IM GESPRÄCH «Eine Hodler- Ausstellung wäre schon interessant.»

«Da können Sie auf mich zählen.»

FDP gegen SVP, Manager gegen

NZZ FOLIO — NR. 345 NZZ FOLIO Unternehmer, verhinderter Hotelier gegen verhinderten Knecht: Walter Kielholz trifft Christoph Blocher.

54 Sie gelten als Feinde. Als Alphatiere, die seit Jahr- zehnten ihre gegenseitige Abneigung pflegen. Walter Kielholz warf Christoph Blocher vor, aus der SVP eine «rechtsbürgerliche Kampfpartei» gemacht zu haben. Blocher sagte im vergangenen Jahr der «Weltwoche»: «Die NZZ ist zurzeit das Sprachrohr gegen die selbstbewusste Schweiz. Die treibenden Kräfte findet man im Epizentrum der Credit Suisse und deren Umgebung.» Damit meinte er Kielholz. Nun treffen sich die beiden Herren im getäfelten Komiteezimmer der «Neuen Zürcher Zeitung» zu ihrem ersten Doppelinterview. Christoph Blocher ist mit dem Zug gekommen, Walter Kielholz zu Fuss. Sie sprechen über die EU, das institutionelle Abkom- men, die eigene Herkunft, die Migros und ignorante ausländische Manager. Nach über zwei Stunden wird klar: Die alten Kontrahenten haben mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein kann.

Wann sind Sie sich zum ersten Mal begegnet? Christoph Blocher: Keine Ahnung. Es scheint kein bleibendes Ereignis gewesen zu sein. Walter Kielholz: Ich weiss es noch. Das war nach der Abstimmung über die Bilateralen I vor 20 Jahren bei einer Tagung in Vevey bei Nestlé. Sie gelten als Antipoden: Walter Kielholz, Manager, graue Eminenz der FDP, Ex-Verwal- tungsratspräsident der Credit Suisse und Freund der EU. Christoph Blocher, Unterneh- mer, SVP-Patron, Ex-UBS-Verwaltungsrat und EU-Gegner. Wie stehen Sie zueinander? Kielholz: Diese Ambivalenz ist jetzt etwas kon- struiert. Ich bin übrigens nicht sicher, wie stark Herr Blocher wirklich Teil des UBS-Netzwerks war. Blocher: Also rückblickend betrachtet, war ich der einzige, der sich für die Bank eingesetzt hat! Kielholz: Aber es hat schon etwas: Ich stamme aus dem FDP-Milieu, und dazu gehörte in der Stadt Zürich auch die Nähe zur CS, die damals noch Kreditanstalt hiess. CS, Swiss Life, Zürich- Versicherung, Rück – alles ein einziger Haufen. Dagegen ist Herr Blocher dann auch mit Vehe- menz angetreten. Sie meinen seinen Kampf gegen den Filz. Kielholz: Damals sagte man Filz. Ich würde es eher als Macht-Cluster bezeichnen. Die UBS, damals noch die Bankgesellschaft (SBG), war anders. Sie war SEPTEMBER — 2020 nicht erzprotestantisch wie die CS und hat ihre Wurzeln auch nicht in der Stadt Zürich, sondern in Winterthur. Zudem galt sie als Bank des Mittelstands, während die CS diejenige des Grosskapitals war. Blocher: Ich wurde von der SBG angegangen, weil die Bank junge Unternehmer aus der Industrie im Verwaltungsrat wollte. Ob Bankgesellschaft oder CS war für mich Hans was Heiri. Aber parteipolitisch gibt es heute tatsächlich beachtliche Differenzen zwischen SVP und FDP. Als ich 1969 nach zog, gehörte ich noch keiner Partei an. Dann wehrte ich mich in der Gemeindeversammlung gegen ein grosskotziges Projekt der Alusuisse. Danach kamen Vertreter der SVP, der FDP und der CVP auf mich zu, ob ich nicht bei ihnen Mitglied werden wolle. Ich wählte die SVP, hätte aber gerade so gut in die FDP eintreten können. Politisch gab es damals kaum Unterschiede, bei der SVP waren einfach die lustige- ren Leute. Die Differenzen begannen Ende der 80er

Annick Ramp Jahre, als die Frage nach der Unabhängigkeit der 55 Schweiz immer wichtiger wurde. Erst da haben wir nie einen getroffen, der gesagt hat: «Ihr chliine uns auseinandergelebt – dann aber tüchtig. Cheibe. Ihr sind ja nöd emol i dr EU.» Die Neutra- Am tüchtigsten in der Europafrage. lität preisgeben? Die Schweiz würde nicht nur Kielholz: Nicht nur. Bei der Migrationspolitik und untergehen, sondern verrecken. bei verschiedenen gesellschaftspolitischen Haben sich die Schweizer Strukturen bewährt, Fragen bin ich auch nicht auf SVP-Linie. Im Herr Kielholz? Vergleich bin ich wahrscheinlich schon fast Kielholz: Die vergangenen 30 Jahre sind geprägt progressiv. durch eine Auseinandersetzung zwischen dem Blocher: In der Migrationspolitik waren sich SVP Standpunkt der SVP und demjenigen der anderen und FDP bis in die 90er Jahre einig. Ihr Partei- Parteien. Druck und Gegendruck haben dazu ge- kollege, Herr Kielholz, der ehemalige Direktor führt, dass wir gute Lösungen erarbeiten konnten, des Wirtschaftsdachverbands Vorort, Gerhard zum Beispiel die bilateralen Verträge. Winterberger, hat damals schon gesagt, die Sie sind der SVP dankbar für ihre Opposition Personenfreizügigkeit bedeute «den Anfang des gegen den EWR in den 1990er Jahren? Untergangs der Schweizerischen Eidgenossen- Kielholz: Etwa so dankbar wie ich als Fan des FC schaft». Heute predigt ihr das Gegenteil. 1989 – Zürich dem FC Basel bin. Reibung ist grundsätz- nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – lich richtig. Wenn ich der SVP für etwas dankbar verloren führende Politiker, Wirtschaftsleute, bin, dann dafür, dass sie mit ihrer Politik radika- viele Gebildete völlig den Kopf: Landesgrenzen lere Kräfte zur Rechten eingebunden hat. und Kriege werde es in Zukunft nicht mehr Mit der Begrenzungsinitiative, über die wir am geben. Jacques Delors, der schlaue Präsident 27. September abstimmen, will die SVP faktisch die der Europäischen Kommission, witterte seine Personenfreizügigkeit abschaffen. Chance, die Schweiz in die EU zu führen. Zu- Kielholz: Ich sehe die Personenfreizügigkeit über- nächst mit dem Europäischen Wirtschaftsraum haupt nicht so negativ wie Herr Blocher. Wir haben als Vorstufe zu einem EU-Beitritt. eine Demographie der grauen Haare. Die Covid-­ Gegen einen EWR-Beitritt hatten auch Sie nichts Krise hat uns auch deshalb so stark getroffen, weil einzuwenden. das Durchschnittsalter so hoch ist. Wir müssen Blocher: Der Bundesrat beschloss anfänglich, einen neue Arbeitskräfte ins Land holen können. EWR-Beitritt gebe es nur mit einem Vetorecht. Das Blocher: Gegen Arbeitskräfte, die wir dringend fanden wir noch knapp akzeptabel. Doch das Veto- brauchen, hat niemand etwas. Woher sollen wir recht wurde dann in der Schlussverhandlung still- unsere Ingenieure und Chemiker denn hernehmen, schweigend fallengelassen. FDP und CVP beschlos- wenn an den hiesigen Universitäten lauter Sozio- sen, nicht nur dem EWR, sondern auch der EU logen und Politologen ausgebildet werden? Aber beizutreten. Heute ist Herr Kielholz wahrscheinlich heute kommen Krethi und Plethi. noch der einzige, der dazu steht und in die EU will. Das Saisonnierstatut ist Geschichte. Wollen Sie in die EU, Herr Kielholz? Blocher: Die Schwarzenbach-Initiative wäre Kielholz: Ich bin mittlerweile zum Gegner eines Anfang der 70er Jahre fast angenommen wor- EU-Beitritts geworden. Die Dinge haben sich vor den, weil die Schweiz bis zu diesem Zeitpunkt allem seit dem Austritt der Briten nicht nur zum faktisch die Personenfreizügigkeit hatte. Ich Guten entwickelt. Aber man darf nicht verges- begleitete als Protokollführer den Ems-Eigen­ sen, dass der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 tümer Oswald, den Industriellen René Bühler die geopolitische Lage in Europa grundlegend und SGB-Präsident Alfred Schaefer, die beim verändert hat. Die EU hat gravierende Verwer- Bundesrat vorsprachen, um eine Begrenzung fungen verhindert. Ohne den Staatenbund hätte der Einwanderung zu erreichen. Dies übrigens nach der Wende der Zusammenbruch Europas dem Land zuliebe und gegen die eigenen Inter- gedroht. essen. Bundesrat und Parlament handelten und Blocher: Wir bekämpfen nicht die EU. Aber die schufen ein neues Ausländergesetz, das sich bis Schweiz darf nicht beitreten und sich nicht 2007 bewährte. Seither haben wir nun die NZZ FOLIO — NR. 345 NZZ FOLIO aufgeben, sonst verliert sie ihre Eigenständig- Personenfreizügigkeit. Das Volk hat die negati- keit und ihre Erfolgsfaktoren, die nicht nur im ven Folgen schnell erkannt und 2014 der Zuwan- Wirtschaftlichen liegen. Die EU ist eine Organi- derungsinitiative zugestimmt. Was ist dann sation, die von französischem Zentralismus und passiert? Nichts. Parlament und Bundesrat einer Verachtung für direktdemokratische haben die Bundesverfassung missachtet. Des- Entscheide geprägt ist. Eine Mitgliedschaft dort halb stimmen wir nun über die Begrenzungs- wäre das Ende der föderalistischen, freiheit- initiative ab. lichen Schweiz. Die Umfragen deuten auf ein Nein hin. Kielholz: Bei der Entwicklung der EU aus der Blocher: Wenn Abstimmungsprognosen mass- EWG hat sich das napoleonische Modell gegen- gebend wären, wären wir längst in der EU. über einem föderalistischen durchgesetzt. Die Kielholz: Allerdings ist das Problem auch bei einem heutige zentralistische Funktionsweise ist Nein nicht vom Tisch. Der grosse Lohnunterschied tatsächlich eine sehr französische Konstruktion. zwischen der Schweiz und den EU-Ländern und die Sie baut auf einem Verständnis, das demjenigen unterschiedliche Beschäftigungslage werden das jeden Schweizers diametral entgegensteht. Problem noch verschärfen. Wir – bei mir ist das jedenfalls so – sind ja dem Was schlagen Sie vor? Staat gegenüber grundsätzlich misstrauisch. Kielholz: Wir sollten Verbündete unter den Aber in Frankreich ist das anders. europäischen Staaten suchen, die die uneinge- Blocher: Dass die Schweiz so erfolgreich ist, hat schränkte Zuwanderung auch mehr und mehr 56 viel mit ihrer Struktur zu tun. Ich habe auch noch als Problem wahrnehmen und sie deshalb be- schränken wollen. Das Personenfreizügigkeits- mehr in den vergangenen 13 Jahren! Die unbe- abkommen zwischen der Schweiz und der EU grenzte Zuwanderung wird böse Folgen haben für enthielt ja ursprünglich eine Ventilklausel, die das Land. Zu viel ist zu viel. Das sieht der Ver­ der Bundesrat auch aktivierte. Sie war aber waltungsratspräsident einer Rückversicherung zeitlich beschränkt und lief für Rumänien und vielleicht anders als gewöhnliche Bürger. Doch Bulgarien Ende Mai 2019 aus. mittlerweile geht es ja schon in der EU los. Der Da schwingt Bedauern mit. Plädieren Sie für französische Präsident Emmanuel Macron will nicht Nachverhandeln? nur die Einwanderung aus Drittstaaten beschrän- Kielholz: Ich plädiere dafür, dass die Schweiz nicht ken, sondern auch jene aus den EU-Ländern. Und so tut, als wäre sie alleine mit diesem Problem. Die für uns soll das nicht gelten? Zuwanderung beschäftigt auch andere Länder. In Kielholz: Das habe ich ja vorhin gesagt. Es gibt England war sie ein Grund für den Brexit. Nun Länder, die gewaltige Probleme haben. Die diskutieren auch die Franzosen darüber, ob sie eine grossen Flächenstaaten – Deutschland allen Begrenzung durchsetzen wollen, und in den ost- voran – haben bei diesem Thema Beiss- europäischen Ländern ist sie längst ein Thema. hemmung. Doch der Druck steigt. Die EU muss Wieso machen sich diese Länder nicht gemeinsam differenziertere Lösungen für diese Wande- für eine Ventilklausel stark? rungsbewegungen finden. Die EU will die Personenfreizügigkeit nicht Blocher: Bis jetzt gibt es keine Anzeichen. Das verhandeln. institutionelle Abkommen wird alles noch ver- Kielholz: In der EU gilt das Dogma gemeinsamer schlimmern. Markt gleich Personenfreizügigkeit gleich Sie glauben an ein Ja zum institutionellen Abkom- Kapitalfreizügigkeit gleich Warenfreizügigkeit. men? Man ist überzeugt, dass es nur einen freien Blocher: In glaubt jedenfalls niemand mehr Markt geben kann, wenn Waren und Personen daran. frei zirkulieren können. Dieses Dogma stammt Sie, Herr Kielholz? Kielholz: Ich bin skeptisch. Dabei wäre ein Rahmenabkommen durchaus der richtige Weg, «Mit dem Bruder schloss ich eine wenn aus Schweizer Sicht gewisse rote Linien eingehalten werden. Wette ab: Wenn ich Knecht werde, Also doch nachverhandeln? zahlst du eine Schoggi, andernfalls Kielholz: Wieso schliesst man ein solches Abkom- men nicht für einen zeitlich befristeten Horizont von ich. Ich habe bezahlt.» Blocher vielleicht fünf Jahren ab und zieht dann ? Nach Ablauf der Zeit gehen wir über die Bücher und noch aus der Zeit von Delors, aber es hat über- stimmen noch einmal ab. lebt und wird heute auch gegenüber den Briten Ein Rahmenabkommen auf Probe? durchgesetzt. Kielholz: Jeder Vertrag ist befristet. Wir sollten Blocher: Ein Unsinn, an dem alle Parteien ausser den Mut haben, das Rahmenabkommen auszu- der SVP bis heute festhalten. Der grosse liberale probieren. Das hiesse, pragmatisch zu handeln, Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman nicht ideologisch. erklärte, man könne alles liberalisieren, nur Blenden wir noch etwas zurück. Sie sind als Sohn Personen nicht. Es sei denn, man schaffe überall eines Schneidermeisters in der Stadt Zürich auf der Welt die gleichen sozialen Bedingungen. aufgewachsen. Sie, Christoph Blocher, als Sohn Kielholz: Ich habe einmal Pascal Lamy, den eines Pfarrers in Laufen am Rheinfall. Wie hat Sie damaligen Direktor der WTO, gefragt, was er Ihre Herkunft geprägt? eigentlich an der Schweiz bewundere. Lamy war Kielholz: Ich bin in einem zutiefst liberalen Milieu ein typischer französischer Bürokrat. Ein Sozia- aufgewachsen. Mein Vater war ein überzeugtes list, hochgescheit. Ihn beeindruckte, dass die Mitglied der Demokraten, die sich dann in fast allen SEPTEMBER — 2020 Schweiz eine handelspolitische Schlagkraft Kantonen mit den Freisinnigen zusammenschlossen. hatte, die weit über ihrem Kampfgewicht lag. Weil er im Vorstand des Gewerbeverbandes war, Diese Stärke könnten die Schweizer doch nut- gingen die Verbandsbüffel bei uns aus und ein und zen, um ihre Interessen resolut zu vertreten. diskutierten über Politik und Wirtschaft. Ich durfte Blocher: Stimmt. Das gilt aber nur so lange, wie jeweils zuhören. die Schweiz ein selbständiges Land ist und sich Woran erinnern Sie sich? nicht mit einem Kolonialvertrag an die Europäi- Kielholz: An die engagierten Auseinandersetzun- sche Union anbinden will und nur solange sie gen. Die Herren waren sich eigentlich nur in neutral bleibt. Warum wollen Sie das ändern? ihrer gemeinsamen Abneigung gegen Gottlieb Die Sozialisten sind mit ihren EU-Beitrittszielen Duttweiler und die Migros einig. Aus Gewerbler- ja entschuldigt, die waren ja schon immer Inter- sicht war Lenin ein Heiliger gegen Duttweiler. nationalisten. Aber was ist mit dem Freisinn los? Dabei war er in wirtschaftspolitischen Fragen Man gibt doch fundamentale Grundsätze nicht der einzige Liberale weit und breit. einfach so auf! Was war Ihr erster Berufswunsch? Sind Sie ein Internationalist, Herr Kielholz? Kielholz: Ich wollte Diplomat werden, was mein Kielholz: Ich habe jedenfalls eine andere Sicht als Vater zu einem Lachanfall brachte. Herr Blocher. Wir hatten in den letzten zehn, zwan- Warum? zig Jahren keine schlechte Einwanderungspolitik. Blocher: Wohl zu direkt. Blocher: Aber seit 2007 hat die Schweiz die grösste Kielholz: Zu wenig diplomatisch. Dann habe ich Zuwanderung aller Industrieländer! Eine Million mir überlegt, ob nicht Hoteldirektor etwas für 57 mich wäre, worauf mein Vater sagte: «Du ver- Kielholz: Machtnetz – das tönt jetzt ein bisschen wechselst wohl den Vorder- mit dem Hinterein- pathetisch. Aber wir haben schon ein gutes gang im Hotel.» Beziehungs- und Informationsnetz: national und Und wie war es bei Ihnen, Herr Blocher? international. Blocher: Woher habe ich das? Ich weiss es einfach Anders gefragt: Kann ein internationaler Manager nicht. Ich bin das siebte von elf Kindern. Ich wollte in der Schweiz erfolgreich ein Unternehmen schon als Bub Bauer werden. Der Vater sagte, das führen? gehe nicht ohne Hof und er könne mir auch keinen Blocher: Einen internationalen Pharmakonzern mit kaufen. Meine Antwort war: Dann werde ich halt noch fünf Prozent Tätigkeit in der Schweiz – warum Knecht. Mit meinem älteren Bruder habe ich eine nicht? Aber bei einer rein schweizerischen Firma Wette abgeschlossen: «Wenn ich Knecht werde, wird es schwieriger. Ein ausländischer Roche-Mana- zahlst du eine Schoggi, andernfalls ich.» Ich habe ger sagte mir einmal: «Unmöglich, diese Schweiz. bezahlt. Ich habe nach einer landwirtschaftlichen Was habt ihr für eine Gemeindeautonomie? Die Lehre die landwirtschaftliche Schule besucht. Der Landesregierung findet ein Projekt gut, die Kan- Direktor empfahl mir, Agronomie zu studieren. Ich tonsregierung auch, aber dann kommt die lokale entschied mich dann aber für Jus, weil ich mir da- Baukommission und verhindert alles.» Deshalb mals schon sagte, so kompliziert wie die Agrarpolitik würde ich den Wert von Machtnetzen hinterfragen. ist, müsstest du eigentlich Bauer und Jurist sein. In der Schweiz ist es gute Tradition, international zu Und dann? denken und lokal zu handeln. In der Politik tun sie Blocher: Ich wurde Werkstudent, habe von acht heute leider oft das Gegenteil: Sie denken lokal und Uhr abends bis um ein Uhr am Morgen in der handeln grossspurig international. Sihlpost gearbeitet. Nach dem Lizentiat habe ich Haben Sie mit Sergio Ermotti bewusst einen geheiratet. Da hat mir der Chef der Ems, Werner Schweizer als Ihren Nachfolger bei der Swiss Oswald, den ich über seine Söhne kannte, eine Re geholt, Herr Kielholz? Halbtagsstelle im Rechtsdienst angeboten. Das Kielholz: Bei uns galt eigentlich seit je, dass passte mir, denn ich musste noch doktorieren. entweder der CEO oder der Verwaltungsrats- Ich verstand ja nichts von Wirtschaft. Ich hatte präsident Wurzeln in der Schweiz haben sollte. zwar eine Prüfung in Aktienrecht gemacht, aber Jetzt haben wir mit Christian Mumenthaler einen noch nie eine Aktie in der Hand gehalten. sehr verankerten Mann. Deshalb hätte es auch Jedenfalls hat mich die wirtschaftliche Tätigkeit einen Ausländer an der Spitze des Verwaltungs- dann gepackt, obwohl ich zu Hause weder von rates vertragen. Ich habe einige internationale der Wirtschaft noch von der Politik viel mitbe- Manager angestellt und gemischte Erfahrungen kommen habe. Es kam alles anders – aber es hat gemacht. Einer wollte gleich das Lehrlingswesen sich so ergeben. abschaffen. Kielholz: Aber der Pfarrer war damals in der Gemeinde natürlich schon eine politische Figur. Blocher: Ich bin meinen Eltern dankbar für ihre «Die SP ist im Kreis 7 fast gute religiöse Auffassung und Tiefgründigkeit. Wir waren alles andere als Frömmler, aber ich ­gleichauf mit der FDP. Die Erben habe ein gesundes Gottvertrauen mitbekommen. des Geldes wollen nur noch Velo Das ist hilfreich. Mein Götti war auch Pfarrer. Der hat mir bei jedem Besuch eine Migros-Scho- fahren und die Welt retten.» Kielholz kolade mitgebracht mit «bhüeti Gott min Götti- bueb». Wir haben nebenaussen gewohnt. Weite Blocher: Unsere Berufsbildung ist etwas vom Wege zum Einkaufen. Als der Migros-Wagen Besten, aber für die meisten Ausländer unver- plötzlich vor dem Haus hielt, war das für meine ständlich. Mutter eine grosse Erleichterung. Kielholz: Er wusste gar nicht, was ein Lehrling Kielholz: Ich bin auf dem Waidberg aufgewach- macht. Der dachte, das seien die, die mit dem NZZ FOLIO — NR. 345 NZZ FOLIO sen. Der Migros-Wagen hielt genau vor unserer Schraubenzieher alles flicken, ohne etwas von Haustür, aber meine Mutter durfte dort nie der Sache zu verstehen. Ich sagte ihm: «Du etwas kaufen – als Frau eines Gewerblers. schaffst hier gar nichts ab.» Wenn ein CEO kein Sind Sie auch ein Zwinglianer, Herr Kielholz? Schweizer ist, muss er zuhören können. Bei der Kielholz: Ich komme aus einem sehr protestanti- Swiss Re hatten wir hundert Jahre nur Ausländer schen Haushalt. Meine Mutter war allerdings eine an der operativen Spitze und Schweizer als Italienerin, die in dritter Generation hier lebte. Ihre Verwaltungsratspräsidenten. Der erste Kon- Familie kam Mitte des 19. Jahrhunderts vom Veneto zernchef war ein Deutscher. Bereits im ersten in die Schweiz. Sie waren gut ausgebildete, deutsch- halben Jahr musste er einen grossen Schaden sprechende Mechaniker, die als Ingenieure im zahlen. Danach hat er sich das Leben genommen. Eisenbahnbau Arbeit fanden. Als meine Mutter einen Blocher: Das Leben genommen wegen eines Protestanten heiratete, drohten ihr eifrige Priester Verlustes? Wenigstens hatte er Charakter. mit dem Fegefeuer. Danach hat sie ihr Leben lang Heute kassieren sie bei einem Verlust noch einen nie mehr einen Schritt in eine katholische Kirche Bonus! gesetzt. Nicht einmal in den Dom von Florenz. Kielholz: Die Verwaltungsräte gingen dann zu Sie beide kommen aus typischen Schweizer den drei jüdischen Brüdern aus Triest, die Verhältnissen, haben hier studiert, die Offi- ursprünglich die Idee der Rückversicherung zierslaufbahn eingeschlagen und Karriere in gehabt und zur gleichen Zeit die Assicurazioni der Wirtschaft gemacht. Genügen solche Generali gegründet hatten. Die Verwaltungsräte 58 Machtnetze heute noch? sagten ihnen: «Jetzt schickt gopferdori eine verbi, der das in Ordnung bringt.» Also kam einer Blocher: Die gute wirtschaftliche Zeit fördert nicht der Brüder, Josef Besso, und der war dann gerade unabhängige und selbständige Menschen. 15 Jahre Geschäftsführer der Schweizer Rück. Die immer zahlreicher auftretenden Berufspolitiker Danach ging er zurück nach Triest. Auf seinem schaden dem Milizamt. Man könnte die Sache Grabstein steht: Giuseppe Besso, cittadino durchaus so organisieren, dass ein Nationalrats- svizzero. Er hat sich eingelassen auf das Land. mandat nicht mehr als einen Drittel der Arbeitszeit Oswald Grübel ist auch so ein Beispiel. Dann gab ausmacht. es andere, wie vielleicht CS-Chef Tidjane Thiam. Kielholz: Heute hat ein Parlamentarier meistens Der sah den Job vielleicht eher als Warteposition mehrere Hunderttausend Franken Einkommen, für etwas noch Grösseres. wenn man die Einkünfte aus allen Nebenämtern Braucht es für ein Kreditsystem, wie es Ueli Mau- zusammenzählt. Deshalb gibt es viele Sesselkleber, rer im Zuge der Corona-Pandemie mit den Gross- denn viele können nicht einfach in die Privatwirt- banken aufgezogen hat, Schweizer an der Spitze? schaft zurück. Blocher: Bei den Banken nicht, das hätte auch ein Blocher: Nein, Berufspolitiker kann man nicht mehr Ausländer gekonnt. Beim Staat schon. brauchen. Kielholz: Da hat auch die Bankiervereinigung eine Sie haben Ihre Bundesratsrente bezogen und wichtige Rolle gespielt. Direktor Jörg Gasser und den Schritt damit begründet, dass Sie bald 80 Präsident Herbert Scheidt wussten, wie sich so werden. Ziehen Sie sich aus der Politik zurück? etwas umsetzen lässt. Das waren nicht nur CS und Blocher: Ich bin mehr als auf dem Rückzug. UBS. Noch im April haben Sie ein Strategiepapier für die Blocher: Das ist der Vorteil kleinräumiger Verhält- Partei geschrieben. nisse: Man hat den Überblick. Doch der Filz ist nie Blocher: Mitgeschrieben – jedes Parteimitglied weit weg. Ich habe das in der Affäre Hildebrand kann dies tun. Die Fraktion hat diese Fassung ein- erlebt. Es ist doch selbstverständlich, dass der stimmig genehmigt. Präsident der Nationalbank für sich persönlich keine Sie sind trotzdem präsent. Währungsgeschäfte machen darf. Das ist für einen Blocher: Wenn einer zu mir kommt und um Rat Staat existentiell. Aber es gab Leute aus dem Filz, fragt, bin ich da – solange ich lebe. die dieses Treiben geschützt und mich wegen Bereuen Sie etwas in Ihrem Leben? meiner Kritik verdammt haben. Wenn einer in einem Blocher: Ich bereue, dass ich mit 80 Jahren nicht einflussreichen Netz hängt, in einem einflussreichen mehr grosse, notwendige Projekte in Angriff neh- Rotary-Club, in einer Zunft und in ausländischen men kann: eben eine Initiative, die ein Berufsparla- Foren sitzt, wird er geschützt. ment ausschliesst. Wäre ich 20 Jahre jünger, würde Nach Ihrer Anklageschrift gegen den FDP-Filz, ich es wagen. Nun müssen es andere tun. die Sie 2001 im «Tages-Anzeiger» veröffent- Herr Kielholz, Sie werden 70, was haben Sie lichten, haben Sie das Machtnetz ja erfolgreich noch vor? auseinandergerissen. Kielholz: Ich bin nicht unfroh, dass ich jetzt Blocher: Das war eigentlich nicht das Ziel zurücktreten kann. Wenn ich all die grossen und ­meiner Arbeit. Ich wollte nur das Schädliche grösseren Krisen in den vergangenen 40 Jahren verhindern. zusammenzähle, dann ist die gegenwärtige fast In welchem Zustand sehen Sie die FDP heute? etwas zu viel. Blocher: In einem schwierigen. Gemeinsam mit Ihrer Frau waren Sie für kurze Zeit Was würden Sie der Partei raten? Galerist. Würde Sie das wieder reizen? Blocher: Es ist nicht meine Aufgabe, der FDP Kielholz: Nein, es wurde mir nach einem Jahr lang- etwas zu raten. Wir haben in der eigenen Partei weilig. genug zu tun. Blocher: Die Kunst ist ein Berührungspunkt zwi- Kielholz: Nachdem die SVP die ganzen Parteien schen uns. am rechten Rand aufgesogen hatte, rückte sie Sie sind Kunstsammler, Herr Kielholz ist der nach rechts, womit der Freisinn automatisch in Präsident der Zürcher Kunsthausgesellschaft. SEPTEMBER — 2020 die Mitte wanderte. Ursprünglich hatte die FDP Blocher: Ich schenke meine Bilder nicht dem gehofft, Mittekräfte wie den Landesring, der Staat, und ich mache auch keine Stiftung. sich aufgelöst hatte, übernehmen zu können. Kielholz: Das Kunsthaus ist übrigens privat, Doch das passierte nicht. Das urbane Milieu nicht staatlich. Und es wäre schon interessant, fragmentierte sich stark. Da gab es plötzlich die einmal wieder eine ganz grosse Hodler-Ausstel- Grünen, die Grünliberalen, die BDP und auch alle lung zu machen. Roten und die noch Röteren … Blocher: Da können Sie auf mich zählen. Beim Blocher: …die Grünliberalen, die Rotliberalen – Ausleihen bin ich grosszügig. Meine Bilder finden Hauptsache liberal. Sie auf der ganzen Welt in Ausstellungen. Kielholz: Heute behaupten sogar die Sozial- Herr Kielholz, bereuen Sie etwas im Leben? demokraten, sie seien liberal. Ich dachte erst, die Kielholz: Natürlich habe ich immer mal wieder machen einen Witz. Fehler gemacht, Entwicklungen nicht richtig einge- In den Städten haben die Bürgerlichen heute einen schätzt. Wenn man etwas macht, macht man Fehler. schweren Stand. Aber wenn man nichts macht, macht man keinen Kielholz: In der Stadt Zürich ist es tatsächlich und ist trotzdem am Schluss verbittert, weil man himmeltraurig, was die Bürgerlichen noch zustande es immer besser gewusst hätte, nur interessierte bringen. Was machen wir denn noch? Wir protestie- es niemanden. Ich hätte mir mit 20 nicht träumen ren gegen Velowege. Die SP ist im Kreis 7 praktisch lassen, so ein interessantes Leben zu haben. gleichauf mit der FDP. Die Erben des ganzen Geldes wollen nur noch Velo fahren und die Welt retten. Interview: Aline Wanner und Christina Neuhaus 59