III. Die Kriegsgeschichtliche Kooperation Im Spannungsfeld Des Kalten Krieges
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III. Die kriegsgeschichtliche Kooperation im Spannungsfeld des Kalten Krieges Nachdem bislang die Entstehung und Entwicklung der kriegsgeschichtlichen Ko- operation weitestgehend chronologisch dargestellt wurde, soll im Folgenden auf drei Aspekte der Zusammenarbeit vertiefend eingegangen werden: den Umgang der Historical Division mit Kriegsverbrechern; die Verbreitung und Verwendung der deutschen Studien innerhalb der U.S. Armee; und die Bedeutung der kriegs- geschichtlichen Kooperation für die geschichtspolitischen Aktivitäten der ehema- ligen Wehrmachtselite. Dass sich die amerikanischen Offiziere der Historical Division kaum dafür inter- essierten, ob und in welchem Umfang die für sie tätigen Deutschen während des Zweiten Weltkrieges für Kriegsverbrechen und Völkermord verantwortlich waren, wurde bereits angedeutet. Im ersten der folgenden Kapitel soll diese Frage nach dem Umgang der Historical Division mit mutmaßlichen, aber auch verurteilten Kriegsverbrechern näher betrachtet werden. Dabei geht es zum einen um das Ver- hältnis der Historical Division zu den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden in Nürnberg, insbesondere dem Office of the Chief of Counsel for War Crimes. An ver- schiedenen Beispielen soll hier aufgezeigt werden, wie die Historical Division ganz konkret versuchte, deutsche Offiziere vor Strafverfolgung zu schützen, und wie sie sich im Falle einer Anklage für die Berücksichtigung mildernder Umstände einsetz- te. Zum anderen wird die Entnazifizierung der ehemaligen deutschen Offiziere nä- her betrachtet. Schließlich wird dargestellt werden, wie verurteilte Kriegsverbrecher wie Albert Kesselring, Walter Warlimont und andere von ihren Gefängnissen in Werl und Landsberg aus weiter an der kriegsgeschichtlichen Kooperation beteiligt waren und wie die Historical Division sich für ihre vorzeitige Entlassung einsetzte. Im zweiten Kapitel dieses Teils wird der Frage nach der Verbreitung und Ver- wendung der kriegsgeschichtlichen Studien innerhalb der U.S. Armee nachgegan- gen. Um zu verstehen, warum die Nachfrage nach deutschen Studien zwischen 1948 und 1954 eine Hochphase erlebte und danach rapide nachließ, ist es zu- nächst notwendig, sich die amerikanische Militärstrategie der 1940er und 1950er Jahre vor Augen zu führen. Vor dem Hintergrund der massiven Einsparungen im Budget der U.S. Armee unter der Truman- und anschließend der Eisenhower-Ad- ministration, die sich natürlich auch auf das historische Programm der Land- streitkräfte auswirkten, wird außerdem dargestellt, wie die Historical Division die Kooperation mit der ehemaligen Wehrmachtselite im Kampf gegen Budget- und Personalkürzungen instrumentalisierte. Anschließend wird darauf eingegangen, welche Dienststellen der amerikanischen Streitkräfte die deutschen Materialen verwendeten; dabei werden einige der wichtigsten deutschen Studien kurz inhalt- lich skizziert. Im letzten Teil dieses Kapitels wird schließlich am Beispiel der mo- bilen Verteidigung diskutiert, welchen Einfluss die in den deutschen Studien kon- densierten Erfahrungen der ehemaligen Wehrmachtselite auf die Entwicklung der operativen Doktrin der U.S. Armee hatten. Im dritten und letzten Kapitel dieses Teils werden noch einmal die kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte der kriegsgeschichtlichen Kooperation in den 140 III. Die kriegsgeschichtliche Kooperation im Spannungsfeld des Kalten Krieges Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Zum einen wird die Frage nach Kontinuität und Wandel im Selbstverständnis der ehemaligen Wehrmachtselite im Span- nungsfeld von Niederlage, Besatzung und Kaltem Krieg aufgeworfen. Dabei wird einerseits die rhetorisch-ideologische Westorientierung der deutschen Offiziere beleuchtet, andererseits ihre fortdauernde Abgrenzung vom Osten näher erläu- tert. Im zweiten Teil des Kapitels geht es dann darum darzustellen, welche ge- schichtspolitischen Ziele die ehemalige Wehrmachtselite im Rahmen der kriegs- geschichtlichen Kooperation verfolgte und auf welche Argumentationsstrategien sie dabei zurückgriff. Vor diesem Hintergrund wird schließlich im letzten Unter- kapitel die Bedeutung der Hisorical Division als Agentur der Artikulation analy- siert und gefragt, welche konkreten Hilfestellungen die amerikanische Behörde den deutschen Offizieren bei der Umsetzung ihrer Geschichtspolitik bot. 1. Moral vs. Pragmatismus: Der Umgang der Historical Division mit Kriegsverbrechern 1.1 Die Historical Division im Konflikt mit dem Office of the Chief of Counsel for War Crimes Konflikt mit dem Office of the Chief of Counsel for War Crimes (OCCWC) Kehren wir gedanklich wieder in die Frühphase der kriegsgeschichtlichen Zusam- menarbeit zwischen der Historical Division und der ehemaligen Wehrmachtselite zurück, als die deutschen Offiziere sich noch in Kriegsgefangenschaft beziehungs- weise Zivilinternierung befanden. Hintergrund der teilweise mehrjährigen Inter- nierung der deutschen Militärs war die 1943 formulierte Absicht der Alliierten, die Verantwortlichen von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen juristisch zur Verantwortung zu ziehen; neben der Bestrafung der Schuldigen sollten die Pro- zesse außerdem dazu dienen, der deutschen Bevölkerung die Abgründe des Tota- litarismus vor Augen zu führen und so zur Umerziehung und Demokratisierung der deutschen Gesellschaft beitragen.1 Dazu planten die Amerikaner all diejeni- gen Personen zu verhaften und anzuklagen, die Kriegs- und NS-Verbrechen be- gangen bzw. befohlen hatten oder mit deren Wissen und Zustimmung solche Ver- brechen ausgeführt worden waren. In der Folge hatten verschiedene Abteilungen der U.S. Streitkräfte Suchlisten mutmaßlicher Kriegsverbrecher erstellt.2 Im April 1945 hatte die Direktive JCS 1067 der Vereinten Stabschefs schließlich die Ver- haftung und Internierung aller Militärs angeordnet, die möglicherweise an der Planung und Durchführung von Kriegs- und NS-Verbrechen beteiligt waren. In diese Kategorie fielen neben den höchsten Truppenkommandeuren der Wehr- 1 Buscher, The U.S. War Crimes Trial Program in Germany, 1946–1955, S. 8–9; Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, S. 26. 2 Kathrin Meyer, Die Internierung von NS-Funktionären in der US-Zone Deutschlands, in: Dachauer Hefte 19 (2003), S. 27–29. 1. Moral vs. Pragmatismus 141 macht auch die meisten der Generalstabsoffiziere.3 Alle mutmaßlichen Kriegsver- brecher sollten bis zur Verhandlung ihrer Fälle vor dem Nürnberger Hauptkriegs- verbrechertribunal oder einem der darüber hinaus stattfindenden Prozesse bzw. bis zu ihrer Entnazifizierung interniert bleiben.4 Es lag in der Natur der kriegsgeschichtlichen Kooperation, dass die Mitarbeiter der Historical Division insbesondere an der Zusammenarbeit derjenigen deut- schen Offiziere interessiert waren, die in den höchsten Positionen in OKW, OKH, den Heeresgruppen, Armeeoberkommandos und Armeekorps gedient hatten – und damit an eben jenen Männern, die prominent auf verschiedenen Kriegsver- brecherlisten vertreten waren.5 Franz Halder stand zum Beispiel auf der Liste des Central Registry of War Criminals and Security Suspects (CROWCASS); Heinz Guderians Name fand sich sowohl auf der CROWCASS-Liste als auch auf der Lis- te der War Crimes Group (WCG) des Theater Judge Advocate for War Crimes. Das Gleiche galt für Günther Blumentritt. Georg von Küchler und Walter Warlimont standen auf der Liste des Office of the Chief of Counsel for War Crimes.6 Schon bald kristallisierte sich heraus, dass die Interessen der Historical Division quer zum Bemühen des OCCWC verliefen, mutmaßliche deutsche Kriegsverbre- cher zu identifizieren, zu vernehmen und gegebenenfalls anzuklagen. Während die Historical Division die Wehrmachtsführer in ihren Lagern in Allendorf und Garmisch mehr oder weniger hofierte,7 arbeiteten die Ermittler und Ankläger des OCCWC daran, einzelne deutsche Generäle und Offiziere vor Gericht zu stellen und andere als Zeugen der Anklage vorzuladen. Zu diesem Zweck transferierte das OCCWC immer wieder deutsche Offiziere als Angeklagte oder Zeugen in eines ihrer Untersuchungsgefängnisse in Nürnberg oder Dachau. Anders als in Allendorf bzw. Garmisch wurde dort mit den Deutschen nicht wie mit geschätzten Kollegen umgegangen, sondern wie mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern. Diese als unge- recht und unwürdig empfundene Behandlung führte regelmäßig dazu, dass die deutschen Offiziere ihre Arbeit für die Historical Division vorübergehend und in Ausnahmefällen sogar gänzlich einstellten.8 Auch beklagten sich deutsche Offiziere 3 Endfassung der amerikanischen Besatzungsdirektive JCS 1067 vom 26. April 1945 (Aus- zug), in: Vollnhals (Hg.), Entnazifizierung, S. 100; Rau-Kühne, Wer spät kam, den be- lohnte das Leben, in: Junker (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, S. 113. 4 Vgl. Meyer, Die Internierung von NS-Funktionären in der US-Zone Deutschlands, S. 27–47. 5 Vgl. James F. Scoggin und Frank C. Mahin, Memorandum an Harold E. Potter, 8. 9. 1946, in: NARA, RG 549, Box 2, Folder 3/6. 6 A. J. Edwards, Liste der auf Kriegsverbrecherlisten geführten deutschen Mitarbeiter in Neustadt, 24. 11. 1947, in: NARA, RG 549, Box 4, Folder 2. 7 Vgl. oben, Teil II, Kapitel 2. 1. 8 So weigerte sich zum Beispiel Gustav Hartneck nach einem Aufenthalt in Nürnberg, weiterhin als Zeuge für die Historical Division zu arbeiten: Gustav Hartneck, Schreiben an den deutschen Direktor des Lagers Steinbel [Franz Halder], 11. 10. 1947, in: NARA, RG 549, Box 3140, Folder 4. Auch General Hans von Salmuth und Admiral Otto Schniewind weigerten sich während ihres Aufenthaltes in Nürnberg, Fragen der