Es war einmal in L.A. Das legendäre Tonstudio Sound City ging mit dem analogen Zeitalter unter. Der Nirvana-Drummer würdigt es in einer Kinodokumentation.

VON CHRISTOPH DALLACH

Als Dave Grohl vor gut zwanzig Jahren an einem sonni- Aber für Ärger und verlorene Illusionen hatten die drei keine gen kalifornischen Frühlingsvormittag zum ersten Mal die Sound Zeit. Jeder Tag in den Sound City Studios kostete 600 Dollar. Das City Studios betrat, war es dort dunkel, und es stank. Von draußen war zwar nicht teuer für ein Profi-Studio, aber sie waren pleite, sah der schmucklose Laden in , , wie eine und 16 Tage waren das Limit, das ihnen die neue, große Platten- verlassene Matratzendiscount-Halle aus, drinnen döste der Ge- firma zugebilligt hatte. Also legten Nirvana los. Sie mussten ja schäftsführer schwer betrunken auf einem schmutzigen Sofa. schnell fertig werden. Aber nachdem „“, der erste neue Sonst war keiner da, um Grohl und seine zwei Freunde Krist Song, an einem Nachmittag eingespielt war, dachten sie, dass die Novoselic und Kurt Cobain zu begrüßen. Tag und Nacht waren Reise nach „Sound City“ eine ziemlich gute Idee gewesen war. die drei Nachwuchsrocker, die sich Nirvana nannten, in einem Sie lauschten der Aufnahme und staunten: „So kraftvoll hatten schrottreifen VW-Bus von ihrer Heimatstadt Seattle nach Los An- wir noch nie geklungen. Als ich mein Schlagzeug hörte, diese geles gefahren. Sie waren aufgeregt, weil sie das erste Mal in einem Wucht und Präzision, war ich sprachlos und begriff, dass wir an richtigen Studio ihre Songs aufnehmen würden, und hatten ihr einem magischen Ort waren. Alles, was wir jemals davor aufge- letztes Geld in Benzin investiert. Entsprechend groß war die Er- nommen hatten, klang im Vergleich schlapp“, sagt Grohl, 44, mit

nüchterung bei ihrer Ankunft. einer Begeisterung, als wäre es gestern gewesen. HANSA STUDIOSFOTOS: (M.R.); CHRITSIAN SIMONPIETRI/SYGMA/CORBIS (R,)

16 3/2013 KulturSPIEGEL Regisseur Grohl, Sound City Studios; Sänger David Byrne in den Hansa Studios; Musiker Robert Fripp, David Bowie (2. v. r.), Produzenten Tony Visconti, Brian Eno in den Hansa Studios (1977)

Vor 22 Jahren erschien „“, das Album, das Nirvana halb wurde aus dem geplanten Nirvana-Kurzfilm eine fast drei- damals in den Sound City Studios einspielten. „Wir waren unserer stündige Dokumentation über die Sound City Studios, die nun Plattenfirma so egal, dass sich keiner von denen während der in einigen deutschen Kinos anläuft (ab 8.3.). Musiker und Pro- Aufnahmen blicken ließ. Die pressten dann 35000 Exemplare duzenten wie , Lars Ulrich, , John Fogerty, von ,Nevermind‘ und erwarteten, dass die Angelegenheit damit und erzählen über die Arbeit hinter erledigt sei“, sagt Grohl. Dann lacht er. „Nevermind“ verkaufte den Kulissen und wie aus Akkorden und Melodie-Ideen Songs sich weltweit mehr als 30 Millionen Mal, gilt als Grungerock- wurden. Auch für Menschen, die keine Musik-Nerds sind, ist Geniestreich und eine der besten Rockplatten überhaupt. das interessant. Denn dem Regiedebütanten Grohl gelingt es, Heute ist Grohl mit seiner Band megaerfolgreich. eine Ahnung davon zu vermitteln, wie Musik entsteht und Krea- Doch als vor zwei Jahren der 20. Jahrestag der „Nevermind“-Ver- tivität funktioniert. Aber er bewahrt auch das Geheimnis und öffentlichung anstand, überlegte sich Grohl, einen Kurzfilm über den Zauber des Unvorhersehbaren dieses verlorenen Ortes. Aus- die Sound City Studios zu produzieren. 15 Minuten wollte er dem giebig zu Wort kommen auch all die Zuarbeiter des Tonstudios, Studio widmen, in dem die Nirvana-Karriere in Fahrt gekommen die viele Anekdoten zu bieten haben, wie es war, mit Johnny war. Grohl war dorthin zurückgekehrt, als der Laden Konkurs Cash, Neil Young und Co. hinter den Kulissen zu arbeiten. angemeldet hatte und alles zum Verkauf stand. Auch aus Senti- Grohl zeichnet in seinem Film das Porträt einer untergegangenen mentalität sicherte sich der bärtige Rocker das Sound-City-Misch- Welt: Denn für analoge, altmodische Orte wie Sound City scheint pult, das Herz des Studios. Viele legendäre Künstler hatten damit im digitalen Zeitalter kaum noch Platz zu sein. Auch die letzten gearbeitet, darunter Neil Young („After the Goldrush“), Fleetwood ihrer Art sind vom Aussterben bedroht. So wie „Abbey Road“ Mac („“), („Caribou“) , Carlos Santana in London, das sogenannte Wohnzimmer der Beatles, das immer („Zebop!“), („Unchainend“), („Wild - wieder endgültig zugeschlossen werden soll. Die Sun-Studios in flowers“), („“) und Metal- Memphis, wo einst Elvis erstmals vor einem Mikrofon stand, lica („“) – alles Klassiker der Musikgeschichte. werden nur noch als Touristenattraktion genutzt. Oder das „Alte Musikstudios sind Museen der Popkultur und voll mit Geis- Columbia 30th Street Studio in New York. Die umgewandelte tern und Legenden. Diese Aura spürt jeder, der so ein Studio be- Kirche, in der Miles Davis sein „Kind of Blue“-Album in zwei tritt. Es ist ein Verbrechen, diese Orte verschwinden zu lassen. Tagen in die Aufnahmegeräte zauberte und Glenn Gould seine Und das muss man vielen Musikfans noch rechtzeitig vermitteln“, „Goldberg Variationen“ spielte, wurde zugunsten eines Bürohau- sagt Grohl. Man hört seine Empörung darüber noch immer. Des- ses abgerissen.

KulturSPIEGEL 3/2013 17 Musiker Dr. John mit Künstler Klaus Voormann (2009), Produzent Plasa in den Home Studios: „Diese Atmosphäre kann kein Laptop einfangen“

Das passt zu diesem Jahrtausend, in dem jeder Hobbyraum mit Siebziger seine sogenannte Berlin-Trilogie, drei der besten Alben einem Laptop und preiswerter Software zum Heimstudio wird. seiner Karriere. Man müsse aufpassen, dass bei all der modernen Technik nicht Die Home Studios im Hamburger Mittelschichts-Stadtteil Eims- das Menschliche auf der Strecke bleibe, das ja letztlich erst die büttel werden auch von Prominenten aus aller Welt genutzt. Seit Musik belebe, schrieb mal der Musiker und Michael-Jackson-Pro- 1988 ist dort Franz Plasa aktiv, der mal Gitarrist bei der Band duzent Quincy Jones. Felix Deluxe war und als Produzent schon deutschen Klienten 1897 eröffnete der US-amerikanische Pianist Frederick William wie Selig, Echt, Beginner, Xavier Naidoo, Udo Lindenberg und in Philadelphia über einem Schuhladen das erste Tonstudio. Die Rammstein unter die Arme griff. Der 58-Jährige vibriert vor Ta- Idee, Musik aufzunehmen, verbreitete sich dann rasant zu Beginn tendrang, verschlingt in seinen weitläufigen Arbeitsräumen hastig des vergangenen Jahrhunderts. Mit dem weltweit zunehmenden im Stehen ein paar asiatische Nudeln, telefoniert dabei und stellt Interesse an Tonträgern wuchs auch der Bedarf an Studios. In dann lächelnd klar: „Ich bin kein Studiobetreiber, sondern vor London eröffnete der EMI-Electrola-Konzern 1931 seine Abbey allem Musiker.“ Hinter der unauffälligen Fassade seiner Studio- Road Studios. Die Deutsche Grammophon hatte bereits 1913 in räume, die voll sind mit Liebhaber-Equipment aus analoger Ver- Berlin eine kleine Fabrikhalle mit genug Raum für ein Orchester gangenheit, musizierten schon a-ha, Lauryn Hill, Carlos Santana, zum Studio umfunktioniert. Es waren Künstler wie Bing Crosby, Depeche Mode, Dr. John und 50 Cent. Die Electro-Popper von Nat King Cole und Frank Sinatra, die mit den Möglichkeiten Depeche Mode bastelten in Eimsbüttel drei Monate lang an ihrem spielten, die ihnen die Studiotechnik und das Format der Lang- Album „Songs of Faith and Devotion“. Plasa sind sie als experi- spielplatte boten. In den fünfziger Jahren begann eine goldene mentierlustig und vor allem fleißig in Erinnerung geblieben: Ära der Pop-Musik, die in diesem Jahrtausend in Turbulenzen „Die gingen nie vor die Tür.“ Mit Carlos Santana war es eher geriet. „Die Ahnung, wie toll aufgenommene Musik klingen kann, öde: „Da sprang kein Funke über.“ Ein Erlebnis der besonderen

kam vielen Menschen mit der digitalen Revolution abhanden“, Art aber waren die Sessions mit Mariah Carey. Einen Tag, bevor (R.) BERLAND sagt Grohl. „Meiner sechsjährigen Tochter Violet, die immer mit die Diva in Eimsbüttel eintraf, kam ihre „Zeremonienmeisterin“ Begeisterung die Beatles auf ihrem iPod hörte, brachte ich neulich (Plasa), um das Studio zu inspizieren und angemessen auf Carey eine Box mit allen Vinyl-Platten der Beatles und einen Platten- vorzubereiten. Die Zeremonienmeisterin dekorierte dann die spieler dazu mit. Für sie war es ein Erlebnis, diese Musik halbwegs Räume, entfernte unerwünschte Gegenstände und schickte un- (L.); STEVEN HA authentisch zu hören. So ein Sound kann nur im Studio entstehen. passende Mitarbeiter nach Hause. Auch ein Kasten Roederer Den Unterschied zum Laptop-Studio hören bereits Kinder.“ Champagner, Jahrgang 1985, musste her. Um 21 Uhr wurde die Auch in Deutschland wurden aufwendige Alben von globaler Pop-Hoheit dann höchstpersönlich erwartet: „Ihr ganzer Hofstaat Klasse eingespielt. Weltweit berühmt sind die Hansa Studios in war da: große schwarze Security-Männer und ihre eigenen Ton-

Berlin. Das Geschäftshaus beim Potsdamer Platz, in dem ein alter techniker“, erinnert sich Plasa. Nur Carey ließ sich nicht blicken, HMIDT/BRAUERPHOTOS Tanzsaal zum Studio wurde, lockte bereits Künstler wie Nick Cave, denn die war dummerweise im Flugzeug eingeschlafen. Gegen U2, Depeche Mode, R.E.M., David Byrne und Iggy Pop. David ein Uhr morgens tanzte die Sängerin dann doch noch an und

Bowie produzierte mit Brian Eno in den Hansa Studios Mitte der beeindruckte Franz Plasa tief: „Die sang unglaublich gut, so wie A.SC FOTOS:

18 3/2013 KulturSPIEGEL in Deutschland kein Mensch singen kann.“ Bis fünf Uhr trällerte lange auf YouTube an, bis sie das mindestens so perfekt drauf Carey, dann wollte sie Popcorn. haben.“ Plasa klingelte einen befreundeten Kinobesitzer aus dem Bett, Die Veränderungen, die die Musikwelt seit einigen Jahren durch- bot viel Geld und bekam das Popcorn. Dass es ihr nicht schmeckte, einanderwirbeln, sieht Plasa nicht als großes Finale der Branche. war dann auch egal. Im Gegenteil: „Wenn eines Tages die ganzen Ur heberrechtsfragen Franz Plasa hat viele solcher Geschichten parat, so wie ein cooler geklärt sind, wird es auch wieder mit den Aufnahmestudios wei- Pop-Märchenonkel. Und wenn er erzählt, schwingt die Liebe zu tergehen. Denn diese Atmosphäre, die entsteht, wenn Musiker seiner Arbeit in jedem Satz mit. Trotzdem sagt er: „Ich hätte den gemeinsam in einem Raum mit guten Instrumenten spielen, kann Laden hier schon lange aufgeben müssen. So ein Studio ist zurzeit kein Laptop einfangen.“ kein Geschäftsmodell mehr. Manchmal ist es wirklich schwer, die Im vergangenen Jahr besuchte ein Depeche-Mode-Fanclub mit Miete zusammenzubekommen. Aber ich habe mich entschlossen, zwei Reisebussen die Home Studios. Die Mitglieder wollten die das weiter durchzuziehen.“ Atmosphäre der Räume inhalieren, in denen ihre Idole einst ihr In den Sound City Studios war Plasa auch mal zu Besuch. Er Erfolgsalbum aufnahmen. Plasa führte die ehrfürchtig staunen- „hänge an der alten Welt“, sagt er, aber „besser“ sei es früher den Gäste herum, zeigte ihnen Mischpult und Mikrofone, und ganz sicher nicht gewesen. Die unter älteren Musikern verbreitete am Ende saßen alle im Studio und lauschten gebannt der dort „Glorifizierung“ der analogen Vergangenheit findet er „fragwür- aufgenommenen Depeche-Mode-Platte: „Da waren Erwachsene dig“. In Grohls „Sound City“-Film beklagt zum Beispiel der Cree- mit Tränen in den Augen. Das hat mich dann auch gerührt. Und dance-Clearwater-Revival-Veteran John Fogerty, dass dank einer ich dachte mir: Das ist das schönste Geschenk. Darum werde Software wie „Pro Tools“, die alle Fehler mit wenigen Klicks aus- ich noch lange weitermachen.“ bügelt, nun jeder Depp makellos klingende Musik produzieren könne und die faule Jugend den Biss verliere. Eine Haltung, der Plasa vehement widerspricht. Das Gegenteil sei der Fall, sagt der „Sound City“ Filmstart und Soundtrack ab 8.3.; DVD ab 22.3. Hamburger, die Nachwuchsrocker beherrschten ihre Instrumente heute präziser als jemals zuvor. „Die schauen sich jeden Trick so