Max Hoelz: »Ich Grüße Und Küsse Dich – Rot Front!«
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CORE Metadata, citation and similar papers at core.ac.uk Provided by eDoc.VifaPol Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 20 Rosa-Luxemburg-Stiftung ULLA PLENER (HRSG.) Max Hoelz: »Ich grüße und küsse Dich – Rot Front!« Tagebücher und Briefe, Moskau 1929 bis 1933 Karl Dietz Verlag Berlin Fotonachweis: Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Ulla Plener (Hrsg.): Max Hoelz. »Ich grüße und küsse Dich – Rot Front!« Tagebücher und Briefe, Moskau 1929 bis 1933 (Reihe: Texte/Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 20) Berlin: Dietz, 2005 ISBN 3-320-02053-6 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2005 Satz: Elke Sadzinski Umschlag, Druck und Verarbeitung: MediaService GmbH BärenDruck und Werbung Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeberin 9 Die Vorgeschichte Hoelz über sein Verhältnis zur KPD und über sich selbst »Unser geliebtes Sowjetrußland …« Gefeiert – und privilegiert Enthusiast des sozialistischen Aufbaus Der Privatmensch – der Parteisoldat Der Rebell – und Opfer stalinistischen Parteiverständnisses Redaktionelle Bemerkungen 53 Tagebücher und Briefe 1929 58 1930 98 1931 179 1932 248 1933 348 Anhang Dokumente zur Vorgeschichte Max-Hoelz-Kassiber, 28. August 1922 401 Max Hoelz an die Zentrale der KPD, 8. Dezember 1922 402 Wilhelm Pieck an Max Hoelz. Antwort auf dessen Schreiben vom 8. 12. 1922 414 Georg Dittmar an Max Hoelz, 4. Mai 1923 415 Max Hoelz an Georg Dittmar, 10. Mai 1923 418 Vertrauliche Information des ZK der KPD über die Angelegenheit Max Hoelz, 6. März 1928 423 Rede von Max Hoelz, 1928 425 Dokumente, Moskau 1930, 1933 Max Hoelz: Ein Jahr Kampf des KJD, Moskau 1930 427 Bücherliste von Max Hoelz, Moskau 1933 448 Meldung der Ausbürgerung von Max Hoelz, August 1933 456 Anlagen Russisch-deutsches Wörterbuch zu den Texten von Max Hoelz 457 Abkürzungsverzeichnis 461 Namensverzeichnis 463 Wer also die »Wahrheit« lesen will, das heißt, wie es wirklich gewesen ist, der greift zu Tatsachenberichten, Biographien, Dokumentensammlungen, Tagebüchern, Memoiren. (Christa Wolf: Lesen und Schreiben, in: Fortgesetzter Versuch. Aufsätze, Gespräche, Essay, Leipzig 1982, S. 14) Vorwort Max Hoelz: Ein im Vogtland und im Mansfeldischen auch heute noch von Sagen umwobener Name. Doch erinnern sich an ihn nur noch wenige. Da- bei kann das Leben von Max Hoelz sinnbildlich für den Beginn des »Zeit- alters der Extreme« (Hobsbawm) und die Konfrontationen im 20. Jahrhun- dert stehen: Das Erleben des Ersten Weltkriegs führte ihn vom weißen Kreuz zur roten Fahne.1 Stimuliert von der Revolution in Rußland 1917, wird er 1918/1919 in der November-Revolution und 1920 während des Kapp-Putsches im Vogtland, 1921 in den Kämpfen im Mansfeldischen an der Spitze bewaffneter Arbeitertrupps zu einem Rächer der Armen und Erniedrigten. Im Juni 1921 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, im Juli 1928 freigelassen, setzt er sich für die Politik der Kommunistischen Partei ein und reist Ende August 1929 in die Sowjetunion. Hier engagiert er sich während des ersten Fünfjahrplans (1928 bis 1933) enthusiastisch für eine neue, humane Welt. Im September 1930 kurzzeitig wieder in Deutschland, um für die KPD am Reichstagswahlkampf teilzunehmen, wird er von den Nazis blutig zusammengeschlagen. Wieder in der Sowjetunion, gerät er, der sich mit ganzer Kraft für die »Generallinie der Partei« einsetzt – und stets ein Rebell bleibt –, zunehmend in Konflikt mit den bürokratischen Apparaten und einigen Parteifunktionären und, so schreibt er an Stalin am 7. Mai 1933, »in einen Zustand absoluter Hoffnungslosigkeit«. Am 16. September 1933 stoßen Kinder auf seinen Leichnam im Fluß Oka. Die Vorgeschichte Die vierzig Jahre seines Lebens – von der Geburt im Oktober 1889 bis zur Befreiung aus den Kerkern der Weimarer Republik im Juli 1928 – beschrieb Hoelz in seinen Memoiren: Vom »weißen Kreuz« zur roten Fahne. In ei- nem Schreiben aus dem Zuchthaus Breslau vom 18. Dezember 1922 an den Reichsamnestie-Ausschuß des Deutschen Reichstags erklärte er die Motive seines Handelns: 1 Max Hoelz: »Ich hatte mit meinen 21 Jahren starkes erotisches Verlangen; um es zu überwinden, schloß ich mich dem ›Weißen Kreuz‹, einem evangelischen Keuschheitsbunde, an. Während mei- ner sechsmonatigen Prüfungszeit mußte ich fast täglich mein sexuelles Tun und Denken in aller Ausführlichkeit dem Präses des Sittlichkeitsbundes berichten. Erst nach einem halben Jahr der ›Läuterung‹ wurde ich in feierlicher Sitzung zum Mitglied ernannt. Ich blieb im ›Weißen Kreuz‹ bis Kriegsausbruch.« (Max Hoelz: Vom »weißen Kreuz« zur roten Fahne. Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse. Erstmalig erschienen im Berliner Malik-Verlag 1929, eine Neuauflage im Mitteldeutschen Verlag, Halle/Leipzig 1984. Hier zitiert nach dieser Ausgabe, S. 45. 9 »Ein großer Teil der öffentlichen Meinung erklärt mich für einen ›Räu- ber‹, ›Mordbuben‹, ›Brandstifter‹ und dergleichen mehr, aber nur die al- lerwenigsten Menschen halten es überhaupt für notwendig, auch nur die Frage nach den Beweggründen meines Handelns aufzuwerfen … Ich habe mich bei allem nur von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den notleidenden Massen leiten lassen. Ich habe bis zum 16. Lebensjahr auf dem Dorfe gelebt und während meiner 8jährigen Schulzeit kaum 3 Mal meine Schularbeiten machen kön- nen, weil ich in der schulischen Zeit immer arbeiten mußte. Die Arbeiten sind mir nie lästig geworden, und es wird heute wohl nicht allzu viele Fa- milien geben, in denen das ora et labora2 so zur unbedingten Regel und zum innersten Bedürfnis geworden ist, wie das in meinem Elternhause der Fall war. Nach meiner Schulentlassung ging ich auf 2 Jahre als Tagelöhner zu dem Gutsbesitzer Klotsche in Lentewitz b. Riesa a. d. Elbe. Ich hätte herz- lich gern ein Handwerk erlernt, aber dazu hatten meine Eltern keine Mit- tel. Als Tagelöhner konnte ich nie daran denken, meinen Eltern jemals eine Stütze zu sein. Wenn ein Kind jahrelang mit ansehen muß, wie beide El- tern sich abmühen und abquälen, nur um sich und ihren Nachwuchs rechtschaffen durchs Leben zu (schleusen), so empfindet es instinktiv der Mensch, seinen Eltern den Lebensabend einmal leicht zu machen. Dieser brennende Wunsch trieb mich vom Dorfe in die Stadt. Ich wollte aus eige- ner Kraft vorwärts kommen, einen Beruf lernen, um später meinen Eltern helfen zu können. Wie schwer und hart dieses Ringen, ohne jede Hilfe, für mich werden mußte, kann sich wohl jeder denkende Mensch vorstellen. Ich habe mich bis zum Eisenbahntechniker durchgekämpft und fand als solcher Anstel- lung bei der Firma Artur-Koppel-AG-Berlin, die später mit Orenstein u. Koppel fusionierte. Von dort ging ich zur Eisenbahnbaufirma Herrmann Bachstein Berlin, Großbeeren Str. Meine theoretischen Kenntnisse waren den an mich gestellten Anforde- rungen nicht gewachsen. Ich wollte noch ein paar Semester auf einer tech- nischen Schule durchmachen. Dazu gehörten wieder Mittel, die ich nicht besaß. Ich nahm deshalb Beschäftigung als Vorführer in einem Lichtspiel- haus, dadurch wurde es mir möglich, tagsüber eine Schule zu besuchen. Am Abend dann 4 Stunden (Sonntags 10 Stunden) in einem engen, heißen Raum, nachher anschließend Schulaufgaben, und als Ziel dieses Ringens nur der eine brennende Wunsch, vorwärts zu kommen, um den Eltern hel- 2 Ora et labora (lat.) – bete und arbeite. 10 fen zu können. Ich habe Ehrgeiz nie gekannt. Meine ganze Welt war mein Gefühlsleben, das sich nur um meine Eltern und Geschwister bewegte. Dann 1914. Ich war Ersatzreservist und meldete mich freiwilig. Nicht aus Kriegsbegeisterung, ich haßte den Krieg, instinktiv, vielleicht auch aus meinem starken religiösen Empfinden heraus, das mich 1914 noch be- herrschte. Aber ich hätte mich geschämt, daheim zu bleiben, wo andere Tausende draußen kämpften. (19)14-18, diese 4 Jahre, die ich ununterbrochen an den Fronten ver- brachte, haben meine Weltanschauung zertrümmert. Der religiöse Glaube schwankte. Ich wüßte heute kaum zu sagen, ob damals die inneren Kämpfe oder die äußeren Kämpfe schwerer waren. Sie waren für mich beide bitter hart und blutig ernst. Es bildet nicht das den Menschen, was er erlebt, sondern wie er das empfindet, was er erlebt.Da noch an die All- macht eines Schöpfers glauben, wo alles mordet, und Völker rasen; wo das grausamste Morden höchste Tugend, edelste Menschenliebe sein soll? Was mir vordem meine Eltern, Geschwister, Religion waren, wurde mir jetzt die ganze Menschheit. Ohne die Zusammenhänge, die Kausalität des Seins und Geschehens zu erkennen, zu verstehen, warf mich das Gefühl auf die Seite der arbeitenden Massen. Sie waren es, die durch den Wahn- sinn des jahrelangen Mordens am schwersten an Leib und Seele gelitten hatten. Nun ging das Gefühl mit dem Verstande durch. Der erste Schritt, den ich ins politische Leben tat, die ersten Worte, die ich zu den Massen sprach, brachten mich mit dem bürgerl. Gesetz in Konflikt, weil ich den Worten sofort die Tathandlung folgen ließ. Seit dem ersten Tag meiner po- lit. Tätigkeit (Anfang 1919) wurde ich steckbrieflich verfolgt. Ununterbro- chen gehetzt, von Ort zu Ort. Immer von dem Gedanken erfüllt, daß die Masse selbst ihr Schicksal in die Hände nehmen muß. Krieg dem Kriege, Krieg der Unterdrückung, und diesen Kampf führen mit allen Mitteln, das erschien mir als das allein richtige. Ich wähnte, weil ich so dachte, so wollte, so kämpfte, müßten die anderen dasselbe tun. Erst während der Märzkämpfe 1921 ist mir mit aller Deutlichkeit zu Bewußtsein gekommen, daß die Methoden meines Kampfes der Sache nicht dienen. Das Gute an mir war das Wollen, das Schlechte das Kön- nen; die Gedanken fügten sich nicht den Tatsachen.