Ein Nazi, Kein Parteimann Der Chirurg Albert Wilhelm Fischer Als Klinikchef Und Dekan Der Medizinischen Fakultät Kiel Im Nationalsozialismus
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18 // IM NORDEN MAI 2015 | AUSGABE 5 ÄRZTE IN DER NS-ZEIT Ein Nazi, kein Parteimann Der Chirurg Albert Wilhelm Fischer als Klinikchef und Dekan der Medizinischen Fakultät Kiel im Nationalsozialismus. Albert Wilhelm Fischer ntgegen der landläufigen Meinung nicht zu einem überzeugt erscheinen- von ansonsten fast regelmäßig festzu- erlaubt eine Mitgliedschaft in der den Gefolgsmann der NSDAP und ihrer stellenden parteipolitischen Eingriffen Nationalsozialistischen Deutschen Gliederungen.2 der NSDAP in Berufungsvorgänge Arbeiterpartei (NSDAP) bzw. ih- Neben seiner auf den Ersten Welt- mit den gescheiterten Versuchen von ren Untergliederungen und Orga- krieg zurückzuführenden positiven Ein- Vettern- und Günstlingswirtschaft durch nisationen oder auch die Übernah- stellung zum Soldatentum war er Hoch- den Dekan Hanns Löhr und den Gaulei- me von Ämtern im Auftrag der schullehrer und Chirurg. Diese Aufga- ter Hinrich Lohse einen Einblick in die ENSDAP nicht unbedingt Rückschlüsse ben wollte er ungestört ausüben, dafür Kieler Verhältnisse und die Grenzen re- auf die Einstellung der betreffenden Per- verschaffte er sich Rückendeckung mit gionaler Machtausübung im Hochschul- son zum NS-Regime. Ein Beispiel kann seinen schon fast bizarr anmutenden bereich. hierfür das Verhalten des Kieler Hoch- Mitgliedschaften. Nicht einer von ih- schulchirurgen Albert Wilhelm Fischer nen konnte und wollte er bei seinen Ver- A. W. Fischers Berufung im „Dritten Reich“ geben. pflichtungen als Lehrstuhlinhaber, Lei- Der etwas mehr als drei Jahrzehnte als Raul Hilberg beschreibt zwei unter- ter der Chirurgischen Universitätskli- Direktor der Kieler Universitätschirur- schiedliche Formen des Engagements nik und zeitweise einziger in der Klinik gie tätige Willy Anschütz reichte nach im Nationalsozialismus. Er differenziert präsenter Facharzt, als beratender Arzt zwei Jahren kommissarischer Leitung zwischen dem „Nazi“ und dem „Partei- und Geschwaderarzt der Marine gerecht seiner Klinik mit 67 Jahren Anfang 1937 mann“ wie folgt: „Als Nazi galt jeder, so- werden. Spätestens seine noch darzustel- sein Emeritierungsgesuch ein.5 Für ihn lange er nicht durch sein eigenes Verhal- lende Kollision mit dem Leiter des SS- musste nun ein passender Nachfolger ten das Gegenteil bekundete. […] Par- Abschnitts Kiel durch die Behandlung gefunden werden. Schon im April 1936 teimänner waren nur diejenigen, die der beiden schwer verletzten jüdischen hatte Anschütz Albert Wilhelm Fischer ein Parteiamt innenhatten, ihre Stel- Opfer der Kieler Pogromnacht vom auf dem Chirurgen-Kongress in Berlin lung der Partei verdankten oder bei Un- 9. November 1938 dürfte allerdings seine darüber informiert, dass er, Fischer, stimmigkeiten zwischen der Partei und zunächst selbstbewusste Haltung gegen- demnächst einen Ruf nach Kiel erhalten den anderen Hierarchien die Parteiinte- über den Nationalsozialisten beeinträch- werde. Die Kieler Medizinische Fakul- ressen vertraten“.1 Fischer war Nachfol- tigt haben. Das übliche Quellenmaterial, tät habe ihn, wie Anschütz Fischer mit ger Löhrs als Dekan und im Gegensatz selbst wenn es vollständiger wäre, als es Schreiben vom 12. September 1936 noch zu seinem Vorgänger zweifellos „nur“ 2 hier erwartet werden kann, erlaubt nur einmal bestätigte, als alleinigen Kandi- 6 ein Nazi, kein Parteimann. Durch sei- Jahre dauerten die unscharfe weitere Aussagen. Als Dekan daten bereits 1936 ausgewählt. ne Mitgliedschaft in nationalsozialisti- Vorgänge um A. W. machte er auf der einen Seite den Fakul- Offenbar war der Ordinarius für schen Organisationen wie der NSDAP, Fischers Berufung tätsausschuss wieder zu einem kollegia- Chirurgie der Universität Gießen aus der Nationalsozialistischen Volkswohl- zum Direktor der Kie- len Leitungsorgan, auch hatte er keine der Sicht der Fakultät zu diesem Zeit- ler Uni-Chirurgie. fahrt, dem NS-Kraftfahrerkorps, dem Hemmungen, entgegen den Bestim- punkt der einzige Chirurg, der für die NS-Ärztebund, dem NS-Dozentenbund mungen in seiner Klinik mindestens ei- Nachfolge von Anschütz infrage kam. und dem NS-Altherrenbund erweckt er nen polnischen Arzt als Arzt und einen Tatsächlich sollte der Vorgang um Fi- den Eindruck, als bestünde ein beson- polnischen Sergeanten als „Hausdiener“ schers Berufung nach Kiel jedoch ins- 5 3 ders enges Verhältnis zum Nationalsozi- zu beschäftigen. gesamt fast zwei Jahre in Anspruch neh- alismus und seinen Strukturen. Fischer Semester lang war Fi- Auf der anderen Seite steht Anfang men. Ende 1936 hatte der Kurator den scher Dekan der Me- war zwar von Mitte 1941 über einen Zeit- dizinischen Fakultät. 1944 die Unterstützung der auf erbar- Rektor um Vorschläge für die Nachfolge raum von fünf Semestern Dekan der mungslosen Menschenversuchen beru- von Anschütz gebeten, die von diesem Medizinischen Fakultät, fiel jedoch in henden Veröffentlichung seines Volon- wenig später an den Dekan der Medizi- keiner Weise – auch davor und danach tärassistenten, des KZ-Arztes Ernst Fro- nischen Fakultät weitergeleitet wurden.7 nicht – durch besonderen nationalsozi- 9 wein – ein Vorgang, der deutlich macht, Die Komplikationen dieses im Grun- alistischen Eifer auf. Selbst seine Zuge- Jahre nach Kriegsen- dass Fischer zu dieser Zeit nicht mehr de einfachen Berufungsvorgangs erklä- hörigkeit zur SS mit dem letzten Dienst- de kehrte Fischer an bereit war, einen Konflikt mit der SS bzw. ren sich aus sachfremden Einflussnah- grad Sturmbannführer machte ihn über die Uni zurück. dem SD einzugehen.4 Schon die Vorgän- men des Kieler Medizindekans und un- einen Nazi hinaus erstaunlicherweise ge um seine Berufung geben losgelöst abhängig von ihm des schleswig-holstei- Univers. Chirurgie Foto: AUSGABE 5 | MAI 2015 IM NORDEN // 19 nischen Gauleiters. Sowohl Hanns Löhr haft ehrgeizig, nicht immer im angeneh- Dienstgrad Oberarzt der Reserve aus wie auch sein Parteifreund Hinrich Loh- men Sinne des Wortes. [...] Gegen Rie- dem Heeresdienst entlassen. Im Gegen- se verfolgten andere Ziele, als den so- der nahmen seiner Zeit sowohl der Ver- satz zu seinen späteren Kieler Kollegen gar aus nationalsozialistischer Sicht ver- trauensmann als auch die drei ältesten Löhr, Holzlöhner, Vonkennel und nünftigen Vorschlag der Medizinischen Nationalsozialisten des Krankenhau- Philipp nahm er nicht an Kämpfen der Fakultät zu unterstützen. Eigentlich gab ses Eppendorf vollkommen unabhän- Freikorps teil, sondern wurde noch vor es zu Fischer aufgrund seines Werde- gig voneinander eine ablehnende Stel- seiner Demobilisierung im Januar 1919 gangs, seines Könnens, seiner Erfahrung lung bei der Frage der Berufung nach Volontär-Assistent in der Chirurgischen und seiner parteipolitischen Orientie- Tübingen. [..]“ Der Kieler Oberarzt Puhl Universitätsklinik Halle, ab Oktober rung keine Alternativen. Löhr wollte sei- sei nur genannt worden, so Löhr, damit dann bereits planmäßiger Assistent. Im nen Bruder aus Magdeburg auf den chi- dieser nicht als ungeeignet für eine Be- April 1920 wurde er zunächst Assistenz-, rurgischen Lehrstuhl in Kiel holen. Dies rufung angesehen werde. Und dann ka- dann Oberarzt an der Chirurgischen war im Grunde unmöglich, da bei den men kaum noch überraschend fast an- Universitätsklinik in Frankfurt a. M., Nationalsozialisten allzu offensichtli- derthalb Seiten mit positiver Darstel- wo er sich im Mai 1923 habilitierte und che Vetternwirtschaft nicht gerne gese- lung seines Bruders Wilhelm Löhr.12 im März 1928 nichtbeamteter außeror- hen wurde. Lohse wollte mit der Protek- Parallel dazu hatte sich der Gauleiter dentlicher Professor wurde. 1933 erhielt tion des Freiburger Chirurgen Hans Ki- und Oberpräsident von Schleswig-Hol- er den Ruf zum ordentlichen Professor lian eine Dankesschuld für gelungene stein, Hinrich Lohse, persönlich beim und Direktor der Chirurgischen Univer- Operationen seiner schweren Kriegsver- Reichserziehungsminister Berthold Rust sitätsklinik in Gießen.15 Vom Winterse- letzungen ableisten.8 Hanns Löhr teilte für den Chirurgen Hans Killian aus Frei- mester 1934/35 bis Sommersemester 1936 in Vorwegnahme der Beratungen im Fa- burg eingesetzt. Offenbar war er auf war er dort Dekan, danach bis Sommer- kultätsausschuss, der seine nächste Sit- Ablehnung gestoßen.13 Löhr war vom semester 1937 Prodekan. In Gießen setz- zung erst am 12. Januar 1937 hatte, schon Reichserziehungsministerium aufgefor- te er sich als Dekan nicht nur für die Ein- am 8. Januar den Vorschlag der Medizi- dert worden, auch zu Killian Stellung richtung eines Instituts für Rassenhygi- nischen Fakultät über den Rektor dem zu beziehen, die in seinem Schreiben ene ein,16 sondern war auch ein Anhän- Reichserziehungsministerium mit.9 vom 21. Juli 1937 wenig überraschend ger der „erbhygienischen“ Maßnahmen Vorgeschlagen wurde eine Dreierlis- ähnlich wie bei Götze, Rieder und Puhl des Systems.17 Fischer gehörte aber nicht te mit 1. Fischer (Gießen), 2. Götze (Er- auch nicht positiv ausfiel, weil Kilian, so zu den Nationalsozialisten, die sich in langen) sowie 3. Puhl (Kiel)10 und Rie- Löhr, „zur Leitung eines derartig wichti- der „nationalen Revolution“ besonders der (Hamburg). Wörtlich schreibt De- gen und großen Instituts [...] noch nicht engagierten.18 Auch traf er als Dekan in kan Löhr dann weiter: „Gleichzeitig das notwendige Ausmaß hat“ und er mindestens zwei Fällen vernünftige Ent- lässt die Medizinische Fakultät durch ein Referat beim Pharmakologenkon- scheidungen zugunsten jüdischer Pro- mich mitteilen, daß sie den Prof. Wil- gress im Oktober 1935 eingereicht habe, movenden.19 helm Löhr aus Magdeburg, in voller Be- das „ganz einseitig das ausländische