Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Landwirtschaft und Verbraucherschutz Mainzer Straße 80 · 6 51 89 Wiesbaden www.umwelt.hessen.de Inhaltsverzeichnis Seite Vogel und Umwelt

Berichte Zeitschrift für Vogelkunde STÜBING , S., T. N ORGALL & M. W ERNER : Vorkommen und Bestandsentwicklung und Naturschutz in Hessen des Steinschmätzers ( Oenanthe oenanthe ) in Hessen in den Jahren 2000 bis 2019 . . 3

HOYER , J.: Die Feldlerche ( Alauda arvensis ) in der Gemarkung Worfelden (Südhessen) – Ergebnisse einer vergleichenden Kartierung im Abstand von 24 Jahren ...... 19

KREUZIGER , J.: Der Einfluss von Folientunneln und Sonderkulturen auf den Kiebitz (Vanellus vanellus ) im Bereich der südhessischen Agrarlandschaft ...... 25

STÜBING , S. &G.BAUSCHMANN : Wirksamkeit eines stationären Prädatorenschutzzaunes auf Brutbestand und Bruterfolg des Kiebitzes ( Vanellus vanellus ) im Wetteraukreis . . 39

ACHENBACH , E. L.: Überwinterung eines großen Weißstorchtrupps ( Ciconia ciconia ) 2018/19 bei Büttelborn (Kreis Groß-Gerau, Südhessen) ...... 59

ZUREK , C., N. P OEPLAU & P. P ETERMANN : Populationsökologische Untersuchungen des Wendehalses ( Jynx torquilla ) im EU-Vogelschutzgebiet „Wälder der südlichen hessischen Oberrheinebene“ ...... 73

GELPKE , C. & S. S TÜBING : Hinweise zu Aktivitätsmustern und zum Vorkommen des Wespenbussards ( Pernis apivorus ) während der Brutzeit in Hessen anhand von mehr als 1000 Flugbeobachtungen ...... 103

BERGMANN , H.-H.: Vögel im Wildkirschbaum – Beobachtungen zur Spezialisierung bei der Nahrungswahl ...... 115

Persönliches

LÜBCKE , W.: Hans-Heiner Bergmann zum 80. Geburtstag ...... 125

KOLB , R. & M. H ORMANN : Dr. Franz Müller: Ein Leben für Naturschutz, Wissenschaft und Kunst ...... 127

Neue Literatur ...... 130

Preise der neuen Literatur

€ ) Tiere in meinem Garten ...... 29,90 0 2

Ein Fest für die Lerche ...... € 12,80 0 2 (

Die Fischfauna Thüringens ...... € 15,00 4 2

Vogelzug ...... € 38,00 d n

€ a Verbreitungsatlas der Tagfalter ...... 49,95 B Band 24 (2 020) Titelzeichnung: Steinschmätzer – Oenanthe oenanthe von DR.FRANZ MÜLLER Bezug: Das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert die Herausgabe dieser Zeitschrift durch die Übernahme der Druckkosten. In Aner- kennung der Leistungen der Kreis- und Ortsbeauftragten für Vogelschutz und als Würdigung des ehrenamtlichen Naturschutzes und der Naturschutzarbeit in Hessen wird die Zeitschrift seit 2015 kostenlos abgegeben. Allerdings ist die Auflage gedeckelt. Daher bieten wir sowohl die Zeitschrift als auch die einzelnen Artikel zusätzlich als papierlose Variante als sogenann- tes PostDocumentFile (pdf) an. Falls Sie Interesse haben, können Sie die Jahrgänge von der Homepage der Staatlichen Vogelschutzwarte herunterladen. Bei dort aktuell noch nicht verfügbaren Artikeln wenden Sie sich bitte an die Staatliche Vogelschutzwarte. Der Schriftentausch erfolgt durch die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Institut für angewandte Vogelkunde, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected], Internet: www.vswffm.de

Impressum:

Herausgeber: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft Manuskriptrichtlinien und Verbraucherschutz (HMUKLV) – Oberste Naturschutzbehörde – Mainzer Straße 80, D-6 51 89 Wiesbaden 1. Manuskripte bitte in deutscher Sprache, mit vorangestellter deutscher und englischer Zusammenfassung an die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Schriftleitung: Gerd Bauschmann, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Saarland als elektronische Vorlage einreichen. Rheinland-Pfalz und Saarland (VSW), 2. Bitte keine Formatierung, d. h. keine Silbentrennung, kein Blocksatz, keine Versalien, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main Kapitälchen, Kursivschrift, kein Fettdruck, keine Unterstreichungen, o. ä.. Redaktion: Dr. H.-J. Böhr, Wiesbaden 3. Text, Abbildungen und Tabellen bitte in separaten Dateien vorlegen. K. Fiedler (HGON), Offenbach 4. Digitale Fotos müssen unbearbeitet und in einer Mindestauflösung von 300 dpi zur Ver- M. Hormann (VSW), Frankfurt fügung gestellt werden. Sie müssen frei von Rechten Dritter und mit dem Namen des Dr. J. Kreuziger (HGON), Zwingenberg Fotografen versehen sein. B. Petri (NABU), Büttelborn 5. Bei der Verwendung von Karten und Luftbildern (auch aus dem Internet), sind die jewei- Dr. R. Roßbach, Bad Homburg ligen Lizenzbedingungen zu beachten. In der Regel ist die Nutzung kostenpflichtig. Bei B. Rüblinger (HMUKLV), Wiesbaden der Verwendung des NATUREG-Viewers als Luftbildgrundlage liegt das Copyright beim W. Schindler (HGON), Solms hessischen Umweltministerium, das daher genannt werden muss. M. Sommerhage (NABU), Wetzlar D. Stiefel (VSW), Frankfurt 6. Literaturzitate (Beispiele): Dr. M. Werner (VSW), Frankfurt Aus Zeitschriften: L. Wichmann (VSW), Frankfurt Stübing, S., J. Heckmann & H.-J. Roland (2013): Seltene Vogelarten in Hessen 2005 bis 2010. – Vogel & Umwelt 20: 15 – 78. Redaktions- Redaktion „Vogel und Umwelt“ anschrift: c/o Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Aus der „Avifauna von Hessen“: Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Norgall, A. (2000): Rotmilan – Milvus milvus. – In: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (Hrsg., 1993 – 2000): Avifauna von Hessen. Echzell. Gesamt- C. Adelmann GmbH, D- 635 71 Gelnhausen Bücher: herstellung: E-Mail: [email protected] Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel ISSN 0173-0266 Hessens in Raum und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell. Aus dem Internet: Wiesbaden 2 020 Conz, O. (2006): 20. Mai 2006, Landkreis: Main-Taunus-Kreis, Zwergohreule. – Alle Rechte vorbehalten. URL: http://www.hgon.de/voegel/beobachten/hgon-birdnet/?tx_hgon%5bseite%5d=1012

Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren selbst verantwortlich. Die wiedergegebenen Auffassungen entsprechen nicht in jedem Falle der Meinung des Herausgebers. Redaktionsschluss für Band 25 ist der 30. April 2021 Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Vogel und Umwelt Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen

Band 24 (2020) ISSN 0173-0266

Herausgeber: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Oberste Naturschutzbehörde –

Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 3 – 18 (2020)

Vorkommen und Bestandsentwicklung des Steinschmätzers (Oenanthe oenanthe ) in Hessen in den Jahren 2000 bis 2019 von Stefan Stübing , Bad , Thomas Norgall , Frankfurt am Main und Matthias Werner , Frankfurt am Main Keywords: Oenanthe oenanthe, Brutbestand, Bestandsentwicklung, Artenhilfsmaßnahmen, Hessen

Zusammenfassung chen mit weitläufig offenen Bodenstellen durchgeführt werden. Hier wurden in den Der Beitrag fasst die Bestandsent- Jahren 2017 bis 2019 während umfangrei - wicklung und aktuelle Situation des Stein- cher Kontrollen 19, 23 und 32 Paare/Reviere schmätzers als Brutvogel in Hessen auf erfasst. Die aktuelle Zunahme wird auf die der Grundlage des Artenhilfskonzeptes anhaltenden Maßnahmen zur Brutplatzge- Steinschmätzer in Hessen ( Stübing & staltung und die für diese Vogelart positiven Werner 2014) sowie den seit 2015 jähr- Auswirkungen der „Dürresommer“ 2018 lich im Rahmen des Monitorings seltener und 2019 zurückgeführt. Brutvögel ermittelten Bestandszahlen ( Nor- gall & Stübing 2015, 2016, 2017, 2018, 2019) zusammen. Von ehemals mehreren Summary tausend Paaren und einer weiträumigen Verbreitung ausgehend, war der Bestand This article summarises the population ab den 1970/80er Jahren infolge der Inten- development and current status of the sivierung der Landwirtschaft fast nur Wheatear ( Oenanthe oenanthe ) as a breed- noch auf Sekundärlebensräume wie Sand-, ing bird in the German state of Hesse, Kies- und Lehmgruben, Steinbrüche oder based on the Wheatear species action Baugebiete beschränkt. Direkter Nährstoff- plan (Artenhilfskonzept Steinschmätzer eintrag durch die Landwirtschaft und atmo- [Oenanthe oenanthe ]) for Hesse ( Stübing sphärische Nährstoffdeposition haben in & Werner 2014) and the population figures den zurückliegenden Jahrzehnten zur Eu- recorded annually since 2015 as part of the trophierung ehemals magerer Lebensräume monitoring of rare breeding bird species und schließlich zu einem tatsächlichen oder (Norgall & Stübing 2015, 2016, 2017, funktionalen Verlust von Steinschmätzer- 2018, 2019). The species was formally wide - Habitaten geführt. Die Bestandsentwick- spread, counting several thousand pairs. lung des Steinschmätzers führt uns wie bei Due to the intensification of agricultural kaum einer anderen Art die Veränderung land use, from the 1970s/80s onward the der Offenlandschaften von mageren, lückig species became almost entirely limited to bewachsenen Standorten hin zu nährstoff - secondary habitats such as sand, gravel reichen Fettwiesen und ausgedehnten Inten- and loam extraction pits, stone quarries sivackerfluren und den damit einhergehen - and construction sites. In recent decades, den Verlust der Artenvielfalt vor Augen. direct nutrient deposition from agricultural Aktuell kommt die Art in Hessen als Brut- sources as well as atmospheric nutrient vogel nur noch auf der Rhein-Main- deposition have resulted in the eutrophica- Deponie Wicker (Main-Taunus-Kreis) vor, tion of formerly nutrient-poor habitats and auf deren Gelände seit Jahren intensive ultimately to the actual or functional loss Schutzmaßnahmen wie die gezielte Anlage of Wheatear habitats. More so than for von Brutmöglichkeiten in Deponieberei- most other species, the Wheatear’s popula-

3 tion development amply demonstrates the 1 Einleitung und Dank changes that have occurred in open land- scapes, with a shift from nutrient-poor sites Die Verbreitung des Steinschmätzers with patchy vegetation to nutrient-rich (s. Abb. 1) erstreckt sich in einem breiten more intensively managed grasslands and Band über ganz Europa bis an den Pazifik vast areas of intensively managed arable land und bezieht im Westen Grönland und das with the attendant loss of species diversity. angrenzende Nordamerika sowie im Osten As a breeding bird species in Hesse, the Alaska mit ein ( Bauer et al. 2005). Damit species currently only occurs at the Wicker weist die Art, ähnlich wie die Uferschwalbe landfill site in the -Main region (Riparia riparia ), eines der weltweit größten (Rhein-Main-Deponie Wicker). For several Verbreitungsgebiete unter den Singvögeln years now intensive protection measures auf. Als Lebensraum werden überall offene, have been taken at this site for the species spärlich und niedrig bewachsene Flächen with the targeted construction of nesting genutzt, die neben Verstecken zur Durch- opportunities in disposal areas with large führung der Brut vor allem eine Nahrungs- areas of open ground. Extensive checks in suche am Boden ermöglichen. Brutgebiete the years 2017 to 2019 have revealed the finden sich daher in Dünen- und Flugsand- presence of 19, 23 and 32 pairs/territories lebensräumen, mit Felsen durchsetzten respectively. The current increase is thought Magerrasen, aber auch in intensiv bewei- to be due to the ongoing nest site design deten, kaum gedüngten Mittelgebirgsbe- measures as well as the “drought summers” reichen und offenen Hochgebirgslagen an of 2018 and 2019 which were of benefit to und oberhalb der Baumgrenze. Als Sekun- the species. därlebensräume werden vor allem Sand- und

Abb. 1: Steinschmätzer im ersten Kalenderjahr, rechts beringt mit einem Alu-Ring der Vogel- warte Helgoland und links mit einem mit dem Fernglas ablesbaren Kennring (01. 07. 2019; Foto: Thomas Sacher).

4 Kiesgruben sowie Steinbrüche und Tage- für Ornithologie und Naturschutz e.V. baue, aber auch Weinberge genutzt ( Bauer (HGON) und der Landesartendatenbank et al. 2005, Berck & Fischer 1995, Gedeon Vögel der Staatlichen Vogelschutzwarte für et al. 2014). Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland Gebhardt & Sunkel (1954) führten (VSW) danken. Ohne ihre Beobachtungen zum Brutvorkommen des Steinschmätzers und Kartierungen wären Auswertungen in Hessen aus: „Er lebt daher in Sandgru- wie die vorliegende Zusammenfassung nicht ben, Torfstichen, Ziegeleien, Kalkbrüchen, möglich! an Eisenbahn- und Flußdämmen, ist typisch Ein ganz besonderer Dank gebührt den für die Weinberge (…), ein Charaktervogel Mitarbeitern der Rhein-Main-Deponie in in den Steinhaufen und ‚Steinrücken‘ der Wicker. Ohne die sehr gute Zusammen- Huteweiden des Meißners, Knülls, Wester- arbeit zum Schutz der Art wäre die hier walds, Vogelsbergs und der Rhön.“ Zahl- brütende, aktuell einzige überlebensfähige reiche Bruten wurden demnach selbst unter Population des Steinschmätzers in Hessen „hohlliegender Ackerscholle“, an „Rad- möglicherweise längst erloschen. Vielen spuren auf Feldwegen“, „im Reinhardswald Dank auch an Tobias E. Reiners und den (…) in Holzstößen auf Kahlschlägen“, „in Dachverband Deutscher Avifaunisten e.V. alten, halbverschütteten Konservenbüch- für die Erstellung der Abb. 9 und 10. sen“ oder in „Kaninchenröhren und Ufer- schwalbenlöchern“ gefunden. Im Frankfur- ter Stadtgebiet war die Art „auch als 2 Ergebnisse Bewohner des Schrebergartengeländes“ be - kannt, und zusammenfassend galt: „Die Die Bestandsentwicklung in den Jahren Anpassungsfähigkeit des Vogels hat ihn 2000 bis 2019 ist anhand der nachfolgend an vielen Orten zum Kulturfolger werden aufgeführten Untersuchungen und Projekte lassen“. vollständig darstellbar. Tabelle 1 führt die Nur gut sechs Jahrzehnte später kommt nachgewiesenen Bruten und Reviere nach der ehemals so weit verbreitete und häufige Landkreisen unterteilt auf Steinschmätzer in Hessen nur noch an einer b 2000: Landesweiter Kartierungsaufruf der Stelle mit einer kleinen überlebensfähigen Hessischen Gesellschaft für Ornithologie Population und in einem zweiten Gebiet und Naturschutz e.V. (HGON) mit sporadisch vor (s. Abb. 9). An wohl keiner Nachweis von 42 bis 45 Brutpaaren und anderen Art zeigt sich die flächige Revieren in elf Landkreisen ( Stübing Veränderung unserer Offenland-Ökosyste - 2002). me damit so deutlich wie am Steinschmätzer. b 2005 – 2009: Landesweit bislang detail - Dieser Beitrag fasst die Bestandsent- lierteste Erfassung aller Brutvogelarten wicklung der Art in Hessen für die Jahre im Rahmen der ADEBAR-Kartierung 2000 bis 2019 zusammen. Hierzu wurden mit Meldungen aus 15 Landkreisen ( Stü- sowohl das Artenhilfskonzept „Steinschmät- bing et al. 2010). Da über die fünf Kar- zer ( Oenanthe oenanthe ) in Hessen“ ( Stü- tierungsjahre die Maximalzahl pro bing & Werner 2014) als auch die Ergeb- Gebiet gewertet wurde, war der Ge- nisse des für den Steinschmätzer seit 2015 samtbestand sicher geringer als die von jährlich durchgeführten Monitorings sel- den Kartierern während der fünf Kartie- tener Brutvögel ausgewertet ( Norgall & rungsjahre gemeldeten 71 Brutpaare und Stübing 2015, 2016, 2017, 2018, 2019). Reviere. Für die Jahre der ADEBAR- Wir möchten allen hessischen Beobach- Kartierung darf daher ein Gesamtbestand terinnen und Beobachtern herzlich für ihre von 40 – 60 Brutpaaren/Revieren als Meldungen von Steinschmätzern und an- realistisch betrachtet werden, der somit deren Vogelarten im Rahmen der Daten- annähernd dem Ergebnis der in 2000 sammlungen der Hessischen Gesellschaft durchgeführten Erfassung entspricht.

5 b 2014: Zusammenstellung der in diesem die Staatliche Vogelschutzwarte für Hes- Jahr erfassten Bruten und Reviere im sen, Rheinland-Pfalz und Saarland be - Rahmen des Artenhilfskonzeptes Stein- treuten Monitorings seltener Brutvögel schmätzer ( Oenanthe oenanthe ) in Hes- (MsB) fortgeschrieben (zusammenge- sen ( Stübing & Werner 2014). Die Be- fasst in Norgall & Stübing 2019). Die standsdaten beruhen auf einer Experten- Bestände werden hierbei durch eine befragung und der Auswertung des Abfrage der zentralen Internetplattform Datenbestandes der Internetplattform www.ornitho.de sowie die Befragung www.ornitho.de. Brutvorkommen waren von Gebiets- und Artkennern ermittelt. demnach nur noch in vier Landkreisen Zusätzlich wurden auch die Angaben im bekannt. HGON-Birdnet und auf www.natur b 2015 – 2019: Seit 2015 werden die hessi - gucker.de durchgesehen. Das bedeutend - schen Bestandszahlen für den Stein- ste hessische Brutvorkommen auf der schmätzer jährlich im Rahmen des durch Deponie Wicker wird zudem jährlich von

Tabelle 1: Anzahl der Brutvorkommen des Steinschmätzers in den hessischen Landkreisen in den Jahren 2000, 2005 – 2009 sowie 2014 bis 2019 (Quellen s. Text; * = wochen - langer Aufenthalt im Mai, dann weg; ** = neben den Vorkommen im Deponie- bereich Wicker noch jeweils 1 Brutpaar Hochheimer Kiesgrube und 1 Revier Weilbacher Kiesgruben 2015 bzw. südlich Deponie Wicker 2016). Kreis 2000 2005 – 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2009 Kassel Werra-Meißner 4 Waldeck-Frankenberg 1 Schwalm-Eder Hersfeld-Rotenburg 3 Fulda 2 0 – 1* Marburg-Biedenkopf 1 Gießen 3 – 4 8 Lahn-Dill 54 Limburg-Weilburg 3 Vogelsberg 2 0 – 1* Wetterau 74 Main-Kinzig Hochtaunus 1 Main-Taunus 3 15 13 16 + 2** 12 + 2** 19 23 32 Rheingau-Taunus/ Wiesbaden 65211 – 2 Groß-Gerau 1 – 2 310 – 1 0 – 1 Offenbach 11 Darmstadt-Dieburg 12 – 13 16 1 0 – 1 0 – 1 1 Bergstraße 120 – 1 0 – 1 Summe 42 – 45 40 – 60 18 20 –22 15 –19 19 –20 24 32

6 den Autoren kontrolliert und kartiert. Somit war für die Jahre von 2000 bis In einem weiteren Gebiet, dem EU- 2009 noch von mehr als 40 bis maximal Vogelschutzgebiet (VSG) Griesheimer 60 Brutpaaren und Revieren des Stein- Sand, konnten im Rahmen eines inten- schmätzers als Landesbestand auszugehen, siven Monitorings im Auftrag der Obe- die sich auf 15 Landkreise verteilten. Danach ren Naturschutzbehörde im Regierungs- kam es zu einer massiven Abnahme. Ab präsidium Darmstadt nur noch unregel - dem Jahr 2014 erfolgten lediglich noch in mäßig Bruten nachgewiesen werden den folgenden neun Gebieten Bruten, oder (Kreuziger 2019). es gab Brutzeitbeobachtungen. In den

Abb. 2: Das Gelände der Rhein-Main-Deponie in Wicker (Foto: Stefan Stübing).

Abb. 3: Bruten erfolgten ursprünglich vor allem in Materialablagerungen; besetzter Brutplatz im Vordergrund und Bauschutt im Hintergrund (Foto: Stefan Stübing).

7 Jahren 2017 bis 2019 waren lediglich noch vögel und ihre Jungen rechts mit einem zwei Gebiete besiedelt ( Norgall & Stü- Alu-Ring der Vogelwarte Helgoland und bing 2019, Stübing & Werner 2014). Die links mit einem mit dem Fernglas ables- Vorkommen sind nach ihrer Bedeutung als baren Kennring markiert (s. Abb. 1), u. a. Brutplatz der Art sortiert. um die Rückkehrrate aus dem Winter- quartier und den Bruterfolg der einzelnen Tiere besser bestimmen und die Art dort 2.1 Rhein-Main-Deponie Wicker so noch gezielter schützen zu können. (s. Abb. 2 bis 5) Bitte bei Brutzeitbeobachtungen von Stein- schmätzern in Hessen und Rheinland-Pfalz In den Jahren 2015/16 konnten hier 16 daher gezielt auf eine mögliche Beringung bzw. 12 Brutpaare und Reviere festgestellt achten. werden. Während besonders intensiver Kartierungen in den Jahren 2017 bis 2019 wurden folgende Bestände erfasst: 13 Brut- 2.2 Griesheimer Sand bei Darm- paare (Bp), zwei Revierpaare (Rp) und vier stadt (s. Abb . 6 bis 8) unverpaarte Männchen (M) in 2017; 18 Bp, zwei Rp und drei M in 2018 sowie 26 Bp, In den 1980er Jahren brüteten hier fünf Rp und ein M im Jahr 2019 ( T. etwa 20 Paare, von denen zunächst die Norgall, S. Stübing, T. Sacher, C. Klei- Vorkommen im NSG Griesheimer Düne nert, B. Bauer ). Der Bestand im Deponie- verschwanden. 1995 waren noch zwölf bereich wird seit vielen Jahren von T. Paare vorhanden. Das Vorkommen hielt sich Norgall mit hohem Aufwand ehrenamtlich bis 2003, als 15 Paare festgestellt wurden, erfasst und durch intensive Schutzbe- auf hohem Niveau ( Wolf & Stübing 2003). mühungen in enger, vertrauensvoller Zu- Danach erfolgte auch in diesem Gebiet sammenarbeit mit den Betreibern der ein rascher Rückgang auf elf Brutpaare im Deponie geschützt und gefördert. In den Jahr 2006 und sieben bis neun Brutpaare in letzten Jahren ist eine spürbare Zunahme zu den Jahren 2007 bis 2010 ( Kreuziger et al. verzeichnen, die neben der Weiterführung 2010). Nach dem Jahr 2010 gelangen dort der Brutplatzmaßnahmen (s. Abb. 3 bis 5) im Rahmen eines intensiven Monitorings vermutlich auf die sehr trocken-heißen im Auftrag des Regierungspräsidiums Sommer der Jahre 2018 und 2019 zurück- Darmstadt ab dem Jahr 2014 nur noch zuführen ist ( Öberg et al. 2015). Im Rah- folgende Nachweise dieser Leitart der Sand- men einer besonders intensiven Kontrolle magerrasen ( Kreuziger 2014 – 2018, Abb. konnten dort schon während der Brutzeit 6): ein Brutpaar 2015 östlich des NSG 2012 insgesamt 20 Steinschmätzer-Vor- Griesheimer Düne in einem für die Art kommen (zehn erfolgreiche und zwei er - angelegten Steinhaufen (s. Abb. 7), Revier- folglose sowie sechs nicht weiter kontrol - verhalten eines Paares bis Ende Mai in den lierte Brutpaare, zwei Reviere) erfasst wer - Jahren 2016 und 2017 sowie 2018/20 ein den, so dass die geringeren Werte in durchgehend besetztes Revier bis Ende den Jahren 2014 bis 2016 vermutlich Juni (s. Abb. 8). Kreuziger (2017) fasste (auch) eine Folge geringerer Beobachtungs- zusammen: „Nachdem die stellenweise ver - intensität ist. Vermutlich war der Bestand besserte Habitatstruktur zu Beginn der demnach insgesamt seither etwa gleich- Fortpflan-zungsperiode wiederum eine bleibend und nahm in den letzten beiden offensichtlich starke Attraktivität auf die Jahren infolge umfangreicher Schutzmaß- Steinschmätzer ausgeübt hat und es dort nahmen und günstiger Witterung deutlich zumindest zeitweise zu Revierbesetzun- zu. gen, ggf. auch einem Brutversuch, kam, Seit dem Jahr 2019 werden im Deponie- verließen die Vögel das Gebiet jedoch gelände Wicker die Steinschmätzer-Brut- wieder etwa Ende Mai. Dies bestätigt die

8 Abb. 4: Die meisten Paare brüten in gezielt angebotenen Steinhaufen, die auf einer Plastik- plane ausgebracht werden, um ein Zuwachsen mit Vegetation zu verhindern (Foto: Stefan Stübing).

Abb. 5: Wird die Vegetation an Brutplätzen in Steinhaufen zu hoch, wird sie gezielt gemulcht (Foto: Stefan Stübing).

9 Abb. 6: Der Steinschmätzer ist immer noch eine der Leitarten für das NSG „Griesheimer Düne“ (Foto: Josef Kreuziger).

Abb. 7: Im Jahr 2015 besetzter Steinschmätzerbrutplatz östlich des NSG „Griesheimer Düne“; die Brut fand in einem für die Art angelegten Steinhaufen statt (Foto: Josef Kreuziger).

10 Hypothese, dass in erster Linie der zu 2.8 Frankfurt, Flughafen dieser Zeit stärkere Aufwuchs der Vege- tation die Vögel zum Verlassen des Gebie- Bruthinweis im Jahr 2016 (ein Ind. am tes veranlasste, da sich ab dieser Zeit 30. Mai, Malten schriftl. Mitt.); hier sind die Erreichbarkeit der Nahrung verschlech - weitere Vorkommen auch in anderen Jahren terte“. aufgrund der geringen Beobachteraktivität möglich bzw. wahrscheinlich.

2.3 Weinberge Rüdesheim 2.9 NSG Viernheimer Waldheide Im Jahr 1993 wurden hier 13 Brutpaare und US-Sendeanlage erfasst (R. & W. Rochau schriftl. Mitt.). Von 1999 bis 2003 schwankte das Vorkommen Hinweise auf ein bis zwei mögliche zwischen sechs und neun Paaren. 2005/07 Reviere im Zeitraum 2014 bis 2016 (Zurek wurden jedoch nur noch drei bzw. vier schriftl. Mitt.). Reviere ermittelt (HGON-Arbeitskreis Rheingau-Taunus, Flehmig und Hausch Nachdem die Bestände in den anderen schriftl. Mitt.). Zuletzt wurde 1999 ein Brutgebieten Hessens mit – bis etwa zum Revier bei Lorchhausen festgestellt, danach Jahr 2010 – noch größeren Vorkommen in fanden alle Bruten im Bereich zwischen der den Sandgebieten bei Darmstadt und den Ruine Ehrenfels und Rüdesheim statt Weinbergen im Rheingau westlich von (Korn & Stübing 2009). Letztmals wurden Rüdesheim inzwischen praktisch erloschen zwei Reviere im Jahr 2014 (Heuser schriftl. sind, handelt es sich bei dem Vorkommen Mitt.). und ein Revier im Jahr 2016 (Stein auf der Rhein-Main-Deponie in Wicker um und Wagner schriftl. Mitt.) bestätigt. die einzige überlebensfähige Population der Art in Hessen. Dieser Population kommt somit im Landes- (s. Abb. 9) wie auch im 2.4 Hochheimer Kiesgrube Bundesmaßstab (s. Abb. 10) eine sehr hohe Bedeutung zu. Abb. 11 zeigt die Entwick- Ein Brutpaar 2015 und 2016 (Vogt lung des hessischen Brutvorkommens an - schriftl. Mitt.). hand der Anzahl von Messtischblatt-Qua- dranten, in denen Brutvorkommen geschätzt (1954) bzw. ab 1980 gemeldet wurden. 2.5 Weilbacher Kiesgrube

Bruthinweis 2015, ein Revierpaar 2016 3 Diskussion (Dröse schriftl. Mitt.). Die für die Art charakteristische Bin- dung an Bereiche mit offenen Bodenstellen 2.6 Dyckerhoffbruch Wiesbaden hat dazu geführt, dass dieser weltweit so großflächig verbreitete Singvogel mittler - Je ein Revier 2015 und 2016 (Sacher weile eine der in Deutschland und Hessen schriftl. Mitt.). am stärksten bedrohten Brutvogelarten ist. In Hessen ist angesichts der einst weiten Verbreitung der Art (s. Gebhard & Sunkel 2.7 Mönchhof, Gewerbegebiet 1954) von einem Rückgang von mehr als 99 Prozent des Brutbestandes seit den Ein Brutpaar mit Bruterfolg 2014, 1950er Jahren auszugehen (s. Abb. 9 und Brutverdacht 2015 (Baumgart schriftl. 11). Auch bundesweit ist ein massiver Mitt.). Rückgang dokumentiert: 23000 Paaren in

11 den 1980er Jahren standen in den Jahren Landnutzung von Offenlandschaften im 2005 bis 2009 nur noch etwa 4200 bis Brutgebiet anzusehen (Umwandlung von 6500 Paare gegenüber ( Gedeon et al. 2014). Weideflächen in Ackerland, durch Düngung Vor allem in Süd- und Westdeutschland des Grünlandes Verlust der Kurzgrasigkeit sind seither zahlreiche Brutplätze erloschen, und offener Bodenstellen, Beseitigung von so dass sich das Verbreitungsbild hier ak- Brachen; Bauer et al. 2005). Dieser Ur- tuell nur noch auf ganz wenige Relikt- sachenkomplex, der unter dem Stichwort vorkommen beschränkt (s. Abb. 10). Ent- der „Intensivierung der Landnutzung“ zu - sprechend wird die Art sowohl in Hessen sammenzufassen ist, hat die großen Be- wie auch bundesweit in der Kategorie 1 der standsabnahmen zwischen den 1950er und Roten Listen als „Vom Aussterben bedroht“ 1970er Jahren hervorgerufen. Ab den geführt (VSW & HGON 2016, Grüneberg 1970/80er Jahren war die Art in Hessen et al. 2015). fast nur noch in Sekundärlebensräumen Im Gegensatz zu vielen anderen Lang- wie Sand-, Kies- und Lehmgruben, Stein- streckenziehern, aber passend zur Bevor- brüchen oder Baugebieten anzutreffen zugung trockener, wenig bewachsener (Berck & Fischer 1995, Stübing 2002). Lebensräume, sind die Bedingungen im Beschleunigt und vor allem flächen - Winterquartier für die Bestandsentwicklung deckend wirksam wurde der Habitatverlust offenbar nicht als entscheidender Faktor dann in den folgenden Jahrzehnten durch anzusehen ( Bauer et al. 2005). Dies bestä- direkten Nährstoffeintrag aus der Landwirt- tigen auch die stabilen Bestände im Alpen- schaft bzw. über die Luft. Die so erzeugte raum und in Skandinavien, wo die Brut- Nährstoffanreicherung („Eutrophierung“) bedingungen für die Art noch günstig sind. verändert das Vegetationswachstum hin zu Als wesentliche Ursache für den gravieren - geschlossenen, dicht und hoch aufwachsen - den Rückgangstrend der Art seit Ende des den Pflanzenbeständen. Selbst in nicht 20. Jahrhunderts ist demnach die veränderte direkt im Rahmen der landwirtschaftlichen

Abb. 8: Durch die verbesserte Habitatstruktur zu Beginn der Fortpflanzungsperiode kam es in den Jahren 2018 und 2020 zumindest zeitweise zu Revierbesetzungen; die Vögel verließen das Gebiet wegen des stärkeren Aufwuchses der Vegetation jedoch wieder etwa Ende Mai (Foto: Josef Kreuziger).

12 Abb. 9: Entwicklung der Brutvorkommen des Steinschmätzers in Hessen anhand der Lage von Vierteln der TK 1 : 25000 in den Zeiträumen um 1980 (grün, Behrens et al. 1985), 2005 – 2009 (orange, ADEBAR-Kartierung; Stübing et al. 2010) und 2017 – 2019 (diese Arbeit, rot; das Gebiet der einzigen überlebensfähigen Population im Depo- niebereich Wicker ist schwarz umrandet) (Kartografie: T. E. Reiners).

13 Nutzung gedüngten Bereichen führt die andere Art die flächige Veränderung unserer Eutrophierung zu einer Zunahme des Offenlandschaften von mageren, lückig Vegetationswachstums und so zu einem bewachsenen Standorten hin zu nährstoff - Verlust der vom Steinschmätzer benötigten, reichen Fettwiesen und ausgedehnten In- offenen und lichten Struktur ( de Schrijver tensivackerflächen vor Augen. Durch sein et al. 2011, Leuschner et al. 2013, Midolo Überleben allein in Sekundärlebensräumen et al. 2018, Kämpfer & Fartmann 2020). dokumentiert er gleichzeitig deren große Die Bestandsentwicklung des Stein- Bedeutung für die Artenvielfalt. Den Betrei- schmätzers führt uns damit wie kaum eine bern der Sand- und Kiesgruben und De-

n ≤ 11 11 < n ≤ 22 22 < n ≤ 37 37 < n ≤ 52 n > 52

Abb. 10: Orte mit sicheren Brutvorkommen des Steinschmätzers in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2020 nach dem Internetportal www.ornitho.de (Kartografie: Dachverband Deutscher Avifaunisten e.V.).

14 poniebereiche kommt damit, wie im Fall den seinerzeit sehr hohen Wildkaninchen- von Flussregenpfeifer, Uferschwalbe und Beständen von mehreren hundert Tieren zahlreichen weiteren Tier- und Pflanzen- dort zusammen ( Wolf & Stübing 2003, arten, eine außerordentlich hohe Verant- Stübing eigene Daten). wortung im Artenschutz zu. Aufgrund der schon erfolgten Nähr- Aus Naturschutzsicht muss es darüber stoffanreicherung im Boden ist eine Wieder- hinaus ein wichtiges Ziel sein, die noch vor - herstellung ausreichend magerer Flächen handenen Sandgebiete und Magerflächen teilweise nicht mehr durch Aushagerungs- mit größter Priorität zu schützen und zu maßnahmen zu erreichen. In solchen Fällen fördern und zudem auch Teile der ursprüng - wird mittlerweile das flächige Abschieben lich vorhandenen Magerflächen wiederher - des Oberbodens empfohlen ( Thorn 2018). zustellen. In diesem Zusammenhang kann Ein solcher Eingriff setzt in jedem Fall eine die Beweidung mit Equiden (Pferde und eingehende Prüfung voraus, um Schäden Esel) für Steinschmätzer wertvolle Habitat- an anderen Schutzgütern zu vermeiden. In strukturen schaffen (z. B. Entstehung von Auenlandschaften kann auch das Zulassen Wälzkuhlen durch Eselbeweidung, Bausch- von Auendynamik zum Entstehen von offe - mann mdl. Mitt.) (s. Abb. 12 und 13). Beson- nen, unbewachsenen Flächen beitragen. ders günstig für den Steinschmätzer ist eine Aktuell existiert mit der Deponie hohe Wildkaninchen-Dichte, da die Vegeta- Wicker nur ein Vorkommen, das sich auf - tion durch die Kaninchen sehr kurz gehalten grund umfangreicher Artenschutzmaßnah- wird und durch die Anlage ihrer Baue men und günstiger Grundbedingungen in Brutplätze und offene, gerne zur Nahrungs- einem relativ günstigen Zustand befindet suche genutzte Bodenstellen entstehen und das in den Jahren 2018 und 2019 sogar (Kämpfer & Fartmann 2020). Die relativ deutlich im Bestand zugenommen hat. hohen Brutbestände von bis zu 15 Brut- Dieses Beispiel belegt zugleich, dass die Art paaren im Bereich des Griesheimer Sandes mit den nötigen Anstrengungen durchaus bis Anfang dieses Jahrtausends fallen mit als Brutvogel erhalten werden kann.

Abb. 11: Anzahl der vom Steinschmätzer besiedelten Messtischblatt-Quadranten in Hessen in Zeiträumen 1954 (Mindestzahl geschätzt nach Angaben in Gebhardt & Sunkel 1954), um 1980 ( Behrens et al. 1985), 2005 bis 2009 ( Stübing et al. 2010) sowie 2014 bis 2016 und 2017 bis 2019 nach dem Ergebnis dieses Beitrags.

15 Abb. 12: Beispiel für die Schaffung offener Bodenstellen durch ein sich wälzendes Pferd (Stressenhausen/Thüringen; Foto: Gerd Bauschmann).

Abb. 13: Durch Esel des Landschaftspflegehofs Stürz geschaffene Offenbodenstelle (Foto: Gerd Bauschmann).

16 Umgekehrt zeigen die anderen Bei- logie und Naturschutz (Hrsg.) spiele, dass selbst die Vorkommen in EU- (1993 – 2000): Avifauna von Hessen – Vogelschutzgebieten durch die Ausweisung Eigenverlag. der Gebiete nicht profitiert haben und De Schrijver, A., P. De Frenne, E. Am- durch zu gering ausgeprägte oder fehlende poorter, L. Van Nevel, A. Demey, Maßnahmen selbst größere Vorkommen wie K. Wuyts & K. Verheyen (2011): das auf dem Griesheimer Sand innerhalb Cumulative nitrogen input drives weniger Jahre verschwinden können. species loss in terrestrial ecosystems. – Die Zukunft der Art in Hessen hängt Global Ecology and Biogeography, damit zunächst allein vom Umfang künst- (Global Ecol. Biogeogr.) 20 : 803 – 816. licher Artenschutzmaßnahmen wie dem Gebhardt, L. & W. Sunkel (1954): Die großtechnischen Offenhalten geeigneter Vögel Hessens. – W. Kramer, Frankfurt Sand- und Rohbodenstandorte und der a. M. S. 258 – 260. Schaffung geeigneter Niststandorte ab. Eine Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke, zentrale Bedeutung kommt dabei der C. Sudfeldt, W. Eikhorst, S. Fischer, Zusammenarbeit mit der Abbauindustrie, M. Flade, S. Frick, I. Geiersberger, aber auch neuen Wegen wie der Förderung B. Koop, M. Kramer, T. Krüger, N. der Art auf ohnehin offen gehaltenen Be- Roth, T. Ryslavy, F. Schlotmann, S. reichen wie z. B. Flughafengelände, Bahn- Stübing, S. R. Sudmann, R. Steffens, anlagen (vor allem ehemalige oder selten ge - F. Vökler & K. Witt (2014): Atlas nutzte Bereiche) sowie Hochspannungs- Deutscher Brutvogelarten. – Stiftung trassen in Flugsandgebieten zu. Vogelmonitoring Deutschland und Wir würden uns freuen, wenn alle Dachverband Deutscher Avifaunisten, Beobachterinnen und Beobachter in Hessen Münster. S. 596 – 597. in den kommenden Jahren besonders auf Grüneberg, C., H.-G. Bauer, H. Haupt, mögliche Brutvorkommen des Steinschmät- O. Hüppop, T. Ryslavy & P. Südbeck zers achten ( Südbeck et al. 2005) und ent - (2015): Rote Liste der Brutvögel sprechende Beobachtungen zeitnah an die Deutschlands, 5. Fassung vom 30. 11. Autoren dieses Beitrags weiterleiten wür - 2015). – Ber. Vogelschutz 52 : 19 – 68. den, um ggf. umgehend Schutzmaßnahmen Kämpfer, S. & T. Fartmann (2020): einleiten zu können. Wildkaninchen als Schlüsselfaktor: Der beste Freund des Steinschmätzers. – Der Falke 4/2020 : 22 – 25. 4 Literatur Korn, M. & S. Stübing (2009): Grund- datenerhebung zum VSG „Weinberge Bauer, H., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Rüdesheim“. – Gutachten im Auftrag Das Kompendium der Vögel Mittel- des RP Darmstadt. europas. Alles über Biologie, Gefähr- Kreuziger, J. (2017): Monitoring zum dung und Schutz, 2. Aufl. – Aula- Steinschmätzer Oenanthe oenanthe Verlag, Wiebelsheim. im Vogelschutzgebiet „Griesheimer Bauschmann, G. (2010): Erstellung von Sand“ (6117-401) unter besonderer Artenhilfskonzepten in Hessen. – Berücksich tigung des Teilgebietes Vortrag auf dem Expertenworkshop „Ehemaliger August-Euler-Flugplatz“ Uferschnepfe 2010, Echzell. im Jahr 20 17. – Gutachten im Auftrag Behrens H., K. Fiedler, H. Klamberg & des RP Darmstadt. K. Möbus (1985): Verzeichnis der Kreuziger , J. (2018): Monitoring zum Vögel Hessens. – Eigenverlag. S. 85, 151 . Steinschmätzer Oenanthe oenanthe Berck, K. H. & A. Fischer (1995): Stein- im Vogelschutzgebiet „Griesheimer schmätzer – Oenanthe oenanthe – Sand“ (6117-401) im Bereich „NSG In: Hessische Gesellschaft für Ornitho- Ehemaliger August-Euler-Flugplatz“

17 im Jahr 2018. – Gutachten im Auftrag oenanthe ) in Hessen. – Gutachten des RP Darmstadt. der Staatlichen Vogelschutzwarte Kreuziger, J., S. Schäfer, H. Wolf, H.- Frankfurt a. M. G. Fritz, W. Heimer & W. Horn Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, (2010): Bemerkenswerte Vogelbeob- K. Gedeon, T. Schikore, K. achtungen aus Südhessen aus dem Jahr Schröder & C. Sudfeld (2005): 2010. – Collurio 28 : 243 – 312. Methodenstandards zur Erfassung der Leuschner, C., K. Wesche, S. Meyer, B. Brutvögel Deutschlands. S. 520 – 521. Krause, K. Steffen, T. Becker & H. Thorn , S. (2018): Weniger ist mehr – Ober- Culmsee (2013): Veränderungen und bodenabtrag als Naturschutzmaß- Verarmung in der Offenlandvegetation nahme in Wachtelköniglebensräumen. Norddeutschlands seit den 1950er Jahren: – Vortrag Fachtagung „Natura 2000 in Wiederholungsaufnahmen in Äckern, Hessen – Artenhilfskonzept (AHK) Grünland und Fließgewässern. – Ber. Wachtelkönig“ am 17. 05. 2018 Echzell. d. Reinh.-Tüxen-Ges. 25: 166 – 182. VSW & HGON ( Staatliche Vogelschutz- Midolo, G., R. Alkemade, A. M. warte für Hessen, Rheinland-Pfalz Schipper, A. Benítez-López, M. P. und Saarland & Hess. Gesellschaft Perring & W. de Vries (2018): für Ornithologie und Naturschutz ) Impacts of nitrogen addition on plant (2016): Rote Liste der bestandsgefährde- species richness and abundance: ten Brutvogelarten Hessens – 10. Fas- A global meta-analysis. – Global Ecol sung, Stand Mai 2014. Biogeogr. 28 : 398 – 413. Wolf, H. & S. Stübing (2003): Der Stein- https://doi.org/10.1111/geb.12856 schmätzer ( Oenanthe oenanthe ) im Norgall, T. & S. Stübing (2019): Moni- Griesheimer Sand bei Darmstadt – mit toring seltener Arten und Etablierung Folgerungen für den Naturschutz. – des Monitorings von Einzelvorkom- Collurio 21 : 19 – 28. men und Koloniebrütern: Brutvor- kommen des Steinschmätzers Oenanthe oenanthe in Hessen 2019. – Gutachten im Auftrag der Staatlichen Manuskript eingereicht am 04. 11. 2019, Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- angenommen am 16. 01. 2020 land-Pfalz und Saarland, Frankfurt a. M. Öberg, M., D. Arlt, P. Tomas, A.T. Laugen, S. Eggers & M. Low (2015): Anschriften der Verfasser: Rainfall during parental care reduces reproductive and survival components Stefan Stübing, of fitness in a passerine bird. – Ecology Am Eichwald 27, and Evolution 5. D-61231 Bad Nauheim, Stübing , S. (2002): Ergebnisse der Stein- E-Mail: [email protected] schmätzer ( Oenanthe oenanthe ) – Thomas Norgall, Kartierung in Hessen im Jahr 2000. – Geleitsstraße 14, Vogel & Umwelt 13 : 11 – 16. Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & D-60599 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel Hessens in Raum und Dr. Matthias Werner, Zeit. Brutvogelatlas. – Hrsg.: Hessische Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Gesellschaft für Ornithologie und Natur- Rheinland-Pfalz und Saarland, schutz (HGON), Echzell. S. 414 – 415. Steinauer Straße 44, Stübing, S. & M. Werner (2014): Artenhilfs- D-60386 Frankfurt am Main, konzept Steinschmätzer ( Oenanthe E-Mail: [email protected]

18 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 19 – 24 (2020)

Die Feldlerche ( Alauda arvensis ) in der Gemarkung Worfelden (Südhessen) – Ergebnisse einer vergleichenden Kartierung im Abstand von 24 Jahren vo n Jürgen Hoyer , Worfelden Keywords: Alauda arvensis, Bestandsabnahme, Landwirtschaft, Folienabdeckung, Hessen

Zusammenfassung 1 Einleitung

Im Jahr 2019 wurden in der Gemarkung Nachdem der NABU bereits 1998 die Worfelden (Kreis Groß-Gerau) im Rahmen Feldlerche zum „Vogel des Jahres“ gekürt einer flächenhaften Kartierung mit 14 Be- hatte, wurde dieser Bewohner der offenen gehungen auf 820 ha die Reviere der Feld- Feldlandschaft im Jahre 2019 wiederum als lerche erfasst und mit einer Untersuchung „Vogel des Jahres“ ausgewählt, um auf die von Alfred Krug aus dem Jahr 1995 ver- stark negative Bestandsentwicklung der glichen. Die Zahl der Feldlerchenreviere ist Vogelarten in der offenen Agrarlandschaft in diesem Zeitraum um fast 57% zurück- hinzuweisen (Abb. 1) gegangen. Die größten Bestandsrückgänge Von dem verdienten Vogelschützer und waren in den intensiv landwirtschaftlich Naturfotografen Alfred Krug liegt für das genutzten Bereichen mit großem Anteil an Gemarkungsgebiet Worfelden (Ortsteil von Folienabdeckung und im Umfeld des heu- Büttelborn) eine flächendeckende Erfassung tigen Golfplatzes zu verzeichnen. aus dem Jahr 1995 vor ( Krug 1996, 2000). Dies wurde seitens des NABU Worfelden zum Anlass genommen, die Kartierung im Summary Jahr 2019 zu wiederholen. Weitere Vogel- arten der offenen Feld- und Wiesenflur sind In 2019, Eurasian Skylark territories in der Worfelder Gemarkung in diesem were mapped as part of an extensive mapp- Zeitraum gänzlich verschwunden. Zu nen - ing scheme involving 14 field visits to an nen wären besonders der Große Brachvogel area of 820 ha in Worfelden (a part of the und der Kiebitz. Dieser ist hier z. B. von Büttelborn municipality) and compared to ehemals 12 Brutpaaren im Jahr 1974 kon- a similar study which had been conducted tinuierlich zurückgegangen, seit dem Jahr by Alfred Krug in 1995. The results showed 2000 ist die hiesige Brutpopulation erlo - that between 1995 and 2019 the number of schen. Eurasian Skylark territories declined by Für die Feldlerche liegen aus Hessen im approximately 57%. The most significant gleichen Zeitraum sowohl Abschätzungen population decline was observed in areas des Landesbestandes aus den Rote-Liste- subject to intensive agricultural land use Bearbeitungen, als auch Daten von Probe- which had a large proportion of arable flächen aus landesweiten Kartierungen vor land under plastic sheeting as well as in the (VSW & HGON 1997, 2016, Stübing et al. vicinity of the golf course constructed in 2010, Stübing & Meier 2017). Demnach the intervening period. gab es 1994 in Hessen noch über 400 000 Reviere, in der letzten Rote Listen der be - standsgefährdeten Vogelarten wird der Be- stand 2014 noch mit ca. 150 000 – 200 000 Revieren angegeben. Die ehemalige „Aller-

19 Ortslage herum befinden sich ausgedehnte Ackerfluren, zumeist auf sandigen Böden. Die Gemarkung wird von mehreren Bächen durchzogen, wobei die ehemaligen Bach- auen des Apfelbachs im Norden und des Mühlbachs im mittleren Bereich als Vertie- fungen im Gelände deutlich wahrnehmbar sind („Bachgrund“). Im Bearbeitungszeitraum ist im Nor- den der Gemarkung auf ehemals landwirt - schaftlich genutzten Flächen ein Golfplatz entstanden. Die landwirtschaftliche Nutzung wurde seit 1995 deutlich intensiviert. Weite Teile der nördlichen und südlichen Gemar- kung sind heute mit Sonderkulturen wie Spargel, Erdbeeren und Salatkulturen be - standen. Der Anteil der Folienabdeckung und Folientunnel im Frühjahr kann im Jahr 2019 mit rund 25 – 30 % abgeschätzt werden. Der landwirtschaftliche Anbau unter Folie konzentriert sich insbesondere auf die Abb. 1: Futter tragende Feldlerche Gemarkungsbereiche im Norden und Süden (Foto: Alfred Krug). der Ortslage Worfelden. 1995 spielte der Anbau unter Folie in der Region noch überhaupt keine Rolle und lag unter 1 %. weltsart“ wurde zuletzt auf der Vorwarnliste zur Roten Liste geführt (Kategorie V). Großräumige Vergleichskartierungen 3 Methodisches Vorgehen von Gesamt-Gemarkungen sind in Hessen selten. Die vorliegende Kartierung erscheint Die Erfassung fand im Zeitraum vom auch deshalb von Interesse, weil die Land- 29. März bis 11. Juni 2019 statt. Insgesamt wirtschaft sich in der Gemarkung Worfel- waren es 14 Begehungen der gesamten Ge- den im besagten Zeitraum durch das Aus- markungsfläche, davon die Mehrzahl früh weiten von Sonderkulturen wie Spargel und am Morgen nach Sonnenaufgang. Die Erdbeeren weiter intensiviert hat, wodurch Methodik richtete sich im Wesentlichen der Anteil der Kulturen unter Folienab- nach Südbeck et al. (2005). Dabei wurden deckung drastisch erhöht wurde. alle Gemarkungsbereiche flächendeckend mehrfach begangen und in der Regel von den Feldwegen aus die Reviere verortet. 2 Untersuchungsgebiet Schwerpunkt der Erfassungen war der Monat April mit 7 Begehungen. Erfasst Das Untersuchungsgebiet liegt im wurden nach dem Methodenstandard alle nordöstlichen Teil des Landkreises Groß- singenden Feldlerchen, diese wurden der je - Gerau und ist 820 ha groß. Es gehört na - weiligen Fläche zugeordnet und idealisierte turräumlich vollständig zum sogenannten Reviermittelpunkte dargestellt. Insgesamt „Hegbach-Apfelbach-Grund“ in der West- wurden dazu knapp 40 Beobachtungs- lichen Untermainebene. Die Gemarkung stunden aufgewendet. Die erfassten Revier- Worfelden wird in ihrem nördlichen Bereich zahlen wurden mit der methodisch ähn- durch Waldareale begrenzt, die für die lichen Vorgehensweise aus 1995 verglichen Feldlerche nicht nutzbar sind. Um die (Krug 2000).

20 Entwicklung Feldlerche Krug: 1995 Hoyer: 2 01 9

Abb. 2: Feldlerchen-Reviere 1995 (blau, nach A. Krug 1995) und 2019 (rot, nach J. Hoyer) (Kartengrundlage: Natureg-Viewer).

21 4 Ergebnisse und Diskussion lerche bietet die Golfplatzfläche allerdings nur noch in ihren Randbereichen geeigneten Die in den Vergleichsuntersuchungen Lebensraum. Außerhalb dieser Flächen ist erfassten Feldlerchen-Reviere sind in Abb. 2 aufgrund des flächenhaften Folienanbaus dargestellt. (Abb. 3 und 4) und zahlreicher Sonderkul- Insgesamt wurden im Jahr 1995 noch 58 turen der Rückgang der Feldlerche kaum Feldlerchen-Reviere erfasst, im Jahr 2019 wesentlich geringer. Insbesondere im nord - waren es demgegenüber nur noch 25 Re- westlichen Teil ist die Anzahl der Brut- viere. Die Bestandszahlen bedeuten einen reviere dadurch von neun auf zwei drama - bedauerlichen Rückgang von 56,9 %. Inner- tisch zurückgegangen. halb von 24 Jahren ist die Anzahl der Reviere „Worfelden Mitte“ somit um deutlich mehr als die Hälfte Die 1995 noch ortsnah direkt östlich zurückgegangen. Bei der Erhebung im Jahre und westlich der Ortslage vorzufindenden 1995 hatte Alfred Krug bereits festgestellt, Reviere sind mittlerweile erloschen. dass der Bestand an Feldlerchen schon da - mals auffallend zurückgegangen war. Dies „Worfelder Süden“ konnte er jedoch aufgrund mangelnder Das Gemarkungsareal im „Worfelder Vergleichserfassungen nicht mit Zahlen be - Süden“ weist gegenüber den anderen Ge- legen. Er beklagte in diesem Zusammenhang markungsbereichen noch den geringsten die strukturelle Umwandlung der Anbau- Bestandsrückgang auf. Allerdings sind mit kulturen, wonach damals bereits etwa 30 % nahezu 40 % Bestandsrückgang auch hier der offenen Agrarlandschaft infolge des in - die Verluste gravierend. tensivierten Spargelanbaus als für die Feld- lerche ungeeignete Brutreviere ausgeschie - In allen drei Worfelder Gemarkungs- den seien ( Krug 1996, 2000). arealen konnten im 24-Jahres-Zeitraum für Die erfassten Reviere verteilen sich auf die Feldlerche deutliche Bestandsrückgänge die drei Worfelder Gemarkungsareale, wie festgehalten werden. Diese liegen insgesamt in Tab. 1 angegeben. noch deutlich über dem hessischen Landes- durchschnitt von 44,4 %. Das „Monitoring „Worfelder Norden“ häufiger Brutvögel“ weist im Vergleichs- Der größte Bestandsrückgang ist da- zeitraum einen Bestandsrückgang von rund bei im „Worfelder Norden“ zu verzeichnen. einem Drittel aus (s. Stübing & Meier 2017 Ein Teil der landwirtschaftlich genutzten – für den Zeitraum von 1998 bis 2015). Im Flächen wurde hier in einen Golfplatz um - vorliegenden Fall waren die Rückgänge gewandelt. Diese Flächen besitzen z. T. für kleinräumig dort am höchsten, wo der andere, auch seltenere Vogelarten, wie z. B. Sonderkultur-Anbau am intensivsten und Zwergtaucher, Blaukehlchen und Rohr- die Folienbedeckung im Frühjahr am höch - ammer, einen gewissen Wert. Für die Feld- sten war.

Tabelle 1: Verteilung der erfassten Feldlerchenreviere auf die drei Worfelder Gemarkungs- areale. Gemarkungsareal Reviere 1995 Reviere 2019 Bestandsrückgang in % Worfelder Norden 33 9 72,7 % davon heutiger Golf- platz im Nordosten 18 4 77,8 % Worfelden Mitte 30100,00 % Worfelder Süden 22 16 38,50 % Gesamt 58 25 56,90 %

22 Abb. 3: Rund 25 – 30 % der Ackerflächen rund um Worfelden waren im Untersuchungsjahr 2019 mit Folie bedeckt, in einzelnen Gemarkungsarealen auch deutlich mehr. Hier der „Worfelder Norden“, auch die südlich Worfelden gelegenen Flächen sind erkennbar (Foto: Leo Petri).

Abb. 4: Die komplett abgedeckte Folien-Ackerlandschaft bietet „Feldlerche & Co“ keinen Lebensraum mehr. Auf dem Foto ein Teilausschnitt im „Worfelder Norden“. Im Hintergrund befinden sich der Golfplatz Worfelden und Folientunnel (Foto: Leo Petri).

23 Weiterhin ist zu bedenken, dass die in Die Brutvögel Hessens in Raum den Sonderkulturen brütenden Feldlerchen und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell, aller Wahrscheinlichkeit nach nur geringe S. 320 – 321. Bruterfolge zeitigen, da zu Beginn der Brut- Stübing, S. & L. Meier (2017): Bestands- zeit noch relative Ruhe auf den Äckern entwicklung der Feldlerche ( Alauda herrscht. Nach dem Einsetzen der Spargel- arvensis ) in Hessen – Vergleich zweier saison Mitte bis Ende April und der Erd- landesweiter Kartierungen in den beerernte Anfang Mai ist jedoch täglich z. T. Jahren 1998 und 2015. – Vogel & mehrfach eine große Zahl von Erntehelfern Umwelt 22 : 43 – 48. auf den Feldern, so dass zahlreiche Erst- VSW & HGON ( Staatliche Vogel- bruten durch die häufigen Störungen schei - schutzwarte für Hessen, Rhein- tern dürften. land-Pfalz und Saarland & Die vorliegende Arbeit liefert somit Hessische Gesellschaft für einen deutlichen Nachweis dafür, dass die Ornithologie und Naturschutz) Bestandsrückgänge bei der Feldlerche in (1997): Rote Liste der bestandsgefähr- von Sonderkulturen mit Folienanbau do- deten Brutvogelarten Hessens – 8. minierten Ackerlandschaften noch einmal Fassung, Stand April 1997, Wiesbaden. eklatant höher sind als in der „normalen“ VSW & HGON ( Staatliche Vogel- Feldflur. schutzwarte für Hessen, Rhein- land-Pfalz und Saarland & Hessische Gesellschaft für 5 Danksagung Ornithologie und Naturschutz) (2016): Rote Liste der bestandsgefähr- Vielen Dank an den NABU Worfelden deten Brutvogelarten Hessens – 10. für die Unterstützung, insbesondere an Fassung, Stand Mai 2014, Wiesbaden. Torsten Petri für die hilfreichen Vergleiche der Brutplätze. Leo Petri sei für die zur Verfügung gestellten Drohnenbilder ge - dankt.

6 Literatur

Krug , A. (1996): Die Feldlerche – ihr aktu - elles Vorkommen in der Gemarkung Worfelden. – Collurio (Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Südhessen) 14 : 63 – 66. Krug , A. (2000): Streifzüge durch die Natur. Die Feldlerche – Vogel Manuskript eingereicht am 26. 05. 2020, des Jahres 1998 – Büttelborn (Hrsg. angenommen am 15. 06. 2020. F. Spengler): S. 11 – 13. Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, K. Gedeon, T. Schikore, K. Schröder & C. Sudfeldt (Hrsg.; Anschrift des Verfassers: 2005): Methodenstandards zur Erfas- sung der Brutvögel Deutschlands, Jürgen Hoyer, Radolfzell, S. 468 – 469. Unterdorf 38, Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & D-64572 Büttelborn-Worfelden, M. Werner (2010): Vögel in Hessen. E-Mail: [email protected]

24 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 25 – 38 (2020)

Der Einfluss von Folientunneln und Sonderkulturen auf den Kiebitz (Vanellus vanellus ) im Bereich der südhessischen Agrarlandschaft von Josef Kreuziger , Linden Keywords: Vanellus vanellus, Bestandsentwicklung, Agrarlandschaft, Folientunnel, Sonderkulturen, Südhessen Zusammenfassung Entsprechende Beschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung in Verbin- Der Kiebitz gehört zu denjenigen Ar- dung mit umfangreichen Schutzmaßnahmen ten, die in Hessen aufgrund sehr starker sind daher dringend umzusetzen, wenn das Bestandsrückgänge bereits seit längerer Aussterben dieser Population noch verhin - Zeit als „vom Aussterben bedroht“ (RL 1) dert werden soll. eingestuft werden mussten. Seine letzten Verbreitungsschwerpunkte befinden sich in der Wetterau, in der Regel auf beweide- Summary tem Feuchtgrünland sowie in der Rhein- ebene im Hessischen Ried, wo Kiebitze The northern lapwing is among the nahezu ausschließlich auf Äckern brüten. species that have long been classified as Da dort zunehmend der Anbau von Sonder- “critically endangered” (Red List Cat. 1) in kulturen unter Folie vorangetrieben wird Germany’s regional state of Hesse due to und zudem vermehrt Folien-Gewächshaus- the species’ very strong population decline. Tunnel zum Einsatz kommen, wurde 2017 Its last strongholds are located in the deren Einfluss auf die Kiebitze im Bereich Wetterau region, generally on grazed humid eines der letzten Schwerpunkte im südli- grassland, and in the Rhine plain in the chen Kreis Groß-Gerau („Fängenhoffeld“ Hessian Ried where northern lapwings bei ) untersucht. breed almost exclusively on arable land. Die Erfassungen zur Raumnutzung der Given that in the latter region there has Kiebitze bestätigten, dass Folientunnel er - been a significant push for the production of wartungsgemäß Meideeffekte bewirken, die specialty crops under plastic mulches, and in einer Größenordnung von etwa 100 m crops are also increasingly being produced Abstand anzusetzen sind. Der zunehmende in polytunnels, a study was undertaken Einsatz solcher Tunnel in Verbindung mit (in 2017) of the impact of protected cropp- einer weiteren Intensivierung der landwirt - ing on northern lapwings in one of their schaftlichen Nutzung vor allem durch last centres of distribution in the southern Folien sowie einer hohen Anzahl an Ernte- Groß-Gerau district (“Fängenhoffeld” near helfern, die zur Ernte einiger Sonderkul- Gernsheim). turen (Spargel, Erdbeeren, Himbeeren) be- Systematic observations of the northern nötigt werden, bedingte zudem eine suk- lapwings’ spatial behaviour confirmed the zessive Verkleinerung der für Kiebitze nutz - expectation that polytunnels give rise to baren Bereiche des ehemals großräumig avoidance effects, with an effect distance of besiedelten Raumes zwischen Crumstadt approximately 100 m. The increasing use und Gernsheim. Dabei verringerte sich die of such polytunnels in conjunction with a dort ansässige lokale Population in weni- further intensification of agricultural land ger als zehn Jahren von 30 bis 35 auf nun - use especially by means of plastic mulches, mehr nur noch fünf bis acht Reviere im as well as the requisite large number of Jahr 2017. harvest workers for specialty crops (aspara -

25 gus, strawberries, raspberries) also resulted (Ampelfarbe „rot“) aufweisen. Dies ist vor in a successive reduction in the area available allem durch dessen sehr starke Bestands- to northern lapwings in the area between abnahme bergründet, in Folge derer er in Crumstadt und Gernsheim which had for - der Roten Liste Hessen bereits seit län- merly been widely populated by the species. gerer Zeit in der Kategorie 1 („vom In less than ten years the area’s local popu- Aussterben bedroht“) eingestuft werden lation declined from 30 to 35 to a mere 5 to musste ( Kreuziger et al. 2006). Auch in 8 territories. der aktuellen Roten Liste (VSW & HGON Appropriate restrictions to agricultural 2016) auf Basis von Stübing et al. (2010) land use in conjunction with comprehensive hat sich daran nichts geändert. Brüteten protective measures for the species will vor etwa 30 Jahren noch gut 2000 Paare therefore be urgently needed if the extir- des Kiebitzes in Hessen ( Graf in HGON pation of this population is yet to be pre- 2000), reduzierte sich sein Bestand bis vented. zur Jahrtausendwende auf nur noch 300 bis 400 Paare. Seither kam es zu weiteren Rückgängen, so dass die letzten Jahre nur 1 Einleitung noch etwa 250 bis 300 Paare in Hessen brü- teten ( Stübing & Werner 2017, Stübing Der Kiebitz gehört nach Werner et al. 2019). (2014) zu denjenigen Arten, die in Hes- Die letzten regelmäßig besiedelten Ver- sen einen schlechten Erhaltungszustand breitungsschwerpunkte befinden sich in der

Abb. 1: Abgrenzung des UG „Fängenhoffeld“ (grün) mit Lage der Folientunnel (blau) und eigenzäunter Maßnahmenfläche (rot) sowie Ausprägung der Habitate zu Beginn der Fortpflanzungsperiode 2017 (schwarz schraffiert: frühzeitig aufgewachsene Flächen, ungeeignet für den Kiebitz; weiß: Folien (Kartengrundlage: OpenStreetMap).

26 Abb. 2: Landschaftliche Ausprägung des UG als ausgeräumte und intensiv genutzte Agrar- landschaft. Im Vordergrund ist die Maßnahmenfläche mit Elektrozaun und Bewäs- serungspumpe zu sehen, im Hintergrund (weiß) einer der Folientunnel (Foto: Josef Kreuziger).

Abb. 3: Bewässerte Maßnahmenfläche im März 2017 (Foto: Josef Kreuziger).

27 Wetterau, wo Kiebitze vor allem noch auf 2 Untersuchungsgebiet beweidetem Feuchtgrünland brüten, sowie in der Rheinebene im Hessischen Ried vor Das Untersuchungsgebiet „Fängenhof- allem im Kreis Groß-Gerau, wo die Kiebitze feld“ (UG) befindet sich im südlichen Kreis nahezu ausschließlich auf Äckern brüten Groß-Gerau im Bereich zwischen Biebes- (Werner et al. 2017). Da in diesen Bereichen heim, Crumstadt, -Hahn und zunehmend der Anbau von Sonderkulturen Gernsheim-Allmendfeld und betrifft den unter Folie vorangetrieben wird und zu- nördlichen Teil des deutlich größeren, dem vermehrt auch als „Bauwerk“ wirkende ursprünglich auch im südlichen Bereich Folien-Gewächshaus-Tunnel zum Einsatz besiedelten „Kiebitz-Teilgebietes 1“ (nach kommen (s. Abb. 7), wurde der Einfluss die - Werner et al. 2017). Hierbei handelt es ser Strukturen auf die Kiebitzvorkommen sich um eine weitläufig ausgeräumte und anhand einer Beispielregion im südlichen intensiv genutzte Agrarlandschaft, die nur Kreis Groß-Gerau (Bereich „Fängenhof- in ihren Randbereichen mit Heckensäumen feld“ zwischen Gernsheim und Crumstadt) versehen ist. Dort befinden sich seit knapp gezielt untersucht. zehn Jahren an wechselnden Stellen mehrere Im folgenden Bericht werden die Er- Folientunnel. Im Untersuchungsjahr 2017 gebnisse dieser von der Staatlichen Vogel- waren es zwei, davon einer im westlichen schutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz Teil des UG sowie einer im Nordosten. und Saarland beauftragten Untersuchung Darüber hinaus stand noch ein dritter vorgelegt, um vor diesem Hintergrund Folientunnel nördlich knapp außerhalb des aufbauend auf den Empfehlungen des UG. Als spezielle Schutzmaßnahmen für Artenhilfskonzepts Kiebitz ( Stübing & den Kiebitz wurde im südwestlichen Teil Bauschmann 2011) weitere Empfehlungen des UG 2017 ein Flurstück als Rohacker für den wirkungsvollen Schutz dieser Art belassen und zum Beginn der Fortpflan- in ackerdominierten Landschaften zu ge - zungsperiode vernässt und eingezäunt (s. ben. Abb. 1, 2 und 3).

Abb. 4: Himbeerkulturen, im Hintergrund Folientunnel (Foto: Josef Kreuziger).

28 3 Methode zu lokalisieren und den Bruterfolg zu ermit - teln. Darüber hinaus wurden auch zurück - Die Bestands- und Bruterfolgserfassun- liegende Daten zu Brutvorkommen des gen des Kiebitzes inklusive seiner Raum- Kiebitzes im UG berücksichtigt und ausge - nutzung im UG erfolgten in 2017 etwa wertet, die dankenswerterweise von Heidi wöchentlich ab März bis Juni mit üblicher - Theiss und Johannes Kilian, Kreisbeauf- weise vierstündigen Begehungen, die im tragte für Vogelschutz der Staatlichen Vogel- Regelfall vormittags durchgeführt wurden. schutzwarte, gesammelt und zur Verfügung Darüber hinaus wurden weitere regelmäßige gestellt wurden. Kontrollen seitens des Ehrenamtes durchge - führt, deren Ergebnisse ergänzend berück - sichtigt wurden. Insgesamt liegt damit eine 4 Ergebnisse durchgängige und repräsentative Datenbasis von über 30 Beobachtungstagen vor. Es 4.1 Habitate wurden alle Kiebitze registriert und soweit möglich punktgenau verortet, ihr Verhalten Um die Abhängigkeit von den konkre - aufgenommen und auf dieser Basis die ten Gegebenheiten vor Ort besser einschät - Revierzentren sowie die Raumnutzung er - zen zu können, wurde eine Erfassung der fasst. Ergänzend wurde versucht, die Gelege Lebensraumeignung aus Sicht des Kiebitzes

Abb. 5: Raumnutzung in Abhängigkeit von der Ausprägung der Habitate (gelbe Kreise: Gelege oder mit hoher Wahrscheinlichkeit brütend (inkl. der nur sehr kurzfristig be - setzten Standorte). Die beiden nördlich des UG gezeigten Paare befanden sich etwa 50 – 100 m weiter nördlich als hier schematisch dargestellt. Rosa, dicke Linie: regel - mäßig genutzter Raum, dünne Linie: gelegentlich genutzter Raum. Hellgrün: „einge - zäuntes „Salatfeld“, ansonsten s. Abb. 1 (Kartengrundlage: OpenStreetMap).

29 durchgeführt. Diese Erfassung der artspe- 4.2 Bestand zifisch bedeutsamen Habitate erfolgte zu Beginn der Fortpflanzungsperiode, da diese Auf Basis der Beobachtungen lässt sich strukturelle Ausprägung während der An- der Bestand im UG 2017 zusammenfassend siedlungsphase sehr wichtig ist. Entschei- folgendermaßen beschreiben: dend ist hier vor allem das Vorhandensein Die Erstbeobachtung eines Trupps mit offener (brauner) Rohböden, bevorzugt mit 30 Individuen im UG erfolgte am 19. vernässten Bereichen. Flächen, die zu dieser Februar. Ende Februar kam es kurzfristig Zeit bereits aufgewachsen (begrünt) sind, zu stärkerem Durchzug mit 100 rastenden besitzen im Regelfall keine Attraktivität Kiebitzen am 25. Februar, die sich vor allem mehr für den Kiebitz. In Abb. 1 wird die im Bereich direkt nördlich des UG aufhiel - Situation zu Beginn der Brutperiode 2017 ten. Ab Anfang März waren es wieder um dargestellt. die 30 Individuen, die sich im Raum nörd - Hier ist zu ersehen, dass bereits weite lich des UG, aber auch innerhalb des UG Teile (mehr als die Hälfte) des UG nicht aufhielten. mehr oder nur noch sehr begrenzt für den Etwa Mitte März hatte sich dieser Kiebitz nutzbar waren, weil keine offenen Trupp aufgeteilt; erste Balzaktivitäten und Rohböden mehr zur Verfügung standen. beginnende Revierbesetzungen wurden am Darüber hinaus kam es zu vollständigen 19. März registriert, wobei dies im UG drei Flächenverlusten durch die Folientunnel bis vier Paare betraf, die primär im Bereich sowie Beeinträchtigungen durch die Folien, zwischen den beiden Folientunneln balzten. die aber nur auf einer Fläche ausgelegt Ganz zu Beginn dieser Periode kam es be - waren. Diese Voraussetzungen bedingten zeichnenderweise auch zu Balzflügen direkt 2017 im Wesentlichen die Raumnutzung der über dem östlichen Folientunnel, wo sich lokalen Population wie auch die Lage der im Jahr zuvor ein Nistplatz befunden hatte. Nester (s. Abb. 5). Im näheren Umfeld wurden bis Ende März e r a a P

Jahr Abb. 6: Bestandsentwicklung des Kiebitzes im Umfeld des UG (Daten bis 2016 aus Werner et al. 2017).

30 die ersten beiden Reviere besetzt. Danach auf die eingezäunte und zu dieser Zeit verlagerte sich das Geschehen mehr nach zudem stark bewässerte Fläche nördlich des Westen auf die Fläche nordöstlich des west - westlichen Folientunnels, die mit Salat und lichen Folientunnels („Mitte-Nord“). Blumen bepflanzt war („Salatfeld“). Dort Mitte April wurde im zuerst genutzten kam es wiederum zu mindestens einem, Bereich ein Brutpaar östlich des Folien- ggf. auch mehreren Brutversuchen, da dort tunnels im Nordosten des UG registriert. später jüngere wie ältere Dunenjunge bzw. Ein zweites wurde im nördlichen Umfeld Jungvögel beobachtet werden konnten. Ob der Folien vermutet, auch wenn das Gelege diese bereits im Bereich „Mitte-Nord“ er - nicht gefunden werden konnte. brütet wurden und anschließend zum Ab Ende April verlagerten sich die „Salatfeld“ wechselten, konnte aufgrund Reviere kleinkolonieartig auf den Bereich der hochgewachsenen Vegetation nicht Mitte-Nord. Gleichzeitig wurde am 27. mehr ermittelt werden. April ein Paar mit vier jungen Pulli Auf jeden Fall hielten sich diese vier bis (Dunenjunge) entdeckt, die offensichtlich fünf Paare bis zum Ende der Brutzeit aus - von einem der beiden zuerst brütenden nahmslos in diesem Bereich auf, wobei Paare stammen mussten. Da das Paar ganz mindestens ein bis zwei Jungvögel flügge im Osten nur anfangs beobachtet werden wurden. Ab Mitte Juni sammelten sich dort konnte, dürfte es sich vermutlich um das wieder bis zu knapp 30 Kiebitze, darunter Paar im Bereich der Folien gehandelt ha- wieder bis zu 19 Vögel als Trupp. Die rest- ben. Darüber hinaus wurden auch nördlich lichen Paare hielten bis Ende Juni noch des UG zwei weitere Gelege ermittelt. ihre Reviere besetzt. Offensichtlich handelte In der ersten Maihälfte wurde der es sich bei den knapp 30 Vögeln um die Bereich „Mitte-Nord“ intensiv genutzt; dort lokale Population des UG inkl. der nördlich wurden bis zu sechs Brutversuche unter - angrenzenden Bereiche, die sich nun nach - nommen, wobei nur zwei bis drei Reviere brutzeitlich wieder sammelte. längere Zeit gehalten wurden. Nachdem auch Auch wenn aufgrund des komplexen hier die Vegetation langsam hochwuchs, Fortpflanzungssystems des Kiebitzes ( On- erfolgte Ende Mai ein vollständiger Wechsel nen 1989, Berg 1993) häufig keine klaren

Abb. 7: Folientunnel (Foto: Josef Kreuziger).

31 „Paare“ zugeordnet werden können und es len anderen Gebieten im Landkreis gegeben – wie im vorliegenden Fall auch – zu vielen ist (s. Kap. 5.3). Ersatzbruten und Umsiedlungen kam, kann der Bestand der Population allein anhand der Anzahl der Adulten abgeleitet werden 4.3 Raumnutzung (Anzahl Adulte/2). Hierbei handelt es sich aber um einen gängigen Methodenstandard Zur Ermittlung der Raumnutzung wur - (Südbeck et al. 2005, Kooiker & Buckow den alle Niststandorte (unabhängig von 1997). Demnach war der Brutbestand des ihrer Besetzungsdauer), Balzflüge sowie UG mit etwa fünf bis sechs Paaren – bzw. alle Nahrung suchende Vögel berücksich - unter Berücksichtigung der beiden Paare tigt. In Abhängigkeit von der Regelmäßig- (und vermutlich eins bis zwei weiterer Re- keit der Nutzung wurden ein „regelmäßig viere) im nördlich angrenzenden Bereich – genutzter Raum“ sowie ein gelegentlich mit acht bis zehn Paaren zu beziffern. Im genutzter Raum abgegrenzt (s. Abb. 5). Da- Vergleich zu den Vorjahren hat sich der rüber hinaus wurden zwar teils auch weiter Bestand 2017 daher in etwa gehalten entfernte Bereiche beflogen und kurzfristig (s. Abb. 6), da im nördlich angrenzen- genutzt, dies aber vor allem vor bzw. zu den Bereich („Kiebitz-Teilgebiet 5b“ nach Beginn der Brutzeit. Während der Brutzeit Werner et al. 2017) die Jahre vorher auch beschränkte sich der Aktionsraum tatsäch - einzelne Paare brüteten. In früheren lich im Wesentlichen auf die dargestellten Jahren brüteten in diesem Raum sogar mehr Bereiche. Vor allem in störungsarmen Pha- als 20 Paare (s. Abb. 6) bzw. unter Be- sen schien es keine Notwendigkeit zu geben, rücksichtigung des nördlich angrenzen- sich weit vom Niststandort zu entfernen. den Gebietes teils mehr als 30 Paare (maxi - Dazu kam es vor allem in Folge vereinzelter mal 35 Paare in 2011 nach Werner et al. Störereignisse. Aber auch in diesen Fällen 2017). entfernten sich die Tiere nicht weit und Dabei wurde während dieser Periode kehrten alsbald wieder zurück. aufgrund der intensivierten Bewirtschaf- tung zuerst der südliche Teil vom Kiebitz geräumt und dieser sukzessive nach Norden 5 Diskussion gedrängt. Aktuelle Beobachtungsdaten bis 2020 bestätigen, dass sich dieser Trend der 5.1 Auswirkungen der Folien- Verschiebung nach Norden weiter fortge - tunnel setzt hat, da die letzten Jahre nur noch ein - zelne Reviere im Bereich des UG 2017 Die wesentliche Fragestellung dieser besetzt waren. Der aktuelle Schwerpunkt Untersuchung war, wie sich die Folien- befindet sich hingegen nun nördlich des tunnel auf die Kiebitze auswirken würden. UG, wobei der Gesamtbestand für diesen Es wurde davon ausgegangen, dass die Raum weiterhin abgenommen hat und nur Kiebitze als typische Art des weitläufigen noch etwa fünf bis acht Reviere beträgt Offenlandes diese große horizontale Struk- (eigene Beob., Schütze mündl. Mitt.). tur aufgrund ihrer Silhouettenwirkung in Bezeichnenderweise ist daher auch der gewissen Grenzen meiden würden ( Kreu- 2017 ermittelte Bruterfolg mit maximal zwei ziger 2008). flüggen Jungvögeln für fünf bis sechs Paare Die Ergebnisse zeigten, wie in Abb. 5 als sehr gering einzustufen. Diese geringe schematisch dargestellt, dass die Kiebitze Rate wurde 2017 vermutlich primär durch tatsächlich Meideeffekte zeigten. Zwar fan - die sehr heiße Witterung während dieses den zwei Brutversuche – möglicherweise Sommers verursacht, zumal aufgrund der aufgrund der ausgeprägten Brutplatztradi- strukturellen Ausprägung im UG vermut - tion – im näheren Umfeld (unter 50 m) lich eine geringere Prädationsrate als in vie - statt, die aber beide aufgegeben wurden. Im

32 Regelfall näherten sich die Kiebitze den 5.2 Auswirkungen der Folien und Folientunneln auf ihrer Nahrungssuche des Anbaus nicht mehr als 100 m, auch die Bruten/ Brutversuche fanden bis auf die beiden Folien waren nur an einer Stelle ausge - genannten Ausnahmen weiter als 100 m legt (südwestlich des östlichen Tunnels, entfernt statt. Nur vereinzelt näherten sich Abb. 1). Diese war aber nicht vollflächig, die Vögel den Tunneln, wobei diese Annähe- sondern in Streifen ausgebracht, so dass rung in manchen Fällen aufgrund von Stö- dazwischen immer wieder offene Acker- rungen durch Menschen verursacht wurde. flächen vorhanden waren, die zudem Im späteren Verlauf der Brutzeit wurden später durch die Beregnung zeitweise vor auch Bereiche genutzt, die teils etwas näher allem in ihrem nördlichen Teil gut vernässt an den Tunneln lagen („Salatfeld“ sowie waren. auch die Fläche westlich des östlichen In dieser Konstellation ließen sich für Tunnels), was aber auch dadurch bedingt den Kiebitz in der vorliegenden Unter- war, dass zu dieser Zeit fast nur noch dort suchung keine negativen Effekte ableiten. offene und zudem durch Beregnung be - Dieser Bereich wurde als Revier besetzt und feuchtete Rohböden vorhanden waren. Die dort (ggf. auch im direkt angrenzenden ursprünglich genutzten Bereiche waren zu Feld) dürfte die erste (erfolgreiche) Brut dieser Zeit bereits relativ hoch mit Kulturen erfolgt sein. Auch später wurde dieser bestanden. Bereich immer wieder intensiv genutzt, da Insgesamt lässt sich somit bestätigen, es dort vermutlich zu einer weiteren Brut dass Kiebitze Meideeffekte zu vertikalen bzw. einem Brutversuch kam. Strukturen zeigen, in der „Not“ (mangels Wesentlich für die Vögel war hier das sonstiger verfügbarer Habitate) bzw. im Vorhandensein größerer, nicht von Folie Fall optimaler Habitatausprägung sich die - bedeckter Bereiche, die Abstände von etwa ser Effekt (wie bei anderen Arten auch) zwei bis drei Meter zwischen den Folien- jedoch deutlich geringer manifestiert (z. B. streifen aufwiesen. Soweit Folien vollflächig Altemüller & Reich 1997, Steinborn & oder in deutlich engerem Abstand ausgelegt Reichenbach 2011). werden, sind diese Ergebnisse hingegen Die im konservativen Ansatz angenom - nicht übertragbar, da bei einer Totalab- mene (partielle und graduelle) Entwertung deckung oder Abdeckung größerer Boden- von Habitaten bis etwa 100 m hat sich somit flächen von einer deutlichen Entwertung der vom Grundsatz her für den Kiebitz bestätigt Flächen bis zum vollständigen Verlust als und ist im Rahmen zukünftiger Genehmi- Vogellebensraum auszugehen ist. gungen für Folientunnel entsprechend zu berücksichtigen. Hierbei ist zu beachten, dass in der 5.3 Weitere Faktoren Praxis, wie auch im vorliegenden Fall, zu - sätzliche Belastungen auftreten. Dies betrifft 5.3.1 Vernässungen einerseits negative Einflussfaktoren wie Störungen durch intensiv zu pflegende Es hat sich gezeigt, dass Vernässungen und/oder häufig von Erntearbeitern aufge - nicht obligat nötig sind, wie auch aus ande - suchte Kulturen (z. B. Spargel, Erdbeeren) ren Gebieten oder Jahren bekannt, da der andererseits auch sonstige sehr intensive Vorkommensschwerpunkt der Kiebitze im Anbauformen, vor allem die Benutzungvon relativ trockenen Bereich (Mitte Nord) lag. Folien (Kap. 5.2.) oder weitere hochwüch- Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass es sige Sonderkulturen wie Himbeeren (s. Abb. sich um einen sehr trockenen Frühling bzw. 4). Zudem können auch der Bau und Frühsommer handelte, in dessen Verlauf im Ausbau von Straßen und Feldwegen diese gesamten UG kaum nässere Stellen vorzu - negativen Effekte kumulativ verstärken. finden waren.

33 So erklärt sich auch die intensive Nut- Darüber hinaus bedingt dies nach die- zung im Bereich des „Salatfeldes“ zu Ende ser Studie auch eine „lärmbedingt erhöhte der Brutzeit, da dieses intensiv bewässert Gefährdung durch Prädation“, da die aku - wurde und dort die besten Überlebensmög - stische Kommunikation zwischen Eltern lichkeiten für die Küken gegeben waren. und Jungvögeln (Warnrufe) eingeschränkt Aufgrund dieser im Sinne der Nahrungsver- ist. fügbarkeit günstigen Bedingungen wurde Im UG ist augenfällig, dass entlang der daher auch die Nähe zu dem südlich angren - weniger befahrenen Landstraße L 3361 für zenden Folientunnel toleriert. Ob die sich den Kiebitz keine Meideeffekte zu erkennen dort befindende Umzäunung des Salatfeldes waren und regelmäßige Funktionsbeziehun- tatsächlich von den Kiebitzen auch als gen zum nördlich angrenzenden Bereich Schutz vor Bodenprädatoren wahrgenom - gegeben waren. men wurde, sei dahin gestellt. Auf jeden Ebenfalls befanden sich die Bruten Fall erfolgten die letzten Brutversuche auch sowie auch Nahrung suchende Individuen außerhalb der Zäunung, so dass dies un - regelmäßig sehr nahe dieser Straße. Hin- wahrscheinlich gewesen sein dürfte. Eben- gegen wurden die Bereiche entlang der falls gilt dies für den zwischenzeitlich stark stark befahrenen Bundesstraße B 426 am bewässerten Flächenteil im Bereich der Südrand des UG weitgehend gemieden, Folienbänder, der zu dieser Zeit ebenfalls obwohl dort großflächig geeignete Bereiche intensiv genutzt und in dessen Nähe gebrü - (offen, mit Senken) vorkommen. tet wurde (s. Kap. 5.2). Ebenfalls wurden dort nur sehr selten Feuchte Bereiche sind daher offensicht - Nahrung suchende Individuen beobachtet lich besonders gut geeignet und besitzen (s. Abb. 5). daher eine erhöhte Attraktionswirkung, Ob dies tatsächlich durch das dort sind aber für eine Ansiedlung oder Bruten sicherlich deutlich höhere Verkehrsaufkom- nicht obligat nötig. Sie dürften aber eine men hervorgerufen wurde oder wahrschein - hohe Bedeutung für den Bruterfolg besit- licher durch den dort fast durchgängig vor - zen, da dort eine bessere Nahrungsverfüg- handenen Gehölzsaum, kann auf Basis der barkeit gegeben ist. Darüber hinaus gewähr - vorhandenen Daten nicht abschließend leisten sie ein feuchtes Mikroklima, das – beurteilt werden. Auf jeden Fall ist zu er - insbesondere bei sehr warmer bzw. heißer kennen, dass (zumindest nicht zu stark be - Witterung – eine Überhitzung der Jungvögel fahrene) Straßen nicht gemieden werden, vermeidet und somit in solchen Fällen für was im vorliegenden Fall auch damit zusam - das Überleben der Jungvögel sehr wichtig menhängt, dass es entlang dieser Straße so sein kann. Gleichwohl kann aber eine zu gut wie keine Störeffekte durch Spazier- intensive Beregnung insbesondere sehr jun - gänger, Hunde etc. gab. ger Küken auch schnell zu einer Unter- kühlung und damit zu deren Tode führen (Beintma & Visser 1989). 5.3.3 Witterung (Temperatur)

Wie bereits an mehreren Stellen ange - 5.3.2 Straßen sprochen, ist auch die Witterung ein wesent - licher Aspekt, der vor allem den Bruterfolg Für Kiebitze werden allgemein hin beeinflusst. Hier ist es – wie bei den meisten auch Meideeffekte an Straßen angenom - Vogelarten, vor allem aber bei Bodenbrütern men ( Garniel & Mierwald 2010), die in – typisch, dass sowohl eine nass-kühle als Abhängigkeit von der Verkehrsmenge bei auch trocken-heiße Witterung sich stark stärker befahrenen Straßen zu Meide- nachteilig auswirkt und die Mortalitätsrate und Störeffekten bis zu 400 m reichen der geschlüpften Pulli negativ beeinflusst können. (Kooiker & Buckow 1997). Der sehr ge-

34 ringe Bruterfolg 2017 dürfte daher, trotz kolonie stark angegangen und dadurch einer hohen Anzahl von Brutversuchen und schnell verjagt. teils erfolgreicher Bruten, in erster Linie Dieses klassische Phänomen ist als wei - auf diesen Sachverhalt zurückzuführen sein, terer Hinweis zu sehen, dass die Mortalität weniger auf Prädation (s. Kap. 5.3.4). der Jungvögel zumindest im Jahr 2017 primär witterungsbedingt verursacht wurde, zumal sich die Jungvögel der Kleinkolonie 5.3.4 Prädation später fast ausschließlich im umzäunten Salatfeld aufhielten, so dass eine Prädation Zur Prädation im UG wurden keine durch Raubsäuger auszuschließen war. speziellen Untersuchungen durchgeführt, so dass hier auf Basis sonstiger Beobachtun- gen nur Vermutungen angestellt werden 5.3.5 Auswirkungen der Maßnahme können. Hier muss grundsätzlich zwischen (Zäunung mit Vernässung) der Prädation von Gelegen und der von Jungvögeln unterschieden werden. Wäh- Im konservativen Ansatz wurde auf - rend die Gelege bekanntermaßen vor allem grund der zu erwartenden Meidung der von Raubsäugern erbeutet werden, können Folientunnel eine Maßnahmenfläche zur die Küken auch Vögeln zum Opfer fallen Verfügung gestellt, die gut 200 m vom (Langgemach & Bellebaum 2005). nächsten Tunnel entfernt war. Diese Fläche Wie hoch der Anteil der Raubsäuger an wurde zum Schutz vor möglichen Präda- der Gelegeprädation im UG tatsächlich war, toren großräumig mit einem Elektrozaun kann nur sehr schwer abgeschätzt werden. umgeben und sollte zu Beginn der Fort- Diese dürfte zumindest in Einzelfällen eine pflanzungsperiode vernässt werden, damit gewisse Rolle gespielt haben, da mehrere sie eine besondere Attraktivität auf die Gelege markiert waren und daher die land - Kiebitze ausüben sollte. Aufgrund der sehr wirtschaftlichen Arbeiten nicht maßgeblich trocken-warmen Witterung in 2017 erwies zu den Gelegeverlusten beigetragen haben sich die geplante Bewässerung als sehr dürften. Gleichwohl dürfte die Prädations- schwierig, so dass nur kurzzeitig die er - rate im UG im Vergleich zu anderen wünschten Bedingungen gegeben waren Gebieten im Landkreis recht gering sein, (s. Abb. 3). da aufgrund der Weitläufigkeit des Geländes Auf jeden Fall konnten zu keiner Zeit ohne Hecken und sonstige Säume kaum im Bereich der Maßnahmenfläche wie auch Leitlinien vorhanden sind, die gerne von der näheren Umgebung Kiebitze nachge - Prädatoren genutzt werden. Ob die ausge - wiesen werden. Dies wurde vor allem durch brachten Stöcke zur Kennzeichnung der folgende, sicherlich synergistisch wirkende Gelege hingegen Prädatoren gezielt an- Aspekte verursacht: locken, wird zwar heterogen diskutiert, aber b Die Lage der Fläche als solche war sub - im Regelfall als geeignete Schutzmaßnahme optimal, da Meideeffekte an den Busch- angesehen ( Cimiotti & Sohler 2020). reihen am Rande des UG zu erwarten Eine (starke) Prädation der Jungvögel waren. Entscheidend dürfte dies aber durch Vögel dürfte anhand der vorliegen- nicht gewesen sind, da im Jahr 2016 den Beobachtung im UG ausgeschlossen am Rande dieser Fläche tatsächlich eine werden können, da sich nur sehr wenige Brut stattfand. Krähen dort und vor allem in der Nähe der b Auch wenn Kiebitze grobschollige Äcker Brutvorkommen aufhielten. Zudem wurden nutzen, dürfte eine hier zu diesem in den wenigen Fällen die anwesenden bzw. Zeitpunkt nicht vorhandene feine Boden- überfliegenden Arten (vor allem Raben- struktur bevorzugt werden, da hier – vor krähe, Mäusebussard und Rotmilan, auch allem im vernässten Zustand – die Nah- Weißstörche) von den Brutvögeln der Klein- rung leichter zu finden ist.

35 b Da die Vernässung (vor allem aufgrund b Folienhäuser sollen daher nicht im Be- der sehr niedrigen Grundwasserstände) reich von Schwerpunktvorkommen des nur sehr unzureichend funktionierte, Kiebitzes oder sonstiger sensibler Offen- besaß die Fläche nur geringe Attraktions- landarten platziert werden. wirkung. b Wenn dies aus betrieblichen Gründen b Auch die Topografie war suboptimal, unabdingbar erforderlich ist, sollen die da sich hier keine natürlichen Rinnen Folientunnel entweder möglichst weit und Senken befanden, die leichter zu ver - voneinander entfernt oder sehr nahe bei- nässen sind und die Feuchtigkeit länger einander gestellt werden, um den Offen- halten. landcharakter der verbleibenden Fläche b Fast alle angrenzenden Ackerflächen der nicht zu sehr einzuengen. Gleichzeitig Umgebung waren schon frühzeitig auf - müssen in solchen Fällen geeignete Aus- gewachsen, so dass der offene Charakter gleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen im der Maßnahmenfläche weitgehend verlo - artenschutzrechtlichen Sinne gemäß den ren ging. Erfordernissen des § 44 BNatSchG) obli - gat umgesetzt werden. Die Untersuchungen haben somit ge - 6 Fazit und Ausblick zeigt, dass entsprechende Beschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung in Ver- Soweit anhand der verfügbaren Daten bindung mit umfangreichen Schutzmaß- ableitbar, hat sich als Ergebnis der Unter- nahmen dringend erforderlich sind, wenn suchung folgendes gezeigt: das Aussterben des Kiebitzes im Hessischen b Wesentlich zur Besiedlung sind weiträu - Ried noch verhindert werden soll. mige offene Bereiche, die zur Zeit der Revierbildung keinen (hohen) Aufwuchs zeigen. Nur diese besitzen eine ausrei - chend hohe Attraktivität, damit sich dort Danksagung mehrere Kiebitzpaare als Kleinkolonie ansiedeln können, was zur erfolgreichen Für die Bereitstellung ehrenamtlich er - Prädatorenabwehr notwendig ist. fasster Daten sei Natascha Schütze (HGON), b Bei der Verteilung der landwirtschaft- Frank Gröhl (NABU) und Heidi Theiss lichen Kulturen sollen daher spät auf - und Johannes Kilian (KBV) herzlichst ge - wachsende Flächen/Feldfrüchte so weit dankt. wie möglich in Komplexen zusammen- gefasst werden. b Diese weiträumig offenen Bereiche sol- len darüber hinaus möglichst in Senken 7 Literatur angelegt bzw. zumindest in diese Be- reiche integriert werden, soweit es die Altemüller, M. & M. Reich (1997): Standortbedingungen der dort angebau - Einfluss von Hochspannungsfreileitun- ten Feldfrüchte zulassen. gen auf Brutvögel des Grünlandes. – b Bei sehr heißer Witterung ist eine ange - Vogel & Umwelt 9, Sonderheft, passte, temporäre Beregnung der Flächen S. 111 – 127. im näheren Umfeld von Kiebitzrevieren Beintma, A. & G. Visser (1989): Factors während der Jungenaufzuchtphase wün - affecting growth and survival lapwing schenswert. Vanellus vanellus chicks. In: Tucker, b Folienhäuser bewirken erwartungsge- G., S. Davies & R. Fuller (Hrsg.): The mäß Meideeffekte, die in einer Größen- ecology and conservation of lapwings ordnung von etwa 100 m Abstand anzu - Vanellus vanellus . – UK Nature setzen sind. Conservation, No. 9, Petersborough.

36 Berg , A. (1993): Habitat selection by mono- Stübing, S. & G. Bauschmann (2011): gamous and polygamous Lapwings on Artenhilfskonzept für den Kiebitz farmland – the importance of foraging (Vanellus vanellus ) in Hessen. – habitats and suitable nest sites. – Ardea Gutachten der Staatlichen Vogel- 81 : 99 – 105. schutzwarte für Hessen, Rheinland- Cimiotti, D. & J. Sohler (2020): Kiebitze Pfalz und Saarland; Bad Nauheim. schützen. Ein Praxishandbuch. – Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & 2. Auflage, NABU, Bonn. M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Garniel, A. & U. Mierwald (2010): Vögel Die Brutvögel Hessens in Raum und Straßenverkehr. – Forschungspro- und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell. jekt 02.286/2007/LRB „Entwicklung S. 176 – 177. eines Handlungsleitfadens für Vermei- Stübing, S. & M. Werner (2017): Zum dung und Kompensation verkehrsbe - Brutbestand des Kiebitz ( Vanellus dingter Wirkungen auf die Avifauna“. – vanellus ) in Hessen 2016. – Vogel & i. A. der Bundesanstalt für Straßen- Umwelt 22 : 59 – 66. wesen, Bergisch-Gladbach; Kieler Stübing , S. (2019): Monitoring seltener Institut für Landschaftsökologie, Kiel. Arten und Etablierung des Moni- HGON ( Hessische Gesellschaft für torings von Einzelvorkommen und Ornithologie und Naturschutz ) Koloniebrütern. Ergebnisse Wiesen- (Hrsg.) (2000): Avifauna von Hessen, limikolen in Hessen 2019. – Gut- 4. Lieferung. – Echzell. achten im Auftrag der Staatlichen Kooiker, G. & V. Buckow (1997): Der Vogelschutzwarte für Hessen, Kiebitz. – Wiesbaden. Rheinland-Pfalz und Saarland; Kreuziger , J. (2008): Kulissenwirkung Bad Nauheim. und Vögel: Methodische Rahmen- Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, bedingungen für die Auswirkungs- K. Gedeon, T. Schikore, K. Schrö- analyse in der FFH-VP. – Vilmer der & C. Sudfeldt (2005): Methoden- Expertentagung 29.09. – 01.10.2008 standards zur Erfassung der Brutvögel „Bestimmung der Erheblichkeit unter Deutschlands. – Radolfzell. Beachtung von Summationswirkungen S. 324 – 325. in der FFH-VP – unter besonderer VSW & HGON (Staatliche Vogel- Berücksichtigung der Artengruppe schutzwarte für Hessen, Rhein- Vögel“, Tagungsbericht S. 117 – 128. land-Pfalz und Saarland & Kreuziger, J., M. Korn, S. Stübing (HGON), Hessische Gesellschaft für M. Werner, G. Bauschmann & K. Ornithologie und Natur schutz ) Richarz (VSW) (2006): Rote Liste der (2016): Rote Liste der bestands gefähr- bestandsgefährdeten Brutvogelarten deten Brutvogelarten Hessens – Hessens – 9. Fassung, Stand Juli 2006. – 10. Fassung, Stand Mai 2014. – Wies- Vogel & Umwelt 17 : 3 – 51. baden. Langgemach, T. & J. Bellebaum (2005): Werner, M., G. Bauschmann, M. Prädation und Schutz bodenbrütender Hormann & D. Stiefel (VSW) Vogelarten in Deutschland. – Vogelwelt (2014): Zum Erhaltungszustand der 126 : 259 – 298. Brutvogelarten Hessens. – Vogel & Onnen , J. (1989): Zur Populationsökologie Umwelt 21 : 3 – 69. des Kiebitzes im Weser-Ems-Gebiet. – Werner, M., H. Theiss, P. Pohlmann & Ökologie der Vögel 11 : 209 – 249. J. Kilian (2017): Ein Funke Hoffnung Steinborn, H. & M. Reichenbach (2011): für den Kiebitz? Ergebnisse eines Kiebitz und Windkraftanlagen. – Schutzprojektes auf Ackerflächen Naturschutz und Landschaftsplanung für den Kiebitz. – Vogel & Umwelt 43 : 261 – 270. 22 : 81 – 96.

37 Manuskript eingereicht am 28. 05. 2020, angenommen am 21. 06. 2020

Anschrift des Verfassers: Dr. Josef Kreuziger, Büro für faunistische Fachfragen, Rehweide 13, D-35440 Linden, E-Mail: [email protected]

Bei der Rückkehr im Februar oder März zeigen viele Kiebitze oberseits noch helle Feder- ränder aus dem Schlichtkleid, die sich in den folgenden Wochen komplett abnutzen, so dass die während der Brutzeit für die Altvögel dunkle Oberseite entsteht (Foto: Christian Gelpke).

38 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 39 – 58 (2020)

Wirksamkeit eines stationären Prädatorenschutzzaunes auf Brutbestand und Bruterfolg des Kiebitzes ( Vanellus vanellus ) im Wetteraukreis von Stefan Stübing , Bad Nauheim & Gerd Bauschmann , Frankfurt am Main Keywords: Vanellus vanellus, Gelegeschutz, Bodenprädatoren, Artenhilfskonzept, Wetterau, Hessen

Zusammenfassung Brutpaare“, da die Zahl der anwesenden Männchen deutlich geringer als die der Der Bestand des Kiebitzes in Hessen Weibchen war und offenbar viele Männchen hat von den 1970/80er Jahren von 2000 mit mehr als einem Weibchen verpaart Paaren auf nur noch 300 Paare im Jahr 2016 waren. Einige Männchen wanderten zudem sowie 250 Paare in den Jahren 2017/18 ab- offenbar frühzeitig aus dem Zaunbereich ab genommen. Ursachen für den Rückgang und überließen die Aufzucht der Jungvögel waren zunächst die Trockenlegung von den Weibchen. Durch einen Kälterückfall Feuchtgebieten und die Intensivierung der in der ersten Maihälfte waren die Aufzuchts- Landwirtschaft, zuletzt aber vor allem die bedingungen zwar ungünstig, durch die deutlich zu geringen Reproduktionsraten verzögert aufwachsende Vegetation die Be- infolge der zunehmenden Prädation durch obachtungsbedingungen jedoch außeror - Bodenprädatoren. So wurde im Jahr 2019 – dentlich gut. Unter Berücksichtigung einer außerhalb des hier beschriebenen Festzau- Brutdauer von etwa vier Wochen lassen sich nes und zweier Mobilzäune in den Kreisen folgende Zeiträume definieren, in denen Groß-Gerau und Schwalm-Eder – bei be - die meisten Weibchen mit der Brut begon - sonders genauer Erfassung lediglich ein Er- nen haben: letzte Märzwoche (21 Weib- folg von 0,3 (vermutlich) flüggen Jungvögeln chen), Anfang April (acht Weibchen) und pro anwesendem Paar im Wetteraukreis bzw. Mitte April (zwölf Weibchen). Fünf Bruten von 0,45 Jungen landesweit beobachtet. schlüpften erst um den 5. Juni, der Brut- Zum Bestandserhalt ist jedoch ein minde - beginn dieser letzten Kohorte lag hier dem - stens doppelt so hoher Bruterfolg von 0,8 nach um den 7. Mai. Von den mindestens Jungen pro Paar erforderlich, wie er seit 125 beobachteten Küken wurden 89 bis mindestens der Jahrtausendwende in Hessen 103 (vermutlich etwa 96) Jungvögel flügge. flächig nicht mehr und sonst höchstens Dies entspricht einem Bruterfolg von 1,8 lokal bei wenigen Paaren in besonders bis 2,1 Jungvögeln pro brütendem Weib- günstiger Situation erreicht wird. Daher chen. Im Jahr 2018 wurden in diesem sind die Ergebnisse mit einem zu Beginn Gebiet 1,7 Jungvögel pro Paar flügge, bei der Brutzeit 2018 in der Horloffaue bei allerdings deutlich geringerer Brutpaarzahl Reichelsheim (Wetteraukreis) errichteten aufgrund von Hochwasserverlusten. Die stationären Prädatorenschutzzaun beson - 49 Bruten mit etwa 96 flüggen Jungvögeln ders bemerkenswert und im Hinblick auf stellen einen Anteil von 19 % am landes- den Schutz der Art vielversprechend. weiten Gesamtbestand und sogar von 48 % Im nicht durch Hochwasser oder an- am landesweiten Bruterfolg dar. In den dere Störungen beeinflussten Jahr 2019 zahlreichen weiteren Wiesenvogelschutz- wurden hier auf einer Fläche von nur 6 ha gebieten der Wetterau wurden hingegen 49 Kiebitzbruten mit Schlupferfolg und nur nur etwa 20 Jungvögel flügge, der Brut- vier aus unbekannten Gründen verlassene erfolg im Schutzzaun entspricht daher Gelege dokumentiert. Die Angaben erfol gen 82 % des Gesamtbruterfolges im Natur- als „Anzahl Bruten“ und nicht als „Anzahl raum.

39 Prädationsverluste konnten, mit Aus- Die Errichtung des Prädatorenschutz- nahme der einzigen außerhalb des Schutz- zaunes muss somit als durchschlagender zaunes begonnenen Brut, wie auch ein Ein- Erfolg im Wiesenvogelschutz bewertet wer - dringen von Bodenprädatoren, nicht festge - den. Es ist zu erwarten, dass mit Einzäu- stellt werden. Prädation durch Vögel – ver- nungen wie in Reichelsheim eine grund- schiedene Greif- und Rabenvogelarten, dar - legende Wende im äußerst kritischen Erhal- unter Rohrweihe, beide Milanarten und tungszustand der genannten Arten zeitnah der Kolkrabe sowie Weißstorch und Mittel- innerhalb weniger Jahre erreicht werden meermöwe – wurde von den brutverteidi - kann. genden Kiebitzen durch intensive Angriffs- flüge verhindert, wobei aufgrund der großen Anzahl an Bruten oft nur die Hälfte der an - Summary wesenden Altvögel zur Verteidigung aufflo - gen. Die im Umfang von etwa einem Fünftel The Hessian Northern Lapwing popu - der beobachteten Jungen dokumentierten lation has declined from 2000 pairs in the Verluste gehen ganz überwiegend auf eine 1970s/80s to a mere 300 pairs in 2016 and zweiwöchige Kältephase im Mai zurück. 250 pairs in 2017/18. Initially the decline was Die sehr kleinflächigen Aufzuchtsbe- caused by wetland drainage and agricultural reiche der einzelnen Familien lassen darauf intensification but lately it has been due to schließen, dass das eingezäunte Gebiet durch highly insufficient reproduction rates caused die Kombination der zwölf Inseln, der sehr by increasing predation by ground-dwelling ausgeprägten Uferlinie und das umgebende predators. Particularly detailed recording in Grünland eine außerordentlich gute Eignung 2019 showed that breeding success was poor für brütende Kiebitze aufweist. Auf den at only 0.3 (presumably) fledged juveniles Inseln schlüpften mindestens 20 Bruten, so per breeding pair present in the Wetterau- dass ihnen offenbar eine große Bedeutung kreis district and 0.45 fledglings per breeding bei der Konzeption von Schutzgebieten für pair state-wide. However, in order to main - die Art zukommt. Hinzu kam das Offen- tain the population a breeding success of halten der Uferbereiche durch die im Gebiet 0.8 fledglings per pair and year would be brütenden Graugänse, das sich für die Nah- required. Since the turn of the millennium rungssuche der Kiebitzjungen sehr günstig this level of breeding success is no longer auswirkte. Erst ab einem Alter von mehreren being achieved across the state of Hesse Wochen wurde bei verschiedenen Familien and is, at most, reached locally by a small eine Abwanderung vom zunächst gewählten number of pairs in particularly favourable Aufzuchtsort am Gewässerufer hin zu den situations. The results achieved by a statio - beweideten Grünlandbereichen im Süden nary anti-predator fence erected at the start des Zaunes festgestellt. Mit der Mahd der of the 2018 breeding season in the Horloff umliegenden Grünlandflächen suchten zahl - river floodplain near Reichelsheim (Wetter- reiche ältere Jungvögel zeitweise auch diese aukreis district) are therefore all the more Gebiete außerhalb des eingezäunten Be- noteworthy and promising in terms of reichs auf. Um dadurch künftig Verluste zu efforts to protect the species. minimieren, sollte die Mahd im Umfeld von In 2019, a year in which there were no etwa 150 m um den Schutzzaun möglichst or other disturbances, 49 successful spät durchgeführt werden. Lapwing hatches and only four clutches that Neben den Kiebitzen brüteten zudem had been abandoned for unknown reasons zahlreiche weitere Vogelarten im umzäunten were documented in an area of a mere six Gebiet, u. a. Löffel-, Knäk- und Schnatter- hectares. The data are presented as “number ente, Graugans, Blau- und Schwarzkehlchen. of hatches” and not as “number of breeding Aus Landessicht ebenfalls äußerst bemerkens- pairs” given that the number of males wert ist ein Brutverdacht des Rotschenkels. present was significantly smaller than the

40 number of females and many males appa - half of the adult birds present flew up in rently bred with more than one female. defence. The documented loss of approxi - Moreover, some of the males appear to have mately one fifth of the chicks observed is left the area enclosed by the fence at an early solely attributable to a two-week long cold stage, leaving the females to rear the broods. period in May. While the rearing conditions were unfavou - The individual families’ very small rable due to a cold snap in the first half chick-rearing areas indicate that the enclosed of May, the delayed growth of vegetation site with its combination of the twelve is - meant that the conditions for observation lands, the highly distinct river-shore and the were exceptionally good. Taking into con- surrounding grassland are exceptionally well sideration an incubation period of approxi - suited for breeding lapwings. At least 20 mately four weeks, it is possible to define clutches hatched on the islands. It therefore the following time periods in which most of appears that the islands are of great signifi - the females commenced incubation: last cance for the conception of protected areas week of March (21 females), early April for the species. Moreover, the fact that the (eight females) and mid-April (twelve fema - greylag geese breeding in the area kept open les). Five nests hatched only around 5 June the riverbanks proved highly beneficial for which means that the incubation of these the chicks in search of food. Only when the last cohorts commenced around 7 May. Out chicks had reached an age of several weeks of a minimum of 125 chicks observed, were a number of families observed leaving between 89 and 103 (probably around 96) the initial chick-rearing areas they had fledged. This represents a breeding success selected in the riparian area in favour of the of between 1.8 and 2.1 chicks fledged per grazed grassland areas in the south of the breeding female. In 2018, this area produced enclosed site. Once the surrounding grass- 1.7 juveniles per pair, however with a signifi - land areas had been cut, many of the older cantly smaller number of breeding pairs as juveniles also ventured into those areas out - a result of losses. The 49 hatches with side of the fenced-in site at times. Grassland their approximately 96 fledged juveniles cutting in an area of approximately 150 m represent 19 % of the state of Hesse’s total around the protective fence should in future population and as much as 48 % of the state- be left as late as possible in order to mini- wide breeding success. In contrast, a total mise losses resulting from the young birds’ of only about 20 chicks fledged in the behaviour. numerous other protected areas for inland The enclosed site did not only host waders in the Wetterau region. The breed- breeding lapwings but also numerous other ing success achieved inside the protec- bird species, such as the northern shoveler, tive fence therefore represents 82 % of the garganey, gadwall, greylag goose, blueth- total breeding success in the physiographic roat, and stonechat. Moreover, there is a area. suspected breeding record for the redshank With the exception of one clutch which is also particularly remarkable from established outside of the protective fence, a state-wide perspective. no losses to predation or entries into the In conclusion, the establishment of an enclosed area by ground-dwelling pre- anti-predator fence has proven to be a dators were observed. Lapwings actively resounding success in inland wader protec - defend their eggs and chicks and their tion. It is reasonable to expect that fenced intensive swooping attacks prevented enclosures such as those erected in Reichels- losses to avian predators – a number of heim can bring about a fundamental change raptors and corvids, including western and profound improvement in the conser- marsh harriers, red and black kites, ravens, vation status of the species mentioned white storks and yellow-legged gulls. Due above, and it can do so quickly, within a to the high number of nests often only few years.

41 1 Einleitung, Fragestellung und Dank dationsverluste durch Abzäunung der Brut- und Aufzuchtsgebiete als wesentlichen Bau- Die in Hessen heimischen Wiesenli- stein im Schutz der Art. Neben dem seiner - mikolen Bekassine ( Gallinago gallinago ), zeit schon erfolgreich getesteten Einsatz von Großer Brachvogel ( Numenius arquata ) mobilen Elektrozäunen (zuerst 2009 mit und Kiebitz ( Vanellus vanellus ) werden als hohem Bruterfolg im Gebiet Kuhweide im „vom Aussterben bedroht“ auf der aktuellen NSG Mittlere Horloffaue) wurde im Arten- Roten Liste der bestandsgefährdeten Brut- hilfskonzept auch die Errichtung eines per - vogelarten geführt (VSW & HGON 2016). manenten Drahtzaunes nach Vorbild der Entsprechend weisen die Arten einen un- Trappenschongebiete und im Erfolgsfall günstig-schlechten Erhaltungszustand auf eine Übertragung solcher Festzäune auf (Werner et al. 2014). Der landesweite andere Gebiete empfohlen ( Stübing & Bestand des Kiebitzes wurde 1974 mit Bauschmann 2011). etwa 2100 und 1987 nach Hochrechnung Die Überprüfung der bis dahin um- aus 15 Verbreitungsschwerpunkten mit ca. gesetzten Maßnahmen durch Stübing & 2000 Paaren angegeben. Der noch verblie- Bauschmann (2017) kommt weiterhin zu bene Bestand von etwa 300 Paaren bis zum dem sehr deutlichen Ergebnis, dass in Jahr 2016 sowie aktuell jeweils nur noch Gebieten mit optimaler Lebensraumaus- etwa 250 Paaren in den Jahren 2017 und stattung und genügend Raum für das 2018 entspricht somit einem Rückgang um Vorkommen größerer Brutbestände die etwa 90 Prozent ( Stübing & Werner 2017, Sicherung eines ausreichenden Bruterfolges Stübing 2018). Ab dem Jahr 2009 wurden derzeit offenbar allein durch den Einsatz daher konkrete Maßnahmenvorschläge zum von Schutzzäunen gegenüber Bodenpräda- Schutz der Art in Form eines Artenhilfskon- toren erreicht werden kann. Raben- und zeptes formuliert, die dann 2010 in verschie - Greifvögel oder auch der Weißstorch spielen denen Gebieten umgesetzt wurden. Erste hingegen als Prädatoren demnach keine Erfolgskontrollen wurden 2011 durchge - nennenswerte Rolle, da sie von den adulten führt und die Maßnahmen auf ihre Praxis- Kiebitzen in Brutkolonien in der Regel tauglichkeit überprüft. erfolgreich abgewehrt werden. Die Ergebnisse aller drei Bearbeitungs- Zu Beginn der Brutzeit 2018 wurde schritte sind in der Endfassung des Arten- daher in der Horloffaue bei Reichelsheim hilfskonzepts zusammenfassend dargestellt im Wetteraukreis im Bereich eines langjäh- (Stübing & Bauschmann 2011). Landes- rigen Kiebitzbrutplatzes ein stationärer weit gibt es demnach neben diversen, rela- Prädatorenschutzzaun errichtet. Dieser ba - tiv kleinen Reliktpopulationen mit der Wet- siert auf Empfehlungen der Staatlichen terau und dem Hessischen Ried nur noch Vogelschutzwarte: „Neben den in der Be- zwei Schwerpunktvorkommen des Kiebitzes . treuung personalintensiven Elektroknoten- Angesichts sehr umfangreicher und erfolg - zäunen (tägliche Kontrolle, regelmäßiges reicher, lebensraumverbessernder Maßnah- Ausmähen usw.) sollte auch die Möglichkeit men im Gebiet der Wetterau und gleichzei - der Errichtung von Festzäunen in Betracht tig stagnierender Brutvorkommen des Kie- gezogen werden. Die Zäune sollten unten bitzes wurde die Prädation von Gelegen und in den Boden eingelassen werden und oben Küken durch Säuger (insbesondere Fuchs, mit ein oder zwei Elektrolitzen versehen Waschbär und evtl. Mink) als gravierendes sein. Dadurch soll ein Untergraben und ein Problem eingestuft. Sie konnte durch den Übersteigen verhindert werden. Außerdem Einsatz von Fotofallen und Thermologgern hätte ein Festzaun mit nur oben angebrach - belegt werden und findet eine Parallele in ten Elektrolitzen den Vorteil, dass bei Über - den stark gestiegenen Jagdstrecken dieser schwemmungen auch weiterhin Strom auf Arten. Stübing & Bauschmann (2011) dem System liegt und nicht die Energie ins empfehlen daher die Minimierung der Prä- Wasser abgeleitet wird. Eine Kombination

42 mit dem Weidezaun und natürlich auch Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland- Weidetieren hätte eine deutlich höhere Pfalz und Saarland (VSW) vergebenen Akzeptanz in der Bevölkerung. In der ak- „Beratervertrags Kiebitz“. Die Ergebnisse tuell gegebenen Situation mit der Konzen- dieser Untersuchung werden im vorliegen - tration wesentlicher Anteile des landeswei - dem Beitrag vorgestellt. ten Brutvorkommens auf wenige größere Ein herzliches Dankeschön allen Betei- Gebiete entscheidet sich hier die Zukunft ligten, ohne die die umfangreichen Maßnah- des Kiebitzes als Brutvogel in Hessen!“ men und Ergebnisse nicht möglich gewesen (Stübing & Bauschmann 2017). Die Kon- wären: W. Schmidt (Forstamt Nidda), R. zeption des Zauns und die Errichtung wur - Eichelmann (Fachdienst Landwirtschaft des den von W. Schmidt, Forstamt Nidda, Wetteraukreises), A. E. Heinrich und T. durchgeführt. Mattern (Untere Naturschutzbehörde des Nach einer ersten Erfolgskontrolle im Wetteraukreises) und der „Arbeitsgemein- Jahr 2018 im Rahmen einer mehrere schaft Wiesenvogelschutz“ des Arbeits- Schutzgebiete der Wetterau umfassenden kreises Wetterau der Hessischen Gesell- Arbeit ( Stübing 2018) erfolgte während der schaft für Ornithologie und Naturschutz Brutzeit 2019 erneut eine gezielte Über- (Leitung: Udo Seum) für die langjährige prüfung der Wirksamkeit dieses Schutz- Überwachung der Bestandssituation im zaunes im Rahmen eines von der Staatlichen Kreisgebiet sowie der Firma Herzberger für die zahllosen praktischen Arbeiten.

2 Untersuchungsgebiet und Methoden

Bei dem Untersuchungsgebiet handelt es sich um eine Ausgleichsmaßnahme in der Horloffaue südlich von Reichelsheim. Umgeben von weitläufig extensiv genutz - tem, blütenreichem Grünland wurde hier vor mehr als 15 Jahren ein Flachwasser- bereich mit zwölf Brutinseln angelegt. Der in diesem Beitrag vorgestellte Schutzzaun wurde zu Jahresbeginn 2018 errichtet und umfasst ein Gebiet von 6 ha Größe, davon ca. 1 ha Wasserfläche. Zum Bau des Zaunes wurden verzinktes Metallrohr und Wildschutzzaun verwendet. Um ein Untergraben zu verhindern, wurde der Zaun unten nach außen umgeschlagen und im Boden verankert. Zur Erleichterung der Unterhaltung wurde unterhalb des Zau- nes eine stabile Folie ausgebracht, damit keine Vegetation einwachsen kann. Strom- Abb. 1: Fester Weidezaun mit zusätzlichen führende Litzen zur Abwehr von Prädato- Elektrolitzen (gegen Überklettern); ren befinden sich außen im unteren Drittel das Zaungeflecht ist nach außen der Zaunhöhe sowie auf der Zaunkrone. umgeschlagen und fest im Boden Eine Litze für Weidetiere befindet sich innen verankert; die Folie ermöglicht eine etwa auf halber Zaunhöhe (s. Abb. 1). leichte Pflege (keine einwachsende Die Kosten für den kompletten etwa Vegetation) (Foto: Walter Schmidt). 3 km langen Zaun (s. Abb. 2) betrugen

43 Abb. 2: Übersicht über das Untersuchungsgebiet im Frühjahr 2019 (Foto: Walter Schmidt).

Abb. 3: Auch vor dem Bau des Prädatorenschutzzaunes brüteten alljährlich einige Kiebitz- paare im beweideten Untersuchungsgebiet. Im Bild überfliegt ein Kiebitz die Rinder (31. Mai 2015; Foto: Gerd Bauschmann).

44 30200 € (Material incl. Kleinteile, Arbeits- 3 Ergebnisse kosten, Baggerstunden). In den Baggerko- sten war die Anlage eines Wechselkröten- Neben den Ergebnissen der Wirksam- gewässers enthalten. Da das Material sehr keitskontrolle im Jahr 2019 werden hier die langlebig ist, verteilen sich bei einer ange - Brutergebnisse in den zurückliegenden Jah- nommenen Mindesthaltbarkeit von 10 Jahren ren ab dem Zeitpunkt der ersten Errichtung die Kosten auf ca. 3000 € pro Jahr. Dazu eines Mobilzaunes im Gebiet im Jahr 2016 kommen noch Unterhaltungskosten von dargestellt. Weiterhin flossen erste Ergeb- 380 € pro Jahr, also zusammen 3380 € nisse aus dem Jahr 2020 ein. jährlich. Im Vergleich dazu war der im Jahr 2016 eingesetzte Mobilzaun deutlich günstiger 3.1 Ergebnisse der Jahre 2016 bis (ca. 10000 € bei gleicher Zaunlänge), aber 2018 lange nicht so haltbar und daher nach spä- 3.1.1 Ergebnisse des Jahres 2016 testens fünf Jahren nicht mehr verwendbar. Außerdem war sein Betrieb mit hohem Im Jahr 2016 brüteten 18 Kiebitzpaare Betreuungsaufwand (Auf- und Abbau, im mobilen Schutzzaun, wovon mindestens Pflege, Wildkontrollen) verbunden. Allein die 12 erfolgreich waren; mindestens 32 ge - Unter haltungskosten beliefen sich somit schlüpfte Junge wurden beobachtet. Von auf ca. 23500 €/Jahr. Zusammen mit den diesen wurden mehr als 28 Jungvögel flügge Neubeschaffungen von Zaunelementen fie - (alle Angaben sind Mindestwerte, da durch len beim Mobilzaun Kosten von über das Aufwachsen der Vegetation nicht alle 25000 € jährlich an. Paare genauer beobachtet werden konnten). Der eingezäunte Bereich wird mit Ohne Berücksichtigung der Wiesen im Um- einer kleinen Rinderherde beweidet (s. feld lag der Bruterfolg bei 1,5 flüggen Jungen Abb. 3). Während der Bebrütungsphase je Brutpaar bzw. bei 2,3 Jungen je erfolgrei - wurden die Rinder auf das südliche Drittel chem Paar ( Stübing & Bauschmann 2017). der Fläche begrenzt, in der keine Bruten Damit konnte angesichts der hohen stattfanden, um so Trittverluste auszu- Bestandsdichte, des umfangreichen Schlupf- schließen. erfolges und der fast verlustfreien Aufzucht Um Störungen zu vermeiden, wurden der Jungen ein optimales Ergebnis erzielt die Untersuchungen lediglich von außerhalb werden, wie es selbst in den besten Brut- des Zaunes durchgeführt, ohne die einge - gebieten der Art in der Wetterau seit vielen zäunte Fläche selbst zu betreten. Die beste Jahren nicht mehr beobachtet wurde. Übersicht bot die etwa 150 m von der Grundlage dafür war die ideale Gestaltung Wasserfläche entfernte und auf einem des Gebietes mit insgesamt zwölf Brutinseln Hügel etwa vier Meter gegenüber dem und sehr ausgedehnten Flachwasser- sowie eingezäunten Bereich erhöht errichtete Schlammuferzonen mit großem Nahrungs- Beobachtungshütte östlich des Gebietes. angebot für die Jung- und Altvögel sowie Um einen weitgehend vollständigen Über- die erfolgreiche Gelegeschutzmaßnahme blick des Gebietes zu erhalten, waren durch das Einzäunen des Gebietes. Sehr weiterhin auch Kontrollen von Westen er - große Bedeutung kommt auch den groß- forderlich. Durch eine hohe Beobach- flächig extensiv genutzten Feuchtwiesenbe- tungsintensität von zeitweise bis zu drei reichen im Umfeld zu, die eine Ansiedlung Erfassungen pro Woche konnten sowohl in dieser Größenordnung erst möglich ma - die Ansiedlung und Bebrütungsphase, wie chen, da so eine insgesamt relativ hohe auch der Schlupf, die Aufzucht der Jun- Dichte an Nahrungsorganismen gewährlei - gen und ggf. räumliche Verlagerungen bei stet ist, die von den Altvögeln durch Flüge den meisten Paaren fast lückenlos verfolgt in die unmittelbare Umgebung auch regel - werden. mäßig außerhalb des Zaunes genutzt wurde.

45 3.1.2 Ergebnisse des Jahres 2017 diesem Tag wurde zudem der Maximal- bestand von 15 Paaren und zwei Weibchen In diesem Jahr wurde kein Schutzzaun erreicht (neben dem Brutpaar mit Jungvogel errichtet, der Brutbestand des Kiebitzes lag noch sechs bebrütete Gelege, vier weitere bei nur sieben Paaren, es wurde kein Bruter- Brutverdachte durch verteidigende oder in folg festgestellt (eigene Daten S. Stübing). höherer Vegetation warnende Paare und vier zusammenhaltende Paare sowie zwei einzel - ne Weibchen). Am 25. Mai wurden 13 bis 3.1.3 Ergebnisse des Jahres 2018 14 Paare erfasst (darunter Familien mit vier, vier und einem frisch geschlüpften Pulli), am Das Brutjahr 2018 wurde in den Schutz- 3. Juni wurden dann etwa 12 Paare notiert. gebieten der Wetterau sehr deutlich durch Am 19. Juni wurden sechs Familien mit 13 Starkregen mit Hochwasserwellen vor allem Jungvögeln beobachtet, bei zwei weiteren am 14. April, aber auch am 13. und 22. Mai Familien war zudem starkes Warnen im beeinflusst (s. Abb. 4). Die in diesem Jahr Schilf erkennbar. Zusammen mit diesen und aufgrund der ab Anfang April ungewöhn - dem sehr früh flügge gewordenen Jungvogel lich hohen Temperaturen sehr früh und vom 19. Mai sind hier als Gesamtergebnis schnell aufwachsende Vegetation erschwerte somit mindestens neun erfolgreiche Brut- die Kontrolle vieler Brutplätze zudem er - paare zu verzeichnen. Bei sieben davon ist heblich. Am 31. März und 10. April wurden der Bruterfolg dokumentiert. Sie brachten jeweils etwa 12 Paare im Gebiet erfasst, mit 12 juv. zum Flüggewerden (3, 2, 2, 2, 1, 1, 1). dem Hochwasser am 14. April sank der Zudem brüteten im Gebiet fünf weitere Bestand auf 10 Paare. Am 19. Mai wurde ein Paare vermutlich mit Schlupf, über deren etwa faustgroßer Jungvogel beobachtet, so Bruterfolg infolge der Vegetationshöhe dass offenbar nur ein Gelege das Hoch- keinerlei Aussage getroffen werden kann wasser Mitte April überstanden hatte. An (Stübing 2018).

Abb. 4: Folgen des kleineren Hochwasserereignisses am 13. Mai 2018: Fast alle Kiebitzpaare im Bereich der Arnwiesen (Stadt Hungen) verlieren ihre Gelege. Im Bild zwei Alt- vögel beim Versuch, ihre Gelege im ansteigenden Wasser weiter zu bebrüten (Foto: Stefan Stübing).

46 3.2 Ergebnisse im Jahr 2019 zeitig aus dem Zaunbereich ab und über - ließen die Aufzucht der Jungvögel den 3.2.1 Brutbestand Weibchen, so dass dort am 20. Mai insge- samt 37 unterschiedliche Weibchen, aber 2019 waren die Beobachtungsbedin- nur noch 18 Männchen beobachtet wur- gungen aufgrund ausbleibender Hoch- den. Weiter ist wahrscheinlich, dass auch wasser und der nur langsam und verzögert die Weibchen der erfolglosen Bruten eins, aufwachsenden Vegetation aufgrund einer sechs und 29 an anderer Stelle Ersatzbruten Witterungsphase mit sehr niedrigen Tem- durchführten. peraturen vom 4. bis 16. Mai sehr günstig (nach www.wetteronline.de wurde die drittniedrigste Durchschnittstemperatur in 3.2.2 Bruterfolg und Brutphänologie einem Mai seit dem Jahr 1989 gemessen). Insgesamt konnten in diesem Jahr 42 Gelege Für die 49 geschlüpften Gelege konnte (Nr. 1 bis 41 sowie Nr. 44) anhand brüten- die Mindestzahl von 125 Jungvögeln doku - der Altvögel erfasst werden (s. Abb. 5). mentiert werden. Dieses Ergebnis ist als Die Gelege 14a und 14b, die ein innerhalb Mindestzahl gekennzeichnet, da allein zehn des Zaunes erfolglos bebrütetes Gelege und Bruten mit nur jeweils einem Jungvogel das darauf folgende Nachgelege desselben bestätigt werden konnten. Da Vollgelege Paares darstellen, sind in dieser Zahl nur ein - beim Kiebitz in der Regel aus vier Eiern fach gewertet. Fünf weitere Gelege konnten bestehen, sind Familien mit nur einem durch zusätzliche Beobachtungen frisch ge - frisch geschlüpften Jungvogel ungewöhn - schlüpfter Jungvögel ungefähr lokalisiert lich. Entweder wurden nicht alle Jungvögel werden (Nr. 42, 43 sowie 45 bis 47; hellgrün erfasst, weil sie sich in der Vegetation ver - in Abb. 5). Die Lage dieser so verorteten borgen hielten, oder weitere geschlüpfte 47 Bruten und ihr Mindest-Schlupferfolg ist Junge waren (wohl infolge ungünstiger in den Abb. 5 und 6 dargestellt. Zudem Witterung, s. u.) umgekommen. Von den ins - wurden vom 20. Juni bis 23. Juli anhand gesamt mindestens 125 Jungen wurden neu hinzugekommener Jungvögel fünf mindestens 89, möglicherweise sogar 103 weitere Bruten mit Schlupf dokumentiert. flügge. Als „flügge“ wurden tatsächlich Deren Brutplatz konnte aufgrund des Alters flügge Jungvögel gewertet, aber auch solche, der Jungvögel in der inzwischen hoch auf- die bei der letzten Bestätigung eine gewachsenen Vegetation nicht genauer be - Größe von etwa dreiviertel der Alttiere stimmt werden. Insgesamt wurden somit erreicht hatten. Die Spanne von 89 bis 52 Bruten erfasst, 49 davon mit geschlüpf- 103 flüggen Jungen beruht auf der in eini- ten Jungvögeln. Mit einer Ausnahme erfolg - gen Fällen nicht sicheren Zuordnung der ten alle Bruten innerhalb des Schutzzaunes. zuletzt beobachteten Jungvögel zu den Insgesamt konnten vier erfolglose Bruten ursprünglich am selben Ort erbrüteten dokumentiert werden, darunter das einzige Tieren. Sollten alle zuletzt beobachteten Gelege außerhalb des Zaunes (s. Abb. 6). Die Tiere mit den dort erbrüteten identisch Ursachen für die erfolglosen Bruten sind sein, wäre von 103 Jungvögeln auszuge- unklar, Hinweise auf Prädation als Ursache hen. Da zu vermuten ist, dass – wie im gibt es jedoch nicht. Fall des Geleges 14 belegt – auch die an- Die Angaben erfolgen als „Anzahl deren drei erfolglosen Bruten durch Bruten“ und nicht als „Anzahl Brutpaare“, Nachgelege ersetzt wurden, sind keine da die Zahl der anwesenden Männchen gesichert erfolglos brütenden Weibchen deutlich geringer als die der Weibchen war dokumentiert. 49 geschlüpfte Bruten und und offenbar viele Männchen mit mehr als ein Aufzuchtserfolg von 89 bis 103 Jung- einem Weibchen verpaart waren. Zudem vögeln entspricht einem Bruterfolg von wanderten einige Männchen offenbar früh - 1,8 bis 2,1 Jungvögeln pro brütendem

47 Abb. 5: Lage und Nummer der 47 lokalisierten Bruten (grün = Gelegestandort, hellgrün = Weibchen mit noch kleinen juv., exakter Brutplatz unbekannt); zudem vom 20. 6. bis 23. 7. 2019 fünf weitere Bruten mit Schlupf ohne genauen Brutplatz.

Abb. 6: Bruterfolg der 47 lokalisierten Gelege, Mindestanzahl geschlüpfter juv. (hellgrün = Weibchen mit noch kleinen juv., exakter Brutplatz unbekannt; rot = kein Bruterfolg); zudem vom 20. 6. bis 23. 7. 2019 fünf weitere Bruten mit Schlupf von neun juv. ohne genauen Brutplatz = mind. 125 juv. geschlüpft.

48 Weibchen. Auch diese Werte sind als Min- Bis zum 29. April waren 21 Gelege ge - destangaben anzusehen, da aufgrund der ab schlüpft. Anschließend wurden bei jeder Mitte Juni deutlich aufwachsenden Vege- Kontrolle weitere geschlüpfte Bruten beob - tation nicht alle flüggen Jungvögel auch er - achtet. Mit acht „neuen Familien“ war ein fasst werden konnten. zweiter Höhepunkt um den 20./22. Mai Es konnte trotz der intensiven Kon- erreicht. Die letzten beiden Gelege schlüpf - trolltätigkeit keinerlei Prädation von Jung- ten zwischen 10. und 20. Juni. Unter Be- vögeln oder Gelegen beobachtet werden. rücksichtigung einer Brutdauer von etwa Anfangs noch immer wieder festzustellen- vier Wochen lassen sich folgende Zeit- de Überflüge von Rot- und Schwarzmilan räume definieren, in denen die meisten (Milvus milvus , M. migrans ), Mäusebussard Weibchen mit der Brut begonnen haben: (Buteo buteo ), Rohrweihe ( Circus aerugino - letzte Märzwoche (21 Weibchen), Anfang sus ), Weißstorch ( Ciconia ciconia ), Graurei- April (acht Weibchen) und Mitte April her ( Ardea cinerea ) oder Mittelmeermöwe (zwölf Weibchen). Fünf Bruten schlüpften (Larus michahellis ) unterblieben durch die erst um den 5. Juni, der Brutbeginn lag vehementen Angriffe der Kiebitze bald hier demnach um den 7. Mai. ganz. Auch Rabenvögel wagten sich nur noch sehr selten in den eingezäunten Bereich, und selbst ein Kolkrabe ( Corvus 3.2.3 Aufzucht der Jungvögel corax ) hielt einen deutlichen Abstand von ei - nigen hundert Metern zum Brutplatz. Im Die Jungvögel wuchsen ganz überwie - Jahr 2018 war ein Kolkrabe, vermutlich gend im Umfeld des Gelegestandorts auf. derselbe Vogel bzw. zumindest mit dersel - Ein gutes Beispiel für die sehr kleinräumi- ben An- und Abflugrichtung zum vermut- gen Aufzuchtsbereiche stellen die Jungvögel lichen Brutplatz im Wald östlich von Leid- der Bruten 4 und 5 dar (s. Abb. 5), die hecken, regelmäßig innerhalb des einge - während aller Kontrollen bis zum Flügge- zäunten Bereichs auf Nahrungsuche zu werden ausschließlich auf der Insel beob - beobachten. Möglichweise hat die im achtet wurden, auf der die Brut stattfand Vergleich zum Jahr 2018 aktuell nun (Brut Nr. 5) bzw. zusätzlich nur wenige nochmals deutlich größere Anzahl vertei- Male an der direkt an grenzenden Uferlinie digender Altvögel zu einer Meidung des (Brut Nr. 4). Die Inseln weisen einen Brutstandortes der Kiebitze geführt. Auch Durchmesser von nur 16 bzw. 18 m auf. Bodenprädatoren konnten nur außerhalb Die wenigen beobachteten Abwanderungen des Zaunes beobachtet werden. Die durch vom Schlupfort beziehen sich fast aus - Gedrängeeffekte verlassenen Graugans ( Anser nahmslos auf einen Wechsel vom Brut- anser )-Gelege waren selbst im August platz zur benachbarten Uferlinie, wo durch noch unberührt, so dass es offensichtlich die niedrigere Vegetation und die vor- nicht zu einem unbemerkten Eindringen handenen Schlammflächen offenbar deut- gekommen ist. lich bessere Aufzuchtsbedingungen gegeben Der Verlust von ungefähr einem Fünf- waren. Nur die Jungvögel einer Familie tel der dokumentierten Zahl geschlüpfter wurden schon bald nach dem Schlupf abseits Jungvögel ist somit offenbar ganz überwie - der Uferlinien aufgezogen (s. Abb. 9, Brut- gend durch die anhaltende Kältephase in der paar Nr. 2). Erst ab einem Alter von mehre - ersten Maihälfte 2019 während und kurz ren Wochen, die Jungvögel hatten in der nach dem Schlupf der ersten 23 Gelege be - Regel etwa die halbe Größe der Altvögel dingt. Abb. 7 und 8 dokumentieren den Ver- erreicht, wurde bei verschiedenen Familien lauf des Brutgeschehens. Die ersten Bruten eine Abwanderung vom zunächst gewähl - begannen offenbar Ende März schon vor Be- ten Aufzuchtsort am Gewässerufer hin ginn der Kontrollen im Gebiet. Der Schlupf zu den beweideten Grünlandbereichen im setzte auffallend synchron am 24. April ein. Süden des Zaunes festgestellt. Mit der

49 Mahd der umliegenden Grünlandflächen 3.3 Ergebnisse im Jahr 2020 suchten zahlreiche ältere Jungvögel zeit- weise auch diese Bereiche außerhalb des Im Jahr 2020 war, wohl vom guten eingezäunten Bereichs auf. So konnten Bruterfolg im Vorjahr ausgehend, eine wei - am 30. Juni insgesamt 13 Küken in sechs tere deutliche Steigerung des Brutbestandes Familien in der Abenddämmerung bei der zu beobachten. Das Brutgeschehen wurde Nahrungssuche auf dem frisch gemähten an mehr als 30 Tagen intensiv beobachtet. Grünland außerhalb des Zaunes beobach- Dabei konnten bis zu 72 gleichzeitig brüten- tet werden. de oder Junge führende Weibchen am 18.

Abb. 7: Anzahl brütender Vögel („Gelege“) und geschlüpfter Bruten („Schlupf“) während der Kontrollen im Untersuchungsgebiet 2019.

Abb. 8: Zeitpunkt des Schlupfes von 49 Kiebitzgelegen im Untersuchungsgebiet 2019.

50 April erfasst werden (67 davon inner- und elf erfolgreichen Bruten erfasst werden, sie fünf außerhalb des Zaunes). Für 57 dieser führten am 19. Juni zusammen 31 Jungvögel. Weibchen konnten geschlüpfte Jungvögel Viele dieser Paare (mindestens fünf) verloren direkt nachgewiesen werden. Einschließlich ihre Gelege beim Hochwasser Mitte April; der Gelege, bei denen der Schlupf durch es folgten aber mehrere Nachgelege. Die die aufwachsende Vegetation nicht exakt deutliche Zunahme in diesem Gebiet (in den beobachtet werden konnte, aber anhand letzten Jahren wurden nur bis zu drei von Beobachtungen Junge führender bzw. Familien beobachtet) steht in eindeutigem hu dernder Weibchen im direkten Umfeld Zusammenhang mit dem Schutzzaun, der sehr wahrscheinlich ist, ist von einer Ge- offenbar von vielen zusätzlichen Paaren samtzahl von etwa 74 Weibchen mit einem zur Brut genutzt wurde. Damit war der Schlupferfolg von mindestens 178 Küken Bestand erfolgreicher Paare und auch der auszugehen. Eine detaillierte Zusammen- Bruterfolg der Graugans in diesem Gebiet stellung dieser Ergebnisse ist in Vorberei- nur unwesentlich geringer als der im mehr tung. als zehnmal so großen NSG Bingenheimer Ried ( Stübing 2018).

3.4 Weitere Brutvogelarten 3.4.2 Weitere Brutvogelarten im Jahr 2019 3.4.1 Weitere Brutvogelarten im Jahr 2018 Während der sehr intensiven Kon- In diesem Jahr bestand Brutverdacht trollen konnten im Jahr 2019 im Gebiet für zwei Löffelenten-Paare. Weiterhin wur - folgende weitere Brutvogelarten festgestellt den zwei Stockenten-Familien innerhalb des werden. Besonders bemerkenswert sind Zaunes beobachtet. Graugänse konnten mit dabei der erste dokumentierte und über -

Abb. 9: Aufenthaltsbereich der Jungvögel 2019 (Pfeil = Abwanderung vom Brutplatz); die meisten Jungvögel wuchsen im unmittelbaren Umfeld der Brutplätze auf.

51 haupt erst dritte Brutverdacht des Rot- Schafstelze ( Motacilla flava ): vier Re- schenkels in Hessen nach dem Jahr 1993 viere (Stübing et al. 2010), der Brutverdacht Nilgans ( Alopochen aegyptiacus ): ein von vier Entenarten sowie das gehäufte Brutpaar mit fünf Jungen Vorkommen auch einiger Singvogelarten Blässhuhn ( Fulica atra ): vier Brutpaare wie Blau- und Schwarzkehlchen. Rotschenkel ( Tringa totanus ): ein Brut- verdacht (ein bis zwei balzende Tiere und 3.4.3 Weitere Brutvogelarten im Jahr 2020 Angriffsflüge auf Greif- oder Rabenvögel zusammen mit den Kiebitzen, vom 9. bis Besonders auffallend waren im Jahr 22. April zwei auch balzende Tiere, danach 2020 die Brutnachweise der verschiedenen bis 5. Juni meist ein Vogel, z. T. mit Balz- Entenarten. Neben mindestens drei Stock- strophen und mehrfachem Verteidigungs- enten-Weibchen mit Jungvögeln konnten verhalten) drei Brutpaare der Schnatterente (zwei Löffelente ( Spatula clypeata ): zwei Paare, Weibchen mit Jungen und nach deren starker Brutverdacht Schlupf noch ein weiteres Weibchen mit Knäkente ( Anas querquedula ): zwei Brutpause) bestätigt werden. Durch die Paare, starker Brutverdacht mehrfache Beobachtung von rasch Nahrung Schnatterente ( Anas strepera ): zwei aufnehmenden Weibchen während Brut- Paare, starker Brutverdacht pausen, die dann wieder heimlich in der Stockente ( Anas platyrhynchos ): mind. Grasvegetation verschwanden, ist auch je - vier Brutpaare mit Jungvögeln; der tatsäch- weils eine Brut der Löffel- und sogar der liche Bestand brütender Weibchen war ver - in ganz Deutschland außerordentlich selte - mutlich deutlich größer, da allein aus der nen Spießente dokumentiert. 150 m entfernten Beobachtungshütte drei Weitere Brutvögel waren Blässhuhn mit brütende Weibchen ohne ein Betreten der zehn Brutpaaren und mindestens 32 flüg- Fläche erfasst werden konnten. Die im gen Jungvögeln, Graugans (20 Brutpaare Vergleich dazu geringe Anzahl von doku - mit 103 Jungvögeln), Zwergtaucher (drei mentierten Bruten beruht auf der hohen Brutpaare) und Nilgans mit zwei erfolgrei - Mobilität der Familien innerhalb des Ge- chen Bruten und zwei weiteren, zeitweise samtgebietes. So konnten maximal lediglich anwesenden Revierpaaren. Rotschenkel vier Familien gleichzeitig beobachtet wer - wurden nur am 6./7. Mai mit ein bis den; der tatsächliche Bestand war vermutlich zwei balzrufenden und warnenden Vögeln deutlich höher. Hinzu kommt ein geringer festgestellt, so dass es in diesem Jahr bei Bruterfolg aufgrund des Schlupfs der mei - dieser Art sicher nicht zu einem Brutver- sten Gelege während der zweiwöchigen such gekommen ist. Kältephase mit raschem Verlust vieler erst wenige Tage alter Jungvögel. Graugans ( Anser anser ): 21 Familien mit 4 Diskussion 140 Jungen Zwergtaucher ( Tachybaptus ruficollis ): Der Bestand des Kiebitzes hat in bis vier Paare balzend (keine Bruten) Hessen, wie fast überall in Deutschland, in Blaukehlchen ( Luscinia svecica ): vier den letzten Jahrzehnten stark abgenom- Brutpaare men. Wurden in den 1970er Jahren landes - Schwarzkehlchen ( Saxicola torquata ): weit noch mehr als 2000 Brutpaare erfasst, drei Brutpaare waren es in den letzten zehn Jahren nur Grauammer ( Miliaria calandra ): zeit - noch bis 300 und 2018 sogar nur noch 250 weise zwei Reviere Paare bzw. Reviere. Im Jahr 2019 lag der Feldlerche ( Alauda arvensis ): fünf Re- Bestand bei etwa 256 Paaren bzw. Revieren viere (s. Abb. 10).

52 Ursachen für diese dramatisch negative Gelege und Jungvögel durch Bodenpräda- Entwicklung sind der Lebensraumverlust toren belegt. Während die adulten Kiebitze durch die Trockenlegung von Flussauen und potenzielle Fressfeinde wie Greif- oder Feuchtgebieten sowie die intensive Land- Rabenvögel, aber auch Weißstörche, durch wirtschaft, die zu direkten Brutverlusten gezielte, intensive Angriffe aus den Brutge- und Nahrungsmangel führt. Seit über 25 bieten vertreiben, haben sie gegenüber den Jahren versucht die Arbeitsgemeinschaft meist nachtaktiven Säugern wie Füchsen (AG) Wiesenvogelschutz in der Wetterau und Waschbären nur geringe Chancen. in enger Zusammenarbeit zwischen haupt- Diese kommen aus der Umgebung und und ehrenamtlichem Naturschutz durch kontrollieren die Naturschutzgebiete regel - umfangreiche Maßnahmen zur Verbesse- mäßig, denn hier finden sie im Vergleich rung der Lebensräume den Bestand der zum Umland günstige Nahrungsressourcen Wiesenvögel zu sichern. Den sehr erfolgrei - durch die Vielzahl von Amphibien, Insek- chen und umfangreichen Maßnahmen zur ten, Regenwürmern und Bodenbrütern Biotopgestaltung zum Trotz und der hohen (Stübing & Bauschmann 2011). Anzahl von etwa einem (guten) Drittel Daher versucht die AG Wiesenvogel- des hessischen Kiebitzbestandes, die in der schutz die Bruten der Bodenbrüter seit mehr Wetterau zur Brut schreiten, konnten als zehn Jahren an wechselnden Orten mit etwa seit der Jahrtausendwende jedoch nur mobilen Elektrozäunen vor Bodenprädato- sehr geringe Bruterfolge erreicht werden ren zu schützen. Kiebitze und auch andere (Stübing & Bauschmann 2011, Stübing & Arten sind offensichtlich in der Lage, in Werner 2019 , Eichelmann mündl. Mitt.). wenigen Nächten die Schutzfunktion der Als Hauptursache für den geringen Zäune zu erkennen und siedeln sich gezielt Bruterfolg ist, abgesehen von Einzelereig- innerhalb der Schutzzäune an. Allerdings ist nissen wie Hochwasserphasen während der die Pflege und Instandhaltung der mobilen Brutzeit wie besonders ausgeprägt im Jahr Schutzzäune sehr zeitaufwendig, somit 2018 ( Stübing 2018), die Prädation der teuer und zudem mit zahlreichen Störun-

Abb. 10: Bestandsentwicklung des Kiebitzes in Hessen in den Jahren 2016 bis 2019 nach Stübing & Werner (2019) und Anteil der Bruten im Schutzzaun in den Jahren 2018 und 2019.

53 Abb. 11: Summe der in Hessen im Jahr 2019 erfassten Kiebitzbruten und großer/vermut- lich flügger Jungvögel der Art, unterteilt nach den Ergebnissen innerhalb des Schutzzaunes („Zaun“) sowie im restlichen Hessen. l h a z n A

Landkreis (KFZ-Kürzel)

Abb. 12: Anzahl der Brutpaare/Reviere sowie die Anzahl großer/vermutlich flügger Jung- vögel des Kiebitzes in Hessen im Jahr 2019 nach Landkreisen; Schwerpunkte sind nur noch in der Region Wetterau (FB/GI) und im Hessischen Ried (GG) vorhan - den. In fast der Hälfte der hessischen Landkreise ist das Brutvorkommen der Art (z. T. seit Jahrzehnten) erloschen.

54 gen in den Brutgebieten verbunden. Schon einzustufen: In der nur 6 ha großen Um- der kurzzeitige Abfall der Stromstärke wäh- zäunung schlüpften 49 Kiebitz-Gelege, wo- rend nur einer Nacht kann zu Verlusten der bei mehrere Männchen mit mehr als einem meisten Gelege führen ( Stübing & Bausch- Weibchen verpaart waren. Eine solche mann 2011). Dichte dürfte bundesweit kaum übertrof- Mit dem im Winter 2017/18 errichte- fen werden. Insgesamt wurden 125 Junge ten stationären Schutzzaun, der nur noch beobachtet, von denen 89 bis 103 flügge einen minimalen Pflegeeinsatz erfordert wurden. Damit wurde ein Bruterfolg von und gleichzeitig als Einzäunung für die 1,8 bis 2,1 flüggen Jungvögeln pro brüten - im Gebiet weidenden Rinder dient, wurde dem Weibchen erfasst. Prädationsverluste erstmals ein solcher Zaun in Hessen umge - konnten mit Ausnahme der einzigen außer - setzt. Bereits in der ersten Brutzeit nach halb des Schutzzaunes begonnenen Brut Errichtung konnten im Jahr 2018 zahlreiche nicht festgestellt werden. Die im Umfang Kiebitzjunge im Schutz der Einzäunung von etwa einem Fünftel der beobachteten flügge werden. Allerdings wurde das Er- Jungen dokumentierten Verluste gehen gebnis durch ein spätes Hochwasser Mitte wohl ausschließlich auf eine zweiwöchige April, bei dem fast alle Gelege zerstört Kältephase im Mai zurück. In einem Fall wurden, erheblich beeinflusst. Dennoch konnte während der Kältephase auch das konnten 15 Brutpaare, davon sicher neun Tothacken eines wenige Tage alten Kükens und vermutlich 14 mit Schlupf, nachgewie - durch einen fremden Kiebitz-Altvogel sen werden (= 1,7 juv. pro kontrolliertes beobachtet werden. Das Küken hatte den Brutpaar; Stübing 2018). Anschluss an seine Geschwister verloren Im Jahr 2019 verlief das Brutgeschehen und zunächst versucht, bei einem benach - hingegen von Hochwassern ungestört. Die bart brütenden Weibchen „unterzuschlüp - Ergebnisse sind daher als repräsentativ fen“, wurde von diesem dann jedoch mehr - für die Wirksamkeit der Maßnahme anzu- fach intensiv mit Schnabelhieben traktiert, sehen – und sie sind als außerordentlich bis es sich nicht mehr regte. l e g ö v g n u J r e g g ü l f l h o w l h a z n A

Gebiet Abb. 13: Anzahl vermutlich flügger Kiebitzjunge 2019 in elf Wiesenvogelschutzgebieten der Wetterau; in zwölf weiteren Gebieten wurden Kiebitzbruten ohne Bruterfolg festgestellt (AG Wiesenvogelschutz Wetterau).

55 Die sehr kleinflächigen Aufzuchtsbe- in den Jahren 2017 und 2018 offensichtlich reiche der einzelnen Familien lassen darauf als Folge der deutlich zu geringen Repro- schließen, dass das eingezäunte Gebiet duktionserfolge zu interpretieren. Die in durch die Kombination der zwölf Inseln, den Jahren 2018 bis 2020 im Schutzzaun der sehr ausgeprägten Uferlinie und das festgestellten Bruterfolge von 1,7 (2018) und umgebende Grünland eine außerordentlich 1,8 bis 2,1 (2019) flüggen sowie 2,4 (2020) gute Eignung für brütende Kiebitze auf - geschlüpften Jungvögeln pro Paar liegen weist. Hinzu kam das Offenhalten der hingegen doppelt so hoch wie die zum Uferbereiche durch die im Gebiet brütenden Bestandserhalt notwendige Reproduktion Graugänse, das sich für die Nahrungssuche und sind im Vergleich zum landesweiten der Kiebitzjungen sehr günstig auswirkte. Wert sogar um den Faktor vier bzw. fünf Plard et al. (2019) bestätigten ganz höher. Damit ist ohne Zweifel ein Bruterfolg aktuell einen zu geringen Reproduktions- gegeben, der eine (deutliche) Zunahme des erfolg als wesentliche Ursache für den Rück- Brutbestandes ermöglicht, sofern er anhal - gang der mitteleuropäischen Kiebitz-Popu- tend und von einer größeren Anzahl von lationen. Auf Grund der ermittelten Über- Paaren erreicht wird. lebensraten der Kiebitze liegt der bestands- Neben den Kiebitzen brüteten zudem erhaltende Bruterfolg demnach bei 0,8 zahlreiche weitere Vogelarten im umzäunten (Schleswig-Holstein) bis 0,9 (Niederlande) Gebiet, u. a. Löffel-, Knäk-, Schnatter- und flüggen Jungvögeln pro anwesendem Brut- Spießente, Graugans, Blau- und Schwarz- paar und Brutsaison. Ein solcher Bruterfolg kehlchen. Aus Landessicht ebenfalls äußerst ist in Hessen landesweit seit Jahrzehnten bemerkenswert ist der Brutverdacht des und auch in der Wetterau seit Gründung der Rotschenkels. AG Wiesenvogelschutz vor 25 Jahren nicht Die elektrische Einzäunung muss so- mehr erreicht worden. Selbst im besonders mit als durchschlagender Erfolg im Wiesen- gut dokumentierten Jahr 2019 kommen auf vogelschutz bewertet werden. Es ist zu 207 Brutpaare/Reviere landesweit außer- erwarten, dass mit einer ausreichenden An- halb des Schutzzaunes lediglich 106 größere zahl von Einzäunungen wie in Reichelsheim bzw. flügge Jungvögel (s. Abb. 11 und 12). eine grundlegende Wende im äußerst kri- Davon brüteten 10 bzw. 5 Brutpaare in tischen Erhaltungszustand der genannten mobilen Schutzzaunarealen in den Kreisen Arten zeitnah innerhalb weniger Jahre er - Groß-Gerau und Schwalm-Eder, die zusam- reicht werden kann. men 20 Junge aufzogen (Kilian und Gelpke schriftl. Mitt.). Der Bruterfolg lag außer- halb des Festzaunes sowie der beiden Mobilzäune somit bei 0,45 Jungvögeln pro 5 Literatur Paar und ist damit nur etwas mehr als halb so hoch, wie nach Plard et al. (2019) Bauschmann , G. (2010): Erstellung von für eine bestandserhaltende Reproduktion Artenhilfskonzepten in Hessen. – notwendig. In den zahlreichen weiteren Vortrag auf dem Expertenworkshop Kiebitzbrutgebieten der Wetterau wurden Uferschnepfe 2010, Echzell. im Jahr 2019 71 Paare/Reviere mit zusam - Plard F., H. A. Bruns, D. V. Cimiotti, A. men nur 18 flüggen Jungen erfasst (s. Abb. Helmecke, H. Hötker, H. Jeromin, 13). Der Bruterfolg pro anwesendem Paar M. Roodbergen, H. Schekkerman, lag hier somit bei sogar nur 0,3 flüg- W. Teunissen, H. van der Jeugd & gen Jungvögeln/Paar und damit in einer M. Schaub (2019): Low productivity Größenordnung wie in den zurückliegen - and unsuitable management drive the den Jahren. decline of central European lapwing So ist der Rückgang von 300 Brutpaaren populations. – Animal Conservation in Hessen im Jahr 2016 auf etwa 250 Paare 2019 : 1 – 11.

56 Stübing , S. (2018): Erfassung des Brut- erfolges seltener Brutvögel in ausge - wählten Schutzgebieten der Wetterau 2018. – Gutachten im Auftrag des Regierungspräsidiums Darmstadt, Obere Naturschutzbehörde. Stübing, S. & G. Bauschmann (2011): Artenhilfskonzept Kiebitz in Hessen. – Gutachten der Staatlichen Vogel- schutzwarte für Hessen, Rheinland- Pfalz und Saarland; Bad Nauheim. Stübing, S. & G. Bauschmann (2017): Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen für den Kiebitz ( Vanellus vanellus ) in Hessen. – Vogel & Umwelt 22 : 67 – 80. Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel Hessens in Raum und Zeit. Brutvogelatlas. Hrsg.: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, Echzell. S.176 – 177. Stübing, S. & M. Werner (2017): Zum Brutbestand des Kiebitzes ( Vanellus vanellus ) in Hessen 2016. – Vogel & Umwelt 22 : 59 – 66. Stübing, S. & M. Werner (2019): Moni- toring seltener Arten und Etablierung des Monitorings von Einzelvorkom- men und Koloniebrütern – Ergebnisse Wiesenlimikolen in Hessen 2019. – Gutachten der Staatlichen Vogel- schutzwarte für Hessen, Rheinland- Pfalz und Saarland. VSW & HGON ( Werner, M., G. Bausch- Manuskript eingereicht am 09. 10. 2019, mann, M. Hormann, D. Stiefel, J. angenommen am 16. 01. 2020 Kreuziger, M. Korn & S. Stübing ) (2016): Rote Liste der bestandsgefähr - deten Brutvogelarten Hessens, 10. Fassung, Stand Mai 2014; Wies- Anschriften der Verfasser: baden (HMUKLV). Stefan Stübing, Werner, M., G. Bauschmann, M. Hor- Am Eichwald 27, mann & D. Stiefel (2014): Zum D-61231 Bad Nauheim, Erhaltungszustand der Brutvogelarten E-Mail: stefan.stü[email protected] Hessens. – Vogel & Umwelt 21 : 37 – 69. Gerd Bauschmann, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected]

57 Streitende Kiebitze (Foto: Christian Gelpke)

58 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 59 – 72 (2020)

Überwinterung eines großen Weißstorchtrupps ( Ciconia ciconia ) 201 8/19 bei Büttelborn (Kreis Groß-Gerau, Südhessen) vo n Ernst Ludwig Achenbach , Darmstadt-Eberstadt Keywords: Ciconia ciconia, Überwinterung, Truppgröße, Groß-Gerau, Hessen

Zusammenfassung sprechen von einer drastischen Zunahme der Brutpaarzahlen in Südwestdeutschland Von Oktober 2018 bis Januar 2019 (einschließlich Hessen) zwischen 2004 und wurde bei Büttelborn (Kreis Groß-Gerau) 2014. Ein Trend, der sich aktuell fort- ein großer überwinternder Weißstorchtrupp setzt, wie die Brutpaarzahlen in Hessen seit mit maximal 120 Vögeln beobachtet. An- 2014 zeigen: 2014 380 BP, 2015 420 BP, hand von Ringablesungen konnten Her- 2016 495 BP und 2017 589 BP (NABU- kunft, Alter und Brutorte 2018 ermittelt BAG – Bundesarbeitsgruppe Weißstorch- werden. Die identifizierten Störche stamm - schutz 2018). Der hessische Verbreitungs- ten aus Belgien, Frankreich, der Schweiz schwerpunkt der Adebare liegt in Südhes- sowie den Beringungsgebieten der Vogel- sen. Allein 342 der o. g. 589 Brutpaare warten Helgoland, Hiddensee und Radolf- verteilten sich 2017 auf die Kreise Wies- zell. Die Altersspanne variierte zwischen baden, Groß-Gerau, Darmstadt-Dieburg erstem Kalenderjahr (KJ)/diesjährig und und Bergstraße (NABU-BAG Weißstorch- 28. KJ. Die meisten erfassten Vögel brüteten schutz 2018). Mittlerweile zählt Groß- 2018 in Mittel- und Südhessen. Gerau deutschlandweit zu den Kreisen mit den meisten Brutpaaren (BP) und flüggen Jungvögeln (JZG). In der Statistik für Summary 2017 werden für Groß-Gerau 236 BP und 497 JZG genannt sowie als weitere kreis- Between October 2018 and January bezogene Maximalwerte: Karlsruhe/Baden- 2019, a large wintering group of W hite Württemberg: 176 BP, 295 JZG; Prignitz/ storks containing a maximum of 120 birds Brandenburg: 204 BP, 253 JZG und Stendal/ was observed near Büttelborn (Groß-Gerau Sachsen-Anhalt: 171 BP, 276 JZG (NABU- district). Ring resightings allowed for the BAG Weißstorchschutz 2018). Infolge des birds’ origins, ages and 2018 breeding sites hohen Brutbestandes und aufgrund rasten - to be determined. The identified storks der Durchzügler kommt es in Groß-Gerau originated from Belgium, France and zumeist im August immer wieder zu großen Switzerland as well as from the ringing Storchenansammlungen. Während einzelne schemes run by the Helgoland, Hiddensee oder in kleinen Trupps überwinternde and Radolfzell ornithological stations. Their Weißstörche alljährlich in Hessen beobach - ages ranged from 1st CY/1st winter to 28th tet werden können, sind große Storchen- CY. Most of the recorded birds bred in ansammlungen in dieser Jahreszeit jedoch central and southern Hesse in 2018. eher ungewöhnlich.

1 Einleitung 2 Methode und Danksagung

Der hessische Weißstorchbestand steigt Die Störche fielen schnell auf und konn - seit Jahren. Wieding & Dziewiaty (2018) ten zudem gut erfasst werden, weil sie häufig

59 in der Nähe der viel befahrenen B42 und im identifiziert wurden, wurden jedoch nicht Bereich der Büttelborner Bruchwiesen zu als Überwinterer sondern als sehr frühe sehen waren (s. Abb. 1). Rückkehrer gewertet. Fluchtdistanzen von teilweise weniger Durch Einblicke in die Jahresstatistiken als 80 Metern ermöglichten bei Annähe- der AG Weißstorch-Beringung in Hessen, rungen ohne jede Deckung detaillierte Be- zusammengestellt unter der Federführung obachtungen durchs Spektiv sowie gute von Klaus Hillerich, und durch Anfragen Fotos, ohne die Vögel unnötig zu stören. bei den zuständigen Vogelwarten sowie den Wenn nicht gerade hoher Bewuchs sowie Horstbetreuern vor Ort konnten Herkunft, über den Zehen angebrachte oder ver - Alter, Geschlecht und Brutort 2018 der schmutzte Ringe die Ablesungen be- oder beringten Störche ermittelt werden. Ein herz- verhinderten, konnten die beringten Störche liches Dankeschön daher an die Vogelwar- gut identifiziert werden. Durch Mehrfach- ten Helgoland, Radolfzell und Sempach beobachtungen an insgesamt 20 Beobach- sowie an die folgenden Personen für zur tungstagen wurden vorherige Ablesungen Verfügung gestellte Beobachtungsdaten, bestätigt. Unvollständige, unsichere und Fotos, Informationen, Diagramme und für fehlerhafte Identifizierungen wurden aus - redaktionelle Korrekturen, ohne die dieser sortiert. Artikel nicht möglich gewesen wäre: Achen- Der Beobachtungszeitraum wurde auf bach, E. L.; Bode, R.; Dorner, I.; Feld, W.; die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019 Fiedler, G.; Hillerich, K.; Kreuziger, J.; beschränkt, um die überwinternden von Reiners, T. E.; Schaffner H.; Schmidt, K.; spät wegziehenden und früh zurückkehren - Schütze, N.; Sender, W.; Seum, U.; Stübing, den Störchen abzugrenzen. Individuen, die S.; Usinger, H.; Vernaleken, T. und Wein- lediglich einmal und zwar im Januar 2019 hold, M.

Abb. 1: Weißstorchtrupp am 12. 12. 2018 bei Büttelborn, Kreis Groß-Gerau (Foto: Horst Usinger).

60 3 Ergebnisse weitere gab. So wurden beispielsweise mehr - fach Abflüge zur und aus der Ferne An- 3.1 Ansammlungsorte, sammlungen auf der nahegelegenen Kreis- Beobachtungszeitraum und mülldeponie Büttelborn beobachtet. Verweildauer Geschätzte 30 % bis 50 % der Vögel der beobachteten Trupps waren unberingt. Im Zeitraum vom 28. 10. 2018 bis 20. 01. Die einzelnen Störche wurden im 2019 wurde der Storchentrupp an 20 Tagen Zeitraum der insgesamt 20 zufällig gewähl - beobachtet. Meist standen die Vögel in ge - ten Beobachtungstage mindestens einmal schlossener Formation nordwestlich von bis maximal zehnmal identifiziert. Sie ver - Büttelborn in der Nähe der B42 oder süd- weilten demnach unterschiedlich lange bei lich des Orts im Bereich der Bruchwiesen. Büttelborn (s. Abb. 3), nämlich zwischen Zweimal hatte sich der Trupp auf diese einem Tag und dem gesamten Beobach- beiden Standorte aufgeteilt (s. Abb. 2). tungszeitraum. Die tatsächliche Verweil- Fünfmal wurde eine Truppgröße von mehr dauer einiger Vögel war jedoch wahrschein - als 100 (max. 120), zwölfmal eine zwischen lich länger, denn nicht immer konnten inner - 50 und 100 und dreimal eine unter 50 In- halb eines Trupps alle Ringträger erfasst dividuen (min. 10) registriert. Wahrschein- werden. Darüber hinaus wurde zwischen lich waren die Beobachtungen kleinerer dem 16. 11. 2018 und dem 18. 12. 2018 be- Trupps der Tatsache geschuldet, dass es sonders häufig und intensiv und davor und neben den beiden o. g. Standorten noch danach eher sporadisch beobachtet.

Abb. 2: Weißstorchtrupp-Erfassung Oktober 2018 bis Januar 2019 bei Büttelborn, Kreis Groß-Gerau; Trupp an einem (rot) oder zwei Standorten (orange) beobachtet; rechts die Mülldeponie (Kartengrundlage: NATUREG-Viewer).

61 3.2 Herkunft land zur Welt, allein in Hessen 43, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Niedersach- Die Herkunft aller 85 beringten Störche sen mit je zwei Vögeln. 26 Störche ließen konnte ermittelt werden (s. Abb. 4). Die sich der Vogelwarte Radolfzell zuordnen. meisten von ihnen, nämlich 47, kamen im Die meisten von ihnen, nämlich 19, stamm - Zuständigkeitsbereich der Vogelwarte Helgo - ten aus Baden-Württemberg, weitere sechs

Abb. 3: Verweildauer aller 85 identifizierten Weißstörche.

Abb. 4: Beringungsorte aller 85 identifizierten Weißstörche, den zuständigen Beringungs- zentralen zugeordnet.

62 aus Rheinland-Pfalz und einer aus Bayern. mit 18 Adebaren. Der älteste Storch war Zur Beringungszentrale Hiddensee gehör - beachtliche 28 Jahre alt und kam in Mann- ten vier Adebare aus Thüringen. Acht Vögel heim zur Welt. waren mit Ringen aus Belgien, Frankreich oder der Schweiz versehen. Die Entfernungen zwischen den Be- 3.4 Brutorte 2018 ringungsorten der Störche und Büttelborn betrugen zwischen einem und 485 Kilo- Für 70 der 85 Ringstörche konnten die meter (s. Abb. 5). 59 Störche wurden in bis Brutorte 2018 ermittelt werden (s. Abb. 8). zu 100 Kilometer Entfernung vom Beobach- Die fehlenden Daten für 15 Vögel sind zum tungsort beringt, bei 24 waren es bis zu 300 Teil darauf zurückzuführen, dass manche und bei zwei weiteren mehr als 300 Kilome- von ihnen aufgrund ihres Alters in 2018 ter. Herkunftsschwerpunkte waren Mittel- ganz sicher oder wahrscheinlich noch und Südhessen (s. Abb. 6). Bei der Ge- nicht gebrütet haben. Andererseits ist es schlechterverteilung der 85 Störche fällt bei der gerade in Hessen stetig steigenden auf, dass mit 43 zu 28 deutlich mehr ǨǨ Brutpopulation und den vielen Baum- als ǩǩ gesichtet wurden. Bei 14 Vögeln brütern kaum noch möglich, alle Nester zu konnte das Geschlecht nicht ermittelt wer - entdecken bzw. die zugehörigen beringten den (s. Abb. 5 und Abb. 9). Brutvögel zu identifizieren. Die genannten 70 Störche brüteten alle in Deutschland: der weitaus größte Teil von ihnen, nämlich 3.3 Alter 58, im Zuständigkeitsbereich der Vogel- warte Helgoland, davon allein 55 in Hes- Abb. 7 zeigt die Altersverteilung der sen mit Schwerpunkt in Mittel- und Störche. Lediglich ein einziger diesjähriger Südhessen und lediglich drei Vögel in Vogel, aus Niedersachsen stammend, tauch - Niedersachsen. Sieben Störche waren te im Trupp auf, einjährige Vögel fehlten. Brutvögel im Bereich der Vogelwarte Alle Jahrgänge zwischen 2000 und 2016 Radolfzell, sechs in Rheinland-Pfalz und waren vertreten, das Geburtsjahr 2008 allein einer in Baden-Württemberg, sowie fünf in

Abb. 5: Entfernungen der Beringungsorte aller 85 identifizierten Weißstörche von Büttel- born.

63 Abb. 6: Geografische Verteilung der Beringungsorte aller 85 identifizierten Weißstörche.

64 den von der Beringungs zentrale Hidden- 4 Diskussion see betreuten Bundesländern, drei in Thü- ringen und je einer in Sachsen und Sachsen- Die NABU-BAG Weißstorchschutz Anhalt. (2017) drückt den Wunsch nach einer Die Entfernungen zwischen den Brut- „Winterstörche“-Definition aus und for- orten 2018 und Büttelborn betrugen zwi - muliert: Weißstörche die nach dem 15. No- schen einem und 328 Kilometer (s. Abb. 9). vember und vor dem 15. Januar in Hessen 59 Störche brüteten in bis zu 100 Kilometer gesichtet werden, gelten als „Winterstörche“ Entfernung vom Beobachtungsort, zwei bzw. als in Deutschland überwinternde davon direkt in den Büttelborner Bruch- Tiere. Diese Zeitspanne deckt sich in etwa wiesen, bei neun waren es bis zu 300 und bei mit dem o. g. Beobachtungszeitraum 28. 10. zwei weiteren mehr als 300 Kilometer. Die 2018 bis 20. 01. 2019. Brutortschwerpunkte lagen in Mittel- und Überwinternde Weißstörche in Deutsch- Südhessen. Während die meisten Vögel in land sind kein neues Phänomen, wie die traditioneller Südwestrichtung von ihren Zahlen der NABU-BAG Weißstorchschutz Brutorten nach Büttelborn gezogen waren, Jahr für Jahr aus sämtlichen Bundesländern hatten einige südhessische sowie fünf der zeigen. Die Anzahl der Überwinterer sechs Brutstörche aus Rheinland-Pfalz und schwankt zwar, sicher nicht zuletzt auf - der aus Baden-Württemberg den Beob- grund von Datenlücken, betrug aber in den achtungsort in nördlicher Richtung er- letzten Jahren immer mehrere Hundert: reicht (s. Abb. 10). Acht Brutvögel waren Winter 2013/14: ca. 610 (Hessen: 66 – 72), übrigens zusammen mit ihren Brutpart- Winter 2014/15: ca. 470 (Hessen: 107 – 111), nern bei Büttelborn aufgetaucht. In Sachen Winter 2015/16: ca. 540 (Hessen: keine Ausbreitungstendenz zeigt Abb. 11, dass Angabe), Winter 2016/17: ca. 786 (Hessen: die Brutorte 2018 der meisten Störche 54) und Winter 2017/18: ca. 450 (Hessen: nördlich der zugehörigen Beringungsorte keine Angabe) (NABU-BAG Weißstorch- lagen. schutz 2014, 2015, 2016, 2017, 2018). Damit

Abb. 7: Geburtsjahre aller 85 identifizierten Weißstörche.

65 ist ein deutlicher Anstieg gegenüber frühe - dene Ursachen genannt: Für Kaatz (2016) ren Jahren zu erkennen: Winter 2006/07 198 liegt aufgrund verstärkter Beobachtungen in (Hessen ca. 40), Winter 2007/08: 49 (Hessen den Wintermonaten der Verdacht nahe, dass keine Angabe), Winter 2008/09: 78 (Hessen die Klimaveränderungen bereits das Verhal- 1) und Winter 2009/10 287 (Hessen ca. 50) ten der Störche beeinflussen. Köppen (2017) (NABU-BAG Weißstorchschutz 2007, 2008, erwähnt die in früheren Jahren geäußerte 2009, 2010). Auffassung, dass es sich bei den Überwinte - Für die Überwinterung und die steigen - rern um schwächliche, verletzte oder zahme de Zahl der Überwinterer werden verschie - Vögel handelt. Darüber hinaus führt er

Abb. 8: Brutorte 2018 von 70 identifizierten Weißstörchen, den zuständigen Beringungs- zentralen zugeordnet.

Abb. 9: Entfernungen der Brutorte 2018 von 70 identifizierten Weißstörchen von Büttelborn.

66 Abb. 10: Geografische Verteilung der Brutorte 2018 von 70 identifizierten Weißstörchen.

67 Abb. 11: Geografische Zuordnung der Beringungs- und Brutorte 2018 von 70 identifizierten Weißstörchen.

68 einen ausbleibenden Zugtrieb an, der vor Zufütterung ist ein essenzieller Bestandteil allem bei sogenannten Projektstörchen aus des Konzepts. Die Zufütterung hatte keinen Wiederansiedlungsprogrammen festgestellt Einfluss auf die Anzahl der Überwinterer wurde. In dieselbe Richtung argumentiert am Affenberg. Die absolute Anzahl Über - Reinhard (2018) in Bezug auf Oberschwa- winterer ist seit Jahren mit ca. 20 Individuen ben, wenn sie feststellt, dass die anfäng- stabil.“ Reinhard (2018) vermutet, dass lichen Überwinterer hier fast ausnahmslos auch das Futterangebot auf den Müllkippen Projektstörche oder Nachkommen von sol - die Überwinterung fördert. Der Büttelbor- chen (Nachkommen von Nichtziehern und ner Storchentrupp bestätigt diese Vermu- Mischpaaren) waren. tung. Bei den Beobachtungen fiel auf, dass Nach Brauneis (1999) müssen in der die Vögel wiederholt um die Mittagszeit Neuzeit im Winter festzustellende Weiß- oder später nahezu geschlossen zur nahege - störche in erster Linie mit Exemplaren aus legenen Mülldeponie östlich von Büttelborn menschenabhängigen Haltungen (Vogel- (s. Abb. 2) flogen. Ob das täglich der Fall parks etc.) in Verbindung gebracht werden. war, also zur Tagesrhythmik der Winter- Berck & Rossbach (1994) weisen aller- störche gehörte, und was außerhalb der dings für Hessen darauf hin, dass es kei- Besuche auf der Deponie als Nahrung auf- nen Beleg dafür gibt, das vermehrte genommen wurde, war nicht Ziel dieser Auftreten von Überwinterern als eine Folge Untersuchung. von Auswilderungsmaßnahmen zu deuten. Außer einem einzigen diesjährigen Vogel, Zufütterung ist ein weiteres Stichwort. aus einem 289 km entfernten Beringungsort Creutz (1988) berichtet, dass Überwinte - in Niedersachsen angereist, konnte kein rungen sogar in mehrjähriger Folge gelin - weiterer Jungstorch unter den Überwinte - gen, wenn regelmäßig ausreichend Futter rern bei Büttelborn ausgemacht werden, geboten wird. Reinhard (2013) schreibt: einmal mehr ein Beleg dafür, dass alle dies - „In der von mir betreuten Weißstorch- jährigen Jungstörche im Winter ihren Population in Oberschwaben (Süddeutsch- Beringungsort verlassen. In diese Richtung land) gibt es mittlerweile ca. ein Drittel äußert sich auch Reinhard (2018), die dar - Überwinterer (Kriterium: Ablesungen im auf hinweist, dass die Jungstörche, welche Brutgebiet und seiner Umgebung im De- sich im Spätsommer in Trupps sammeln, zember und Januar), Tendenz zunehmend. ausnahmslos nach Süden abziehen. Roland Nur ein Teil dieser Störche überwintert am (2003) schränkt diese Aussage etwas ein, Brutplatz; dies ist sicherlich einer der Gründe, wenn er erwähnt, dass für die Wintermo- weshalb andernorts nicht alle Überwinterer nate 2002/03 Weißstorchbeobachtungen aus als solche erkannt werden. Ein anderer Teil Nord- und Südhessen vorliegen, die größ - zieht zu Fütterungsplätzen am Bodensee tenteils adulte Vögel betreffen. Das Fehlen oder zu fütternden Privatpersonen in der einjähriger Vögel im Büttelborner Storchen- Region. Es gibt Brutstörche, die als Brut- trupp (s. Abb. 7) bestätigt Beobachtungen, vogel von Anfang an bei uns überwintern dass nahezu ausschließlich erst mindestens und solche, die durch ihre überwinternden zweijährige Störche aus den traditionellen Partner bzw. schon im Herbst erfolgende Überwinterungsgebieten in hiesige Regio- Zufütterung dieser Partner zum Hierbleiben nen zurückkehren, zur Brut schreiten und veranlasst wurden.“ Hingegen betont Hil- anschließend ggf. hier als Winterstörche auf - gartner (2013), wissenschaftlicher und be - tauchen. So fand Achenbach (2003) in den triebswirtschaftlicher Leiter des Affenbergs Wintern 1999/2000, 2001/02 und 2002/03 in Salem: „Die Storchenstation am Affen- 12 verschiedene Ringstörche, die alle bereits berg wurde 1978 mit der Ansiedlung erster mindestens im dritten Lebensjahr waren. Weißstorch-Brutpaare und der vorherigen In Südhessen können während des Umgestaltung eines Maisfeldes zu einem Durchzugs im August regelmäßig Weiß- Weiher und Feuchtbiotop gegründet. Die storchtrupps mit mehr als 100 Vögeln beob -

69 achtet werden. Auch Büttelborn ist häufig als erster Ankömmling wieder in seinem Schauplatz großer Ansammlungen. So weist Brutgebiet aufzutauchen ( Kräling 2019). Werner (2013) darauf hin, dass im Bereich Wer weiß, welche Besonderheiten sich der Bruchwiesen bei Büttelborn und an der noch ergeben, wenn die Beobachter von Büttelborner Mülldeponie regelmäßig sogar Winterstörchen auch in Zukunft ihre Be- mehr als 200 Individuen beobachtet werden obachtungen detailliert dokumentieren, die konnten, mindestens 220 am 01. 08. 2010. Ringablesungen mit den Vogelwarten ab - Damit sind genau die Bereiche genannt, gleichen und Kontakt zu den Storchen- an denen auch der 20 18/ 19 überwinternde betreuern in den Brutgebieten halten oder Storchentrupp zu sehen war. Die kommen - aufnehmen. den Jahre werden zeigen, ob sich am Durch- zugsschwerpunkt Büttelborn womöglich eine Überwinterungstradition entwickelt. 5 Literatur Die in Abb. 3 dargestellte unterschied - lich lange Verweildauer der Winterstörche Achenbach , E. L. (2003): Beringte Weiß- bei Büttelborn lässt folgende Fragen offen: störche im Kreis Groß-Gerau – Beob- Sind die Vögel direkt nach Verlassen ihres achtungen in den Jahren 1999 bis 2003. Brutortes 2018 bzw. für den einen diesjäh- – Collurio 21 : 151 – 168. rigen nach Verlassen des Geburtsortes 2018 Berck, K.-H. & R. Rossbach (1994): Weiß- zur Überwinterung nach Büttelborn geflo - storch – Ciconia ciconia . – In: Hessische gen oder haben sie sich zuvor anderweitig Gesellschaft für Ornithologie und längere Zeit aufgehalten? Haben die Vögel Naturschutz (Hrsg., 1993 – 2000): Büttelborn verlassen, um direkt wieder Avifauna von Hessen; Echzell. ihr Brutgebiet aufzusuchen oder sind sie Brauneis , W. (1999): Der Weißstorch in wo möglich zunächst weitergezogen? Beide Hessen. – Schriften des Werratalvereins Fragen gelten insbesondere für die Witzenhausen, Heft 36; Witzenhausen. Störche, die nur kurzzeitig bei Büttelborn Creutz , G. (1988): Der Weißstorch. Ciconia verweilten. ciconia . 2. Erweiterte Auflage. – Interessantes hierzu liefert der Storch Die Neue Brehm-Bücherei 375, 236 S.; mit der längsten Verweildauer, eine 2009 in Wittenberg Lutherstadt. Frankreich geborene und mit einem auffälli - Hilgartner , R. (2013): Statements – In: gen und gut ablesbaren weißen Ring mit NABU-BAG Weißstorchschutz 2013: schwarzem Code ausgestattete Störchin, die Mitteilungsblatt 105/2013; Loburg. seit 2012 Brutvogel an der Radenhäuser Kaatz , M. (2016): Weißstorcherfassung – Lache (Kirchhain) im Landkreis Marburg- Abstimmung der Bundeslandesbe- Biedenkopf ist. Kräling (2019) berichtet, stände 2015. – In: NABU-BAG Weiß- dass der Vogel letztmals am 08. 09. 2018 storchschutz 2016: Mitteilungsblatt an der Radenhäuser Lache beobachtet und 108/2016; Loburg. am 25. 09. 2018 bei Büttelborn fotografiert Köppen , U. (2017): Nicht- und Kurz- wurde. Innerhalb des gesamten Beobach- streckenzug. – In: Kaatz, C., D. tungszeitraums vom 28. 10. 2018 bis 20. 01. Wallschläger, K. Dziewiaty & U. 2019 wurde er neunmal vor Ort identifiziert Eggers (Hrsg., 2017). Der Weißstorch. (s. Abb. 3). Laut Kräling (2019) wurde der Ciconia ciconia .– Die Neue Brehm- Vogel jedoch Mitte November für einige Bücherei 672. Magdeburg: 408 – 411. Tage mit einem weiteren Weißstorch im Kräling , W. (2019): Störche im Marburger Brutgebiet in den Ohmwiesen bei Klein- Land 2018 – Teil 4 Reise in den Süden / seelheim gesichtet. Er ist somit mindestens Winterstörche sowie Störche im einmal zwischen Brut- und Überwinte - Marburger Land 2019 – Teil 1 Ankunft rungsgebiet (einfache Entfernung: 105 km) – URL: http://www.störche.nabu- hin- und hergependelt, um am 09. 02. 2019 marburg-biedenkopf.de/

70 NABU-BAG Weißstorchschutz (2007): Mitteilungsblatt 99/200 7, NABU, Berlin. NABU-BAG Weißstorchschutz (2008): Mitteilungsblatt 100/2008, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2009): Mitteilungsblatt 101/2009, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2010): Mitteilungsblatt 102/2010, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2014): Mitteilungsblatt 106/2014, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2015): Mitteilungsblatt 107/2015, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2016): Mitteilungsblatt 108/2016, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2017): Mitteilungsblatt 109/2017, Loburg. NABU-BAG Weißstorchschutz (2018): Mitteilungsblatt 110/2018, Loburg. Reinhard , U. (2013): Winterstörche – Was ist zu tun? – In: NABU-BAG Weiß- storchschutz (2013): Mitteilungsblatt 105/2013, Loburg. Reinhard , U. (2018): Über 1000 freiflie - gende Weißstorchpaare in Baden- Württemberg und Diskussion zur Definition von HPa – In: NABU- BAG Weißstorchschutz (2018): Mitteilungsblatt 110/2018, Loburg. Roland , H. J. (2003): Weißstorch – Ciconia ciconia – In: Korn, M., J. Kreu ziger, H.-J. Roland & S. Stübing (2003): Ornithologischer Jahresbericht 4 für Hessen (2002). – Vogel & Umwelt 14 : 19. Werner , M. (2013): Weißstorch – Ciconia ciconia – In: Cimiotti, D. V., D. S. Cimiotti, T. Ochmann & J. Kreuziger (2013): Ornithologischer Jahresbericht 7 für Hessen (2005 – 2010). – Vogel & Umwelt 20 : 115. Wieding, O. & K. Dziewiaty (2018): Dy- Manuskript eingereicht am 29. 08. 2019, namik und Bestandsentwicklung von angenommen am 12. 09. 2019 Ost- und Westziehern – In: NABU- BAG Weißstorchschutz (2018): Mitteilungsblatt 110/2018, Loburg. Anschrift des Verfassers: Ernst Ludwig Achenbach, Brandenburger Straße 6, D-64297 Darmstadt-Eberstadt, E-Mail: [email protected]

71 Weißstorchtrupp am 18. 12. 2018 auf einem Dachfirst in Büttelborn, Kreis Groß-Gerau (Foto: Horst Usinger).

Weißstorchtrupp am 30. 12. 2018 in den Bruchwiesen bei Büttelborn, Kreis Groß-Gerau (Foto: Horst Usinger).

72 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 73 – 102 (2020)

Populationsökologische Untersuchungen des Wendehalses (Jynx torquill a) im E U-Vogelschutzgebiet „Wälder der südlichen hessischen Oberrheinebene“ von Christian Zurek , , Nicolai Poeplau , Lorsch und Peter Petermann , Bürstadt Keywords: Jynx torquilla, Populationsdynamik, Beringung, Nistkästen, Viernheimer Waldheide, EU-Vogelschutzgebiet Wälder der südlichen hessischen Oberrheinebene, Hessen

Zusammenfassung In der Summe erzeugten alle Bruten 460 Nachkommen, von denen 429 Individuen Das 164 ha große FFH-Gebiet „Viern- mit Ringen der Vogelwarte Helgoland mar - heimer Waldheide und angrenzende Flächen“ kiert wurden. Die Sterblichkeit junger (kurz: Viernheimer Waldheide), zwischen Wendehälse in den Nistkästen betrug mit 40 und Viernheim im Kreis verstorbenen Nestlingen 8,7 %. Bergstraße gelegen, ist Teil des EU-Vogel- Das Auftreten beringter Nachkommen schutzgebiets „Wälder der südlichen hes- in der lokalen Brutpopulation wurde in sischen Oberrheinebene“ (kurz: VSG). Es den Jahren 2014 bis 2019 durch die Kon- gehört seit Jahrzehnten zu den bevorzugten trolle des Beringungsstatus brütender Alt- Brutarealen für den in Hessen vom Aus- vögel an 25 Nistkästen untersucht. In den sterben bedrohten Wendehals. Die artspe- Jahren 2014 und 2019 gelang es, je einen zifischen Habitatansprüche gelten dort beringten Wendehals an bebrüteten Nist- durch die kontinuierliche Pflege der offe- kästen zu identifizieren, der im Vorjahr nen, nährstoffarmen und kalkreichen Sand- nestjung seine individuelle Markierung er - rasen sowie infolge eines umfangreichen halten hatte. Die Wiederfunde beringter Nisthöhlenangebots als vorbildlich erfüllt. Vögel außerhalb des Untersuchungsgebietes Das Brutvorkommen wurde in den beschränkten sich bisher auf einen frisch- Jahren 2012 bis 2019 in rund 200 Nistkästen tot aufgefundenen Wendehals im etwa 3 km entlang eines 4,5 km langen Abschnittes in entfernten Lampertheimer Stadtteil Neu- diesem NATURA 2000-Gebiet untersucht. schloß im Jahr 2012. Obwohl die saisonalen Erfasst wurden dabei die Anzahl bebrüteter Kontrollen des Beringungsstatus nicht alle Nistkästen, die Gelegegrößen und die An- belegten Nistkästen umfassten, wiesen die zahl lebender und verstorbener Jungvögel Ergebnisse darauf hin, dass die Nachkom- in den Kästen. Zudem wurden vornehmlich men der Nistkastenbruten nicht dominant Wendehalsnestlinge mit Ringen individuell die lokale Brutpopulation innerhalb des Un- markiert. In allen Untersuchungsjahren tersuchungsgebiet stellen, möglicherweise konnten 96 Bruten an 69 GPS-verorteten aber das nähere Umfeld im VSG besiedeln. Brutstandorten erfasst werden. Die jährliche Die Ergebnisse der langjährigen Studie Belegungsquote erreichte mit 8 bis 17 be - weisen auf die Notwendigkeit eines groß- nutzten Kästen prozentuale Werte von 3,8 % flächigen Schutzkonzepts im VSG für die und 8,6 %. Aus den bebrüteten Kästen ge - seltene Spechtart hin. langen jährlich 5 bis 10 erfolgreiche Bruten mit flugfähigen Nachkommen. Die durch - schnittliche Gelegegröße aller 65 erfolgrei - Summary chen Bruten wurde mit 7,6 ± 1,7 (n = 65) be - stimmt. Die jährliche Fortpflanzungsziffer The 164 ha FFH area „Viernheimer schwankte zwischen 3,0 ± 3,2 und 7,0 ± 3,0. Waldheide und angrenzende Flächen“ (re -

73 ferred to as Viernheimer Waldheide), lo- From 2014 to 2019 the appearance of cated between the cities Lampertheim and ringed Wrynecks among the breeding Viernheim lies within the 5455 ha european population was analyzed at 25 incubated bird conservation area Wälder der südlichen nest boxes. The screening procedure usually hessischen Oberrheinebene in South Hesse identified unringed adults. In 2014 and 2019, (referred to as VSG). The vegetation of one ringed Wryneck could be identified and the Viernheimer Waldheide is characterized recaptured. Both Wrynecks received their by arid and semiarid (dry) grassland pre- unique markings as nestlings in the study dominantly surrounded by pines on sandy area in the previous years. Recoveries of terrain. Extensive grazing practices and ringed birds outside the study area were so scrub cleareance have preserve the very far limited to one dead adult at Neuschloss, specific rich flora and fauna. From 2005 a district of Lampertheim, in 2012. Despite onwards around 200 artificial nestboxes methodical limitations, the results of the were installed along a approx. 4,5 km long present nest box study suggested, that the section of a dirt road, passing through the generated juvenile Wrynecks were not the area. For decades, the Viernheimer Wald- driver of the local breeding population in heide is one of most preferred breeding habi- the following years and probably emigrated tat for the rare Eurasian Wryneck ( Jynx tor - outside the study area in the VSG. Con- quilla ) in the state of Hesse. The high-qual - cering the future conservation of the local lity territory offers key habitat features that Wryneck population, large-scale species are considered as beeing crucial for the ter- management beyond the study area is ab- restrially foraging Wryneck: Availability of solutely necessary. patchy vegetation structure, facilitating prey accessibility, and high-density breeding sites. From 2012 to 2019 the occupancy of the 1 Einleitung artificial nest boxes by breeding Wrynecks had been studied. Each year, the number 1.1 Bestandssituation des Wende- of incubated boxes, the clutch size, the halses in Europa und Hessen breeding success and the juvenile mortality rate were monitored. Nestlings were indi- Die Bestände des Wendehalses haben vidually marked with rings from the in Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten Institute of Avian Research Vogelwarte dramatisch abgenommen. Für den Zeitraum Helgoland. Overall, 96 broods were investi - von 1982 bis 2005 wurde in Europa ein gated at 69 GPS-located nest boxes. During Rückgang um 74 % verzeichnet. Seitdem the season, Wrynecks used 8 to 17 nest boxes haben sich die Bestände auf diesem niedri - for breeding attempts. With reference to the gen Niveau stabilisiert. Der Kurzzeittrend total number of artificial cavaties in the ist dabei wieder leicht positiv (EBCC & Bird study area, the annual occupancy rate Life International 2017). Deutschlandweit reached percentage values of 3.8 % and gingen die Bestände im vergleichbaren Zeit- 8.6 %. The monitored population produced raum ebenfalls um annähernd 60 % zu- 5 to 10 successful broods with fledged rück und haben sich auf einem niedrigen offspring. The average clutch size of all Niveau stabilisiert ( Gerlach et al. 2019). 65 successful broods was determined to Die Erfassung von Wendehälsen im Rahmen be 7.6 ± 1.7 (n= 65). The number of fledged des ADEBAR-Projektes (Atlas deutscher young per brood fluctuated between 3,0 ± Brutvogelarten des Dachverbandes deut - 3,2 and 7,0 ± 3,0 per year. All broods pro- scher Avifaunisten und der Stiftung Vogel- duced 460 nestlings of which 429 individ- monitoring Deutschlands) für die Jahre uals were marked with rings. 40 nestlings 2005 bis 2009 ergab einen bundesweiten died in their nest boxes, subsequently the Bestand von 8500 bis 15000 Revieren juvenile mortality rate was 8.7 %. (Gedeon et al. 2014). Die Rote Liste der

74 Abb. 1: Eine gerade Schotterstraße führt entlang der Hochspannungstrasse zwischen dem Wanderparkplatz „Heide“ und einer Kleingartensiedlung in Höhe des NSG Ober- lücke durch das FFH-Gebiet. Die Wegekreuzungen entlang der Schotterstraße sind mit gelben Pollern gekennzeichnet (Foto: Christian Zurek, 08. 06. 2015).

Abb. 2: Die Hochspannungsleitung dominiert das Erscheinungsbild in der Viernheimer Waldheide. Beweidung fördert die Erhaltung charakteristischer Pflanzenarten wie der Sand-Strohblume ( Helichrysum arenarium ) (Foto: Christian Zurek, 0 7. 0 7. 2019).

75 Brutvögel Deutschlands stuft den Wende- 1.2 Die Viernheimer Waldheide – hals in der Kategorie 2 als „stark gefährdete“ Ein Spitzengebiet für Art ein und prognostiziert einen negativen den Wendehals in Hessen zukünftigen Bestandstrend ( Grüneberg et al. 2015). In der Schweiz ist hingegen nach Das 164 ha große FFH-Gebiet 6417- starken Rückgängen seit 2002 eine tendenzi - 403 „Viernheimer Waldheide und angren - elle Zunahme des landesweiten Bestandes zende Flächen“ (kurz: Viernheimer Wald- auf 1000 bis 2500 Paaren erkennbar. Die heide) ist Teil des 5455 ha umfassenden positive Bestandsentwicklung konnte durch EU-Vogelschutzgebietes „Wälder der süd- gezielte Artenhilfskonzepte eingeleitet wer - lichen hessischen Oberrheinebene“ (kurz: den. Forschungsergebnisse zu den Lebens- VSG). Prägend für das von Waldflächen raumansprüchen der Art bildeten die umgebene NATURA 2000-Gebiet sind Grundlage für die Förderung besiedelter trockene, nährstoffarme und kalkreiche Lebensräume wie beispielsweise Hoch- Sandrasen. Große Teile des Gebietes wur- stamm-Obstgärten und Weinberge ( Knaus den durch amerikanische Streitkräfte bis et al. 2018). etwa 1994 als militärische Panzerübungs- In Hessen wird der Wendehals in der flächen genutzt (Abb. 1). Darüber hinaus aktuellen Fassung der Roten Liste in der verläuft durch das Gebiet eine Hochspan- Kategorie 1 als „vom Aussterben bedroht“ nungs-Freileitungstrasse, die gegenwärtig eingestuft (VSW & HGON 2016). Der von dem Netzbetreiber Amprion unterhal - hessische Brutbestand wird auf 200 bis ten wird (Abb. 2). Sowohl die militärische 300 Reviere geschätzt (HGON 2010). Der Nutzung als auch die Anwesenheit der Schwerpunkt der Verbreitung mit schät - Freileitungstrasse verhinderten in der Ver- zungsweise deutlich mehr als 100 Revieren gangenheit die Verbuschung der wertvollen liegt demnach im hiesigen VSG. Eine wei- Sandflächen. Die Offenhaltung der Sand- tere Bestandserfassung für Hessen, die auf rasen förderte ferner die Erhaltung bedeu - Meldungen von Bruten und Revierkartie- tender Pflanzengesellschaften und das Brut- rungen im Zeitraum von 2005 bis 2010 vorkommen seltener Vogelarten wie Heide- basiert, ermittelte eine Revierspanne von lerche, Wiedehopf und Wendehals. Für die minimal 130 bis maximal 172 Revieren. Die langfristige Entwicklung der Sandrasen- berücksichtigten Meldungen stammten über- Lebensräume, entsprechend den natur - wiegend aus Gebieten in Südhessen wie schutzfachlichen Zielen, wird seit 2005 die der Viernheimer Waldheide, dem VSG Bewirtschaftung der Flächen durch Bewei- „Mönchbruch und Wälder bei Mörfelden- dung und mechanische bzw. maschinelle Walldorf und Groß-Gerau“ sowie dem Pflege gewährleistet (Abb. 3 und 4). Der Raum Darmstadt. Erfolg dieser kombinierten Maßnahmen Brutvorkommen mit zweistelligen Zah- zur Gebietspflege konnte im Jahr 2013 in len wurden ferner im Raum Fulda doku - einer vom Regierungspräsidium Darmstadt mentiert ( Petermann & Ochmann 2013). beauftragten Studie bestätigt werden. Die Auch wenn hessenweit keine flächen - hierfür durchgeführte Flächenstatistik er - deckende und langfristige Arterfassung mit mittelte u. a. einen Flächenzuwachs des einer vergleichbaren Systematik vorliegt, dominanten FFH-Lebensraumtyps (LRT) zeigen die gemeldeten Beobachtungen in „Dünen mit offenen Grasflächen“ (LRT der webbasierten avifaunistischen Daten- 2330) von 32,36 ha auf 35,40 ha. Derzeit sammlung „ornitho.de“, dass vermutlich wird weiterhin dem stetigen Wiederbewal- von keiner größeren Dunkelziffer auszu- dungsdruck der Sandrasenflächen entge - gehen ist und die Schätzung von 100 bis gengewirkt, um den offenen Heidecharak- 200 Revieren außerhalb des VSG als reali - ter dieser einzigartigen Landschaft im stisch angesehen werden kann (J. Kreuziger Kreis Bergstraße zu bewahren ( Vogt- mündl. Mitt.). Rosendorff 2013).

76 Abb. 3: Die offenen Sandrasenflächen werden durch kontinuierliche Beweidung mit Schafen, Ziegen und Eseln vor der fortschreitenden Verbuschung bewahrt (Foto: Christian Zurek, 05. 05. 2013).

Abb. 4: Die Beweidung fördert die Erhaltung charakteristischer Pflanzenarten wie der Steppen-Wolfsmilch ( Euphorbia seguieriana ) (Foto: Christian Zurek, 20. 06. 2015).

77 Der Wendehals profitiert von der be - Bruthöhlen zu zimmern ( Bezzel 2006). wirtschafteten lückigen, nährstoffarmen Als prominentes Beispiel hierfür sei die Gras landschaft und auch den angrenzen- Ansiedlung des Wendehalses auf einem den lichten Sand-Kiefernwäldern, die der ehemaligen militärischen Übungsgelände seltenen Spechtart die Zugänglichkeit zu bei Halberstadt in Sachsen-Anhalt genannt. Ameisennestern (hauptsächlich Wiesen- und Dort konnte in einem extensiv beweideten Rasenameisen) gewährleistet, deren Bewoh- Trockenrasengebiet ohne ein geeignetes ner die Nahrungsbasis dieser Spechtart dar - natürliches Bruthöhlenangebot durch die stellen ( Franke & Tolkmitt 2012, Schmie- Installation von Nistkästen der Wende- der et al. 2015, Lepp 2016). hals angesiedelt werden ( Tolkmitt et al. Ungeachtet einer sehr günstigen Nah- 2012). rungsverfügbarkeit limitiert ein geringes Ergänzend zum Vorkommen natür- Nisthöhlenangebot die Besiedlung geeig- licher Baumhöhlen existiert seit 2005 ein neter Lebensräume durch den Wendehals, großflächiges Angebot von Nistkästen in der anatomisch nicht befähigt ist, eigene der Viernheimer Waldheide.

Abb. 5: Räumliche Verteilung der rund 200 mit GPS verorteten Nistkästen im FFH Gebiet Viernheimer Waldheide und angrenzende Flächen. Die installierten künstlichen Bruthöhlen flankierten einen ca. 4,5 km Abschnitt der Schotterstraße zwischen dem Wanderparkplatz „Heide“ im Norden und einer Kleingartensiedlung in Höhe des NSG Oberlücke von Viernheim südlich der Autobahn A6. Die Gliederung des Untersuchungsgebiets in 17 Nistkastensektoren orientierte sich an dem Verlauf von Wegen in dem ehemaligen Truppenübungsplatz. Ab der sechsten Wegekreuzung flankieren die Nistkästen beidseitig die durch das Gebiet führende Hochspannungs- trasse. Die gelben Überquerungs-Zeichen repräsentieren die Kreuzungen entlang der Schotterstraße. (Kartengrundlage: OpenTopoMap Garmin Edition Version r3409).

78 Demzufolge sind alle zuvor genannten ein Innenraummaß von 14 x 14 x 28 cm mit artspezifischen Habitatansprüche für den einer Einfluglochweite von 36 bis 40 mm Wendehals im Gebiet in vorbildlicher Weise auf. Die an Bäumen fest installierten Nist- erfüllt: Ein umfangreiches Nisthöhlenange- kästen besaßen einen eindeutigen Zahlen- bot in der Umgebung lichter Waldstruktu- Buchstabencode, der sich an der jeweiligen ren mit offenen bis halboffenen, kurzrasigen Position in 17 festgelegten Sektoren orien - Flächenanteilen ( Lösekrug et al. 2016). tierte. Die Einteilung der Sektoren folgte dem Verlauf von Wegen, die in dem ehema - ligen Truppenübungsgelände die Schotter- 1.3 Ziel der Studie straße kreuzen. Gelbe und mit fortlaufenden Zahlen gekennzeichnete Poller an den Kreu- Die Viernheimer Waldheide mit ihrem zungen dienten als strukturgebende Markie- lokal hohen Wendehalsvorkommen und der rungen für die Gliederung der Sektoren. jahrzehntelangen Bruttradition bietet die Die Poller waren Relikte aus der Zeit der außergewöhnliche Möglichkeit, die Popula- militärischen Nutzung als Truppenübungs- tionsdynamik und den Trend der Bestands- gelände der US-Streitkräfte und dienten den entwicklung in einem vergleichsweise be - Soldaten wahrscheinlich als Orientierungs- schränkten geografischen Raum im VSG hilfe im Gelände. Mit Ausnahme der Sek- langfristig zu untersuchen. Die kontinuier- toren S15 und S16 folgte die Installation der liche naturschutzgerechte Bewirtschaftung Kästen dem linearen Verlauf der Schotter- der offenen Sandrasen in Kombination mit piste. Ab der Kreuzung Turn 6 verengte einem gepflegten, großflächigen Nistkasten- sich die offene Sandrasenlandschaft auf eine bestand schaffen hierfür ideale Rahmen- ca. 100 m breite Hochspannungs-Freilei- bedingungen. Die Beringung von Nestlin- tungstrasse. In diesem Abschnitt flankierten gen in den Nistkästen und die Kontrolle des die Nistkästen zu beiden Seiten das offene Beringungsstatus der brütenden Altvögel Gelände bis zur südlich verlaufenden Auto- sollen darüber hinaus Erkenntnisse zur Ge- bahn A6. burtsorttreue der Wendehälse im Unter- Der gesamte Nistkastenbestand wurde suchungsgebiet liefern. nach der Brutsaison jährlich gereinigt und Die Ergebnisse dieser langjährigen gewartet. Trotz forstwirtschaftlicher Maß- Studie können in die Konzeption eines nahmen im Untersuchungszeitraum von Artenhilfsprogramms für den Wendehals im 2012 bis 2019 blieben die Standorte der Nist- VSG und auch andernorts einfließen. kästen in den Sektoren weitgehend unver- ändert. Alle Positionen der vornehmlich öst - lich ausgerichteten Nistkästen wurden GPS- satellitengestützt erfasst und in eine Karte 2 Material und Methoden (OpenTopoMap Garmin Edition Version r3409 für die Region Deutschland) über- Der kontrollierte Nistkastenbestand von tragen. Die Verteilung der rund 200 Nist- rund 200 künstlichen Bruthöhlen flankierte kästen in den Sektoren ist in der Abb. 5 dar- einen ca. 4,5 km Abschnitt der Schotter- gestellt. straße zwischen dem Wanderparkplatz Kartierungen von Wendehalsrevieren „Heide“ und einer Kleingartensiedlung in entlang der Schotterstraße erfolgten in An- Höhe des NSG Oberlücke von Viernheim lehnung an das vorgeschlagene artspezifi - südlich der Autobahn A6. Die im Abstand sche Vorgehen in den Methodenstandards von ca. 30 bis 100 Metern in der Über- zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands gangszone von Wald zur offenen Sandrasen- (Südbeck et al. 2005). Für die akustische und Heidelandschaft verteilten Nistkästen Wiedergabe der Klangattrappe wurde ein stammten aus der Holzwerkstatt Sassen MP3-Player mit einem Lautsprecher einge - (Schlitz, Hessen). Die Holzkästen wiesen setzt.

79 Die brutzeitliche Kontrolle aller Nist- unterhalb des Einfluglochs fixierten Kame- kästen begann frühestens ab Mitte Mai. Die ras erfassten nach der Aktivierung der Film- nachfolgenden Kontrollen bebrüteter Nist- funktion den Beringungsstatus der füttern - kästen richteten sich nach dem zeitlichen den Vögel. Die Kamerakontrollen dauerten Brutverlauf und erfolgten mindestens im in der Regel 45 Minuten bis 5 Stunden. Die wöchentlichen Rhythmus. Erfasst wurden verwendeten Kameras entsprachen handels- dabei die Gelegegröße sowie die Anzahl üblichen Modellen, die beispielsweise un- lebender und verstorbener Jungvögel in den ter der Bezeichnung „USB-Stick Kamera- Nistkästen. Wendehalsnestlinge wurden im Spionage Cam“ mit Bewegungsmelder von Alter von ca. 14 Tagen mit Ringen der dem Anbieter „Haifischtech“ vertrieben Vogelwarte Helgoland individuell markiert. wurden. Nach erfolglosen Brutversuchen oder dem Ausflug flügger Jungvögel aus bebrüteten Nistkästen erfolgte zeitlich nachfolgend die Kontrolle der Nistkästen im Umfeld des 3 Ergebnisse der brutzeitlichen Erstbrutstandorts auf Ersatz- oder Zweit- Kontrollen zwischen 2012 und 2019 bruten. Soweit möglich wurden brütende Alt- 3.1 Ergebnisse der Nistkasten- vögel in den Nistkästen oder mit einem kontrollen Netz gefangen. Die Verwendung bewe - gungsgesteuerter USB-Minikameras konnte Das Brutvorkommen des Wendehalses ab 2014 als störungsfreies Verfahren für die wurde in den sieben Untersuchungsjahren automatisierte Ringkontrolle an Nistkästen in 198 bis 209 Nistkästen kontrolliert (Abb. etabliert werden ( Zurek & Lepp 2016). Die 6 bis 8). Die Anzahl jährlich belegter Nist- auf einem etwa 18 cm langen Holzstück kästen in dem Gesamtbestand schwankte

Tabelle 1: Anzahl der jährlich belegten Nistkästen in den 17 Sektoren Sektor 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Summen S00 1 ------1 S01 111------14 S02 1 ------211--- 5 S03 ------1 --- 112--- 5 S04 41211------9 S05 1532211--- 15 S06 ------1 ------1 S07 --- 1311------17 S08 --- 2 ------312--- 8 S09 --- 1 ------1215 S10 1 ------12 S11 ------0 S12 --- 1 --- 12------4 S13 ------0 S14 511223--- 1 15 S15* --- 1 ------1 S16 312--- 112414 Summen 17 15 13 8 15 9 10 9 96 *: Keine Kontrolle des Sektors S15 nach 2014

80 Abb. 6: Der Nistkasten S05K wurde in der Vergangenheit mehrmals von Wendehälsen für Bruten benutzt (Foto: Christian Zurek, 24. 06. 2012).

Abb. 7: Rund 200 Nistkästen flankieren einen ca. 4.5 km langen Abschnitt der Schotterstraße in der Übergangszone zwischen dem Wald und den offenen Sandflächen (Foto: Nistkasten S16A, Christian Zurek, 15.06.2019).

81 zwischen minimal acht im Jahr 2015 und Die Belegung der Nistkästen in den maximal 17 im Jahr 2012. Die Belegungs- untersuchten 17 Sektoren ist in der Tabelle 1 quote schwankte demnach zwischen 3,8 % zusammengefasst. Mit Ausnahme der bei - im Jahr 2015 und 8,6 % im Jahr 2012. Die den Sektoren S11 und S13 konnten in allen Wendehälse nutzen für Zweitbruten oder Kasten-Sektoren Brutversuche und erfolg - nach einem Brutverlust in der Regel nie den - reiche Bruten festgestellt werden. Ein ein- selben Nistkasten. Stattdessen wurden stets ziger Brutversuch im Sektor S06 wurde Nistkästen in der räumlichen Nähe zum während der Gelegephase abgebrochen. In Erstbrutstandort aufgesucht. Dieses Verhal- der Abb. 9 ist die räumliche Verteilung ten konnte von Poeplau (2005) mit farb - der 69 benutzten Nistkästen im Unter- markierten Wendehälsen belegt werden und suchungsgebiet grafisch dargestellt. Die wurde des Weiteren in der Literatur be - ungleichmäßige Verteilung und Anzahl schrieben ( Glutz von Blotzheim & Bauer belegter Nistkästen in den Sektoren wies 1980). Trotz der fehlenden Beringung der auf bevorzugte Brutstandorte hin. Be- brütenden adulten Wendehälse, die eine sonders häufig wurden Nistkästen in zweifelsfreie Identifizierung von Ersatz- den Sektoren S05, S14 und S16 für Bruten und Zweitbruten ermöglichen würde, er - benutzt. In sechs der sieben Unter- laubten die Kontrollen im Umfeld von suchungsjahre brüteten Wendehälse in die - festgestellten Brutstandorten dennoch, auf sen Revieren. 45 % der belegten Nistkästen Zweit- oder Ersatzgelege in den belegten konnten diesen drei Revieren zugeordnet Revieren zu schließen. werden.

Abb. 8: Belegter Nistkasten (S14I) mit installierter USB-Kamera (Foto: Christian Zurek, 20. 06. 2015).

82 In der Summe belegten brütende als Ersatzbrut bestimmt. Die Bestimmung Wendehälse 69 verschiedene Nistkästen für der durchschnittlichen Gelegegrößen ergab 96 Brutversuche in allen Untersuchungs- für die Erstbruten einem Wert von 7,8 ± 1, jahren. In dieser Statistik sind 65 erfolgrei - (n = 59) sowie für die zusammenfassend ge - che Bruten mit Schlupf und Ausflug von werteten Zweitbruten und die Ersatzbrut Jungvögeln, 30 nicht abgeschlossene Bruten einen Wert von 6,3 ± 0,9 (n = 6). sowie eine nachbrutzeitlich festgestellte Es schlüpften insgesamt 460 Nestlinge späte Brut mit drei verstorbenen Nestlin- (Abb. 11 und 12), von denen 429 beringt gen enthalten. Bei den nicht erfolgreichen wurden. Demgegenüber gelang die Berin- Bruten dominierten 22 vorzeitig beendete gung von 14 adulten Vögeln, die an den be- Bruten ohne Schlupf von Nestlingen. In acht brüteten Nistkästen gefangen werden konn- Nistkästen kam es nach dem Schlupf von ten. Mit 40 verstorbenen Jungvögeln lag die Jungvögeln zum Totalverlust der Bruten. durchschnittliche Sterblichkeit in den Nist- Die Gelege aller erfolgreichen 65 Bru- kästen bei einem Wert von 8,7 % (als Anteil ten wiesen eine Spanne von drei bis 11 Eiern aller geschlüpften Nestlinge). Darin sind auf (Abb. 10) und erreichten eine durch - auch mit einem prozentualen Anteil von schnittliche Größe von 7,6 ± 1,7 (n = 65). 3,5 % aller erfassten Nestlinge 16 beringte Entsprechend der räumlichen Verteilung Jungvögel enthalten, die vor dem Ausfliegen und dem kalendarischen Auftreten der verstarben. Demnach konnten aus 65 erfolg - Bruten wurden 59 Gelege als Erstbruten, reichen Bruten 413 beringte und flugfähige fünf Gelege als Zweit- und ein Gelege Nachkommen die Nistkästen verlassen.

Abb. 9: Positionen von 69 GPS-verorteten Nistkästen in den 17 Sektoren, die in allen Unter- suchungsjahren für insgesamt 96 Bruten benutzt wurden. Die gelben Überquerungs- Zeichen repräsentieren die Kreuzungen entlang der Schotterstraße (Kartengrundlage: OpenTopoMap Garmin Edition Version r3409).

83 3.2 Vergleich der jährlichen und einem Wert von 7,0 ± 3,0 im Jahr 2018. Reproduktion in den Die Größe der Fortpflanzungsziffer wurde Nistkastenrevieren wesentlich durch saisonale Brutverluste bestimmt. Im Jahr 2013 erbrachten ledig- Die jährlich festgestellte Reproduktion lich acht von 15 begonnenen Bruten flügge in den 17 Nistkastenrevieren ist in den Abb. Nachkommen: Sechs Bruten wurden vor - 13 und 14 für alle Untersuchungsjahre zu - zeitig aufgegeben, bei einer Brut kam es zum sammengefasst. In den Darstellungen sind Totalverlust der geschlüpften Nestlinge im die Anzahl belegter Nistkästen, die Anzahl Nistkasten. Die vorherrschende nasskalte erfolgreicher Bruten, die Summen aller Eier Witterung kennzeichnete das extreme Klima in den Gelegen, die Anzahl aller Nestlinge dieser Brutsaison. Die festgestellten Ver- und der Anteil der beringten Jungvögel ver - luste dürften daher mit den ungünstigen gleichend wiedergegeben. Für das bessere klimatischen Bedingungen im Zusammen- Verständnis der jährlichen Reproduktions- hang stehen. leistung ist in der Abb. 15 die saisonale Fortpflanzungsziffer dargestellt, die das Ver- hältnis ausgeflogener Jungvögel zu der An- 3.3 Beringung von Nestlingen – zahl angefangener Bruten wiederspielt. Statistik und zeitliche r Verlauf Damit wird ein Vergleich zwischen dem gesamten Brutaufwand der untersuchten Beringungsfähige Nestlinge wurden Population und der Anzahl von Nach- vornehmlich im Alter von rund 14 Tagen kommen (Bruterfolg) möglich ( Becker et individuell beringt. Die Anzahl der jährlich al. 2014). Die mittlere Fortpflanzungsziffer beringten Jungvögel schwankte zwischen schwankte in den Untersuchungsjahren minimal 31 im Jahr 2019 und maximal 78 deutlich zwischen 3,0 ± 3,2 im Jahr 2013 im Jahr 2016. Der zeitliche Verlauf aller Be-

Abb 10: Nistkasten S09J, Gelege am 08. 06. 2019 (Foto: Christian Zurek).

84 Abb. 11: Nistkasten S01F, Nestlinge in einer Wärmepyramide am 08. 06. 2019 (Foto: Christian Zurek).

Abb. 12: Nistkasten S14N, beringungsfähiger Nestling am 26. 06. 2017 (Foto: Christian Zurek).

85 Abb. 13: Anzahl der jährlich für Brutversuche belegten Nistkästen im Untersuchungsgebiet im Vergleich zu der Anzahl erfolgreicher Bruten, die zum Schlupf und Ausflug von Jungvögeln führten. Die prozentuale Belegungsrate schwankte zwischen 3,8 % mit 8 Nistkästen im Jahr 2015 und 8,6 % mit 17 Nistkästen im Jahr 2012. Die Spanne erfolgreicher Bruten lag jährlich zwischen 5 und 10 Bruten.

Abb. 14: Vergleich der jährlich erfassten Eier, der Anzahl geschlüpfter Vögel und der Anteil beringter Nestlinge in den Nistkastenrevieren. Es konnten maximal 111 Eier im Jahr 2012 und minimal 56 Eier in den Jahren 2017 und 2019 gezählt werden. Die Anzahl geschlüpfter Nestlinge schwankte zwischen 31 im Jahr 2019 und 78 im Jahr 2016. In der Summe schlüpften aus > 644 Eiern 460 Jungvögel, von denen 429 Ringe der Vogelwarte Helgoland erhielten. Mit 40 verstorbenen Jungvögeln erreichte die durchschnittliche Sterblichkeit in den Nistkästen einen Wert von 8,7 %. Von 429 beringten Jungvögeln konnte der Ausflug von 413 festgestellt werden.

86 ringungen in den Untersuchungsjahren ist frischtot aufgefundenen Wendehals im in der Abb. 16 für 65 erfolgreiche Bruten zweiten Kalenderjahr im Lampertheimer mit ausgeflogenen Jungvögeln vergleichend Stadtteil Neuschloß (Kreis Bergstraße) im dargestellt. Demnach reichte die zeitliche Jahr 2012. Die Distanz des Fundortes zum Spanne der Beringungstätigkeit von Ende Beringungsort beträgt 3 km. Mai bis Ende Juli. Die frühste Beringung von Nestlingen erfolgte am 31. Mai im Jahr 2018, die späteste am 28. Juli im Jahr 2013. 4 Diskussion Der Monat Juni dominierte die Beringungs- statistik: 85 % der Nestlinge (365 von 429) 4.1 Das Überangebot von Nist- erhielten in diesem Monat eine individuelle höhlen führte nicht zum Markierung. Den Brutverläufen folgend, Anstieg der Brutpopulation waren bis zum 18. Juni rund 70 % der Nest- linge (299 von 429) beringungsfähig. Hier- Die Viernheimer Waldheide gehört zu nach lag der Legebeginn der erfassten den am intensivsten untersuchten Brut- Kastenbruten in dem Gebiet überwiegend in gebieten des Wendehalses in Hessen mit der Mitte des Monats Mai. Die Daten der einer nachweislich jahrzehntelangen Brut- 65 erfolgreichen Bruten sind in der Tabelle 2 tradition. Die Bestandsentwicklung wird in detailliert dargestellt. dem 164 ha großen Gebiet seit 1991 regel - mäßig mit unterschiedlichen Methoden erfasst. Bis 2004 existierte kein großflächiges 3.4 Wiederfunde beringter Nistkastenangebot in dem Areal. Die Brut- Wendehälse population etablierte sich wahrscheinlich in den natürlichen Baumhöhlen und wurde Die Rückkehr beringter Jungvögel in zunächst durch Kartierungen mit acht bis die Viernheimer Waldheide und das Auf- 17 Revieren bestimmt (Haas 1991, unveröf - treten in der Brutpopulation wurde ab 2014 fentlichte Daten, Eppler 2004). Seit 2005 an bebrüteten Nistkästen untersucht. Der wird das Brutvorkommen im Rahmen eines Beringungsstatus der Brutvögel konnte großflächigen Angebotes künstlicher Nist- automatisiert mit Minikameras (Abb. 17 höhlen systematisch erfasst. Dafür wurden und 18) oder durch Fang (Abb. 19) fest- 2005 entlang einer 1,5 km langen Strecke gestellt werden. Die Ergebnisse der Kon- zunächst 50 Kästen in der Übergangszone trollen an 25 bebrüteten Kästen sind in der zwischen Wald und offenerer Heide instal - Tabelle 3 dargestellt. In den Jahren 2014 und liert. Es konnten 11 Wendehalsbruten und 2019 konnten an den Nistkästen S04M und eine bemerkenswerte Revierdichte von 1,3 S01F mit installierten Minikameras zwei bis 2,0 BP/10 ha auf der 60 ha großen beringte Wendehälse identifiziert werden. Probefläche ermittelt werden. Die an- Da die Filmqualität keine Entzifferung der nähernd übereinstimmende Anzahl kartier - Ringnummern ermöglichte, mussten die ter Reviere und belegter Nistkästen zeigte, Vögel mit einem Japannetz gefangen wer - dass die Wendehälse vornehmlich das den. Beide Wiederfunde stammten aus vor - künstliche Nisthilfeangebot für die Brut jährigen Nistkastenbruten des Untersu- nutzten. Dieses Ergebnis deutete auf die chungsgebiets. Ein weiterer Wiederfund begrenzte Verfügbarkeit geeigneter Natur- gelang in der Saison 2015 am Nistkasten höhlen im Kontrollgebiet hin (Poeplau S12L. In das aufgestellte Japannetz flog ein 2005). Eine quantitative und qualitative adulter Wendehals, der im Vorjahr am Nist- Erfassung von Naturhöhlen in der kasten S03N als Brutvogel gefangen und Umgebung der installierten Nistkästen beringt werden konnte. wurde im Rahmen dieser Studie allerdings Wiederfunde außerhalb des Studien- nicht durchgeführt. Es blieb daher offen, gebiets beschränkten sich bisher auf einen ob die Wendehälse die Nistkästen anstelle

87 Abb. 15: Darstellung der jährlichen mittleren Fortpflanzungsziffer, die das Verhältnis aller Brutversuche zu der Anzahl ausgeflogener Jungvögel ausdrückt. Die mittlere Fortpflanzungsziffer schwankte in den Untersuchungsjahren deutlich zwischen 3,00 ± 3,20 im Jahr 2013 und einem Wert von 7,00 ± 2,97 im Jahr 2018 und wurde wesentlich durch saisonale Brutverluste bestimmt. Für die Bestimmung der Standardabweichung diente im Programm Excel die Funktion STABW.N.

Abb. 16: Zeitliche Darstellung der Beringungsaktivität in den Monaten Mai bis Juli in allen Untersuchungsjahren. Junge Wendehälse erhielten im Alter von ca. 14 Tagen Ringe der Vogelwarte Helgoland. Die früheste Beringung erfolgte am 31. 5. 2018. Jung- vögel der spätesten Brut wurden am 28. 7. 2013 individuell markiert. In allen Jah- ren dominierte der Monat Juni die Beringungsaktivität.

88 vorhandener Naturhöhlen als attraktivere der festgestellten Bruten. Nutzten 2005 Brutstätten bevorzugten. Nach 2006 erfolg - neun Wendehalspaare das Angebot von 50 te die Erweiterung des Nistkastenangebots Nistkästen für 11 Bruten, so waren es in der auf maximal 213 Nistkästen entlang einer Saison 2012 maximal 13 Paare mit 15 Bruten Strecke von ca. 4,5 km. Die Dichte künst- in 198 Nistkästen ( Poeplau 2005, Zurek licher Nistgelegenheiten erreichte somit et al. 2012). Da alle bisherigen Kartierungen einen Wert von 1,3 Nistkästen pro Hektar auf einen Gesamtbestand von rund 20 und ergänzte die Verfügbarkeit natürlicher Revieren hinwiesen ( Eppler 2004, Schnei- Baumhöhlen. der 2009, Zurek et al. 2012, Lösekrug Für geeignete Wendehalsreviere stellt 2016), konnte ein linearer Anstieg der Brut- eine Dichte von 10 bis 15 Nisthöhlen pro population im erweiterten Nistkastenange- Hektar ein ausreichendes Angebot dar, um bot sicherlich nicht erwartet werden. Dem- inter- und intraspezifische Konkurrenz aus - zufolge ist eine weitere Erhöhung der zuschließen (Regierungspräsidium Stuttgart Nistkastendichte über den bestehenden 2010). Als Mindestumfang wird dabei ein Wert von 1,3 pro Hektar für die Förderung Angebot von zwei künstlichen Nisthilfen der Wendehalspopulation nicht notwendig. pro Hektar in höhlenarmen Gebieten Die maximale Belegungsrate von 8,6 % mit empfohlen ( Schmieder et al. 2015). Eine 17 genutzten Nistkästen im Jahr 2012 kann Studie zum Wendehalsschutz in Streuobst- als weiterer Beleg dafür gewertet werden, wiesen erfasste die Verfügbarkeit natürlicher dass das Nisthöhlenangebot keine Limita- Baumhöhlen in einem 1,3 km 2 großen Un- tion für den Wendehals in der Viernheimer tersuchungsgebiet. Besiedelte Wendehals- Waldheide darstellt. Vielmehr können an- reviere wiesen dabei mit 3,3 bis 5,3 Höhlen dere Faktoren, vor allem die Nahrungsver- pro Hektar eine besonders hohe Baum- fügbarkeit, als essenziell für die „Sättigung“ höhlendichte auf ( Storm 2014). des Gebiets mit maximal 20 Brutpaaren Ungeachtet der unbekannten Anzahl erachtet werden. Untersuchungen der Uni- natürlicher Baumhöhlen unterschreitet die versität Hohenheim in diversen Habitaten Nistkastendichte in der Viernheimer Wald- des Wendehalses zeigten deutliche Variatio- heide die zitierten Referenzwerte beider nen im Auftreten und der Häufigkeit von Studien, die für Wendehalsreviere angege - Ameisen. Probestellen in der Viernheimer ben werden. Waldheide zählten laut den Ergebnissen Dennoch förderte das nahezu gleich - einer umfangreichen vergleichenden Studie mäßig verteilte künstliche Nisthöhlenange- in 32 Untersuchungsgebieten zu jenen bot die erfolgreiche Fluktuation des Brut- Brutgebieten mit geringen Nestdichten bestandes und die Besiedlung geeigneter (Schmieder 2015). Für eine direkte Reviere innerhalb der Viernheimer Wald- Korrelation zwischen der Nahrungsdichte/- heide ( Zurek & Poeplau 2011). Der stets verfügbarkeit und der Siedlungsdichte erga - festgestellte Wechsel des Nistkastens nach ben sich in einer langjährigen Untersuchung dem Ausfliegen der Jungvögel oder nach zur Brutbiologie des Wendehalses im nord- dem Verlust der Brut ließ zudem auf eine östlichen Harzvorland allerdings keine ausreichende Dichte von Nistkästen im Anhaltspunkte. Vielmehr bestimmten hier Gebiet schließen. Des Weiteren legte dieses maßgeblich Totalverluste das Brutergebnis, Verhalten nahe, dass geeignete Wendehals- die auf das Ausräumen der Gelege benach - reviere eine Vielzahl von Nisthöhlen aufwei - barter Paare zurückgeführt wurden ( Becker sen sollten, um einen Wechsel des Brut- et al. 2014). Zweifelsfreie Belege für intra - standortes zu ermöglichen. spezfische Aggression zwischen nahegelege - Seit 2012 werden alle Nistkästen zur nen und gleichzeitig bebrüteten Nistkästen Brutzeit kontrolliert. Die Erweiterung des konnten in der Viernheimer Waldheide bis - Nistkastenangebots von 50 auf 213 Stück her nicht erbracht werden, obgleich fest- führte zu keinem proportionalen Anstieg gestellte Gelegeverluste benachbarter Paare

89 in der Saison 2019 als Indiz dafür angesehen Hinsichtlich der Nahrungsverfügbar- werden könnten: Nach der Feststellung von keit im Untersuchungsgebiet sollten die ge - zwei Gelegen in den ca. 125 m voneinander genwärtig bevorzugten ökologischen Struk- entfernten Nistkästen S16I und S16P am 25. turen für die Jagd nach Ameisenpuppen Mai wurden bei der Kontrolle am 1. Juni noch intensiver erforscht werden. keine Eier in den beiden Brutstandorten Ein sehr interessantes Ergebnis der vorgefunden. Die Suche nach Ersatzbruten Studie von Poeplau (2005) war, dass der im Sektor S16 führte nachfolgend am 15. Wendehals nicht ausschließlich Ameisen- Juni zu einem Gelege mit beschädigten puppen in Hügelnestern in der Heide auf - Eiern im Kasten S16D und einem bebrüte - suchte, sondern auch häufig Ameisenpup- ten Gelege im ca. 95 m entfernten Nistkasten pen unter Moos im angrenzenden Wald S16A, aus dem schließlich fünf Jungvögel erbeutete. Die Struktur der angrenzenden bis zum 21. Juli ausflogen. Dieses Beispiel Wälder um die installierten Nistkästen hat für die potentielle intraspezifische Aggres- sich seit dem Beginn des Projektes stark ver - sion zwischen benachbarten Paaren unter - ändert und könnte Einfluss auf die Nah- stützt nochmals die Wichtigkeit eines ausrei - rungsverfügbarkeit im direkten Umfeld der chenden Höhlenangebots in Wendehals- Brutstandorte genommen haben. revieren. Abschließend ist anzumerken, dass Inwieweit die Nahrungsverfügbarkeit künstliche Nisthilfen nur eine mittelfristige tatsächlich eine höhere Besiedlungsdichte in Lösung darstellen sollten, sofern in höhlen - der Viernheimer Waldheide begrenzt oder armen Potentialgebieten kein ausreichendes durch ressourcenunabhängige Regulation Naturhöhlenangebot zur Verfügung steht. beeinflusst wird, sollte in weiteren Studien Langfristig sollte durch naturschutzgerechte untersucht werden. Waldbewirtschaftung die Bereitstellung von

Abb. 17: Beispiel für die Installation der USB-Kamera am Nistkasten S09K (Foto: Christian Zurek, 26. 06. 2017).

90 Abb. 18: Identifizierung eines beringten Wendehalses im 2. Kalenderjahr am Nistkasten S04M, Screenshot der Filmaufnahme (Foto: Christian Zurek, 17. 06. 2014).

Abb. 19: Beringung eines Wendehalses am Nistkasten S12L (Foto: Christian Zurek, 11. 06. 2015).

91 Naturhöhlen in der Viernheimer Waldheide S09K diente in zwei Untersuchungsjahren gefördert werden ( Jacobs et al. 2019). als Brutstandort und kann exemplarisch für die eher untergeordnete Rolle der Auto- bahnnähe bei der Revierwahl aufgeführt 4.2 Bevorzugte Brutstandorte werden. Die in Garniel & Mierwald (2010) in den Nistkastenrevieren konservativ abgeleiteten Effektdistanzen für den Wendehals können somit nicht bestätigt In allen Untersuchungsjahren konnten werden. 96 Bruten an 69 GPS-verorteten Nistkasten- In der Abb. 9 wird die scheinbar ge- Standorten nachgewiesen werden. Die Bele- ringe Attraktivität des Sektors S06 als Brut- gungsstatistik der in 17 Sektoren nahezu standort offensichtlich. In der Karte, die gleichmäßig verteilten Nistkästen wies auf alle GPS-verorteten Brutstandorte darstellt, die drei besonders attraktiven Bereiche klafft eine deutliche Belegungslücke zwi - S05, S14 und S16 hin, in denen sich mit schen den Sektoren S05 und S07. Der ein- 44 Brutversuchen (Anteil von 45 % aller zige Brutversuch im Sektor S06 konnte im Brutversuche) und 30 erfolgreichen Bruten Jahr 2015 im Kasten S06A festgestellt wer - (Anteil von 46 % aller erfolgreichen Bruten) den, der nahe an belegten Brutstandorten am das Brutgeschehen besonders fokussierte. Ende des Sektors S05 grenzte. Die Ursache Mit den Nistkästen S05K und S16D waren für diese offenkundige Meidung der Nist- in diesen frequentierten Bereichen Positio- kästen in diesem Bereich ist unklar. Zu nen lokalisiert, die in drei von sieben Beginn des Sektors S06 ändert sich die Untersuchungsjahren als Brutstandorte Waldstruktur deutlich und wechselt vom ausgewählt wurden. Charakteristisch für die lichtdurchfluteten Kiefernwald am Ende des Umgebung dieser häufig frequentierten Sektors S05 zu einem Laubwald mit Buchen. Brutstätten sind offene, lichtdurchflutete Eine prinzipielle Meidung von Brutstand- Strukturen mit Randsäumen wie unbefes- orten mit einer vergleichbaren Waldzusam- tigte sandige Wegränder. Die Präferenz son - mensetzung mit Laubbäumen konnte in niger und lichtdurchfluteter Standorte steht dieser Arbeit nicht gezeigt werden. Im im Einklang mit den Ergebnissen einer gegenüberliegenden Sektor S14 gelangen Studie, die einen klaren Zusammenhang mehrere Bruten an Standorten im Laub- zwischen der Ausrichtung exponierter wald. Hanglagen und der Revierwahl herstellte. Hinsichtlich der Exposition besetzter Wendehalsreviere zeigten die Brutpaare eine 4.3 Gelegegröße und Bruterfolg deutliche Bevorzugung für nach Süden ausgerichtete Lagen ( Schmieder et al. Für die Ermittlung der durchschnitt- 2015). Die Beschattung der Nistkästen im lichen Gelegegröße wurden 65 erfolgreiche Sektor S11 könnte als mögliche Ursache Nistkastenbruten berücksichtigt, bei denen für die Meidung dieser Brutstandorte in nach dem Abschluss der Legephase der er - allen Untersuchungsjahren betrachtet wer - folgreiche Schlupf und Ausflug von minde - den. Die unmittelbare Nähe zu der stark stens einem Jungvogel nachgewiesen wer - befahrenen Autobahn A6 und die damit den konnte. Der Durchschnitt aller Gelege verbundene Lärmimmission hatte nach - erreichte dabei einen Wert von 7,7 ± 1,7 weislich keinen entscheidenden Einfluss auf (n = 65) und lag unter dem gemittelten Wert die Revierwahl, da Nistkästen im Sektor von 8,0 ± 1,4 (n = 11) in der Studie von S09 auf der gegenüberliegenden, nach Poeplau (2005). Die Gelegegröße der 59 ge - Westen ausgerichteten Seite der Trasse als werteten Erstbruten führte gegenüber dem Brutstandorte ausgewählt wurden. Der nahe Durchschnittswert aller Bruten zu einem der Autobahn in einer offenen lichtdurch - erhöhten Wert von 7,8 ± 1,7 (n = 59). Im fluteten Struktur installierte Nistkasten Vergleich zu den durchschnittlichen Gelege-

92 größen von Erstgelegen im Halberstädter gischer Parameter für die Reproduktions- Raum (Deutschland) und im Wallis leistung schwankte für alle erfassten 96 (Schweiz) mit Werten von 9,9 ± 1,5 (n = 212) Brutversuche zwischen 3,0 und 7,0, der jähr - bzw. 9,2 ± 1,5 (n = 214) war der bestimmte liche Mittelwert betrug 4,4 ± 1,2. Eine um - Durchschnittswert für Erstbruten in der fangreiche Analyse zur Brutbiologie von Viernheimer Waldheide deutlich kleiner Nistkastenbruten im Halberstädter Raum (Tolkmitt et al. 2009). Auch die Gelege- ergab ähnliche Schwankungen und Durch- größen aller erfassten Vollgelege überstiegen schnittswerte der Fortpflanzungsrate. Die mit Werten von 9,3 ± 1,8 (n = 306) im saisonalen Werte von 664 Brutversuchen Halberstädter Raum und 9,0 ± 1,6 (n = 265) schwankten dort zwischen 2,6 und 7,0 und im Schweizer Wallis die ermittelten Durch- führten zu einem jährlichen Mittelwert von schnittswerte in der Viernheimer Waldheide. 4,7 ± 1,2. Der Datenvergleich mit Fort- Bemerkenswert sind überdies die in der pflanzungsraten anderer Mitglieder der umfangreichen Studie dokumentierten Familie Picidae zeigt, dass der Wendehals maximalen Gelegegrößen von 15 Eiern in mit seinen großen Gelegen wesentlich mehr den untersuchten 571 Kastenbruten. Bebrü- Junge produziert als andere Spechte tete Gelege mit 15 Eiern konnten weder in (Becker et al. 2014). Die Werte der vorlie - der vorliegenden Arbeit noch in der Studie genden Untersuchung unterstützen diese von Poeplau (2005) in der Viernheimer vergleichende Analyse. Waldheide nachgewiesen werden. Mit ins- gesamt 76 berücksichtigten Bruten erreich - ten die lokalen Untersuchungen in der 4.4 Direkte Nachkommen aus den Viernheimer Waldheide allerdings nicht den Nistkastenbruten dominieren Aufwand und den räumlichen Umfang der nicht die lokale Brutpopulation durchgeführten Arbeiten im Halberstädter Raum und der Schweiz. Methodische In der Viernheimer Waldheide wurden Unterschiede, die zu einer Unterschätzung überwiegend Nestlinge beringt. Zwischen der Gelegegrößen führten, sind nicht er - 2012 und 2019 erhielten 413 Jungvögel kennbar. Es erscheint schwierig, Faktoren aus 65 Bruten sowie 14 adulte Wendehälse und Umstände zu benennen, die sich limi- Ringe der Vogelwarte Helgoland. Wieder- tierend auf die Gelegegröße der Bruten in funde beringter Vögel gelangen bisher aus - der Viernheimer Waldheide auswirkten. In schließlich in dem Untersuchungsgebiet der Studie von Poeplau (2005) konnte für durch die Kontrolle brütender Wendehälse das hiesige Gebiet kein Zusammenhang an belegten Nistkästen. Ab der Saison 2014 zwischen der Gelegegröße und der Dichte konnten an 25 von insgesamt 64 belegten von Ameisennestern festgestellt werden. Die Nistkästen (Anteil von 39 %) drei Wende- Nahrungsverfügbarkeit beeinflusste primär hälse identifiziert werden, die im Vorjahr mit den Erfolg der Jungenaufzucht und war Ringen markiert wurden. Mit Ausnahme für die Gelegegröße nicht entscheidend. Die dieser drei Wiederfänge führten die Kon- festgestellte geringe Nestlingsmortalität von trollen stets zu Nachweisen unberingter 8,7 % kann hingegen als Beleg für die offen - Wendehälse. Der Wiederfang von zwei nest - sichtlich ausreichende Nahrungsverfügbar- jung beringten Vögeln erbrachte 2014 und keit angeführt werden, um auch Bruten mit 2019 den Beleg, dass Nachkommen aus 10 Jungvögeln das Überleben bis zum Nistkastenbruten in den folgenden Jahren Ausfliegen zu sichern. als Brutvögel in das lokale Untersuchungs- Losgelöst von der vergleichenden Ana- gebiet – wenn auch wohl nur in Einzelfällen lyse der Gelegegrößen und deren komple - – zurückkehren. Zudem zeigte der Wieder- xen Einflussgrößen kann letztendlich der fang eines Vogels in der Saison 2015, der im Bruterfolg als hoch bewertet werden. Die Vorjahr brütend in einem Nistkasten gefan - jährliche Fortpflanzungsziffer als brutbiolo - gen werden konnte, dass adulte Wendehälse

93 eine Bruttradition im gleichen Gebiet auf - folge ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein weisen können. Bemerkenswert an diesem beringter Jungvogel das erste Jahr überlebt, Wiederfund ist ferner, dass dieser Wendehals in das Untersuchungsgebiet zurückkehrt in der Saison 2014 als einziger adulter Vogel und dort wiedergefangen wird mit einer beringt wurde. Demgegenüber konnte kei - Rate von kleiner 0,12 zu bewerten. Die we - ner der 54 beringten flüggen Jungvögel der nigen Wiederfunde beringter Jungvögel am Brutsaison 2014 bei den Kontrollen an fünf Geburtsort erscheinen daher, trotz der zu - von acht belegten Nistkästen (Anteil von vor beschriebenen methodischen Limitatio- 62,5%) im Jahr 2015 wiedergefunden werden. nen, durchaus plausibel und werden zudem Die 100-prozentige Wiederfangquote durch langjährige Beringungsstudien in des adulten Wendehalses kann durchaus als Sachsen-Anhalt bestätigt. Hier gelangen zufälliges und nicht repräsentatives Ereignis Wiederfunde als Nestling beringter Indi- gewertet werden. Das geringe Auftreten viduen überwiegend im Umkreis von etwa direkter Nachkommen in der nächsten 10 km, nicht aber unmittelbar am Geburts- Brutperiode zeichnete sich auch durch wei - ort ( Jacobs et al. 2019). Demnach zeigen tere saisonale Ergebnisse ab. So gelang aus Jungvögel, die das erste Lebensjahr über- einem Pool von 70 beringten Nestlingen der stehen, keine ausgeprägte Geburtsortstreue, Saison 2018 lediglich ein Wiederfang in der was die geringe Wiederfundrate nestjung darauffolgenden Brutperiode 2019. Die beringter Individuen in der Viernheimer Kontrollen erfolgten dabei an fünf bebrüte - Waldheide unterstützt. ten Nistkästen von insgesamt neun belegten Passend dazu sei noch auf eine Studie künstlichen Nisthilfen (Anteil von 56 %). mit besenderten Vögeln aus der Schweiz und Obgleich die saisonalen Kontrollen des Deutschland zur Beurteilung der Überwin - Beringungsstatus nicht alle belegten Nist- terungsgebiete mitteleuropäischer Wende- kästen umfassten, ferner Bruten in Natur- hälse der Unterart Jynx t. torquilla hinge - höhlen nicht berücksichtigt wurden und das wiesen ( Van Wijk et al. 2013). Für die Aus- methodische Vorgehen sicherlich nicht zur wertung der aufgezeichneten Zugrouten Erfassung beider Brutpartner führte, legten mussten die besenderten Individuen nach die Ergebnisse der stichprobenartigen Unter- Ihrer Rückkehr aus den Überwinterungsge - suchungen nahe, dass die Nachkommen bieten in ihre Brutgebiete im darauffolgen - der Nistkastenbruten nicht dominant die den Jahr erneut gefangen werden. Wegen der nachfolgende lokale Brutpopulation in der höheren jährlichen Überlebenswahrschein - Viernheimer Waldheide stellen. Dafür spre - lichkeit wurden ausschließlich adulte Brut- chen sowohl demographische Gründe vögel für die Besenderung ausgewählt. Die (Schaub et al. 2012) als auch die mögliche durchschnittliche Wiederfangquote der be - Abwanderung von Jungvögeln in Gebiete senderten adulten Vögel von 15,1 % reihte außerhalb des Studiengebietes. Die durch - sich gut zwischen den jährlichen Wieder- schnittliche, jährliche Überlebensrate eines fundraten beringter adulter Wendehälse mit juvenilen Wendehalses im ersten Lebens- einer Spanne von 7,3 bis 32,0 % für die jahr wird in einer populationsdynamischen schweizer und 12,0 bis 27,6 % für die deut - Studie mit 0,12 geschätzt und ist damit – wie schen Brutgebiete ein. für die meisten Vogelarten typisch – deutlich kleiner als der Wert von 0,38, der für einen adulten Vogel angenommen wird ( Schaub 5 Ausblick: Die Zukunft der Wende- et al. 2012). Die mögliche Emigration von halspopulation im EU-Vogelschutz- nestjung beringten Individuen in die gebiet Umgebung des Studiengebiets konnte 2012 durch einen Totfund bei Lampertheim im Entgegen der allgemeinen negativen Be- Kreis Bergstraße mit einer Distanz von 3 km standsentwicklung konnte sich die Viern- zum Geburtsort belegt werden. Demzu- heimer Waldheide als Teil des VSG „Wälder

94 der südlichen hessischen Oberrheinebene“ Die Forschungsergebnisse dieser lang- bis heute mit einer kontinuierlichen Brut- jährigen Studie sowie das überarbeitete tradition als ein Spitzengebiet für das Wendehals-Maßnahmenblatt und das kürz - Vorkommen des Wendehalses in Hessen be - lich erstellte Artenhilfskonzept im Auftrag haupten. der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hes- Der hohe Aufwand für das Nistkasten- sen, Rheinland-Pfalz und Saarland dienen management und das vorbildliche Pflege- dabei als wissenschaftliche Grundlage für konzept in der Viernheimer Waldheide sind die gezielte Förderung des Wendehalses in beispielgebend für den Wendehalsschutz in Hessen ( Jacobs et al. 2019, Zurek et al. Hessen. Es kann angenommen werden, dass 2015). Nachkommen abseits ihres Geburtsortes den Bestand im VSG stützen und in neue Populationen außerhalb der Viernheimer Danksagung Waldheide einwandern. Diese Annahme wird durch Studien in der Schweiz bestätigt, Die Autoren bedanken sich bei Frau die einen hohen Anteil von Neuzuzüglern in Sigrid Huxel, Frau Christina Sonnek und intensiv untersuchten Populationen fest - Frau Petra Zurek für ihre Unterstützung bei stellten ( Mermod et al. 2009, Schaub et al. den Nistkastenkontrollen und der Berin- 2012). gungsarbeit. Als Teil einer großen südhessischen Die Autoren bedanken sich weiterhin Population ist der Wendehalsbestand in der bei Frau Henriette Wache vom Regierungs- Viernheimer Waldheide seinerseits abhängig präsidium Darmstadt sowie bei Herrn von dem Vorkommen und der Fortpflan- Werner Kluge und Herrn Harri Pfaff vom zung der Art in geeigneten Lebensräumen in Forstamt Lampertheim (Hessen Forst) für der näheren Umgebung. ihre freundliche Unterstützung des Pro- Die zukünftige lokale Bestandsent- jektes. wicklung in der Viernheimer Waldheide ist somit eng mit einem großflächigen Schutz- konzept in dem südhessischen VSG ver - knüpft. 6 Literatur Dank zahlreicher Studien sind seine Lebensraumansprüche und die limitieren - Bairlein, F., J. Dierschke, V. Dierschke, den Faktoren bestens bekannt: Lückige V. Salewski, O. Geiter, O. Hüppop & Vegetation mit Zugang zu Ameisennestern W. Fiedler (2014): Atlas des Vogel- und ein ausreichendes Angebot an Nist- zuges, Ringfunde deutscher Brut- und höhlen. Diese wertgebenden Eigenschaften Gastvögel. – AULA Verlag, Wiebels- können in verschiedenen Lebensräumen heim, 571 S. vorkommen. Als Potentialgebiete bieten Becker, D., D. Tolkmitt & B. Nicolai sich dabei auch Intensivkulturen wie (2014): Zur Brutbiologie des Wende- Rebflächen an der südhessischen Berg- halses Jynx torquilla im nordöstlichen straße an, die einen hohen Anteil offener Harzvorland IV. Brutgröße und Fort- Böden aufweisen und mit Nisthöhlen zu - pflanzungsziffer. – Ornithol. Jber. Mus. sätzlich aufgewertet werden könnten. Er- Heineanum 32 : 43 – 57. folgreiche Förderprogramme für den Wen- Bezzel, E. (2006): BLV Handbuch, BLV dehals in Weinbergen stellten einen Bau- Buchverlag, 3. Überarbeitete Auflage, stein für die positive Bestandserholung in München. – Artkapitel Wendehals Jynx der Schweiz dar und machen Hoffnung, torquilla : S. 336 – 337. dass auch in Hessen der negative Trend ge - Eppler, G . (2004): Grunddatenerhebung stoppt werden kann ( Hofmann 2010, für das EU-Vogelschutzgebiet Wälder Knaus et al. 2018). der südlichen hessischen Oberrhein-

95 ebene – Natura 2000-Nr. 6417 – 450. – Mitteleuropas. Band 9: Columbiformes - Gutachten im Auftrag des Regierungs- Piciformes. – Akademische Verlags- präsidiums Darmstadt. gesellschaft, Wiesbaden. S. 881 - 916 EBCC ( European Bird Census Council Grüneberg, C., H. G. Bauer, H. Haupt, & Bird Life International (2017): O. Hüppop, T. Ryslavy & P. Südbeck Pan European Common Bird Moni- (2015): Rote Liste der Brutvögel toring Scheme. Population index (%) Deutschlands, 5. Fassung. – Deutscher 1980 – 2017, Europe. – Rat für Vogelschutz. Berichte zum https://pecbms.info/trends-and- Vogelschutz, Band 52. indicators/species-trends/species/ HGON ( Hessische Gesellschaft für jynx-torquilla/?search=jynx. Ornithologie und Naturschutz ) Franke, P. & D. Tolkmitt (2012): Zur (Hrsg.) (2010): Vögel in Hessen. Besiedlung des Ballungsraums Die Brutvögel Hessens in Raum Leipzig durch den Wendehals Jynx und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell, torquilla . – Mitt. Vers. Sächs. Ornithol. S. 262 – 263. 10 : 653 – 660. Hofmann, H . (2010): Bewirtschaftung und Garniel, Ae. & U. Mierwald (2010): Naturschutz, Wendehals und Wein. – Vögel und Straßenverkehr. – For- Landpost 44 /2010: 28 – 29. schungsprojekt 02.286/2007/LRB Jacobs, S., B. Fassl, H. Sawitzky & M. „Entwicklung eines Handlungsleit- Hormann (2019): Artenhilfskonzept fadens für Vermeidung und Kompen- Wendehals ( Jynx torquilla ) in Hessen. sation verkehrsbedingter Wirkungen Gutachten der Staatlichen Vogelschutz- auf die Avifauna“. – Im Auftrag. der warte für Hessen, Rheinland-Pfalz Bundesanstalt für Straßenwesen, und Saarland. Stand: 26.11.2019. – Bergisch-Gladbach, Kieler Institut für Wölfersheim. 66 S. + Anhang. Landschaftsökologie, Kiel. Knaus, P., S. Antoniazza, S. Wechsler, Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke, J. Guélat, M. Kéry, N. Strebel & C. Sudfeldt, W. Eickhorst, S. T. Sattler (2018): Schweizer Brut- Fischer, M. Flade, S. Frick, I. vogelatlas 2013 – 2016. Verbreitung und Geiersberger, B. Koop, M. Kramer, Bestandsentwicklung der Vögel in der T. Krüger, N. Roth, T. Ryslavy, Schweiz und im Fürstentum Liechten- S. Stübing, S. R. Sudmann, R. stein. Schweizerische Vogelwarte. – Steffens, F. Vökler & K. Witt (2014): Sempach, 648 S. Atlas Deutscher Brutvogelarten. – Lepp, T. (2016): Analyse des Habitatspek- Atlas of German Breeding Birds. trums des Wendehalses Jynx torquilla Herausgegeben von der Stiftung in Baden-Württemberg unter Berück- Vogelmonitoring und dem Dachver- sichtigung möglicher Ansatzpunkte band Deutscher Avifaunisten, Münster. zum Schutz. – Lanius 36 : 75 – 84. S. 364 – 365. Lösekrug, R.G., M. Hoffmann & M. Gerlach, B., R. Dröschmeister, T. Werner (2016): SPA-Monitoring- Langgemach, K. Borkenhagen, M. Bericht für das EU-Vogelschutzgebiet Busch, M. Hauswirth, T. Heinicke, 6417-450 Wälder der südlichen hessi - J. Kamp, J. Karthäuser, C. König, schen Oberrheinebene (Bergstraße, N. Markones, N. Prior, S. Traut- Hessen). – Gutachten der Staatlichen mann, J. Wahl & C. Sudfeldt (2019): Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- Vögel in Deutschland. – Übersichten land-Pfalz und Saarland. Gießen, 84 S. zur Bestandssituation. DDA, BfN, Mermod, M., T. S. Reichlin, R. Arlettaz LAG VSW, Münster. & M. Schaub (2009): Vorläufige Ergeb- Glutz von Blotzheim, U. N. & K. M. nisse einer Langzeitstudie zum Wende- Bauer (1980): Handbuch der Vögel hals in der Schweiz. – Nationalpark-

96 verwaltung Harz (2009) (Hrsg.): Viernheimer Heide. – Bachelorarbeit, Aktuelle Beiträge zur Spechtforschung. vorgelegt von der Fakultät für Bio- – Tagungsband 2008 zur Jahrestagung wissenschaften der Ruprecht-Karls- der Projektgruppe Spechte der Universität Heidelberg. Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. Storm , S. (2014): Vorkommen des Schriftenreihe aus dem Nationalpark Wendehalses ( Jynx torquilla ) bei Harz, Band 3: 92 S. Wendelsheim unter Berücksichtigung Petermann, P. & T. Ochmann (2013): wertgebender Habitatstrukturen.– Wendehals. – In: Cimiotti, D., Bachelorarbeit, vorgelegt von dem S. Cimiotti, T. Ochmann & Institut für Landschafts- und J. Kreuziger : Ornithologischer Pflanzenökologie der Universität Jahresbericht für Hessen 7 Hohenheim. (2005 – 2010). – Vogel und Umwelt Sudfeldt, C., R. Dröschmeister, C. 20 : 142. Grüneberg, S. Jaehne, A. Mitsche & Poeplau, N. (2005): Untersuchung zur J. Wahl (2008): Vögel in Deutschland Raum-Zeit-Nutzung und Habitatqua- – 2008. – DDA, BfN, LAG VSW, lität des Wendehalses Jynx torquilla L. Münster. in Südhessen. – Staatsexamensarbeit Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, TU Darmstadt. K. Gedeon, T. Schikore, K. Poeplau, N. (2008): Ökologie des Wende- Schröder & C. Sudfeldt (2005): halses ( Jynx torquilla ) am bedeutend - Methodenstandards zur Erfassung der sten hessischen Vorkommen im Bereich Brutvögel Deutschlands, Radolfzell. der Viernheimer Heide (Kr. Bergstraße) S. 446 – 447. als Grundlage gezielter Schutzmaßnah- Tolkmitt, D., D. Becker, T.S. Reichlin, men. – Collurio 26 : 1 – 9. & M. Schaub (2009): Variation der Regierungspräsidium (RP) Stuttgart , Gelegegrößen des Wendehalses Jynx Referat 56, Naturschutz und Land- torquilla in Untersuchungsgebieten schaftspflege (2010): Vogelschutz in Deutschlands und der Schweiz. – Streuobstwiesen des Mittleren Albvor- Nationalparkverwaltung Harz (2009) landes und des Mittleren Remstals – (Hrsg.): Aktuelle Beiträge zur Was brauchen Halsbandschnäpper, Spechtforschung. – Tagungsband 2008 Wendehals, Steinkauz und Co? – zur Jahrestagung der Projektgruppe 1. Auflage, Stuttgart. Spechte der Deutschen Ornitholo- Schaub, M., T. S. Reichlin, F. Abadi, M. gen-Gesellschaft. Schriftenreihe Kéry, L. Jenni & R. Arlettaz (2012): aus dem Nationalpark Harz, Band The demographic drivers of local popu- 3: 92 Seiten. lation dynamics in two rare migratory Tolkmitt, D., D. Becker, M. Hellmann, birds. – Oecologia 168 : 97 – 108, E. Günther, F. Weihe, H. Zang & doi: 10.1007/s00442-011-2070-5. N. Bernd (2012): Einfluss des Schmieder, K., T. Lepp, W. Münch, W. Waschbären Procyon lotor auf Neubauer & R. Gottfriedsen (2015): Siedlungsdichte und Bruterfolg von Abschlussbericht des Forschungs- Vogelarten – Fallbeispiele aus dem projekts „Struktur und Biodiversität Harz und seinem nördlichen Vorland. von Streuobstwiesen – Wiesenameisen – Ornithol. Jber Mus. Heineanum als Nahrungsgrundlage für Wende- 30 : 17 – 36. hals ( Jynx torquilla ) und Grauspecht Del Val, E., C. Dreiser, W. Finkbeiner & (Picus canus )“. – Universität Hohen- M. Förschler (2018): Der Wendehals heim. Jynx torquilla als Brutvogel der Wind- Schneider, K. (2009): Bestandserfassung wurfflächen im Nordschwarzwald. – ausgewählter Brutvogelarten in der Vogelwarte 56 : 9 – 13.

97 Van Wijk, R. E., M. Schaub, D. Tolk- mitt, D. Becker & S. Hahn (2013): Short distance migration of Wrynecks Jynx torquilla from Central European populations. – Ibis, doi: 10.1111/ibi.12083. Vogt-Rosendorff, C. (2013): Monitoring zu den Auswirkungen der Beweidung und der Pflege von Sandrasen im FFH- Gebiet Viernheimer Waldheide und an- grenzende Flächen (Nr. 6417 – 304). – Im Auftrag des Regierungspräsidiums Darmstadt, Obere Naturschutzbe- hörde, Version 12.11.2013, 25 S. VSW & HGON ( Staatliche Vogel- schutzwarte für Hessen, Rhein- land-Pfalz und Saarland & Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz ) (2016): Rote Liste der bestandsgefähr - deten Brutvogelarten Hessens – 10. Fassung, Stand Mai 2014. – Frankfurt, Echzell. Zurek, C. & T. Lepp (2016): Monitoring mit USB-Minikameras: Wendehälse in der südhessischen Viernheimer Waldheide. – Der Falke, Journal für Vogelbeobachter 63 : 38 – 41. Zurek, C. & N. Poeplau (2011): Brutbe- stand des Wendehalses ( Jynx torquilla ) in künstlichen Nisthilfen im FFH- Manuskript eingereicht am 15. 01. 2020, Gebiet Viernheimer Waldheide und angenommen am 13. 02. 2020 angrenzende Flächen in den Jahren 2008 bis 2011. – Collurio 29 : 1 – 14. Zurek, C., N. Poeplau, P. Petermann, T. Lepp & G. Bauschmann (2015): Anschriften der Verfasser: Maßnahmenblatt Wendehals, Versionsdatum 25.11.2018. – Staat- Christian Zurek, liche Vogelschutzwarte für Hessen, Thymianplatz 1, Rheinland-Pfalz und Saarland, D-64653 Lorsch, Frankfurt. E-Mail: [email protected] Zurek, C., P. Zurek & N. Poeplau (2012): Nicolai Poeplau, Brutbestand des Wendehalses Jynx Schulstraße 18, torquilla in künstlichen Nisthöhlen D-64653 Lorsch, und vergleichende Kartierung von E-Mail: [email protected] Revieren im FFH-Gebiet Viernheimer Heide in der Saison 2012 – Abschät- Dr. Peter Petermann, zung der maximalen Bestandsdichte in Breslauer Straße 12, dem Untersuchungsgebiet. – Collurio D-68642 Bürstadt, 30 : 1 – 16. E-Mail: [email protected]

98 Tabelle 2: Detaillierte Dokumentation zu allen erfolgreichen 65 Wendehals-Bruten mit Ausflug von Jungvögeln. Nr. Jahr Kasten Datum der Nestlinge Nestlinge Infertile Größe des Altvögel Totfund Beringung beringt unberingt Eier Geleges beringt Nestlinge 1 2012 S00B 7.6 700700 2 2012 S01M 17.6 701810 3 2012 S05K 24.6 900900 4 2012 S10E 17.6 502701 5 2012 S14K 17.6 700700 6 2012 S14O 17.6 401500 7 2012 S14S 7.6 602810 8 2012 S14Y 7.6 601700 9 2012 S16E 7.6 80210 10 10 2012 S16K 7.6 900910 11 2013 S05E 7.7 310401 12 2013 S05K 14.7 405900 13 2013 S07C 15.6 700700 14 2013 S08D 15.6 300300 15 2013 S08E 28.7 500500 16 2013 S09K 30.6 600600 17 2013 S14P 23.6 900900 18 2013 S15G 15.6 504905 19 2013 S16D 9.6 801900 20 2014 S01I 17.6 800800 21 2014 S03N 17.6 711812 22 2014 S04M 17.6 600601 23 2014 S05B 11.7 700700 24 2014 S05L 9.6 300300 25 2014 S07E 9.6 401500 26 2014 S07G 11.7 601700 27 2014 S14O 9.6 510601 28 2014 S16J 8.6 410500 29 2014 S16P 11.7 520702 30 2015 S05A 9.6 601710 31 2015 S07E 9.6 900900 32 2015 S12L 9.6 10 1011 14 33 2015 S14I 5.7 701800

99 Tabelle 2: Fortsetzung

Nr. Jahr Kasten Datum der Nestlinge Nestlinge Infertile Größe des Altvögel Totfund Beringung beringt unberingt Eier Geleges beringt Nestlinge 34 2015 S14Z 9.6 80210 11 35 2016 S02E 12.6 801900 36 2016 S02N 12.6 801910 37 2016 S03L 12.6 70310 0 0 38 2016 S04D 23.6 700700 39 2016 S07G 30.6 800800 40 2016 S08H 9.6 800800 41 2016 S12J 26.6 900910 42 2016 S14I 23.6 600611 43 2016 S14Z 5.6 900900 44 2016 S16J 11.6 80210 0 0 45 2017 S02G 10.6 200800 46 2017 S03A 10.6 601710 47 2017 S09K 18.6 601700 48 2017 S14A 5.6 510600 49 2017 S14G 18.6 401500 50 2017 S14N 26.6 611800 51 2017 S16D 10.6 800810 52 2018 S02E 3.6 90110 00 53 2018 S03B 3.6 900900 54 2018 S03F 3.6 900900 55 2018 S05K 31.5 10 0010 00 56 2018 S08A 1.6 800800 57 2018 S09F 15.7 401500 58 2018 S09J 7.6 900900 59 2018 S16D 3.6 702900 60 2018 S16H 10.7 511700 61 2019 S01F 16.6 701800 62 2019 S07A 21.7 304700 63 2019 S09J 23.6 702902 64 2019 S10H 23.6 900900 65 2019 S16A 7.7 511700 429 11 50 495 13 21 Σ

100 Tabelle 3: Kontrollen des Beringungsstatus brütender Wendehälse an 25 Nistkästen mit instal - lierten Minikameras (Kamera) und durch Netzfang (Fang). In den Jahren 2014, 2015 und 2019 gelang der Wiederfund von drei beringten Individuen. Mit dem Einsatz eines Netzes konnten am Kasten S12L ein beringter und ein unberingter Wendehals gefangen werden.

Untersuchungsjahr Beringungsstatus Nachweisverfahren Saison Kasten Beringt Unberingt Kamera Fang Bemerkung

2019 S07A --- ҂҂------

2019 S16A --- ҂҂------

2019 S10H --- ҂҂------

2019 S09J --- ҂҂------

2019 S01F ҂ --- ҂҂2 KJ.

2018 S16D --- ҂҂------

2018 S05K --- ҂҂------

2017 S05K --- ҂ --- ҂ ---

2017 S03A --- ҂ --- ҂ ---

2017 S16D --- ҂ --- ҂ ---

2017 S14N --- ҂҂------

2017 S09K --- ҂ --- ҂ ---

2016 S12J --- ҂ --- ҂ ---

2016 S14I --- ҂ --- ҂ ---

2016 S05L --- ҂ --- ҂ ---

2016 S02N --- ҂ --- ҂ ---

2015 S12L --- ҂ --- ҂ ---

2015 S12L ҂҂ --- ҂ > 3 KJ. (beringt), 2 KJ. (unberingt)

2015 S14I --- ҂҂ ---

2015 S14Z --- ҂ --- ҂ ---

2015 S05A --- ҂ --- ҂ ---

2014 S04M ҂ --- ҂҂2 KJ.

2014 S03N --- ҂ --- ҂ ---

2014 S01I --- ҂҂------

2014 S14O --- ҂҂------

Abkürzungen: Kalenderjahr, KJ.

101 Fünf Stunden lang hielt sich dieser Wendehals in einem Garten in Mittelhessen auf und fing dort Ameisen; der Kopf kann um bis zu 270 Grad gedreht werden, daher der Name.

Seltene Aufnahme eine s „gähnenden“ Wendehalses; das Tarngefieder lässt ihn mit dem Unter- grund verschmelzen (Fotos: Viola Wege).

102 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 103 – 114 (2020)

Hinweise zum Flugverhalten und zu Aktivitätsmustern des Wespenbussards ( Pernis apivorus) während der Brutzeit in Hessen anhand von mehr als 1000 Flugbeobachtungen von Christian Gelpke , Fritzlar und Stefan Stübing , Bad Nauheim unter Mitarbeit von Matthias Korn , Linden, Tobias Ochmann , Kirchhain und Thomas Sacher , Reichelsheim Keywords: Pernis apivorus, Brutgebiet, Flugbeobachtungen, Verhalten, Aktivitätsmuster, Jahreszeit, Tageszeit, Hessen

Zusammenfassung zahl der Beobachtungen lag im Mai und Anfang Juni bei etwa 60 bis maximal 70 %, Anhand von 1067 Flugwegen von Wes- danach etwas verringert bei 50 bis 60 %. penbussarden, die in den Jahren 2014 bis Die hier dargestellten Beobachtungen und 2018 bei einem Beobachtungsaufwand von die während der Untersuchungen erfassten 2281 Stunden während der gezielten Beob- Brutvorkommen zeigen, dass der Wespen- achtung von Greifvögeln in Hessen erfasst bussard in weiten Teilen Hessens regelmäßig wurden, wird das Aktivitätsmuster der Art während der Brutzeit anzutreffen ist. Die im Brutgebiet beschrieben. Das Auftreten Erfahrung während der Kartierung macht von Wespenbussarden in Brutplatznähe be - deutlich, dass ohne die ausgedehnten Flug- schränkt sich, von wenigen Ausreißern raumbeobachtungen oder eine umfangrei - abgesehen, in Hessen auf die Monate Mai che Horstsuche nur eine geringe Chance bis August. Aktivitätsmaxima sind jahres - besteht, den tatsächlich vorhandenen Be- zeitlich Mitte/Ende Mai und von Anfang stand realistisch einzustufen. Juli bis Mitte August sowie tageszeitlich von 9 bis 15 Uhr festzustellen. Es wurden 365 Männchen und 177 Weibchen und damit Summary etwa doppelt so viele männliche wie weib- liche Wespenbussarde erfasst, was mit dem Using 1067 flight paths of European deutlich auffälligeren Verhalten der Revier honey buzzards recorded between 2014 verteidigenden Männchen zusammenhängt. and 2018, with an observation effort of Im Mai und während der Bebrütungsphase 2281 hours as part of the targeted observa- im Juni dominieren unter den beobachteten tion of birds of prey in the German state Vögeln die Männchen mit etwa 70 bis 80 % of Hesse, this article describes the species’ besonders deutlich. Der Anteil balzender activity pattern in the breeding region. In Tiere hat in der zweiten und dritten Mai- Hesse the species’ occurrence in the vicinity dekade mit knapp 40 % der Beobachtungen of nest sites is limited to the months of ein Maximum und nimmt danach – mit Aus- May to August, with a very small number nahme eines nochmals relativ hohen Anteils of outlier observations. Seasonal activity Anfang Juli – kontinuierlich ab. Im selben maxima are in mid- and late May as well as Umfang steigt der Anteil der fliegenden between early July and mid-August, while Vögel, die sich vermutlich überwiegend auf diurnal activity maxima are between 9 and Nahrungssuche befinden. Am häufigsten 15 o’clock. A total of 365 males and 177 wurden Wespenbussarde mit einer Flug- females were recorded, i.e. twice as many höhe zwischen 50 und 250 m beobachtet. male as female European honey buzzards. Der Anteil dieser Flughöhe an der Gesamt- This is due to the territory-defending

103 males’ significantly more conspicuous be- schutzgründen überprüft wird, seit einigen haviour. In May and during the incubation Jahren gezielt erfasst. Anhand von mehr period in June there is a particularly sig- als 1000 Flugbewegungen von Wespen- nificant dominance of records of males, bussarden in den Jahren 2014 bis 2018, die representing 70 to 80 % of the birds re- im Rahmen solch gezielter Beobachtungen corded. The proportion of birds displaying nachgewiesen wurden, wollen wir in diesem courtship behaviour peaks in the second Beitrag unsere Erfahrungen mit dem jahres- and third 10 days of May – representing und tageszeitlichen Auftretensmuster der almost 40 % of all observations – and con- Art in hessischen Brutgebieten zusammen - tinually declines thereafter with the excep- fassen. Damit möchten wir auch deutlich tion of a further relatively high proportion machen, dass Wespenbussarde in Hessen in early July. The proportion of birds in nicht „sehr selten“ sind, sondern im Gegen- flight, that are probably predominantly in teil in großen Waldgebieten der Mittel- search of food, increases at the same rate. gebirge und teilweise auch in kleineren The observations described here as well as Wäldern der Ebenen regelmäßig vorkom - the breeding populations recorded in the men. course of these investigations show that the European honey buzzard is a regular breeding bird in much of the state of 2 Material und Methoden Hesse. The experience gained during the current recording effort clearly shows that Als Standardmethode zur Erfassung the chance of arriving at a realistic estimate von Flugbewegungen von Greifvögeln im of the actual current population is low Zusammenhang mit der Projektierung von unless recording involves extensive obser- Windparks haben sich 18 Kontrollen von vations of flight spaces or comprehensive Anfang März bis Ende August im Rhyth- searches for nest sites. We therefore assume mus der Monatsdekaden etabliert. Die De- that the now significantly higher observa- kaden umfassen jeweils den 1. bis 10., den tion intensity is the reason for the frequent 11. bis 20. und den 21. bis zum Ende des records of occupied nests and territories. Monats. Detailliert ist das Vorgehen von Isselbächer et al. (2018) für Untersuchun- gen von Rotmilanvorkommen beschrieben. 1 Einführung Pro Zählpunkt, der möglichst gute Über - sicht bieten muss, werden dabei drei zu- Der Wespenbussard (Abb. 1 bis 3) ist sammenhängende Erfassungsstunden pro durch seine ungewöhnliche Ernährungs- Dekade empfohlen. Die Anzahl der Zähl- weise und damit einhergehend durch sein punkte ergibt sich aus der Größe des Brut- und Zugverhalten eine ungewöhnlich Untersuchungsgebietes und der Anzahl der faszinierende Vogelart. Durch die oft be - zu untersuchenden Rotmilanvorkommen schriebene Ähnlichkeit mit dem häufigen bzw. weiterer vorkommender Großvogel- Mäusebussard ( Buteo buteo ) und seine arten. Im Rahmen dieser Kartierungen ge - kurze Anwesenheit im Brutgebiet entzieht lingen in den Monaten von Mai bis August, er sich „schon immer einer genauen Erfas- also in der Zeit, in der Wespenbussarde im sung“ ( Stübing et al. 2010). Die Länder- Brutgebiet anwesend sind, regelmäßig auch arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten Nachweise dieser Art. (LAG VSW 2014) hat den Wespenbussard Dieser Beitrag stellt die von den Mit- im Hinblick auf die Errichtung von arbeitern des Büros für faunistische Fach- Windenergieanlagen (WEA) als relevant fragen (BFF, Linden) in den Jahren 2014 bis eingestuft. Daher wird das Vorkommen 2018 in Hessen während solcher Greif- der Art in Gebieten, deren Eignung für vogelkontrollen erfassten Wespenbussard- die Errichtung von Windparks aus Arten- Nachweise zusammen. Dabei beschränken

104 wir uns bei der Darstellung auf den haupt- bussards von der Entdeckung des Vogels sächlichen Auftretungszeitraum der Art bis zu seinem Verschwinden aus dem Blick- vom 1. Mai bis zum 31. August. Erfas- feld verstanden. Gerät dasselbe Individuum sungseinheiten ohne Nachweis in diesem später erneut unter Beobachtung, wird dies Zeitraum gehen ebenso in die Auswertung als weiterer Flugweg erfasst. Es wurden die ein. Dennoch ist die Beobachtungsdauer, folgenden Verhaltensweisen unterschieden: die den Auswertungen zum jahres- und 1 = Nahrungsflüge (s. u.), 2 = Transferflug, tageszeitlichen Auftreten zugrunde liegt, 3 = balzend/Revierflug, 4 = hoch kreisend, z. B. aufgrund von Projektabbrüchen oder 5 = Sonstiges. ebenfalls enthaltenen, stichprobenartigen Die typische Form der Nahrungssuche Überprüfungen, jahres- und tageszeitlich eines Junge versorgenden Brutvogels ver - nicht gleichmäßig verteilt. Wir stellen das läuft nach Ziesemer (schriftl. Mitt.) folgen - jahres- und tageszeitliche Auftreten deshalb dermaßen: Am Brutplatz werden Aufwinde nicht allein anhand der Beobachtungsergeb- genutzt, die den Vogel in etwa 100 bis nisse, sondern zusätzlich auch anhand der 250 Meter Höhe bringen. Von dort gleitet Beobachtungsfrequenz dar. Die Beobach- er in einen ein bis zwei Kilometer entfern- tungsfrequenz gibt die Anzahl festgestell- ten Wald, in weiter entfernte Gebiete unter ter Wespenbussarde pro Beobachtungs- Ausnutzung weiterer Thermikschläuche, die stunde und damit auf gleichmäßiger Grund- ihn wieder Höhe gewinnen lassen. Im Jagd- lage wieder. Insgesamt stehen 1067 Flug- gebiet angekommen, fliegt er im niedrigen wege für die Auswertung zur Verfügung, Suchflug (bis über Baumwipfelhöhe) oder die in den Jahren 2014 bis 2018 in 33 z. T. niedrig von Warte zu Warte (1 bis 20 m). mehrjährig bearbeiteten Probeflächen wäh- Zwischen verschiedenen Jagdgebieten (ab rend zusammen 2281 Beobachtungsstunden etwa 500 m Entfernung) wird nach Mög- erfasst wurden. Tabelle 1 führt die Anzahl lichkeit wieder Thermik oder anderer Auf- der pro Landkreis bearbeiteten Unter- wind genutzt. Mit Nahrung lässt sich der suchungsgebiete auf. Vogel ebenfalls von Aufwinden in die Bei den Beobachtungen werden neben Höhe tragen und kehrt segelnd zum Horst der Anwesenheit der Vögel pro Flugweg zurück. auch ihr Verhalten, die Flughöhe und mög - Die Verhaltensweise „hoch kreisend“ lichst das Geschlecht erfasst. Als Flugweg wird notiert, wenn Vögel in mehr als etwa wird der aufgezeichnete Flug eines Wespen- 100 bis 150 m Höhe kreisend beobachtet werden. Sie dient der Abgrenzung zu bal - zenden, aber auch Nahrung suchenden Tabelle 1: Verteilung der Untersuchungs- Vögel und entspricht daher nicht einer der gebiete pro Landkreis folgend dargestellten Höhengruppierungen. (alphabetische Reihenfolge). Die Flughöhe wurde in drei Kategorien fest - Kreis Anzahl gehalten: 1 = niedrig < 50 m, 2 ungefährer Gebiete Rotorbereich mit Abstandspuffer = 50 – 250 Fulda 3 m, 3 = > 250 m (oberhalb der Rotoren). Die Hersfeld-Rotenburg 6 Abschätzung der Kategorie erfolgte durch Kassel 3 den Vergleich mit Vertikalstrukturen im Umfeld, z. B. Baumwipfel, Masten von Main-Kinzig 3 Stromleitungen, Gebäude wie Sendetürme Marburg-Biedenkopf 3 oder Windenergieanlagen. Auch wenn Hö- Odenwald 3 henschätzungen so genau wie möglich Schwalm-Eder 8 durchgeführt wurden, muss betont werden, dass es sich bei diesen Angaben nicht um Waldeck-Frankenberg 2 exakte Messungen handelt. Zudem wird Wetterau 2 die Beobachtungswahrscheinlichkeit mit

105 zunehmender Flughöhe geringer, so dass akt mit den von uns erfassten Beobachtun- hohe Flüge im erfassten Datenbestand sicher- gen in den Jahren ab 2014 überein: Nachdem lich unterrepräsentiert sind. Anfang Mai noch relativ wenige Vögel an - Die Bestimmung der farblich sehr va- wesend waren, ist für die zweite und dritte riablen, durch die Färbung des Großgefie- Maidekade ein erster Höhepunkt festzu- ders und die Gestalt sowie die Flugweise stellen. Im Juni geht die Anzahl der regi - aber gut charakterisierten Art sowie die strierten Wespenbussarde wieder deutlich Unterscheidung zwischen Männchen, Weib- zurück, um im Juli und bis Mitte August chen und Jungvögeln (Abb. 1 bis 3) wird in das jahreszeitliche Maximum zu erreichen den herkömmlichen Bestimmungsbüchern (s. Abb. 4). Die im Juni reduzierte Beob- am besten von Svensson et al. (2017) dar- achtungswahrscheinlichkeit geht vermutlich gestellt. Umfangreich fotografisch bebil- auf die zu dieser Zeit erfolgende Bebrütung derte Darstellungen stammen von Forsman des Geleges zurück, an der sich beide (1999, 2016) und Gejl (2018). Geschlechter beteiligen ( Mebs & Schmidt 2006). Bei insgesamt 542 Nachweisen von 3 Ergebnisse und Diskussion Wespenbussarden konnte das Geschlecht der beobachteten Tiere bestimmt werden. Es 3.1 Jahreszeitliches Auftreten wurden 365 Männchen und 177 Weibchen und damit etwa doppelt so viele männliche Das Auftreten der Art in Brutplatznähe wie weibliche Wespenbussarde erfasst. Im beschränkt sich, von wenigen Ausreißern Mai und Juni dominierten die Männchen mit abgesehen, in Hessen auf die Monate Mai bis etwa 70 bis 80 % der Vögel besonders deut - August ( Schindler 1997). Dies stimmt ex - lich. Im Juli und Anfang August lag der

Abb. 1: Adulte Männchen des Wespenbussards sind an den sehr kontrastreich gefärbten Schwungfedern mit wie in Farbe getauchten dunklen Federspitzen und dem breit dunkel gefärbten und nahe den Deckfedern verlaufenden Band auf den Schwung- federn erkennbar (Foto: Christian Gelpke).

106 Abb. 2: Auch beim Weibchen sind die dunklen Binden auf Schwanz und Schwingen sowie die großen dunklen Bugflecken an der Vorderkante der Unterflügel sehr auffällig, jedoch weniger deutlich und nicht so stark kontrastierend wie bei den Männchen (Foto: Christian Gelpke).

Abb. 3: Junge Wespenbussarde ähneln durch die im Vergleich zu den Altvögeln dichtere und nicht so stark kontrastierende Bänderung des Großgefieders dem Mäusebussard, sind von diesem jedoch u. a. durch die auffallend breiten, dunklen Bänder im Großgefieder unterschieden (Foto: Christian Gelpke).

107 Anteil der beobachteten Weibchen dann nur acht Jungvögel, die zwischen dem 6. immerhin bei etwa 40 %, um Mitte und und 29. August und ausnahmslos im Jahr vor allem Ende August wieder deutlich 2018 beobachtet wurden. Die geringe Jung- zurückzugehen (Abb. 5). vogelzahl beruht vermutlich vor allem auf Die generell geringere Beobachtungs- der nur kurzen Anwesenheit dieser Alters- rate der Weibchen ist wahrscheinlich eine klasse bis zum Abzug, möglicherweise ver - Folge des auffälligeren Verhaltens der bal - halten sich die Jungtiere auch deutlich zenden, Revier verteidigenden Männchen. unauffälliger als die Altvögel. Zudem ist Der im Juni gegenüber dem Juli und An- der stark schwankende und oft geringe Brut- fang August deutlich erhöhte Anteil der erfolg bei der Interpretation dieses Verhält- Männchen (Abb. 5) ist entweder darauf nisses zu berücksichtigen. zurückzuführen, dass die Weibchen ver - mehrt die Bebrütung übernehmen, oder dass sie sich zu dieser Zeit deutlich unauffälliger 3.2 Flughöhe als die Männchen verhalten. Der geringste Weibchenanteil unter den beobachteten Die Flughöhe der beobachteten Tiere ist Vögeln wurde in der letzten Augustdekade in Abb. 6 dargestellt. Der Anteil niedriger festgestellt. Um diese Zeit ziehen die Weib- Flüge (unterhalb von 50 m über Grund) chen oft vor den Männchen, die noch die nahm von Mitte Mai mit weniger als 20 % Jungvögel betreuen, aus den Brutgebie- bis Ende August mit etwa 45 % deutlich ten ab ( Ziesemer 1997). Von insgesamt zu. Dies ist vermutlich auf die steigende 717 nach Geschlecht bzw. zumindest nach Anzahl von Nahrungsflügen während der Alter bestimmten Wespenbussarden waren Versorgung der Jungvögel zurückzuführen,

Abb. 4: Jahreszeitliches Auftreten des Wespenbussards während Greifvogelerfassungen in Hessen in den Jahren 2014 bis 2018 auf der Basis der Monatsdekaden. Dargestellt ist die Summe aller Beobachtungen (Balken, linke Skala; n = 1067 Tiere) und die durch - schnittliche Anzahl (Frequenz) beobachteter Wespenbussarde pro Erfassungsstunde (Kurve, rechte Skala).

108 Abb. 5: Geschlechterverhältnis der beobachteten Wespenbussarde im Jahresverlauf von Mai bis August (n = 542 Individuen, davon 365 Männchen und 177 Weibchen).

Abb. 6: Flughöhe der beobachteten Wespenbussarde im Jahresverlauf anhand des prozen - tualen Anteils festgestellter Höhenklassen; n = 1566, da viele Wespenbussarde im Verlauf des beobachteten Flugweges in mehr als einer Höhenklasse flogen.

109 was durch die gleichzeitige Zunahme der findet die Bebrütung der Gelege statt, und Beobachtung von Transferflügen (Abb. 7) im Juli und August steigt der Nahrungs- bestätigt wird. Am häufigsten wurden bedarf für die heranwachsenden Jungvögel Wespenbussarde mit einer Flughöhe zwi - (Mebs & Schmidt 2006). Der hohe Anteil schen 50 und 250 m beobachtet. Der Anteil balzender Tiere Anfang Juli könnte auf dieser Flughöhe an der Gesamtzahl der erfolglose Bruten zurückzuführen sein, de - Beobachtungen lag im Mai und Anfang ren Altvögel mehr Zeit in die Reviermar- Juni bei etwa 60 bis maximal 70 %, danach kierung investieren können und/oder durch etwas verringert bei 50 bis 60 %. Dabei ist weiträumigere Flugbewegungen Revierver- jedoch zu berücksichtigen, dass die Beob- teidigung bei anderen Paaren auslösen. achtungswahrscheinlichkeit mit zunehmen - der Flughöhe abnimmt, so dass hohe Flüge (eventuell deutlich) unterrepräsentiert sind. 3.4 Tageszeitlicher Aktivitäts- Mittels GPS-Telemetrie ermittelten van verlauf Diermen et al. (2013) die Mehrzahl der Flüge bis ca. 150 m Höhe, aber vor allem Obwohl 77 der 2281 ausgewerteten Er- zwischen neun und 17 Uhr flogen die Vögel fassungsstunden schon vor 8 Uhr durchge - auch regelmäßig bis 300 m und sogar 700 m führt wurden, konnten die tageszeitlich hoch. Bei standardisierten Höhenschätzun- frühesten Beobachtungen erst zwischen 8 gen in Mecklenburg-Vorpommern mit aller - und 9 Uhr erfasst werden. In den folgenden dings geringem Stichprobenumfang lag die beiden Stunden stieg die Beobachtungs- mittlere Flughöhe bei 91,5 Metern (Median häufigkeit sehr stark an und erreichte schon 80 und Maximum 250 Meter, n = 26 Be- zwischen 10 und 11 Uhr ein ausgeprägtes obachtungen; Scheller & Küsters 1999). Maximum, das zwischen 11 und 14 Uhr nur Nach Keicher (2013) flogen Altvögel vor leicht rückläufig war (Abb. 8). Danach sank allem ab Mitte Juli bis Ende August auch die Zahl der beobachteten Wespenbussarde höher über dem Brutwald, während vorher wie auch die Beobachtungsfrequenz konti - Niedrigflüge in Wipfelhöhe überwogen. nuierlich bis 17 Uhr ab. In den 67 Beob- achtungsstunden zwischen 17 und 20 Uhr wurden noch 30 Wespenbussarde erfasst. 3.3 Verhalten Die Anzahl der beobachteten Individuen sank daher kontinuierlich weiter. Aufgrund Abb. 7 zeigt die prozentualen Anteile der zu dieser Tageszeit aber nur relativ ge - der festgestellten Verhaltensweisen. Es sind ringen Anzahl von Beobachtungsstunden zwei deutliche Muster zu erkennen: Der nahm die Beobachtungsfrequenz jedoch Anteil balzender Tiere hatte in der zweiten wieder deutlich zu (Abb. 8). und dritten Maidekade mit knapp 40 % der Das zwischen 8 und 17 Uhr festgestellte Beobachtungen ein Maximum und nahm Muster mit einem ausgeprägten Maximum danach – mit Ausnahme eines nochmals der Aktivität zwischen 9 und 15 Uhr relativ hohen Anteils Anfang Juli – konti- bestätigt die Angaben von Südbeck et al. nuierlich ab. Im selben Umfang nahm der (2005) und ist als enge Bindung des Wespen- Anteil der vorüberfliegenden Vögel (Trans- bussards an günstige Thermikverhältnisse ferflüge) zu. Der Anteil hoch, also in mehr zu interpretieren. Anhand des vorliegenden als etwa 100 bis 150 Metern Höhe, kreisen - Materials lässt sich nicht klären, ob es sich der Wespenbussarde war unter Schwankun- bei der Zunahme der Beobachtungsfrequenz gen bei etwa 30 bis 40 % stabil. nach 17 Uhr um einen tatsächlichen abend- Die Verteilung der Balz- und Transfer- lichen Aktivitätshöhepunkt oder (eher) um flüge entspricht dem Verlauf der Brutzeit: ein zufälliges Produkt aufgrund der in die - „Die Brutvögel beginnen sofort nach der sem Tagesabschnitt geringen Beobachtungs- Ankunft im Mai mit der Balz“, im Juni dauer handelt.

110 Abb. 7: Prozentualer Anteil der festgestellten Verhaltensweisen an der Gesamtzahl der pro Monatsdekade erfassten Wespenbussarde; n = 1452, da viele Vögel nacheinander zwei oder mehr Verhaltensweisen zeigten.

Abb. 8: Tageszeitlicher Aktivitätsverlauf der beobachteten Wespenbussarde nach Stunden (Angabe in Mitteleuropäischer Sommerzeit) anhand der Summe erfasster Individuen (Balken, linke Skala; N = 1067 Ind.) sowie der Anzahl durchschnittlich pro Beobach- tungsstunde ermittelter Vögel (Beobachtungsfrequenz; Kurve, rechte Skala).

111 3.5 Hinweise zur Erfassung war. 99 % der Lokalisationen lagen inner - halb eines Radius von vier Kilometern um Die hier dargestellten Beobachtungen das Nest, die maximale Horstentfernung und die während der Untersuchungen er- lag bei 6,2 Kilometern. Territorialverhalten, fassten Brutvorkommen zeigen, dass der also das Verfolgen fremder Vögel und Wespenbussard in weiten Teilen Hessens Revierverteidigung, erfolgte in Schleswig- regelmäßig zur Brutzeit anzutreffen ist. Die Holstein bis über zwei Kilometer vom Erfahrung während der Kontrollen zeigt, Horst entfernt und in Österreich im Mittel dass ohne die ausgedehnten Flugraumbeob- 1353 Meter um den Brutplatz ( Ziesemer achtungen oder eine umfangreiche Horst- 1999). suche im unbelaubten Zustand der Wälder Um ein besetztes Revier abzugrenzen, nur eine geringe Chance besteht, den müssen daher mehrere Beobachtungen vor - tatsächlich vorhandenen Bestand realistisch liegen, darunter unbedingt auch solche von einzustufen. Dabei erschwert der je nach balzenden Vögeln. Ein Brutnachweis ist Nahrungsangebot (Verfügbarkeit von Wes- nur durch den Fund eines besetzten Nestes pennestern) schwankende Anteil von nicht - möglich. Beobachtungen von Nahrung bzw. brütenden Revierpaaren eine Aussage zum Nistmaterial eintragenden Vögeln sollten als tatsächlichen Brutbestand zusätzlich. Noch Brutverdacht gewertet und möglichst durch unklar ist zudem der Anteil von zwar schon eine Horstsuche nach Abschluss der Brut- ins Brutgebiet zurückkehrenden und teil - zeit in unbelaubtem Zustand der Bäume be - weise auch balzenden, aber noch nicht zur stätigt werden. Brut schreitenden Individuen bzw. Paaren, Besonders auffallend ist der zur Revier- die zuerst von van Manen (2000) beschrie - markierung genutzte, unter den heimischen ben wurden. Greifvogelarten einzigartige, sogenannte Daher und vor dem Hintergrund der „Schüttelflug“. Dabei „streckt der Wespen- sehr großräumigen Nahrungsflüge der Art bussard seine Flügel gleichzeitig fast senk - dürfen nicht alle Beobachtungen von Wes- recht nach oben und schüttelt sich; dieser penbussarden mit Brutvorkommen gleich - Vorgang wird oft mehrmals wiederholt“ gesetzt werden. So wurden schon anhand (Mebs & Schmidt 2006). Zuvor schraubt optischer Kontrollen in den Niederlanden sich der Vogel in weiten Kreisen in die Homeranges von 1150 bis 1575 Hektar mit Höhe, um dann plötzlich geradeaus zu bis zu sieben Kilometer vom Horst entfern - segeln und unvermittelt in einem scharfen ten Nahrungsgebieten ( Bijlsma 1991, 1993) Bogen nach oben zu steigen, wo dann und in Österreich Homeranges von im das „Schütteln“ erfolgt, bei dem die ausge - Mittel 1493 Hektar ( Gamauf 1995) erfasst. streckten Flügel über dem Rücken schein- Anhand telemetrierter Tiere konnten in bar zusammengeschlagen werden ( Glutz Schleswig-Holstein Werte von 1700 bis 2200 von Blotzheim et al. 1971). Oft folgen Hektar und regelmäßige Horstentfernungen mehrere „Schüttelvorgänge“ aufeinander, so von drei bis sechs Kilometern sowie Maxima dass der balzende Vogel „treppenartig“ nach von zehn Kilometern ( Ziesemer 1999), in oben steigt. Dieses sehr auffällige Verhalten den Niederlanden Homeranges von 1380 bis ermöglicht auch über große Entfernungen 4500 Hektar sowie Hauptnahrungsgebiete die Lokalisierung Revier anzeigender Wes- innerhalb von bei Männchen sechs und bei penbussarde. Weibchen sogar neun Kilometern um den Als Konsequenz aus unseren Daten Brutplatz ermittelt werden ( van Diermen lassen sich folgende Hinweise für eine er- et al. 2013, van Manen et al. 2011). Ziese- folgreiche Wespenbussard-Suche geben: mer & Meyburg (2015) fanden bei vier tele - 1. Kontrollen im Zeitraum von 9 bis 15 Uhr metrierten Vögeln Homeranges zwischen sind besonders erfolgversprechend 13,5 und 25,8 Quadratkilometern, wobei 2. Verhaltensweisen notieren, insbesondere Wald in der Raumnutzung überrepräsentiert auf Balzflüge achten

112 3. Kontrollen bei guter Thermik sollten be- riums für Umwelt, Energie, Ernährung vorzugt werden und Forsten. Mainz, Linden, Bingen. 4. Besonders auf Einträge von Nistmaterial 22 S. und Futter für die Jungvögel (Wespen- Keicher, K. (2013): Brutbiologie des waben) achten. Wespenbussards Pernis apivorus und Hinweise zur Berücksichtigung bei Windpark-Planungen im Wald. – 4 Literatur Orn. Jh. Bad.-Württ. 29 : 141 – 150. LAG VSW (Länderarbeitsgemeinschaft der Bijlsma , R. G. (1991): Terreingebruik door Vogelschutzwarten) (2014): Abstands- Wespendieven Pernis apivorus . – empfehlungen für Windenergieanlagen Drentse Vogels 4: 27 – 31. zu bedeutsamen Vogellebensräumen Bijlsma , R. G. (1993): Ecologische Atlas sowie Brutplätzen ausgewählter van de Nederlandse Roofvogels. – Vogelarten (Stand April 2015). – Haarlem, 350 S. Berichte zum Vogelschutz 51 : 15 – 42 Diermen, J. van, S. van Rijn, R. Janssen, Manen, W. van (2000): Reproductie- P. van Geneijgen, D. Eyjemans & P. strategie van de Wespendief Pernis Wouters (2013): Wespendief in apivorus in Noord-Nederland. – Kempen-Broek & Het Groene Woud. Limosa 73 : 81 – 86. – Jaarbericht 2013. Ark-Natuuront- Manen, W. van, J. van Diermen, S. van wikkeling, Nijmegen. Rijn & P. van Geneijgen (2011): Forsman , D. (1999): The Raptors of Europe Ecologie van de Wespendief Pernis and The Middle East. – Poyser, London. apivorus op de Veluwe in 2008 – 2010 – Forsman , D. (2016): Flight Identification populatie, broedbiologie, habitat- of Raptors of Europe, North Africa gebruik en voedsel. – Natura 2000 and The Middle East. – Christopher rapport, Provincie Gelderland Arnhem Helm, London. NL / stichting Boomtop; Gamauf , A. (1995): Does hymenoptera www.boomtop.org Assen. density influence the home range size Mebs, T. & D. Schmidt (2006): Die Greif- of breeding Honey Buzzards ( Pernis vögel Europas, Nordafrikas und apivorus )? – Poster Abstract, Con- Vorderasiens. – Kosmos, Stuttgart. ference on Holarctic Birds of Prey; Scheller, W. & E. Küsters (1999): Flug- Badajoz, Spain. höhen von Greifvögeln und Vogel- Gejl , L. (2018): Europas Greifvögel – Das schläge in Deutschland. – Vogel u. Bildhandbuch zu allen Arten. – Haupt, Luftverkehr 19 : 76 – 96. Bern. Schindler , W. (1997): Wespenbussard Glutz von Blotzheim, U. N, K. M. Pernis apivorus . – In: Hessische Gesell- Bauer & E. Bezzel (1971): Handbuch schaft für Ornithologie und Natur- der Vögel Mitteleuropas, Bd. 4. – schutz (Hrsg. 1997 – 2000): Avifauna Akademische Verlagsgesellschaft, von Hessen, 3. Lieferung. – Echzell. Frankfurt am Main. Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Isselbächer, T., M. Korn, S. Stübing, C. Werner (2010): Vögel in Hessen – Die Gelpke, J. Kreuziger, J. Sommer- Brutvögel Hessens in Raum und Zeit – feld & T. Grunwald (2018): Leitfaden Brutvogelatlas. Echzell. S. 138 – 139. zur visuellen Rotmilan-Raumnut- Südbeck, P., H. Andretzke, S. Fischer, zungsanalyse – Untersuchungs- und K. Gedeon, T. Schikore, K. Bewertungsrahmen zur Behandlung Schröder & C. Sudfeldt (Hrsg.) von Rotmilanen ( Milvus milvus ) bei (2005): Methodenstandards zur der Genehmigung für Windenergie- Erfassung der Brutvögel Deutschlands. anlagen. – Im Auftrag des Ministe- – Radolfzell. S. 238 – 239.

113 Svensson, L., K. Mullarney & D. Zetterström (2017): Der Kosmos Vogelführer – Alle Arten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. – Kosmos, Stuttgart. Ziesemer , F. (1997): Raumnutzung und Verhalten von Wespenbussarden (Pernis apivorus ) während der Jungenaufzucht und zu Beginn des Wegzuges – eine telemetrische Untersuchung. – Corax 17 : 19 – 34. Ziesemer , F. (1999): Habicht ( Accipiter gentilis ) und Wespenbussard ( Pernis apivorus ) – zwei Jäger im Verborgenen: Was hat die Telemetrie Neues gebracht? – Egretta 42 : 40 – 56. Ziesemer, F. & B.-U. Meyburg (2015): Home range, habitat use and diet of Honeybuzzards during the breeding season. – British Birds 108 : 467 – 481.

Manuskript eingereicht am 08. 09. 2020, angenommen am 12. 09. 2020

Anschriften der Verfasser: Christian Gelpke, Kaiser-Heinrich-Straße 17, D-34560 Fritzlar, E-Mail: [email protected] Stefan Stübing, Am Eichwald 27, D-61231 Bad Nauheim, E-Mail: stefan.stü[email protected]

114 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen . Vogel und Umwel t 24 : 115 – 124 (2020)

Vögel im Wildkirschbaum – Beobachtungen zur Spezialisierung bei der Nahrungswahl von Hans-Heiner Bergmann , Bad Arolsen Keywords: Wildkirsche, Nahrungswahl, Bergisches Lan d, Nordrhei n-Westfalen

Zusammenfassung harvesting the ripe fruits of the tree were Blackbird, Song thrush, Blackcap and Blue An einem einzelnen fruchtenden Wild- tit. From these not only adults but also kirschbaum in parkartiger Umgebung im offspring of the year were present. The young Bergischen Land Nordrhein -Westfalens wur- birds were able to forage themselves but were den in der ersten Julidekade 2019 während also fed by their parents on some occasions. täglicher einstündiger Beobachtungen die Taken together, 8 bird species occurred at Artenmuster auftretender Vogelarten er- the tree including the Great Spotted Wood- fasst. Als Nutzer der vom Baum gelieferten pecker. Cherries disappeared within 10 days Früchte traten am regelmäßigsten Amsel, with no remnants, harvested apparently only Singdrossel, Mönchsgrasmücke und Blau- by the birds. In most cases, cherries were meise auf. Von diesen Arten waren sowohl eaten on the tree, in some cases were carried Altvögel als auch diesjährige Jungvögel an - away (thrushes, Great Spotted Woodpecker, wesend; die Jungen nahmen zwar selbststän - Jay). There were no indications of intra- or dig Nahrung auf, ließen sich gelegentlich interspecific aggression. Other bird species, aber auch noch füttern (Mönchsgrasmücke, mainly Carduelid and Fringillid species, Amsel). Insgesamt waren Angehörige von recorded not far from the cherry tree, did acht verschiedenen Vogelarten beteiligt, da - not participate in harvesting cherries. von sieben Singvögel. Sie verzehrten die Kirschen direkt auf dem Baum; Eichelhäher, Drosseln und Buntspecht flogen aber auch 1 Einführung: Kirschbaum im Park mit geernteten Kirschen davon, Drosseln nahmen herabgefallene Früchte vom Boden Ein einzelner Kirschbaum steht in einer auf. Anzeichen inner- oder zwischenart- Mischwald-Umgebung im Bergischen Land licher Aggression als Ausdruck von Kon- Nordrhein-Westfalens auf einer Meeres- kurrenz traten nicht auf. Andere Arten, ins - höhe von etwa 320 m ü. NN. Der Baum besondere Körnerfresser, wurden häufig in ist ca. 12 Meter hoch und fügt sich in eine der Nähe des Kirschbaums registriert, parkartige Umgebung ein (Abb. 1). Er trug nahmen aber nicht an der Ernte der Früchte Anfang Juli kleine hellrote Früchte in teil. Innerhalb der ersten Julidekade wurde Büscheln, Typ Wildkirsche (Abb. 2). Er der Baum geleert steht benachbart zu Fichten, einer Blut- buche und anderen Laubgehölzen wie Ulme, Bergahorn und Platane. Unter dem Summary Baum und in der Nachbarschaft ist ein Minigolfplatz mit umgebendem Rasen an- The bird species visiting a single wild gelegt. Randlich an der offenen Fläche ste - cherry tree in park surroundings in an area of hen Holunder, Rhododendron, Buddleya, western Germany, in July, 2019, were Cotoneaster und andere Sträucher. Eine recorded during daily one hour observations. nahe Geländestufe ist etwa 6 m hoch auf- The species most frequently involved in gemauert.

115 Abb. 1: Kirschbaum im Park: Attraktion für Vögel der Umgebung (alle Fotos: Hans-Heiner Bergmann).

116 2 Methode an? Wie lange zehren sie von dem gegebenen Vorrat? Kommen da ökologisch gesehen Von der oben beschriebenen Gelände- Generalisten oder Spezialisten zusammen? stufe kann man aus einer Distanz von etwa 8 m bequem von oben in die Baumkrone hineinsehen. Ab Anfang Juli 2019 wurde 3 Ergebnisse knapp drei Wochen lang täglich meist nach - mittags jeweils etwa eine Stunde lang beob - 3.1 Von Blaumeise bis Buntspecht achtet und fotografiert. Kürzere Besuche kamen hinzu. Im weiteren Umfeld gibt es Der Baum wurde im ersten Julidrittel keine weiteren Kirschbäume, so dass etliche tagsüber fast ständig von Vögeln besucht, Vögel sich im Hochsommer auf diesen einen die hier Kirschen ernteten. Vom Wipfel her Baum konzentrierten. Der Beginn der Ernte wurde der Fruchtvorrat auf diese Weise all - konnte nicht erfasst werden, jedoch der mählich abgeräumt. Nach einer Woche war größte Teil des Ablaufs und das Ende. das obere Drittel weitgehend frei von den Dabei wurden die täglichen Artenmuster Früchten. Die Vögel waren nun darauf an- für den Beobachtungszeitraum festgehalten. gewiesen, weiter unten zu ernten. Manche Wegen der geringen Distanz wurde das zeit - hielten sich länger im Baum auf, Vögel weise mitgeführte 10fach-Fernglas meist bestimmter Arten wie Eichelhäher und nicht eingesetzt, doch konnte der Foto- Buntspecht flogen meist mit einer rasch apparat mit einer 27,3fachen Zoomver- geernteten Kirsche sofort aus dem Wipfel größerung auch zum Beobachten verwendet davon, sie kamen auch nicht in die unteren werden. Etagen des Baumes herab. Blaumeisen und Folgende Fragen sollten beantwortet Mönchsgrasmücken dagegen hatten sich werden: Welche Vögel zieht der Kirschbaum schon früh auf die weiter unten reifenden im Sommer mit seinen reifenden Früchten Kirschen eingestellt.

Abb. 2: Die reifen Kirschen locken mit Saft, Geschmack und Farbe.

117 3.2 Häufigkeit der Arten wieder ein ausgefärbtes altes Männchen auf, weniger häufig ein altes Weibchen. Domi- Der häufigste Vogel im Kirschbaum war nierend bei dieser Art waren aber bis zum die Blaumeise. Von dieser Art waren manch - Schluss die flüggen Jungvögel. Diese bettel - mal bis zu sechs Individuen gleichzeitig an - ten teilweise die Altvögel an (s. Abb. 8) und wesend – Jung- und Altvögel (s. Abb. 3 und wurden von ihnen mit Kirschenfleisch ge - 4). Regelmäßig waren mehrere Individuen füttert, obwohl sie selbst bereits zum Picken zugleich im Kirschbaum. Kohlmeisen traten an den Kirschen in der Lage waren. Ganze viel weniger häufig auf als Blaumeisen, Kirschen wurden vornehmlich von den An- waren auch eher einzeln zu sehen. Ähnlich gehörigen der beiden Drosselarten ver - häufig wie die Blaumeise war die Amsel schluckt, während Eichelhäher (s. Abb. 9) (s. Abb. 5), mit ebenfalls maximal sechs und Buntspecht regelmäßig oder teilweise gleichzeitig anwesenden Individuen beider mit einer geernteten Kirsche im Schnabel Geschlechter und Altersstufen. Von der davonflogen. Gimpel waren noch weniger Singdrossel zeigten sich weniger Individuen. häufig, dreimal einzeln, einmal als Paar. Es Zusätzlich hielten sich oft Amseln und ließ sich nicht ermitteln, ob sie Kirschen- Singdrosseln am Boden auf und befassten fleisch oder die Kerne als Nahrung nutzten. sich dort mit den herabgefallenen Kirschen Ihr Aufenthalt war kurz. Eine Sumpfmeise (s. Abb. 6). Manchmal flogen sie mit der zeigte sich erst im Baum, nachdem alle Frucht davon. Auch sehr häufig und regel - Kirschen geerntet waren und keine anderen mäßig im Baum anwesend waren Mönchs- Vögel mehr auftraten; dieser Vogel hat sich grasmücken (s. Abb. 7). Hier fiel hin und mit anderer Nahrung versorgt.

Tabelle 1: Anwesenheit Kirschen fressender (K) oder mitnehmender (M) Vogelarten im Kirschbaum an 10 Julitagen 2019. G = Gast Art / Tag im Juli 2 34 5678 9 10 11 12 13 14 Amsel K, K K, KKKKKK Turdus merula MM Singdrossel KKKKKKKKK Turdus philomelos Mönchsgrasmücke KKKKKKKKK Sylvia atricapilla Blaumeise KKKKKKKKKK Cyanistes cyaneus Kohlmeise KKKKKKK Parus major Sumpfmeise G Poecile palustris Eichelhäher MM MMMMMM Garrulus glandarius Buchfink GG Fringilla coelebs Gimpel KKKK Pyrrhula pyrrhula Stieglitz G Carduelis carduelis Buntspecht GKKK M Dendrocopos major

118 Abb. 3: Blaumeisen verzehren die Kirschen stückweise an Ort und Stelle.

Abb. 4: Flügge junge Blaumeisen beteiligen sich selbstständig bei der Ernte.

119 Abb. 5: Amseln gehören zu den häufigsten Besuchern. Oft fliegen sie mit den geernteten Früchten davon und verzehren sie anderswo.

Abb. 6: Die Singdrossel nimmt auch die zu Boden gefallenen Kirschen.

120 Abb. 7: Die junge Mönchsgrasmücke gehört zu den häufigsten Besuchern. Die Vögel hinter - lassen ihren Kot auf den Blättern.

Abb. 8: Das Mönchsgrasmücken-Männchen wird von zwei flüggen Jungen angebettelt.

121 Abb. 9: Der junge Eichelhäher ist misstrauisch und verschwindet bald danach mit einer Kirsche im Schnabel aus dem Baum.

Abb. 10: Mitte Juli sind nur noch die Fruchtstiele übrig.

122 Regelmäßig waren Buchfinken (selten Dennoch ist dies kein Angebot für auch als Gast im Kirschbaum), Stieglitze, dauerhafte Spezialisten. Alle Arten, die im Grünfinken und Gimpel sowie Ringeltau- Juli hier Kirschen ernten, müssen sich in ben in benachbarten Fichtenspitzen und an - den übrigen Jahreszeiten nach anderer deren Bäumen zu sehen oder rufend bzw. Nahrung umsehen, ganz gleich, ob Früchte singend zu hören, kamen aber nicht zum oder Sonstiges. Die Vertreter der beiden Kirschbaum. Ein Stieglitz wurde nur einmal Drosselarten waren parallel zur Kirschen- am 10. Juli dort gesehen, beteiligte sich aber ernte häufig bei der Nahrungs- oder Futter- nicht beim Verzehren von Kirschen. suche auf den benachbarten Rasenflächen zu sehen. Dort dürften sie keine Früchte gesucht oder gefunden haben, sondern 4 Diskussion Wirbellose wie Regenwürmer, Insekten oder deren Entwicklungsstadien. Selbst wenn Der Kirschbaum ist Teil einer parkarti - Blaumeisen oder Grasmücken über Stunden gen Kulturlandschaft (vgl. Bezzel 1982) und hin in dem Baum Kirschen fressen, können mit hoher Wahrscheinlichkeit dort gepflanzt sie nicht im allgemeinen ökologischen Sinn worden. Es wurde nie beobachtet, dass die als Spezialisten bezeichnet werden. Auch Früchte von Menschen genutzt werden, wenn ein Vogel sich während der gesamten sondern die Kirschen wurden während der Reifezeit der Kirschen ausschließlich von Beobachtungszeit zum größten Teil oder diesen Früchten ernährt, ist er nur ein vor- vollzählig von den Vögeln geerntet. Ein übergehender Spezialist, der zu anderen kurzfristig einmal im Baum auftauchendes Zeiten andere Nahrung suchen muss. Die Eichhörnchen ( Sciurus vulgaris ) verschwand vorliegenden Beobachtungen lassen darüber rasch wieder. Unter dem Baum am Boden keine Aussage zu. Spezialistentum und Ge- beteiligten sich einige Rötelmäuse ( Clethrio- neralistentum im Bereich der Nahrungswahl nomys glareolus ) regelmäßig an der Ernte erweist sich hier jedenfalls als zeitbegrenzt. herabgefallener Früchte. Über nächtliche Be- Die Blaumeise gilt allgemein als Gene- sucher des Baumes liegen keine Beobach- ralist, der sich je nach Jahreszeit, Lebens- tungen vor. raum, Angebot, Witterung und Konkur- Die fruchtenden Kirschen wurden teil - renten tierischer oder pflanzlicher Nahrung weise von der Kirschfliege ( Rhagoletis cerasi , widmet ( Glutz von Blotzheim & Bauer Familie Trypetidae, Bohr- oder Frucht- 1993, Bezzel 2014). Der Buchfink ist das fliegen) befallen, deren Larven in der Frucht Jahr über vorwiegend phytophag, ernährt parasitieren ( Jacobs & Renner 1988). Die sich und seine Jungen zur Fortpflanzungs- Beobachtungen am Kirschbaum ergaben zeit aber von Kleintieren, vor allem von aber keine Hinweise darauf, dass die Vögel Insekten, die er auf Bäumen oder im Flug gezielt nach den Larven gesucht hätten. gewinnt ( Bergmann 1993). Obwohl er im Vielmehr war deutlich zu sehen: Sie pickten Sommer seine Jungen mit Insekten groß - in das Kirschenfleisch und fraßen davon, zieht und im Winter durchaus Körnerfutter bis nur noch die Kirschkerne übrig waren, an Futterstellen aufnimmt, kann er hier nicht die dann abfielen. Am längsten blieben als Generalist aufgefasst werden. Bis zum die Fruchtstiele hängen (s. Abb. 10). Die Ende der Gesangsperiode an den ersten Kirsche hält nahrhafte reife Früchte nur Julitagen waren Buchfinkengesänge rings- für etwa einen halben Monat im Jahr bereit. um im Beobachtungsgebiet häufig zu hören. In dem reifenden Fleisch der Kirschen Die Vögel waren jedoch in der Nähe des finden die Vögel nicht nur Zucker und an- Kirschbaums nur vorübergehend als Gäste dere Inhaltsstoffe, sondern auch saftige anwesend, ohne Kirschen zu fressen. Flüssigkeit, was besonders in trockenen Ähnliches gilt für andere Körnerfresser und heißen Wetterphasen eine Rolle spielen wie Grünfink und Stieglitz. Bei den kur- dürfte. zen Besuchen der Gimpel war nicht sicher

123 erkennbar, ob sie Kirschenfleisch oder die 5 Literatur Steinkerne nutzten. Kernbeißer ( Cocco- thraustes coccothraustes ) als Spezialisten für Bergmann , H.-H. (1993): Der Buchfink – harte Kerne ließen sich im Kirschbaum Neues über einen bekannten Sänger. – oder in seiner Nähe überhaupt nicht sehen, Sammlung Vogelkunde, Aula, Wies- obwohl sie im Gebiet nicht selten vor- baden. kommen ( Grüneberg et al. 2013). Das Bezzel , E. (1982): Vögel in der Kulturland- Rotkehlchen ( Erithacus rubecula ) ist im schaft. – Ulmer, Stuttgart. Sommer vorwiegend Insektenfresser und Bezzel , E. (2014): Beobachtungen über füttert auch seine Jungen mit erbeuteten 35 Jahre: Ein Kirschbaum und seine Insekten, die es meist am Boden aufsam- Vögel. – Der Falke 61 : 30 – 34. melt, ein typischer Wartenjäger. Ein Glutz von Blotzheim, U.N. & K. Bauer Rotkehlchen wurde nicht selten im Umfeld (Hrsg., 1993): Handbuch der Vögel des Kirschbaums am Boden beobachtet. Mitteleuropas, Bd. 13. – Aula, Wies- Nur bei einer Gelegenheit wurde es dort baden. pickend an einer Kirsche festgestellt. Es Grüneberg, C., S. R. Sudmann u. kann deswegen ebenso wenig zu den Mitarbeiter (2013): Die Brutvögel Kirschenfressern gestellt werden wie die Nordrhein-Westfalens. – LWL Arten der Körnerfresser. Museum für Naturkunde, Münster. Die Avifauna des fruchtenden Kirsch- Jacobs, W. & M. Renner (1988): Biologie baums kann nur ein momentaner Spiegel der und Ökologie der Insekten, 2. Aufl. – Vogelwelt der näheren Umgebung sein. Die Fischer, Stuttgart. Attraktivität des fruchtenden Baums wirkt nicht auf alle Arten gleich. Dabei spielt wohl auch die vorherige Verteilung der Vögel im Umfeld eine Rolle. Mit den Auswirkungen einer Wanderung muss man im Juli nicht rechnen. Der Zuflug zum Kirschbaum wird aber von verschiedenen Faktoren abhängig sein: von der augenblicklichen Mobilität der Vögel, von ihrer vorherigen Kenntnis des Baumes oder von der Chance, dass sie die Nahrungsquelle entdecken und werten, und in welcher Distanz sie sich sonst aufhalten. Das gilt für diejenigen Arten und Indivi- duen, die die Kirschen wirklich nutzen, und in dem Maße, in dem sie die Kirschen genutzt haben. Genauso aufschlussreich wie das Spek- trum der Kirschen fressenden Arten war das Manuskript eingereicht am 21. 12. 2019, Artenspektrum der Vögel, die sich im angenommen am 17. 06. 2020 Umfeld aufhielten, aber den Kirschbaum nicht aufsuchten. Unter den Nicht-Nutzern waren die Finkenvögel die auffälligsten. So hatte es den Anschein, als seien eher die Anschrift des Verfassers: Nicht-Besucher des Kirschbaums, die sich in der Nähe aufhielten, die Nahrungspezia- Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann , listen (für andere Nahrung) und nicht die- Landstraße 44, jenigen Arten, die sich von den Früchten D-34454 Bad Arolsen, anlocken ließen. E-Mail: [email protected]

124 Persönliches Hans-Heiner Bergmann zum 80. Geburtstag Beringung. Auch in der Foto-AG des Gym- nasiums entwickelte er Naturzugänge, die für seine spätere wissenschaftliche Arbeit wichtig werden sollten. Ein preisgekröntes Foto des Schülers Hans-Heiner zeigt junge Flussregenpfeifer. Über diese Art verfasste er 1957 mit 18 Jahren auch seine erste Fach- veröffentlichung: „Flussregenpfeifer brüten an der Eder“ in Werner Sunkels Zeitschrift „Vogelring“. Schon als Schüler legte er eine Feder- sammlung an, die er bis heute pflegt, erwei - tert und wissenschaftlich auswertet. Nach dem Abitur im Jahr 1959 studierte Bergmann die ungewöhnliche Fächerkom- bination Biologie und Latein für das Lehramt an Gymnasien. An der Philipps-Universität in Marburg war er dann Assistent in der Ab- teilung Tierphysiologie. Seine Dissertation war eine Verhaltensstudie an Buntbarschen. Nach seiner Habilitation im Jahr 1977 Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann im Alter wechselte er 1978 an die Universität Osna- von 75 Jahren (Foto: Wiltraud Engländer). brück. Seine Forschungsschwerpunkte wa - ren die Verhaltensbiologie der Vögel, die Hans-Heiner Bergmann, einer der re - Bioakustik, die Biologie-Didaktik sowie der nommiertesten Ornithologen Deutschlands, Naturschutz. konnte seinen 80. Geburtstag begehen. In Professor Bergmann war ein beliebter seiner bescheidenen Art hat er von diesem akademischer Lehrer, der in idealer Weise Jubiläum kein Aufhebens gemacht, aber Forschung und Lehre miteinander verband. seine Wegbegleiter, Schüler und Freunde Er führte viele junge Menschen an die erinnern sich aus diesem Anlass gern an all Biologie und den Naturschutz heran. Für die fruchtbaren und anregenden Begegnun- seine Studenten war er mit seinem akribi - gen mit ihm. schen und kooperativen Arbeitsstil, seinem Hans-Heiner Bergmann wurde am 27. großen Engagement und Fleiß sowie seiner September 1939 in der Waldecker Kleinstadt Menschlichkeit ein Vorbild. Freund Joachim Sachsenhausen geboren. Dort gab es damals Weiß hat sein Wirken als Hochschullehrer eine Klinik mit dem Namen „Storchennest“. so beschrieben: „Hans-Heiner war (...) ein Wahrlich ein schönes Omen! begnadeter Lehrer, der es wie kaum ein Seine Kindheits- und Jugendjahre ver - anderer versteht, seinen Studenten, Kolle- brachte Bergmann nach dem Krieg in Bad gen, Freunden und Mitmenschen Begeiste- Wildungen. Am Gustav-Stresemann-Gym- rung an der Natur zu vermitteln, Lernen nasium begeisterte ihn sein Biologie-Lehrer und Erkenntnisgewinn durch die ,richtigen‘ Eduard Schoof für die Ornithologie. Hans- Fragen und Aufgaben zu initiieren, die Heiner Bergmann begleitete Schoof bei Augen für biologische Phänomene zu öff - seinen Beobachtungsgängen an die Eder nen und Impulse für eigene biologische und half bei der wissenschaftlichen Vogel- Aktivitäten zu setzen.“

125 In der Biologie-Didaktik beschritt Pro- perte auf diesem Gebiet in Deutschland. fessor Bergmann auch neue Wege. Dazu ein Aber noch etwas Wichtiges fällt bei seinen Beispiel, das ich selbst miterleben durfte. Publikationen auf: Oft hat er Mitautoren, Auf der Nordseeinsel Baltrum veranstaltete ein Beleg seines kooperativen Arbeitsstils. er „Biologiedidaktische Geländepraktika“ Zahllose Beiträge hat Hans-Heiner zur Ökologie des Wattenmeers. Das Beson- Bergmann auch in populärwissenschaft- dere daran war die Arbeit in Gruppen, lichen Zeitschriften veröffentlicht, insbe- denen jeweils Studenten der Universität sondere in „Der Falke“, „Vögel“ und Osnabrück und Oberstufenschüler des „Nationalpark“. Sie zeigen, wie wichtig Gymnasiums Westerstede angehörten. Ein ihm die Wissensvermittlung und die Öffent - erfolgreiches Experiment! In einem Exkur- lichkeitsarbeit für die Natur und deren sionsprotokoll aus dem Jahr 1984 heißt es Schutz sind. Immer wieder erfreut er seine zukunftsweisend: „Die Begriffe Ausrottung, Leserinnen und Leser nicht nur mit inter- Artenschutz und Tierschutz findet man in essanten Inhalten, sondern auch mit einer der fachdidaktischen Literatur selten. Dem- gut verständlichen, lebendigen Sprache. Von zufolge müssten Artendezimierung und 1995 bis 2006 war er auch Redaktionsmit- gegensteuernde Maßnahmen zentrale The- glied der Zeitschrift „Der Falke“. men eines neuorientierten Biologieunter- Der Jubilar engagiert sich in den Na- richts werden.“ turschutzverbänden HGON und NABU. Groß ist die Anzahl seiner Publikatio- Der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft nen. Sie zeugen von einer außergewöhn- (DO-G) gehört er seit 1960 an. Er gründete lichen Produktivität und Arbeitsdisziplin. die Projektgruppe Gänseökologie und war Nur einige Beispiele für herausragende von 1988 bis 1990 Generalsekretär der Werke: „Die Biologie des Vogels“ (1987), DO-G. Auf deren 150. Jahrestagung 2017 in „Die Stimmen der Vögel Europas“ (aktuelle Halle (Saale) erhielt er den Preis der Horst- Auflage 2017), „Die Kosmos Vogelstim- Wiehe-Stiftung für seine vielfältigen Studien men-Edition“ (2019) und „Die Federn der zur Biologie der Vögel und sein breites Vögel Mitteleuropas“ (2. Aufl. 2018). Sieht Engagement in der Ornithologie. man seine Publikationsliste (bis 2009: Os- Die hessischen Ornithologen und nabrücker Naturwissenschaftliche Mittei- Naturschützer gratulieren Hans-Heiner lungen, Bd. 35/2009, S. 39 – 36) durch, fal- Bergmann sehr herzlich zu seinem Jubi- len einige Schwerpunkte auf: Grasmücken, läumsgeburtstag. Wir wünschen ihm alles Gänse, Raufußhühner – unter anderem ein Gute und weiterhin Schaffenskraft. Kinderbuch und ein Reiseführer – und natürlich die Stimmen der Vögel. Diese spiegeln die Veränderungen der medialen Möglichkeiten wider: Von Schallplatten hin zu DVDs bis zur Nutzung von QR-Codes, über die mit Hilfe einer App auf dem Smartphone Lautäußerungen für das Buch Manuskript eingereicht am 01. 10. 2019, „Welcher Vogel singt da?“ (2019) abgerufen angenommen am 20. 11. 2019 werden können. Faszinierend die Filme mit schnabelsynchronen Lautäußerungen der Vögel in ihrem Lebensraum! Die äußerst mühevolle Erstellung meh - Anschrift des Verfassers: rerer bei Kosmos erschienenen DVDs mit den Stimmen von 220 Arten ist die Krönung Wolfgang Lübcke, von Bergmanns über ein halbes Jahrhundert Rathausweg 1, währender Beschäftigung mit der Bioaku- D-34549 Edertal-Giflitz, stik. Er ist zweifellos der bedeutendste Ex- E-Mail: [email protected]

126 Dr. Franz Müller: Ein Leben für Naturschutz, Wissenschaft und Kunst

Tiere des Waldes nachzeichnete und die Details seiner Beobachtungen akribisch auf Karteikarten festhielt. Das Leben in einem Forsthaus vermittelte ihm die Schönheit und Einzigartigkeit der Natur und festigte sicher - lich schon früh den Entschluss, Naturkund- ler zu werden. Er hatte einen begeisterungs - fähigen Biologielehrer und freundschaftliche Kontakte mit den heimischen Ornithologen Dr. Werner Sunkel, Erich Heider und Dr. Otto Jost, die seine Unterstützer und Men- toren waren. Bereits während seiner Schul- zeit in Fulda am Winfried-Gymnasium ver - fasste Franz Müller eine Jahresarbeit über den Sperber im nahe gelegenen Gieseler Wald. Die Räuber-Beute-Beziehungen fan - den bei dem jungen Forscher schon früh besonderes Interesse. Nach dem Abitur, das er im Jahr 1960 an der Winfriedschule in Fulda ablegte, studierte er in Marburg und Gießen Biologie Dr. Franz Müller mit Ehefrau Elvira bei der und Mikrobiologie. Ab 1968 wirkte er am Übergabe eines Vogelfutterhauses durch den Zoologischen Institut der Universität Mar- HGON-Arbeitskreis Fulda/Rhön anläss - burg als wissenschaftlicher Assistent, wo er lich seines 80. Geburtstags (Foto: Reinhard einer seiner weiteren Leidenschaften, der Kolb). Tierpräparation, nachgehen konnte. Zum Inhalt seiner Promotion, wie sollte es auch Bereits am 26. November 2019 feierte anders sein, machte der Forscher das Auer- der Zoologe Dr. Franz Müller aus Gersfeld- huhn: „Territorialverhalten und Siedlungs- Hettenhausen seinen 80. Geburtstag. Der struktur einer mitteleuropäischen Popula- renommierte Wissenschaftler und Künstler tion des Auerhuhns ( Tetrao urogallus major setzt sich auch heute noch aktiv für den C.G. BREHM) – eine ethologisch-ökolo- Naturschutz seiner Rhöner Heimat ein. gische Freilandstudie“. Der Untersuchungs- Franz Müller wurde im Jahr 1939 in raum war ein Waldgebiet zwischen Eichen- Müglitz im Kreis Hohenstadt im damaligen zell, Pilgerzell, Dassen und Melters im Kreis Sudetenland geboren, wo er auch seine frühe Fulda. Leider konnten seine Forschungen Kindheit verbrachte, ehe die Familie 1946 ver- und Schutzbemühungen nicht dazu bei- trieben wurde und nach Fulda übersiedelte. tragen, das Auerhuhn vom Aussterben in Die Begeisterung für die „belebte“ Natur unseren hessischen Wäldern zu bewahren. wurde ihm von Vater und Großvater in die Hingegen konnte sich das Birkhuhn, eine Wiege gelegt. Sein besonderes Interesse galt weitere „Lieblingsart“ von Müller, bis heue schon damals den Raufußhühnern, besonders in einer kleinen Population in der baye- dem Auerhuhn, welches ihm noch hier und rischen Rhön halten. Dies ist sicherlich auch da in den großen Wäldern seiner neuen sein Verdienst, da er sich als Schutzgebiets- osthessischen Heimat begegnete. Sein For- betreuer nicht nur für das Naturschutz- scherdrang war schon damals beim Durch- gebiet Rotes Moor, sondern auch für den streifen der Wälder geweckt worden. Zettel gesamten Mittelgebirgslebensraum Hoch- und Stift waren immer dabei, so dass er die rhön mit großer Fachkompetenz und viel

127 Engagement eingesetzt hat. Besonders wird Verein für Naturkunde in Osthessen eine ihn freuen, dass es in 2020 in seinem Publikationsreihe zu Bestimmungsschlüsseln Lieblingsgebiet, dem „Roten Moor“, erst - von Körper- und Schädelmerkmalen von mals seit Jahren wieder einen Brutverdacht Kleinsäugern und Fledermäusen veröffent - des Birkhuhnes gab. Franz Müller ist es licht. Wahrscheinlich gibt es kaum einen auch zu verdanken, dass es heute in der Rhön anderen Wissenschaftler, der auf einen so zahlreiche Naturschutzgebiete gibt. Er setz - großen Fundus von Belegtieren zurückgrei - te sich maßgeblich für die Ausweisung ver - fen kann. Nur so, und auch in Kooperation schiedener Schutzgebiete ein und verfasste mit dem Senckenberg-Museum, war es für deren Schutzgebietsbeantragung zahlrei - ihm möglich, die vielen Detailzeichnungen che Gutachten. Am Zustandekommen des von Zahnoberflächen, Kiefern und Schädeln „Biosphärenreservats Rhön“ haben seine Ex- überhaupt anfertigen zu können. pertise und sein Rat maßgeblich beigetragen. Seine Faszination für die belebte Natur Neben seinen fachlichen Qualifikatio- führte dazu, dass die Objekte seiner künstle - nen in der Biologie bewogen ihn ein aus- rischen Betätigung fast ausschließlich Tiere geprägtes künstlerisches Talent und seine waren und auch heute noch sind. Unzählige hervorragende Beobachtungsgabe zu einem Zeichnungen und Grafiken wurden ange - Zusatzstudium für Kunstgeschichte, Male- fragt, z.B. von Verlagen für Buchtitel und rei und Grafik mit dem Ziel, seine natur- andere Illustrationen, von Vereinen und Ver- wissenschaftlichen Dokumentationen selbst bänden, Schulen, Kindergärten (Malbücher) auch bebildern zu können. Mit spektaku- sowie Privatpersonen. Nicht zuletzt hat er lären und detailgetreuen Zeichnungen und auch über viele Jahre die Titelblätter für die fachlich fundierten Informationen über Zeitschrift „Vogel und Umwelt“ gestaltet. Vögel und Kleinsäuger machte sich der als Franz Müller zeichnet mit großer Leiden- „Birkhuhn-Papst“ mittlerweile bekannt ge- schaft, bis der Bleistift abgenutzt und nicht wordene Hettenhausener einen Namen. mehr in der Hand zu halten ist. Vielfach Er ist Autor zahlreicher Publikationen hat er ehrenamtlich und uneigennützig ge- und Bücher. So hat er z. B. an den bis heute arbeitet. Die Sache der Natur war und ist noch maßgeblichen Monografien der Neuen ihm immer vorrangig. Brehm-Bücherei über Auer- und Birk hühner Von 1988 bis zur Verrentung im Jahr 2006 sowie das Haselhuhn mitgewirkt. Hier sind leitete der Wissenschaftler die Abteilung es wiederum seine hervorragenden, naturge - Naturkunde im Vonderau-Museum in Fulda, treuen Zeichnungen, die den Betrachter be - wo er unter anderem für die Konzeption und geistern und die wissenschaftlichen Werke Umsetzung naturkundlicher Ausstellungen, aufwerten. den Aufbau einer naturkundlichen Sammlung Als Klassiker kann man die von ihm im Magazin des Museums und einer natur - illustrierten Bücher „Wildbiologische Infor- wissenschaftlichen Präsenzbibliothek mit re - mationen für den Jäger“ bezeichnen. Hier hat gionaler Fachliteratur verantwortlich zeich - er alle jagdrelevanten Arten in ihren Lebens- nete. Auch heute noch besonders beein - räumen und Zyklen dargestellt. Vom Maus- druckend sind die 15 von ihm konzipierten wiesel bis zum Rothirsch oder vom Zwerg- und gestalteten Dioramen, die für Museums- taucher bis zum Rotmilan. Die Ausbildungs- besucher einen Blickfang darstellen und ihnen bücher für Jagd und Hege liefern neben den die heimische Natur in ihren Teillebensräu- fantastischen Zeichnungen von Verhaltens- men veranschaulichen. In Kooperation mit studien auch zahlreiche Informationen zur Franz Müller wurde eine wissenschaftliche Biologie und Ökologie der Arten, die sonst Federsammlung aufgebaut, die zu Teilen im kaum in Fachbüchern zu finden sind. Vonderau-Museum und in der Vogelschutz- In jüngerer Zeit hat Franz Müller mit warte in Frankfurt aufbewahrt wird. einem Autorenteam und in Kooperation mit Im Jahr 1970 wurde Franz Müller Mit- dem Biosphärenreservat Rhön sowie dem glied des Naturkundevereins in Osthessen

128 (VNO). Gemeinsam mit Dr. Otto Jost ar- Universität Gießen (AKW). Außerdem ge- beitete er an dessen Veröffentlichungen über hörte er der Vereinigung der Wildbiologen die „Vogelwelt des Fuldaer Landes“. Es ist und Jagdwissenschaftler Deutschlands (VWJD) besonders seine osthessische Heimat, die an. Sein besonderes Anliegen war ihm immer Franz Müller am Herzen liegt. Deswegen die Teilnahme an den Treffen des Birkwild- betreut er seit vielen Jahren ein privates hegerings Hessische Rhön. Auch die Jagd Monitoringprogramm von als Bioindikato- gehörte zu seiner Passion. ren geeigneten Pflanzen- und Tierarten Für seine herausragenden Leistungen zur Beurteilung des ökologischen Zustandes hat Franz Müller eine Reihe von Preisen von Lebensräumen und Tierpopulationen. und Ehrungen erhalten, von denen aus Platz- Außerdem erfasst er mittlerweile über grün den nur einige genannt werden können: einen langen Zeitraum auf Probeflächen b Ehrenmitgliedschaft des Vereins für Na- Verkehrsopfer der Tierwelt und nutzt die turkunde in Osthessen e.V. in Fulda Köper für die wissenschaftliche Forschung. b Ehrenmitgliedschaft des Arbeitskreises Unzählige wertvolle morphologische Daten Wildbiologie an der Universität Gießen sind so im Laufe der Jahrzehnte zusammen - b Ehrennadel des Landesjagdverbandes gekommen, die immer noch sehr akribisch Hessen für langjähriges Wirken für Wild auf Karteikarten in gestochen scharfer Schrift und Waidwerk vermerkt werden. Seine Untersuchungser- b Ehrenplakette in Gold für besondere Ver- gebnisse stellt er renommierten Instituten dienste im Hessischen Naturschutz des wie dem Senckenberg-Museum zur Verfü- Hessischen Ministeriums für Umwelt, gung. Bei Franz Müller zu Hause in dem Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- kleinen Rhöndorf Hettenhausen ist es ganz braucherschutz (HMUKLV). normal, dass man ihn in einem weißen Kittel Die zahlreichen Auszeichnungen und mit einem scharfen Messer in der Hand an - Ehrenmitgliedschaften – insbesondere für trifft, mit dem er gerade ein Tier für die wis - sein umfangreiches ehrenamtliches Engage- senschaftliche Untersuchung abhäutet und ment – zeugen von der Wertschätzung für zerlegt. Felle, Federn, Organe und Skelette den Jubilar. Zu seinem runden Geburtstag werden vermessen und bei Bedarf gezeich - macht er seiner Ehefrau Elvira das größte net. Der Fundus dieser Daten ist immens Kompliment: „Ohne die jahrzehntelange Un- und hat für die Wissenschaft einen hohen terstützung meiner Frau hätte mein Engage- Wert, vor allem auch in einer Zeit, in der die ment für die Natur und die Tierwelt nie so „Wissenschaft der Biologie“ andere Wege umfangreich und vielfältig ausfallen kön nen.“ geht und sich in nur noch geringem Umfang mit „Basisforschung“ befasst. Als langjähriges Mitglied im Natur- Manuskript eingereicht am 14. 08. 2019, schutzbeirat des Landkreises Fulda war Dr. angenommen am 02. 10. 2019 Müller ein anerkannter und geschätzter Rat- geber für die Belange des Natur- und Umwelt- Anschriften der Verfasser: schutzes. Seine fachliche Meinung wurde und Reinhard Kolb, wird noch heute sehr geschätzt, so auch in Roter Graben 24, zahlreichen Vereinigungen und Verbänden D-36124 Eichenzell, wie beispielsweise im Verein für Natur- und E-Mail: [email protected] Lebensraum Rhön (VNLR) und bei der Hes- sischen Gesellschaft für Ornithologie und Martin Hormann, Naturschutz (HGON). Er war viele Jahre Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Kreisbeauftragter für Vogelschutz der Staat- Rheinland-Pfalz und Saarland, lichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- Steinauer Straße 44, land-Pfalz und Saarland sowie aktives Mit- D-60386 Frankfurt am Main, glied im Arbeitskreis Wildbiologie an der E-Mail: [email protected]

129 Neue Literatur

Kremer, Bruno P. & Klaus Richarz direkten Ertrag zu ernten (Nutzgarten), (2020): Tiere in meinem Garten – Wert- sondern auch, um einem künstlerischen, volle Lebensräume für Vögel, Insekten spirituellen oder therapeutischen Zweck und andere Wildtiere gestalten. 288 zu dienen oder auch der Freizeitgestaltung Seiten, 425 Farbabbildungen, Format und Erholung, wie Zier- und Kleingärten.“ 17 x 24 cm, Hardcover. Haupt Verlag, Gärten haben also traditionell eine vielfäl- Bern. – ISBN 978-3-258-08155- 7. tige Funktion und können daher einer Vielzahl von wildlebenden Tier- und Pflan- zenarten Heimat bieten. Leider werden heute viele Gärten in pflegeleichte Stein- wüsten und Schotterpisten umgewandelt, in denen nur noch das Feierabendbier getrun - ken oder die Grillwurst gebraten wird. Das Buch von Kremer und Richarz bietet die notwendigen Informationen, diesem Trend entgegenzuwirken. Die Autoren be - schreiben, wie ein lebendiger Garten wirk - lich aussehen könnte, wie man geeignete Lebensräume für Gartenbewohner schafft, welche Nahrung und Versteckmöglichkei- ten sie benötigen und was sie für eine erfolg - reiche Fortpflanzung brauchen. Im ersten Teil des Buches beschreibt das Autorengespann die Naturgartenelemente, von Bäumen, Hecken und Gebüschen über Kräuter, Blumen und Wildpflanzen sowie Trockenmauern und Steinhaufen im Garten bis zu Kleingewässern und ihren Bewoh- nern. Im zweiten Teil des Buches werden Arten- hilfsmaßnahmen beschrieben, die den Tie- Das Autorengespann Kremer/Richarz allein ren in unseren Gärten helfen sollen. Dabei steht schon für Qualität und Originalität geht es z. B. um Nützlingsförderung für ihrer Bücher. „Kriegen Enten kalte Füße?“, Ohrwürmer und Florfliegen und um Maß- „Wer nimmt das Nashorn huckepack?“ oder nahmen für Wildbienen und Wespen von „Was macht der Maikäfer im Juni?“ sind der richtigen Auswahl der Nektarpflanzen Titel von gemeinsam verfassten Werken. über Bienenhotels bis zur Anlage von Sand- Bei „Tiere in meinem Garten“ geht es weni - plätzen und Offenbodenstellen für boden - ger um kuriose Fragestellungen und ver- brütende Arten. Auch bei den Schmetter- blüffende Antworten, sondern um konkrete lingen werden die richtigen Raupenfutter- Anleitungen, wie jeder ein Tierparadies im und Nektarpflanzen sowie eine Auswahl Garten schaffen und damit aktiv gegen das von Tag- und Nachtfaltern vorgestellt. Bei Artensterben vorgehen kann. den Amphibien liegt das Augenmerk auf Laut Wikipedia ist ein Garten „ein abge - der Anlage von Kleingewässern und Ver- grenztes Stück Land, in dem Pflanzen oder steckmöglichkeiten, bei den Reptilien auch Tiere vom Menschen in Kultur genommen auf Sonnenbadeplätzen. Für Vögel und Fle- und somit gepflegt (kultiviert) werden….. dermäuse schließlich werden – neben den Gärten werden nicht nur angelegt, um einen Hinweisen auf naturnahe Gartenelemente –

130 eine Reihe von künstlichen Nistkästen mit Birkhahn und/oder einen Auerhahn und Bauplänen vorgestellt. Ein Exkurs über den sein Balzverhalten so gut, dass er es auf das Einfluss von Hauskatzen auf die Tierwelt Verhalten einer Lerche übertragen kann? des Gartens rundet den zweiten Teil des Wenn zu Beginn des Buches die Mutter nach Buches ab. einer Autopanne in ihrer Handtasche nach Sicherlich kann auch ein naturnaher Gar- ihrem Mobiltelefon sucht (S. 5) und dann ten nicht die Probleme lösen, die intensive die Tochter um ihres bittet, das das Kind Land- und Forstwirtschaft sowie Industrie, nicht mitnehmen sollte, was sie auch befolgt Verkehr usw. unserer heimischen Flora und hat, wirkt die Tatsache, am frühen Morgen Fauna bereiten, aber er kann zumindest für mit zwei übermüdeten Kindern durch die einige Arten Rückzugsraum sein. Hilfreich Natur zu stapfen, von sehr weit hergeholt ist daher der „Garten-Check“ am Ende des (S. 5 – 7). Ich, als Mutter, hätte meine Hand- Buches, anhand dessen jeder Gartenbesitzer tasche auf der Suche nach dem Handy noch überprüfen kann, wie naturnah sein Garten genauer durchsucht, allein um den besorgten wirklich ist oder was er noch alles tun Eltern und Großeltern Bescheid geben zu kann. können. Gerd Bauschmann Wenn Sophia und Finn, die kindlichen Haupt- akteure, nicht wissen, was ein Bauer unter Silofutter versteht (S. 11) – für ein Stadtkind durchaus verständlich – wissen sie wahr - Ruge, Klaus (2018): Ein Fest für die scheinlich auch nicht, was eine Pirsch ist Lerche – Eine Geschichte zum Vogel (S. 21). Leider wird das auch nicht vom des Jahres; 31 Seiten mit vielen sonst so beredten Großvater erklärt. Die Aquarellen, Format: 21,5 x 30 cm, Namen vieler Vögel und Pflanzen werden Hardcover. Natur und Tie r-Verlag genannt (Idee zur Biodiversität?), z. B. GmbH, Münster. Grünspecht, Kuckuck (S. 22), Star sowie ISBN: 978-3-86659-402-9. Salbei und Margeriten, aber nicht gezeigt. Auf S. 21 wird der Star in der Baumkrone bewundert. Das suchende Kind entdeckt jedoch nur eine Amsel in der Mitte des Baumes, keinen Star. Schade. Zum Quartett-Spiel beim Lerchenfest ist zu sagen, dass es zwar „Tiere auf Wiesen und Feldern“ heißt, aber auch eine Reihe von wichtigen Pflanzen darin vorkommen (S. 28). Vielleicht sollte es umbenannt wer - den in Quartett von „Tieren und Pflanzen auf Wiesen und Feldern“. Sehr erfreulich sind die deutlichen und naturgetreuen Aquarelle der Fliegen, Spinnen und Bienen Das neuerliche Buch von Klaus Ruge zum (S. 21) – das Lerchenfutter als Beitrag zur Vogel des Jahres, der Feldlerche, kommt in Biodiversität. der Aufmachung eines Kinderbuches daher. Die Rechenexempel zum Thema Einnah- Es soll zum Vorlesen animieren, im Quer- men am Ende des Lerchenfestes ist leider arg format gedruckt mit schönen Aquarellen auf danebengegangen. Ein kurzer Überschlag fast jeder Seite. Die Texte sind allerdings sagt dem Leser, dass 100 € vom Großvater häufig recht schwer verständlich, z. B. im plus 500 € von der Kreissparkasse plus Kapitel Feldlerchenwissen, Untertitel Fort- über 600 € Einnahmen vom Fest gut 1200 € pflanzung (S. 30): Welcher Leser (geschwei - betragen. Dazu kommt nun noch das ge denn welches Stadtkind!) kennt einen Taschengeld der Kinder Sophia und Finn.

131 Das beläuft sich auf fast 300 €? Das Er- Müller, Roland (2019): Die Fischfauna gebnis im Buch spricht nämlich von fast Thüringens – Verbreitungsgeschichte, 1500 €. Das kann ich als Leser nicht nach - Beschreibung und Schutz der Fische vollziehen. Etwa 150 Euro pro Kind als (Pisces ) und Rundmäuler ( Cyclosto- Taschengeld zusammen zu sparen, erfordert mata ) in Thüringen. 221 Seiten, m. E. enorme Mitanstrengungen der Eltern. 70 Farbfotos, 47 Karten, 5 Tabellen, Die wirklich gelungene lehrreiche Ge- Format 17,5 x 24,5 cm, Hardcover. schichte, die die Mutter beim Lerchenfest Naturschutzreport 29, Jena. – vorliest, ist nicht wirklich ins Buch eingebet - ISSN 0863-2448.B tet. Sie kommt zwar folgerichtig auf den Text davor, aber beim Weiterlesen dachte ich, ich hätte eine Seite überblättert. Im Kapitel Großvaters Geheimnis ist der Be- griff „Lerchenfenster“ erwähnt (S. 13). Vor einer Erklärung dieses neugierig machenden Ausdrucks wird noch ein Kapitel – Fami- lienrat – eingeschoben. Die eigentliche Er- klärung eines Lerchenfensters kommt erst auf S. 1 7–zugegebenermaßen mit einem schönen, deutlichen Aquarell. Eine solche Erklärungsverzögerung ermüdet den Leser, den Vorleser oder das Kind. Die schön auf - gebaute Spannung baut sich wie von selbst wieder ab. Schade! Über das Rezept zum Lerchengebäck habe ich mich richtig gefreut. Nach so viel Lehr- reichem ein gemütliches Kaffeestündchen zu halten, fördert die Kommunikation. Vielleicht sollte sich der mit Sicherheit sehr kluge und wissende Autor einen Stich- punktkatalog vorbereiten, welche Dinge wirklich in (s)ein (Kinder-)Buch über den Vogel des Jahres hinein sollten und diese Informationen an einen erfahrenen Kinder- In Thüringen gelten derzeit 44 Fisch- und buchautor oder eine Autorin weitergeben, zwei Rundmäuler-Arten als etabliert, da- der oder die sich eine spannende Rahmen- runter auch gebietsfremde wie Goldfisch, handlung ausdenkt und die gewünschten Sonnenbarsch, Blaubandbärbling, Bachsaib- Informationen in kindgerechter Sprache ling und Regenbogenforelle. Dazu kommen verarbeitet. Es empfiehlt sich allerdings, ein weitere sieben nicht etablierte Arten, die naturgetreues Foto einer Feldlerche ganz an zwar immer wieder ausgesetzt werden, den Schluss des Buches zu setzen (und das aber keinen Fortpflanzungserfolg haben: Rezept vor das Kapitel Feldlerchenwissen). Gras-, Silber- und Marmorkarpfen, Hau- Die Aquarelle sind zwar kindgerecht, aber sen-Sterlet-Hybrid „Bester“, Zwergwels, für die exakte Beschreibung, beispielsweise Huchen und Kleine Maräne. Zusammen des Federkleides, einfach zu ungenau, be - umfasst die Fisch- und Rundmäulerfauna sonders wenn das Buch seinen Einsatz im Thüringens also 53 Arten. Sachunterricht der Grundschule finden soll. Roland Müller, Diplom-Fischerei-Ingenieur Mein Fazit ist: gut gemeint, aber nicht wirk - aus Siegritz, Landkreis Hildburghausen, hat lich gelungen. für die Recherchen zum vorliegenden Buch Barbara Reichelt fast 180 Literaturquellen ausgewertet. Dies

132 spiegelt sich auch in den Einleitungskapiteln Richarz, Klaus (2019): Vogelzug. wider, die sich z. B. damit beschäftigen, 192 Seiten, 218 farbige Abbildungen, woher das Wissen über die Fischfauna Format 22 x 29 cm, Hardcover. Thüringens kommt, wie die fossile Fisch- wbg Theiss, Darmstadt. fauna Thüringens aussah oder wie sich die ISBN978-3-8062-3885-3. Fischfauna vom Mittelalter bis zur Neuzeit entwickelte. In weiteren Kapiteln werden die Gewässer- typen Thüringens beschrieben, Methoden zum Nachweis von Fischen (z. B. Elektro- befischung) vorgestellt und der Fischarten- schutz in Thüringen behandelt – von den Fischereiordnungen des 15. und 16. Jahr- hunderts bis zu aktuellen Rechtsgrundlagen und Roten Listen. Die Hauptkapitel gelten den Artbeschrei- bungen. Jede der 46 etablierten Fisch- und Rundmäuler-Arten wird auf jeweils drei bis fünf Seiten nach einem wiederkehrenden Muster beschrieben: Auf ein ausdrucksvol - les Foto der jeweiligen Art folgen deutscher und wissenschaftlicher Name inkl. Familie sowie Rote-Liste-Statusangaben Deutsch- lands und Thüringens. „Synonyme“, „Lebens- raum und Lebensweise“, „Natürliche Ver- breitung“, „Ursprüngliche Verbreitung in Thüringen“ (bzw. „Historische Verbreitung in Thüringen“) sowie „Aktuelle Situation in Das Verschwinden und Wiederauftauchen Thüringen“ sind die weiteren Rubriken der von Vogelarten im Rhythmus der Jahres- Artkapitel. Zu jeder Art existiert auch eine zeiten beflügelte seit alters her die mensch- Verbreitungskarte, in der die Vorkommen liche Fantasie. Noch im 18. Jahrhundert der Jahre 1990 bis 2003 und 2011 bis 2017 glaubte man, dass Schwalben im Gewässer- mit unterschiedlichen Farben eingetragen schlamm überwintern und der dem Sperber sind. ähnlich gefiederte Kuckuck im Herbst zum Das Buch ist kompetent geschrieben und Sperber mutiert. Selbst der renommierte vermittelt das zusammengefasste Wissen schwedische Naturforscher Carl von Linné über die Thüringer Fischfauna. Es ist so - hielt noch an der Schwalbentheorie fest. wohl ein Nachschlagewerk für Angler, Seitdem sind über 200 Jahre vergangen, Naturschützer und Behördenvertreter als und wir haben viele Rätsel des Vogelzuges auch ein „Lesebuch“ für diejenigen, die et - mit der Beringung und mit moderner was mehr über das „Drumherum“ erfahren Besenderungstechnik klären können. Den- möchten. Dazu gehört, quasi als Gimmick noch wissen wir bei weitem noch nicht alles am Ende des Buches, eine Darstellung von über den Zug der Vögel, die sich zweimal Thüringer Ortswappen mit Fischen. im Jahr auf eine zum Teil sehr lange Reise begeben. Die Faszination des Vogelzuges Gerd Bauschmann zieht immer noch viele Menschen in ihren Bann, vielleicht auch weil der Traum vom Fliegen nach wie vor noch in uns Menschen steckt. Für den bekannten Sachbuchautor und ehemaligen langjährigen Leiter der

133 Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, tieren und Überwinterungsplätzen alljähr - Rheinland-Pfalz und Saarland in Frankfurt lich ca. 1500 bis 2000 Kilometer zurückle - am Main, Dr. Klaus Richarz, war offenbar gen? Das Thema Vogelzug und -beringung die Zeit gekommen, dieses Thema in popu- wird vom Autor von den ersten Anfängen lärwissenschaftlicher Form einer breiten im ausgehenden 19. Jahrhundert, also zur Leserschaft näherzubringen. Schließlich ist Zeit Heinrich Gätkes, dem ersten Vogelwart der Autor in dem beschaulichen mittelhes- auf Helgoland, bis in die Gegenwart aus - sischen Städtchen Lich mit Zugvögeln groß führlich beschrieben. geworden. Offenbar hat der Weißstorch, der Richarz erläutert verständlich und sehr gut seit vielen Jahren in der Nähe seines Eltern- nachvollziehbar die möglichen Gründe für hauses ein Nest auf dem Kirchendach bezog, den teils bis zu Tausende von Kilometern den damals jungen Naturforscher nachhaltig betragenden Zug zwischen Sommer- und inspiriert. Von seinen ersten Aufzeichnun- Winterlebensräumen. Ebenso werden un - gen über die Ankunft der Störche aus ihren terschiedliche Routen, Zuglängen, Zeit- Winterquartieren bis zu dem jetzt aktuell punkt, Dauer, Richtungen, Flughöhe und erschienenen Buch über Zugvögel sind nun - Fluggeschwindigkeit sowie Überwinte - mehr fast 60 Jahre vergangen. Viele Fragen, rungsziele beschrieben. Welche Gründe die sich dem jugendlichen Richarz stellten, veranlassen die Vögel zum Starten? Wie hat er nun in diesem reich bebilderten orientieren sie sich? Legen sie Rast ein und Buch auch für eine breite Leserschaft beant - wenn ja, wo? Spannend ist auch die Frage, worten können. Er präsentiert ein sehr warum einige Artengruppen überwintern informatives und aufschlussreiches, in neun und andere fortziehen. Der Autor findet Hauptkapiteln gegliedertes Werk, das den auf all diese Fragen überaus fundierte und Vogelzug aus verschiedenen Blickwinkeln aufschlussreiche Antworten, und es wird betrachtet und spannende Erkenntnisse auch klar, dass er dabei nicht den An- liefert. spruch hat, die wissenschaftlichen Standard- Zunächst gibt Richarz einen sehr inter- werke über die Vogelzugforschung von essanten Einblick in die historischen Kennt- Wulf Gatter oder Peter Berthold zu erset - nisse und mythologischen Deutungen zum zen, sondern vielmehr ist sein Fachbuch Vogelzug. Dabei wird immer auch beleuch - eine geschickte und sprachlich talentierte tet, wie man die Fragen in früherer Zeit Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte beantwortet hatte bzw. wie man sich das des Vogelzuges und damit eine gute Er- Erscheinen und Verschwinden der Vögel im gänzung. Jahresverlauf vorstellte. Den Kindern war Richarz vermag es, die Leserschaft mit sei - zumindest klar, dass die Weißstörche die nen spannenden, gut verständlichen, unter - Babys bringen: Sie sollten die Seelen zur haltsamen sowie amüsanten Texten zu be - Wiedergeburt zur Erde zurückbringen, die geistern. Er verliert dabei aber auch nicht die an den lebensspendenden Quellen wieder Ernsthaftigkeit mancher Themen: Natur- zu Neugeborenen wurden. Mit eindrucks - schutz bzw. Vogelschutz ist ihm ein sehr vollen historischen Zeichnungen veran - wichtiges Anliegen. Deshalb nimmt das schaulicht Richarz diese Thesen von damals. Kapitel Bedrohung und Schutz der Zug- Spannend sind auch seine Ausführungen im vögel auf ihrer Reise in die Überwinterungs - Unterkapitel „Zugvögel“ aus anderen Tier- gebiete einen großen Druckraum ein. Er gruppen zu lesen. Hier wird schnell deut - beschreibt die immensen Verluste der ille- lich, dass das Herz des promovierten galen und legalen Vogeljagd sowie den Fang Biologen nicht nur für Vögel schlägt, son - von Hunderttausenden von Vogelindivi- dern auch für Säugetiere und hier insbeson - duen. Dabei ist es ihm wichtig aufzuzeigen, dere für Fledermäuse. Wer hätte gedacht, dass wir Menschen viele Arten bis an den dass einige Fledermäuse auch „Fernwande- Rand oder sogar zur Ausrottung bringen rer“ sind, die zwischen den Sommerquar- bzw. gebracht haben. Als Beispiel führt er

134 die nordamerikanische Wandertaube und Reinhardt, Rolf, Alexander Harpke, den Eskimobrachvogel an, die noch im 19. Steffen Caspari, Matthias Dolek, Jahrhundert zu Millionen über den Konti- Elisabeth Kühn, Martin Musche, nent hinwegzogen. Nur in wenigen Jahr- Robert Trusch, Martin Wiemers & zehnten wurden beide Arten ausgerottet. Josef Settele (2020): Verbreitungs- Außerdem macht er auf die Folgen des atlas der Tagfalter und Widderchen Klimawandels aufmerksam, die mit dem Deutschlands. 432 Seiten, 568 Farb- Verlust von Rastgebieten einhergehen. In fotos, 218 farbige Verbreitungskarten, einem weiteren Kapitel widmet er sich Format 18 x 24 cm, Hardcover. ferner der Frage, wie wir durchziehenden Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. – Vögeln helfen können und was dabei zu ISBN 978-3-8186-0557-5. tun ist. Zum Schluss seiner Reise mit den Zugvögeln und ihren Besonderheiten verrät uns der Autor noch, wo wir in Deutschland gute Beobachtungsmöglichkeiten finden, um Zug- und Rastvögel erleben zu können. Man merkt, dass Richarz für das Thema begeistern möchte. Denn ihm ist aus seiner langjährigen Tätigkeit im amtlichen Natur- schutz bewusst, dass man nur mit einer großen Begeisterungsfähigkeit, die Emotio- nen weckt, erfolgreich und nachhaltig für die Sache eintreten kann. Richarz hat einen sehr lebendigen Schreibstil, und er versteht es, die wissenschaftlich fundierten Infor- mationen so aufzubereiten, dass das Buch zu einem tatsächlichen Lesevergnügen wird. Die Vielzahl von hervorragenden Fotos, Karten und anderen Darstellungen tragen dazu bei, dass dieses Werk uneingeschränkt empfohlen werden kann.

Martin Hormann

Im Jahr 2005 hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle ge - meinsam mit der Gesellschaft für Schmetter- lingsschutz (GfS) ein Citizen Science-Pro- jekt namens „Tagfalter-Monitoring Deutsch- land“ ins Leben gerufen, bei dem alle Inter- essierten mitmachen können. Bundesweit laufen Falter-Liebhaber seither im Sommer- halbjahr immer wieder festgelegte Strecken ab und zählen die dabei beobachteten Tiere. Diese ehrenamtlich gewonnenen Da- ten wurden gemeinsam mit denen von Fachbehörden, Naturschutzverbänden, Mu- seen, Arbeitsgemeinschaften und wissen - schaftlichen Projekten zusammengeführt, so dass mehr als sechs Millionen Datensätze

135 aufbereitet werden mussten. Herausgekom- deutlich, welche Arten im Laufe des 20. men ist ein Atlas der Verbreitung aller 184 Jahrhunderts verschwunden und welche heimischen Tagfalter- und 24 Widderchen- hinzugekommen sind. Das Werk kann so- arten. mit auch als wirkungsvolles Instrument für Zu Beginn des Buches werden die Historie den Naturschutz eingesetzt werden. Selbst der Schmetterlingsfaunistik in Deutschland, wer sich nur aus ästhetischen Gründen für Ökologie, Gefährdung und der Schutz von Schmetterlinge interessiert, kommt dank der Tagfaltern und Widderchen und das Tag- zahlreichen Farbbilder der Arten und aus- falter-Monitoring dargestellt. Danach gibt gewählter Präimaginalstadien (Eier, Raupen, es Erläuterungen zur Benutzung des Buches Puppen) auf seine Kosten. mit Abkürzungen, verschiedenen Tabellen Das Buch soll aber auch dazu anregen, am und der kurzen Abhandlung von Arten mit Schutz der Tagfalter aktiv mitzuwirken und diskussionswürdigem Status. sich im Rahmen von Kartierprojekten wei - Dann folgen die Porträts der einzelnen ter zu engagieren. „Denn die kontinuierliche Arten, die nach einheitlicher Systematik Erfassung der Artenvielfalt und die Durch- aufgebaut sind: Im Abschnitt „Verbreitung führung von gezielten Schutz- und Pflege- und Vorkommen“ wird der zoogeografische maßnahmen sind zum dauerhaften Erhalt Status angegeben. Das Gesamtverbreitungs- der biologischen Vielfalt unbedingt notwen - gebiet wird kurz umrissen, dann folgen An- dig“, so Prof. Beate Jessel, Präsidentin des gaben zu Vorkommen in den Bundeslän- Bundesamtes für Naturschutz, in ihrem dern. Danach werden im Abschnitt Vorwort zum Buch. „Lebensraum“ die Habitatpräferenzen grob Gerd Bauschmann skizziert. Es folgt der Abschnitt „Biologie und Ökologie“ mit Angaben zu Genera- tionenzahl, Flugzeit, Sesshaftigkeit, Eiab- lageort und Raupennahrungspflanzen. Die Entwicklung der Raupe, die Verpuppungs- art und der Verpuppungsort werden ebenso beschrieben wie die überwinterungsfähigen Stadien, um auf Gefährdung und Schutz hinzuweisen. Im Abschnitt „Gefährdung“ liegt der Schwerpunkt auf den artspezifi - schen Faktoren, genauso wie beim Ab- schnitt „Schutz“. Jeder Artensteckbrief enthält zudem eine Box, in der Informationen zu Gefährdung, Häufigkeit, Bestandsentwicklung und ge - setzlichem Schutz zusammengestellt sind. Ebenso gibt es detaillierte Verbreitungs- karten der einzelnen Arten, wobei fünf Zeit- abschnitte (vor 1900, 1901 –1950, 1951 –1980, 1981 –2000, ab 2001) unterschieden werden. Künstliche Ansiedlungen von Arten durch Menschen werden gesondert gekennzeich - net. Mit diesem ersten bundesweiten Verbrei- tungsatlas der Tagfalter und Widderchen liegt ein beeindruckender Überblick über diese faszinierende Insektengruppe vor. Ins- besondere die Verbreitungskarten zeigen

136 Titelzeichnung: Steinschmätzer – Oenanthe oenanthe von DR.FRANZ MÜLLER Bezug: Das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert die Herausgabe dieser Zeitschrift durch die Übernahme der Druckkosten. In Aner- kennung der Leistungen der Kreis- und Ortsbeauftragten für Vogelschutz und als Würdigung des ehrenamtlichen Naturschutzes und der Naturschutzarbeit in Hessen wird die Zeitschrift seit 2015 kostenlos abgegeben. Allerdings ist die Auflage gedeckelt. Daher bieten wir sowohl die Zeitschrift als auch die einzelnen Artikel zusätzlich als papierlose Variante als sogenann- tes PostDocumentFile (pdf) an. Falls Sie Interesse haben, können Sie die Jahrgänge von der Homepage der Staatlichen Vogelschutzwarte herunterladen. Bei dort aktuell noch nicht verfügbaren Artikeln wenden Sie sich bitte an die Staatliche Vogelschutzwarte. Der Schriftentausch erfolgt durch die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Institut für angewandte Vogelkunde, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected], Internet: www.vswffm.de

Impressum:

Herausgeber: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft Manuskriptrichtlinien und Verbraucherschutz (HMUKLV) – Oberste Naturschutzbehörde – Mainzer Straße 80, D-6 51 89 Wiesbaden 1. Manuskripte bitte in deutscher Sprache, mit vorangestellter deutscher und englischer Zusammenfassung an die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Schriftleitung: Gerd Bauschmann, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Saarland als elektronische Vorlage einreichen. Rheinland-Pfalz und Saarland (VSW), 2. Bitte keine Formatierung, d. h. keine Silbentrennung, kein Blocksatz, keine Versalien, Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main Kapitälchen, Kursivschrift, kein Fettdruck, keine Unterstreichungen, o. ä.. Redaktion: Dr. H.-J. Böhr, Wiesbaden 3. Text, Abbildungen und Tabellen bitte in separaten Dateien vorlegen. K. Fiedler (HGON), Offenbach 4. Digitale Fotos müssen unbearbeitet und in einer Mindestauflösung von 300 dpi zur Ver- M. Hormann (VSW), Frankfurt fügung gestellt werden. Sie müssen frei von Rechten Dritter und mit dem Namen des Dr. J. Kreuziger (HGON), Zwingenberg Fotografen versehen sein. B. Petri (NABU), Büttelborn 5. Bei der Verwendung von Karten und Luftbildern (auch aus dem Internet), sind die jewei- Dr. R. Roßbach, Bad Homburg ligen Lizenzbedingungen zu beachten. In der Regel ist die Nutzung kostenpflichtig. Bei B. Rüblinger (HMUKLV), Wiesbaden der Verwendung des NATUREG-Viewers als Luftbildgrundlage liegt das Copyright beim W. Schindler (HGON), Solms hessischen Umweltministerium, das daher genannt werden muss. M. Sommerhage (NABU), Wetzlar D. Stiefel (VSW), Frankfurt 6. Literaturzitate (Beispiele): Dr. M. Werner (VSW), Frankfurt Aus Zeitschriften: L. Wichmann (VSW), Frankfurt Stübing, S., J. Heckmann & H.-J. Roland (2013): Seltene Vogelarten in Hessen 2005 bis 2010. – Vogel & Umwelt 20: 15 – 78. Redaktions- Redaktion „Vogel und Umwelt“ anschrift: c/o Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Aus der „Avifauna von Hessen“: Steinauer Straße 44, D-60386 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Norgall, A. (2000): Rotmilan – Milvus milvus. – In: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (Hrsg., 1993 – 2000): Avifauna von Hessen. Echzell. Gesamt- C. Adelmann GmbH, D- 635 71 Gelnhausen Bücher: herstellung: E-Mail: [email protected] Stübing, S., M. Korn, J. Kreuziger & M. Werner (2010): Vögel in Hessen. Die Brutvögel ISSN 0173-0266 Hessens in Raum und Zeit. Brutvogelatlas. – Echzell. Aus dem Internet: Wiesbaden 2 020 Conz, O. (2006): 20. Mai 2006, Landkreis: Main-Taunus-Kreis, Zwergohreule. – Alle Rechte vorbehalten. URL: http://www.hgon.de/voegel/beobachten/hgon-birdnet/?tx_hgon%5bseite%5d=1012

Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren selbst verantwortlich. Die wiedergegebenen Auffassungen entsprechen nicht in jedem Falle der Meinung des Herausgebers. Redaktionsschluss für Band 25 ist der 30. April 2021 Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Landwirtschaft und Verbraucherschutz Mainzer Straße 80 · 6 51 89 Wiesbaden www.umwelt.hessen.de Inhaltsverzeichnis Seite Vogel und Umwelt

Berichte Zeitschrift für Vogelkunde STÜBING , S., T. N ORGALL & M. W ERNER : Vorkommen und Bestandsentwicklung und Naturschutz in Hessen des Steinschmätzers ( Oenanthe oenanthe ) in Hessen in den Jahren 2000 bis 2019 . . 3

HOYER , J.: Die Feldlerche ( Alauda arvensis ) in der Gemarkung Worfelden (Südhessen) – Ergebnisse einer vergleichenden Kartierung im Abstand von 24 Jahren ...... 19

KREUZIGER , J.: Der Einfluss von Folientunneln und Sonderkulturen auf den Kiebitz (Vanellus vanellus ) im Bereich der südhessischen Agrarlandschaft ...... 25

STÜBING , S. &G.BAUSCHMANN : Wirksamkeit eines stationären Prädatorenschutzzaunes auf Brutbestand und Bruterfolg des Kiebitzes ( Vanellus vanellus ) im Wetteraukreis . . 39

ACHENBACH , E. L.: Überwinterung eines großen Weißstorchtrupps ( Ciconia ciconia ) 2018/19 bei Büttelborn (Kreis Groß-Gerau, Südhessen) ...... 59

ZUREK , C., N. P OEPLAU & P. P ETERMANN : Populationsökologische Untersuchungen des Wendehalses ( Jynx torquilla ) im EU-Vogelschutzgebiet „Wälder der südlichen hessischen Oberrheinebene“ ...... 73

GELPKE , C. & S. S TÜBING : Hinweise zu Aktivitätsmustern und zum Vorkommen des Wespenbussards ( Pernis apivorus ) während der Brutzeit in Hessen anhand von mehr als 1000 Flugbeobachtungen ...... 103

BERGMANN , H.-H.: Vögel im Wildkirschbaum – Beobachtungen zur Spezialisierung bei der Nahrungswahl ...... 115

Persönliches

LÜBCKE , W.: Hans-Heiner Bergmann zum 80. Geburtstag ...... 125

KOLB , R. & M. H ORMANN : Dr. Franz Müller: Ein Leben für Naturschutz, Wissenschaft und Kunst ...... 127

Neue Literatur ...... 130

Preise der neuen Literatur

€ ) Tiere in meinem Garten ...... 29,90 0 2

Ein Fest für die Lerche ...... € 12,80 0 2 (

Die Fischfauna Thüringens ...... € 15,00 4 2

Vogelzug ...... € 38,00 d n

€ a Verbreitungsatlas der Tagfalter ...... 49,95 B Band 24 (2 020)