Frauen in Geschichte und Gesellschaft Herausgegeben von Annette Kuhn und Valentine Rothe

Band 37 Frauenrechte sind Menschenrechte!

Schriften der Lehrerin, Revolutionärin und Literatin AMALIE STRUVE

Mit einem Geleitwort von Prof. Hans Fenske

Monica Marcello-Müller (Hrgin.)

Centaurus Verlag & Media UG 2002 AKTIV in Baden-Württemberg Die Recherchen und die Editionsarbeiten für die Veröffentlichung wurden gefördert vom Sozialministerium Baden-Württemberg, Förderprogramm Frauenforschung

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Struve, Amalie: Frauenrechte sind Menschenrechtel: die Schriften der Lehrerin, Revolutionärin und Literatin Amalie Struve/ Hrsg.: Monica Marcello-Müller.- Herbolzheim : Centaurus-Verl., 2002 (Frauen in Geschichte und Gesellschaft ; 37) ISBN 978-3-8255-0341-3 ISBN 978-3-86226-403-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-86226-403-2 ISSN 0933-0313

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © GENTAUAUS Verlags-GmbH & Co. KG, Herbolzheim 2001

Umschlagabbildung: Amalie Struve. Das Photo wurde zur Verfügung gestellt vom Foto-Archiv Wagener, Müllheim. Satz und Layout: www.filmmedi@ .de INHALTSVERZEICHNIS

Zum Geleit VII Danksagungen VIII Vorwort IX Biographische Notizen zu Amalie Struve XIII FRANZÖSISCHE REVOLUTION 1 Eine Republikanerin. 3 Theroigne von Mericourt. 13 Charlotte Corday. 17 REVOLUTION 1848/49 29 Träume. 31 Eine badische Jungfrau. 42 Johanna Kinkel [I]. 46 AMERIKANISCHE FRAUENBEWEGUNG 47 Die Frauen-Convention von Worcester. 49 Lucy Stone über Frauenrechte. 50 Die Frauenrechts-Convention in der Mozart - Halle. 52 Die freie und sittliche Erhebung des weiblichen Geschlechts. 53 FRAUENRECHTE UND STIMMRECHT 55 Die Frauen. 57 Der hinkende Teufel zu New-York. 62 Die Stellung der Frauen im Leben. 67 TAPFERE FRAUEN 71 Leben und Tod eines deutschen Kriegers. 73 Die beiden Ordonnanzoffiziere. 78 Zwei chinesische Frauen. 84 Eine Heidin des Unabhängigkeitskrieges. 87 Onorata Rudiand. 89 Johanna Kinkel [II]. 91 ERZIEHUNGSFRAGEN, MÄDCHEN- UND FRAUENBILDUNG 99 Kindergärten. 101 Die Frauen-Hochschule zu . 103 Ein Wort über Frauenbildung. 105 Frauenbildung. 106 Eröffnung der Schule zur sittlichen Erziehung der Jugend. 108 Die Schule zur sittlichen Erziehung der Jugend in der Pythagoras-Halle. 109 ~ildung macht frei! 110 Uber weibliche Erziehung. 115 APPELL AN DIE FRAUEN, SELBST AKTIV ZU WERDEN 119 Die Feinde weiblicher Freiheit. 121 Vereine! 126 Die Frauen und die Revolution. 128 "Weiblichkeit" und "Gemüth" 131 Putzsucht. 133 Amerikanische und europäische Frauen. 134 BEOBACHTUNGEN IN DER NEUEN WELT 137 Weibliche Tracht. 139 Staten-Eiland. 141 Mann und Frau. 143 Farmers' freier Kosttisch. 145 Amerikanische und deutsche Frauen. 146 EINE PROLETARIERIN, Ro:MAN AUS DER REVOLUTIONSZEIT 149 Vorbemerkung zum Roman "Eine Proletarierin" 151 EINE PROLETARIERIN. 153 ANHANG XXXIII

Quellennachweise: Deutscher Zuschauer und Freie Presse Philadelphia XXXV Quellennachweise: Sociale Republik XXXVI Romane und Novellen, Arnalie Struve zugeordnet XXXVII Literarischer Nachlaß von Arnalie Struve XXXVIII Bundesarchiv Koblenz: Nachlass Struve- FN 17/5 XXXIX

Literatutliste und Bildnachweise XLI

VI Zum Geleit

Amalie Struve begegnet in der Literatur, so sie denn überhaupt genannt wird, nur als Ehefrau ihres Mannes. Nach der Heirat mit im Jahre 1845 schloß sie sich voll und ganz dessen politischen Bestrebungen an und nahm aktiv an der Badi• schen Revolution teil. Das nach dem Scheitern der Erhebung im Frühjahr 1849 un• vermeidliche Exil führte das Ehepaar über die Schweiz und Großbritannien in die USA. Jetzt trat auch Amalie Struve publizistisch hervor- ihr wn 19 Jahre älterer Mann konnte schon damals auf ein wnfangreiches Werk verweisen. Ihren 1850 in Harnburg veröffentlichten Rückblick auf die Revolution widmete sie den deutschen Frauen. Fast gleichzeitig erschienen in Bremen "Historische Zeitbilder" aus ihrer Feder in drei Bänden. Für deutschsprachige Zeitschriften schrieb sie in den USA historisch-politi• sche Artikel, verfaßte Romane und Novellen, die freilich überwiegend nicht zwn Druck gelangten, und wirkte zudem als Sekretärin ihres Mannes. Dabei leistete sie weitaus mehr als Hilfsdienste. Drei der fünf bis zu ihrem frühen Tode (1862) vorge• legten Bände der Struveschen Weltgeschichte -das Werk hat insgesamt neun Teile• stammen von ihrer Hand. Erst in der jüngsten Zeit hat diese bemerkenswerte und sehr eigenständige Frau mehr Beachtung erfahren, zwnal im Zusammenhang mit dem Revolutionsgedenken 1998/99. Bis zu einer wnfassenden Biographie, die sie zweifel• los verdient hat, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Bisher war es nicht leicht, Schriften Amalie Struves in die Hand zu bekommen. So ist es das große Verdienst von Monica Marcello-Müller, dass sie sich dazu entschlos• sen hat, einen Teil der in Amerika entstandenen Texte in Buchform wieder zugänglich zu machen. Dank der großzügigen Förderung durch das Sozialministeriwn Baden• Württemberg konnte dieses schwierige Vorhaben innerhalb angemessener Zeit ver• wirklicht werden. Die zusammen siebenunddreißig Artikel Amalie Struves aus den Zeitschriften "Deutscher Zuschauer" und "Sociale Republik" geben ein klares Bild ihres eigenständigen Denkens und namentlich ihres intensiven Einsatzes für die Frauenemanzipation, einschließlich des Wahlrechts. Der in Fortsetzungen erschienene Roman "Eine Proletarierin" wird hohen literarischen Ansprüchen gewiß nicht gerecht, ist aber auch heute noch lesenswert, weil er in die Revolutionszeit zurückführt und wegen der darin enthaltenen autobiographische Züge. Er zeigt zugleich, dass Amalie Struve über die Tagesschriftstellerei hinausgehende Ambitionen hatte. Es ist geplant, das weitere Werk Amalie Struves auf CD-ROM zu erschließen und so ihre schriftstellerische Lebensleistung der Öffentlichkeit erstmals insgesamt zu• gänglich zu machen. Sehr zu hoffen ist, daß die dafür nötigen Mittel aufgebracht wer• den können.

Speyer, im Oktober 2001 Hans Fenske

VII Danksagungen

Der erste Dank gilt dem Sozialministeriums Baden-Württemberg, das im Rahmen seines Förderprogramms Frauenforschung die Herausgabe dieses Buches großzügig unterstützt und ermöglicht hat. Dank gebührt auch dem Deutschen Akademikerionen-Bund Freiburg mit Frau Prof. Dr. Petra Herkert, die dieses Projekt anregte. Mein Dank gilt ebenfalls Frau PD Dr. Andrea Günter und Herrn Dr. Siegfried Rombach, die ein kritisches Auge auf die Endredaktion der Biographie warfen. Ermutigung und Begleitung verdanke ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Michalka von der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen, , Herrn Wolfgang Hempel in Gaggenau, Prof. Dr. Wolfgang Hug und Prof. Dr. Hans Fenske in Freiburg, der mir besonders in der Endphase viele strittigen Punkte klären half. Wichtige Beratung und Hinweise in historischen Fragen gaben Dr. Ansgar Reiß, Regensburg, Peter Hank, MA., vom Stadtarchiv Rastatt, Michael Caroli vom Stadt• archiv und Dr. Ulrich Ecker vom Stadtarchiv Freiburg. Für Recherchen in Amerika möchte ich Prof. Dr. Werner Steger, Prof. Dr. Dagmar Herzog, und Laurie Wolfe von der German Society Philadelphia danken, sowie Britta Behmer, MA., in München. Für die freundlicherweise erteilte Abdruckerlaubnis der Texte dieses Buches be• danke ich mich herzlich bei: Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund • University of Minnesota, Minneapolis, USA • Bundesarchiv Koblenz • Stadtarchiv der Stadt Mainz • German Society ofPennsylvania, Philadelphia • Fotoarchiv Wagener, Mülheim Für die Erfassung der Texte und vielfältige Hilfe bedanke ich mich besonders bei Heide Peper-Ludwig, bei Anja Zeh, Elke Herzberg, und Burkhart v. Wilucki. Dank für die mühsame Aufgabe des Korrekturlesens sage ich Walheide Bickley, Heinz Müller und Gerrit Poensgen. Einen großen Anteil am Zustandekommen des Buches verdanke ich meinem Bru• der Dieter Marcello, der mir in der schwierigen Materie des Computerwesens und Layouts hilfreich zur Seite stand und den Umbruch besorgte.

VIII Vorwort

"Menschenrechte sind Frauenrechte" schrieb Amalie Struve vor fast 150 Jahren nach der Niederlage der Badischen Revolution im amerikanischen Exil. Es ist erstaunlich, wie weitsichtig sie damit war. Wie viele ihrer damaligen Forde• rungen bei uns noch heute nicht eingelöst sind, erleben Frauen täglich, wie auch über• all in der Welt an den aktuellen Debatten um frauenspezifische Asylgründe; am er• schreckendsten wohl an der Situation der Frauen in Afghanistan, die heute praktisch sämtlicher Rechte beraubt worden sind. Galt Amalie Struves Engagement in Deutschland der Freiheit, dem Ende von Fürstenwillkür und der Errichtung einer deutschen Republik, so richtete sich ihr Inter• esse in Amerika in erster Linie auf die Rechte der Frau und das Stimmrecht, das sie in ihren Schriften mutig und manchmal humorvoll einforderte. Amalie Struve war eine der wenigen Frauen, die sich aktiv an der Badischen Revo• lution beteiligt hatten und diese Erfahrung auch als Schriftstelletin weiter verarbeitete. Bei der Beschäftigung mit den Ereignissen von 1848/49 stieß ich sehr bald auf diese außergewöhnliche Frau. Alles, was ich über sie fand, machte mich nur noch neugieri• ger. Wie und wo konnte ein junges Mädchen zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine wei• terführende Schule besuchen und sich zur Lehrerin ausbilden lassen? Woher nahm sie ihr Selbstbewusstsein und ihren Mut, als junge Frau während der Revolution oder später im Gefängnis so unerschrocken und energisch aufzutreten? Auf welche Weise hatte sie Kontakte zur deutschen und zur amerikanischen Frauenbewegung? 1998 wurden im Zeichen des Gedenkens an die Badische Revolution endlich einige wenige Texte veröffentlicht, die sich näher mit Amalie Struve befassten. Irmtraud Götz von Olenhusen und Thea Bauriedl haben sehr einfühlsame Aufsätze' vorgelegt, die Amalie Struve aus dem literarhistorischen Dunkel herausholen, in dem sie und ihr Werk sich bis dato befanden. Leider konnten diese Aufsätze im Wesentlichen nur berücksichtigen, was von ihr hier in Deutschland an Veröffentlichungen zugänglich war. Das sind insbesondere ihre Erinnemngen aus den badischen Freiheitskämpfen von 1850, auf die sich die Autorinnen beziehen und Texte aus dem Bundesarchiv Koblenz (BAK). Das ist aber nur ein Bruchteil des literarischen Werkes von Amalie Struve, denn der größte Teilliegt als bisher unveröffentlichte Handschriften im Bundesarchiv (u.a. mehrere Romane) oder als Mikrofilin in deutschen und amerikanischen Bibliotheken (Zeitungstexte und meh• rere Romane).

I Irmttaud Götz von Olenhusen, Gustav Sttuve - Amalie Sttuve: Wohlstand, Bildung und Freiheit jiir alle, in: Sabine Freitag: Die 48er, München 1998, S. 63 ff. und: Der Tag der Freiheit bleibt nicht aus, Amalie Stmves Etinnemngen, in: Amalie und Gustav Struve: Heftiges Feuer, Freiburg 1998, S. 9 ff. Im selben Band auch Thea Bauriedl: Die Revolution aus Pjlichtgejiihl, S. 379ff.

IX Das hier vorgelegte Buch soll beginnen, diese Lücke mit der Herausgabe von Tex• ten aus Amerika zu füllen. Dazu gehören die verfügbaren Zeitungsartikel Amalie Stru• ves und der Roman Eine Proletarierin, entnommen den in New York erschienen Zeit• schriften Deutscher Zuschauer (DZ) 1851/52, Sociale Republik (SR) 1858/59 und Freie Presse 1852 aus Philadelphia. Gustav Struve, Amalies Ehemann, ließ in Amerika seine Zeitschrift Deutscher Zu• schauer aus seiner Mannheimet Zeit (1846-49) wieder aufleben. Durch erstmalige Bei• träge von Amalie Struve zu Frauenfragen erhielt die Zeitschrift neue Schwerpunkte, richtete sie sich doch von nun an auch an Frauen. Im Vergleich zu Texten von enga• gierten Frauen in Deutschland, wo das Stimmrecht der Frauen noch nicht gefordert worden war, durchzogen Amalie Struves Schriften in Amerika deswegen ganz neue Töne. Amalie Struve unterschrieb ihre Artikel im Deutschen Zuschauer bis auf drei Ausnah• men namentlich - ein Ausdruck ihrer journalistischen Eigenständigkeit. Anders in der Socialen Republik, ein Organ des Arbeiterbundes New York, bei dem Gustav Struve von April 1858 bis Februar 1859 als Redakteur tätig war. Hier gab es zunächst keine Unterschriften, dann tauchen offensichtlich beliebige Initialen auf. Dies lässt sich da• mit erklären, dass diese Zeitschrift es nicht für opportun hielt, eine Frau als Ver• fassetin von Zeitungsartikeln zu benennen2 - deswegen fielen diese Artikel im Ver• gleich zu den kämpferischen Tönen im Deutschen Zuschauer wohl auch etwas moderater aus. Durch die fehlende Unterschrift ergeben sich notwendigerweise Unsicherheiten, wem die Artikel tatsächlich zuzuschreiben sind. Die im Folgenden verwendeten Zuordnungskriterien stützen sich auf Hinweise von Gustav Struve im Nachlass und in vielen Fällen auf die Berücksichtigung von Sprachstil und Thematik der Zeitungs• artikel Amalie Struves. Die in den verbleibenden Zweifelsfällen endgültige Fesdegung wird Sprachforscherinnen und Literaturwissenschafderlnnen ein weites Betätigungs• feld eröffnen.3 Wie nicht anders zu erwarten, weisen Romane und Zeitungsartikel unterschiedliche Sprachstile und Stimmungen auf, wobei allerdings unter den Zeitungsartikeln auch romanhafte Texte sind, so z.B. alle drei Artikel über die Frauen in der französischen Revolution. In Amalie Struves Werk treffen wir auf die romantische, oft melancholi• sche Schriftstelletin der Romane - viele ihrer Protagonistinnen dort enden tragisch - und auf die engagierte, kämpferische, eher optimistische Autotin der Zeitungsartikel. Die Zeitungsartikel und der Roman Eine Proletarierin wurden für diese Ausgabe an• hand von Kopien der Mikrofilme erfasst, die 1997 vom Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund nach den Originalen der Zeitungsausgaben in der Bibliothek der

2 Abenteuerlich ist, wie bis heute in der Literatur damit umgegangen wird: Am Erstaunlichsten wohl bei Michael Kunze: Der Freiheit eine Gasse, München 1990. Darin werden alle Texte von Amalie Struve ihrem Ehemann Gustav Struve zugeschrieben, auch die Enimemngen, für die immerhin Amalie Struve als Autotin im Titel genannt wird, und die "Den deutschen Frauen gewidmet' sind. Auch im Bundesarchiv liegen Romane in den Akten von Gustav, obwohl dieser selbst sie Amalie Struve zugeordnet hat. 3 Eine Auflistung der Texte im Einzelnen mit Angaben und Quellen zur Zuordnung befindet sich im Anhang.

X University of Minnesota in Minneapolis, USA, erstellt worden waren. Der Jahrgang 1852 war in dieser Sammlung bedauerlicherweise nicht enthalten gewesen; Dr. Ansgar Reiß konnte mir diese fehlenden Texte dankenswerterweise direkt aus den USA besorgen. Im Druck wurde die oft wechselnde Orthographie beibehalten; offensichtliche Druck- und Satzfehler aber wurden stillschweigend korrigiert.

Kirchzarten, im September 2001 Monica Marcello-Müller

XI Biographische Notizen zu Amalie Struve

Ein Leben zwischen Selbständigkeit, Revolution, Pflicht und Liebe Ein Vergleich der in den letzten Jahren erschienenen Texte über Amalie und Gustav Struve4 und deren eigene Aussagen lässt ein widersprüchliches Bild von Amalie Struve entstehen: Da ist einerseits die unerschrockene junge Frau mit Berufs• ausbildung und -Erfahrung, die sich als recht selbständige und aktive Teilnehmerio an der Badischen Revolution beteiligt, um prompt im Gefängnis zu landen. Hier wagt die erst 24-Jährige, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen sie verhörenden Assessor einzureichen - und hat Erfolg! Andererseits gibt es die jungverheiratete Ehefrau, die ohnmächtig mit ansehen muss, wie ihr Hausrat mehrmals weggepfändet wird, während ihr Mann wegen seiner nicht genehmen Zeitungsartikel im Gefängnis sitzt. Nach dem Scheitern des Hecker• zugs will sie im September '48 unbedingt auch beim so genannten Struveputsch mit• ziehen, obwohl sie dabei "kein günstiges Vorgefühl" hat. Nach gemeinsamer Flucht in die USA ist sie neben ihren eigenen Arbeiten weiterhin die Sekretärin und Bearbei• terio der Texte ihres Mannes, so dass dieser später in seiner Biographie über sie schreibt:

"Sie ließ ihre eigenen Entwütft unvollendet, um die meinigen auifiihren !?.!'helfen'~ - "Wenn sie ihre ganze geistige Krqft auf ihre eigenen Werke ve1Wendet, hätte sie vermutlich bedeutenderes leisten können. Doch sie arbeiteteamliebsten mit mir !(!1Sammen'~ 5 Es ist nur zu verständlich, dass diese doppelte Rolle in Amalie Struves Wesen zeit• strömungsbedingte Wertungen, zumal von Frauen, geradezu heraufbeschwört. So sieht lrmtraud Götz von Olenhusen in Amalie Struve eine "eigenständige, ihre Eman• zipation neben ihrer Identifikation mit der Sache der Revolution zum Ausdruck bringende und von dem Gedanken an die Gleichberechtigung der Geschlechter zutiefst überzeugte Persönlichkeit." 6 Zugleich kritisiert sie, Amalie habe ihren Mann "angehimmelt" und ihm gegenüber eine "unkritische, zumindest vorbehaldose Bewun• derung" an den Tag gelegt.7 Angesichts einander derart widersprechender Wesenszüge, von denen sich Amalie Struves Kommentatorinnen so irritieren lassen, sollen die im Folgenden dargelegten biographischen Notizen, wie sie sich aus den schon vorhandenen Schriften Amalie und Gustav Struves ergeben, helfen, den Hintergrund etwas zu erhellen, vor dem die Schriften Amalie Struves zu verstehen sind.

4 Vorwort, S. IX, Arun. 1. 5 Gustav Struve: Biographische Notizen t!' Amalie Stmve, Bundesarchiv Koblenz, FN 17/23. 6 G. v. Olenhusen, in: Heftiges Feuer, S. 9. 7 G. v. Olenhusen, in: Freitag, S. 66. Herkunft, Ausbildung, Berufswahl, Ehe Am 2. Oktober 1824 in Mannheim geboren, verlebte Amalie Struve ihre Kindheit und Jugend überschattet von ihrer unehelichen Geburt, von Armut und den schwieri• gen Verhältnissen8 im Elternhaus. Stiefvater Friedrich Dusar, französischer Abstam• mung- vermutlich aus einer Hugenottenfamilie9 - versuchte die Familie mit Franzö• sischunterricht zu ernähren, was nicht immer gelang. Immerhin konnte Amalie ein privates Mädcheninstitut in Mannheim besuchen, das von einem französischen Emi• grantennamens von Graimberg gegründet worden war. Dessen Frau, eine Protestan• tin, erteilte hier unter anderem Religionsunterricht und war Lehrerin der Prinzessin Stephanie (Adoptivtochter Napoleons 1.), der ersten Großherzogin von Baden. In dieser Schule konnten damals junge Mädchen nicht nur eine für die damalige Zeit anspruchsvolle Ausbildung bekommen; die letzten Klassen berechtigten sie auch, als Lehrerin beruflich tätig zu werden.

Amalie Struve hatte sehr unter den Vorurteilen der damaligen Zeit zu leiden10 - soziales Außenseiterturn und Geldmangel blieben beständige Themen ihres Lebens. Diese leidvolle Grunderfahrung bewog sie, einen der wenigen Berufe zu ergreifen, der Frauen offen stand, um ökonomisch unabhängig und nicht angewiesen zu sein auf die Ehe mit einem vielleicht ungeliebten Mann. So wurde sie Lehrerin. Der Kontakt zu ihrem Stiefvater war wohl so gut und intensiv, dass sie zusätzlich zum Schulunterricht von ihm Französisch lernte. Mühelos konnte sie später französi• sche Quellen lesen und sie in ihren Schriften verarbeiten. Von Dusar und dem von Graimberg'schen Institut dürfte auch das Interesse am Schicksal der Hugenotten und an anderen Ereignissen in der französischen Geschichte herrühren. Es war ihr möglich, vor ihrer Ehe als Hauslehrerin für verschiedene Familien tätig zu sein und so ihre Familie finanziell zu unterstützen - recht ungewöhnlich für die damalige Zeit. Auf der Suche nach einerneuen Anstellung für seine Tochter kam Friedrich Dusar im Herbst 1845 auch zu Gustav Struve, einem Advokaten und Publizisten in Mann• heim und bat ihn um Vermittlung. Die gelang auch, aber auf andere Weise als zu• nächst gedacht! Zwar "examinierte" Gustav Struve Amalie erst einmal im Englischen und Französischen", aber nicht um ihr eine Lehrerinnenstelle zu vermitteln. Er selbst schreibt über ihre erste Begegnung: "Ich sah Amalie und mein Herzflog ihr entgegen", und es ging ihm schon gleich "ein neuer Himmel auf'. Bald danach, bereits im November 1845, heirateten Amalie und Gustav Struve.11 Schon im ersten Jahr der Ehe musste

8 Kar! Ackennann: Gustav v. Stmve, Diss. Mannheim 1914, S. 39. 9 Der Name Dusar taucht in den Listen der Hugenottenflüchtlinge aus dem französischen Dauphine auf. 10 "Das Geflüster ihrer Gespielinnen machte sie darauf aufmerksam, dass mit ihrer Geburt irgend ein Geheimnis verbunden sein müsse. Das peinigte sie sehr, bis sie dasselbe entdeckte." Gustav Struve, FN 17/23. 11 Trauzeugen waren: Kar! Mathy und Carl-Heinrich Schnaufer. Kar! Mathys' Abkehr von gemeinsam getragenen politischen Überzeugungen leitete später die Niederlage des "Heckerzuges" ein, noch bevor er begonnen hatte.

XIV der Jungvermählte fünf Monate wegen unliebsamer Äußerungen in einer seiner Zei• tungen im Gefängnis verbringen. Diese Erfahrung, das Erleben der gesellschaftlichen Ächtungaufgrund ihrer Geburt und ihrer Familie, und der große Altersunterschied• Amalie war neunzehn Jahr jünger als ihr Gatte - mögen erklären, warum Amalie Struve sich so voll und ganz (und zunächst auch recht unkritisch) der Sache ihres Mannes anschloss. Später ließ Amalie Struve sehr deutlich Kritik erkennen. In ihren Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen12 finden sich dafür zahlreiche Belege; nur auf wenige kann hier eingegangen werden: Als sie im April 1848, als Teilnehmerio am so genannten Heckerzug, nachts um 11 Uhr in Riedböhringen, einem kleinen Ort südlich von Donaueschingen, bei dem "Freiheitsheer" eintraf, notierte sie ,,Das Romantische und kindlich Originelle entwickelte sich mehr und mehr" und erwähnte als Beleg dazu die Tarn• namen, die sich Hecker und Struve gegeben hatten G.Nord" und ,,Süd''· Ihre Kritik an dem nach der Niederlage in die Schweiz geflüchteten Hecker ver• packte Amalie Struve sehr geschickt, indem sie von der Volksversammlung am 22. April 1848 in Freiburg berichtete: "Den schlimmsten Eitifluß auf dieselbe und auf die Stimmung der Demokraten überhaupt übte ein Brief, welchen Hecker aus Basel an seinen Bruder in Freiburg gerichtet hatte. Derselbe enthielt namentlich die Aujangsworte: Unglücklich und geächtet sitze ich hier in BaseL" u Dieser Bruder, Prof. Karl Hecker aus Freiburg, hatte ihn noch am 16. April in Bonndorf aufgesucht und "bei allem in der Welt beschworen, das Unterneh• men auft:!tgeben"- was Hecker damals mit ziemlich großspurigen Worten zurückgewie• sen hatte. 14 Auch wenn sie über den Struveputsch schreibt, dass sie "kein gutes Vorgefühl für die zweite Schilderhebung" hatte, kann das sehr wohl als Kritik verstanden werden, auch an ihrem Mann - die sie erst im Nachhinein äußert, und nicht während der Kämpfe. Thea Bauriedl bemerkt zu Recht, "der Platz der Frauen in diesem Kampf war ganz nahe bei ihren Männem, nicht in der Auseinanderseitfing mit ihnen." 15 Weiter in ihrer Kritik konnte eine Frau in jener Zeit nicht gehen, wollte sie nicht ihre Ehe, die Zusammen• arbeit mit dem Gefährten und somit die gemeinsame Sache in Frage stellen. Amalie Struve sieht es außerdem als ihre Pflicht als Ehefrau16 an, ihren Mann bei seinen Unternehmungen zu unterstützen und argumentiert listig auch vor dem Unter• suchungsgericht, dass sie "ihrer Pflicht als Gattin Genüge leisten wollte, indem sie das Schicksal ihres Mannes teilte." 17 Im Leben der Amalie Struve lassen sich verschiedene Gründe für die erstaunliche Bereitschaft ftnden, mit der diese junge Frau sich so ohne weiteres auf das Abenteuer

12 Amalie Struve: En"nnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen, Harnburg 1850, Neuauflage in: Hiftiges Feuer, Freibw:g 1998. 13 Amalie Struve, a. a. 0., S. 46 f. 14 Friedeich Hecker: Die Erhebung des Volkes in Baden, Karlsruhe 1997, S. 46 (Reprint). 15 Thea Bauriedl: Die Revolution als Pjlichtgifiih4 in: S. Freitag, S. 386. 16 Bauriedl, a. a. 0., S. 380. 17 Zitiert bei Sabrina Müller: ,Jch fohle eine mächtige Willenskraft ... " in: Allmende 1998, S. 115.

XV Badische Revolution einließ, bei der immerhin "gewalttätige"18 Handlungen nicht aus• zuschließen waren. - Schließlich existiert noch heute eine gewisse Reserviertheit gegenüber der Badischen Revolution19 und ihren Protagonistlnnen, denen wir die Grundlinien unseres Grundgesetzes verdanken, und die dafür viele Opfer brachten.

Religiöse Orientierung als Dissenter-Erfahrung

Dem gemeinsamen und weithin bekannten Engagement des Paares Gustav und Amalie Struve für die Ziele der Achtundvierziger war die Mitwirkung an der Grün• dung der deutsch-katholischen Gemeinde in Mannheim vorausgegangen, die 1846 nach dem Austritt der Struves aus der evangelischen Kirche im Beitritt zur deutsch• katholischen Gemeinde kulminierte. Die deutsch-katholische Bewegung entstand, nachdem sich liberale Strömungen in den christlichen Kirchen sowohl gegen den orthodoxen Katholizismus (Ultramon• tanismus) als auch gegen den orthodoxen Protestantismus wehrten. Liberale in beiden Kirchen plädierten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Mitbestimmung der Laien in der Kirche, für innerkirchliche Reformen und konfessionelle Toleranz. Da es noch keine Standesämter gab, mussten Geburten, Heiraten und Todesfälle bei den Kirchen angemeldet werden. Ebenso waren die Kirchen zuständig für die Kontrolle des Schulwesens, was zunehmend säkular denkende Menschen als unerträglich empfanden. So ertönte der Ruf nach einer Trennung von Staat und Kirche immer häufiger. Die Unzufriedenheit vor allem katholischer Christen erreichte im Jahr 1844 ihren Höhepunkt, als der Trierer Bischof Amoldi zu einer Wallfahrt zum "Trierer Rock", dem angeblichen (ungenähten) Rock Christi aufrief. Die Unzufriedenen wandten sich alsbald der deutsch-katholischen Bewegung von Johannes Ronge zu, weil sie grund• sätzlich viele katholische Dogmen nicht mehr mit ihrer rationalen Weltsicht vereinba• ren konnten. Versammlungen von Zehntausenden auch protestantischen Teilnehmern forderten eine deutsche Nationalkirche ohne Einfluss aus Rom und ein aufgeklärtes Christentum. Diese Zielsetzung hatte schnell auch unter Protestanten Anklang gefun• den. In Baden war zudem die Verbindung von Thron und Altar besonders augenfällig: Der Großherzog als badischer Souverän war nicht nur Landesherr, sondern auch evangelischer Landesbischof- und damit eine Stütze der monarchischen Regierungs• form. Darüber hinaus war für die mehrheitlich katholische Bevölkerung im Lande ein evangelischer Landesherr ein Grund mehr, auf Distanz zum Regierenden, zum Groß• herzog zu gehen.

18 Erstaunlicherweise findet eine Diskussion zur Gewaltfrage während der Badischen Revolution in der Literatur heute nirgends statt. 19 Sehr eindriicklich geschildert von Hans-Joachim Fliedner in: Eine Stadt erinnert sich, Sonderdruck, Offenburg 1998, in der er beschreibt, welche Hindernisse ihm bei der Planung des "Offenburger Freiheitsfestes 1997" in den Weg gelegt worden sind. Ähnlich ist wohl auch die Weigerung der Deutschen Bundespost zu verstehen, eine Sonderbriefmarke zur 48er Revolution herauszugeben.

XVI Für den Übertritt zur deutsch-katholischen Gemeinde nennt Gustav Struve aus• führlich seine Gründe: "Unserm Anschluss an die deutsch-katholische Gemeinde hieselbst liegt durchaus kein Wechsel in unseren Glaubensansichten zu Grunde. Im Gegenteil halten wir beide, ich und meine Ehefrau, fest an den Grundsätzen der evangelischen Gemeinschaft." 20 Dagmar Herzog, die sich als einzige intensiv mit dieser Seite Gustav Struves be• schäftigt hat, hält Struve für "einen religiösen Mann" 21 - ein für viele überraschendes Urteil. Ihr ist zuzustimmen: Aus theologischer Sicht hat Gustav Struve 150 Jahre zu früh gelebt; er rieb sich an den starren dogmatischen Positionen, die er mit seinem aufgeklärten Denken nicht vereinbaren konnte.22 Denntrotz seiner oft heftigen Aus• fälle gegen "die Pfaffen" 23 blieb sein Interesse an religiösen und theologischen Fragen immer bestehen. Seine Weltgeschichte ist, wenn man sie genau liest, zugleich Kirchenge• schichte, in der er minutiös und mit großer Sachkenntnis alle religiösen Bewegungen und Streitigkeiten nachzeichnet. Theologische Themen fanden Eingang in seine Zeit• schriften in Amerika. In der Socialen Republik erschienen Artikel, die Vorlesungen glei• chen, vor allem in Kirchengeschichte (Geschichte des Papsttums, Geschichte der er• sten von den Waldensern, Hussiten bis Luther), aber auch Ausführungen über Religion, Wissenschaft und das Christentum, sowie über biblische Geschichte. Im Februar 1847, nur ein halbes Jahr vor der Offenburger Versammlung, die die Ziele der entschiedenen Demokraten formulierte, und an der auch Amalie zusammen mit Gustav teilnahm, gründete Gustav Struve in Mannheim mit Carl Scholl, dem deutsch-katholischen Prediger (ehemaliger evangelischer Vikar) von Mannheim, den "Montagsclub", der Juden aufnahm, einen versöhnlichen Dialog zwischen Christen und Juden anstrebte und sich sehr für deren Integration engagierte. Die Enttäuschung über die geringen Erfolge auf diesem Gebiet war groß und trug vermutlich auch zu Struves politischer Radikalisierung bei. In diesen Club wurden auch Frauen aufgenommen, wie überhaupt die deutsch• katholische Bewegung gerade für Frauen im Vormärz eine bedeutende Rolle spielte. Ihre Frauenvereine waren die ersten in jener Zeit und schufen Organisationsformen und Verbindungsnetze, auf die sie während der Revolution von 1848/49 zurück• greifen konnten.24 Frauen waren aktiv in den sozialen25 und bildungspolitischen Be-

20 "Allein wir können nicht umhin, offen zu bekunden, dass uns die evangelische Kirche unserer Tage in einem Zustande gänzlichen Verfalls zu sein scheint. Die protestantische Freiheit ist aus derselben gewichen." Schreiben an das Stadtpfarramt Heidelberg, in: DZ Mannheim, 9.1.1847, S. 13. 21 Dagmar Herzog: Intimary and Exclusion, Princeton 1996, S. 112 ff. 22 "Die evangelischen Gemeinden werden von ihren Geistlichen wie die Heerden von ihren Hirten behandelt, während in der Wirklichkeit sich in den Gemeinden viele Mitglieder finden, welche die Geistlichen an Wissen, Bildung und christlicher Gesinnung übertreffen und wenige oder gar keine, welche sich zu ihrten verhalten wie Lämmer zu den Hirten. Mit einem Worte die Mitglieder der evangelischen Gemeinden haben geistige Fortschritte gemacht, während das Kirchenregiment ste• hen blieb, oder gar noch Rückschritte machte." Schreiben an das Stadtpfarramt Heidelberg, a. a. 0. 23 Vor allem da, wo er witterte, dass Pfarrer sich zum Büttel staatlicher und bürgerlicher Interessen machten. 24 Sylvia Paletschek: Fmuen und Dissens, Frauen im Deutschkatholizismus und in den Freien Gemein• den 1841-1852, Göttingen 1990, S. 76.

XVII mühungen, deren bedeutendste Einrichtung die Frauenhochschule in Harnburg wer• den sollte.26 Hier hatte Amalie Struve schon als junge Frau erstmals die Möglichkeit, ihre An• sichten öffentlich und gleichberechtigt auszutauschen. Auch inhaltlich haben die An• sichten der Mannheimet deutsch-katholischen Gemeinde Amalie Struve nachhaltig geprägt und ihre Vorstellung von der Rolle der Frauen in Familie und Gesellschaft bis in die Formulierungen ihre Texte in den USA beeinflusst.27 Carl Scholl, der Mitbegründer des Clubs, sprach damals bereits von der Gleichwer• tigkeit von Mann und Frau und widersprach allen theologisch verbrämten Versuchen, die Vorrangstellung des Mannes biblisch zu untermauern. Er wies Frauen eine große Aufgabe in Ehe und Kindererziehung zu - Ausführungen, die in Amalie Struves Schriften zu Erziehungsfragen und Frauenbildung in DZ und SR wieder aufscheinen.

Ehe und Partnerschaft

Für beide, für Amalie und Gustav Struve, scheint ihre Ehe28 das einzige uneinge• schränkte und große Glück in ihrem Leben gewesen zu sein. Die ablehnende Haltung der Mannheimer Gesellschaft schmiedete Amalie und Gustav Struve nur noch enger zusammen, so dass Amalie ihren Mann trotz des Protestes seiner Freunde - wann immer möglich - begleitete und an seinen politischen und revolutionären Unterneh• mungen teilnahm. Gustav Struve hat die Veränderungen, die Amalie für sein Leben bedeutete mit be• geisterten Worten beschrieben. Nach ihrem Tod, Ende 1862, schildert er ihren Ein• fluss auf ihn mit den Worten: ,,Sie war die Sonne meines Lebens" ... "Tf7ie arm an Thaten, wie klein an Krcift und Erhebung waren die 40 ersten Jahre meines Lebens! Wie reich, wie bedeutungs• voll vergleichungsweise die kurze Zeit der folgenden 16 Jahre! Es fehlten ... der Schwung den ich erst schöpfte aus dem reinen Born des Herzens Amaliens. " 29 Über ihre eigene Einstellung gegenüber der tradierten Rolle einer Ehefrau berichtet Amalie Struve zu Beginn ihrer Erinnemngen schon recht ungewöhnlich für die damalige Zeit, wenn sie dem auch in den Köpfen der Frauen überkommenen Rollenklischee der "Haushälterin" ihr eigens Ideal einer Gattin gegenüberstellt: "Ich hatte niemals gedacht, daß die Pflicht der Frau blos darin bestehe, dem Gatten für seine häuslichen Bedüifnisse S or;ge i!' tragen und die Kinder gut i!' efijehen.

25 Indem sie sich z.B. der Revolutionsflüchtlinge und deren Familien annahmen. 26 Vgl. Frauenhochschule, DZ. 27 Vgl. Die Feinde weiblicher Freiheit, DZ.

28 Diese Ehe hatte zweifellos symbiotische Züge: "So lange ich meine Amalie besaß, empfand ich kaum das Bedürfniß der Freundschaft. Denn sie füllte mein ganzes Wesen aus. Ich gab den Brief• wechsel fast mit allen Freunden und Bekannten auf und zog mich in die Stille des häuslichen Krei• ses zurück." Gustav Struve, FN 17/23. 29 Gustav Struve, FN 17/23.

XVIII Amalie und Gustav Struve waren unzertrennlich in allen ihren Unternehmungen, wofür Gustav Struve manche Schelte und Spott von seinen Kampfgefährten einstecken musste. Obige zeitgenösische Darstellung- die Eskortierung des Paares auf dem Weg nach Freiburg- bringt die enge Beziehung der beiden Struves zum Ausdruck.

XIX Einen Unterschied !(!Vischen der Haushälterin und der Gattin vmnochte ich nur da~ finden, wo das JVeib, als wahre Ehehälfte ihren vollen Anteil nahm an allem, was die Seele des Mannes bewegte: an seinen Gedanken, seinen Plänen, seinen tiefsten Empfindungen und seinen Thaten'~ Und später fordert sie "Selbständigkeit der Menschen, des Weibes wie des Mannes. Selbständigkeit set~ aber S elbstthätigkeit voraus. " 30 Dass Gustav Struve die Begleitung seiner Frau beim Heckerzug akzeptierte, zeigte, dass er sich von dem herrschenden Männlichkeitskult - der z.B. in den Schriften Heckers deutlich spürbar ist - distanziert hat; er musste sich dafür von seinen Ge• fährten viel Spott gefallen lassen. Bereits in Mannheim hatte sich Gustav Struve aktiv für die Frauenemanzipation eingesetzt. Allerdings erwähnt er seine Frau nur zweimal in seiner Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden31 (andere Teilnehmer des Hecker• zuges erwähnen sie in ihren Schriften entweder gar nicht oder nur als die Frau Struves), sie ihn in ihrem Bericht über den Heckerzug sechs mal. Manfred Bosch schildert, welche Irritationen die Frauen auslösten, als sie ihre an• gestammten Rollen und Räume als Mütter und Hausfrauen verließen und auf der Bühne der Revolution erschienen: ,,Auch fiir die Revolutionäre selbst waren die Frauen atif irritierende JVeise nicht-existent. Zwar schät~e man sie als atmosphärisches und schmückendes Element in den demokratischen u. revolutio• nären Versammlungen, als Sympathisantinnen und Anregerinnen solidarischer Aktivitäten und Hi!fssammlungen, als Helftrinnen bei der Venvundetenpflege - als Handelnde indes waren sie nicht vorgesehen. Ja, sie kamen nicht einmal in den Atifruftn und Flugblättern vor: deren V eifasser wand• ten sich an Dmtsche Männerund Deutsche BTiider, von Deutschen Frauen und Deutschen Schwe• stern war die Rede nicht. Entsprechend fanden sich in den demokratischen Forderungen auch keine Fraueninteressen wieder, war Gleichberechtigung kein Thema. Nicht nur Männer schlechthin, son• dern auch die 48er Revolutionäre waren noch Gifangene eines hergebrachten Rnllenverständnisses'~ 32 was Amalie Struve so kommentierte: ,Jlünvahr, so lange selbst im Sturm der Revolution so viele Rücksichten atif hergebrachte Vorurtheile genommen werden, wird das Joch der Tjrannei nicht gebrochen werden. " 33

Die Revolutionärin

Amalie Struve hingegen wollte nicht nur eine tatenlose Begleiterin ihres Mannes sein. Im September 1847 ist für sie bereits die Teilnahme mit ihrem Mann an der Of• fenburger Versammlung selbstverständlich; ebenso reist sie mit ihm im April 1848 nach Konstanz, um am Heckerzug teilzunehmen. Dabei zieht sie nicht, wie Emma Herwegh, zu Fuß oder wie Mathilde Franziska Anneke zu Pferde mit den Freischär• lern über den Schwarzwald, sondern sie fährt mit dem Versorgungs-, dem so genann• ten Bagegewagen oder mit der (Post)Kutsche.

30 Amalie Struve, a. a. 0., S. 27. 31 In: Heftiges Feuer, Freibw:g 1998. 32 Manfred Bosch: Das Mädchen ist noch rabiater als ich. Die Revolution war nicht nur männlich, Manuskript, 1998, s. 2. 33 Amalie Struve, a. a. 0., S. 61.

XX Eine Episode mag zeigen, wie bekannt die Protagonistinnen der Badischen Revo• lution auch in abgelegenen Gegenden des Schwarzwalds waren, sogar ihre Gewohn• heiten kannte man hier: Amalie Struve war mit dem Wagen dem Freiheitsheer voraus nach Stühlingen gefahren. Als sie dort in einem Wirtshaus einkehrte, stritten sich die Gäste gerade heftig darum, wie die Freischärler empfangen werden sollten. Amalie Struve wird zunächst für Emma Herwegh gehalten und mit Fragen bestürmt. Erst als sie ihr Essen bestellt und Fleisch ablehnt, wird sie erkannt. Sie wird immer aktiver im Laufe der Zeit. Sie rettet beim Heckerzug in letzter Minute in Donaueschingen den Munitionswagen vor den heranstürmenden Württem• bergem, sie agitiert unter den Soldaten in Freiburg und Rastatt; in Freiburg feuert sie die Freischärler zum Durchhalten an und versucht, die Regierungssoldaten zum Überlaufen zu animieren. Beim Septemberputsch 1848 hört Gustav Struve auf den Rat des Dichters Carl Heinrich Schnauffer34 und will seine Frau diesmal nicht dabei haben. Sie aber setzt sich durch mit ihrem Wunsch, auch nach Lörrach zu fahren, geht aber auf Struves Bedingung ein, dass ihr jüngerer Halbbruder Pedro Dusar sie be• gleiten soll. In Lörrach war es ihr jedoch unmöglich, untätig bei dem Arztehepaar Brodhag herumzusitzen. Amalie Struve hatte sich bis dahin im Vergleich zu ihrem Mann weniger mit Fragen der Frauenemanzipation beschäftigt, aber nun erkennt sie:

,,Es war mir peinlich, daß ich, statt, wie ich es seit Jahren gewohnt war, mit meinem Gatten ~ arbeiten, von demselben getrennt und unthätig bleiben mußte. Niemals empfand ich so tief die unwür• dige Stellung, in welcher sich bis ~m heutigen Tage das weibliche Geschlecht gegenüber dem männli• chen bifindet. Wamm sollte die Frau, welche die Fähigkeit da~ besitzj, nicht arbeiten düifen im Augenblicke der Entscheidung?" 35 Und am 22. September früh um 5 Uhr schreibt sie ihrem Mann, warum sie nicht mehr nur herumsitzen mag und wieder mit den Freischärlern zieht, die über Müllheim nach Staufen unterwegs sind:

,Jch fühle eine mächtige Willenskraft und einen mächtigen Drang, der ~m Handeln mich treibt, in mir. Bisher war ich fast immer mit Dir und Du nanntest mich Freund und Kameraden. Wamm ent!:(jehst Du dem Freunde und Kameraden sein bisheriges Wirken?" 36 Obwohl sie "kein günstiges Vorgefühl für diese !(!Veite Schilderhebung" hatte, begleitet sie wieder ihren Mann trotz dessen Vorbehalten im September 1848 von Lörrach aus. Am 25. September 1848 werden die Struves nach dem Scheitern des Struveputschs in Staufen nach einer abenteuerlichen Flucht zusammen mit Pedro Dusar, Karl Blind und anderen Gefährten in Wehr verhaftet. Danach wird Amalie Struve allein im Freiburger "Turm" (Gefängnis) in eine kleine Zelle eingesperrt, die ohne Licht und äußerst primitiv und schmutzig gewesen sein muss (,,mein Bett bestand aus einem Strohsack und einer Decke, die von Unge!:(jeftr wimmelte"). Hier im Gefängnis erlebt sie eine erstaunliche Solidarität: Ein Mithäftling tritt ihr sein

34 "Deine Frau lass vom Felde zurück, es ist gewiß besser", zitiert bei Sabrina Müller, S. 112. 35 Amalie Struve, a. a. 0. S. 61. 36 Aus einem Brief Amalie Struves an ihren Mann, zitiert bei Sabrina Müller, a. a. 0., S. 113.

XXI Bett ab, Freunde schicken ihr besseres Essen und die Tochter37 des Gefängniswärters bemüht sich, ihr ihre Lage weniger fühlbar zu machen. Dieser Tochter widmet Amalie Struve später in Amerika einen Roman. Dennoch blieb der Gefängnisaufenthalt für sie nicht ohne Folgen. Schon im Frei• burger Turm ist sie sehr krank, so dass der Arzt sie sechs Wochen lang täglich besu• chen muss. In Rastart ist sie so geschwächt und leidet an "einem Gesichtsschmerz", dass sie das Haus nicht verlassen kann und im Bett bleiben muss. Sogar später in Amerika überfiel sie diese Neuralgie immer wieder anfallartig. Auch Gustav Struves Haftbedingungen sind hart, doch er beklagt sich nicht. Am 5. Oktober 1848 erhält Amalie Struve erstmals einen Brief von ihrem Mann und er• kennt an den Schriftzügen, "daß ein mit Ketten belasteter AroJ"sie geschrieben hatte. Um so erstaunlicher, dass es Amalie möglich ist, während ihres Gefängnisaufent• halts in Freiburg eine 14-seitige Skizze über Manon Roland und die Französische Revolution38 zu verfassen, die sie in ihren Erinnerungen allerdings überhaupt nicht er• wähnt. Woher hatte sie die Informationen, woher das Wissen (ohne ein Studium und ohne jeglichen Zugang zu einer Bibliothek), woher hatte sie ihre Informationen über Manon Roland? Ganz offensichtlich identifiziert sich Amalie Struve in diesem Text mit Manon Roland; so wenn sie schreibt: ,J)ie Gattin nahm als w a h r e E h e h ä Ij t e ihren An t h e i I an A II e m, was die Seele ihres Mannes bewegte': 39 Auch sie ist "Secre• tärin ihres Mannes" (der mehrmals Minister war), der auch alles mit ihr berät. Manon Roland unterhielt in Paris nach der französischen Revolution einen Salon, in dem sich die Girondisten40 trafen. Weil sie ihren Mann schützen und sein Versteck nicht preis• geben will, wird sie verhaftet. In ihrer Zelle schreibt sie: "Wenn mein Verbrechen ist, die Grundsätze meines Gatten getheilt, die Krcift des Muthes und die Liebe der Freiheit stets im Herzen getragen 'I!' haben, so bekenne ich mich schuldig': 41 Doch all ihre Opferbereitschaft für ihren Mann und die gemeinsame Sache nützen ihr nichts, sie muss aufs Schafott. Rechnete Amalie Struve auch mit einer Verurteilung oder gar dem Tod? Sie betonte, dass Manon Roland noch vor Vollendung ihres 39. Lebensjah• res starb. Seltsames Zusammentreffen: Amalie Struve starb noch ein Jahr vor Beginn ihres 39. Lebensjahres! Gustav Struve schrieb im Gefängnis die ersten beiden Bände seiner Weltgeschichte. 42 Über ein halbes Jahr muss Amalie, getrennt von ihrem Mann (der zusammen mit sei• nen Mitstreitern zuerst nach Rastatt, später nach Bruchsal ins Gefängnis gebracht worden war) und ohne zunächst genau zu wissen, was man ihr vorwarf, im Freiburger "Turm" ausharren, bis sie, wie auch ihr Bruder, am 16. April1849 ohne einen Prozess plötzlich aus der Haft entlassen wird. Die Behörden fürchteten wohl die Blamage ei-

37 Emestine Landolt, die später in den 1848/49 ebenfalls im Turm einsitzenden Wilhelm Liebknecht heiratete. 38 Eine Republikanen·n, DZ. 39 Eine Republikanerin, S. 16. 40 Gemäßigte Partei des Bürgertums. 41 Eine Republikaneniz, S. 19.

42 Gustav Struve: Weltgeschichte in 9 Büchern, New York 1853-60, Coburg 18668•

XXII nes Freispruchs. Gustav Struve wurde vom Freiburger Hofgericht allerdings zu 5 Jah• ren und 4 Monaten Gefängnis verurteilt, sein Verteidiger war Lorenz Brentano, in dieser Zeit Vorsitzender des Landesausschusses der Volksvereine.43 Nach ihrer Freilassung aus dem Freiburger Gefängnis begab sich Amalie Struve nach Rastatt, wo ihr Mann seine Strafe abbüsste, und auch dort ,,agitierte sie unter den Soldaten der Rastalter Garnison': 44 Die badische Kleinstadt nahm regen Anteil am Ge• schick dieser Frau, der man nach einem einmaligen Besuch bei ihrem Mann als Schika• ne keine weiteren Besuche erlauben wollte. Soldaten und Bürger brachten ihr ein Ständchen, um ihr ihre Solidarität zu bekunden; 200 Menschen wohnten der Gesangs• darbietung bei, sogar der Bürgermeister. Der politische Umschwung in der Bevölke• rung soll durch die Anwesenheit des Ehepaares Struve stark beeinflusst worden sein.45 Es ist verblüffend, welches Rückgrat und Selbstbewusstsein diese junge Frau ent• wickelt hatte: Als ihr im Freiburger Gefängnis angedeutet wurde, sie möge doch ein Gnadengesuch einreichen, lehnte sie empört ab. In Bruchsal, wo sie ihren Mann im Gefängnis besuchen wollte, drohte sie: Wenn ihr der Zutritt weiterhin verweigert würde, so würde sie mit fünfzig Soldaten wiederkommen und konnte prompt zu ihm gehen. Soviel Courage und Unerschrockenheit, die sich von autoritärem Gehabe nicht beeindrucken ließ, ist erstaunlich für eine junge Frau in jener Zeit! Das heißt, Amalie Struve dachte damals schon ganz und gar demokratisch und war überzeugt von den Rechten, die ihr zustanden. Bereits in der Nacht 13./14. Mai 1849 wurde Gustav Struve, zusammen mit den anderen politischen Gefangenen aus dem Gefängnis in Bruchsal befreit. An der Gefangenen-Befreiung waren auch vier oder fünf Frauen aus Bruchsal beteiligt,46 was allerdings meist verschwiegen wird. Was nach der Befreiung Gustav Struves dann folgte, sind Jahre des Herumirrens und der Suche nach einerneuen Aufgabe. Die konnte Gustav Struve nicht mehr so recht finden, zumalseine früheren Weggefährten auf Abstand zu ihm gegangen waren, wegen fehlender Absprache bei seiner abenteuerlichen Einzelaktion in Lörrach im September 1848. Als auch die letzte Erhebung vom Frühsommer 1849 (Reichsverfas• sungskampagne) scheiterte, waren die Struves am 1. Juli wieder in Freiburg, wohl schon ahnend, dass der Abschied aus Deutschland bevorstünde, denn Amalie besuch• te die Gräber47 der Opfer der ersten Volkserhebung, die sie mit Kränzen geschmückt

43 Als solcher wurde Brentano 1849, nach der Flucht des Großherzogs Leopold von Baden, Vorsit• zender der provisorischen Regierung und Gegner der Strömung der Radikalen unter den Freiheits• kämpfern in Baden, so auch von Gustav Struve. 44 PeterBlastenbrei in: Revolution im Südwesten, 19982,S. 402. 45 Peter Rank: Gustav Struve, 2. Buch: Der konsequente Aktivist, Freiburg 1998, S. 80, 82. 46 Heinrich Raab: Revolutionäre in Baden 1848/49, Stuttgart 1998, CD-ROM; ebenso Diana Finkeie / Klaus Gaßner: Der Aufstand der badischen Demokraten, Ubstadt-Weiher 1998, S. 105. 47 Es muss damals noch Gräber von 1848 gefallenen Republikanern und einen Gedenkstein für sie ge• geben haben. Er war von Freiburger Frauen gestiftet worden mit der Inschrift "Hier ruhen die am 24. 4. 1848 bei Freiburg im Kampf für den Gedanken eines volksfreien Vaterlandes gefallenen Männerund Jünglinge." Gerlinde Hummel Haasis, Frauen ~ßt eure Ketten, München 1982, S. 140. Die Behörden ließen die Inschrift entfernen und den Gedenkstein später zerstören. Heute ist nur

XXIII fand. ,,Mit tiefer Wehmut weilte mein Blick auf diesen Hügeln'~ Sie empfindet aber nicht nur Wehmut, sondern erlebt den herrlichen Sommertag voller Hoffnung, "daß eine Krtift besteht, welche alle ausgestreuten Saamenkörner belebt und bifruchtet." Die Gräber der 1848 gefallenen Freischärler in Freiburg tauchen in Amalie Struves Schriften immer wieder auf. Sie und der Gedenkstein auf dem Wiehre-Friedhof sind für sie die zu Stein gewordene Erinnerung an die badischen Freiheitskämpfe, sie sind das sichtbare Zentrum für die "kollektive Erinnemngs- und Trauerarbeit gegen das Vet;gessen, gegen die Resignation und für eine ~kunftsgewisse.... Reot;ganisation'~ wie Gudrun Loster• Schneider48 über die Erinnemngen aus den badischen Freiheitskämpfen Amalie Struves schreibt.

Flucht und Exil

Am 3. Juli 1849 begann die Flucht49 der Struves,50 zusammen mit Pedro Dusar, Karl Blind und seiner Frau, sowie Wilhelm Liebknecht über Breisach zunächst in die Schweiz nach Basel und Genf, von dort schon bald nach . Wie gefährlich diese Flucht war, zeigt die Tatsache, dass am 3. Juli gegen Abend Friedrich Neff in Breisach an der Grenze verhaftet wird, der ebenfalls über den Rhein hatte fliehen wollen. Er wird wenig später standrechtlich erschossen. Amalie und Gustav Struve begaben sich auf die Flucht und wanderten von Land zu Land ins Exil, aber sie rechneten eigentlich immer damit, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Aus Bruchsal verabschiedete sich Amalie Struve im Mai 1849 von den Rastatter Bürgern über das dortige Wochenblatt und endet ihren Dank und Ab• schiedsgruß mit dem Wunsch ,,Auf Wiedersehen in der teutschen Republik!" 51 Und auf die Rückseite eines Briefes Gustav Struves aus London im April 1851 an den Hanauer Freund A. Schärtner schreibt Amalie: "lf7enn die rothen Fahnen wieder flattern im deutschen Vaterlande und der große Kampf von neuem beginnt,- dann werden auch wir, lieber Freund, uns wieder begrüßen auf unserer Muttererde. Möge es uns vet;gö"nnt sein, das Mor;genroth der Völkeifrei• heit ~ erblicken, ehe wir von dieser Erde scheiden müssen!" 52

noch das Mausoleum fill Dortu in der Wiehre erhalten und die Gedenkplakette fill Neff und Kro• mer, die alle drei im Spätsommer 1849 standrechtlich erschossen worden waren. 48 Gudrun Laster-Schneider. Solange selbst im Sturm der Revolution so viele Rücksichten genommen werden .... , in: Revolution 1848/49, St. Ingbert 1999, S. 253. 49 Die Flucht selbst beschreibt außer Gustav Struve in seinen Denkwürdigkeiten ausführlich und span• nend zu lesen: Wilhelm Liebknecht Anno 1849. Aus der Schweizer Fliichtlingszeit, in: Illustrirter Neue• Welt-Kalender, Harnburg 1899, S. 30-38. Er ist auch einer der wenigen, der sich positiv über die Struves äußert. 50 "Ich musste fliehen, der Tod war mir gewiss", Gustav Struve: Diesseits und Jenseits des Oceans, Coburg 1863, s. 1. 51 Zitiert bei Peter Hank: AufWiedersehen in der Ieuischen Republik, in: DAMALJ Spezfal1848/49, Fiirdie Freiheit streiten, 1/1998, S. 34. 52 Thomas Hagen und Hans-Joachim Hirsch: Vonvärts ist der Ruf der Zeit, Die Revolution 1848/49 in der Region Mannheim, Mannheim 1998, S. 121.

XXIV In Genf hatte Gustav Struve seine Geschichte der drei Volkserhebungen geschrieben, die noch im selben Jahr 1849 in Bern erschienen, und Amalie ihre drei Bände der Histori• schen Zeitbilder. Es geht darin um die Religionskämpfe während der englischen Revolu• tion, um die Hugenottenverfolgungen in Frankreich und um den richtigen Glauben im Dreißigjährigen Krieg. Durch alle drei Bücher schimmert der Nachklang der Badi• schen Revolution hindurch. Es sind dies alles Werke über historische und theologi• sche Fragen und Themenstellungen. Nicht umsonst hat sich Amalie Struve des Themas Religionskriege angenommen, denn besonders in Frankreich waren die Hugenottenverfolgungen kein passiv erlitte• nes Schicksal, sondern die Auswirkungen einer an Jean Calvin und Thomas Müntzer erinnernden Überzeugung, die außer für die Freiheit des Glaubens auch für politische Freiheit kämpfte und so automatisch in Gegensatz zu absolutistischen Herrschern wie Ludwig XIV. gerät. In den Cevennen hatten die Protestanten zu Beginn des 18. Jahr• hunderts kleine "Guerilla-Truppen" gebildet (sog. Camisarden), angeführt von 20-jährigen Handwerksgesellen. Mit ihrer besseren Kenntnis von Wegen und Stegen konnten sie über viele Jahre mit den königlichen Truppen "Katz und Maus" spielen• Revolution für den lieben Gott, den protestantischen Glauben und ihre politische Überzeugung. In allen drei historischen Romanen, die die Reformation zum Thema haben, He/oise Desjleurs, Wesiminster und Der Fall von Magdeburg, zeigte sich Amalie Struve nicht als glühende Protestantin; ihr Kontakt mit dem Deutsch-Katholizismus hatte vermutlich eine gewisse Distanz zur protestantischen Kirche bewirkt. In der Literatur werden die Historischen Romane selten erwähnt. Ihr historischer Hintergrund stammte von Gustav Struve, wie er selbst erwähnte;53 Amalie Struves ausgeprägtes Interesse an religions• historischen Fragen und Zusammenhängen wird aber deutlich erkennbar. In London verfasste Amalie Struve ihre Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämp• fen, die sie ,,Den deutschen Frauen" widmete. Das Buch, das 1850 in Harnburg bei Hoff• mann und Campe erschien, wurde allerdings sofort beschlagnahmt und verboten und ,,somit die bescheidene Rolle der Frauen 1848/4 9 aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. " 54 Diese Erinnemngen sind das einzige, was heute von Amalie Struves Schriften im Buch• handel erhältlich ist. 55 Fehlende Verdienstmöglichkeiten, Geldnot und mangelnde Kontakte zu Gesin• nungsgenossen ließen die Struves aus London nach Amerika weiterziehen, wo sie im April 1851 in Stapleton aufStaten Island, südlich Manhattan, endlich eine vorläuftge neue Heimat fanden. Um den Lebensunterhalt zu verdienen, entwickelte Gustav Struve wieder seine publizistischen Aktivitäten, mit wechselndem Erfolg. Auch Amalie Struve wurde nun publizistisch tätig. Bereits 1850 plante sie einen deutschsprachigen Frauenalmanach. Leider konnte dafür kein Nachweis ermittelt wer• den, höchstwahrscheinlich ist er nie erschienen. Nach Angaben von Gustav Struve

53 Gustav Struve: Denkwürdigkeiten, Bundesarchiv FN 17/13. 54 G. v. Olenhusen, in: Freitag, S. 80. 55 In: Amalie und Gustav Struve: Hf!iiiges Feuer, Freiburg 1998.

XXV schrieb Amalie 1852 die Bücher (oder Bände, s. u.) 3-5 in Struves Weltgeschichte und danach mehrere Romane von recht unterschiedlicher Qualität. Mit ihrem Mann zu• sammen schrieb sie das Trauerspiel Abälard und Hiloise, das am 29. Januar 1855 auch tatsächlich in New York zur Aufführung kam. Sie gab wieder Sprachunterricht und plante die Gründung einer deutschsprachigen Schule. Nebenher ist Amalie Struve immer wieder die Sekretärin ihres Mannes, bespricht mit ihm seine Schriften und redigiert sie. Amalie Struve bezeugt die gemeinsame Arbeit bereits in ihren Erinnerungen für die Zeit in Deutschland: "Da ich an den Arbeiten S truve s den lebendigsten Anteil nahm, ihm jederzeit meine Hand lieh, und mit voller Seele alle Pläne und Bestrebungen seines Geistes mit ihm besprach, so kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, daß die Kämpfe meines Mannes auch die meinen waren. " 56 (Eine fast ideale Schil• derung partnerschaftlieber Zusammenarbeit!) In den Texten über sie liest man wenig von diesen Aktivitäten. Gustav Struve schreibt später ausführlich über die Zusammen• arbeit mit Amalie in Amerika und dass es die seligsten Stunden seines Lebens waren. Die enge literarische Zusammenarbeit von Amalie und Gustav Struve57 bedingt große Schwierigkeiten bei der Zuordnung einzelner Schriften, besonders bei den Romanen. Da Amalie als Sekretärin für ihren Mann fungierte, ist auch die Handschrift als Kriterium der Autorinnenschaft wenig hilfreich. Anders bei der Weltgeschichte, bei der Gustav Struve ausdrücklich auf Amalie verweist: "Das erste und !:(]Veite Buch war von meiner Hand geschrieben, weil ich damals von meiner Amalie getrennt war. Das dritte, vierte und ftinfte Buch wurde im Laufe des Jahres 1852 in Nei!Jorkftrtig. Alle diese Bände schrieb meine liebe Frau." 58 Auch diese Notiz ist kaum geeignet, die möglichen Verwirrungen in der Zuord• nung aufzuhellen: Zunächst lässt sie die Frage offen, ob Struves Mitteilung "von meiner Hand'; bzw. "von Amalies Hand geschrieben" auf tatsächliche Autorinnenschaft oder le• diglich auf die jeweilige Niederschrift bezogen ist. Für beide Lesarten gibt es Gründe. Weitere Verwirrung aber stiften die Termini "Bücher" und "Bände". Die gesamte Weltgeschichte umfasst sechs Bände, wie sie Struve in der Socialen Republik ankündigte. Deren Gesamtinhalt wiederum ist in neun "Bücher" aufgeteilt; ein Band enthält also mehrere Bücher. Noch problematischer aber wird die Zuordnung - auch die, die Gustav Struves selbst vornimmt - wenn man den Umfang, die Themen und die wissenschaftliche Detaillierung in Betracht zieht, in der die Weltgeschichte verfasst ist. In der von ihm verfassten Aufstellung Meine Au.fgab/9 benennt Gustav Struve Ama• lie als die Verfassetin von drei ohne Unterschrift oder Namensnennung überlieferten Romanen; bei einem vierten Roman, Schicksale einer deutschen Auswandereifamilie, legt die Einordnung im Nachlass des Bundesarchivs unter Historische Zeitbilder von Amalie Struve ihre Autorinnenschaft nahe. Andererseits reklamiert er in seinen Denkwürdigkei• ten die Autorschaft für verschiedene Romane, darunter die genannten, für sich selbst,

56 Amalie Struve, a. a. 0., S. 27. 57 Ein weites Betätigungsfeld für die Gender-Forschung! 58 Gustav Struve: Diesseits und Jenseits des Oceans, Coburg 1863, S. 5. 59 Gustav Struve: Meine Atifgabe, BAK, FN 17/5.

XXVI fügt aber die beschwichtigend klingende Bemerkung hinzu "Zwischen meiner Amalie und mir konnte von einer S chriftsteller-ConcuTTenz nicht die Rede sein. " 60 Ihr Engagement für die "Sache des Volkes" nahmen die Stmves so ernst, dass sie auf viele mögliche Privilegien verzichteten: Wie Gustav Stmve zuvor in Deutschland nicht nur seinen Adelstitel ablegte, sondern sich auch eine lukrative Tätigkeit als An• walt des Adels entgehen ließ, so gab Amalie in Amerika ihre Pläne für eine eigene Schule auf. Diese Schule wäre finanziell nur tragbar gewesen, schrieb Gustav Stmve, wenn Amalie unter den Begüterten dafür geworben hätte, die Schulgeld hätten bezah• len können; das aber wollte sie nicht. Verschiedene biographische Arbeiten berichten von ständigem Geldmangel der Stmves in Amerika, es sind Opfer, die sie für ihre Ideale gebracht haben. 1851/52 und 1858/59 veröffentlichte Amalie Stmve ihre Artikel und weitere Romane (Die Töchter des Gefangenenwärters, Die Zitherschlägerin, Eine Proletarierin) im Deutschen Zuschauer, der Zeitschrift ihres Mannes und in der Socialen Republik/' bei der Gustav Stmve als Redakteur tätig war. Ihre Artikel veränderten das Gesicht des Deutschen Zuschauers beträchtlich, weil sie eine neue Thematik einbrachte, die mit ,die Stellung der Frau in der Gesellschaft' umschrieben werden kann. Das fand seinen Niederschlag im Rückblick des ersten Halbjahres des Deutschen Zuschauers, in dem Gustav Stmve resümierte: "Unter den Artikeln, welche die Neugestaltung der Gesellschaft beleuchten, waren dio/enigen, welche die Stellung der Frau im Leben betrafen, besonders zahlreich. Denn keine Klasse der Menschen ist bedeutungsvoller und hat mehr Gmnd !{!Ir Beschwerde als die Frauen. " 62 Sehr aufschlussreich ist, dass Amalie Stmve zwar in mehreren Artikeln aufzeigt, dass Frauen viele Rechte vorenthalten werden. Aber sie bleibt nicht dabei stehen, die Frauen als Opfer zu beklagen. In mehreren Artikeln zeigt sie auf, wo und wie Frauen selbst ihre Lage verändern können und geht damit über die passive Haltung hinaus, die die Schuld einseitig den Männern anlastet und versäumt, selbst aktiv zu werden. Elisabeth Dusar, die Mutter Amalie Stmves, war im Februar 1850 gestorben. In ei• nem Brief an Helmine von Chezy vom 10. 4. 1851 bittet Amalie Stmve ihre Freundin um eine Anleihe, damit der 74-jährige Vater Amalie Stmves nach Amerika nachkom• men kann. Dem Brief ist zu entnehmen, dass ihr viel an ihrem Vater und daran lag, den greisen Vater vor seinem Tode noch einmal zu sehen. Das scheint gelungen zu sein, denn noch im selben Jahr kam Friedrich Dusar nach Amerika, wo er dann bis zu seinem Tode bei den Stmves lebte. Amalies Bruder, Pedro Dusar, war in London ge• blieben und dort als Schriftsetzer tätig. Im Mai 1859 brachte Amalie Stmve eine Tochter zur Welt, die aber bereits nach sechs Wochen starb (wohl an dem auch heute noch so gefürchteten plötzlichen Kindstod). Im November 1860 wurde die zweite Tochter Damajanti geboren.63

60 Zitiert bei Ansgar Reiß: Radikalismus und Exil Gustav Strove und die Demokratie in Amen"ka, Diss. Giessen, 1998, S. 437,Anm. 50. 61 Mehr zu diesen Zeitschriften bei Ansgar Reiß: Radikalismus und Exil, G. Struve .. in Amerika, 1998. 62 DZ Nr. 26, 31.12.1851, S. 205.

XXVII Bei Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861 hatte Gustav Struve sich in das von Deutschen aufgestellte New Yorker Freiwilligen-Regiment unter Ludwig Blenker einschreiben lassen -die finanzielle Situation der Familie mag sich dadurch stabilisiert haben. 1862 aber starb Amalie Struve. Die beiden vorangegangenen Schwangerschaften hatten sie so sehr geschwächt, dass sie nach der Geburt ihrer drit• ten Tochter am 13. Februar in Staten Island im Kindbett verschied; sie war 37 Jahre alt geworden. Gustav Struve gab dieser Tochter den Namen ihrer Mutter- Amalie. Bevor der zu diesem Zeitpunkt 56-jährige Gustav Struve wieder ins Feld einrückte, gab er beide Töchter zu deutschen Pflegeeltern. Wie tief Gustav Struve vom Tod Amalies getroffen war, zeigen die Texte, die er über sie schrieb, einer Vorrede und den biographischen Notizen, die er ihr und ihrem gemeinsamen Leben gewidmet hat. Dort heißt es: "Sie hat einen größern Theil an allen Errungenschtiften meines Lebens, als irgend ein anderer Mensch. Sie allein hat mich ausgesöhnt mit einem Schicksal, das oft schwer auf mir mhte und einer Mitwelt, die mich nicht selten schwer verlet~e. Alles Unglück, das ich erlebte, wog das Glück nicht auf, eine solche Seele 'I!' besitzen, aller Haß, von dem ich heimgesucht wurde, nicht die Liebe, welche sie mir widmete. " 64 Bei seinen Zeitgenossen galt Gustav Struve als Sonderling - er war Vegetarier, hatte kaum berufliche Erfolge und konnte seine politischen Überzeugungen nur schlecht vermitteln. Die Ehe aber mit Amalie hatte ihm zu neuem Schwung und Selbstbewusstsein verholfen - was sich nicht zuletzt an der Zahl seiner sprunghaft angewachsenen Publikationen ausgedrückt hatte. Im Juni 1863, nach der Amnestie von 1862, kehrte Gustav Struve nach Deutsch• land zurück. Erst als er zum zweiten Mal heiratete (1867, von einem deutsch• katholischen Prediger getraut), holte er die Töchter zu sich nach Stuttgart, von wo die Familie 1868 nach Wien übersiedelte. Dort starb Gustav Struve bereits 1870 (wohl an einer Blutvergiftung). Die beiden Töchter wuchsen danach bei Verwandten von Gustav Struve auf. Damajanti v. Struve zog 1901 aus Karlsruhe nach Leipzig, wo sie als Sprachlehrerin tätig war und in dieser Zeit einige Schriften ihres Vaters herausgab. Sie starb dort 1937.65 Über Amalies späteres Schicksalließ sich nichts flnden.

Amalie Struve und die Frauenbewegung

Sicherlich hatte sie angesichts der schwierigen sozialen Lage ihrer Mutter, die zu• nächst unverheiratet war und ein uneheliches Kind aufzog, erfahren müssen, wie schwer es ist, ohne eine berufliche Ausbildung als Frau existieren zu können. So ist auch ihre für die damalige Zeit seltene Ausbildung und Tätigkeit als Lehrerin ein fol• gerichtiger Schritt hin zu ökonomischer Unabhängigkeit.

63 Ein indischer Name, den Gustav Struve bereits in seiner Erzählung Mondaras Wanderungen von 1845 verwendet hatte. 64 Gustav Struve: Vorrede, BAK FN 17 /5a. 65 Laut Schreiben des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig vom 2. 5. 2001.

XXVIII Erste Begegnungen mit Frauenfragen wird sie ab 1846 im Kreis der deutsch• katholischen Gemeinde in Mannheim erlebt haben, aus der der "Montagsclub" her• vorging, der sich für Juden- und Frauenemanzipation einsetzte. In ihren Erinnerungen wird deutlich, dass sie zwar neue Rollenkonzepte G,Gefährten• ehe"66) hatte, aber es sind keine radikalen, eher gemäßigte Anschauungen, wenngleich diese Gedanken zu ihrer Zeit noch sehr neu und ungewöhnlich waren. Davon zeugt eine Karikatur, die Amalie Struve als Marketenderin zeigt, die die Re• gierungssoldaten mit Branntwein zum Überlaufen verleiten möchte. Wilhelm Lieb• knecht trat den vielerlei Verunglimpfungen Amalie Struves mit einer (späten) Ehren• erklärung entgegen: ,,Sie ist viel verhöhnt, verleumdet, verlästert worden; das &aktionspack hat sie !{!1 einer Messaline gestempelt und auch meinen Namen mit dem ihrigen in Verbindung gebracht. Nie ist feiger und niederträchtiger gelogen worden ... [Ich] benutze die Gelegenheit, um arif Mannes• ehre !{!1 erklären, daß ... Alles, was ihr nachgesagt wurde, theils boshafte Eifindung, theils gedan• kenloser Klatsch ist. Frau Struve war heiter und lebenslustig, das war ihr gutes &cht; sie war aber auch muthig, wie wenigeMännerund aufopferungsvoll, wie wenige Frauen, und eine !reue Gattin. " 61 Immer wieder wird die Frage gestellt, wie viel Bewusstsein die Frauen zu Beginn der Revolution über die Frauenfrage hatten. "Emanzipiert die Revolution?" fragt Sylvia Schrauth schon im Titel ihres Aufsatzes über die Frauen in der Badischen Revo• lution.68 Amalie Struve ist ein Paradebeispiel dafür, wie einer Frau ihre eigene Lage und die gesellschaftliche Stellung der Frau während der Revolution immer bewusster wurde, was sich unschwer an der Thematik ihrer Erinnerungen und den Zeitungsarti• keln, ablesen lässt, die sie in den USA schrieb. Während der Badischen Revolution war Amalie Struve keine tatenlose Begleiterin ihres Mannes, sondern setzte sich wie Emma Herwegh energisch für "die Sache des Volkes" und der Freiheit ein.69 In Müllheim versammelte sie ,,patriotische Frauen und Jungfrauen': um sie für "die Sache der Freiheit !{!1 begeistern': die auch die Verwundeten versorgen sollten. In Staufen, so wurde ihr später bei Verhören in Freiburg vorgewor• fen, soll sie Frauen gesucht haben, die ihr helfen sollten, Patronen herzustellen- was sie aber bestritt. Auch in Rastatt nahm sie Kontakt zu demokratischen Frauen auf (z.B. zu Ursula Commlossy). Eine organisierte Form der Frauenbewegung, die demokratischen Frau• envereine, sollten sich erst im Sommer 1849 organisieren. Zu Recht verweist Hummel-Haasis darauf, dass Amalie Struve wie auch Emma Herwegh einen wichtigen Beitrag für die Geschichte der Frauenbewegung leistete. "Sie bewiesen, dass sich auch die

66 Birgit Bublis-Godau: Geliebte, Gatten, Gefährten, Ehepaare in der deutschen Revolution 1848 I 49, in: Ge• schichte in Wissenschaft und Unterricht, 1998, S. 285 und Gudrun Laster-Schneider: Solange selbst im Sturm der Revolution ... , a. a. 0. , S. 243, 254 ff. 67 Liebknecht, a. a. 0. S. 35. 68 Sylvia Schrauth in: Badische Heimat 1 I 1998, S. 64. 69 Gustav Struve: ,,Amalie brachte der Sache der Freiheit, die Ihr über alles heilig war, nur Opfer". ·vorrede, BAK, FN 17 l5a.

XXIX Frauen im politischen Kampf ohne Rücksicht auffamiliäre Hindernisse oder gesellschtiftliche Kon• ventionen einsetzen konnten. " 70 Bei den Frauengestalten aus der französischen Revolution, die Amalie Struve in ih• ren Zeitschriftenbeiträgen vorstellte, geht es um Frauen, die zu jener Zeit eine wich• tige oder problematische Rolle gespielt haben. Erstaunlicherweise aber kommt bei ihr die radikalste der Frauen aus der französischen Revolution nicht vor - Olympe de Gouges. Es ist schlecht vorstellbar, dass Amalie Struve die Schriften derjenigen Frau, die 1791 die erste "Erklärung der Frauenrechte" 71 formulierte, nicht gekannt haben soll. Olympe de Gouges forderte für Frauen das Recht auf die Rednerbühne, da sie ja das Recht auf das Schafott hätten. Warum erwähnte Amalie Struve sie nicht einmal? Es ist zu vermuten, dass sie Olympe de Gouges nur mit den Konnotationen ken• nen lernte, die ihre Gegner ihr beigelegt hatten: Dime, Verrückte, Analphabetin, Furie. Vielleicht war sie ihr zu radikal oder kamen ihr etwa die Beschreibungen, die sie über sie fand, zu nahe an Schillers Worte (Ängste?) heran: " ... da werden Weiber zu Hyä• nen"? Es war genau dieser Eindruck, den die demokratischen Frauen von 1848/49 in Deutschland tunliehst vermeiden wollten. Ähnliches wiederholte sich im Verhältnis zur amerikanischen Frauenbewegung. In den Berichten über einige Frauenkongresse taucht wiederholt der Name Lucy Stone auf, die mit Lucretia Mott in der amerikanischen Frauenbewegung eng zusammenar• beitete. Beide gehörten dem gemäßigten Flügel an. Wesentlich weiter in ihren Forderungen nach Gleichberechtigung und Stimmrecht der Frauen gingen jedoch Susan B. Anthony und Elisabeth Cady Stanton. Sie koppelten sich von der Gruppe ab, die für das Stimmrecht für Schwarze und Frauen eintraten, weil sie sahen, dass dann das Stimmrecht der Frauen wieder hätte hintan stehen müssen. Dieamerikanische Frauenbewegung war sehr wach seit ihrem ersten großen Kon• gress 1848 in Senecca Falls, wo sie die Tyrannei der Männer in einer 15-Punkte• Erklärung mit ihren Standpunkten angriff. Ihre "Declaration of sentiments" kann durchaus als Parallele zur Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 verstanden werden, mit der die Tyrannei Englands angeprangert wurde.72 Amalie Struve muss die Erklärung von Senecca Falls gekannt haben, denn oft greift sie Argumente daraus auf. Dennoch ist es verwunderlich, wie wenig wir von Kontak• ten Amalie Struves zur amerikanischen Frauenbewegung erfahren. Trotz intensiver Suche in Archiven konnte keine Korrespondenz mit amerikanischen Frauen ausftndig gemacht werden. Die Gründe sind unklar, sie könnten in der hohen Arbeitsbelastung liegen. Oder darin, dass Amalie Struve sich auf ihre schriftstellerische Tätigkeit kon• zentrieren wollte. Von London aus hatte Amalie Struve bereits 1850 Mathilde Franziska Anneke an• gefragt, ob sie den geplanten Frauenalmanach mit Beiträgen unterstützen könne, den

70 Gerlinde Humrnel-Haasis: .. ein ganzes Regiment Weiber, um fiir das Vaterland i!' kämpftn, in: Allmende 3/1983, s. 49. 71 Olympe de Gouges: Schriften, herausgegeben von Monika Dillier u.a., Frankfurt 1989, S. 36-44. 72 Vgl. dazu Theresia Sauter-Bailliet: Frauen in Bewegung, Wiesbaden 1982, S. 63.

XXX Amalie herausgeben wollte.73 1852 hielt Anneke einen Vortrag, u.a. wohl auch in New York, über den Amalie Struve in der Freien Presse berichtete.74 (Der Deutsche Zuschauer hatte sein Erscheinen schon eingestellt.) Dieser Bericht ist ein Beleg dafür, dass Amalie Struve auch in Amerika Kontakt zu Anneke (und damit zur deutsch• amerikanischen Frauenbewegung) hatte. Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) hat erst in Amerika in vollem Ausmaß zu ihrer Rolle und frauenpolitischen Aufgabe gefunden; sie reiste umher, hielt Vorträge - auch bei amerikanischen Frauenkongressen- und gab ihre Deutsche Frauenzeitung her• aus. Sie hatte Kontakte zu Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton, den enga• giertesten und entschiedensten Vertreterinnen der amerikanischen Frauenbewegung. Allerdings hatte sie lange gebraucht, (erst in den späten 60er Jahren) bis sie ihren Platz in Amerika gefunden hatte, und ihre Kinder sie nicht mehr überwiegend beanspruch• ten. Als sie ihren Zenit erreichte, war Amalie Struve schon lange tot. Im Gegensatz zu Mathilde Franziska Anneke, deren Podium die Rednertribüne war, war Amalie Struves Schwerpunkt ein anderer. Sie hatte sich, wie auch Emma Herwegh, mit eigenen Aktivitäten in der Badischen Revolution engagiert, jedoch ist Gerlinde Hummel-Haasis zuzustimmen, dass sie beide, Emma und Amalie keine "Frauenrechtlerinnen waren wie Mathilde Franziska Anneke." 15 Amalie Struve war viel zu schüchtern, um vor vielen Menschen zu sprechen. Ihr Aktionsfeld war der Schreib• tisch, nicht die Rednerbühne. Aber sie forderte auch wiederholt zur Bildung von Frauenvereinen auf, die sie freilich bald im Sinne der Gleichberechtigung von "Men• schenvereinen" für Frauen und Männer abgelöst sehen möchte.76 Wenn sie in ihren Artikeln Frauenrechte einforderte, war sie keine unkritische Frau, die nur noch ihr Thema sieht; sie las nämlich solchen Frauen die Leviten, die Emanzipation und Gleichberechtigung missverstanden, die "den Tag hindurch im Schaukelstuhle sitzen und ihre Befehle an ihre Männer aus/heilen. " 77 Bedauerlicherweise gibt es keine Aussagen, welche Wirkung die Artikel Amalie Struves bei ihren Leserinnen hatten - verglichen etwa mit Berichten über öffentliche Kongresse oder andere Veranstaltungen der Frauenbewegung. Ihre Texte dürften bei all denjenigen unter ihren Leserlnnen, die mit der Badischen Revolution zu tun hatten, bes. Träume, Eine Proletarierin, Erinnerungen wachgerufen und neue Deutungsmöglich• keiten des Erlebten eröffnet haben. In ihnen appellierte sie zugleich - wie bereits in ihren Erinnerungen- an das Vermächtnis der Badischen Revolution und ihrer Märtyrer. Durch Amalie Struves Zeitungsartikel sind viele ihrer Leserinnen erstmals mit Ge• danken der Frauenbewegung in Berührung gekommen. Da sie sehr engagiert und temperamentvoll, manchmal fast suggestiv, aber auch humorvoll schrieb (Der hinkende Teufel von New York), dürften viele Leserinnen in manchen ihrer Schilderungen die ei-

73 Zitiert bei Maria Wagner: Mathilde Franifska Anneke in Selbst!:(fugnissen und Dokumenten, Frankfw:t/M 1980, S. 81; Anneke spricht darin von Amalie Struve als "eine(r) liebe(n) Freundin". 74 Die freie und sittliche Erhebung.... , Freie Presse, Philadelphia, 23. Oktober 1852. 75 Gerlinde Hummel-Haasis: ... ein ganzes Regiment Weiber ... , S. 49. 76 Frauenbildun/!; DZ. 77 Die Feinde weiblicher Freiheit, DZ.

XXXI gene Situation, ihre Stellung und ihre fehlenden Rechte als Frau wiedererkannt und ihr zugestimmt haben. Insofern leistete Amalie Struve auch ohne organisierten Rahmen "Zuarbeit" für die Frauenbewegung und machte die Leserinnen mit deren Zielen bis hin zum Stimmrecht der Frauen bekannt.

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