heuer“]. Heuer läßt sich nicht näher über den hier geändert erscheinenden Vornamen aus. Ursula Ludz klärt darüber auf, daß es sich um den ursprünglichen standesamtlichen Namen handelt: Arendt, Hannah: Ich will verstehen, Selbstauskünfte zu Leben und Werk; hrsg.v. Ursula Ludz. - München, Zürich: Piper, 1996 (Serie Piper 2238), S.249 [im folgenden abgekürzt zitiert mit „Ich will verstehen“]. Vgl. auch Young-Bruehl, Elisabeth: Hannah Arendt, Leben, Werk und Zeit. - Frankfurt a.M.: Fischer TB, 2004 (ftb 16010), S.43 [im folgenden abgekürzt zitiert mit „Young-Bruehl“]. 4 Arendt, Hannah: Fernsehgespräch mit Günter Gaus. In: Ich will verstehen S.52. 5 Ich will verstehen, S.50. 6 Ende August Flucht nach Berlin, nach zehn Wochen Rückkehr nach Königsberg. Young-Bruehl, S.58. 7 So könnte man zumindest Ich will verstehen, S.53 auffassen. So wohl Heuer, S.15. Vgl. dagegen Young- Bruehl, S.76f. 8 vgl. den Brief Hannah Arendts an Gertrud und Karl Jaspers vom 25.März 1947. In: Arendt, Hannah, Jaspers, Karl: Briefwechsel 1926-1969; hrsg. v. Lotte Köhler und Hans Saner. - München: Piper, 2001 (Serie Piper 1757), S.116. [im folgenden abgekürzt zitiert mit „Arendt-Jaspers“] 9 vgl dazu Young-Bruehl, S.74. 10 Arendt, Hannah: Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt. In: Merkur, 23, H.258, 1969, S.893-902. [im folgenden abgekürzt zitiert mit „Heidegger achtzig“] [Zitiert bei Heuer S.19] 7 Auch Hannah Arendt wurde von diesem Denker bis zu einem gewissen Grad geprägt. Die „Ablehnung des Geschichtsdeterminismus“12 teilte sie mit ihm wie mit anderen Existenzphilosophen13, z.B. Karl Jaspers14. Auch „daß Denken als reine Tätigkeit [...] zu einer Leidenschaft werden kann“15, erfuhr Hannah Arendt bei und bewunderte sie wohl an Martin Heidegger. Für ihn wiederum wurde Hannah Arendt zur „Passion seines Lebens“16 (wenngleich der Ehemann und zweifache Vater noch andere Affären hatte17). Dennoch war er nicht bereit, sein geordnetes Leben zu opfern. Im Sommer 1925 merkte Hannah Arendt, dass sie sich fremd bleiben würden18 und ging nach Freiburg, wo sie ein Semester lang Husserl hörte19. Ihre Promotion über den Liebesbegriff bei Augustinus schrieb sie schließlich bei Karl Jaspers in Heidelberg, wo sie kurze Beziehungen hatte, mit Erwin Loewenson20 und Benno von Wiese21. Jaspers Betonung von Freiheit und Kommunikation war vielleicht der Anfang ihrer „Liebe zur Welt“22, und später drückt Hannah Arendt ihre Wertschätzung für Jaspers so aus: „ [...] wenn es irgendeinem Menschen