Der Magische Gipfel Vor 50 Jahren Bezwangen Der Neuseeländer Edmund Hillary Und Der Sherpa Tensing Norgay Als Erste Den Mount Everest
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Titel Der magische Gipfel Vor 50 Jahren bezwangen der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tensing Norgay als Erste den Mount Everest. Seither versuchen sich Tausende Hobby-Kraxler am höchsten Berg der Erde – das Abenteuer bezahlen viele mit dem Leben. er Spuk beginnt abends zwischen tönt das leise Heulen des Windes und den weiß, dass die Musik des Everest nichts acht und neun, wenn die Sonne hellen Singsang der Sherpas. Gelegentlich Gutes verheißt: Im Eisbruch werden dann Dlängst untergegangen ist über dem rollen oberhalb des Gletschers Lawinen Pfade verschüttet, über die Bergsteiger sich Zeltdorf am Fuß des Mount Everest. Das dumpf donnernd talwärts, und ab und an ihren Weg nach oben bahnen müssen. schneeweiße Monstrum knirscht, knackt ist ein Krachen zu hören, als würden Ge- Vor drei Jahren war Brand schon einmal und poltert, als würde es erwachen. Die bäude einstürzen. Dann haben mächtige hier; damals irrte er auf der tibetischen Bergsteiger und ihre Träger aus dem Volk Séracs, haushohe Eisblöcke, ihren Halt ver- Nordseite zwei Tage orientierungslos im der Sherpas kriechen im 5400 Meter hoch loren und sind zur Seite gekippt. Schneesturm umher. Die Hand war nicht gelegenen Basislager noch tiefer in ihre Gebannt lauscht Roland Brand, 51, in mehr vor Augen zu sehen, „Whiteout“ Schlafsäcke. Die Temperatur ist auf 15 seinem Zelt dem Rumpeln des höchsten nennt sich das Phänomen. Der Schnee war Grad minus abgesackt. Berges der Welt. „Das ist die Musik des zu Eisgranulat erstarrt, und die pfeifenden Der unheimliche Lärm stammt aus dem Everest“, sagt der Bergsteiger aus dem Böen peitschten das Eis so hart auf Brands Eisbruch, einer Gletscherschlucht, die an fränkischen Uffenheim; er kennt die Körper, „dass ich da wie in einem Sand- das nepalesische Basislager grenzt. Er über- Tücken des Giganten im Himalaja, und er strahlgebläse kauerte“. 158 der spiegel 18/2003 Himalaja-Riese Mount Everest* so viele wie nie zuvor: Mehr als 40 Expe- ditionen mit gut 500 Alpinisten und Sher- pas warten derzeit auf der nepalesischen Süd- und der tibetischen Nordseite auf das Startsignal zum Gipfelsturm: eine günstige Wetterprognose. Die Bergsteiger wissen, dass sie ihr Le- ben riskieren, auch wenn das Wetter von Ende April bis Ende Mai als vergleichs- weise stabil gilt. Aber selbst jetzt kann es sich schnell ändern: blauer Himmel am Morgen, schlimmste Schneestürme am Nachmittag. Temperaturstürze von 40 Grad plus in der Mittagssonne auf 40 Grad ROYAL GEOGRAPHICAL SOCIETY GEOGRAPHICAL ROYAL Everest-Bezwinger Tensing Norgay, Hillary „Das hellste Juwel des Mutes“ minus in der Nacht – das ist die gefährliche Normalität am Everest. Selbst bei gutem Wetter ist der kurze Ausflug ans Ende der Troposphäre eine Tortur: Jenseits der 8000-Meter-Marke ge- hen die Bergsteiger am Limit. Sie quälen sich durch die dünne Luft, sie stapfen mit schmerzverzerrtem Gesicht durch den Schnee und versinken oft bis zur Hüfte. Sie ächzen und stöhnen und verfluchen den Berg. Und dennoch: „Das Einzige, was man da oben wirklich nicht will“, sagt der Augsburger Everest-Bezwinger Bernd Kull- mann, „ist irgendwo anders zu sein.“ Ein Theater der Triumphe und der Tragödien war der Everest seit den zwan- WORLDWIDE PICTURE LIBRARY / ALAMY LIBRARY PICTURE WORLDWIDE ziger Jahren, als die Pioniere an ihm schei- terten. Zu einer Arena des Wahnsinns Knapp 8000 Meter hoch, nicht weit vom seeländer Edmund Hillary und der indi- verkam er, als Amateur-Kletterer in den Ziel, gab Brand mit zwei Leidensgefährten sche Sherpa Tensing Norgay als erste Men- achtziger und neunziger Jahren im Gänse- aus der Schweiz schließlich auf – und kam schen den höchsten Gipfel der Erde. marsch zum Gipfel stiegen. wohl deshalb mit dem Leben davon. Rund 1200 Bergsteiger, darunter 21 Schauspiele größter Selbstlosigkeit und In diesen Tagen wagt er seinen zweiten Deutsche, haben nach den beiden nun grenzenloser Rücksichtslosigkeit gaben Al- Versuch. Seit Mitte April haust er mit vier schon auf dem Gipfel gestanden – und pinisten auf der höchsten Bühne der Welt: weiteren Deutschen, drei Schweizern und trotzdem hat der nach neuester Messung Es traten die Sachsen Thomas Türpe und vier nepalesischen Hochträgern im Basis- 8850 Meter hohe Everest nichts von seinem Jörg Stingl auf, die 1996 auf den Gipfel ver- lager. Wenn das Wetter mitspielt, will die Mythos verloren. Ganze Heerscharen von zichteten, um einem Japaner das Leben zu Gruppe um den Hotelier Eckard Schmitt, Bergsteigern wagen sich inzwischen an ihn retten. Und es gab, zur selben Zeit, Szenen 55, aus dem oberbayerischen Bad Tölz am heran, und im Jahr des Jubiläums sind es kalter Skrupellosigkeit: Achtlos ließen ja- 29. Mai um 11.30 Uhr auf dem Gipfel ste- panische Bergsteiger auf dem Weg nach hen – an jenem Tag und zu jener Uhrzeit * Vom 5483 Meter hohen Berg Gokyo Ri in Nepal aus ge- oben drei Inder im Schnee sterben, ob- erreichten vor genau 50 Jahren der Neu- sehen. wohl sie die halb erfrorenen Höhenkran- der spiegel 18/2003 159 Titel Mount Everest 8850 m Hillary Step Lhotse 8511 m Nuptse 7879 m Lager 4 7900 m Lager 3 Süd- 7200 m route Lager 2 6400 m CHINA Mount NEPAL Everest Eis- bruch Lager 1 INDIEN 6100 m 200 km Basislager 5400 m GERHARD SCHMATZ ken mit ihren Sauerstoffflaschen wohl am „Es ist die Höhe, allein die Höhe, die die Hunderte oder Tausende Meter in die Tie- Leben hätten halten können – Kollateral- Magie des Everest ausmacht“, sagt Kam- fe. 44 starben vor Erschöpfung, 28 ver- schäden beim Kampf um den Gipfel. merlander – und dieser Faszination erliegen schwanden auf unbekannte Weise. Der Everest ist zum Synonym für immer mehr Freizeitkletterer. 1980 schaff- Dutzende Gedenksteine mit gemeißel- Höchstleistung, Erfolg und Größe gewor- ten es 10, 1990 waren es schon 72. 1998 klet- ten Inschriften wie „Marty Hoeg 1951– den – aber auch für krankhaften Ehrgeiz. terten 121 Bergsteiger hoch, im vorigen Jahr 1982“ säumen den Weg, weiter unten. Und In einer Höhe, in der kaum noch eine Vo- waren es 159. Am 23. Mai 2001 kam es zum schwer fällt es vielen Bergsteigern – weiter gelart fliegen kann, weil die Luft zu dünn bisher größten Stau am Gipfel: 88 Berg- oben –, die Allee der gefrorenen Leichen ist, ziehen die Karawanen der Erschöpften steiger versuchten, einen Stehplatz auf den zu passieren, die in mancher Saison rechts benommen über eisglatte Pfade. Sich selbst und links der Spuren im Schnee und anderen wollen sie auf dem eisigen liegen. Die meisten Toten des Weg zum Himmel beweisen, dass sie stär- Everest werden nicht geborgen, ker sind als die Naturgewalten. weil Hubschrauber so hoch nicht Geradezu magisch scheint die Anzie- hungskraft des Berges zu sein, seit Briten Pioniere Mallory, Irvine (1924), den damals noch „Peak XV“ genannten Mallory-Leiche (1999) Gipfel im Norden ihrer Kolonie Indien als „Keine Gnade vom Everest“ höchste Erhebung der Welt orteten und ihn 1856 nach dem Chef-Vermesser Ihrer Majestät in Indien, George Everest, be- nannten. Als Sagarmatha verehren die Nepalesen den Berg; die Tibeter nennen ihn Chomolungma, beides bedeutet Gott- BILDERDIENST AP / ULLSTEIN mutter der Welt. Dabei gibt es attraktivere Schneeriesen wenigen Quadratmetern über dem – wie den 8611 Meter hohen K2 im paki- Rest der Welt zu ergattern. stanischen Karakorum. Oder technisch Aber der Everest ist auch der anspruchsvollere – wie den 8463 Meter höchste Friedhof der Welt gewor- messenden Makalu in Nepal. „Aber der den. 175 Frauen und Männer sind K2 ist eben nur der zweithöchste, der an seinen Flanken ums Leben ge- Makalu der fünfthöchste Berg“, sagt der kommen: 59 Bergsteiger erstickten Südtiroler Profi-Bergsteiger Hans Kam- in Lawinen oder wurden von her- merlander, 46, der auf 13 der 14 Achttau- abfallenden Steinen oder Eis- sender stand. brocken erschlagen. 44 stürzten X / STUDIO GAMMA 160 der spiegel 18/2003 fliegen können – und weil es nicht lohnt, ein Leben für eine Leiche zu riskieren. So gehören die Toten, die den Weg nach oben pflastern, zum Berg, seit Menschen versu- chen, ihn zu besteigen. Es war Ende Juni 1921, die Zeit der Ent- deckungen ging langsam zu Ende: Elf Jah- re zuvor hatten die Amerikaner Robert Peary und Frederick Cook darüber gestrit- ten, wer zuerst am Nordpol war; fast zehn Jahre war es her, dass der Norweger Roald Amundsen den Südpol betrat. Aber es galt noch, den dritten Pol zu erobern: den höchs- ten Berg der Erde. Eine britische Expedi- tion machte sich auf den Weg zum Everest. Mit dabei war der Lehrer George Mal- lory, 35, ein empfindsamer Mensch mit großen, wachen Augen. Er hatte seinen Dienst quittiert, um Aufregenderes als Schulstunden zu erleben. Er wollte am Everest Geschichte schreiben. Das tat er – nur anders, als er sich das vorgestellt hatte. Die Briten pirschten sich von der tibeti- schen Nordseite an ihr Ziel heran, weil Nepal bis 1949 keine Ausländer ins Land ließ und den Zugang vom Süden damit blockierte. Die Gruppe fand eine Auf- stiegsroute über den Nordsattel. Dann ga- ben die Männer erschöpft auf. Aber die Faszination des Berges ließ Mallory nicht mehr los. Er war wieder da- bei, als eine zweite britische Expedition 1922 die 8000-Meter-Marke überstieg. Mit Knickerbocker-Hosen, mehreren Pullovern übereinander und gewickelten Gamaschen. Die Clubkrawatten um die frierenden Häl- se gebunden, waren die Bergsteiger eher für eine nette Alpentour gerüstet als für das Eis des Himalaja. Und: Nylon war noch nicht erfunden, die dicken Kletterseile aus Hanf saugten sich im Schnee voll, wurden ASCENTS / ALPINE PRITIE WILLIE unerträglich schwer und steif. Bergsteiger-Kolonne am Hillary Step: „Wie russisches Roulette“ Mit Nagelschuhen an den Füßen und Sau- erstoffflaschen auf dem Rücken stapften die Mitglieder stiegen auf 8321 Meter – das „Die Erfolgschance ist gering, größer ist Bergsteiger in die so genannte Todeszone hatte vor ihnen niemand geschafft. Der die Chance, dass es uns ziemlich übel er- des Everest – jene Höhenlage oberhalb von Preis dafür aber war hoch: Sieben Sherpas, geht“, schrieb er seiner Mutter.