Christoph Blocher
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CHRISTOPH BLOCHER Einheitsbrei: Was denkt Christoph Blocher heute über die Presse und deren Exponenten? Genau vor einem Jahr hat der Justizminister an der Verlegertagung eine kämpferische Rede gehalten, in welcher er den angeblichen “publizisti- schen Einheitsbrei” anprangerte. Blochers Befund überrascht: Die Schweizer Medien hätten sich im vergangenen Jahr stark verbessert. Gegenüber “persön- lich” erzählt Blocher von seinem Medienverhalten und seinen Lieblingstiteln. Interview: Matthias Ackeret Fotos: Alberto Venzago, SF DRS Herr Blocher, hat sich seit Ihrer Rede an der Tagung des schreiben als noch vor einigen Jahren. Hoffnungsvolle Verbandes der Schweizer Presse etwas geändert? Ansätze sind zu erkennen. Die Situation hat sich geän- “Ich stelle bescheidene Anzeichen einer erfreulichen dert, nicht nur in der Schweiz, auch in anderen europäi- Änderung fest. Vor allem Wochenzeitungen – ich denke schen Ländern kann über die Konstruktion EU und hier an die Weltwoche, das Magazin des Tages- deren Sinn offener gesprochen werden.” Anzeigers oder Facts – bemühen sich, – auch thema- tisch – aus dem Einheitsbrei auszubrechen. Auch bei Aber hängt diese Entwicklung nicht auch mit Ihrer Wahl vom der Tagesschau des Fernsehens ist mehr Seriosität und umstrittenen Oppositionspolitiker zum Bundesrat zusammen? Offenheit festzustellen. Diese Journalisten tun das “Es mag etwas damit zu tun haben. Doch noch bis vor sicher nicht wegen meines Referates, sondern weil sich etwa zwanzig Jahren wurden die offizielle Politik und immer mehr Menschen nach objektiver Bericht- die Politiker immer wieder hart kritisiert. Das schadete erstattung und verschiedenen Meinungen sehnen.” der Politik keineswegs. Medienschelte führt nicht auto- matisch dazu, dass Politiker von Bürgerinnen und Woran liegt das? Bürgern verachtet werden, zumindest dann nicht, wenn “Die Zeiten haben sich geändert. Das politische Klima sie nichts Unehrenhaftes getan haben. Anders in den ist weniger verkrampft als noch vor drei, vier Jahren. Es kommunistischen Ländern: Da durften die Medien wird wieder offener diskutiert und kritisiert. Eine wich- keine Kritik üben und mussten die Politik der tige Rolle spielt die EU-Beitrittsfrage. Wer in den Regierenden loben. Seit den Achtzigerjahren entwik- Neunzigerjahren einen Beitritt ablehnte, galt als poli- kelte sich auch bei uns in den grossen politischen tisch unkorrekt, als Hinterwäldler, dumm und – vor Fragen ein unheimlicher Einheitsbrei. Es war eine allem – moralisch verwerflich, während auf der Modeerscheinung. Die Presse, das Fernsehen, das Gegenseite die ‘Guten’ standen, welche die Zeichen der Radio verbandelten sich unkritisch mit der offiziellen Zeit erkannt hätten. Diesem Trend hatten sich – wie ein Politik. Das weckte und weckt immer mehr Misstrauen. Mann – die Medien verschrieben. Die political correct- Sachliche Kritik und Meinungsvielfalt waren noch nie ness hat lange die EU zum Leitbild, ja zum Götzen Ursache für politische Fehlentwicklungen, im erklärt. Wer für die Selbstständigkeit des Landes ein- Gegenteil: Das dauernde Infragestellen führt zu besse- trat, galt als Aussenseiter, als Isolationist. Heute wei- ren Lösungen. Gerade dort, wo alle unkritisch dem gern sich innerlich immer mehr Journalisten, diese stu- Gleichen nachrennen, wo das gegenseitige Abschreiben pide Meinung weiterzuverbreiten. Wenn es ihnen zur Routine wird und Einheitsmeinungen vorgeschrie- erlaubt wird, beginnen sie auch freier zu schreiben. ben werden, sind Fehlentwicklungen programmiert. Selbst beim Tages-Anzeiger, der jahrelang eine doktri- Darum unterbinden Diktatoren als Erstes die freie näre Linie verfolgt hat, spüre ich, dass zumindest ein- Meinungsäusserung. Die direkte Demokratie lebt von zelne Journalisten aus der political correctness auszu- der Meinungsvielfalt. Voraussetzung für eine echte brechen wagen und heute offener über Zeitprobleme Meinungsvielfalt ist die Meinungsäusserungsfreiheit. Ohne Meinungsäusserungsfreiheit ist eine Demokratie Parteien. Da können doch unmöglich alle sieben das – vor allem die direkte – nicht möglich. Darum müssen gleiche Welt- und Zukunftsbild vertreten. Ein erlebtes wir dafür kämpfen. Die Meinungsfreiheit führt zu bes- Beispiel: Beim letzten Rütli-Rapport 2005 gaben die seren Verhältnissen im Staat. Organisatoren auch einem Jungen aus der welschen Ich hatte dieses Jahr am Sechseläuten ein längeres Schweiz das Wort. Er kritisierte die Politiker, die Gespräch mit dem von der gleichen Zunft eingeladenen Regierung, also auch mich, hart. Wörtlich meinte er, Ehrengast, dem früheren Weltwoche-Chef und heuti- dass die Politiker mehr das eigene Wohl als das des gen Chefredaktor der Welt, Roger Köppel. Für ihn (der Landes verträten. Jemand fragte mich: ‘Lassen Sie sich sowohl die Schweiz wie jetzt auch Deutschland gut das als Bundesrat gefallen?’ Meine Antwort: ‘Warum kennt) ist es immer noch faszinierend, wie frei von jeg- denn nicht? Hat er nicht das Recht, uns zu kritisieren? licher Parteimaxime sich Schweizer Politiker artikulie- Das ist seine Meinung. Wer das nicht erträgt, kann ihm ren können. Er sprach meine Zunftrede an. auch nicht das Wort geben. Nur die Regierung, die ihre Regierungs- und Parlamentsmitglieder sollten mög- Kritiker ernst nimmt, spürt die Befindlichkeit der lichst oft vor nicht politisch organisierten Bürgerinnen Bürger.’ Insofern hat auch die Presse eine entscheiden- und Bürgern antreten, ihnen in die Augen schauen, de Aufgabe: einen Sachverhalt wertfrei, objektiv darzu- ihnen zuhören, ihre Kritik über sich ergehen lassen, stellen, damit derjenige, der nicht dabei war, ein realisti- aber ihnen auch erklären und entgegnen. Regierungen sches Bild bekommt. Anderseits soll sie das Ganze und Parteien neigen erfahrungsgemäss dazu, eine ande- kommentieren, aber so, dass man merkt, dass es sich um re Sicht der Dinge als persönlichen Angriff zu betrach- eine persönliche Meinung handelt. Völlig falsch wird es, ten. Also versuchen sie, andere Meinungen zu unter- wenn beides vermischt wird, was leider immer öfters drücken. Hier sollten die Medien eingreifen und selbst- vorkommt.” ständig kritisieren oder Kritikern Raum geben.” Sind Sie wirklich so immun gegen negative Kritik, wie Sie Als Nationalrat standen Sie unter Dauerbeschuss der Medien behaupten? und Politiker. Begegnen Ihre Kritiker Ihnen nun anders? “Es mag den Anschein erwecken. Nein, nein – immun “Einzelne Journalisten, die meine Arbeit seit langem keineswegs. Kritik empfinde auch ich meist als lästig. verfolgen, kennen mich heute besser und schreiben Ich versuche stets, die Absicht des Kritikers zu ergrün- objektiver. Von anderen Blättern – wie der Blick schon den. Ist der Ursprung Neid oder Missgunst, was in der seit Jahren –, die mich als Bundesrat à tout prix verun- Politik häufig ist, dann hat man darüber hinwegzuge- glimpfen wollen, damit ich nicht mehr gewählt werde –, hen. Oder steckt eine kurz- oder langfristige Absicht kann man dies offenbar nicht erwarten. Anderseits der Verunglimpfung dahinter, dann hat man nicht zu halte ich als Bundesrat mit meiner persönlichen reagieren. Das können ganze Verlage, einzelne Meinung zurück und biete so natürlich auch weniger Zeitungen oder auch nur einzelne Journalisten sein. Ist Angriffsfläche.” es aber wirklich das Bemühen, meine Taten, Absichten, Worte, – kurz – meine Politik infrage zu stellen, um Trotzdem führten einige Ihrer Kommentare und Reden zu lan- anderes zu bewirken, dann nehme ich die Kritik sehr desweiten Reaktionen. Wann äussern Sie sich frei? ernst. Ich musste mich oft infrage stellen lassen, mehr “Wenn ich für die Regierung oder mein Departement als andere Politiker. Sich infrage stellen lassen schadet spreche, nehme ich die Funktion eines offiziellen in der Regel nicht. Manchmal ist sogar die Kritik eines Sprechers ein. Da bin ich zwangsweise in meiner per- Böswilligen, der nichts anderes als Verleumdung und sönlichen Meinung eingeengt. Doch Bundesräte dürfen Verunglimpfung will, hilfreich. Wer Dauerkritik ausge- keine Eunuchen sein. Grundsatzbetrachtungen oder setzt ist, muss seine Auffassungen schon gut überlegt politische Grundsatzerklärungen, Betrachtungen über haben.” die Schweiz der Zukunft zum Beispiel oder die Schweiz der Vergangenheit müssen auch Bundesräte frei äus- Sie haben einige Male den Begriff Einheitsbrei verwendet. sern können, sonst verkommen sie zu kleinlichen Woher stammt dieser? Funktionären. Grundsatzantworten – vor allem wenn “Ich weiss nicht, woher der Begriff kommt. Ich finde sie in die Tiefe gehen und etwas Originelles enthalten – ihn gut. Er ist das Gegenteil von abwechslungsreicher rufen selbstverständlich Diskussionen und Reaktionen Vielfalt. In den Siebzigerjahren, als ich zu politisieren hervor, das ist eben die Meinungsfreiheit.” begann, empfand ich bei der Presse noch eine Meinungsvielfalt. Es war Usus, dass die Journalisten – Aber haben Ihnen Ihre Bundesratskollegen noch nie vorgewor- schon damals mehrheitlich links – den Bundesrat und fen, dass Sie durch solche Aussagen die Institution Bundesrat die bürgerlichen Parteien in der Luft zerrissen haben. verletzen? Später rückten immer mehr Bürgerliche nach links, was “Einzelne Mitglieder ziehen die Grenze enger als ande- den Journalisten gefiel. Linke und bürgerliche Parteien re. Im Bundesrat sitzen sieben Vertreter aus vier vereinten sich in einer wohligen Harmonie, mit der Presse als Sprachrohr. Die Kritik an der offiziellen bessere.Vielleicht ist sie zu wenig durchdacht oder poli- Politik verschwand und die Politik verschlechterte sich: tisch nicht durchsetzbar. Das muss die Diskussion, die