Dieser Artikel ist ein Auszug aus:

Thomas Hardwig, Marliese Weißmann (Hrsg.) Eine neue Qualität der Zusammenarbeit im Unternehmen Die Arbeit mit Kollaborationsplattformen gestalten

DOI: https://doi.org/10.3249/ugoe-publ-9 Den digitalen Arbeitsplatz mitgestalten – Ein Reisebericht

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Carsten Schulz

Die GIS AG ist ein Dienstleister im Umfeld New zu bieten, sich auszutauschen und effizient zusam- Work und Digital Workplace. Für uns stellt ein mo- menzuarbeiten. Dabei überprüfen wir regelmäßig derner Digitaler Arbeitsplatz die Basis zur Umset- die Art der Zusammenarbeit, so dass es für uns at- zung von New Work dar. Wir sind davon überzeugt, traktiv bleibt, in unserem Unternehmen zu arbeiten. dass Dinge, die man täglich nutzt, immer besser Seit 2018 gehören wir der TimeToAct Gruppe an, werden sollten. Dies gilt auch für den digitalen Ar- die insgesamt über 600 Mitarbeiterinnen und Mitar- beitsplatz, der zentral in die tägliche Arbeit einge- beiter umfasst und unser Portfolio ergänzt. bunden ist. In den letzten Jahren gab es kontinuier- Wir sind ein kleines Mittelstandsunternehmen lich innovative Trends und Entwicklungen, die neue (KMU – kleine und mittlere Unternehmen), welches Arten der Arbeit ermöglicht haben, sei es mobiler mit seiner Ausrichtung als Dienstleister für den Di- oder flexibler zu sein oder das kollaborative Arbei- gitalen Arbeitsplatz und der damit verbundenen Zu- ten zu stärken (vgl. Kap. 3). Diese Entwicklungen sammenarbeit, in der kollaborativen Arbeitsweise wollen wir nutzen, Erkenntnisse darin sammeln und weiter fortgeschritten ist als andere Unternehmen. anschließend unseren Kunden zur Verfügung stel- Das ist allein dem thematischen Schwerpunkt ge- len. schuldet, den wir für unsere Kunden anbieten. So existieren viele Grundprobleme, mit denen wir uns 6.1 Ein Blick auf die Geschichte: Ausgangs- in Kundensituationen innerhalb unserer Projekte situation und betriebliche Vorerfahrun- konfrontiert sehen, bei uns intern nicht (mehr). Bei- spielsweise ist unsere Kultur des Teilens stark aus- gen geprägt und wir nutzten bereits vor dem Collabo- Team-Projekt eine Vielzahl von Werkzeugen für die Unserer Erfahrung nach ist ein typisches Projekt zur digitale Zusammenarbeit. Gestaltung des Digital Workplace immer auf drei Ebenen unterwegs: auf der Ebene der Technik, des Darunter die folgenden: Individuums mit seinen Bedürfnissen und der Orga- ▪ Notes – Für den E-Mail-Austausch nisation mit Ihren Prozessen. Wir unterstützen un- ▪ Domino – Als Vertriebs- und Angebotssystem sere Kunden daher im Rahmen dieser digitalen wurde über die Zeit eine eigene Applikation Transformation, indem wir alle Facetten von der entwickelt, die auf unsere eigenen Prozesse ab- Strategie, Beratung, Konzeption & Design, Admi- zielt (genannt GIS ADA) nistration, Implementierung und begleitenden Ein- führung bis zum Betrieb abbilden. ▪ SAP – Für die Mitarbeiterplanung und die Ab- rechnung ist heute „SAP by Design“ im Ein- Die GIS AG beschäftigt sich seit nunmehr 25 Jahren satz, war zuvor jedoch auch Teil des Domino mit dem Thema Collaboration und Information Ma- Systems (GIS ADAP) nagement. Zudem konzipiert sie seit über zehn Jah- ren gemeinsam mit ihren Kunden Social Intranet- ▪ IBM/HCL Connections – Für den kollaborati- und Digital Workplace-Lösungen. Mit 80 Mitarbei- ven Austausch in Teams und Projekten terinnen und Mitarbeitern an Standorten in Hanno- ▪ IBM/HCL Sametime – Für die direkte Kommu- ver und Hamburg formen wir eigenverantwortliche nikation mit Chat und Web-Konferenzen inklu- und interdisziplinäre Teams, die kundenspezifische sive Einbindung in die bestehenden Video- Projekte umsetzen. Über die Zeit sind viele von Konferenz Systeme von Polycom ihnen zwar einem der beiden Standorte zugeordnet, ▪ Confluence – Für das Wissensma- leben und wohnen aber in ganz Deutschland verteilt, nagement und die Prozessbeschreibungen d.h. einen Großteil der Zeit arbeiten sie aus dem Homeoffice oder sind bei unseren Kunden vor Ort. ▪ Atlassian Jira – Für die Projektkoordination, Eine interne Umfrage ergab, dass ca. 50% aus dem hauptsächlich bei der Entwicklung größerer Firmenbüro gearbeitet wird. Projekte Der hohe Anteil des mobilen Arbeitens führte Die Systeme sind über die Zeit eingeführt worden zwangsläufig dazu, dass wir uns intern stärker mit und gewachsen. Diese Entwicklung führte zu einer einer digitalen und virtuellen Zusammenarbeit aus- Überschneidung von Funktionen, die die Systeme einandersetzen mussten, um allen die Möglichkeit anbieten. So gab es auch vor dem CollaboTeam-

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Projekt schon Überlappungen in den Funktionen Sicht der GIS AG, stellen wir in diesem Beitrag be- und der Nutzung im Unternehmen. reit und hoffen, dass andere Unternehmen davon Als Dienstleister orientierten wir uns am Markt und profitieren können. dessen Möglichkeiten, um Kundenanforderungen bestmöglich zu erfüllen. Dadurch gab es immer wie- 6.2 Angestrebte Ziele zu Beginn des Ver- der „Lieblingswerkzeuge“ der Mitarbeiterinnen und bundprojektes Mitarbeiter, je nachdem womit sie sich in ihren Pro- jekten beschäftigten. An diesem Punkt wurde es an Unsere Ziele für das Projekt sind zunächst aus dem einigen Stellen versäumt, klare Nutzungsrichtlinien Strategieprozess 2014 entstanden, wo wir eine Ver- zu definieren. Das Auffinden von Informationen ist änderung der Marktsituation wahrgenommen hat- hierdurch teilweise aufwändiger geworden. Insge- ten. Bis zum Jahr 2016 entstand dann eine enorme samt können wir aber sagen, dass die Nutzung von Bewegung in Richtung Microsoft 365, sowohl im Collaboration Software zu klaren Verbesserungen Markt als auch bei uns intern im Unternehmen. in der Zusammenarbeit führte und wollen diese Diese hat sich bis heute noch verstärkt. Wir sind aus nicht mehr missen. heutiger Sicht froh, den Schritt frühzeitig gegangen Ende 2014 erarbeiteten wir intern eine langfristige zu sein, eine „Multi Vendor“-Aufstellung etabliert Strategie 2020+ für die GIS. Wichtige Erkenntnisse und Microsoft mit in unser Portfolio aufgenommen für uns waren damals zum Beispiel, dass es eine zu haben. Verschiebung des Marktes im Umfeld des digitalen Aus diesem Ziel leitete sich ab, die Technologie Arbeitsplatzes zu dem Anbieter Microsoft sowie selbst zu verwenden. Zunächst wurden die neuen Cloud Angeboten geben wird. Diese hat sich aus Microsoft Technologien parallel zu anderen Syste- heutiger Sicht bewahrheitet, allerdings hatten wir men genutzt, um sich für die Kunden mit den neuen damals nicht mit der Dominanz und Geschwindig- Tools auseinanderzusetzen. Sie waren dabei nicht keit dieser Verschiebung gerechnet. Als Konse- als produktiver Ersatz für die bereits existierenden quenz passten wir das GIS Angebotsportfolio diesen Systeme gedacht. Die Realität sah jedoch anders Markttrends an und definierten eine Aufstellung als aus. Ausgehend von den Expertinnen und Experten „Multi Vendor“-Anbieter für IBM (heute HCL), At- für Microsoft wurde die Technologie zunehmend lassian und Microsoft. Zunächst behielten wir die auch für den internen Austausch genutzt und so ent- bisherigen Systeme als produktive Umgebung für stand ein wachsender Graben zwischen der internen das gesamte Unternehmen bei und die Spezialisten Kommunikation auf den vorgesehenen Systemen setzten die neuen Applikationen der Microsoft-Welt und dem realen Austausch in der Firma. Die Anzahl zum Wissensaufbau und für Kundenprojekte ein. In der Informationssilos nahm zu und man nutzte meh- dem nachfolgenden Zeitraum von gut zwei Jahren rere Plattformen parallel, was zu einer erhöhten Un- gab es eine zunehmende Verschiebung zu Microsoft zufriedenheit in den Teams führte. Informationen im Markt und in unserem Portfolio. konnten jetzt wesentlich schwerer gefunden werden, Die intern genutzten Werkzeuge sollten nun eben- da keine Klarheit mehr vorhanden war, in welchem falls das neue Portfolio widerspiegeln und damit System diese zu finden sind. Da die Marktentwick- auch wesentlich ältere IT-Werkzeuge (Notes/Do- lung weiter in Richtung Microsoft zeigte, wurde da- mino und Eigenentwicklung wie ADA) ablösen. her im Jahr 2017 entschieden, die produktiven Sys- Auch wenn zu dem Zeitpunkt schon „Social Colla- teme auf eine Zielplattform Microsoft zu vereinheit- boration“-Systeme im Einsatz waren und genutzt lichen und eine moderne Zukunftsarchitektur zu wurden, sollten die neuen Möglichkeiten einen wei- nutzen, die hoffentlich mehrere Jahre Bestand haben teren Schub zur effizienten Projekt- und Teamarbeit würde. Damit verbunden sollten die entstandenen ermöglichen. Schnelleres und einfacheres Austau- Silos wieder abgebaut und die Alt-Systeme No- schen durch den chat-orientierten Ansatz in Arbeits- tes/Domino/Sametime/Connections abgelöst wer- räumen wurden hier als Vorteile gesehen. Auch eine den. stärkere Durchgängigkeit der M365 Plattform sollte Aus dieser Entscheidung resultierten weitere Ziele: Medienbrüche bei der Nutzung vermeidbar machen. Wissen soll einfacher verfügbar bzw. auffindbar Um aus dieser Umstellung den größtmöglichen Nut- sein, wenn alle Informationen in der M365 Platt- zen zu ziehen und weitere Erfahrungen zu sammeln, form abgelegt werden. Die Zusammenarbeit soll wurde im Jahr 2017 beschlossen, über das Collabo- verbessert und vereinfacht werden, indem Work- Team-Projekt eine externe wissenschaftliche Unter- flows für Prozesse angelegt und mit der Kollabora- stützung einzubinden und das Projekt entsprechend tion gekoppelt werden. Dies war zum Beispiel ein fachlich zu begleiten. Die Erkenntnisse speziell aus Nachteil der Kollaboration mit IBM Connections, da keine Funktionalität zur Verfügung stand, mit der

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Workflows abgebildet werden konnten. Auch die Personen sollte einfacher funktionieren und die Zu- mobile Nutzung und das Einbinden von externen sammenarbeit intern wie extern verbessern.

Tabelle 7: Zusammenfassung der Kernziele

Um die Alt-Systeme langfristig abzulösen, mussten dazugehörigen Dokumente zu integrieren. Innerhalb diverse Kernprozesse in der neuen Plattform umge- des Projektes sollte auch die Projektdurchführung setzt werden. Es wurden hierbei zunächst folgende und -abwicklung nochmals überprüft und bei Bedarf Prozesse identifiziert: vereinfacht werden. ▪ Projektakten und -arbeit Als weiteren Schwerpunkt wurden der interne Tea- ▪ Teamaustausch und interne Planung maustausch und die Teamplanung identifiziert, die von den Anforderungen ähnlich gelagert erschienen, ▪ Innovation jedoch unternehmensübergreifend relevant waren. ▪ Vertrieb-Opportunity Management (CRM) Bisher wurde dies über IBM Connections für die ▪ Backoffice–Angebot / Rechnung asynchrone und über IBM Sametime für die schnelle adhoc-Kommunikation abgebildet. Wäh- Da uns bewusst war, dass es keinen Sinn machte, rend der Austausch über Connections schon sehr gut alle Prozesse parallel anzugehen bzw. alle Systeme funktionierte, fehlte allerdings eine Planungsmög- gleichzeitig abzulösen, wurde zunächst auf das lichkeit für simple interne Teamsaufgaben. Hier Thema Projektarbeit fokussiert. wurden normalerweise IBM Connections (Aktivitä- Ein Kernaspekt ist dabei die Überführung der in ten), Jira oder Excel genutzt. Durch Teams sahen IBM Domino angelegten Projektakte in Microsoft wir eine Möglichkeit, diese Prozesse zu verbessern Teams: In IBM Domino wurden Korrespondenzen, und über eine andere Form des Austausches (Con- die Projektdokumentation und -pläne hinterlegt, die versational Interface33 - ähnlich einem Chat) zu op- für ein Kundenprojekt relevant waren. Parallel timieren. Sametime wurde für Chat und Screen Sha- wurde in IBM Connections über Projekte kommuni- ring eingesetzt, jedoch selten mit Audio/Video ziert und dazugehörige Dokumente final bearbeitet. Funktionalität genutzt. Stattdessen wurde mit einer Dies war in der Arbeitsweise ein Medien-Bruch und direkten Telefonverbindung oder über eine Konfe- je nach Schwerpunkt der Mitarbeiterinnen und Mit- renzschaltung im Festnetz gearbeitet, da die Audio- arbeiter wurde stärker das eine oder das andere Sys- /Video-Technik häufig Probleme verursachte. Zu- tem genutzt. Ziel sollte es sein, über Microsoft nächst war ein Umstieg auf for Business und Teams die Projektakten anzulegen und am gleichen später die mögliche Verwendung von MS Teams Ort die gesamte Projektkommunikation sowie die vorgesehen. Durch die Abkündigung von Skype for

33 Bei MS Teams sind über das Conversational Interface kanal- hinzufügen, um weitere Bezüge herzustellen. Um Teammit- bezogene schriftliche „Unterhaltungen“ möglich. Dabei las- glieder auf Beiträge gezielt aufmerksam zu machen, können sen sich auch Dateien (Fotos, Dokumente) und Verlinkungen diese erwähnt werden (@mention Funktion), wodurch sie eine Benachrichtigung erhalten. 75

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Business Online für Mitte 2021 wurde dann recht wollen genauer hinterfragen, ob die historisch ge- schnell der letzte Schritt vollzogen. wachsenen Prozesse und Abbildungen im Alt-Sys- Das Thema Innovation war in der initialen Zielaus- tem heute noch genauso effizient und nützlich sind. wahl noch nicht vorgesehen. Im laufenden Projekt Uns ist dabei bewusst, dass es an einigen Stellen kam jedoch immer häufiger der Unmut von Kolle- auch zunächst zu einem Rückschritt kommen kann, ginnen und Kollegen auf, dass es schwierig sei, sich während parallel die Abarbeitung von Aufträgen mit eigenen innovativen Ideen einzubringen bzw. und Abrechnungen nicht blockiert werden darf. Es die Ideen der anderen zu verfolgen. Zunächst wurde sollen möglichst Standard-Werkzeuge genutzt wer- mit Hilfe von Workflows ein mehrstufiger Stage- den, die nach Möglichkeit stückweise angepasst Gate-Prozess in einer SharePoint Umgebung umge- werden können. Zum heutigen Zeitpunkt wurde be- setzt. Die Nutzung war vielen Mitarbeiterinnen und reits ein neues CRM-System ausprobiert, dann aber Mitarbeitern jedoch zu kompliziert und es fehlte durch ein anderes ersetzt. eine transparente Übersicht der Ideen für alle Mitar- Das Projekt wurde von einem erfahrenen Berater beiterinnen und Mitarbeiter. Es wurde also eine Ver- und einer Projektleiterin geplant und geleitet. In den einfachung und stärkere Beteiligung in der Diskus- verschiedenen Projektphasen sind je nach Bedarf sion zu den Ideen gefordert. Diese Anforderungen weitere Projektmitglieder hinzugenommen worden. wurde noch innerhalb der Projektlaufzeit als weite- Zum Beispiel wurden technische Spezialistinnen res Kernziel ergänzt und angegangen. und Spezialisten für das Aufsetzen und Anpassen Die Vertriebs- und Back-Office-Prozesse wurden der M365 Umgebung benötigt. Neben der Technik auf einen späteren Zeitraum verschoben, da das Ri- wurden auch die Veränderung und die Befähigung siko, sich zu übernehmen, als zu hoch eingestuft der Kolleginnen und Kollegen berücksichtigt. Im wurde. Die tiefe Integration der Prozesse in die bis- Roll-Out waren in den ersten Wochen spezielle Per- herigen Werkzeuge erlaubt keine einfache Umset- sonen mit der Betreuung der Kolleginnen und Kol- zung in das neue System ohne Abweichung von der legen beauftragt, um auftretende Fragen schnell klä- Standardfunktionalität bzw. deren Erweiterung. Wir ren zu können. So ergab sich ein stetig wechselndes sehen hier weiteres Potential für Verbesserungen, Projektteam über die gesamte Projektlaufzeit.

Abbildung 27: Auswertung Umfrage zur Nutzung September 2017

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▪ Unsere Unternehmenskultur zeigt sich als offen 6.3 Wesentliche Etappen im Umsetzungs- und teilungsfreudig. Durch die Art des Um- prozess gangs miteinander entsteht auch nicht der Druck, ständig erreichbar sein zu müssen oder Vor der eigentlichen Umsetzung des Projektes ha- jede Anfrage sofort zu beantworten. ben wir uns eine konzeptionelle Phase auferlegt. ▪ Die Projektarbeit gestaltet sich oft schwierig, da Diese sollte zum einen dazu dienen, die Ziele des es keinen vollständigen Projektstandard gibt. Projektes (siehe vorheriger Abschnitt Kernziele) Es werden nur Basisparameter festgelegt. Der klarer herauszuarbeiten, zum anderen auch eine vorgegebene Standard wird oft von der Projekt- Standortbestimmung für uns darstellen. Durch den leitung erweitert. Das Resultat ist, dass Mitar- Beitritt zum CollaboTeam-Projekt und die damit beiterinnen und Mitarbeiter parallel in mehre- verbundene wissenschaftliche Begleitung war ein ren Projekten arbeiten, die dann unterschiedlich ergänzendes Projektziel für uns, festzustellen, wel- geführt werden. che Effekte das Projekt speziell in der Projekt- und Zusammenarbeit auf uns als Unternehmen hat. Da- ▪ Informationen liegen in verschiedenen Syste- bei wollten wir als Teil des Verbundes auch unsere men und können daher nicht einfach gefunden Erfahrungen gegenüber dem wissenschaftlichen Ge- werden. staltungsmodell (siehe Kapitel 4) abgleichen. Das Die Erkenntnisse der Umfrage wurden in den Kern- Modell erwies sich dabei als gute Basis, um zu prü- zielen verarbeitet und mit dem wissenschaftlichen fen, ob wir an alle Ebenen und Aspekte bei der Ein- Modell verglichen, um zu erkennen, ob wir The- führung gedacht hatten. Im Laufe des Projektes menbereiche noch nicht erörtert haben bzw. sich konnte das Modell mit Hilfe der Rückmeldung wei- weitere Aufgabenstellungen im Projekt ergeben. Ein ter angepasst werden, um als Hilfsmittel für zukünf- Resultat war zum Beispiel die stärkere und frühzei- tige Projekte zu dienen. tigere Kommunikation in der Phase 2 des Projektes. Die Standortbestimmung fand zunächst als Unter- nehmensumfrage statt, in der die Kolleginnen und Schrittweise Vorgehen Kollegen über Ihre derzeitige Projekt- und Teamar- Die gesamte M365 Plattform, mit all ihren Applika- beit befragt wurden. tionen und Funktionen, ist sehr mächtig und über- Man kann in fordert bei einer kompletten Einführung auch erfah- rene Nutzerinnen und Nutzer. Daher haben wir uns Abbildung 27 erkennen, dass im Jahr 2017 noch viel bestimmte Themenbereiche und Applikationen her- über Telefon(-Konferenzen) kommuniziert wurde. ausgesucht, die zum Erreichen unserer Ziele sinn- Dies hat sich zum heutigen Zeitpunkt komplett ge- voll erschienen. Für den Zeitraum des Collabo- wandelt, Web-Konferenzen inkl. Video (intern und Team-Projektes haben wir zwei Phasen definiert, extern) haben das Telefonat fast ersetzt. die wir umsetzen wollten: Zusätzlich wurden auch sozio-technische Belange 1. Phase: Umstellung der Mail und der Chat/Web des Zusammenspiels aus Mensch-Technik-Organi- Meeting Applikation sation (MTO) untersucht, um zum Beispiel heraus- Die Mail soll von IBM Notes auf MS Outlook zufinden, ob es Überforderungen von Menschen in- Online umgestellt und parallel soll IBM Same- nerhalb der Organisation gibt, die durch die Werk- time für Chat und Web Meetings mittels MS zeuge und Arbeitsweisen ausgelöst werden. Typi- abgelöst werden. scherweise wird in diversen Artikeln, die man zu dem Thema findet, auf die ständige Erreichbarkeit 2. Phase: Einführung und die Menge an Informationen als Druckauslöser Spezielle Anwendungsfälle (Projekt/Teamar- referenziert. beit) werden mittels MSTeams umgesetzt. Ohne auf alle Details eingehen zu wollen, lassen Neben den Domino Applikationen und der Col- sich die Kernpunkte folgendermaßen zusammenfas- laboration Plattform Connections wurde MS sen: Teams parallel genutzt. ▪ Unser eigener Eindruck des Reifegrads der Die beiden Phasen unterscheiden sich im Kern stark. Nutzung und des Verständnisses von Collabo- Während in der ersten die gesamte Belegschaft be- ration Werkzeugen innerhalb der GIS AG troffen ist und die bisherigen Werkzeuge ersetzt wurde bestätigt. Sie wurden unternehmensweit wurden, d.h. Altes wird abgeschaltet und steht nicht eingesetzt und als positive Unterstützung in der mehr zur Verfügung; wird in der zweiten Phase der täglichen Arbeit wahrgenommen. Fokus auf die Projektteams gelegt, die bisherigen

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Werkzeuge bleiben aber zunächst im parallelen Be- konnte hier eine Ablehnung weitestgehend vermie- trieb vorhanden. den werden. Wir bewerteten für uns, dass aus Sicht der Verände- rung die zweite Phase wesentlich schwieriger in der Einführung Microsoft Teams Umsetzung ist, da die Betroffenen schnell in alte Für die zweite Phase hatten wir uns bewusst etwas Nutzungs- und Verhaltensmuster zurückfallen mehr Zeit in der Konzeption und für eine frühzeitige könnten. Diese Option gab es in der ersten Phase Kommunikation sowie Begleitung gelassen. Nor- nicht und daraus resultierte auch die Reihenfolge malerweise hätte ein Projektteam dies soweit vorbe- des Vorgehens. reitet, dass es im Roll-Out wenige Änderungsmög- lichkeiten gegeben hätte. Durch eine frühzeitigere Umstellung der Mail und der Chat/Web Meeting Appli- Kommunikation mit der Belegschaft bezüglich des kation aktuellen Status zum Projekt und zu Teilergebnissen Für die erste Phase wurde neben der technischen wurden zwar eine stärkere Kommunikation inklu- Migration vorab genauer herausgearbeitet, wo sich sive spezieller Wünsche ausgelöst, parallel konnte die Werkzeuge in der täglichen Arbeit wesentlich in dieser frühen Phase dadurch allerdings die Ak- unterscheiden. Dazu wurden vor allem Funktionen zeptanz deutlich erhöht werden, da Entscheidungen und Anwendungsfälle gesucht, die völlig anders zu für einen dedizierten Weg bereits vor dem eigentli- handhaben oder bei denen die neuen Möglichkeiten chen Roll-Out vermittelt wurden. schwer zu finden sind. Ziel sollte es nicht sein, allen Zu Beginn waren die Kolleginnen und Kollegen et- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine tiefe Schu- was irritiert, da sie es gewohnt waren, erst viel spä- lung in den Werkzeugen zu geben, sondern die ers- ter eingebunden zu werden, und nun keine fertige ten Schritte auf motivierende und anregende Weise Lösung präsentiert bekamen. Im Laufe der Vorbe- näher zu bringen. Dazu wurden in den wöchentli- reitungsphase wurde dies aber schnell als positiv be- chen Kurzinformationsveranstaltungen (bei GIS wertet. Um die interessierten und teilweise besorg- nennen wir diese Fish! nach einer Methode vom ten Personen mit einzubeziehen, wurden weitere Fish Market in San Francisco) 30-45-minütige Vor- Maßnahmen wie öffentliche Sprechstunden oder stellungen der Werkzeuge abgehalten. Schulterblick-Sessions initiiert, wo Teilergebnisse Zusätzlich wurde ein digitales Forum für Fragen einem breiten interessierten Publikum gezeigt wur- und Antworten bereitgestellt, wo Probleme und den. Dies führte nach unserer Meinung zu einem fachliche Fragen einfach eingegeben werden konn- frühzeitigeren und mit weniger Widerstand behafte- ten. Diese wurden dann durch dedizierte Mitarbeite- ten Roll-Out. rinnen und Mitarbeiter schnellstmöglich für alle Zunächst war geplant, den Roll-Out Anfang 2019 zu sichtbar beantwortet. Die wichtigsten Fragen wur- starten. Kurzfristig wurde aber entschieden, diesen den in einem der nächsten Fish!-Termine kurz für auf einen Termin Mitte Dezember 2018 vorzuzie- alle nochmal aufgegriffen und diskutiert. hen. Aus Projektsicht lag dieser denkbar ungünstig, Dieses Vorgehen fand sehr hohen Anklang und war da sich in der Weihnachtszeit wenige Mitarbeiterin- aus Sicht der Befähigung und Motivation ein voller nen und Mitarbeiter mit den Werkzeugen beschäfti- Erfolg. Ein positiver Effekt war, dass Probleme aus gen würden und Befähigungsmaßnahmen somit verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und da- schwierig zu planen waren. Ausschlaggebend war mit auch besser verstanden werden konnten. Die Lö- hierbei, dass der interne Firmen-Kickoff immer zum sung kam häufig von anderen Kolleginnen oder Anfang des Jahres, Mitte Januar, stattfindet. Es war Kollegen, die es für sich schon gelöst hatten oder das Ziel, dass die Belegschaft sich zu dem Zeitpunkt falls es keine echte Lösung gab, Alternativen aufzei- bereits mit dem Werkzeug vertraut gemacht haben gen konnten. sollte und wir beim Kickoff bei Bedarf unterstüt- zende Formate einplanen konnten. Parallel wurde auch sehr gut aufgenommen, dass die Web-Meeting-Funktionalität kurzfristig mit den sta- Da die Befähigungsmaßnahmen auch hier keine tie- tionären Konferenzanlagen gekoppelt werden feren Trainings vorsahen, sondern verstärkt die konnte und damit auch leicht zu nutzen war. Inner- wichtigsten Funktionen und neuen Möglichkeiten in halb des Projektes war es sehr wichtig, von vornhe- Verbindung mit den Nutzungsregeln thematisierten, rein zu kommunizieren, dass der Medienbruch bei konnten wir die Roll-Out Phase über einen längeren der Nutzung zeitweise größer werden würde, da der Zeitraum ausdehnen. Dies war angesichts des Ziels alte Mail Client für den Zugriff auf die anderen Alt- einer Veränderung nicht nur für die Nutzung eines Systeme noch benötigt wird. Durch eine klare Kom- neuen Werkzeugs, sondern auch für die Arbeits- munikation über die übergreifenden Zielsetzungen weise und den Ablauf wichtig. Viele Impulse und Fragen traten erst nach intensiverem Arbeiten mit

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den neuen Werkzeugen und Arbeitsabläufen auf. TIMETOACT-Gruppe übernommen wurde. Hier Nach einer Vorab-Umfrage konnten wir im Kickoff musste parallel zum Projekt viel Aufwand an der weiteres Feedback einsammeln, um die Begleitung Ausrichtung und Positionierung des Unternehmens im Roll-Out weiter zu optimieren. Der begleitende im Markt und innerhalb der Firmengruppe aufge- Abschnitt war daher auch wesentlich länger als in wendet werden. Um Synergien in der Zusammenar- der ersten Phase. beit und Kommunikation auch stärker innerhalb der Zunächst war noch eine parallele Nutzung mit IBM Gruppe zu nutzen und den administrativen Aufwand Connections möglich. Dies wurde, nachdem die Ak- zu reduzieren, wurde eine Migration der Inhalte des zeptanz und Durchdringung einen Wert von mehr GIS AG Tenants (Microsoft Cloud Systems) in den als ca.75% erreicht hatte, geändert, indem die IBM TIMETOACT Tenant im Oktober 2019 vorgenom- Connections Umgebung nur noch lesend genutzt men. Kurze Zeit später wurde die Atlassian Umge- werden durfte. Das Ziel sollte sein, in den nächsten bungen (Confluence und Jira) migriert und zusam- 3-6 Monaten die wichtigsten Informationen in das mengeführt. Hierzu mussten parallel für die über- neue System zu migrieren und neu entstandene In- greifende Zusammenarbeit neue Regeln und Struk- formationen ausschließlich dort abzulegen, um dann turen auf Gruppenebene eingeführt werden (z.B. das Alt-System abschalten zu können. Nomenklaturen oder Sichtbarkeit der Teamräume etc.). All dies hatte wesentliche Auswirkungen auf In der zweiten Phase kam noch ein weiterer Anwen- unser CollaboTeam-Projekt und führte zu einer dungsfall hinzu, da von Kolleginnen und Kollegen Ausdehnung der Projektlaufzeit. vermehrt eingefordert wurde, stärker am Innovati- onsprozess teilnehmen zu können. Es war zwar Seit Ende 2019 befinden wir uns aus Sicht des Col- schon auf der Microsoft Plattform kurze Zeit davor laboTeam-Projektes in der Verwertungsphase. Für ein Stage-Gate Prozess aufgesetzt und in SharePoint die Auswertung wurden verschiedene Interviews umgesetzt worden, dieser wurde jedoch von den und Workshops durchgeführt. Die Ergebnisse wur- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als zu komplex den wissenschaftlich analysiert und für die Erweite- und intransparent angesehen. Innerhalb der zweiten rung und Überarbeitung des Gestaltungsmodells ge- Phase wurde der Prozess durch MS Teams mit Un- nutzt. Parallel dazu arbeiten wir innerhalb der GIS terstützung vom MS Planner im Kanban Stil neu weiter an der Umsetzung der Kernziele, die wir aufgesetzt. nicht innerhalb des CollaboTeam-Projektes ange- gangen sind. Zum Beispiel wurde ein neues CRM- Einflüsse auf den Einführungsprozess System eingeführt und befindet sich in einer Über- prüfungsphase. Weiterhin wird auch an der Ablöse Die beiden Phasen inklusive der Vorbereitung hat- der Alt-Systeme – vor allem GIS ADA – gearbeitet ten eine Laufzeit von Mitte 2017 bis Mitte 2019, (siehe Abschnitt Roadmap und nächste Schritte). also ungefähr zwei Jahren. Im Vorhinein hätten wir erwartet, dass dies mit einer kürzeren Laufzeit hätte möglich sein müssen. Wie in fast allen Projekten mit 6.4 Bilanz: Zentrale Ergebnisse der Erpro- einer längeren Laufzeit treten aber Ereignisse auf, bung der kollaborativen Anwendung die mittel- oder unmittelbaren Einfluss haben – so auch innerhalb unseres Projektes. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Umstellung Es gab Ende 2017/Anfang 2018 stärkere Verände- auf die Microsoft Welt erfolgreich vollzogen wor- rungen in unserem Vorstand. Zunächst durch die ge- den ist. Die Zusammenarbeit findet mittlerweile plante Pensionierung eines der Firmengründer, zu- vollständig über die diversen Collaboration Werk- sätzlich aber auch durch den Tod des zweiten Fir- zeuge von M365 statt. Da wir vorher bereits andere mengründers und Visionärs nach längerer Krank- Collaboration Werkzeuge im Einsatz hatten, ist die heit. Dies führte zur Hinterfragung der Unterneh- Veränderung anders gelagert, als hätten wir noch mensausrichtung und im Jahr 2018 zu dem Aus- keine oder wenig Berührungspunkte mit solchen ge- tausch von zwei verbliebenen Vorständen durch ei- habt. Wir sehen an einigen Stellen aber auch ein an- nen neuen Vorstand. Eine solche Veränderung ging deres Nutzungsverhalten, als es vorher der Fall ge- in unserem Unternehmen nicht spurlos an der Be- wesen ist. legschaft vorbei, so dass immer wieder auch inner- Der Video-Chat und das Video-Web-Meeting wer- halb des Projektes die Zielsetzung betrachtet und den wesentlich häufiger für den direkten Austausch neu überdacht bzw. hinterfragt wurde. Im Kern genutzt und erleichtern die Zusammenarbeit über blieb es jedoch bei der 2015 entstandenen Strategie Distanzen merklich. Die Möglichkeit, sich schnell und unseren Kernzielen. über den Chat auszutauschen und zu informieren, Mitte 2018 gab es eine weitere große Veränderung, wird sowohl bei der adhoc-Kommunikation als auch als die Aktienmehrheit des Unternehmens durch die in den MS Teams durch den permanenten Chat

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(„Unterhaltungen“) genutzt. Der Blog als ähnliches verschicken. Im Gegensatz zu einem Telefon- Instrument wurde vorher nicht so stark benutzt. anruf von früher wird dieser heute wesentlich Auch die flexible Einbindung von weiteren Werk- häufiger eingesetzt. zeugen in MS Teams als zusätzliche Reiter erleich- ▪ Der permanente Chat („Beiträge“ genannt) in tert das Zusammenführen von Informationen im den Gruppen von MS Teams wird häufiger ge- Kontext eines Teamraumes. Einzig die Begrenzung nutzt als die Blogs in Connections. von Unterstrukturen der MS Teams (nur eine Ebene auf Kanälen innerhalb von MS Teams) stellt eine ▪ Die Dateiablage wird stärker genutzt, beson- Herausforderung dar, da vorher beliebige Strukturen ders mit dem persönlichen Dateiaustausch über als Netzwerk von Communities dargestellt werden OneDrive auch zu externen Personen. konnten. ▪ Projektarbeit mit externen Partnern und Kun- Die Vorteile und Durchgängigkeit der Nutzung den findet immer häufiger in MS Teams statt als zeigte sich unter anderem bei dem durch die über einen E-Mail-Austausch. Corona- Pandemie erzwungenen Lockdown unserer Mit Blick auf die Gestaltungsfelder des wissen- Büros. Es konnte ohne ersichtliche Probleme von ei- schaftlichen Modells lassen sich die Erfahrungen nem Tag auf den anderen komplett aus dem Home- aus den Aktivitäten der Arbeitsgestaltung gut ein- office gearbeitet werden. Probleme, die hier auftra- sortieren: ten, waren eher der persönlichen Situation im Homeoffice geschuldet, z.B. dass kein separater Zusammenarbeit & Regeln: Raum als Büro zur Verfügung stand oder die Kin- Die Ausarbeitung von Regeln und Leitlinien, die derbetreuung die Familien in der Koordination von übergreifend definieren, wie zusammengearbeitet Terminen stark forderte. Aber auch hier zeigte sich, werden soll, ist wesentlich wichtiger als zu erklären, dass die gewonnene Flexibilität und Unterstützung wie ein Werkzeug benutzt wird. Dies betrifft vor al- durch die Werkzeuge dazu verhalfen, mit der Situa- lem die Ablage von Dokumenten. tion besser umgehen zu können. Vorgegebene Regeln müssen Anpassungen für spe- Als wichtige Veränderungen zu der Zeit vor dem zielle Anforderungen zulassen, aber gleichzeitig im- Projekt lassen sich folgende Punkte identifizieren: mer noch für alle als Basis dienen, um eine Einar- ▪ Heute wird wesentlich stärker die Audio-/Vi- beitung und die tägliche Arbeit zu erleichtern. Of- deo-Funktionalität eingesetzt als beim Projekt- fenbar muss hier die Balance von zu viel (Inflexibi- start. Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbei- lität, Zwang, Bürokratie) und zu wenig Regelung ter ist das Festnetztelefon überflüssig geworden (Unsicherheit, Desintegration, Unverbindlichkeit, (Mobil- oder Web-Meeting mit Audio/Video). Intransparenz) gefunden werden. Diese Balance ▪ Verteiltes Arbeiten hat weiter zugenommen kann nur in einem Dialog unter Beteiligung der Be- und fällt der Belegschaft heute noch leichter. troffenen gefunden werden. ▪ Kurze schnelle Absprachen finden über Video- Chat statt, statt lange E-Mails oder Chats zu

Abbildung 28: Übersicht der Gestaltungsmaßnahmen (1)

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Regelmäßige Überprüfungen der Regeln sollten ein- fen und Werkzeugen zurechtkommt. Als ein Ergeb- geplant und Anpassungen vorgenommen werden, nis stellte sich heraus, dass die Möglichkeiten der anstatt Ausnahmen in der Basisvorgabe zu haben. Suche noch nicht ausreichend bekannt waren. Daher Bei uns entstand solch eine Situation öfters, da un- wurden genau zu diesem Punkt weitere Gestaltungs- sere Umgebung/Umwelt sich verändert hatte, z.B. maßnahmen durchgeführt, wie z.B. ein kleines bei der Migration in den Group Tenant. How-To zur Erläuterung und ein Fish! Termin, in dem die Suche ein zentrales Thema war. Lernen & Entwicklung: Die schnelle Nutzung motivierte die Kolleginnen Unser Fokus bei der Befähigung lag nicht auf den und Kollegen, die Werkzeuge auch in anderen Be- Werkzeugen mit allen Funktionen, sondern auf der reichen Ihres Arbeitsalltags auszuprobieren und täglichen Arbeit in bestimmten Situationen (diese Rückmeldung zu geben, wo sie diese als besonders nennen wir Anwendungsfälle). Die Besonderheit vorteilhaft ansehen. Es ist dabei aber zu beachten, der eingesetzten Werkzeuge ist deren „Gestaltungs- dass nicht ständig bestehende Kernprozesse durch offenheit“. Bei einer reinen Werkzeugschulung neue Arbeitsweisen und individuelle Vorlieben au- würden viele Fragestellungen der Nutzung offen- ßer Kraft gesetzt werden. Erst in einem weiteren bleiben bzw. sich auch viele Anwenderinnen und Schritt, wenn eine andere Nutzung allgemeiner für Anwender eher langweilen, da sie diese recht ein- das Unternehmen oder bestimmten Bereichen als fach selbst ausprobieren können. Die Kolleginnen vorteilhaft angesehen wird, sollte diese geordnet und Kollegen sollten schnellstens in die Umsetzung über die Änderung der Leitlinien und Regeln umge- und das Ausprobieren kommen. Wir haben daher setzt werden. Gerade im Bereich der Selbstorgani- kurze (ca. 45-50 Minuten) motivierende Vorträge sation und der kollegialen Zusammenarbeit wurden und Demos gehalten, wo der neue Arbeitsablauf und viele neue Möglichkeiten entdeckt, sich besser zu die damit verbundenen Besonderheiten gezeigt wur- organisieren, die ohne ein Regelwerk ablaufen. den. Als Plattform wurden die internen etablierten Fish! Termine genutzt, wo jede Person die Chance Technik & Räume: hat, relevante oder auch nur aus ihrer Sicht interes- Durch die neuen Werkzeuge kamen nun weitere sante Themen den anderen vorzustellen. Von vertie- hinzu, anstatt die Anzahl entsprechend dem Kern- fenden Trainings wurde abgesehen und die Nach- ziel unseres Projekts zu reduzieren. Um die Kom- frage war seitens der Belegschaft kaum vorhanden. plexität nicht noch weiter zu erhöhen, haben wir uns Parallel wurde ein Support Kanal etabliert, wo öf- daher stark auf die Anwendungsfälle fokussiert. fentlich neue Fragestellungen und Probleme disku- Leider sind auf dem Weg dahin durch das häufige tiert werden konnten. Dieser Kanal wurde stark fre- Wechseln zwischen den Werkzeugen größere Medi- quentiert. Bei der Umstellung auf MS Teams wur- enbrüche innerhalb der Arbeitsabläufe zunächst den zudem separat offene Sprechstunden angeboten, nicht vermeidbar gewesen. um sich vertiefend auszutauschen, z.B. in den Fäl- Um die Akzeptanz zu erhöhen, war es wichtig, dass len, wo die Beschreibung des Problems oder die An- Nutzende gewisse Freiheitsgrade haben und selbst forderung als zu kompliziert angesehen wurde. entscheiden können, wann sie welche vorgegebenen Die Erkenntnisse aus den unterstützenden Maßnah- Werkzeuge einsetzen. Zum Beispiel kann als Pla- men wurden alle paar Wochen zusammengefasst nungswerkzeug MS Planner oder Jira genutzt wer- und in einem weiteren Fish! für alle noch einmal den, je nach Komplexität der Anforderung ist das kurz erläutert oder in Übersichtsdokumenten bereit- eine Werkzeug angebrachter als das andere. gestellt. Diese Mischung aus motivierender Aktivie- Weiterhin hat es sich ausgezahlt, Funktionen wie die rung und schnellem transparentem Dialog war nach Web-Meetings mit den bestehenden Konferenzsys- unserer Auffassung ein Schlüssel für die schnelle temen zu koppeln, um den Einsatzraum zu erhöhen Befähigung und hoher Akzeptanz der Mitarbeiterin- und die Nutzung zu vereinfachen. Es konnten so nen und Mitarbeiter. Gruppen in den Besprechungsräumen des Büros mit Unser Verständnis innerhalb des Projektes war es, Konferenzsystemen problemlos mit Kolleginnen o- dass wir nicht alles planen und steuern können, son- der Kollegen, die nicht im Büro waren, in Austausch dern dass beim Anwenden neue Fragestellungen treten. aufkommen werden, die wir nicht vorhersehen kön- Bislang waren unsere IT-Systeme soweit wie mög- nen. Der Fokus im Roll-Out lag daher stärker auf der lich und nützlich stark miteinander gekoppelt und unterstützenden Struktur als darauf, im Vorhinein integriert. Dies ist auch heute noch unser Ziel, um alle Probleme zu erahnen. Wir haben zum Beispiel eine optimale Nutzbarkeit zu gewährleisten. Leider in der Phase 2 eine Umfrage verschickt, um heraus- bedeutet das schrittweise Vorgehen, dass dies nicht zufinden, wie die Belegschaft mit den neuen Abläu- ohne weiteres möglich ist. Die Eigenentwicklung

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ADA soll nicht mehr an die neuen Systeme ange- Steuerung gemeint, die ohne eine spezielle Füh- bunden, sondern in Zukunft komplett abgelöst wer- rungskraft abläuft. Das Ziel war nie innerhalb des den. Nur einfache Kopplungen über vorhandene CollaboTeam-Projektes angestrebt worden. Das Standards, die leicht zu konfigurieren waren, wur- Beispiel Innovationsboard, wo Ideen und Vor- den umgesetzt. Wir glauben, dass diese agilere Art schläge eingebracht werden können, zeigt aber den des Vorgehens und das Starten mit leichten Kopp- Bedarf. Die Ideen werden durch andere Kolleginnen lungen zu starten wesentlich einfacher umzusetzen oder Kollegen bewertet und das Ziel ist nicht, eine ist und bessere Ergebnisse liefert. Führungskraft, sondern die anderen zu überzeugen, die sich dann daran beteiligen. Hier gilt es, eine Ver- Führung & Betreuung: änderung von Führung und Verantwortung herbei- zuführen, die nicht über die Rolle Führungskraft de- Da unser Hauptfokus zunächst auf der Projektarbeit finiert ist. Obwohl wir sehr stolz auf den Umgang lag, nahm die Projektleitung eine wesentliche Rolle miteinander sind, merken wir jedoch, wie groß diese ein. Ein Projekt wird zunächst von der Projektlei- Aufgabe mit Blick auf Selbstständigkeit und echte tung aufgesetzt, welche auch die Rahmenparameter Selbststeuerung ist. festlegt. Dies führte zu einer gewissen Flexibilität innerhalb eines Projektes, gleichzeitig aber auch zu Anpassung & Change: sehr unterschiedlich geführten Projekten. Teammit- glieder in verschiedenen Projekten mussten sich Für uns war eine Mitnahme der Belegschaft essen- häufig umstellen, je nachdem wie ein Projekt ge- ziell. Durch den Antreiber des sich verändernden führt wurde. Daher wurde versucht, gemeinsame Marktes gab es keinen direkten Vorteil bei der täg- Standards zu etablieren und diese mit den richtigen lichen Bedienung der Anwendungen, der einen Werkzeugen umzusetzen, ohne die gesamte Flexibi- Schwenk zu Microsoft für die Belegschaft gerecht- lität zu verlieren. Die Vorgabe belief sich zu Beginn fertigt hat. Daher haben wir längere Zeit abgewartet auf eine klare Grundstruktur. Es handelt sich hierbei und die Strategie immer wieder kommuniziert um einen fortlaufenden Prozess, der immer wieder („Warum?“). überprüft werden muss und bei dem wir mittlerweile Die Veränderung bei GIS war aus Sicht der Technik die Statusberichte über die Projekte standardisiert und der Arbeitsweise keine neue Herausforderung. haben. Wir erwarteten jedoch eine Verbundenheit mit den Parallel dazu sollte auch die Teamzusammenarbeit bisherigen Werkzeugen, da diese jahrelang im Ein- gestärkt werden. Ein wünschenswertes langfristiges satz waren und bei vielen eine hohe Expertise auf- Ziel ist die stärkere Selbstorganisation und -steue- gebaut worden war. Die ersten Abwehrreaktionen rung von Teams. Hiermit ist eine Team-interne mussten wir „aushalten“.

Abbildung 29: Übersicht der Gestaltungsmaßnahmen (2)

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Den digitalen Arbeitsplatz mitgestalten – Ein Reisebericht

Hilfreich waren der offene Dialog und die beglei- Innerhalb der Projektarbeit wurden die Prozesse zu- tende Unterstützung. Die beiden Phasen hatten wir nächst vereinfacht, um den Teams mehr Freiheiten explizit so geplant, dass in der ersten Phase die für Ihre Anforderungen zu geben, aber wir erkennen Werkzeuge ersetzt wurden und nur in der zweiten heute, dass dies nicht zu dem gewünschten Ergeb- Phase die Werkzeuge parallel über einen Zeitraum nis, sondern oft zu einer Verschlechterung führt. verwendet werden konnten. Ein Ersetzen von Werk- Daher muss die Regelung nochmals überprüft wer- zeugen erleichtert eine Veränderung, da dann kein den. Rückfallen in „alte Gewohnheiten“ mehr möglich Innerhalb der Zusammenarbeit in kreativen Prozes- ist. Es ersetzt jedoch nicht die Kommunikation und sen wird noch stark auf Präsenztermine mit White- den Dialog mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- board und Flipchart zurückgegriffen. Auch hier gibt tern, sondern nur die Dauer der Veränderung ver- es allerdings neue Möglichkeiten, diese mit digita- kürzt sich. Für die zweite Phase waren deshalb auch len Werkzeugen in virtuellen Räumen zu erleich- eine längere Begleitung und ein intensiverer Dialog tern. Als Grenze in der virtuellen Zusammenarbeit vorgesehen. sehen wir heute fast nur den sozialen informellen Kontakt, der auch durch Audio/Video-Übertragung Werte & Kultur: nicht zu 100% erreichbar ist. Vielleicht entstehen Die Kultur im Jahre 2016 war von gegenseitiger Un- hier in Zukunft durch die Virtual Reality bzw. Aug- terstützung geprägt und unser Ziel war, diese nicht mented Reality weitere Möglichkeiten. Denkbar ist durch einen Wechsel eines Werkzeugs zu gefähr- noch vieles und wir sind gespannt, was die Zukunft den. Vielmehr hofften wir, diese über neue Mög- uns noch ermöglichen wird. lichkeiten für die vermehrt virtuell arbeitenden Kol- leginnen und Kollegen weiter tragfähig zu machen 6.5 Unsere Roadmap für die zukünftige und diese besser integrieren zu können. Eine Kultur kann nach unserem Verständnis nicht direkt beein- Nutzung kollaborativer Anwendungen flusst werden, sondern passt sich den gegebenen Rahmenparametern an. Für uns gab es neben dem Zu Beginn der Festlegung unserer initialen Kern- Projekt viele Faktoren wie z.B. die Vorstandswech- ziele war uns schon klar, dass wir einige notwendige sel oder den Übergang in eine größere Unterneh- Ziele nicht innerhalb des CollaboTeam-Projektes mensgruppe, die einen starken Einfluss auf unsere abdecken können und auch neue Einflüsse immer Kultur hatten und hier auch spürbar Verunsicherung wieder ein Überdenken notwendig machen würden. und Fragestellungen aufkommen ließen. Diese und Von daher setzt sich unsere Roadmap für die nächs- die damit verbundenen Kommunikationsmaßnah- ten Jahre aus noch offenen und neuen Zielen zusam- men lassen sich nur schwer trennen, sodass ein kla- men. res Bild nicht möglich ist. Wir sehen heute aber, In den nächsten Jahren werden wir verstärkt dass sich erneut eine stabile Kultur und ein Werte- ▪ an der Ablöse der noch vorhandenen Werk- bild gebildet hat, die der alten sehr ähnelt. Diverse zeuge (Alt-Systeme, vor allem ADA) arbeiten, Workshops seitens der wissenschaftlichen Beglei- tung im Frühjahr des Jahres 2020 zeigten ein sehr ▪ unseren Vertriebs-, Marketing- und Angebots- positives Bild und eine gute Resonanz auch in Rich- prozess neu ausrichten und mittels der neuen tung der Umsetzung unseres Projektes. Werkzeuge unterstützen, Es finden weitere Diskussionen über die Zusam- ▪ eine gesteigerte Nutzbarkeit durch tiefere In- menarbeit statt. Ausgelöst durch Corona diskutieren tegration der neuen Systeme miteinander erzie- wir unter anderem gerade, ob zukünftig mit festen len wollen, Büros, aus dem Homeoffice oder in Co-Working- ▪ die Synergien der übergreifenden TIME- Spaces gearbeitet werden soll. Wir sind immer wie- TOACT Gruppe nutzen, indem wir auch hier der bereit, den Status quo zu hinterfragen und neue weiter die Zusammenarbeit neu definieren und Ansätze zu finden. Diese würden dann erheblichen gemeinsame Lösungen suchen, Einfluss auf unsere Werte und Kultur haben. ▪ weitere Arbeitsformen der – wie wir finden – Mit Blick auf die Kernziele konnten wir die Redu- modernen Zusammenarbeit ausprobieren (zum zierung der Silos und Abschaltung der Alt-Systeme Beispiel selbststeuernde Teams, Abbau von noch nicht vollständig erreichen. Die Nutzung fin- Hierarchien und Silos). det zwar zu großen Teilen in den neuen Systemen statt, aber für die Kernprozesse im Vertrieb und Die aktuelle Roadmap ist dabei zunächst für die Ab- Backoffice sind die IBM/HCL-Domino-basierten löse der noch verbliebenen Alt-Systeme und den da- Systeme noch essenziell. mit verbundenen Anpassungen der Vertriebs- und Backoffice-Prozesse definiert. Zurzeit werden die

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wichtigsten Merkmale des bisherigen Systems zu- sammengetragen, die eine deutliche Erleichterung der täglichen Arbeitsbewältigung gebracht haben, zum Beispiel das automatische Ausfüllen von Adressdaten beim Anlegen in Standarddokumenten. Diese Merkmale werden dann mit den neuen Ideen und Möglichkeiten abgeglichen. Über die Zeit sind die alten Systeme stark an unsere Bedürfnisse ange- passt worden. Hierbei gilt zu klären, ob diese histo- risch gewachsenen Prozesse und Strukturen heute noch vorteilhaft sind. Uns ist dabei bewusst, dass die Kolleginnen und Kollegen heute schon teilweise stark ausgelastet sind und durch eine Änderung keine Überlastung entstehen darf. Wir müssen ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation und Begleitung (Gestaltungsfelder Change und Ler- nen/Entwicklung) legen, da eine hohe Kompetenz in den Alt-Systemen vorhanden ist. Nur über weitere Vorteile im neuen System werden wir die nötige Motivation für die Veränderung erreichen. Die weiteren Punkte auf der Roadmap sollen durch die Belegschaft über das Innovationsboard weiter aufgearbeitet werden. Wir erhoffen uns dadurch auch eine aktive Einbindung der Belegschaft und die Übernahme von Verantwortungen der Themen, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich „Ihre“, für sie relevanten Themen selbst aussuchen können. Das Vorgehen unterstützt die agile Vorge- hensweise, wie wir sie auch innerhalb des Collabo- Team-Projektes gelebt haben. Die Unschärfe und Dynamik, nach der sich unser Arbeitsplatz und die damit verbundene Zusammenarbeit entwickeln, lässt uns keine langfristige Roadmap entwickeln, sondern zwingt uns dazu in Phasen zu denken. Nach jeder Phase sollte eine Überprüfung unserer Anfor- derungen stattfinden. Die Zukunft wird zeigen, in- wieweit uns dies gelingt. Eines ist dabei aber : „Es bleibt spannend“.

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