Dieter K. Buse

Friedrich Ebert - Sein Weg zum Politiker von nationaler Bedeutung (1915-1918)

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Kleine Schriften Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte ~ 2. Auflage, Heidelberg 1994 3

Buse, Dieter K. geb. 1941; Dr. phil., Professor für Geschichte an der Laurentian University, Sudbury (Kanada), zahlreiche Veröffentlichungen zu und zur Dieter K. Buse deutschen Sozialdemokratie, u. a.: Parteiagitation und Wahlkreisvertretung. Eine Dokumentation über Friedrich Ebert und seinen Reichstagswahlkreis Elberfeld-Barmen 1910 - 1918 (1975). Friedrich Ebert - Sein Weg zum Politiker von nationaler Bedeutung (1915-1918) Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um einen Vortrag, den der Autor am 3. Februar 1991 - dem Vorabend des 120. Geburtstags von Ebert - in der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte gehalten hat.

Es ist mir eine Freude, meinen Vortrag über "Friedrich Eberts Aufstieg in der Sozialdemokratie des Kaiserreichs", den ich 1989 hier halten durfte 1, heute unter dem Aspekt fortzuführen, wie Ebert in der Zeit zwischen 1915 und 1918 zum Politiker von nationaler Bedeutung wuchs.2 Die Biographie Friedrich Eberts unterteile ich in drei Ab­ schnitte: Friedrich Ebert hatte 1913 das Vertrauen der gesellschaftli­ chen Linken - nicht der radikalen Linken - erworben, besaß 1918 das Vertrauen der gesellschaftlichen Mitte und stützte sich 1923-24 immer mehr auf das Vertrauen der gesellschaftlichen Rechten, womit nicht die Rechtsradikalen gemeint sind. Der Weltkrieg, der in Revolution und Versailler Friedensvertrag mündete, war der entscheidende Einschnitt im politischen Leben Friedrich Eberts. Die folgenden Ausführungen / konzentrieren sich auf den mittleren Abschnitt und zeigen seinen Auf­ I stieg während des Weltkrieges zu einem Politiker von nationalem Buse, Dieter K.: Profil.3 Friedrich Ebert - Sein Weg zum Politiker von nationaler Bedeutung (1915-1918) (Kleine Schriften I Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte: Dieter K. Buse, Friedrich Eberts Aufstieg in der Sozialdemokratie des Deut­ Nr. 12) schen Kaiserreichs, in: Rudolf König, Hartmut Soell, Hermann Weber 2. unveränd. Aufl.. 1994 (Hrsg.), Friedrich Ebert und seine Zeit. Bilanz und Perspektiven der For­ © 1992 Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte schung (= Schriften der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenk­ Untere Straße 27 • D-69117 Heidelberg stätte 1). München 21991, S. 35-53. "1t(06221)91070 2 Dieser Vortrag stützt sich auf den Abschnitt "Ebert als Demokrat 1914- 1919" meiner bislang noch nicht veröffentlichten Biographie Friedrich Redaktion: Ulrich Graf, Walter Mühlhausen Eberts. Ich danke Walter Mühlhausen für seine Unterstützung bei der Realisation: TLD • Manfred H. G. Furchner Drucklegung.

ISSN 0940-4201 3 Ein Wort zur Begrifflichkeit: Wenn hier von nationaler Bedeutung oder na­ ISBN 3-928880-11-X tionalem Profil gesprochen wird, sollte man verschiedene Ebenen unter­ scheiden. Es gibt Persönlichkeiten, deren Namen jedes Schulkind kennt. Solch ein Profil gewann Ebert erst als Reichspräsident und als er Briefmar­ ken schmückte. Auf der zweiten Ebene stehen die Personen , die einem breiteren Publikum bekannt und die Objekt für Aufsätze und Charak- 4 5

fest, daß Ebert "gewissermaßen die Sozialdem[okratie]" sei. 5 Mit Blick auf seine Stellung innerhalb der SPD zieht die Historikerin Susanne In seinen Memoiren stellt Eberts politischer Freund und Konkurrent Miller das Resümee, daß Ebert im November 1918 "der einflußreichste rückblickend über den Bekanntheitsgrad des und angesehenste Politiker in Deutschland" war.6 Parteivorsitzenden im Jahre 1915 fest: "Jedes Mitglied der Sozialde­ mokratischen Partei kannte ihn [... ]. Über den Rahmen der Sozialde­ Wie vollzog sich der Wandel vom Unbekannten zum Anerkannten? mokratischen Partei hinaus wurde Ebert jedoch erst im laufe des Dieser Prozeß ist nur vor dem Hintergrund des Weltkrieges und der Krieges[ ... ] bekannt."4 Das erscheint zwar ein wenig übertrieben, aber damit zusammenhängenden gestiegenen Bedeutung des Arbeiters es trifft insofern zu, als Ebert am Anfang des Krieges kaum Kontakte und der Arbeiterbewegung zu erklären. General Wilhelm Groener zu den bürgerlichen Parteiführern, zum Staatsapparat, zu industriellen brachte diesen Zusammenhang auf einen kurzen Nenner, als er sei­ oder Intellektuellen besessen hatte. Er war in der Sozialdemokratie nem Tagebuch am 19. Oktober 1916 anvertraute: "Der Krieg wird aufgestiegen und der Partei verhaftet geblieben. Dagegen verkehrte er immer mehr eine Arbeiterfrage."7 Der Weltkrieg lockerte das festge­ ab der Mitte des Jahres 1918 mit allen bürgerlichen Parteiführern, dem fahrene politische und soziale System des Kaiserreichs und zerschnitt Reichskanzler und dem Vizekanzler, verfügte über Kontakte zum zahlreiche Bindungen, auch die Verbindungen der internationalen Auswärtigen Amt und zu den anderen Ministerien, sogar zu In­ Arbeiterbewegung. Der Bruch der Internationale kann an einem Bei­ dustriellen. Ein bürgerlicher Journalist, der häufig Vizekanzler Friedrich spiel aufgezeigt werden: Auf dem Parteitag der österreichischen von Payer beriet und auch mit Ebert verkehrte, stellte im August 1918 Sozialdemokratie 1912 standen Albert Thomas (Frankreich), Josef Pil­ sudski (Polen), Leo Trotzki (Rußland) und Friedrich Ebert zusammen mit Victor Adler auf der Tribüne. Sie begrüßten sich gegenseitig als Hüter des Friedens und des Fortschritts, und Pilsudski kündigte für terskizzen von Journalisten sind. Das traf auf Ebert erst zu, nachdem er den Fall eines Krieges einen Kongreß der Internationale im befreiten Reichspräsident geworden war und die Öffentlichkeit mehr über seinen Auf­ I stieg und seine Persönlichkeit wissen wollte. Parteifreunde und -feinde ver­ Warschau an . Doch mit dem Kriegsausbruch änderte sich die Situation faßten kurze Biographien und Berichte; offizielle Lebensläufe erschienen. Doch schon vor Kriegsende wurden Eberts Reden von den politisch Inter­ grundlegend. Die Sozialisten der einzelnen Länder stellten sich hinter essierten und von Journalisten verfolgt, so daß er den politisch Informierten ihre Regierungen und beschimpften sich gegenseitig als Regie­ bekannt war. Auf der dritten Ebene siedele ich diejenigen Persönlichkeiten rungssozialisten, Verräter des Proletariats oder schlichtweg als Ban­ an, die Anerkennung in wichtigen Positionen des öffentlichen Lebens erlan­ gen. Dazu gehören: a) Inhaber von Staatsämtern sowie Politiker, Diploma­ diten. Es war jetzt eigentlich unmöglich, Ebert, Thomas, Trotzki und ten und Staatsbeamte; b) Lobbyisten, die für ihre Firmen oder Beauftragten wissen müssen, wer was beeinflußt oder verwaltet, und auch die Firmen­ inhaber selbst; c) Militärführer (die zu den Staatsbeamten zu zählen sind, doch während eines Krieges auch eine Unabhängigkeit entwickeln können und es im Falle Deutschlands getan haben); d) Parteiführer. Zu dieser drit­ 5 Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Friedrich von Payer 34: Max Wiessner ten Ebene zähle ich Ebert während des Weltkrieges; er wurde nicht nur be­ (Berliner Korrespondent der »Frankfurter Zeitung«) an Payer, 24.8.1918. kannt, sondern auch geschätzt. Zur vierten Ebene rechne..ich die Parteifüh• rer, die nur innerhalb der Partei oder den staatlichen Uberwachungsbe­ 6 Susanne Miller, Friedrich Ebert und die Entwicklung der deutschen Sozial­ hörden bekannt waren. In die letztgenannte Kategorie ordne ich Friedrich demokratie im Wel~.krieg, in: König u.a. [wie Anm. l]. S. 67; dieser Wertung Ebert vor dem Kriege ein. Der vorliegende Beitrag beantwortet also die scheint mir eine Uberschätzung des Individuums im politischen Prozeß Frage, wie er von dieser Stufe in die dritte überging. zugrundezuliegen.

4 Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten. Erster Band, 7 Zitiert. in: Wilhelm Gr

Pilsudski auf ein und derselben Tribüne zu finden. 1915 behauptete Man versuchte die Partei zu spalten, zu manipulieren und auch durch Ebert, die französische Partei unter Albert Thomas "segelt heute völlig die Ankündigung von Reformen zu gewinnen. Dabei zeigte sich das im Fahrwasser des Chauvinismus".8 Dilemma der deutschen Demokraten: Ihr Verlangen nach Reformen im Inneren des deutschen Reiches übertraf zum Teil die Ziele der deut­ Auch durch die deutsche Arbeiterbewegung ging eine Schnittlinie. schen Kriegsgegner, die diese im Falle eines Sieges in Deutschland Über die durch den Krieg aufgeworfenen Probleme spaltete sich die als Sicherungen umsetzen wollten; ein Druck von innen jedoch mit Partei. Es ging dabei um die Frage nach den Beziehungen der Sozial­ dem Ziel, politische Reformen durchzusetzen, mußte gleichzeitig die demokratie zu Staat und Gesellschaft im Krieg . Der Weltkrieg brachte Kriegsmoral beeinträchtigen. Hätte man dagegen die Militärs auf allen es ans Licht, wie wenig Macht und gleichzeitig wie viel Macht die Ar­ Gebieten ohne Widerstand gewähren lassen, hätte dies zur Kritik der beiterparteien doch besaßen; wenig, weil sie sich selbst über das Na­ eigenen Basis geführt. Der Ausweg der SPD aus diesem Dilemma tionale und den nationalen Staat nicht im klaren waren; viel, weil sie so hieß unter Eberts Leitung Kooperation und Opposition. Das Land notwendig für die Kriegswirtschaft im totalen Krieg wurden. wurde im Krieg unterstützt, aber Kritik, die das politische und wirt­ schaftliche System in Frage stellte, wurde beibehalten; insbesondere Ebenso wie der Weltkrieg auf die internationale Arbeiterbewegung wurde das Verlangen nach dem Umbau von Staat und Wirtschaft wirkte, erschütterte er auch das Kaiserreich. Das festgefahrene politi­ weiterhin erhoben. Die SPD versuchte, diese widersprüchlichen Rol­ sche System drohte ständig zu platzen. 1917 eröffneten sich neue po­ len, zum einen als stützende Säule und zum anderen als brennende litische Möglichkeiten, weil die alten Institutionen an Autorität einge­ Fackel, miteinander zu vereinbaren. büßt hatten. Die Kriegsnotwendigkeiten untergruben die Monarchie, das Militär trat aus der alten preußischen Diensthaltung heraus und Die vielfach heimliche Kooperation und die öffentliche Opposition der mischte sich in Politik und Wirtschaft ein, um eine Quasi-Diktatur zu SPD waren ein Versuch, dem zwei Ziele zugrunde lagen: einmal den / / /. errichten. Der Krieg verlangte auch so große Opferbereitschaft der Bürgerblock, der sich durch den Druck des Krieges zunächst konsoli­ 1 ganzen Bevölkerung, daß der Reichstag und seine Kommissionen diert hatte, aufzulösen und zweitens die eigenen Mitglieder an sich zu größere Bedeutung in den Fragen der Ernährung, der Beschaffung binden. Durch die Friedensresolution vom Juli 1917 und durch die Mit­ und des Gesundheitswesens erlangten. Hierbei mußte auch die orga­ arbeit im Interfraktionellen Ausschuß der Mehrheitsparteien des nisierte Arbeiterbewegung herangezogen werden. Mehr und mehr Reichstages wurde das erste Ziel erreicht. Damit sind wir wieder beim stellte sich für Reichskanzler Bethmann Hollweg und andere Politiker Thema. Der Weltkrieg, die Parteispaltung und die neuen Instanzen, die Frage, wie "die SPD bei der Stange" zu halten sei. 9 die während des Krieges wichtig wurden, sind der Hintergrund, vor dem sich Eberts Weg zum Politiker von nationaler Bedeutung vollzog.

8 Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD 1912-1921 [ ... ), Nachdrucke. Hrsg.von Dieter Dowe [ ... ), Bd.1, Berlin/Bonn 1980, S. 109 II (nachf.:"Parteiausschuß"). Ebert fuhr fort: Die Schweizer Partei bekunde "ihren internationalen Brudersinn dadurch, daß sie fast tagaus, tagein die deutsche Partei in niedrigster und gehässigster Weise beschimpft". Ebd. Durch die internen Auseinandersetzungen in der Partei gewann Ebert innerhalb des ersten Kriegsjahres eine besondere Stellung in der 9 Diese Worte wiederholen sich in den Tagebüchern und Berichten der Staatsbeamten und bürgerlichen Politiker, z.B. Oskar Trautmann, Le­ Sozialdemokratie. Der Mitführende von 1914, der 1913 zu einem der gationsrat im Auswärtigen Amt, Tagebuch-Eintragungen vom 23.Juni und 27.Juli 1915 (im Privatbesitz). Vgl. auch: Kurt Riezler. Tagebücher, Auf- sätze, Dokumente. Eingel. und hrsg. von Karl Dietrich Erdmann, Göttingen 1972, S. 366ff. 8 9

zwei Parteivorsitzenden gewählt worden war und eine Vielzahl von einer Reichstagsrede zum Kriegseintritt ltaliens.13 Auch in den Diskus­ Ämtern und Aufgaben innehatte, wurde zum eigentlich Führenden mit sionen innerhalb der Fraktion war er einer unter mehreren, die die Be­ besonderer Autorität. Wolfgang Heine vom rechten Parteiflügel be­ willigung der Kriegskredite befürworteten. Scheidemann, Liebknecht, merkte im August 1915, daß "Ebert [ ... ] jetzt die eigentliche Führung Bernstein, Haase, David und andere lieferten dort Ende 1914 und hat".10 Wie weit diese Einschätzung zutreffend ist und wie dieser Auf­ Anfang 1915 die Argumente für und gegen die Kriegskredite. Doch als stieg zustande kam, möchte ich nun etwas näher beleuchten.11 es darum ging, ob Liebknecht nach seinem Alleingang im Reichstag diszipliniert, als die nach dem Rücktritt Ledebours vakante Stelle im Ebert war 1913 zum Mitvorsitzenden gewählt worden wegen seines Fraktionsvorstand durch einen Gewerkschafter besetzt werden sollte hingebungsvollen Engagements für die Partei, wegen seiner organi­ und als Haase endgültig zur Opposition stieß, griff Ebert ein.14 In satorischen Fähigkeiten und seiner integrierenden Rolle als Vermittler diesen Fragen ging es um die Beachtung der Parteistatuten, die Ver­ zwischen den Flügeln. Der Brückenbauer zwischen den ideologischen tretung der einzelnen Gruppierungen innerhalb der Führungsorgane Gruppierungen war zweiter Vorsitzender neben Hugo Haase. Der und die öffentliche Rolle des Vorsitzenden. In solchen Fällen setzte Parteivorstand funktionierte in der Zeit vor dem Weltkrieg als ein Kol­ Ebert sich stark ein und meistens auch durch. legium.12 Der Krieg brach diese Kollegialität auf und veränderte die Parteiorganisation. Die Reichstagsfraktion, die sich zu Kriegsbeginn in Während er ansonsten in der Fraktion kaum hervortrat, wurde der Abwesenheit Eberts für die Landesverteidigung, die sogenannte Politik Parteiausschuß sofort zu Eberts Institution. Alle drei Monate konfe­ des 4. August, ausgesprochen hatte, wurde nicht von ihm geleitet. Er rierte der Parteivorstand mit den regionalen Parteifunktionären. Ebert saß zwar im Fraktionsvorstand, aber Vorsitzende waren Hugo Haase, leitete den Ausschuß und ließ sich von diesem Gremium die Politik Philipp Scheidemann und Hermann Molkenbuhr. Haase, Scheide­ des 4. August legitimieren. Im September 1914 und Januar 1915 ver­ mann, Eduard David und Georg Ledebour hielten seit Bebels Tod die teidigte er hier die Politik der Mehrheit und bat immer wieder um großen Reden im Reichstag. Erst Mitte 1915 profilierte sich Ebert mit befürwortende Stellungnahmen des Parteiausschusses zur Fraktions­ 1 ! und Vorstandspolitik. 5 Das Recht des Parteiausschusses, "sich zu

1O Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918. 13 Friedrich Ebert, Schriften , Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten zweiter Teil, bearbeitet von Erich Matthias und Eberhart Pikart, Düsseldorf Erinnerungen aus de~ ~ach laß. Erster Band, Dresden 1926, S. 310ff.: "[ ... ] 1966, S. 73; im folgenden als "Reichstagsfraktion" zitiert. getreu unserer soz1ahst1schen Weltanschauung [.. .] wenden wir uns mit Entschiedenheit gegen diejenigen Bestrebungen, die den Frieden abhängig 11 Dabei vertrete ich einen etwas anderen Standpunkt als Susanne Miller {i n: machen wollen von allerlei Eroberungen." Gustav Hoch bezeichnet dies in Burgfrieden und Klassenkampf: Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten seinem Tagebuch vom 29.5.1915 als eine "wichtige Rede" Eberts· Archiv Weltkrieg, Düsseldorf 1974), die den Prozeß der Spaltung zwar genaue­ der sozialen Demokratie {Bonn), Nachlaß Gustav Hoch 1. ' stens besch rieben hat, doch einige Faktoren, die zu Eberts Sonderstellung führten, außer acht läßt. Es ist zu berücksichtigen, wie die verantwortlichen 14 Reichstagsfraktion II [wie Anm. 1O] , S. 7ff. Ebert berichtete vornehmlich Po litiker außerhalb der Sozialdemokratie die SPD und Ebert einschätzten, über die internationalen Kontakte; ebd. S.43 und S.52; zu Liebknecht vgl. wie sie die SPD zu beeinflussen versuchten und welche Strategie Ebert in ebd., S. 30; zur Wahl Hochs als Ersatz für Ledebour, ebd., S. 35. Vgl. dar­ bezug auf die bürgerlichen Kräfte und die kaiserliche Regierung verfolgte. übe ~ hinaus: Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918. In Verbindung mit Erich Matthias bearb. von Susanne 12 Über den Zusammenhalt der Massenpartei SPD durch die Parteispitze vor Miller, Düsseldorf 1966, S. 105; auch Bundesarchiv/Abt.Potsdam {vormals dem Krieg vgl. : Dieter K. Buse, Party Leadership and Mechanisms of Unity: Zentrales Staatsarchiv der DDR 1) , Reichskanzlei 1395/9, fol. 47-52. The Crisis of German Social Democracy Reconsidered, 1910-1914, in: Journal of Modem History LXII (1990), S. 477ff. 15 Parteiausschuß 1 [wie Anm. 8], S. 91 ff. 10 11 allen wichtigen Parteifragen zu erklären", benutzte der Par­ Diese Politik aufrechtzuerhalten, wurde für Ebert und die Mehrheit des teivorsitzende, um dort Resolutionen zu verabschieden und damit die Parteivorstandes immer schwieriger. In der Partei schälten sich eigent­ Fraktion zu beeinflussen.16 Auch vor der Kontrollkommission stand er lich fünf Gruppen heraus, von denen zwei gegen und drei für die Rede und Antwort über die Politik des Parteivorstandes.17 Ebert trat Kriegskredite auftraten. Die Mehrheit lag zwar bei Ebert und einem seit Anfang 1915 besonders hervor, um im Parteiausschuß, in der Teil der alten Parteimitte, aber ob sie die Flügel noch zusammenhalten Kontrollkommission und in der Parteiöffentlichkeit, zum Beispiel in sei­ konnte, war fraglich. Von den radikalen Oppositionellen traten Karl nem Reichstagswahlkreis Elberfeld-Barmen, die Politik des 4. August Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere sofort gegen die Landesver­ zu verteidigen. Dabei stellte er Eigenschaften unter Beweis, mit denen teidigung und somit gegen die Politik der Parteiführung auf. Die er seinen Führungsanspruch bekräftigte: Er benutzte die Sprache der gemäßigte Opposition, also die Minderheit in der Fraktion, wollte Vorkriegs-SPD (z.B. indem er den "Imperialismus" als Erklärung für dagegen die Mehrheit innerhalb der Fraktion und der Partei gewinnen, den Ausbruch des Krieges nannte), blieb sachlich (anders als Lede­ um so die Partei generell zur Opposition gegen die Kriegskredite zu bour und Liebknecht einerseits oder Südekum und Scheidemann bringen. Die alte Mitte der Partei ging zum Teil zu dieser Opposition andererseits) und konnte klar und genau seinen Patriotismus mit Sozi­ über, der Rest aber blieb unter Eberts Leitung. Rechts standen die alkritik verbinden. Er behielt in dieser besonderen Situation den alten Gewerkschaften und die »lntegranten« (wenn ich ein Wort aus Inte­ kollegialen, Gruppeninteressen überbrückenden Stil bei. gration und Intrige erfinden darf für die Gruppe um Eduard David, Albert Südekum, Joseph Bloch und Wilhelm Kolb), die Annexionen ak­ Die Opposition und ein Teil der Parteipresse machten ein Festhalten zeptierten oder sogar befürworteten, die eine nationalreformistische hieran schwierig. Dennoch versuchten er und andere Vorstandsmit­ Partei zum Ziel hatten und die bereit waren, eine eigene Arbeiterpartei glieder im Anfangsstadium des Krieges, das alte Führungssystem auf­ rechts von der SPD zu gründen. Ebert, der. nicht für die Entstehung rechtzuerhalten, erstens, um die Einigkeit der Partei zu bewahren, und der Politik des 4. August verantwortlich gewesen war, aber sich hinter / zweitens, um die Partei nicht zu streng festzulegen, falls die Minder­ diese stellte, wurde für ihre Fortführung die entscheidende Persönlich• / heit doch noch die Mehrheit in der Partei gewinnen würde. Daher blieb keit. Er verteidigte diese Politik, fuhr aber gegen die Parteilinke keinen Ebert auf Distanz zu den Parteirechten um David, obwohl er diesem so konfrontationswilligen Kurs wie die Parteirechten oder einige , schon im März 1915 anvertraute, daß er für "eine klare, reformistische Gewerkschaftsführer, die sofort bereit waren, die Parteieinheit preis­ Taktik mit Abweisung aller revolutionären Versuche" sei. Er erklärte zugeben. Durch seine Sonderstellung in den Gremien der Partei ver­ aber gleichzeitig, daß er "fest am 'Klassenkampf' halten" werde. 18 Er mochte er es, die drei kriegsbefürwortenden Gruppen zusammenzu­ wollte also Kooperation mit Opposition verbinden. halten, und versuchte bis Ende 1915, alle Flügel mit Ausnahme der äußersten Linken in der Organisation zu halten.

Ebert erhielt seine führende Stellung mit besonderer Autorität aufgrund 16 Siehe z.B. die Resolution zum Kriegsetat vom März 1915 in: ebd., S. 133ff.; folgender Faktoren: Er wurde automatisch Führer der Mehrheit in Vor­ Zitat auf S. 138. stand, Fraktion und Parteiausschuß, als Haase sich im Juni 1915 offen 17 Siehe Dieter K. Buse , Kontroverse innerparteiliche Demokratie. Dokumente zur Opposition bekannte. Haase war wenig im Parteivorstand anwe­ der Kontrollkommission der SPD aus den Jahren 1915/16, in : Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Deutschen send und konnte keine Mehrheit für seine Politik in den Parteiorganen Arbeiterbewegung XXVI (1990), S. 372-375. erlangen. Ebert hatte mit dem Vorstand, der Fraktion und insbesondere 18 Kriegstagebuch David (wie Anm. 14), S. 113. dem Parteiausschuß die Instanzen hinter sich und ließ sich jede Ent­ scheidung des Parteivorstandes durch den Parteiausschuß legitimieren. 12 13

Obwohl es auch zu Differenzen mit den Gewerkschaften und der äußer• langen nach Friedensaktionen in Form von Protesten und Petitionen sten Rechten kam und er deren Haltung zu Annexionen nicht teilte, so weiter. In den . schwierigen Parteikämpfen bewies Ebert seine takti­ fand er doch in ihnen Stützen seiner Verteidigungspolitik. Im Parteivor­ schen und organisatorischen Fähigkeiten, indem er die Gruppierungen stand überließen Otto Wels, Otto Braun und Hermann Müller [-Franken] ausbalancierte und Opposition mit Kooperation kombinierte. ihm die politisch-taktische Führung; nur Scheidemann stellte sich auf die gleiche Stufe wie Ebert. Diese Politik brachte ihn unweigerlich in Zwangslagen. Hier sollen nur ein ige Beispiele angeführt werden. Im August 1915, als die Möglichkeit Was hat Ebert mit dieser gewonnenen Autorität unternommen, inner­ bestand, daß die oppositionelle Minderheit zur Mehrheit werden halb und außerhalb der Partei? Er hat mit seiner Politik, seiner einseiti­ konnte, berieten Gewerkschaftsleitung und Parteivorstand die Situa­ gen Leitung der Parteiinstitutionen, sicher dazu beigetragen, die Partei tion . Die Gewerkschaftsführer drohten, sie würden sich in solchem Fall zu spalten, was er eigentlich nicht wollte, aber wohl auch gar nicht ver­ gegen die Fraktion wenden und die Interessen der Arbeiter meiden konnte. Der Minderheit wurde das Recht zu öffentlicher Mit­ "unabhängig" von der Partei verteidigen. Ebert bemühte sich um den sprache aberkannt, womit im Dezember 1915 eine alte Tradition der Ausgleich. Er gab den Gewerkschaftsführern zwar recht, daß die Partei durchbrochen wurde. Ebert machte sich für diese rigorose Politik Kriegskredite nicht verweigert werden sollten, setzte aber gleichsam stark.19 Diese Intoleranz gegenüber der Minderheit, die teilweise durch durch, daß die Gewerkschaftsspitze ihre Drohung zurückzog.20 Diese persönliche Konflikte vertieft wurde, spaltete die Fraktion. Das war der vermittelnde Haltung ermöglichte es der Gruppe von ungefähr zwanzig Wendepunkt, denn danach gingen Ebert und seine Vorstandskollegen Mitgliedern (unter ihnen Gustav Hoch, Josef Simon, Hermann Reiß• mit scharfen Maßnahmen gegen die Minorität vor. Haase wurde aus haus), die gegen Kredite waren, in der Fraktion zu bleiben. dem Vorstand hinauskomplimentiert, die Redaktionen der Partei­ zeitungen wurden, soweit möglich, von der Mehrheit übernommen, die Während des Krieges änderte sich Eberts Einstellung auf zahlreichen Kontrollkommission wurde ausgeschaltet und Disziplin in allen Organen Gebieten, insbesondere zum Staat. Im Zeitraum von 1915 bis 1917 / durchexerziert. Ebert leitete diesen Versuch, die Opposition zur Unter­ trat er immer mehr für einen starken, wenn auch innerlich reformierten ordnung zu zwingen, und ließ sich die Aktionen durch den Parteiaus­ Staat ein. Der Interventionsstaat der Kriegszeit sollte in der Nach­ schuß und in verschiedenen Konferenzen in der Zeit vom Juli bis zum kriegszeit bestehen bleiben, um soziale Errungenschaften zu verteidi­ September 1916 bestätigen, so daß der Parteibruch unvermeidbar gen. In immer stärkerem Maße erblickte er die Feinde im Ausland, wurde. Die als Provokation aufgefaßte Beitragssperre war ein letzter wozu er auch die Entente-Sozialisten zählte, denen er alle Schuld Verzweiflungsakt der Opposition, die Partei auszuhöhlen, die sie von daran gab, daß der Krieg noch andauerte und kein Ende in Sicht war. innen nicht für sich hatte gewinnen können. Die Mehrheit der Institutio­ Im Gegensatz zu 1915 sprach er 1917 von Englands Schuld am Krieg. nen und der Mitglieder dieser geschwächten und auf Kooperation mit Ein neues Moment seiner Haltung war sein Vertrauen zur Regierung. dem Staat in der Frage der Landesverteidigung festgelegten Partei Der symbolische Streit über die Kriegskredite verdeckte teilweise hatten Ebert und seine Vorstandskollegen für sich behalten. Eberts neue Weltanschauung. Dennoch ließ er die Parteiöffentlichkeit Mitte 1916 wissen, daß die Richtung Kalbs, eben die Richtung der Offene Opposition zum unreformierten Staat und zu den Parteirechten extremen Rechten und »lntegranten« (wie ich sie nennen möchte) um blieb jedoch bestehen. Als die Spaltung voranschritt, ging das Ver- Wilhelm Kolb - der schon 1915 Annexionen befürwortete -, im

19 Reichstagsfraktion II [wie Anm. 1O], S. 88. 20 Bundesarchiv/Abt.Potsdam, Reichskanzlei 1395/1O , fol. 154ff. 14 15

Parteistreit nicht gewinnen werde. Der "Klassenkampf", Teil seiner der Arbeitskräfte der Partei vorzunehmen.22 Einige Beispiele illustrie­ Opposition, blieb erhalten. ren die mannigfaltigen Tätigkeiten Eberts. Während alle Fraktionsbe­ auftragten, insbesondere Gustav Hoch, Gustav Noske, , Erst der Streit um die Landesverteidigung ermöglichte es ihm, eine Georg Ledebour, Eduard David und Ebert ihre speziellen Ressorts von besondere Rolle in der Führungsetage der Sozialdemokratie zu über• der Fraktion zugeteilt bekamen, griffen Ebert, Haase und Scheide­ nehmen, die bis dahin einen kollegialen Führungsstil praktiziert hatte. mann die politischen Fälle im Hauptausschuß auf.23 Durch die Arbeit Die Krisensituation der Partei und Eberts Aufstieg zu einer Stellung mit wuchs natürlich Eberts Kenntnisstand in zahlreichen Fragen. So wurde spezieller Autorität lenkten das Interesse auch außerhalb der Partei er - zusamm_en mit Emanuel Wurm und anderen - zum Experten in Le­ auf ihn. Ein Polizeibericht vermerkte über die Fraktionsspaltung im bensmittelfragen. Die Tätigkeiten brachten die Sozialdemokraten in April 1916: "Damit wird der Einfluß Eberts, eines biederen und hu­ Kontakt zu den Beamten des Staatsapparates. Dabei erschien insbe­ morvollen Mannes von unzweifelhaftem Rechtlichkeitsgefühl, der den sondere Ebert den Beamten - wie z.B. dem Staatssekretär des Innern, Gewerkschaften nahe steht, steigen [.. .] ."21 Doch in der Öffentlichkeit - des öfteren als unbequem. Ebert und andere der blieb er weiterhin noch im Schatten Scheidemanns. sozialdemokratischen Führungsriege wurden auf diese Weise den Ministerialbediensteten bekannt.24 Beamte wie Joseph Koeth, Adolf Batocki-Friebe (Präsident des Kriegsernährungsamtes), Georg III Michaelis (Leiter der Reichsgetreidestelle und danach Reichskanzler) und Johannes Kriege (Direktor im Auswärtigen Amt) begegneten zum Die Auswirkungen des Krieges für die Gesellschaft allgemein waren in ersten Mal den Arbeiterführern. Die monatlichen Zusammenkünfte und gleicher Weise einschneidend wie für das Innere der Partei. Ra­ längeren Auseinandersetzungen gaben den Sozialdemokraten zum tionierung von Rohstoffen, Verteilung von Arbeitskräften, die große einen die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, was sie in der Sache zu / Anzahl von Toten und Verwundeten, Inflation und Mangel an Lebens­ leisten fähig waren, und zum anderen die Chance, Arbeiterinteressen /'. mitteln riefen die SPD und andere Parteien immer wieder auf den zu verteidigen. 25 Während konservative Abgeordnete meistens die Plan. Im Hauptausschuß des Reichstages und in den Kommissionen sozialen Probleme ignorierten, waren es gerade die Sozialdemokra­ versuchten die leitenden Politiker, Staatssekretäre und Militärs den ten, die Antworten auf die drängenden Fragen wie Kartoffelpreise, Gang des Krieges zu erklären und Kritik abzufangen. Angewiesen auf die Kräfte der Bevölkerung mußte die Regierung die SPD-Spitze und die Gewerkschaftsführer intensiver informieren und einbeziehen. Unter den Kriegsbedingungen mußten die Beamten auf das, was die Partei­ führer präsentierten, hören. 22 Reichstag sfraktion II (wie Anm. 10], S. 102 sowie S. 236ff. 23 Der Hauptausschuß des Deutschen Reichstags 1915-1918. Eingel. von Reinhard Schiffers. Bearb. von Reinhard Schiffers und Manfred Koch in Ebert arbeitete in vielen dieser Kommissionen, so daß Frakti­ Verbindung mit Hans Boldt. Erster Band, Düsseldorf 1981, S. 106f. und S. onskollegen im Dezember 1916 vorschlugen, eine größere Verteilung 11 O (nachf. als "Hauptausschu ß" zitiert). 24 Ebd., S. 20, als ein Beispiel. 25 Siehe dazu die Einschätzung Riezlers in: Riezler-Tagebücher (wie Anm. 9]. 21 In: Dieter K. Buse (Hrsg.), Parteiagitation und Wahlkreisvertretung . Eine S. 365f. Dokumentation über Friedrich Ebert und seinen Reichstagswahlkreis Elberfeld-Barmen 1910-1918 (= Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 3), Bonn 1975, S. 101 . 16 17

Marmeladezuteilung und all die langweiligen, aber lebenswichtigen nahmen zahlreiche Parlamentarier dies zum Anlaß, militärische Probleme der Bevölkerung verlangten. 26 Fragen zu stellen. Ebert dagegen - so vermerkt das Protokoll - sei "erstaunt über die Höhe der Verluste [ ... ]".32 Er sah in diesen Mittei­ Auch in den Fragen der grundsätzlichen Politik trat Ebert allmählich in lungen nicht die militärischen Aspekte, sondern die Auswirkungen auf den Vordergrund. 1916 lieferte zumeist Scheidemann noch die wichti­ die Bevölkerung. Die Liste seiner politischen Tätigkeiten während des gen politischen Stellungnahmen, etwa in der U-Bootfrage.27 Aber Weltkrieges könnte noch weiter ergänzt werden. Hervorzuheben nachdem Ebert im Januar 1916 Haase als Vorsitzender der Fraktion bleibt, daß er 1916 einigen wichtigen Persönlichkeiten außerhalb der abgelöst hatte, begann er in zunehmenden Maße auch die politischen Partei auffiel, nicht nur, weil er Vorsitzender der Sozialdemokratie war, Stellungnahmen der Fraktion abzugeben.28 sondern weil er die Interessen der Arbeiterschaft vertrat, dabei sachlich argumentierte und eine patriotische Einstellung offenbarte. Im Hauptausschuß verteidigte Ebert seine positive Einstellung zur Drei Beispiele für diese Wertschätzung seitens der Gesprächspartner Zwangswirtschaft, weil sie einen "sozialistischen" Einschlag hatte. 29 Er seien hier stellvertretend angeführt. Der Industrielle Richard Merton, nutzte natürlich auch den Hauptausschuß, um die schwierigen der im Kriegsamt tätig war, schrieb später: "Ebert fiel mir sofort als sozialen Probleme zu thematisieren.30 Den Auswirkungen des Krieges eine sehr sympathische Persönlichkeit auf. Soweit ich ihn damals auf Frauen und Kinder galt seine Aufmerksamkeit: "Man müsse an die beurteilen konnte [ ... ], war er alles andere als ein doktrinärer Sozialist; große Zahl der erwerbstätigen Frauen denken. Diese hätten gar nicht er war sicher ein wahrer Vertreter der Interessen der Arbeiterschaft, ist die Zeit, um sich die erforderlichen Lebensmittel zu beschaffen. Die sich aber immer seinem deutschen Vaterland bewußt gewesen."33 Folge davon sei, daß gerade diese sich mit ihrer Ernährung in beson­ General Groener verteidigte Ebert im März 1919 in einem Privatbrief: deren Schwierigkeiten befinden, unter denen namentlich die Kinder zu "Er ist persönlich [ein] durchaus ehrenwerter anständig denkender leiden haben."31 Als der Kriegsminister im Oktober 1916 die Zahl von Mann und als solcher schon im früheren Reichstag von allen Parteien / 3,5 Millionen Toten, Verwundeten und Vermißten auf den Tisch legte, geachtet worden."34 Richard Sichler, verantwortlich für Arbeiterfragen / im Preußischen Kriegsministerium, erinnerte sich später, der so­ zialdemokratische Parteivorsitzende habe ihm die Sorgen und Nöte der Arbeiterschaft vorgetragen: "Ebert verließ mich .damals mit der 26 Hauptausschuß [wie Anm. 23]. S. 267. Erklärung, daß er etwaige künftige Klagen bzw. das betreffende 27 Ebd„ S. 391ff. und S. 789ff. Material mir zur Untersuchung und Veranlassung des weiteren zukommen lassen würde."35 Sichler konstatierte hier den Einsatz des 28 Ebd., S. 870 und S. 873. 29 Ebd. S. 669 und S. 934f. als Beispiele. 30 Ebert ist hier nicht als Einzelkämpfer zu sehen. Er unternahm nichts allein. 32 Ebd. , S. 773. Es war eine seiner Führungsstärken, daß er mit Kollegen, die ähnliche Ziele verfolgten, gut zusammenarbeiten konnte. Zur Kriegskritik der SPD siehe: 33 Richard Merton, Erinnernswertes aus meinem Leben. Frankfurt 1955, S. Hauptausschuß [wie Anm. 23], S. 15-41, insbesondere S. 37f. , S. 2661. und 123. S. 276ff. 34 Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg, Nachlaß Wilhelm Groener 32: Groener 31 Hauptausschuß [wie Anm. 23], S. 668ff. ; Zitat S. 670. an seine Ehefrau, 10.3.1919. 35 Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Walter Luetgebrune 15 (Abschriften aus den Akten des Landgerichts Magdeburg, 4.3.1 925). Darüber hinaus erin­ nerte sich Sichler an eine Unterhaltung zwischen Ebert und dem Direktor de~ Kriegsersatz- und Arbeitsdepartments im Kriegsamt, General Gottfried 18 19

SPD-Parteivorsitzenden für die Arbeiterschaft, aber auch für das Land: an der Spitze, war Ende 1916/Anfang 1917 im Begriff, die Mitte der " [ ...) ich [habe] unzweideutig den Eindruck gewonnen, daß dem politischen Landschaft zu erobern, und betonte nachdrücklich, daß sie Abgeordneten Ebert die Landesverteidigung unseres Vaterlandes nicht wie die 'Extremisten' von Links oder Rechts zu operieren ge­ ganz besonders am Herzen lag." dachte. Diese Kombination von Kooperation und Opposition war das besondere Merkmal der Sozialdemokratie im Weltkrieg.38 Im Parteiausschuß und in Parteiversammlungen verteidigten Ebert und seine Kollegen die Errungenschaften von Partei und Gewerk­ Doch in der Öffentlichkeit stand Ebert immer noch im Schatten Schei­ schaften in diesen Verhandlungen. Eigentlich konnten sie wenig Kon­ demanns. Als die geheime Polizei über die Parteikampagne Ende kretes vorweisen, wenngleich ihr Druck auf die staatlichen Behörden 1916 berichtete, notierte sie vornehmlich Scheidemanns Auftreten und dazu geführt hatte, daß etwa die Preise schärfer kontrolliert wurden. sprach immer wieder von der "Scheidemann-Gruppe."39 Regierung und bürgerliche Parteiführer setzten in internen Beratungen SPD und Zur gleichen Zeit, als sich diese Mitarbeit von der Öffentlichkeit weit­ "Scheidemann" gleich.40 David kommentierte am 24.Juli 1916: "H.v. gehend unbemerkt abspielte, lief eine Parteikampagne für Frieden und Gerlach bezeichnet [ ... ) mich als den dirigierenden Generalstabschef für innenpolitische Reformen, die Ebert taktisch leitete. Im Frühjahr beim Oberkommandierenden Scheidemann im regierenden rechten 1916 sprach er im Reichstag zum Etat und verband dies mit einer Zentrum der Sozialdemokratie. So sieht das Bild von außen aus! Im generellen Kritik an der Innenpolitik seit Kriegsbeginn: "An unserer Innern aber ist's ganz anders."41 grundsätzlichen Stellung ist durch den Krieg nichts geändert wor­ den."36 Ständig wiederholten er und seine Kollegen, daß die Demo­ kratisierung schon im Krieg beginnen müsse. Im Haushaltsausschuß erklärte er in Anwesenheit General Groeners am 23. November 1916: "Wenn die Stimmung im Volke so außerordentlich viel zu wünschen / / übriglasse, so liege das daran, daß über die Maßnahmen der Regie­ rung und besonders über die Maßnahmen der Militärbehörden so viele Klagen zu erheben seien, wie die Handhabung des Belagerungszu­ standes, der Schutzhaft usw. beweisen. Aber auch die Reichsleitung 38 Die Entstehung des Hilfsdienstgesetzes zeigt sein taktisches Geschick und habe nichts getan, um die Stimmung im Volke zu heben, man habe seine Bereitschaft, sich mit den Regierungsvertretern auseinanderzusetzen. geredet von einer Neuorientierung, aber geschehen sei nichts." 37 In Vgl. Hauptausschuß [wie Anm. 23], S. 1037ff., und Reichstagsfraktion II [wie Anm. 19], S.231 ff. Die Verhandlungen über dieses Gesetz brachten der Öffentlichkeit wurde solche Kritik mit Attacken gegen Alldeutsche ~bert mehr in Verbindung mit Groener, Kontakte, die im folgenden Jahr ver­ und Annexionisten untermauert. Die SPD, mit Ebert und Scheidemann tieft wurden. 39 Bundesarchiv/Abt. Potsdam, Reichskanzlei 2398/9, fol. 237ff. Marquardt, wobei Ebert wiederholt von " 'unserem Vaterland' in begeisterten 40 Ebd., Reichskanzlei 2398n, fol. 102ff. als ein Beispiel. Nachdem die Worten" gesprochen habe. Nachdem Ebert weggegangen war, habe Mar­ Kriegszieldiskussion freigegeben wurde, entstand Ende 1916 die Formulie­ quardt gesagt: "Ich denke , diese Leute haben kein Vaterland ? Vaterländi• rung "Scheidemann-Frieden". scher kann man doch kaum sprechen, wie Ebert es eben getan hat." 41 Kriegstagebuch David [wie Anm. 14]. S. 189f. Hellmuth von Gerlach war 36 Ebert, Schriften [wie Anm. 13], Bd. 1, S. 317. Herausgeber der »Welt am Montag«. 37 Hauptausschuß [wie Anm. 23], S. 1037. 20 21

IV nicht definitiv zu Belgien äußern wollte. Aber seine Beteiligung wurde von bürgerlicher Seite positiv registriert: "Sowohl Lerchenfeld wie Die Situation änderte sich Mitte 1917, nachdem die Parteispaltung Sieveking [Vertreter Bayerns und Bremens im Bundesrat - D.K.B.] und Realität geworden war. Russische Revolution und Stockholmer Kon­ auch Helfferich und Kühlmann [Staatssekretär des Äußeren - D.K.B.] greß brachten den Frieden kein Stück näher; die Regierung ließ die stimmten darin überein, daß den besten Eindruck eigentlich der Parteien weiterhin im unklaren, welche Kriegsziele sie eigentlich ver­ Sozialdemokrat Ebert gemacht habe."44 folgte. In dieser Lage verstärkte die SPD ihre Opposition. Um ein Auf­ treten der SPD gegen die Landesverteidigung zu verhindern, wurden Wenn die SPD-Führung der Ansicht war, daß durch bestimmte Ak­ die bürgerlichen Parteien aktiv. Der Zentrumsmann tionen die Aussicht auf Frieden und innenpolitische Reformen verbes­ führte im Hauptausschuß den Beweis, daß der U-Boot-Krieg ohne sert würden, arbeitete sie konstruktiv mit. Wenn aber die Regieru ng an Erfolg bleiben müsse. Mit dieser Rede begann eine neue Phase der der alten starren Linie festhielt und in der Friedensfrage keine Regung deutschen Politik, in der Ebert erneute Aufmerksamkeit zuteil wurde. zeigte, wie im Falle von Kanzler Michaelis, der die Friedensresolution In der aus dieser Rede resultierenden Krise fiel einem Beobachter die mit seiner Bemerkung "wie ich sie auffasse" relativierte und gründlich taktische Wachsamkeit des SPD-Vorsitzenden auf.42 abschwächte, verstärkte sie ihre Opposition. Im Oktober 1917 gab dann Ebert das Signal, diesen Kanzler zu stürzen. Und im lnter­ Er trug wesentlich dazu bei, die Fraktion zu überzeugen, daß eine f raktionellen Ausschuß trat er immer mehr als Sprecher der Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien durchaus den Zielen Sozialdemokratie auf. Wie in jeder Institution, in der er tätig war, ope­ der Sozialdemokratie dienlich sein könne. Damit war der Weg frei für rierte er auch in dem überparteilichen Gremium zunächst vorsichtig, den Interfraktionellen Ausschuß der Mehrheitsparteien.43 Obwohl überwand aber innerhalb kurzer Zeit diese anfängliche Zurückhaltung. Ebert in diesem neuen Gremium erst langsam Fuß faßte, erwarb er Hier im Ausschuß arbeitete er zusammen mit den Zentrumspolitikern / Matthias Erzberger und Constantin Fehrenbach sowie den Fortschritt­ I sich schon bald bei den bürgerlichen Partnern breite Anerkennung. ( Dieser Prozeß spielte sich zumeist hinter den Kulissen ab. Die Mitar­ lern Friedrich von Payer und Conrad Haußmann und wich Konflikten beit im Interfraktionellen Ausschuß fügte sich in die sozialdemokra­ mit dem Nationalliberalen Gustav Stresemann nicht aus. Durch sein tische Strategie von geheimer Kooperation und öffentlicher Opposition Auftreten und Handeln holte Ebert Scheidemann im Ansehen schnell ein. Um Eberts Teilhabe zu verdeutlichen, müssen dieser Prozeß und ein. Aber was blieb neben dem gesteigerten Ansehen Eberts als Re­ die Zwangslagen der SPD-Führung geschildert werden. Hier nur ein sultat für die Partei? paar Bemerkungen dazu. Der Interfraktionelle Ausschuß zog die SPD stärker in das krypto-par­ Im August 1917 nahm Ebert mit anderen führenden Parlamentariern lamentarische System hinein und trug zu einem Großteil dazu bei, die an den Beratungen über die Beantwortung der päpstlichen Friedens­ Regierung der Militärs zu kaschieren. Doch es war eine überwiegend note teil. Das Resultat war zwar unergiebig, weil die Regierung sich heimliche Beteiligung der Sozialdemokraten. Auch wenn man in der Öffentlichkeit jetzt von der Reichstagsmehrheit sprach, so waren die 42 Hans Hanssen, Diary of a Oying Empire, Bloomington 1955, S. 207, S. 225 Ergebnisse dieser Zusammenarbeit nicht recht gr~ifbar. Wenngleich und S. 231 . 43 Mit Susanne Miller stimme ich überein, daß dieses wichtige Gremium von der Forschung nicht genügend beachtet worden ist, obwohl eine großartige Quellensammlung vorliegt: Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, bearb. 44 ~unde~archiv Koblenz, ~ 1113: A~ndt von Holtzendorff (Lobbyist der HAPAG von Erich Matthias unter Mitwirkung von Rudolf Morsey, Düsseldorf 1959. in Berlin) an Albert Balhn (Vorsitzender des Aufsichtsrates der HAPAG), 30.8.1917. 22 23

Ebert und Scheidemann vor Fraktion und Parteiausschuß positive Ten­ zunächst von der Welle der Unruhen mitgetragen wurde, den Streik zu denzen dieser Kooperation herausstellten, so war das Ergebnis für die beenden. Sozialdemokratie kaum zufriedenstellend. Erstaunlich ist daher, daß die Fraktion mitmachte, obwohl die Politik im Interfraktionellen Ausschuß so Ebert wurde ab der Mitte des Jahres 1917 immer mehr in das Hin und wenig erfolgreich war. Daß die Sozialdemokratie die Regierung Hert­ Her auf zahlreichen politischen Feldern verstrickt. Er konferierte mit ling, in der Payer als Vizekanzler den Interfraktionellen Ausschuß ver­ Admiral Capelle, dem Staatssekretär des Reichsmarineamtes, über Un­ trat, unterstützte, war eine verfehlte Politik, die zu Lasten Eberts geht. ruhen in der Marine und mit dem Auswärtigen Amt über die geplante Diese Politik führte zudem zu der unhaltbaren sozialdemokratischen Stockholmer Konferenz der Internationale. Hau ßmann korrespondierte Stimmenthaltung beim Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Ebert hatte mit ihm über taktische Fragen und die Möglichkeit, ausländische Kon­ diese Stimmenthaltung in der Fraktion durchgesetzt. 45 takte für Friedensaktivitäten aufzunehmen, und Erzberger koordinierte mit ihm das Vorgehen gegen Hertling. Die Zusammenarbeit der späte• Durch häufige Besprechungen mit Payer war Ebert maßgeblich an der ren Weimarer Koalition zeichnete sich hier in ihrem Anfangsstadium ab. neuen Politik beteiligt. Im April 1918 sprach er wegen des Verbotes Ebert knüpfte nicht nur die Kontakte, die ihm zu Beginn des Krieges des »Vorwärts« beim Vizekanzler vor, der ihm bei dieser Gelegenheit fehlten, sondern gewann auch Anerkennung, gerade weil er die Politik versicherte, daß man die von Ebert geforderten Reformen des preußi• der SPD verantwortlich trug. schen Wahlrechts in Angriff nehmen werde. Gleichzeitig informierte er Payer über die kommenden Aktionen der Sozialdemokratie, die zwar Als Führer der größten Mehrheitspartei geriet er mehr und mehr in den nicht auf einen Streik hinzielen würden. Dennoch: "von der Agitation Mittelpunkt des politischen Lebens. Dabei darf nicht übersehen wer­ im ganzen könne die Partei nicht absehen[ ...] ."46 Im Juni 1918 drängte den, daß er sich keine Illusionen über den Erfolg der Zusammenarbeit Ebert noch mehr zur offensiven Agitation, um die Mitgliedschaft stärker machte. Auch er war sich sehr genau bewußt, daß die Reichstags­ an die Partei zu binden. Diese Doppelstrategie von geheimer mehrheit "düpiert" wurde und daß seitens der Regierung "alles anders I Kooperation und öffentlicher Opposition wurde dem Vizekanzler gemacht [wurde] als abgemacht[... ]" worden war.47 Die Bürgerlichen offenbart, der sie sogar als berechtigt anerkannte. wollten oder konnten sich nicht gegen das Militär durchsetzen. Ebert selbst wußte um die Schwäche gegenüber der Regierung: "Wir haben Die Strategie spiegelt sich auch im großen Munitionsarbeiterstreik vom nicht die Absicht, diese Regierung zu stürzen. Wir wollen ihr Gewissen Januar 1918 wider. Zuvor hatten Ebert und Scheidemann zwar mit schärfen [ ...] ."48 Der Ausschuß der Mehrheitsparteien diente den Streik gedroht, den Streik aber dann, als er ausgebrochen war, nicht Bürgerlichen dazu, die SPD "bei der Stange" zu halten, etwa als die befürwortet, jedoch versucht, ihn dazu zu benutzen, Vertrauen in der Annexionsabsichten durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk Arbeiterschaft zurückzugewinnen. Mittels geheimer Kontakte zum Vize­ offen hervortraten und auch als mit Ludendorffs Verlangen nach einem kanzler, arrangiert durch einen Journalisten, versuchte Ebert, der Waffenstillstand die Niederlage deutlich wurde. Die SPD blieb weiter am unteren Teil des neuen Systems gebunden, das Frieden und

45 Reichstagsfraktion II [wie Anm. 1O], S. 386, und Scheidemann II [wie Anm. 4]. S. 151. . 47 Interfraktioneller Ausschuß II [wie Anm. 43], S. 341 . 46 Bundesarchiv/Abt. Potsdam, Stellvertreter des Reichskanzlers 96, fol. 10: 15. April 1918; vgl. auch: Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918. 48 Ebd. S. 428ff.; Zitat auf S. 431. zweiter Teil, bearb. von Wilhelm Deist, Düsseldorf 1970, S. 1217. 24 25

Parlamentarisierung wünschte, aber wenig erreichte. Gerade weil dorff eine letzte verzweifelte militärische Aktion unternehmen wollte, Ebert der Vorsitzende der SPD war, die man unbedingt für diese Po­ hierzu mehr Begeisterung im lande verlangte, setzte er im Kabinett litik benötigte, und er in ihr eine dominierende Stellung besaß, stand er Hoffnungen auf Ebert: "Packen Sie das Volk. Reißen Sie es hoch. so hoch im Ansehen der bürgerlichen Zeitgenossen. Kann das nicht Herr Ebert?"53 Hertling war schon zuvor bereit gewe­ sen, den sozialdemokratischen Parteivorsitzenden in sein neues Kabi­ Daß der von ihm geführte Parteivorstand die Mitglieder und Gremien nett aufzunehmen. Einige Lobbyisten und Bankiers luden Ebert zu po­ für sich gewinnen konnte, unterstreicht, daß ihm Vertrauen aus der litischen Salons ein. Hier erklärte er Ende Oktober, daß es nicht darum Partei entgegengebracht wurde. Dieses Vertrauen rührte auch von der ginge, die Monarchie zu stürzen, sondern das Reich zu retten: "Die Oppositionspolitik her, die weiter geführt wurde, etwa beim offenen Firma aber kann und muß erhalten bleiben." Die Teilnehmer an dieser Briefwechsel Eberts mit dem Vorsitzenden der Labour-Party, Arthur Runde lobten Ebert und beschrieben ihn als ruhig, klug, vernünftig, Henderson, im „ vorwärts« während des Septembers 1918 über die nüchtern und vor allem patriotisch. 54 Kriegsziele.49 Das Verlangen nach Demokratisierung und Frieden in der Öffentlichkeit sollte durch Mitarbeit im Interfraktionellen Ausschuß Diese Wertungen gründeten sich auf die Zusammenarbeit des letzten und schließlich in der Regierung verstärkt werden. In zwei entschei­ Kriegsjahres, in dem Ebert und Scheidemann - wie auch die Gewerk­ denden Fraktionssitzungen überzeugte Ebert seine Kollegen, in der schaftsführer Carl Legien und Gustav Bauer - immer wichtiger wurden Regierung mitzumachen, auch mit der ironischen Bemerkung: "Wer wegen der Massen, die sie kontrollieren sollten. Ein Teil der alten Elite absolute Sicherungen haben will, daß nur sozialdemokratische Politik kam zu derartig hohen Einschätzungen, weil sie wußte, daß diese betrieben wird, der muß schon verlangen, daß die Regierung und die Leute keine Revolution machen wollten. Gerade der Patriotismus und bürgerlichen Parteien das Erfurter Programm anerkennen."50 Im die Hingabe der Sozialdemokraten imponierte den neuen Partnern der Unterschied zum Jahr 1914 galt es jetzt, nicht mehr nur die Partei, SPD. Gleichzeitig nutzten sie diese für ihre eigenen Ziele aus. / sondern auch das Deutsche Reich zu retten . Natürlich hatte der Patriotismus des Sozialdemokraten Ebert andere Als das Kaiserreich zerfiel und Eberts SPD zur Gegenwehr überging, Wurzeln als der seiner bürgerlichen Partner. Er blickte nach vorn und , indem sie diesen Prozeß durch ununterbrochene Kritik förderte, aller­ sprach sich gegen die Zusatzverträge zum Brest-Litowsker Frie­ dings keine Revolution ansteuerte, vertraute Kurt Riezler seinem densvertrag aus. Maßgebend seien für ihn die deutschen Interessen, berühmt gewordenen Tagebuch an: "[ ... ] und dies Volk, so unerzogen und "zwar nicht nur die augenblicklichen, sondern die zukünftigen".55 und kindisch wollte England die Weltherrschaft streitig machen. Der An den Österreicher Victor Adler schrieb er: "Entscheidend allein ist beste Ebert: konkret, fest, ruhig."51 Stresemann glaubte an die die Sicherstellung unserer Gleichberechtigung auf dem Weltmarkt. Die Möglichkeit, mit Ebert, dessen sachliche Art er schätzte, "verständige Politik machen zu können." Scheidemann dagegen hielt er für einen 52 Interfraktioneller Ausschuß II [wie Anm. 43] , S. 475. großen Demagogen.52 Und als nur ein paar Wochen später Luden- 53 Die Regierung des Prinzen Max von Baden, bearb. von Erich Matthias und Rudolf Morsey, Düsseldorf 1962, S. 230 (Sitzung des Gesamtkabinetts am 49 Vgl. dazu: Agnes Blänsdorf, Friedrich Ebert und di~ Internationale, in: 17.10.1918). . Archiv für Sozialgeschichte IX. Bd.(1969), S. 321-428, hier S. 407ff. 54 Ernst Jäckh, Der QOldene Pflug : Lebensernte eines Weltbürgers, 50 Reichstagsfraktion II [wie Anm. 1O], S. 460. 1954, S. 448; sowie Bundesarchiv Koblenz, R 1/16, fol. 4: Holtzendorff an Ballin, Bericht vom 31.10.1918. 51 Riezler-Tagebücher [wie Anm. 9], S. 478: Eintragung vom 30.9.1918. 55 Ebert, Schriften [wie Anm. 13], Bd. 2, S. 71f. 26 27

muß uns im Interesse unserer Arbeiterklasse [gewährt] werden."56 gesellschaftlichen Mitte - Personen, die immerhin einen 'liberalen Im­ Aber auch solcher Patriotismus blendet, und im Krieg büßte Ebert perialismus' vertraten - war Eberts letzte, prägende Erfahrung vor der einiges an Sehstärke ein, besonders auf dem rechten Auge. Sein Blick Revolution 1918/19. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist seine auf die langfristigen Interessen der Arbeiter und des Landes verstellte Rolle in der Revolution zu sehen. ihm die Sicht dafür, wie eng das Militär weiterhin mit den Bürgerlichen zusammenarbeitete. - V Lassen Sie mich das bislang durch viele Fakten Gesagte in ein Bild fassen, ein politisches Panorama: Spartakus und USPD waren weit Das gesellschaftliche System im Krieg war keine normale politische links liegende anwachsende Berge; SPD, Gewerkschafter, Fortschrittler Landschaft. Es war ein Vulkan ; und Eberts Doppel-Strategie von öf• und Zentrum dominierten in der Mitte, die Nationalliberalen und die fentlicher Opposition und heimlicher Kooperation mußte fehlschlagen. Konservativen standen mehr im rechten Hintergrund. Das Militär ist Die Politik der kleinen Schritte und großen Worte erweckte wi­ auch rechts einzureihen, aber wie alle Gruppierungen ist es auch durch dersprüchliche und zu große Erwartungen. Das galt noch im Oktober mehrere Hügel vertreten. Die Wirtschaft würde sicher in mehreren Ber­ 1918. Als die Parlamentarisierung eingeführt wurde und sich die SPD gen zu zeichnen sein, und der Staat, mit seinen Beamten und Diploma­ an der Regierung beteiligte, erklärte Ebert, daß die Partei auch weiter­ ten, wäre auch rechts von der Mitte anzusiedeln. Berücksichtigt man hin Kritik gegenüber der Regierung üben würde: "Wir Sozialde­ dieses kleine Bild, so muß festgehalten werden, daß eine Vielzahl der mokraten sind uns darüber klar, daß von wirklicher Demokratie und Repräsentanten, die ich auf Hügel und Berge verteilt habe, Vertrauen Volksbefreiung erst dann gesprochen werden kann, wenn die zu Ebert im Krieg entwickelte. Und es waren 1918 vor allem die Ver­ wirtschaftliche Ausbeutung beseitigt und die Klassengegensätze treter der gesellschaftlichen Mitte, auf die Ebert bauen konnte und auf aufgehoben sind." 58 / die er sich dann auch während der Revolution zu stützen versuchte. Die I gesellschaftliche Mitte erkannte in ihm einen Patrioten, einen fähigen zusammenfassend ist zu wiederholen: Als die Unruhe zur Revolution un·d sachlichen Partner. Durch Mitarbeit in den Reichstagsgremien und überging, erwarteten diejenigen, die an den Schalthebeln des Kai­ • im Interfraktionellen Ausschuß gewann er ein nationales Profil. Er war serreichs saßen, keinen radikalen Kurs von Ebert. Diplomaten wie Kurt jetzt ein Mitspieler von nationaler Bedeutung, längst vor der Revo­ Riezler, Ulrich von Brockdorff-Rantzau, , Rudolf Nadolny lution. 57 Diese Zusammenarbeit mit so zahlreichen Vertretern der und Oskar Trautmann hatten häufig mit ihm verhandelt und respek­ tierten ihn. Gleiches galt für Militärs wie Wilhelm Groener und Eduard von Capelle oder den Chef des Kriegsamtes Heinrich Scheüch. Er war 56 Victor Adler, Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky (. .. ]. Gesam­ melt und erläutert von Friedrich Adler, Wien 1954, S. 662. sozialdemokratische Partei bereits von großer Bedeutung, als sie gegründet 57 Nachbemerkung: Grundsätzlich muß berücksichtigt werden, daß die Sozial­ wurde. Als Theoretiker und Parteiführer waren Sozialdemokraten wie Rosa demokratie und mit ihr auch Ebert schon vor dem Ersten Weltkrieg von Luxemburg und Friedrich Ebert sicher seit 191 O von internationaler und nationaler Bedeutung waren, weil sie dazu beitrugen, daß ein großer Teil nationaler Bedeutung, auch wenn sie im Kaiserreich kein "nationales Profil" der Bevölkerung Hoffnung und Lebenszweck durch diese soziale Be­ hatten. Nur wenn man das Nationale auf den Staat und die politische Macht wegung erhielt. Nur wenn man die Geschichte allein vom Blickwinkel des beschränkt sehen will, wird diese Bedeutung ignoriert. Für mich jedoch nationalen Staates aus betrachtet, gelangt man zu dem fragwürdigen bedeutet das Nationale nur einen sprachlichen und rechtlichen Rahmen Schluß wie konservativ und 'national' eingestellte Historiker - zu nennen der vom historischen Zufall und anderen Entwicklungen abhängt. ' wären hier Georg Kotowski und Werner Maser -, daß diese Bewegung beinahe keine Macht besaß, am Rande der Gesellschaft blieb und Ebert erst 1917 wichtig wurde. Hierbei spielt die Interpretation des Nationalen 58 Ebert, Schriften (wie Anm. 13), Bd. 2, S. 76f. eine besondere Rolle. Innerhalb des deutschen Territoriums war die 28

Staatsbeamten wie Joseph Koeth, Arnold Wahnschaffe, Rudolf Kleine Schriften Schwander, Walter Simons, und vielen anderen, die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte den Reichstag und Kommissionen Unterlagen und Auskünfte unter­ breiteten, bekannt. Sogar ein paar Bankiers, industrielle und Intellek­ ~ Johannes Rau tuelle, unter ihnen Max Warburg, Richard Merton, Alfred Weber und Friedrich Ebert. Sein Platz in der deutschen Demokratie­ Ernst Jäckh, hatten Kontakt zu ihm aufgenommen. Am wichtigsten geschichte aber waren die Parteiführer der Liberalen und des Zentrums, mit 2. unveränd. Aufl., Heidelberg 1990 denen er im Interfraktionellen Ausschuß zusammengearbeitet hatte. ISBN 3-928880-00-4 Haußmann, Erzberger, Payer, Fehrenbach gewannen wie er zur sel­ ~ Dieter Grimm ben Zeit an nationalem Profil. Sogar Nationalliberale wie Stresemann Die Bedeutung der Weimarer Verfassung in der deutschen hatten Eberts Talent anerkannt und waren der Ansicht, daß mit ihm Verfassungsgeschichte Kompromisse arrangiert werden könnten. Sie faßten Vertrauen, 2. unveränd. Aufl., Heidelberg 1992 gerade weil er patriotisch war. Ebert, so nahmen sie zu Recht an, ISBN 3-928880-01-2 würde so wie bisher handeln, um Land und Staat zu verteidigen, und ~ C. Wolfgang Müller nicht die Gesellschaftsordnung stürzen. Ebert war ihnen willkommen, Wohlfahrtsstaat und Sozialdemokratie. Zur Geschichte der weil er Parteiführer der größten Partei war und während des Welt­ Arbeiterwohlfahrt in der ersten deutschen Republik krieges das Nationale über das Soziale gestellt hatte. 2. unveränd. Aufl., Heidelberg 1992 ISBN 3-928880-02-0

Seine nationale Bedeutung fußte auch auf der von ihm mitver­ ~ Jochen Goetze antworteten Spaltung der Sozialdemokratie, die danach zwar ge­ Heidelberg zur Zeit Friedrich Eberts (1871 - 1888) I schwächt, aber reformistisch ausgerichtet war und daher bündnisfähig Heidelberg 1990 / mit den Bürgerlichen wurde. Ebert persönlich, und dadurch auch die ISBN 3-928880-03-9 Arbeiterklasse, gewannen Anerkennung durch die Politik von Opposi- ~ Willy Albrecht , tion und Kooperation. 1917/18 gestaltete er wesentlich die Friedens­ Ende der Illegalität. Das Auslaufen des Sozialistengesetzes und Reformpolitik der Mehrheitsparteien und überzeugte im Septem­ und die deutsche Sozialdemokratie im Jahre 1890 ber 1918 seine Partei von der Notwendigkeit der Regierungs­ Heidelberg 1990 beteiligung. Die Rettung des Landes wurde am Ende des verlorenen ISBN 3-928880-04-7 Krieges von der SPD, insbesondere von Friedrich Ebert erwartet. Hoch das Maienfest der Arbeit! Die Anfänge der Maifeiern in Heidelberg und Bremen (1890 - 1914) Mit Beiträgen von Udo Achten, Walter Mühlhausen und Klaus Schönhoven Heidelberg 1990 ISBN 3-928880-05-5

August Bebet. Repräsentant der deutschen Arbeiter­ bewegung Mit Beiträgen von Dieter Langewiesche, Klaus Schönhoven, Peter-Christian Witt und einem Vorwort von Johannes Rau Heidelberg 1991 ISBN 3-928880-06-3 ~ Horst Möller Die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Folgen und Lasten des verlorenen Krieges. Ebert, die Sozial­ demokratie und der nationale Konsens Heidelberg 1991 ISBN 3-928880-07-1 ~ Heinrich August Winkler Wegen der Bedeutung Friedrich Eberts für die deutsche Geschichte Klassenkampf oder Koalitionspolitik? Grundentscheidungen hat der Deutsche Bundestag am 19. Dezember 1986 ein Gesetz zur sozialdemokratischer Politik 1919 - 1925 Errichtung der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg 1992 mit Sitz in Heidelberg beschlossen. Zweck der Stiftung ist es, das ISBN 3-928880-08-X Andenken an das Wirken des ersten deutschen Reichspräsidenten ~ Walter Mühlhausen Friedrich Ebert zu wahren und einen Beitrag zum Verständnis der Friedrich Ebert und seine Partei 1919 - 1925 deutschen Geschichte seiner Zeit zu leisten. Heidelberg 1992 ISBN 3-928880-09-8 Die ehrenamtlichen Gremien dieser bundesunmittelbaren Stiftung GV Peter-Christian Witt öffentlichen Rechts sind: das vom Bundespräsidenten berufene Kura­ Das Zerbrechen des Weimarer Gründungskompromisses torium, der Vorstand und der Beirat, beide vom Kuratorium bestellt. (1919 - 1923 / 24) Die Bundesrepublik Deutschland hat sich zur Finanzierung der Stiftung Heidelberg 1992 ISBN 3-928880-10-1 verpflichtet. Die Stiftung untersteht der Aufsicht des Bundesministers des Innern. ~ Klaus Tenfelde Arbeitersekretäre Karrieren in der deutschen Arbeiterbewegung vor 1914 Friedrich Ebert wurde am 4. Februar 1871 in Heidelberg geboren, und / Heidelberg 1993 zwar in einer kleinen Wohnung im Hause Pfaffengasse 18. Die dort ISBN 3-928880-12-8 seit vielen Jahren von der Stadt Heidelberg unterhaltene kleine Erinne­ . ~ Ernst Schulin /Wolfgang Michalka rungsstätte ist in den letzten Jahren durch Einbeziehung der benach­ Walther Rathenau im Spiegel seines Moskauer Nachlasses barten Wohnungen zu einer Gedenkstätte ausgestaltet worden. In Heidelberg 1993 Anwesenheit des Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäcker ISBN 3-928880-13-6 wurde die Gedenkstätte am 11 . Februar 1989, dem 70. Jahrestag der ~ Eberhard Kolb Wahl Eberts zum Reichspräsidenten, der Öffentlichkeit übergeben. Revolutionsbilder: 1918 I 19 im zeitgenössischen Bewußt­ sein und in der historischen Forschung Eine ständige Ausstellung "Friedrich Ebert - sein Leben, sein Werk, Heidelberg 1993 seine Zeit" dokumentiert das Leben und Werk Friedrich Eberts. Dabei ISBN 3-928880-14-4 wird der jeweilige zeitgeschichtliche Hintergrund deutlich gemacht. Zu den Aufgaben der Stiftung gehört auch die Fortführung der Forschung zu Friedrich Ebert und seiner Zeit. Eine Präsenzbibliothek, deren Schwerpunkt auf der Zeit von 1871 bis 1933 liegt, und eine Sammlung zeitgenössischer Broschüren bieten dem interessierten Fachwissen­ schaftler Möglichkeit zu eigenen Forschungen. Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit führt die Stiftung Tagungen und Vortrags­ veranstaltungen durch, deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt liegt in der politischen Bildungsarbeit. Damit sollen auch einer breiteren Öffentlichkeit Kenntnisse über eine wichtige Phase der deutschen Geschichte vermittelt und Friedrich Ebert wieder stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gehoben werden.

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